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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.09.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980902013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898090201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898090201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-02
- Monat1898-09
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Größere Schriften laut unserem Preis, ve^eichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesördrrung ^tl 70.—. Rnnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Marge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anzeigen sind stets an dc< Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Freitag den 2. September 1898. 82. Jahrgang. Sedan. Die Festesfahnen sind umflort. Zum ersten Male seit der Wiederkehr des TageS der herrlichsten deutschen Waffenthat fehlt uns Fürst Bismarck, wie Wilhelm I. und Moltke fehlen. Dem Staatsmann galt sonst am zweiten September der Gruß wie den Feldherren. Er hatte die Schlacht nicht gelenkt, war an ihrer genialen streategischen Vorbereitung nicht betheiligt gewesen und dennoch bleibt der Name Sedan so eng mit dem Namen Bismarck verknüpft, wie die Namen Gastein, Nikyls- burg und Frankfurt. Das ist Wohl begründet. Auf dem Schlachtfelde von Sedan wurde die deutsche Kaiserkrone ge schmiedet, aber nicht weil dort, wie vorher bei Leipzig und Waterloo der Erbfeind besiegt ward, sondern weil er besiegt ward von Deutschland allein und von ganz Deutschland, und weil des norddeutschen Kanzlers Wille und Wort so gut und stark waren wie Alldeutschlands Schwert. Soeben erst ist bekannt geworden, daß daS Hinderniß, das sich der Verwirk lichung des Kaiser-Gedankens entgegenstellte, nicht, wie man bis her glaubte, ein doppeltes, sondern ein dreifaches gewesen ist, und daß Fürst Bismarck mit der Einsetzung seiner ganzen Kraft einen romantischen Plan zu beseitigen hatte, der nicht nur die Krönung der deutschen Einheit durch das Kaiserthum, sondern die Einigung selbst im Keime zu ersticken drohte. Es war des Bismarck von 1866 Verdienst gewesen, daß die süddeutschen Krieger bei Sedan freudig ihr Blut mit dem der Preußen und Sachfen vermischt hatten; es ist des Bismarck von 1870 größeres Verdienst, daß dieser zeitlichen Waffenbrüder schaft anstatt Reue eine unauflösliche Verbindung folgen konnte. Am größten aber ist der Ruhm, den er sich dadurch erworben, daß Preußen selbst die Kraft erlangte, mit den anderen Deutschen Sedan zu schlagen. Da» preußische Heer, das in Böhmen und in Frankreich siegte, war technisch eine Schöpfung Wilhelm's I., daß aber der König und sein Kriegsminister es schaffen konnten, verdankt Deutschland Bismarck, der in vier jährigem Kampfe die politischen Widerstände gegen die Aus bildung einer der deutschen Sendung Preußens gewachsenen Wehrkraft überwand. So ist Sedan, der höchste Ehrentag des Heeres, unmittelbar wie mittelbar eines der herrlichsten Blätter im Lorbeerkranzc des ersten Kanzlers. Und an seine Lehre soll sich Deutsch land halten, wenn es das Heer gilt. »An die Armee, meine Herren, rühren Sie nicht!" So hat Bismarck im Jahre 1882 den Gegnern deutscher Kriegsbereitschaft im Reichstage zuge rufen. Und an die deutsche Armee soll nicht gerührt werden. Ein Reich von großer Kriegsmacht will versuchen, die euro päischen Staaten auf eine Bahn zu drängen, auf der cs, un gehemmt durch innere Hindernisse, jeden Augenblick wieder umkehren könnte, auf der aber ein Land wie Deutsch land, wenn es sich einmal der Rückbildung seines Heer wesens hingegeben, zu verharren gezwungen wäre. Es ziemt sich, solches Ansinnen mit dem Maße zu messen, das uns der Tag von Sedan in die Hand gegeben. Die Lage der Welt ist ernst, verderbenschwanger, und es will scheinen, als ob der russische Vorschlag auf Abrüstung eher geeignet wäre, die Wolken am politischen Himmel zu zeigen, denn sie zu verscheuchen. Jedenfalls hat er den gutgläubigen Träumern unter uns wieder einmal dargethan, daß der Haß Frankreichs gegen Deutschland der alte, unauslöschliche geblieben ist. Wohl sprechen die französischen Zeitungen von den einst geraubten und nun wieder mit Deutschland vereinigten Provinzen als dem Hinderniß einer Verwirklichung des als Wunsch des Zaren vorgetragenen Planes. Aber wäre nicht Elsaß-Lothringen, so wäre doch Sedan, und wäre nicht Sedan, so blieben das linke Rheinufer und die krankhafte Einbildung eines französischen Rechts auf Deutschlands Schwäche. Metz und Straßburg sind nur ein neuer Vorwand für die alte Erbfeindschaft, aber freilich sind sie zugleich ein den bösen Nachbarn angelegter starker Zügel. In Dankbarkeit sei heute Derer gedacht, die sammt dem Kaiserreiche vor achtundzwanzig Jahren dies Bollwerk Deutsch lands Wiedergewannen. Der Lebenden wie der Todten. Mögen die Krieger von 1870, weil die Sedanfeier stiller verläuft als in früheren Jahren, nicht glauben, die Bewunderung ihrer Thaten sei nicht mehr die alte. Nur die rühmenden Reden sind seltener geworden, aber die friedliche Blllthe des Vater landes, jede Rauchsäule, di« aus Werkstätten emporsteigt, jedes deutsche Schiff, das, mit deutscher Waare befrachtet, die Anker lichtet, preist ihren Hcldenmuth. Und auf daß die Blllthe er halten und von dem Wurm bewahrt bleibe, bleibe unser Heer, das deutsche Schwert, so scharf es nur sein kann, an jeden Pflug und jeden Ambos gelehnt. Ohne Sedan kein deutsches Reich, ohne ein Heer, wie Bismarck es erstritten und Wilhelm I. es geschaffen, kein Sedan. Dessen wollen wir bewußt bleiben. Deutsches Reich. Leipzig, 1. September. Die Boykottirung der Universität Freiburg i. Schw. durch die Universität Ler^zig besitzt nicht den Beifall des leitenden rheinischen Centrumsblattes. Nach diesem Beschluß werden die etwa in Freiburg zugebrachten Semester bei den Staatsprüfungen nicht anerkannt, ebenso wenig ein dort erworbener akademischer Grad. Leipzig wollte von jenem seinem Beschluß den übrigen deutschen Universitäten Mittheilung machen und hoffte auf den Beitritt wenigstens der meisten von ihnen. Der kölnische Einwand, daß die Anrechnung der Semester im Examen nicht von den Unl- versitätsfactoren, sondern von den Staatsbehörden abhänge, ist richtig; aber im klebrigen sollte sich das verehrte Organ daran erinnern, daß es schon gelegentlich wegen seiner relativ nationalen Haltung Unannehmlichkeiten von Seiten der eigenen Kampfgenossen erfahren hat. Leipzig ist eine evangelische Uni versität und in Freiburg sind deutsche Theologen katholischer Confession von den Glaubensgenossen polnischer Zunge gemaß regelt und hinausgedrängt worden; es hätte wohl katho lischen Universitäten, wie München, Würzburg, Freiburg i. B. angestanden, gegen diese Mißhandlung von Volks- und Glaubensgenossen zuerst Stellung zu nehmen. Aber freilich ist für den kämpfenden Katholicismus in Deutschland das internationale Polenthum sacrosanct, selbst wenn es nicht katholisch sein sollte, und durchaus angemessen wird in einem schlesischen Briefe des bezeichneten Centrumsblattes in bedauerndem Tone geäußert, daß von den 29 Landtagsmandaten der Provinz Posen „acht den Deutschen nicht zu entreißen sind". Schade! Berlin, 1. September. Als sich in diesem Frühjahr in Berlin und Leipzig ein Ausschuß bildete zur Begründung einer Landesbibliothek großen Stiles in Posen, da war nur eine Stimme darüber, daß diese Anstalt, die zu einem Bollwerk deutschen Geistes und deutscher Cultur bestimmt war, in ihrer ganzen Einrichtung volksthümlich sein müsse im besten Sinne des Wortes. Daher ward der Aufruf, der einige Monate später in das Land ging, unterzeichnet von Männern aller Stände und Parteien, und ebenso wendet er sich ausgesprochener maßen an Patrioten in allen Lebensstellungen, an Gelehrte, an Künstler, an Antiquare und Verleger, an Industrielle und Kaufleute u. s. f. Der Fortgang der Sammlungen zeigt, daß in der That das Interesse für die Förderung des Deutschthums in den Ostmarken, das in dem Unternehmen zum Ausdruck kommt, alle Kreise ergriffen hat. Trotz der für solche Be strebungen ungünstigen Jahreszeit sind bereits Gaben aller Art bei den Sammelstellen (für Bücher die königliche Bibliothek in Berlin, für Geldbeiträge die Allgemeine deutsche Creditanstalt in Leipzig) eingetroffen. Außer den Buchhändlern, von denen bisher an 50 ihre Vcrlagskataloge meist uneingeschränkt zur Verfügung stellten, waren es nicht wenige unserer besten Dichter — wir nennen nur die Namen Fontane, Wildenbruch und Wilbrandt —, die «in vollständiges Exemplar ihrer Werke dar brachten. Von den Städten folgten dem Beispiel Breslaus, das sofort die Doubletten seiner Stadtbibliothek anbot, bald Quedlinburg und Leipzig. Von den bildenden Künstlern war L. Jakoby der erste, der einen seiner herrlichsten Stiche nach einem Raphael'schen Gemälde der Kaiser-Wilhelm-Bibliothek mit dem Wunsche überwies, daß er an geeigneter Stelle ange bracht werde. Von den nationalen Vereinen war seiner be sonderen Aufgabe entsprechend der Ostmarkenverein zuerst auf dem Plan und übersandte «ine reiche Sammlung von Büchern. Von besonderer Bedeutung für eine Bücherei, deren Schwerpunct naturgemäß auf nationalem Gebiete liegen wird, muß der voll ständige Besitz der Publikationen der vielen deutschen gelehrten Gesellschaften sein. In der Hinsicht ist der Berliner Geschichts verein mit rühmlichem Beispiel vorangegangen, indem er ein vollständiges Exemplar der von ihm herausgegebenen Zeitschrift für die große neue Landesbibliothek hergab. Schwierig zu er langen im Buchhandel sind endlich auch die Programme höherer Lehranstalten, so daß man also hier zunächst auf den guten Willen der Directoren zurückgreifen muß. Wie wir vernehmen, ist aber hier bereits insofern ein guter Anfang gemacht, als schon mehrere Schulen eine vollständige Sammlung ihrer Programme eingeschickt haben. So stellt sich denn allgemach heraus, daß die Schwierigkeiten, die dem Vorhaben entgegenstehen, mögen sie auch noch so groß sein, für den Opfermuth unserer Nation heute ebenso wenig wie seiner Zeit bei der Wiederherstellung der Straß burger Landesbibliothet unüberwindlich sind. 6. H. Berlin, 1. September. Der angekllndigte Ent - wurfeinesreoidirtenUrheberrechts.der officiös als Theil eines großen Reformwerkes hingestellt wird, erregt naturgemäß das Interesse literarischer Kreise. So wird dec Wiesbadener Kongreß, den der deutsche Schriftstellerverband am 10. September und den folgenden Tagen veranstaltet, zu dieser Sache Stellung nehmen. Als Referenten sind bisher genannt drei Männer, welche sich bereits vielfach mit preßrechtlichen und verwandten Fragen beschäftigt haben: Professor Ernst, Röthlis- berger, I)r. Albert, Ohlewieth und Martin Hildebrandt. 3>r Kongreß wird sich vermuthlich mit den Referenten in dem Wunsch vereinigen, daß der neue Entwurf, bevor er an das Parlament kommt, der öffentlichen Kritik unterbreitet wird. Für den Inhalt des neuen Gesetzes wird gewünscht, daß folgende Grund sätze maßgebend sein sollen: 1) Zusammenfassung des litera rischen und des künstlerischen Urheberrechts, 2) vollständigen internationalen Urheberschutz, 3) Beschränkung der wirthschaft- lichen Ausbeutung gewinnfreier Werke, 4) Erweiterung des Nachdrucksverbotes für die Presse. Die beiden erstgenannten Puncte sind in der Presse bereits erörtert worden; der dritte Punct betrifft die jetzige Bestimmung, daß ein Schriftsteller 30 Jahre nach seinem Tode von jedem Verleger honorarfrci nachgedruckt, Theaterstücke aufgeführt werden können u. s. w., wovon namentlich in Betreff unserer Classiker reichlich Gebrauch gemacht wird. Die Schriftsteller wünschen, daß in solchen Fällen eine angemessene Besteuerung zu Gunsten von Versorgungscaffen u. dergl. eintrete. Der vierte Punct des Nachdrucksverbotes bezweckt, dir Zeitungen, die sich ihren Stoff etwas kosten lassen, vor Ausbeutung durch Preßpiraten zu schützen; die Uebernahme von Nachrichten zu Zwecken der Polemik oder in sonstiger loyaler Form wird nicht bekämpft. Es wird noch mehrfacher Erörterung bedürfen, ehe für diesen Punct die richtige Form gefunden ist. * Berlin, 1. September. In der „Köln. Ztg." war, wie an dieser Stelle nntgetheilt worden ist, Klage darüber ge führt, daß die Einrichtung der bedingten Straf aussetzung bezw. Begnadigung, wie sie in Preußen durch allerhöchsten Erlaß vom 25. October 1895 und im Anschluß an dieses Borbild in anderen deutschen Bundes staaten eingesührt wurde, bisher nur „unvollkommen be friedigende" Resultate gezeitigt habe. Namentlich wurde über die Ungleichheit geklagt, welche in der Handhabung der Ein richtung von Seiten der Amtsgerichte und Schöffengerichte gegenüber den jugendlichen Missethälcrn zu Tage trete, und es scheint in richterlichen Kreisen die Befürchtung zu be stehen, daß der Versuch, durch die bedingte Strafaussetzung Feuilletsn. Amsterdamer Bilder. Zur krSuun, der KSnigin »,» Holland, 6. September, von Ernst Forster. Nachdruck vnbolen. „DaS nordische Venedig!" Wie unendlich oft ist dieser Vergleich auf Hollands Hauptstadt angewandt worden! Ich denke mir, daß ihn einer jener „sentimentalen" Reisenden des vorigen Jahrhunderts zuerst gemacht haben mag, die die große europäische Tour unternahmen und ihre Beobachtungen gern in geistreichen AperyüS nirderlegten, bet denen e» ihnen aus einige Schiefheit de« Urtheil» nicht gerade ankam. Und schief genug ist der Vergleich. In Venedig stille Lagunen, von schweigsamen Gondeln lautlo» durchfurcht; tn Amsterdam belebte Wasser straßen, von Kähnen, Booten und Dampfern unablässig be fahren; dort Alle» Vergangenheit, verfallene Gröhe, melan cholische Geschichte, hier eine rastlos thätige und strebende Gegen wart; dort imponirende, kunstvolle, mannigfaltige, aber bau fällige AdelS-Palästt, hier lange Rethen nüchterner, monotoner, solider Bürger« und Kaufmannthäuser; dort HeSperienS blauer Himmel und bewegliche», schönheit-reichet, aber träge» Volk, hier Hollands grauer Horizont und der langsame und langweilige, gediegene und zielbewutzte Mynheer; dort ein großartig har monisches Jneinandergreifen von Natur und Kunst, hier ein Wunderwerk menschlichen Fleißes und menschlicher Thatkraft, einer traurigen Lchlammwüstr und dem zerstörenden Oceane ab gerungen. Und dennoch hat der sentimentale Rettende, den wir uns als den Vater de« Vergleicht» zwischen Amsterdam und Venedig denken, ein wichtige», beiden TmdttN gemeinsames Moment instinktiv richtig herausgefühltr »en großen Reiz der belebten Wasserflächen, die ja Überall einem Städtebilde die wirkungs vollste Schönheit und Eigenart verleihen und in Deutschland z. P. Hamburg so seht zuM vortheil gereichen. Wa» aber Amsterdam» volle Eigenthümllchkeit erst tn» recht« Licht stellt, das ist der Umstand, daß seine Wasserflächen nicht seit Uralten Zeiten ein Geschenk der Natur sind, sondern daß wir ihre all- mähliche Sntstehunaim verlause der Menschengeschichte genau verfolgen tännen. Denn wenn wir uns an die Stelle der heu tigen Metropole vor 700 Jahren versetzen, so finden wk nui die trägen Laufe» dahinslleßende Amstel, und da, wo noch heut der Hauptvertehr»platz der Stadt, der „Dam", durch seinen Namen di« Erinnerung an die» Ereignih bewahrt hat, einen Damm, den die Herren »an Amstel gegen die »rrheerendk See errichtet Und mit einem Schlosse besetzt haben. Sin Fischerdorf siedelt sich ttn Schutz« seiner Mauern an, und schwerlich wäre au» diesem ytschndsrf jr etwa» geworden, hätte sich nicht im 14. Jahrhundert ein elementare» Naturereignis) vollzogen. Das Meer brach über die schutzlose Küste herein, bildete die Zuyder- see und entsandte «inen Abfluß, da» P, bi» zur Amstelmündunz. Da war das Fischerdorf zur Seestadt geworden und konnte die I unter schweren Kriegsläuften leidenden Rivalinnen Haarlem und I Leyden überflügeln. Als dann in dem Kampfe gegen Spanien j auch das blühende Antwerpen niederging, begann Amsterdams Glanzzeit, und seine Entwickelung spiegelt sich deutlich in den Canälen, den Grachten, die im Halbkreise, an beiden Endpuncten sich auf A stützend, gezogen wurden und von Penck sehr treffend die Jahresringe des Wachsthums Amsterdams genannt worden sind. Die winklige Altstadt umschließt die Festungs- (Singel-) Gracht; 1585 wurde die Erweiterung der Stadt nöthig, die die Heeren-Gracht bezeichnet, und die Keysers-, Prinsen- und schließ lich die äußere Singel-Gracht zeigen, wie die Stadt bis 1658 immer neues Terrain brauchte. So entstand ganz allmählich das charakteristische Stadtbild Amsterdams: zahllose, von Ulmen begleitete Wasseradern, von zahllosen Brücken überspannt, enge winklige Straßen — alle gewissermaßen von Natur dem P zustrebend, der großen Wasserstraße, die Amsterdams Pulsader, die Grundlage seines Wohlstandes bildet. Sehr hübsch sagt HanSjakob, daß die Stadt gewissermaßen ihre Arme nach all' den Schiffen und Fremdlingen öffnet, die ihrem „Meerbusen" sich nahen. ES kam sreilich die Zeit, wo die Amsterdamer ihr stillt» U nicht mehr mit der alten Liebe ansahen. Es war ihnen zu entlegen; die Schiffe begannen den weiten Umweg durch die Zuydersee zum U zu scheuen und zogen den seenähern Hafen Rotterdam vor. Da gingen die Amsterdamer wieder unverzagten Muthrs daran, die Natur und ihre Ungunst zu besiegen und legten den großen, für alle Seeschiffe zuzänglichen Canal an, der Amsterdam direkt mit der Nordsee verbindet. Seit der Voll endung dieser gewaltigen culturtechnischcn Leistung (1876) ist Amsterdam in ein Stadium neuer Blüthe getreten; die Stadt ist in» N selbst vorgerückt, dessen Eindämmung ein Terrain gab, durch dessen Verkauf ein erheblicher Theil der Millionen de» Tanalbaues wieder herausgeschlagen wurde. Hier im Neulande des U liegt auch der Hauptbahnhof, und wer mit der spoorvos in Amsterdam einfährt, der genießt sofort den großartigen Blick auf die mächtigen Hasenanlagen mit ihrem dichten Masten walde, wo der gewaltige Ostindienfahrer neben dem flinken Zuyderseeboote und dem Küstendampfer liegt. Wa» so der Natur abgerungen wurde, muß auch weiter stet» von Neuem ihr abgerungen werde» Allnächtlich wird in die Grachten frisches Wasser eingelassen, damit sie nicht ver schlämmen. Daß Amsterdam ganz auf einer Moor- und Schlammschicht ruht, mutz zu seinem Nachtheile Jeder, der ein HaU» bauen will, erfahren. Nur auf Pfählen, die tn den unteren festen Tand eingerammt werden, können hier Häuser ruhen; auf solchen Pfählen steht ganz Amsterdam, ein Wald von 13 659 Stämmen war allein al» Fundament für da» Rathhau», jetzige königliche Palai» erforderlich und nicht ohne Berechtigung konnte Era»mu» von Rotterdam spotten, er kenne eine Stadt, deren Bewohner wie Krähen auf den Gipfeln der Bäume wohnten. I Noch im Jahre 1822 ist ein großes Magazin mit 70 000 I Centnern Korn einfach in die Erde versunken, weil das Pfahl- I fundament diese Last nicht zu tragen im Stande war. Die un geheuren Kosten, die der Bau eines Hauses schon unter der Erde verursachte, mögen dann die Ursache gebildet haben, warum auf den Oberbau nicht mehr zu viel verwandt wurde. Architektonisch ist Amsterdam eine höchst unerfreuliche Stadt. In unendlicher Eintönigkeit erscheint straßauf straßab immer der gleiche Häuser typus: das meist in Backsteinrohbau ausgeführte schmale Fami lienhaus, und diese Häuser scheinen sich, dicht aneinander ge drängt, „gegenseitig förmlich in die Höhe zu pressen". Ob diese Häuserreihen sich an den Canälen entlang ziehen, ob sie schmale, winklige Straßen bilden, immer bleiben sie gleich langweilig. Aber immer entschädigen auch dafür die malerischen Blicke, die diese aus zahllosen Inseln bestehende Stadt überall bietet und das Leben, das sie durchpulst. Da ist die Gracht. Hohe Speicher und Kaufhäuser an ihrem Ufer erzählen von den reichen Schätzen des Orients und Occi- dents, die hier zusammenströmen: Kaffee und Tabak, Reis, Zucker und Gewürze. Ein Dampfer, der hier die Stelle der Tramway vertritt, durchfurcht ihn und läßt einen breiten Schlammstreifen hinter sich. Schwere Lastboote bringen die Ladungen heran, große flache Boote führen sie den Krähnen zu, die sich am Ufer erheben, wo sich eine lange Ulmenreihe hinzieht und im Hinter gründe der Blick auf einen bizarr gestalteten Kirchthurm sich eröffnet. Durch das geschäftige Handelsvolk schreiten fremd artige Gestalten mit tiefdunklen Gesichtern, Söhne Indiens, die die Hauptstadt des beherrschenden Volkes aufgesucht haben, oft auch Mischlinge von Holländern und indischen Frauen, mit denen sich die nach Indien gehenden Holländer nicht selten verheirathen. Sonderbare singende gedehnte Rufe ertönen: fahrende Händler die mit stereotypen Worten und Tonfällen ihre Waare feilbieten; es giebt zwar einen großen Gemüse- und Fischmarkt in Amster dam, aber die TageSbedürfnisse werden stets durch diese fahrenden Händler gedeckt, die (wie in Leipzig) Fische, Gemüse, Töpfe und Gott weiß, was noch Alles, ausbieten. Ist das Leben hier schon lebhaft, so steigert eS sich bis zur verwirrenden Geschäftigkeit am Hafen, wo der Handel einer Welt aus- und einfluthet, in der schmalen Kalverstraat, die die Hauptverkehrsader der Stadt bildet, im Judenquartiere, in dessen engen düsteren Gassen der Straßentrödel Und die Diamantenschleiferei ihre Stätte haben; für die letztere ist Amsterdam bekanntlich der Hauptplatz der Welt, und sie liegt fast ganz in den Händen der Juden. Die Juden haben Amsterdam ein zweites Jerusalem genannt, weil sie bei dem duldsamen Holländervolke eine Heimath fanden, und noch heute bildet die Judenschaft nahezu ein Achtel der Amster damer Bevölkerung. Größtenthrils ist sie in ihrem Viertel zu- sammrngedrängt, in das erst die neueste Zeit etwas Luft und Licht zu bringen begonnen hat; auf der Centraal Station und am „Dam" trifft der Fremdling zahlreiche Hebräer, die sich ihm (wie in Prag) mit oft lästigem Eifer als „Wegweiser" an bieten; ihre reichen Glaubensgenossen aber haben längst das Ghetto verlassen und in Amsterdams Handelsleben große Be deutung gewonnen. Der Hauptplatz der Stadt ist noch heut jener alte „Dam". Hier steht die Börse, ein antiker Tempel, in dem gewaltig» Kapitel aus der Geschichte des modernen Reichthums sich ab gespielt haben, in dem Gutzkow auch Manasse Vanderstraten's Schicksal sich entscheiden läßt; dieser Tempel des Merkur soll aber bald einem modernen Prachtbau weichen. An der Süd seite des Platzes steht das „Palais", ein Renaissancebau aus dem 17. Jahrhundert, der ursprünglich als Rathhaus diente und in seiner ernsten massigen Erscheinung auch diesem Zwecke trefflich entsprach; seit 1808 aber ist der Bau der königliche Palast — die Stadt selbst bot ihn Louis Napoleon als Re sidenz an — und als solcher wirkt er (nach Maxime du Camp's Urtheil) kalt, prätentiös und ein wenig casernenartig. Das gilt auch vom Inneren. Diese großen leeren Säle paßten trefflich zu den Hochgebietenden, ernsten, feierlichen Rathsherren der mächtigen Stadt; zu dauernd bewohnbaren Räumen eignen sie sich weniger und all ihre reiche Pracht wirkt frostig. Leide: wirkt Uet pktteis auch insofern ungünstig, als seine Masse das schönste Bauwerk des Dams, die Neue Kirche (niouvo kerlc) beinahe erdrückt. Sie ist die schönste Kirche der Stadt, ein spät gothischer Bau von mächtiger Wirkung und einer feinen Durch arbeitung der Details, die man sonst an holländischen Kirchen selten findet. Leider hat die holländische Nüchternheit das Innere des Baues beeinträchtigt. Holzeinbauten stören die harmonische Gesammtwirkung, und aller Bilderschmuck ist im Lande der Bilderstürmer verpönt. Doch sprechen die schlanken, hoheitsvollen Formen des Gebäudes noch immer eine beredte Sprache. Das Grabmal des alten Seehelden de Ruyter, des „Schreckens des unermeßlichen OceanS", erinnert an eine glor reiche Vergangenheit, und leuchtende alte Glasfenster senden bunte Lichtwellen hinab. Bald werden diese Glasfenster um eines vermehrt sein, auf dem die Krönung der Königin Wil- helmina geschildert sein wird — eine Art Seitenstück zu jenem Glasfenster in der Alten Kirche, auf dem die endgiltige Bewilli gung der niederländischen Unabhängigkeit durch Philipp IV. von Spanien dargestellt ist. Denn hier in der nieuvs kork wird sich nach altem Herkommen die KrönungS- (oder eigentlich dir Huldigungs-) Ceremonie vollziehen. Hier werden die 8tatan (ioiurrnai sich zu feierlicher Sitzung rinfinden, hierher wird die Königin aus ihrem Palais kommen und den Eid auf die xeronävet ablegen, und dann werden die Waffenkönige in der Kirch« und draußen auf dem Dam der harrenden Menge laut »erkündigen: „Majestät der Königin Wilhelmina ist gehuldigt worden!" Und ein Jubelgeschrei der getreuen Amsterdamer wird die Antwort sein Draußen, außerhalb der Buitensingelgracht, ist ein neues Amsterdam entstanden, breite schöne Straßen mit stattlichen Alleen und gar schmucken mannigfaltigen Häusern. Dies Amsterdam sieht mehr europäisch und weniger holländisch aus; der Fremde aber wird bei aller Anerkennung seiner Vorzüge doch immer das alte Amsterdam aufsuchen, dies« unvergleichliche und merkwürdige Stadt der Grachten und der malerischen > Winkel, dies zauberhafte Menschenwerk, das ein so stolzes Zeug- I niß der Kraft menschlichen Willens und menschlicher Intelligenz I bildet.
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