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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.09.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980921025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898092102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898092102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-21
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7080 * verltn, 20. September. Der Borstand der social- demokratischen Partei veröffentlicht im „Vorwärts feinen Jahresbericht für den bevorstehenden Parteitag. Zur Frage der Landtagswahlen verhält sich der Partei- vorstand lediglich referirend und bemerkt dann: „Eine allge meine Wahlbethciligung unserer Partei, wie sie bei den Reichs tagswahlen stattfindet, ist bei der Natur des Dreiclaffen-Wahl- systems ausgeschlossen und auch von den entschiedensten Vertre tern der Wahlbetheiligung nie für möglich gehalten worden. Die praktischen Erfahrungen, welche die Genossen bei den bevor stehenden Landtagswahlen sammeln, werden hoffentlich für oie Zukunft zu einer gemeinsamen Richtschnur für die preußischen Genoffen in dieser Frage führen." An anderer Stelle aber, bei Besprechung der sächsischen Landtagswahlen, wird mit großem Nachdruck der agitatorische Werth betont, den die Be theiligung an den Wahlen, selbst wenn directe Erfolge noch nicht erzielt werden können, für die socialdemokratischc Bewegung habe. Es ist daraus zu entnehmen, daß bei der Erörterung auf dem Stuttgarter Parteitage der Parteivorstand sich auf Seiten der Wahlbetheiligung stellen wird. Von Interesse ist die entschiedene Ablehnung eines Agrar-Programms. Der Bericht gesteht offen, daß derBauer fast durchweg Inter essen verfolgt, die auf einer von der socialdrmokratischen weit abgehenden Marschroute liegen, und kommt zu dem Schluß: „Das in unseren Reihen vielfach verlangte Agrar-Programm würde zur Gewinnung der Bauern nur dann dienen, wenn wir ihnen auf allgemeine Kosten Vortheile einräumten, die wir ohne Verstoß gegen unsere Parteigrundsähe nie gewähren können." Aus dem Kassenbericht sei erwähnt, daß die letzte Reichstagswahl die Centralcasse mit 80 000 mehr belastet hat, als die Reichs tagswahl im Jahre 1893. Im Uebrigrn hat der fünfzehn Spalten füllend« Bericht für weitere Kreise in seinen Einzel heiten kein weiteres Interesse, als daß auch er ein Bild von der bewundernswerthen Organisation der socialdemokratischen Partei giebt. Die in einigen Einzelstaaten bereits erfolgte Auf hebung des Verbots des Jnverbindungtrctens der politischen Verein« werden, wie der Vorstandsbericht erklärt, die Genossen im Interesse der Organisation ausnutzen. — Nach den „Dauz. Reuest. Nachr." würde ver Zar vermuthlich zur Einweihung des russischen Kriegerdenkmals am 27. September nach Danzig kommen und auch Kaiser Wilhelm von Nomintar aus zu den Einweihungsfeierlich keiten eintressen. An unterrichteter Stelle ist der „Nat. Zt." zufolge bisher von einer solchen Absicht des Kaisers von Rußland nichts bekannt geworden. — Der ambulante Gerichtsstand der Presse hat wieder einmal eine hübsche Beleuchtung erhalten, die sich zu weiterer Berwerthung bei Gelegenheit der Besprechung im Reichstage eignen wird, weil sich da zeigt, wie leicht eS zu machen ist, einen Redacteur in ganz Deutschland Packen zu können. Der Redacteur d«S „Regensburger Anzeigers" sollte, Wie die „Germania" erfahrt, in Altenburg gepackt werden. Um nun zu beweisen, datz das genannte Blatt dort „ver breitet" ist, abonnirte der Kläger bei der Post und wies das Exemplar dem Gericht, so daß die Zuständigkeit des Altenburger Gerichtes gegeben war. Dem Kläger wurde nachgewiesen, daß das Blatt erst sechs Tage nach Erscheinen des fraglichen Artikels bestellt wurde, und somit die Zu ständigkeit des Gerichts zu bezweifeln sei. Trotzdem aber wurde verbandelt, der Redacteur aber freigesprochrn. Auf solche Art kann man freilich für die Zuständigkeit des Ge richts überall den Nachweis erbringen. Im Falle einer Ver- urtheilnng hätte der Redacteur indeß Wohl ohne Mühe die Zuständigkeit des Altenburger Gerichtshofes anzweifeln und die Aufhebung des UrtheilS erreichen können. — Der bisherige Vertreter de« 1. Berliner Landtags- wablkreiseS, Ludolf Parisius, theilte dem Vorstand der freisinnigen Volkspartri mit, daß er aus Gesundheitsrücksichten eine fernere Wahl nicht annehmen könne. — Die Berliner Arbeiter nahmen gestern in acht gut besuchten Versammlungen eine einheitliche scharfe Reso lution gegen die von der Negierung geplante Verschlechterung des CoalitonSrechteS der Arbeiter an. „DieVersammelten hoffen" — so heißt eS in der Resolution —, „daß die gesammte deutsche Arbeiterschaft geschloffen zusammenstehe» und durch einen einstimmigen Protest den drohenden Schlag gegen das Coalitionsrecht nicht nur abwehren, sondern zu gleich auf den nothwendigen Ausbau der CoalitionSfreiheit dringen wird. Ihre Aufgabe wird eS sein, in Anbetracht der schon jetzt von den Unternehmern herbeigeführten und noch weiter geforderten Drangsasirungen der Arbeiter um so eifriger durch massenhaften Beitritt die Gewerkschafts organisationen zu starken." Bekanntlich denkt Niemand daran, die Rechte der Arbeiter zu schmälern, vielmehr möchte man die Arbeitswilligen schützen. — Der Gesandte der südafrikanischen Republik am hiesigen Hofe vr. LeydS ist gestern Abend aus dem Haag, wo er ebenfalls be glaubigt ist, hier ringetrossen. Hamburg, 21. September. (Privattelegramm.) Die „Hamburger Nachrichten" nennen Busch'S neuestes BiSmarck-Buch ungenau, flüchtig und indiscret. Dagegen bezeichnen sie die Angaben der „National-Zeitung" über die VermögenSverhältuisse Bismarck'S als authentisch. * Hannover, 20. September. Unter dem Vorsitze des Herrn Schoos hielt der Bund der Landwirtbe der Provinz Hannover am Sonntag in Hannover eine von etwa 170 Vertrauensmännern besuchte Versammlung ab. Den Hauptgegenstand der Verhandlungen bildeten die bevor- tehenden Landtag-Wahlen. ES wurde eine Resolution einstimmig angenommen, wonach der Bund ein gemäßig tere« Vorgehen für angezeigt hält und gewillt ist, mit den in der Provinz in Betracht kommenden politischen Par teien ein Einverständniß und ein Zusammengeben zu erzielen. Die angenommene Resolution hat folgenden Wortlaut: „Dir VertraurnSmänner-Versammlunq des Bunde- der Land- wlrthe für die Provinz Hannover beschließt in Rücksicht aus die bevorstehenden LanbtagSwahleu, daß es im Allgemeinen den maß- gebenden PersönliLkeilen in den einzelnen Wahlkreisen überlassen bleiben muß, dir Candidalen auf ihre Stellung io den einschlägigen Fragen zu prüfen und dieselben, sobald sie genügende Sicher- heit bieten, daß sie den Anschauungen de« Bunde- entsprechend handeln, energisch als BundeScandidaten zu unterstützen. Dort, wo neu« Männer in Krage kommen, soll es als Grundsatz gelten, zuvörderst den «ersuch zu machen, eine Einigung mit der Partei, welcher der seitherige Abgeordnete angehört hat, auf eine zuverlässige Persönlichkeit zu versuchen; mißlingt derselbe, so soll der Bund mit einem eigenen Landidaten, dort, wo Aussicht aus Ersolg vor- liegt, energisch Vorgehen. Im Besonderen sind in jedem Wahlkreise die localen Fragen genügend zu berücksichtigen und neben denselben eine Nare Stellungnahine der Candidaten zu den Berkehrsfragen, Grenz- und Seuchenschutz, Handelsvertrag-Politik. Insonderheit soll im Hinblick aus die anarchistische Ermordung der Kaiserin von Oesterreich der Tandidat sich bereit erklären, den Regierungen größere Machtbefugnisse zur Bekämpfung und Abwehr der Umsturz bestrebungen von Anarchisten und agitatorisch hervortretendrn Social- demokraten zu ertheilen." Die speciellen Forderungen de« Bundes, welche nach den in der Versammlung gemachten Mittheilungen einen ge mäßigten Charakter zeigen sollen, werden nach dem „Hannov. Cour." Ende dieses Monats in einer in Berlin tagenden Hauptversammlung näher fcstgestellt werden. * Spandau, 20. September. Der Maurerstreik hat mit einer völligen Niederlage der Arbeitnehmer geendigt. Die Maurer beschlossen am Sonntag Abend, die Arbeit zu den Bedingungen der Meister wieder aufzunehmen. Danach ist der Lohn, welcher lange Zeit hindurch 50 Pf. betrug, auf 47 Pf. festgesetzt; auch verlangen die Meister, daß die Gesellen, welche Arbeit erlangen wollen, aus der Organisation austreten. Ein Theil der Streikenden wird überdies, weil die Stellen durch auswärtige Gesellen inzwischen besetzt worden sind, vorläufig noch keine Beschäftigung am Orte finden. (Schles. Ztg.) Oesterreich-Ungarn. Kaiserin Elisabeth s. * Wien, 20. September. Kaiser Franz Joses empfing heute eine Deputation der Stadt Wien, welche dem Monarchen daS tiefste Beileid der Stadt ausdrückte. Auf die Ansprache deS Bürgermeisters vr. Lueger erwiderte der Kaiser, er danke der Bevölkerung und Gemeinde von Wien für den Ausdruck der Trauer von ganzem Herzen. Bei dem schweren Schlage, der ihn getroffen, finde er Trost und Linderung im Vertrauen auf Gott und in der Treue und Liebe seines Volkes. Er hoffe Kraft zu finden, um in der Erfüllung seiner Pflichten auSharren zu können. Dem Bürgermeister die Hand reichend, betonte der Kaiser, wie rührend und ergreifend die Trauer und innige Autheilnahme der Wiener Bevölkerung gewesen sei, und hob lodend die musterhafte Ruhe und Ordnung der Wiener hervor, mit welchen er sich als eine einzige große Familie fühle. * Innsbruck, 21. September. (Telegramm.) In einer gestern adgehaltenen außerordentlichen Sitzung des Gemeinde raths theilte der Bürgermeister mit, daß der Stifter deö Innsbrucker Waisenhauses, HanS v. Sicherer, der Gemeinde neuerdings 200 000 Gulden übergeben habe mit der Bestimmung, diesen Betrag dem Waisensonds einzu verleiden und diesem zum Andenken an die unvergeßlicke Kaiserin den Titel „Kaiserin-Elisabeth-Stiftung" ru geben. Der Gemeinderath nahm die Stiftung mit leb haftem Danke an. Der Bürgermeister theilte noch mit, Sieberer habe jede besondere Ehrung ausdrücklich abgelehnt. Frankreich. Treyfus-Affatre. * Paris, 20. September. Paul Meyer, der Direktor der Ecole deS CharteS, richtete an General Pellieux ein Schreiben, in dem er erklärt, eS sei dessen heilige Pflicht, zu Gunsten Picquart'S zu interveuiren, damit die gegen den selben eingeleiteten widersinnigen Verfolgungen aufhören. Pellieux wisse, daß Picquart nur vor das Zuchtpolizeigericht gestellt worden sei, weil er die Fälschung Henry'« beweisen wollte. Man müsse Picquart nicht nur Gerechtigkeit wider fahren lassen, sondern muffe ihm auch seinen Rang in der Armee wiedergeben. Pellieux antwortete, er könnte an gesichts des ihm von Armeechefs gegebenen Worte« au der Echtheit eines Schriftstückes nicht zweifeln, das ihm nur flüchtig gezeigt worden sei; er werde im Proceß Picquart ohne Haß, ohne Animosität auösagen; er glaube an die Schuld des Dreyfus; aber heute müsse die Armee selbst die Revision verlangen, unbekümmert um die Conscquenzrn. * Paris, 21. September. (Telegramm.) Wie dem Generalstabe nahestehende Blätter melden, hat der Kriegs minister Cbanouie den Militairgouverneur von Pari«, General Zurlinden, beauftragt, gegeu den Obersten Picquart wegen des bekannten Rohrpostbrief« die Voruntersuchung wegen Fälschung rinzuleiten. — Nach den Blättern verlautet, daß der Staatsanwalt die Vertagung de« Processes gegen Picquart beantragen werde, weil die Beweg- gründe Picquart'S in einem ganz anderen Lichte erschienen, wenn DreyfuS für unschuldig erkannt würde. Picquart dürfte sodann bis auf Weiteres freigelaffen werden. — Der „Figaro" glaubt, die Schlußfolgerungen, die der Director im Justizministerium Couturier heute dem Revision«- auSschuff« unterbreiten werde, würden mit denen deS Justiz ministers übereinstimmen. — Daffelbe Blatt berichtet, der General Pellieux habe ueuerbiugS seine Versetzung zur Reserve verlangt. Die Schlachte» der Zukunft. * TSiilsn, 20. September. Lockroy, der hier deu Schieß übungen der Flotte beiwohnte, hielt heute eine Ansprache, in der er sagt«: Die Marin« spiele jetzt eine hervorragende Rolle. Die großen Schlachten derZukuaft würden zur See entschieden werden, wo die großen Hauptschläge erfolgen würden. Der Verlauf deS spanisch-amerikanischen Krieges bestätige die Richtigkeit dieser Voraussagen. Auch beginne man die erhebliche Bedeutung der Marine zu ver stehen, wenn man die Lage deS Mittelmeergeschwaders und die schwere Verantwortlichkeit sich vergegenwärtige, dir tS im Falle eines Seekrieges auf sich zu nehmen habe. Der neue Eommandant von velfort. * Pari», 20. September. Der Chef de« Generalsecre- tariats und des MilitairstaateS des Präsidenten, General Hagron, ist zum Commandeur der in Belfort stehenden 14. Infanteriedivision ernannt worden. Belgien. Arbeiterbewegung. * DaS „Berliner Tageblatt" meldet, daß übereinstimmende Nachrichten aus dem bennegauiscken Kohlenrevier bestätigen, daß die belgischen Arbeiterführer einen neuen Berg mannsstreik schüren. Eine Versammlung der socialistischen Parteiführer in der Ortschaft Bouflu beschloß thatsächlich die Einberufung eines außerordentlichen BergmannScongreffes zum 2. October, auf welchem für deu 15. October ein all gemeiner KohlenarbeiterauSstand beschlossen werden soll, falls bis dahin keine der verlangten Lohnerhöhungen bewilligt worden sei. Die Bergwerksleitungen lehnen bis jetzt ent schieden jede Lohnerhöhung ab. Schweiz. Rach dem Attentat. * Zürich, 20. September. Eine fiarkbesuchte social demokratische Versammlung verlangte die Ab schaffung der schweizerischen politischen Polizei. Eine Versammlung der liberalen Gruppe des CantonSrathS ver langte strengere Handhabung der Fremdenpolizei. — Die CantonSpolizei hat eine Liste der hier wohnenden, deS Anarchismus verdächtigen Personen angelegt. (Mgb.Z.) Spanien. Rach be« Kriege. * Madrid, 20. September. General Tor al, der auf der Reise nach Mondariz begriffen ist, wurde auf dem Bahn hofe in Vigo Gegenstand einer feindlichen Kundgebung der Menge. Orient. Uuruhen auf Kreta. * Eandia, 20. September. Bis heute Abend sind 1600 Stück Waffen abgeliefert worden. Der englische Consul erklärte den Christen in PadoideS bei ArkaanaeS, die englischen Behörden hätten die Verantwortlichkeit für die Sicherheit der Muselmanen übernommen; jeder Angriff auf Muselmanen werde als ein Angriff auf die englischen Truppen angesehen werden. Ferdinand »an Vnkgarien. * Sofia, 21. September. (Telegramm.) Fürst Ferdinand ist unerwartet incognito hier aogekommen. Asien. Korea. * Yokohama, 20. September. (Telegramm.) Nach einer Drahtmeldung aus Söul bat der russische Gesandte gegen die Anwerbung von Ausländern als Leibwache deS Kaisers von Korea Einspruch erhoben. Er bezeichnete eS als dem Versprechen zuwider, das zur Zeit der Zurück ziehung des russischen FinanzbeirathS und der russischen Militairinstructvren gegeben worden sei. Darauf bin hat die koreanische Regierung die Anwerbungen rückgängig gemacht. — Die japanische Regierung hat das Rund schreiben de- Grasen Murawjew dahin beantwortet, daß sie seinen Vorschlag bezüglich der Einberufung einer Conferenz zur Begrenzung der Rüstungen unterstütze. Afrika. Die südafrikanische» Republiken. * Präkoria, 20. September. Der Präsident des Oranje- FreistaatS Steyn wurde heute enthusiastisch auf der Bahn station empfangen und willkommen geheißen. In seiner Er widerung auf die an ihn gerichteten Ansprachen sagte der Präsident, er hoffe, sein Besuch werde die Bande der Einig keit zwischen den beiden Republiken fester knüpfen; er gab ferner der Hoffnung Ausdruck, daß der Rest de« Leben« de« Präsidenten in Frieden verfließen werd«. Solch« Zusammen künfte »rügen viel dazu bei, kleine Differenzen zu beheben. Präsident Steyn schloß, die beiden Republiken hätten niemals etwa« unternommen, das in Widerstreit gewesen sei gegen die Wohlfahrt der anderen Staaten Südafrika«. Steyn wird morgen mit dem ausführenden Rathe verhandeln. Amerika. Krieg in Sicht. * Buenos Aires, 20. September. Die Meinungsver schiedenheit zwischen den Regierungen von Chile und Argen tinien verschärft sich. Die endgiltige Entscheidung wird für morgen erwartet. * Triest, 2l. September. (Telegramm.) Die Polizei verhaftete hier einen argentinischen Marinemaschinisten, der 35 militairpflichtige, österreichische Matrosen für ein neue«, in Genua liegendes argentinisches Kriegsschiff angeworben hatte. Die Abreise der neu Angeworbenen wurde inhibirt. Lunft und Wissenschaft. Mnsik. ReueS Theater. Leipzig, 21. September. Marschuer'S „HanS Heiling" ist seit mehreren Jahren in wenigstens in der Hauptsache unveränderter Besetzung gegeben worden, gewiß nicht znm Nachtheile der Aufführungen. Und so trat auch gestern der Segen eines festgefügten Ensembles klar zu Tage. Es war Festigkeit, Sicherheit, künstlerische Freiheit im Einzelnen und Fluß im Ganzen. Insbesondere stellte Herr Schütz einen Heilinq in die Scene, der der höchsten Anerkennung werth ist. sscicht bloS daß er ihn mit hinreißender stimmlicher Kraft und quellender Tonfülle, mit packendem Vortrag und innigstem Gefühl sang, auch in seiner Darstellung traf er, offenbar durch sorgfältigste Studien vorbereitet, den Charakter dämo nischer Größe ausgezeichnet. So war namentlich die große Arie, durch Herrn Capellmeister Panzner meisterlich be gleitet, nach beiden Seiten fesselnd. Auch in dem Dialog wurde er, insbesondere in der melodramatischen Scene, den Intentionen des geistvollen Devricnt durchaus gerecht; er sprach ihn mit Warme, Feuer, Schwung, ohne doch in hohles rhetorisches Pathos zu fallen. Auch die Anna des Fräulein Ker nie weckte mit ihrem Elan und voll dahinströmendeu Gesang in den Herzen der Hörer lebhaften Widerhall, obschon die tragische Seite ihrer Partie ihrem Talente nicht so ganz .liegt". Neu eingetreten war Herr MoerS als Konrad in das Ensemble. Er führte die Partie nur stellvertretend für den leider erkrankten Herrn Merkel durch, ohne daß man jedoch (bi« aus ein kleines Versehen in einem Einsatz) eine mangel hafte Vorbereitung hätte beklagen müssen. DaS Couplet des ersten ActeS gerielh ihm recht frisch und lustig, die sensationelle, aber melodisch überaus reizvolle Cavatine: „Gönne mir ein Wort der Liebe" sang er künstlerisch vollendet mit schmelzender, delikatester Tongebung. Auch seine Darstellung war dem jungen, muthigen Jägerburschen in jeder Hinsicht angemessen. Die Gertrud des Frl. Beuer, welche die einfache, aber höchst stimmungsvolle Ballade vorzüglich wiedergab, fügte sich ebenso charakteristisch in den Rahmen der Oper, als die böchst ergötzlichen Typen dcS possierlichen Schneiders (Herr- Marion) und deS hasenberzigen Stephan (Herr Neldel), dessen Attentat mit den Neimen durchaus gelang, zumal da er diese sehr verständlich und gut poinlirt vortrug. Mit der Königin deS Frl. Eiben schütz endlich soll nicht erneut inö Gericht gegangen werden. Repräsentationsrollen der Art sind ohnehin undankbar, reizlos, wenn nicht gar langweilig. Der ausgezeichneten Leistung deS von Herrn Capellmeister Panzner rühmlich geführten Orchesters sei besonders dank bar gedacht. I)r. R. Ärauße. — Die Abend-Motette in St. Johannis diesen Donnerstag, den 22. September, Abends 8 Uhr, bringt drei Compositionen deS 100. Psalm«, und zwar von Orlandus Laffus, Melchior Frank und F. Mendelssohn, sowie Orgel sätze von I. S. Bach, Alex. Guilmant und R. Bartmuß, vorgetrageu von Herrn Organist Pfau »stiehl. Programme die Ella kann ich nicht vergessen! Sie hat mich eigentlich scheuß lich behandelt, und wenn mir auch damals nicht das Herz brach, nebenbei wäre es unmodern, so wurde es mir doch dadurch leichter, vorwärts zu kommen. Sie hatte mir ein ganzes Stück Menschenachtung fortgenommen! Ader als ich vorwärts kam, als ich Alles hatte, was ich mir wünschen konnte, da fehlte sie mir, weil ich daran denken mußte, daß sie nun mein sein könnte! So etwas kann Einem wurmen! Sag mal aufrichtig, wer hat denn mehr Rechte auf Ella, ich oder ihr Mann?" „Letzterer wahrscheinlich!" „Hm, kann sein, Axel! Wenigstens vorläufig! Ich werde ihr nicht gleich einen Besuch machen. Vielleicht sehe ich sie morgen Abend im Theater, ich will mir den Spaß dieses Wiedersehens nicht verderben! Kommst Du auch hin?" „Vielleicht, Horst!" „Ach was, selbstverständlich, mein Junge. Ich schicke Dir «in Billet, und nachher kommst Du mit zum Souper, welches ich den Schauspielern geben werde, und dann find wir fidel zu sammen. — Schade, daß ich Ella Seefried nicht dazu ein laden kann. Wie stehtS mit Dir in Puncto „Lieben"? Du warst doch früher kein Spaßverderber?" „Ein Zeichenlehrer am städtischen Gymnasium hat dazu keine Zeit, Horst!" „Ach so, ja. — Weißt Du noch, damals da- verrückte Mädel vom Gärtner-Theater?" Und nun begannen die Beiden alte Erinnerungen auSzu- tauschen. Die Zeit verflog und Axel hatte einen rochen Kopf, weil er nicht mehr gewohnt war, so viel Bier zu trinken. — Schließ lich stand Hem-kott auf. — - >- „Also morgen Abend im Theater! Früh habe ich in der Prob« zu thun — in Berlin geben sie das Stück schon zum zehnten Male. Gute Nacht, alter Junge!" Damit ging er und Axel hörte ihn, ein Lied pfeifend, die stille Straße hinabwandern. — Der war nicht eingerostet, und dennoch war etwas an dem alten Freunde ihm fremd geworden, schon, daß er so oft vom Gelde sprach. — Axel konnte nicht einschlafrn. — Alle Nerven in ihm zitterten; es war, als ob ein frischer junger Wind in seine Stube und in seine Seele gedrungen sei. — Ella Seefried glaubt« zu ersticken. — Der erste Act war vorüber, das ganze Haus klatschte wie rasend, und dort stand auf der Bühne Horst Hemskott, und jedes Mal, ehe er sich vor dem ihm «ntgegenschallenden Applau« verbeugte, richtete er den Blick fest auf ihre Loge. Das Theater war klein, so daß sie ganz genau ohne Glas sein Mienenspiel erkennen konnte. — — E- drehte sich Alles vor ihren Augen, die Bühne, die Coulissen, die Rampenlichter, das Parket unter ihr, die Galerie über ihr. — Sie wußte nicht, wo sie Hinblicken sollte, und hielt die rechte Hand mit krampfhaftem Druck auf den Plüsch der Logenbrüstung gepreßt, während sie mit der anderen das Opernglas auf dem Schooß umklammert hatte. Sie wagte nicht zu klatschen, sie wagte kaum zu athmen; sie glaubte, alle Menschen müßten bemerken, wie oft er den Blick zu ihr hinaufwandte. Der Borhang war zum dritten Male gefallen; das Publicum beruhigte sich, und hinter ihr wurde ein Stuhl gerückt. — Sie zuckw zusammen, aber sie fand nicht den Muth, sich umzu schauen. War einer der hinter ihr Sitzenden gegangen, oder war Jemand eingetreten? Vielleicht er? — nein! nein! Nur Axel Sternfeld's wohlbekannte tiefe Stimme begrüßte sie und seine erregte Frage: „Was sagen Sie dazu? gnädige Frau!" erschien ihr wie «ine Erlösung. Si« wandte ihm lächelnd ihr glühendes Antlitz zu. „Ich wußte nicht, daß Hemskott selbst hier wäre!" „Man sollte nicht glauben, daß unser kleinstädtisches Publi cum sich so begeistern könnte für ein modernes Stück!" sagte er etwas spöttisch. „Wie geht es Ihrer Schwester? ES ist unrecht von Ihnen, sich nicht einmal bei uns sehen zu lassen!" Sie wußte kaum, was sie sagte, und er hörte das wohl heraus. ^Wissen Sie, daß ich Hemskott gegenüber einen wahnsinnigen Neid fühle? Solche Augenblicke, ob verdient oder nicht, sind ein ganzes Leben voll Enttäuschungen werth!" „Glauben Sie?" fragte sie ganz verloren, und lauschte nach der Thür«. Di« Klingel ertönt« und Axel ging schnell hinaus. Sie dachte gar nicht an den Zusammenhang de» Schauspiel», welches sich vor ihren Augen und Ohren abspielte-, sie wußte nur, daß alle Wvrt«, die dort gesprochen wurden, ihr bekannt vor kamen; eS lies ihr kalt den Rücken hinunter bei dem bestimmten Gefühl, daß sie durch ihr Schicksal, oder besser ihr Handeln, dem Dichter den Stoff geliefert hatte zu dem Ehedrama, oder, wenn das nicht, die Anregung wenigstens. — Die Heldin dort auf der Bühne hieß im Leben Ella See fried, war da» Weib, dem die Erkenntniß aufging, wa» e» hätte geben und nehmen können. In einer großen Leidenschaft, war die Frau, die sich vor dem Geliebten demüthigt wir eine Sclavin, die von ihm geführt wird mit einem Blick seiner Augen. — Nur mit Mühe hielt sie sich ruhig auf ihrem Platze, bis der Vorhang fiel. Nur Luft! Frische, andere Luft! Nicht diesen erstickend heißen Dunst, der zu ihr auS dem Parket aufstieg, als würfen die unter klatschenden Hände ihn zu ihr empor. So, jetzt stand sie draußen, durcheilte schnell den engen Gang hinter den Logen und ließ sich in dem kleinen Büffetraum etwas Eis geben. Gott sei Dank! Hier brauchte sie nicht noch einmal seinen Blick zu ertragen. Nur aus der Ferne drang gedämpft der Beifallslärm und das Bravorufen bis hierher. Dann wurde eS still. — Zuerst einzeln, dann in Gruppen kamen die Menschen in den Raum; Jemand sprach sie an, fragte nach ihrem Manne und sie erzählte mechanisch, daß er Geschäfte halber vor drei Tagen nach Berlin gereist sei. — Plötzlich schwieg das sie umgebende Stimmengemurmel; sie stand mit dem Rücken nach der Thür. Da, jetzt! Sie wußte es genau! Es war Hemskott, der eingetreten war, und dessen Erscheinen momentan jedes Gespräch zum Schweigen brachte. — Nein, sie wollte nicht Hinsehen. Nicht weit von ihr setzten zwei Herren ihr Gespräch über die Convrrtirung der Drei- Procent-Anleihe fort und zwei junge Mädchen unterhielten sich vom letzten Balle. — Dann hörte sie hinter sich ein« Stimme sagen: „Haben Sie keinen Blick für einen alten Freund, Frau Seefried?" Nun wandte sie sich um. — Die beiden Menschen sahen sich an, nur eine Secunde stumm, ernst, und doch mit diesem kon ventionellen Lächeln auf den Lippen. — Sie bemerkte nicht, daß Axel daneben stand und sie beobachten konnte. Nun gab sie Hemskott die Hand und sagte mechanisch: „Wie ich mich freue, Sie wieder zu sehen! Ich gratulire Ihnen!" Und weil er bemerkte, daß noch viel« Blicke auf ihn gerichtet waren, macht« er «ine leichte Verbeugung und nahm ihr den leeren Glasteller au» der Hand, auf welchem der Theelöffel klirrte. Dann richtete er einige Fragen über ihre Mutter und Schwestern an sie. Der letzte Act war vorüber. — Axel wartete am Autgang auf H«m»kott; die erst« Person, welch« die za den Logen führende Treppe herunter kam, war Ella Seefried. Sie sah auffallend bleich au-, und streifte eilig an ihm vorüber, ohne seinen Gruß zu bemerken. — Er hörte draußen di« Thür der Seefrird'schen Equipage zuklappen und fühlte etwas wie Mitleid mit der Frau. — Es war nachher ein lustiger Abend geworden, dieses von Hemskott dm Hauptdarstellern gegebene Souper. Das war Leben! Leichtsinn! Ausgelassenheit! Axel war ganz aus sich herausgekommen, und als er gegen Morgen Arm in Arm mit Hemskott seiner Wohnung zuschcitt, sagte er sich selbst, daß er zu viel getrunken habe, und wunderte sich gar nicht, daß Horst seine begeisterten Reden kaum beantwortete, sondern ernst, mit fest aufeinander gepreßten Lippen neben ihm her ging. „Axel!" sagte derselbe endlich, als sie vor dessen Wohnung standen, „Axel! Ich muß Ella sprechen! Hörst Du? Die Frau hvt mich ganz toll gemacht! Mein Gott! Ist sie schön geworden!" „Geh' doch morgen hin! Der Alte ist ja verreist!" meinte Axel lachend. „Nein, nein! So nicht warte 'mal! — Kann ich morgen von acht Uhr an über Deine Wohnung verfügen?" Sternfeld sah ihn an, suchte seine Gedanken zu ordnen und meinte dann: „Ach so, Horst! Na, selbstverständlich! Ich gehe ins Theater und nachher —" „Erwartest Du mich im Braunschweiger Hof! Wir trinken dort «in Glas Bier zusammen." „Da- soll «in Wort sein, Hbrst! Du, eS war doch zu famos heute Abend! Wie der Heldenvater der kleinen Liebhaberin den Hof machte! Ist daS ein lustiges Völkchen!" Er lachte noch immer vergnügt vor sich hin, obgleich HemSkott weitergegangen war, während Axel den Hausschlüssel umdrehte und vergaß, hinter sich zuzuschließen, so daß nach einer Weile Schuster Knüller wie «in Gespenst den grauen zottigen Kopf au» der Thür steckte und seine» Miethers Versäumniß in Ord nung brachte. „Möchte Wissen, was mit unserm Sternfeld los ist?" knurrte er, wieder in seine Federn kriechend. „Go find die Mannsleute!" antwortete seine Frau. „Was ist da» nun für'n Unsinn, Alte! So 'nen jungen Menschen! Es ist nix mit der Solidität in seine Jahre!" lind er träumte die ganze Nacht von seiner Wanderschaft al» Gesell, ohne daß seine Frau in diesem Traum eine Rolle spielte. lffortsetznng folgt.»
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