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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.09.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980901011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898090101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898090101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- fehlerhafte Bindung, Seiten doppelt vorhanden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-01
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Reclamen unter dem RedactionSstrich (-ge spalten) 50^, vor den Familienaachrichte» («gespalten) 40 /H. Größere Schriften laut unserem Preis- veizetchniß. Tabellarischer und Zifsernsag nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. > 0»»c>, Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen j« eine halbe Stunde früher. Anreisen sind stets an irf« Expedition zu richten. Druck uud Verlag von E. Pol» in Leipzig. 92. Jahrgang. ZUM Frie-ensruf -es Zaren. Die Augen iu Deutschland, die sich durch den Strahl au» dem Osten blenden ließen, fangen wieder zu sehen an. Genau gezählt, waren bei un- nicht allzu Viele, die der Reverenz vor dem Zaren Nicolaus nicht unmittelbar nüchterne Betrachtungen über seinen Vorschlag folgen ließen. Die Sorte, die dem Selbstbeherrscher aller Reußen eine Ehre anzuthun glaubte, indem sie ihn auf gleiche Stufe mit der Frau v. Suttner stellte, war schwach vertreten. DaS Preußenthum hat doch mit einer seiner guten Seiten, dem politischen SkepticiSmu», Schule in Deutschland gemacht, uud die „Provinz- braucht sich vor Berlin nicht zu schämen, wo, wie un» geschrieben wird, schon lange nicht „so viele gute und schlechte Witze- gemacht worden sind, wie am Tage der Bekanntgabe der russischen „Mittheilung-. Da starke Pathos der Note vom 24. August hat der Kritik eher Bahn gebrochen, als ihr den Weg versperrt. Man kann weit davon entfernt sein, die Sprache des Grafen Murawjew als falschesPatboS zu empfinden,ohne deShalbLeuten, die di« ungeheuren Expansions-Unternehmungen, auf die sich Rußland eben erst, direct oder indirect auf fremde Kosten, eingelassen, und seine gleichfalls ungeheueren Kriegsrüstungen nicht mit dem Friedensschrei auS Petersburg zusammen zureimen vermögen, da- psychologische Verständniß zu ver sagen. Vielleicht hat eS einige politische Bedeutung, daß auch der „Germania- bei der Lecture der Note die Erinnerung kam, daß der Zar erst kürzlich die Kleinigkeit von 90 Millionen Rubel für Kriegsschiffs- bauten angewiesen hat, und es ist zum Mindesten interessant, in Börsenblättern ausgerechnet zu finden, daß Rußland in den letzten Jahren sich überhaupt staats finanziell etwas übernommen hat und ihm deshalb ein paar Stündchen des AusruhenS von militairischen Aufwendungen gut bekommen würden. Beachtenswerth und unseres Erachtens sogar angebracht ist es auch, wenn betont wird, daß unser deutsches Heer keineswegs die licht lose Erscheinung darbietet, als welche, seiner Note nach zu urtheilen, dem Grafen Murawjew die russische Armee vor zukommen scheint. In der Vorbringung praktischer Bedenken macht die freisinnige und demokratische Presse keine Ausnahme, aber sie ist so uugenirt und so — thöricht, sogleich zu erklären, sie werde sich ungeachtet der kaum anzuzweifelnden Unreali- sirbarkeit der z. Z. als russische vorgetragenen FriedcnS- congreß-Idee die Phraseologie der russischen Note gegenüber künftigen Forderungen für Heer- und Marine zwecke aneignen. Selbst Herr Eugen Richter zeigt sich so ganz von seinem taktischen Genius verlassen, daß er erklärt, man, d. h. er, werde die Worte des Zaren im Parlament noch oft citiren. Nach dieser Ankündigung wird man dem unvorsichtigen Herrn noch wirksamer als vorher erwidern können, daß er sich Angesichts von Militairforderungen gegenüber lediglich nach Ausflüchten umsieht, nicht aber bas VertheidigungS- bedürfniß des Vaterlandes zu Rathe zieht. Wenn Herr Richter die parteipolitische Ausbeutung der russischen Einladung mit der Bemerkung einleitet, das Aktenstück sei „nicht ein improvisirter Trinkspruch und gebe auch nicht der Augenblicksstimmung bei einem Feste Ausdruck, sondern sei ein wohlvorbereiteter und wohlüber legter Staatsakt-, so führt dem Agitator natürlich Ver hetzungsabsicht und nicht patriotisches Bedauern und noch weniger die Gerechtigkeit die Feder. Auf was er anspielt, weiß man ja, und wir wollen darüber mit ihm nicht streiten, was aber die rückhaltlose Friedensliebe und die selbstlose Arbeit für die Erhaltung des Friedens angeht, so ist Deutschland an der Spitze geblieben, und die Bedeutung Kaiser Wilhelm'« II. als des Friedensfürsten Europas wird daS hätten gewisse Blätter, die sonst nationalen Instinkt zeigen, keinen Augenblick vergessen solle» — dwss-.. auf den Zaren zurückgeführte Action des russischen Ministers des Aeußern nicht im Mindesten alterirt. Dies hat die Vergangenheit so unumstößlich dargethan, daß auch Diejenigen, die in die russische Ueberraschuna kein Mißtrauen setzen, in Kaiser Wilhelm nach seiner Persön lichkeit sowohl, als nach den Bedürfnissen seines Reiches den wahren FriedenShort nach wie vor erblicken. Die Bekundung von Mißtrauen, wir haben dies schon angedeutet, ist auch in Deutschland nicht auSgeblieben. Am stärksten tritt cS im „Vorwärts" hervor, der die russische „Mittheilung" an die Mächte einen „Trick" nennt, einen „schlauen Streich der russischen Diplomatie", der vorläufig schon den Erfolg für sich hat, die öffentliche Meinung zu „ver wirren". Daß das socialdemokratische Organ bei der Ge legenheit darauf hinweist, daß in Rußland die öffentliche Meinung mundtodt ist, dürfen wir ihm nicht verargen, da wir vorgestern das Gleiche getban haben. Und daß der „Vorwärts" wie Herr Richter sich entschlossen zeigt, den sonst als „Despoten" vorgefübrten Zaren als Helfer der Socialdemokratie bei der Bekämpfung von Heeresforderungen heranzuziehen, kann nicht Wunder nehmen. Er schreibt u. A.: „Wie verächtlich thnten beiden Militairdebattcn die Roon, Kamecke, Verdy, Bronjart, Goßler diese Einwürfe ab, wie höhnend besprachen sie die Utopie der allgemeinen Abrüstung, wie begeistert wiesen sie auf das Wort Moltke's „vom Kriege als Erzieher". Nun kommt der Zar, der mit einfachem Ukas, ohne ei» Parlament zu fragen, ohne eine freie Kritik in der Presse zu haben, Hunderte von Mil lionen für Armee und Flotte bewilligt, und verdirbt den Kriegs ministern das Spiel." So viel Logik trauen wir Herrn Liebknecht zu, daß er nicht glauben wird, Eindruck zu machen,wenn er sich im Reichstag auf ein Actenstück beruft, das er bei seiner Veröffentlichung als einen „Trick" bezeichnet hat. Die Socialvemokratie rechnet also darauf, ein preußischer Kriegsminister werde nicht wagen, einer Darstellung entgegenzutreten, die von der Regierung des Zaren herrührt. Die Socialvemokratie täuscht sich hierin gründlich. Die Stimme des Fürsten Bismarck. Auf Grund von Gesprächen, die der Vertreter der „Hamb. Nachr." in den letzten Jahren mit dem Fürsten Bismarck über die Abrüstungsfrage geführt hat, glaubt das Blatt, wie schon telegraphisch signalisirt, daß der Heim gegangene große Staatsmann, wenn er den russischen Vor schlag noch erlebt hätte, etwa in folgender Weise zu ihm Stellung genommen haben würde: Zweifellos hätte er der Menschen- und völkerfreundlichcn Absicht, die den Kaiser Nicolaus bei seinem Vorgehen geleitet hat, seine ehrfurchtsvolle Anerkennung nicht versagt. Ebenso sicher sind wir aber auch, daß er an die Möglichkeit, auf dem vorgeschlagenen Wege zu einem Ergebniß zu gelangen, das die Urheber die Idee befriedigt, gleichzeitig aber auch den Lebensinteressen der einzelnen Staaten genügende Sicherheit gewährt hätte, nicht geglaubt haben, und am allerwenigsten der Meinung gewesen sein würde, daß die Lage, in der sich Deutschland befinde, gestatte, auf daS bisherige Maß von Rüstungen zu verzichten. Alle Vorschläge zur Verminderung der gegenwärtigen Kriegsbereitschaft, wie sie das logische Ergebniß der politischen Situation Europas bildet, wären nur dann ohne Gefahr für die einzelnen Staaten ausführbar, wenn absolute Sicherheit dafür hergestellt werden könnte, daß alle Staaten den übernommenen Abrüstungsverpflichtungen wirklich ehr lich und ohne Hinterhalt entsprächen. Diese Sicherheit hielt Fürst Bismarck für nicht herstellbar, und jeder Versuch zu einer Herabminderung oder Beseitigung der jetzigen Heereslasten würde nach seiner Ansicht das herrschende Mißtrauen der Staaten nicht vermindert, sondern erhöht haben, während die gegenseitige Controle und die militairische Spionage einen Umfang angenommen haben würden, der die Gefahr von Conflicten ernstlicher Art wesentlich gesteigert hätte. Zur Sicherung gegen mögliche Ueberrumpelungen wäre unter dem Drucke der Abrüstungs-Verträge nichts Anderes übrig ge blieben, als die heimliche Kriegsbereitschaft an Stelle der jetzigen öffentlichen zu etabliren. Jeder Staat ist verpflichtet, seine Interessen nach besten Kräften selbst zu wahren und seine Existenz, resp. seine Sicherheit nicht von Verträgen abhängig zu machen, deren Erfüllung zweifelhaft sein kann, während sie, wenn er sie seinerseits ehrlich erfüllen will, ihm die Fähigkeit entziehen, schlimmstenfalls sich selbst mit Erfolg gegen die Unehrlich keit seiner Nachbarn zu schützen. Nach Ansicht des Fürsten Bisyiarck würde die Verantwortung, welche mit der Zu stimmung zu einer europäischen Abrüstung namentlich für Deutschland verknüpft wäre, so groß sein, daß kein ein sichtiger und gewissenhafter Staatsmann sie zu übernehmen im Stande wäre. Eine Abrüstung sei so lange undenkbar, als nicht alle Staaten genau dieselben Interessen hätten und dadurch vor der Möglichkeit bewahrt wären, ihre ab weichenden vitalen Interessen nöthigenfallS mit dem Schwerte in der Hand zu vertheidigen. Fürst Bismarck hielt auch, ähnlich wie Moltke, den Krieg für ein Glied der göttlichen Weltordnung, ohne welches Stagnation eintreten würde. Die Ansicht, daß eine Zeit ohne Krieg an brechen könne, habe die Erfahrung der gesammtemjahrtausend- jährigcn Geschichte gegen sich. So lange eS Menschen und Staaten gäbe, so lange werde der Kampf nicht aufhören; das sei auch nicht einmal Wünschenswerth. Gesetzt indeß den Fall, es gelänge, eine allgemeine Abrüstung herbeizuführen, ohne daß vorher die Interessen aller Staaten gänzlich identisch geworden wären — was solle dann geschehen, wen» dennoch Conflicte zwischen den Staaten ausbrächen? Der Gedanke eines internationalen Schiedsgerichts sei in ttwsi ganz schön, was solle aber werden, wenn der betreffende Staat, gegen den die Entscheidung erginge, sich weigere, sie zu accepliren und sich zu unterwerfen? Dann bliebe doch wieder nichts übrig, als abermals der Zwang durch Waffen gewalt, also der Krieg. Es sei auch im Interesse der Energie und der Thatkraft, der physischen und moralischen Entwickelung der Nation kaum Wünschenswerth, daß die gegenwärtige militairische Erziehung, wie sie in Deutschland nach preußischem Muster als Ergebniß der Militair-Verfassung, der allgemeinen Wehrpflicht u. s. w. bestehe, durch die Ausführung von Ab rüstungs-Vorschlägen beseitigt oder vermindert Werve. WaS aber die angebliche Unerträglichkeit der Militairlasten betreffe, die durch die gegenwärtigen Rüstungen erzeugt würden, so werde dem Umstand zu wenig Gewicht beigelegt, daß die Summen, welche für die Wehrzwecke zu Wasser und zu ?ande ausgegeben würden, hauptsächlich im Lande blieben und in sehr hohem Maße zur Entwickelung unserer Industrie auf ihren gegenwärtigen Höhepunkt bcigetragen hätten. Tas sicherste Mittel zur Erhaltung deS Friedens liege immer noch in dem Satze: 8i vi8 paesm, para delluw. Deutsches Reich. * Berlin, 31. August. Der „Phare d'Alexandrie" bringt über den bevorstehenden Besuch des Kaisers in Egypten die folgenden Einzelheiten. Darnach wird das kaiserliche Paar um die Mitte des November mit einem Gefolge von 85 Personen auf der Uacht „Hohenzollern" in Alexandrien eintreffen, wohin der Khedive mit seinem Bruder, dem Prinzen Mohammed Ali, den Majestäten entgegenreisen wird. Nach kurzem Aufenthalt in Alexandrien wird die Reise nach Kairo fortgesetzt. Hier wohnen die kaiserlichen Gäste des Khedives im Harimlik des Addinpalastes, an dessen würdiger Herstellung schon jetzt eifrig gearbeitet wird. Für die Dauer dieses ersten Aufenthaltes in Kairo sind vier Tage vorgesehen. Am Abend des zweiten Tages wird der Khedive seinen Gästen ein Festmahl zu 120 Gedecken geben, an dem die Prinzen der vicrköniglichen Familie, die Spitzen des kaiserlichen Gefolges, die Staatsminister und das diplomatische Corps theilnehmen fallen. Ferner sind Ausflüge nach den Pyramiden von Gizeh, der Stufenpyramide von Saggarah und nach dem großen Nilstauwerk unweit Qualiub geplant. Alsdann soll eine etwa 12 tägige Nachtfahrt bis zum ersten Nilfalle folgen, wobei der Khedive seine Gäste begleiten wird. Nach der Rückkehr aus Oberegypten würden die Ma jestäten noch einige Tage in Kairo verweilen, um tue Sehens würdigkeiten der Stadt kennen zu lernen. Es verlautet, das; der Kaiser außer den Prinzen, den Ministern, dem diplomatischen Corps, den höchsten Beamten und den Vertretern der Mächte bei der Verwaltung auch die hiesige deutsche Colonie empfangen wird, und zwar letztere im Deutschen Generalconsulat. Er-- wähnt sei noch, daß unser früherer Gesandter in Kairo, Graf Paul Wolff-Metternich, ein Kammerherr des Kaisers, vom Kaiser dazu ausersehen ist, ihn auf seiner egyptischen Reise zu begleiten. — Wie aus Rom gemeldet wird, werden auf Befehl des Papstes die Cardinäle Sarti und Patriarca den Kaiser in Venedig officiell begrüßen. Berlin, 31. August. Zu dem Erlasse des Kriegsministers gegen die socialdemokratischen Bewegungen in der Armee bemerkt die „National!. Corr.": „Der Erlaß d-S Kriegsministers ist unbestreitbar als ein „Befehl" im Sinne des § 112 des Reichsstrafgesetzbuches zu charakterisircn. Nach diesem Paragraphen wird Derjenige, welcher „eine Person des Soldatenstandes, es sei des deutschen Heeres oder der kaiserlichen Marine, auffordert oder anreizt, dem Befehle des Oberen nicht Gehorsam zu leisten, ... mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft." Diese Strafe würde demnach Jeden treffen, der einen Soldaten zur Theilnahme an einer socialdemokratischen Ver sammlung, Festlichkeit oder Vereinigung auch nur einladet, der einen Soldaten zum Halten oder zur Verbreitung revolutionairer oder socialdemokratischer Schriften überredet oder zu überreden versucht, oder der einen Soldaten zur Bethätigung einer revo- lutionairen oder socialdemokratischen Gesinnung in irgend einer Weise zu veranlassen sucht. Da die in dem H 112 gedachte „Aufforderung oder Anreizung" auch durch die Presse begangen werden kann, so liegt die Möglichkeit vor, jede Anregung zu einer socialdemokratischen Propaganda im Heere durch die Presse strafrechtlich zu verfolgen. Bis zum Erlaß der in Rede stehenden Feuilleton. Einquartierung. Manöver-Novellette von Freiherrn von Schlicht. Nachdruck verbeten. „Papa, wo bleibst Du denn nur, das Frühstück wartet schon eine Ewigkeit." Auf der großen Diele des alten Herrenschlosse» erklangen diese Worte und gleich darauf wurde die schwere Eichenthür, die das Arbeitszimmer des Gutsherrn abschloß, geöffnet. „Aber Papa, wo bleibst Du denn nur? Wir —" doch die weiteren Worte erstorben auf den Lippen der Sprecherin und ein jähes Roth der Verlegenheit bedeckte ihre Wangen, als sich bei ihrem Eintritt die schlanke, elegante Figur eines jungen Husarenofficiers von einem Stuhl erhob und sich höflich gegen sie verneigte. Mit einem „Ich bitte um Verzeihung" wollte sie sich wieder entfernen, aber der Vater hielt sie lachend zurück: „Nur herein, Claire, gestatte, daß ich Dir unseren neuen Hausgenossen vor stelle, Lieutenant von Zastrow wird einige Tage bei uns wohnen." Sie reichte ihm freundlich die Hand. „Sie sind bei uns ein quartiert?" „Ja und nein", gab er zur Antwort, „das heißt, ich habe mich, offen und ehrlich gestanden, hier selbst einquartiert. Gnädiges Fräulein sehen mich hier in meiner Eigenschaft als vielgeplagter Quartiermacher, der schon von vornherein weiß, daß er es Niemandem recht machen kann. Sich selbst darf der Fourier dg einquartieren, wo es ihm am besten gefällt. Ich ritt von einem Gut zum anderen und hab« glücklich mein ganzes Regiment untergebracht, auch Ihr Herr Vater kann sich nicht darüber beschweren, daß ich seiner nicht gedachte." „Da» weiß Gott", unterbrach ihn lachend der jovial« Haus herr, Freiherr von Bereitz, „denk Dir mal, Claire, fünfzig Mann, sechs Unterofficiere, ein Rittmeister und drei Lieute nants —" „Aber daS ist ja herrlich", rief Claire erfreut, „da werden wir hoffentlich frohe Tage verleben. Und wie lang« bleiben die Herren?" „Leider nur zwei Tage", antwortete Herr von Zastrow, „ich sage leider, denn ich glaube, e» wird meinen Kameraden und den Leuten hier so gut gefallen, daß sie sich wünschen werden, sie könnten ewig hier bleiben." „Und worau» schließen sie da»?" fragte Claire N'ckisch. Herr von Zastrow verbeugte sich galant: „Wo ein so liebens würdiger Hausherr und eine so charmante Tochter die Gäste will kommen heißen, da muß es ja Allen gefallen!" „Herr von Zastrow, im Namen meines Vaters und in dem meinigen danke ich Ihnen für dieses Compliment", und mit einem tiefen Hofknix verbeugte sie sich vor dem jungen Ofsicier, dann aber lachte sie laut auf: „Ich denke nach dieser feierlichen Begrüßung gehen wir frühstücken, nicht wahr, Papa, Mama wartet schon lange." „Herr von Zastrow, darf ich Sie bitten, meiner Tochter den Arm zu geben, ich bitte für einen Augenblick noch um Entschuldi gung, ich komme sofort, ich will nur schnell Befehl geben, daß für Ihren Burschen und Ihre Pferde gesorgt wird und daß man Ihr Zimmer in Ordnung setzt." Der junge Officier bot der Tochter seinen Arm und während sie durch eine Flucht von Zimmern in das nach dem Garten zu gelegene Eßzimmer gingen, ruhten seine Augen auf seiner Be gleiterin. Claire mochte neunzehn Jahre alt sein, sie war groß und schlank gewachsen, dichtes schwarzes Haar umrahmte das scharfgeschnittene vornehme Gesicht mit der aristokratischen Nase und den dunkelbraunen Augen, die mit mühsam verhaltener Lustigkeit und Schalkhaftigkeit gar fröhlich in die Welt blickten. „Chic, sehr chic", dachte Herr von Zastrow und pflichtete dann ihrer Frage, auf deren Sinn er gar nicht geachtet hatte, mit einem lauten: „Gewiß, meine Gnädigste, gewiß" bei. Verwundert sah sie ihn an: „Na, Sie haben aber sonder bare Ansichten, oder sollten Sie etwa gar nicht wissen, was ich Sie fragte?" „Offen und ehrlich gestanden: nein." „Und darf ich wissen, woran Sie dachten, während ich mich bemühte, geistreich zu sein?" „Zum ersten Mal in diesem Manöver dachte ich daran, daß es doch schön sei, Quartiermacher zu sein und vor den Anderen die gastliche Schwelle zu überschreiten." Sie fühlte, daß di«se Worte auf sie gemünzt seien, ein leichtes Roth färbte ihre Wangen und sie war froh, als ihr in diesem Augenblick auf der Schwelle des großen, Hellen mit altdeutschen Möbeln eingerichtrtrn Zimmer» ihre Mutter entgegenkam. Frau von Bereitz war eine trotz ihrer vierzig Jahre noch immer fast jugendlich aussehende, stolze aristokratisch« Erscheinung, die in ihrem ganzen Wesen trotz ihrer Freundlichkeit etwas Hoheits volles batte. Herzlich hieß sie den Gast willkommen, gab dem Diener Be- fehl, ein Gedeck aufzulegen und da gleich darauf auch der Hau»- Herr ins Zimmer trat, nahm man an der reichgedeckten Tafel Platz. Das Gespräch drehte sich naturgemäß um das Manöver. „Vor morgen Nachmittag um zwei Uhr wird Ihre Einquar tierung nicht eintreffen, gnädige Frau", gab Herr von Zastrow auf eine Frage zur Antwort, „obgleich sich die Manöver fast vor Ihrer Hausthür abspielen werden." „Und ich kann nicht einmal hinreiten und mir das Ma növer ansehen", klagte Claire, und zu Zastrow gewendet, fügte sie hinzu: „Mein Beautiful, mein Leibpferd, ist lahm und Papa will mir nicht erlauben, daß ich sein Pferd reite, er behauptet, es wäre zu wild." Sie sah traurig vor sich hin und Zastrow beeilte sich zu er widern: „Wenn Sie mir gestatten würden. Ihnen eins meiner Pferde zur Verfügung zu stellen, wäre ich glücklich, die Stute ist absolut sicher und häufig unter dem Damensattel gegangen. Ich übernehme jede Garantie." Mit fast kindlichem Uebermuth klatschte Claire vor Freude in die Hände, aber als sie den tadelnden Blick ihrer Mutter ge wahrte, sagte sie: „Sie sind sehr liebenswürdig, Herr von Zastrow, und wenn meine Eltern gestatten, nehme ich mit großem Dank Ihr freundliches Anerbieten an." „Ich habe nichts dagegen", sagte Herr von Ber«itz, „im Gegentheil, ich freue mich sehr, daß Dir Gelegenheit geboten wird, Dir das Manöver anzusehen und ich glaube, auch Deine Mama wird nichts dagegen einzuwenden haben." Gnädig nickte auch die Hausfrau Gewährung und so eilten denn am nächsten Tag Lieutenant von Zastrow und Claire auf das Manövergelände. Es war noch früh, kaum fünf Uhr, als sie die Pferde bestiegen, der Tag erwachte zum neuen Leben: Knechte und Mägde eilten über den Hof, aus den geöffneten Ställen wurde das Vieh auf die Weide getrieben, schwere stark« Pferde wurden vor die Leiterwagen gespannt, auf denen schon die Arbeiter Platz genommen hatten und vollbeladene Milch wagen standen zur Abfahrt nach der nahen Stadt bereit. Die Sonne sandte ihre ersten Strahlen zur Erde nieder, der frische Thau blinkte noch auf den Häusern und leise erklang der Morgengesang der Vögel, In kurzem Trabe ritten die Beiden auf einem gut gehaltenen Landweg dahin: „Wird Ihnen der heutige Tag auch nicht zu lang werden, mein gnädiges Fräulein?" fragte Zastrow. „Amü- sanier ist es ja, einem Manövrrtag von A bi» Z beizuwohnen und zu sehen, wie di« Dache sich entwickelt, aber ich fürchte, Sie Werden müde werden. Sie sind gewiß nicht gewohnt, so früh aufzustehen?" „Doch, doch", antwortete sie lebhaft, „jeden Morgen stehe ich um diese Zeit auf und gehe hinunter in den Garten zu meinen Rosen. Das sind meine Lieblinge, die pflege ich ganz allein, und nie ist die Rose schöner, als wenn Thautropfen wie un zählige Diamanten auf den Blättern blitzen. Aber für so etwas haben Sie als mehr oder weniger materieller Großstädter natürlich wenig oder kein Interesse und ich möchte darauf schwören, daß Sie nie eher aufstehen, als Sie müssen." „Das hieße an Sonn- und Feiertagen also gar nicht", lachte er, „nein, nein, so schlecht bin ich doch nicht, obgleich ich nicht leugnen will, daß ich gern lange schlafe. Alles auf Erden verliert seinen Reiz, wenn es einem „muß" entspringt, auch das Frühaufstehen." „Sind Sie nicht gern Officier?" fragte sie erstaunt. „Sie meinen, weil ich eben über das „müssen" schalt, das in unserem Beruf eine so große Rolle spielt? Schelten thun wir ja Alle dann und wann, das schadet nichts. Ob ich meiyen Beruf liebe? Giebt es etwas Schöneres als Soldat zu sein, seinem König und dem ganzen Vaterlande zu dienen, als frischer Reitersmann hinauszuziehen in die Welt, ein gutes Pferd unter sich? Da vergißt man so viele Widerwärtigkeiten und Kleinig keiten der Welt, und alles Leid ist vergessen, wenn es heißt: „Zur Attacke marschirt auf, Escadron Galopp — marsch." Eine edle Begeisterung sprach aus seinen Zügen, hell leuchteten seine Augen, stolz auf richtete sich seine schlanke, elegante Gestalt. „Wie schön er ist", dachte sie, während ihre Blicke auf ihm ruhten, und mit Bewunderung sah sie, mit welcher Ruhe und doch mit welcher Kraft er sein Pferd zügelte, als es plötzlich vor einem jäh auffliegenden Bogel scheute. Fast zwei Meilen eilten sie in fröhlichem Geplauder neben einander her. „Nun wird's gefährlich, gnädiges Fräulein", sagte er scherzend, „sehen Sie dort die beiden Infanteristen? Das ist ein Doppelposten, der jede feindliche Annäherung verhüten soll. Ich weiß nicht, ob er uns durchläßt. Wenn es Ihnen recht ist, machen mir querfeldein einen ordentlichen Galopp, nur nicht ängstlich sein, wenn ein Graben kommt. Ihre Stute springt wie eine Puppe." Sie nickte ihm zu und sie flogen dahin, beide Pferde Gurt an Gurt in wilder aufregender Jagd. Nun parirten sie zum Schritt: „Mein Compliment, mein gnädiges Fräulein; daß Sic ein« gute Reiterin waren, sah ich auf den ersten Blick, aber daß Sie so gut ritten, glaubte ich doch nicht." Sie rrröthete bei seinen Worten und ein Gefühl de» Stolze» und der Freude durchdrang ihre Brust.
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