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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.09.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980921025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898092102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898092102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-21
- Monat1898-09
- Jahr1898
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Die Morgen-AuSgab« erscheint am '/,? Uhr, die Abend-AuSgabr Wochentag» um ü Uhr. Nedactio« und Erpeditiou: IohanneS-asse 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geösftlrt von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: rn» nie«««'S Sorti«. (Alfred Hahn), UniversitätSstraße 3 (Paulinus), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und Köni^Splatz 7. Bezug-^PreiS tu der Hauptexpedition oder den im Stadt» bewirk und den Bororten errichteten Au», aaoestellen ab geholt: vierteljährlich ^44wO, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Han» ü.bO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertehährlich <^l k.—. Direkte tägliche Kreuzbandlrnduug tu» Ausland: monatlich 7w0. Abend-Ausgabe. tlWger TaMalt Anzeiger. Amtsblatt des A'önigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Amtes der Stadt Leipzig. Aazetgeu-PretS die 6 gespaltene Petitzeile SO Pf^ Reklamen unter demRedactiou»strich (4«» spalten) bO^, vor den Familieuoachrichku (6grspalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis» vrrzeichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbesörderung >4 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: BormitiazS 10 Uhr. Morgen»AuSgab«: Nachmittag- 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzks, 48V. Mittwoch den 21. September 1898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2l. September. Vor einiger Zeit ging durch die Presse die Nachricht, daß eine größere Anzahl von gleichzeitigen Erkrankungen, welche in verschiedenen Garnisonen vorgekommen sind, auf den Genuß amerikanischen Fleisches zurückzuführen seien. Wie die officiösen „Berl. Pol. Nachr." hören, soll bisher der Beweis für diese Behauptung nicht erbracht sein, wenngleich es un bestritten ist, daß die sanitäre Controle des amerikanischen Fleisches außerordentlich viel zu wünschen übrig läßt. Die Wahrnehmung der Geschäfte des Rechnungshofes für Vas deutsche Reich durch die preußische Oberrechnungskammer ist ein Nothbehelf, zu welchem gegriffen wurde, als in den ersten Jahren nach Errichtung des Reichs die Versuche, zwischen Bundesrath und Reichstag ein Gesetz über den Rechnungshof und über die Einnahmen und Ausgaben des Reichs zu ver einbaren, gescheitert waren, weil der Reichstag eine weiter gehende Einwirkung auf die Finanzverwaltung im Reiche in Anspruch nahm, als ihm zugestandcn werden konnte. In Preußen hatte die oberste Rechnungsbchörde durch das Ober- rcchnungskammergesetz von 1872 bereits eine feste, gesetzliche Grundlage, und die Instruction für die Oberrechnungskammer enthält Vcrwaltungsnormen, mit denen man sich bis zum Er lasse des jetzt verabschiedeten Gesetzes über den Staatshaushalt behelfen konnte. Man wählte daher aus der durch das Scheitern jener gesetzgeberischen Pläne geschaffenen Zwangslage den prak tischen Ausweg, der preußischen Oberrechnungskammer pro visorisch die Functionen des Rechnungshofes für das Reich zu übertragen, und es ist seitdem von Jahr zu Jahr der Ober rechnungskammer die bezügliche Vollmacht durch Reichsgesetz er neuert worden, ohne daß aus der Fortdauer dieses Provisoriums ernstliche praktische Bedenken entstanden wären. Es ist daher, wie officiös ausgefiihrt wird, kaum abzusehen, wieso nach Zeitungsmeldungen jetzt auf einmal das dringende Bedürfniß zur Errichtung eines besonderen Rechnungshofes für das Reich hervorgetreten sein soll. An maßgebender Stelle ist jedenfalls davon sowie von der angeblichen Absicht, jetzt alsbald mit der Errichtung eines besonderen Rechnungshofes für das Reich vorzugehen, nicht das Mindeste bekannt. Damit erledigt sich zugleich auch die Behauptung, daß die Verzögerung d-e Wiedewesetzung der Stelle des Präsioentcn der Oberrechnungskammer mit solchen gesetzgeberischen Plänen Zusammenhänge. Ob es in der Absicht der italienischen Regierung liegt, eine internationale Conferenz zur Bekämpfung des Anarchismus einzuberufen, wir die Wiener „Pol. Corr." mittheilt, bedarf unseres Wissens vorläufig noch der Bestätigung. Wir möchten eher annehmen, daß es sich bisher lediglich um Anregungen viel leicht der Schweiz oder Italiens zu Maßnahmen auf diesem Ge biet handelt. Wenn solche in brauchbarer Form in Vorschlag gebracht werden, wird sich auch die deutsche Regierung einer ernsten Beachtung derselben gewiß nicht entziehen und eine solche Initiative, wie cs in der Natur der Sache liegt, auch ihrer seits bereitwillig erwidern. Vor der Hand sind aber auch die auswärtigen Regierungen, so weit sie sich mit solchen Er wägungen tragen, damit vor der Öffentlichkeit nicht hervorgc- treten. Zum Lrientprotectsrat Frankreichs schreibt die „Kölnische Zeitung" officiös: Von verschiedenen deutschen Blättern.'unter ihnen die „Germania", ist die Forderung der französischen Blätter, betreffend das im Orient auch über nicht französische Christen und deren Anstalten auszullbende Schutzrecht, mit allem Nachdruck zurückgewiesen. Nach der ganzen Lage der Verträge und jeder vernünftigen Auslegung des Völkerrechtes könnte ein solcher Anspruch im Ernste gar nicht aufrecht erhalten werden. Da man aber trotz aller deutscherseits beigebrachten vollgiltigcn Beweise noch in einem Theile der französischen Presse der Be hauptung begegnet, daß das französische Schutzrecht doch bestehe, ist es vielleicht nicht ganz überflüssig, noch einmal mit ganzer Schärfe hervorzuheben, daß Deutschland solches Recht, soweit seine Unterthancn und deren Anstalten in Frage kommen, nicht jedem Versuche, es auszullben, sich widersetzen wird. Jeder souveraine Staat besitzt kraft seiner Souverainetät das Recht und die Pflicht, seine Angehörigen und Anstalten in fremden Ländern zu schützen. Es ist dies ein elementarer Satz des Völkerrechtes, der nur dann in Frage gestellt werden könnte, wenn eine Macht zu Gunsten einer anderen darauf verzichtet. Sicher ist, daß Deutschland mit Frankreich niemals einen solchen Vertrag ab geschlossen hat und daß der französische Anspruch daher jeder be rechtigten Grundlage entbehrt, aanz abgesehen davon, daß im Berliner Vertrage den diplomatischen und konsularischen Ver tretungen der Mächte in der Türkei ein officielles Schuhrecht für ihre Angehörigen anerkannt »nd zugewiesen worden ist. Auch hat ein französisches Schutzrecht über Deutsche früher niemals bestanden und ist von Deutschland niemals anerkannt worden. Die französischen Rechte begründen sich auf einen Vertrag, zwischen Frankreich und der Türkei abgeschlossen, der zur Noth für diese beiden Staaten Giltigkeit hat — soweit nicht auch er durch den Berliner Vertrag aufgehoben ist —, aus dem aber niemals französische Rechte über deutsche Angehörige abgeleitet werden können. Weder Frankreich noch die Türkei haben das Recht, über die Verhältnisse deutscher Unterthancn gütige Be stimmungen zu treffen ohne Deutschlands Genehmigung. Nie mand kann Anderen geben, was er selbst nicht hat; die Türkei hat daher kein Recht, irgendwie über die deutschen Unterthancn und deren Anstalten zu verfügen. Wenn Frankreich sich in die An gelegenheiten der in der Türkei lebenden Deutschen einmischt, so ist das ein offenbarer Eingriff in die deutsche Souverainität, der zweifelsohne vom deutschen Reiche mit aller Entschiedenheit zur ückge wiesen werden wird. Die Besetzung KaschodaS durch die Expedition Marchand läßt eine kurze Rekapitulation der Vorgeschichte dieser fran zösischen Truppe nicht ohne Interesse erscheinen. Im Monat Juni 1896 erfolgte der Aufbruch aus Frankreich. Capitain Marchand hatte mehrere Officiere und ein Dutzend Unter- officiere der französischen Armee für seinen Zug angeworben, ihn begleitete außerdem noch ein Linienschiffsfähnrich, der den Auftrag hatte, ein Kanonenboot der Ubangiflottillc in das Flußbecken des Bahr-el-Ghazal zu transportiren. Zu gleicher Zeit mit der Expedition Marchand, welche das ganze Flußgebiet des Bahr-el-Ghazal erforschen und für Frankreich in Besitz nehmen sollte, war eine andere Expedition von Abessinien auf gebrochen, welche in der Richtung des weißen Nils vordringen und ihre Vereinigung mit der Expedition Marchand zu bewerk stelligen suchen sollte. Bekanntlich war dieser zweiten Expedition ein Erfolg nicht beschicken. Auch die Expedition Marchand wurde mehr als einmal todt gesagt, doch gelang es ihr, alle in den Weg gelegten Schwierigkeiten zu überwinden. Die letzten directen Nachrichten über die Expedition Marchand datiren vom Juni. Damals war die Expedition in Meschra-er-Reck an gekommen, einem wichtigen Knotenpunct, der an dem Zusammen flüsse des Bahr-el-Ghazal, des Bahr-el-Hurr und der Souet gelegen ist. Ein Theil der Truppe hatte eine Recognoscirungs- fahrt auf dem Lands« No- unternommen und man wartete nur noch auf eine Meldung über den Verlauf derselben, um sofort den Marsch auf Faschoda anzutreten. Es ist daher mit annähernder Gewißheit zu ocrmuthen, daß die aus Faschoda signalisirte Ankunft einer weißen Truppe tatsächlich auf die Expedition Marchand bezogen werden muß. Zur Philippincttfrage wird aus den letzten Mittheilungen, welche die spanische Regierung von dem französischen Botschafter in Washington erhalten hat, bekannt, die nordameritanischc Re gierung habe den Gesandten darüber verständigt, daß sie auf der Pariser Conferenz an folgender Forderung festhalten werde: „Wenngleich die Vereinigten Staaten auf eine Kriegsentschädigung von spanischer Seite verzichten, so sind sie doch genöthigt, zur Entschädigung für das durch den kubanischen Aufstand zerstörte Eigenthum nordamerikanischer Bürger 20 Millionen Dollars zu fordern. Könne und wolle Spanien diese Summe nicht bezahlen, so würden die Vereinigten Staaten die Ab tretung der Insel Luzon, sowie der da zu gehörenden kleinen Inseln - verlangen. Da hier durch aber die philippinischen Aufständischen geschädigt würden, so sei die nordamerikanische Regierung genöthigt, den Letzteren als Entschädigung die Unabhängigkeit der übrigen Inseln zu garantiren. Die Inselgruppe würde demnach mit Ausschluß von Luzon und deren Nebeninseln ein Freistaat unter der nominellen Oberhoheit Spaniens und der Schutzhcrrschaft der Vereinigten Staaten werden." In China scheint eine Aera der Reformen beginnen zu sollen. Der Kaiser, der sich schon seit einiger Zeit den aus ländischen Einrichtungen geneigt zeigt, ist jedenfalls von besseren Beratbern umgeben, als je zuvor. Die russische Telegraphenagentur meldet auS Chabarowsk, daß der Vicekönig von Tschili, Tschun-Lu, und der kaiserl. DerwaltungS- commissar durch ein Eoick des Kaisers von China beauftragt worden sind, mit den Vicekönigen und den tatarischen Generalen der Küstenprovinzen über die Errichtung von Marine- Akademien und den Bau von Sch ul sch iss en sürCadetten und junge Marineofsiciere zu beratben. Zugleich wird in diesem Edict den Mitgliedern des Tsungli-v)amen und den Präsidenten deS Berg- und EisenbahndepartemenlS befohlen, ein Reglement auszuarbeiten über die Errichtung von Eisen bahnschulen in allen bedeutenden Puncten des Reiches und über die Errichtung von Bergschulen in den Provinzen, wo sich Bergwerke befinden. Am 10. August ist ein anderes Edict deS Kaisers veröffentlicht worden, das die Minister und die hohen Beamten in den Provinzen des Reiches auffordert, eifrig zu wirken und dem Kaiser in seinen Be strebungen, das Land zu reformiren, zu helfen. ES heißt in dem Erlasse: „Die Hälfte unserer Beamten ist gewohnt, an alten und der» alteten Gebräuchen festzuhalten, und wir haben schon einmal ver sucht, ouseinanderzilsetzen, wie völlig unstatthaft ein solches Ver halten in der gegenwärtigen kritischen Zeit ist. Wir miesen aus die große Nothwendigkeit hin, unermüdlich zu arbeiten und sich mit den Entdeckungen der nrneu Zeit bekannt zu machen, und wir haben unsere Beamten davor gewarnt, den Spuren ihrer Vorfahren zu folgen, die zu den Zeiten der Ann- und Min-Dynastie lebten. Jetzt versucht der Kaiser von Neuem seinen Beamten die Augen zu öffnen und zu zeigen, daß China deshalb schwer gelitten hat, weil es gar zu genau die alten Regeln befolgte. Die jetzige kritische Zeit muß unS veranlassen, Mittel zu ergreifen, um unS zu festigen, und wenn wir die alten Gewohnheiten und Gebräuche nicht aufgeben, wenn wir nicht mit einem Male eine Reform durchsetzen und keine n«,» Aera des Fortschrittes und der Bildung eröffnen, so können wir auch keine Hoffnungen auf Erfolg hegen." Der Kaiser spricht sich sodann lobend über die ernstlichen und vernünftigen Bestrebungen LcS Gouverneurs der Provinz Hunan, Tschen-Bao-Tschcn'S, aus, der sich bemühe, die Be völkerung der ibm anvertrauten Provinz mit den Wissen schaften deS Westens bekannt zu machen und nicht hinter der Zeit zurückzubleiben. „Dieser Gouverneur" — so ur- theiit der Kaiser — „hat sich eifrig bemüht, zur Erfüllung unserer Wünsche beizutragen, und obwohl er Widerstand und blindem ConservatiSmus begegnete, so hat er doch sortgefahren, in dieser Richtung zu wirken." Der Kaiser empfiehlt seinen Beamten, dem Beispiel Tschen-Bao-Tschen's zu folgen, und sagt: „Als ein Unglück für China ist anzusehen die tief ein gewurzelte Verknöcherung und die Anhänglichkeit an die alten und veralteten Bräuche. Jeder Beamte muß es für seine Pflicht halten, diese Verknöcherung abzuschütteln, ohne Rücksicht auf das feindselige Verhalten der Mehrheit zu den Neuerungen." Zum Schluß erklärt der Kaiser, er wünsche ernstlich, daß alle seine Beamten, alle Minister und Beamten in den Provinzen dieses Edict genau befolgen, ein thätiges Leben beginnen, sich selbst weiterbilden, wie die Zeit es erfordere, und sich möglichst bemühen, sich von veralteten und unnützen Gebräuchen zu befreien. Um zu zeigen, wie man alte Bräuche ändert, ernannte er den Taotai Tschau-Chen-Tscha zum chinesischen Ministerresidenten für Korea. Er wird der erste chinesische Minister in Korea sein. 3000 Jahre lang, so lange als sich Beziehungen zwischen China und Korea nachweisen lassen, hat eS keinen diplomatischen Vertreter Chinas in Korea gegeben. Deutsches Reich. U Berlin, 20. September. Die Arbeiten an der deutschen Abtheilung der Pariser Weit aus st ellung 1900 werden im Reichscommissariat eifrig weiter gefördert. Wie wir hören, steht der Rcichscommissar Geh. Regierungsrath I)r. Richter gegenwärtig in Unterhandlung mit den französischen Behörden über den Deutschland zu zuweisenden Platz für die Ausstellung in Vincennes. Hier beabsichtigen nämlich die Franzosen, eine bewegliche Ausstellung zu veranstalten, auf welcher Eisenbahnzüge, Fahrräder, auto mobile Wagen u. s. w. auch erprobt werden sollen. Die deutsch: Eiscnbahnabtheilung, ebenso wie die Fahrrad- und Motorwagen- abtheilung, werden nach Vincennes gelegt werden. Es handelt sich jetzt nur noch darum, den nöthigen Platz zu erhalten. DeS Weiteren ist eine genaue Zutheilung des Platzes für die Kunst-, für die Hygieine- und für die Handelsmarine-Abthcilung noch nicht erfolgt. In allen drei Puncten vertritt Deutschland groß: Interessen. Nach den Aeußerungen französischer Blätter ist der Kunst im Ganzen wohl nicht diejenige Berücksichtigung be züglich des Platzes zu Theil geworden, die man für sie hätte wünschen müssen. Was die Handelsmarine betrifft, so wird Deutschland schon auf dem Zuweise eines würdigen Platzes bestehen müssen, weil es die größten Gesellschaften der Welt auf diesem Gebiete besitzt. Dem Vernehmen nach wird sich der Rcichscommissar Anfang October wieder nach Paris begeben, um auch die letzten Verhandlungen wegen der Platzfragen zum Abschluß zu bringen. Feuilleton. Henny Hurrah! 18j Roman von Ernst Clausen. Nachdruck verboten. „Ja, Henny! auf jeden Fall ist diese Auffassung Deinerseits sehr vornehm!" Mehr sagte die Mutter nicht, kam auch nie wieder auf dies Thema zurück, aber von dem Tage an wurde der Name Brown nie wieder von ihr erwähnt. Sie vermied es sogar, Henny als Mrs. Brown vorzustellen, sondern sagte stets: „Meine zweite Tochter." Der Vater nahm die Sache nicht so wortkarg entgegen. — Er lag schon im Bett, als feine Frau ihm von dieser Unter redung erzählte. „Es sind doch Schmutzfinken, diese Menschen!" sagte er, mit der Faust auf die Bettdecke schlagend, und nach einer Weile fügte «r hinzu: „Mir kann es einerlei sein, weißt Du, aber eine Wittwe in diese Lage zu bringen, falls sie wieder heirathen wollte, das ist eine — na, sagen wir, eine Gemeinheit, die nur Einer begehen kann, der niemals im Leben an einem anständigen Menschen gerochen hat." Er wartete, ob seine Frau ihm widersprechen würde, und war ganz erstaunt, als sie es nicht that; es fehlte ihm sogar beim Einschlafen und seine Gemüthsruhe wurde noch mehr gestört, als seine Frau sich über ihn beugte, ihm einen Kuß gab und sagte: „Ich freue mich doch, Alter, daß ich Frau von Tressing bin!" Das hatte sie ihm noch nie im Leben gesagt, und er war noch am anderen Morgen ganz milde und weich gestimmt und wartete seit zwanzig Jahren zum ersten Mal mit seinem Früh stück, bis seine Frau und Lotte es mit ihm zusammen ein nahmen. Langsam krochen für Axel die Tage hin; nur zuweilen er griff ihn eine Art von Begeisterung, so daß er zum Kohlenstift griff und versuchte, eine Idee zu einem Entwürfe zu fixiren; aber es wurde keine richtige Arbeit daraus; es war nur ein Ableitungsmittel für das Gährende und Widerspenstige in seiner Seele, ohne den frohen Genuß des Schaffens zu geben. Nun pfiff schon der Sturm durch dürres Herbstlaub und Frau Knüller hatte zum ersten Mal Feuer in seinem Zimmer anlegen müssen. — Am Nachmittag war ein Herr bei ihm ge. wesen, dessen Sohn Maler werden und der Axel's Ansicht darüber hören wollte. „Also, Sie rathcn eher ab als zu?" hatte derselbe schließlich gefragt. Und obgleich Axel wußte, daß jener Schüler wirklich hervor ragend begabt war, hatte er erwidert: „Ja, gewiß, eher Kunstschlosser oder Kunsttischler, wenn Sie nicht selbst ein reicher Mann sind! Die Welt thut heutzutage nichts für aufstrebende Talente; sie zerstört dieselben höchstens und läßt sie verhungern!" Nachher machte Axel sich darüber Gedanken, so sehr ab- gerathcn zu haben. Wie gemein philiströs war er doch geworden! Er lachte bitter auf. Jetzt kamen schon alle Philister zu ihm und er rathschlagte und predigte denselben nach dem Munde. Ja, ja, so weit war es nun mit ihm gekommen und doch konnte er sich innerlich noch nicht so alt fühlen. Da meldete ihm Frau Knüller, daß ein Herr ihn zu sprechen wünsche. „Wie heißt er?" fragte Axel, aber ehe die biedere Schusters gattin antworten konnte, kam auch schon ein riesig langer Mensch ins Zimmer mit einem großen blonden Schnurrbart und einem gesunden rothen Gesicht. „'n Tag, Axel Sternfeld! Altes Haus! Du kennst wohl Horst Hemskott nicht mehr?" Axel sprang auf wie elektrisirt. „Horst Hemskott! Wahrhaftig!" Ja, da stand derselbe vor ihm. „Stimmt! Ja, alter Junge! Bin zwar etwas völliger hier herum in der Weste geworden, aber Du, zeig' 'mal her!" Und der lange Mensch faßte Axel bei den Schultern und drehte ihn zum Fensterlicht. „Bruderherz, laß schauen! Hast doch noch Dein altes, gutes Gesicht! Ein paar Runzeln mehr zwar — na, hol's der Teufel! Die kratzt ja Jedem das Leben ins Gesicht! Grüß Gott, mein Junge, da bin ich!" Und damit warf er sich in den Lehnstuhl, nahm ohne Weiteres eine Cigarre vom Rauchtisch, brannte sie an und meinte lachend: „Du, ich glaube gar. Du rauchst noch unsere alten aus München, drei Stück für zehn Pfennige. Weißt Du, weshalb ich eigentlich hier bin?" „Nun, hoffentlich, um mich zu besuchen, Horst!" „Das auch, gewiß! Aber Mensch, weißt Du denn nichts von der Außenwelt? Hier soll doch mein Schauspiel über die Bretter eures Musentempels gehen. Zuerst wollte ich nicht kommen, aber dann fiel mir ein, daß Du hier lebtest! Und so setzte ich mich auf die Bahn und fuhr von Preußisch Berlin hierher, um Dein Gesicht einmal wieder zu sehen!" Axel schämte sich; er hatte seit Wochen keine Zeitung gelesen. Er bestellte einige Flaschen Bier und dann ging es ans Erzählen. „Hui", meinte Hemskott — „auf Rosen hat Dich das Leben nicht gebettet, Axel, wie ich sehe! — Mensch, Du und ein Schul meister unter diesen vertrockneten Seelen! Es wäre zum Todt- lachen, wenn's nicht so traurig wäre! Na, darüber sprechen wir noch einmal! Ja, ja. Dich hat das Leben doch etwas zum Philister gemacht, und dabei bist Du höchst unmodern anständig, der reine Ekkehard, so gut, brav und selbstlos! — Als Modell für eine Romanfigur kann ich Dich nicht gebrauchen! Es glaubt Einem ja Keiner, daß es so anständige Menschen giebt! Ich dachte auch früher, es wäre ein Erforderniß der Literatur, dem Leser so gewissermaßen Modelle hinzusetzen, wie ein wirklich an ständiger Mensch ausschaut. Man schickte mir Alles zurück mit dem Worten: der oder die seien zu sehr idealrsirt! Die Leute haben ganz recht! Unser Publicum hat einen wohkbegründeten Haß gegen Alles, was emporragt. Es ist der Haß der Majori täten, der nichts Einzelnes aufkommen lassen will! Man liebt keine Maßstäbe, die nicht auf die Mittelmäßigkeit passen. Na, nichts für ungut, Axel! Ich komme Dir einen Halben, wie in alten Zeiten!" Axel lebt« ordentlich auf. Das waren Worte, eine Sprache, Ausdrücke, die er seit Jahren nicht gehört hatte, das pfiff ohne gedrechselte Redensarten und conventionelle Rücksichten. „Na, Horst! Dir geht's also gut! Du bist ja nun ein be rühmtes Thier geworden." „Das weiß der liebe Himmel! Axel! Wir sind ja hier unter uns! Weißt Du, so ganz ohne Schmerzen ging es nicht ab, die eigene Seele fehenweise in den Sckmutz zu werfen, aber was blieb mir übrig? Und die Geschichte machte sich dann plötzlich! Die Seelenfetzen hat mir Niemand wieder gegeben, aber Geld genug, oh ja, das langt zu! Ich schäme mich nicht einmal mehr, und seitdem bin ich zufrieden und nehme vom Leben, . was zu haben ist!" Axel strich sich mit der Rechten über die Stirn. — Es klang wie schneidender Mißton aus Hemskott's Worten, aber es pulsirte doch Leben darin, warmes, natürliches, rücksichtsloses Leben! „Einerlei, Horst! Ich beneide Dich doch!" „So, wirklich? Mensch, wie konntest Du damals die Kunst an den Nagel hängen? Dor einem Jahre besah ich mir ein« KunstgewciHe-Ausstellung — wo war's nur? Einerlei! In München oder Dresden, da sah ich Tapetenmuster von Axel Sternfeld! Es gab mir einen Stich durch's Herz, obgleich die Dinger nicht häßlich waren. Man hat darüber jetzt merkwürdige Ansichten; ganz tüchtige Leute zeichnen jetzt Reklamezettel für Sodawasierfabriken. Das ist ja ganz hübsch, wenn's so neben bei geschieht, aber als einziger Beruf, pfui Teufel! Konntest Du denn nicht noch ein paar Jahre hungern? Daß kein ordent licher Künstler in Dir steckt, glaubst Du ja selbst nicht! Zeichen lehrer, Mensch! Wie hältst Du das hier aus?" „Weiß selbst nicht, Hemskott!" „Glaub's schon. Willst Du Geld haben, Alter? Ich kann Dir mit einigen Tausend Mark unter die Arme greifen — es hat gefluscht mit dem letzten Theaterstück! So etwas bringt Geld ein! Wir haben uns doch früher auch so gegenseitig durch gepumpt; ich glaube, ich bin Dir immer noch zwanzig oder dreißig Mark schuldig? Im Pumpen war ich Dir über, würde Bräsig sagen." Axel mußte lachen: „Ich habe es leider nicht angeschrieben, Horst, laß nur!" „Gut! Sprechen wir ein anderes Mal darüber. — Ich bleibe vielleicht den Winter über hier, um meine Nerven zu pfle gen und mir das Leben in solch einem Neste anzusehen, — das Berliner Pflaster ist aufreibend!" — „Das wäre famos, Hemskott! Du könntest hier bei mir wohnen, ich hab« ja jetzt Platz genug." „Mal sehen, Axel! Uebrigens, daß ich es nicht vergesse — Ella ist doch hier verheirathet?" Er zündete ein Streichholz an und that, als ob die Cigarre ausgegangen sei, und Axel fühlte, daß das die Frage war, an welche Hemskott den ganzen Abend gedacht hatte. „Ja, sie ist mit dem Commerzienrath Seefricd verheirathet." „Was ist das für ein Mann? Ein alter Philister? Oder noch Mumm drin?" fragte Horst. — „Ja, da giebt es wenig zu erzählen. Eigentlich ist er der Mann seiner Frau! Es giebt ja Männer, von denen man nichts sagen kann, als daß sie so und so viel Kubikmeter Luft ver drängen." „Du, der Ausdruck ist gut, den will ich mir merken", lachte Horst. „Aber er ist höllisch reich? Und was ist aus der hübschen Ella geworden?" „Mindestens eine schöne Frau! Ich habe dort im Hause viel verkehrt." „Ach so? Alte Freundschaft!" Hemskott kniff die Augen zu unv sah Axel spöttisch an, dann sprang er auf, ging einige Male im Zimmer auf und ab, dehnte die langen Arme und meinte, vor Axel stehen bleibend: „Sieh, mein Junge, es ist eine merkwürdige Geschichte, aber
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