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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.09.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980928012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898092801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898092801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-28
- Monat1898-09
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Die betreffenden Post gesetze wurden der Bearbeitung des Norddeutschen Bundes-Post- gcsetzes hauptsächlich zu Grunde gelegt, während dabei im Uebrigen auch die sonst in den Postverträgen u. s. w. vorhandenen einschlägigen Bestimmungen benutzt wurden. Das Maaß der Beschränkungen, welche zu Gunsten des Staatspostwesens bestanden, war damals ein sehr verschiedenes. Man ging nun bei der Redaction des neuen Gesetzes davon aus, diese Beschränkungen, soweit das mit den Interessen der Staats postanstalt irgend vereinbar schien, zu vermindern und über haupt jede Erleichterung für den Verkehr zu schaffen. Die Motive zu dem Gesetzentwürfe geben in klarer Weise die Gesichtspunkte wieder, von denen er in Bezug auf die Festsetzung des Umfanges des Regals beherrscht wird. Es heißt an betreffender Stelle: „Die Ansicht, daß die Verwaltung der Post keine Finanzquelle sein dürfe, ist von den Staatsverwaltungen >in dieser Allgemeinheit bis aus die neueste Zeit nicht adoptirt worden. Abgesehen davon, daß diese Frage sehr eng mit den allgemeinen Fragen über die Auf bringung des Staatsaufwandes zusammenhängt und gewiß nicht isolirt beantwortet werden kann, scheint auch nur soviel zugegeben werden zu tonnen, daß die finanzielle Rücksicht nicht die allein entscheidende sein dürfe In einem häufig nur scheinbaren Gegensätze zu den finanziellen Rücksichten stehen die Volks wirt h s ch a f t l i ch e n. Sie fordern an sich thunlichste Freiheit und Erleichterung des Verkehrs. Die Extremen leiten daraus ab, daß der Staat jedes ausschließliche Postrecht aufgeben und unbedingte freie Concurren, zulassen solle. Damit würde aber doch für den Staat das Recht verbunden sein, den Postbetrieb überall da in allen den Beziehungen aufzugeben, wo er für den Staat einen Verlust hcrbeizuführen droht. Eine gut organisirtr und sicher« Postbeförde- rung gehört aber unbestritten zu den unerläßlichen Bedingungen der Volkswohlfahrt. Unsichere, schwankende Zuständ« in dieser Be ziehung vermöchte der Verkehr, was Briefe anlangt, gar nicht zu er tragen. Es muß mit Recht bezweifelt werden, ob Privatunter nehmer in Bezug aus Sicherheit und Stetigkeit je Gleiches leisten könnten, wie die Staatspost thatsächtich leistet. So lange dieser Zweifel besteht, muß die Staatspost erhalten werden und im Be sitze derjenigen Rechte bleiben, welche nökhig sind, um sie konstant lei stungsfähig zu erhalten. Dazu gehört aber, daß ihr ein gewisses Ge biet ausschließlich gesichert wird, da man sie den Chancen der freien Concurrenz nicht soweit preisgeben darf, daß ihr finanzielles Be stehen und damit auch die Regelmäßigkeit und Stetigkeit ihrer Leistungen gefährdet sein könnte. Der Umfang dieses "Gebiets soll so weit eingeschränkt werden, als für den Zweck wirklich nöthig ist; die Ansichten darüber, wie weit dieses geschehen kann, mögen ver schieden sein, nur darüber wird man überall einig sein, daß dieses Sondergebiet mindestens die Gegenstände umfassen müsse, für welche di« Staaispost durch Privatindustrie nicht vollständig rrsrtzt werden kann." Die Bestimmungen des Gesetzentwurfs entsprachen der ge kennzeichneten Richtung. Er enthielt zahlreiche Erleichterungen und Verbesserungen im Interesse des Verkehrs und des Publi kums. Namentlich wurde der Umfang deS Postregals einge schränkt. Zunächst fiel für Sachen jeder Postzwang weg. Für gewerbsmäßige Beförderung von Personen wurde er erheblich eingeengt. Die Postpflicht der Zeitungen (welche das sächsische Gesetz allerdings überhaupt nicht kannte) wurde auf politische Zeitungen beschränkt. Für verschlossene Briefe sollte der Postzwang nur eintreten, wenn sie gegen Bezahlung be fördert würden und wenn die Beförderung von Orten mit einer Postanstalt nach Orten mit einer Postanstalt erfolgte. Die Commission, an w«lche der Gesetzentwurf zur Berathung überwiesen wurde, erklärte sich mit demselben in allen wesent- lichen Puncten einverstanden. Hervorzuhebcn ist, daß bei der Commissionsberathung principirlle Bedenken gegen den Po st zwang für den verschlossenen Brief nicht erhoben wnrden. Die Commission war aber, wie der Bericht erstatter vr. Michaelis im Reichstage erklärte, immerhin davon ausgegangen, daß man rm Allgemeinen nur damit einverstanden sein könne, wenn das Po st monopolweiterundweiter eingeengt und eines Tages aufgehoben werde. Das Gesetz wurde vom Reichstage demnächst fast unver ändert angenommen und unterm 2. November,1867 Allerhöchst vollzogen; es trat mit dem 1. Januar 1868 in Kraft. Die Gründung des deutschen Reiches machte im Jahre 1871 eine anderweite gesetzliche Regelung des deutschen Postwefens und damit die Schaffung eines neuen Postgesehes nothwendig. Dem Gesetzentwurf« wurde das Gesetz vom 2. November 1867, welches sich in jeder Beziehung bewährt hatte, zu Grunde gelegt; er enthielt diesen Gesetzen gegenüber in mehrfacher Beziehung Bestimmungen, welche eine weitere wesentliche Erleichterung des Verkehrs darstellten. Den Postzwang für verschlossene Briefe ließ er in dem bisherigen Umfange bestehen. Im Reichstage wurde der Gesetzentwurf freudig begrüßt. Immerhin führte die Frage wegen des Postzwanges wiederum zu erheblichen Ausein andersetzungen. So suchte der Abgeordnet« Or. Seelig geltend zu machen, daß -die Post aufjed es Monopol verzichten und der Privatunternehmung volle freie Con- currenzeinräumenmüsse. Er betrachte die Post nicht als ein finanzielles Unternehmen des Staates, sondern als die Erfüllung einer Staatspflicht. Er halte eine Concurrenz der Privatpostanstalten nicht blos für das Publicum, sondern aucb für das Postwesen in vieler Beziehung für sehr nützlich; sie wer der Postanstalt manch« gute Fingerzeige und Lehren ertheilclr können. Das Endergebniß der Verhandlungen war, daß die Be stimmung über den Postzwang für Briefe in der Fassung des Gesetzentwurfs angenommen wurde, nach welcher also „die Be förderung aller versiegelten, zugenähten oder sonst verschlossenen Briefe gegen Bezahlung von Orten mit einer Postanstalt nach Orten mit einer Postanstalt des In- oder Auslandes auf andere Weise, als durch di« Post verboten ist." Und di«se Bestimmung ist es, welche durch die jetzt zur Be rathung stehende Novelle in der angegebenen Weise abgeändert werden soll. Dir Motive zur Postgrsrtznovrlle behaupten, daß die Er weiterung deS Postzwanges sich im Interesse der Allgemeinheit und der öffentlichen Ordnung nothwendig mache. Es sei Dhat- sache, daß der Betrieb vieler Pri'vat-Beförderungsanstalten mannigfach« Uebelstände gezeitigt und namentlich das correspon- dirende Publicum in schwerer Weise geschädigt habe. Die Ge schäftsführung sei in vielen Fällen unregelmäßig und unzuver lässig; die Leerung -der Briefkästen und die Bestellung der Briefe erfolge oft unpünktlich. Seitens der Boten seien vielfach Sen dungen aus Trägheit oder Habsucht unterschlagen und Hunderte von Sendungen beseitigt worden; wiederholt seien in den Lager räumen aufgelöster Anstalten Tausende von Sendungen vorge funden; «in früherer Unternehmer habe sogar gegen 6000 Sen dungen verbrannt u. s. w. Im Weiteren weisen die Motive auf die Gefahren hin, welche in Bezug auf die Wahrnehmung des Briefgeheimnisses bei dem Privatbetriebe bestehen. Zu den Anführungen in den Motiven hat der Staatssecretair des Reichspostamts dann im Reichstage weitere Erläuterungen gegeben. Er hob hervor, daß die große Entwickelung der Privat- I posten seiner Zeit nicht hätte vorausgesehen werden können, daß man dieselben nicht für konkurrenzfähig gehalten habe, daß jetzt die Privatposten ein Stachel im Fleische der Reichspost seien. Man ist unwillkürlich versucht, diese Worte dahin zu interpretiren: Der Gewinn, den die Privatpostanstalten aus dem Unternehmen erzielen, ist derart bedeutend, daß die Reichspvst ihn gern selbst in ihrem Budget figuriren lassen möchte. Es war unseres Erachtens nicht gerade politisch, die große Ausdehnung der Privatpost anstalten als Grund für die Nothwendigkeit ihrer Beseitigung in der gedachten Weise ins Feld zu führen. Noch unglücklicher ist aber die Begründung, daß die Privatposten nur für die großen Städte von Vortheil seien, also nur einkleinerTheilder Bevölkerung von ihnen Nutzen habe. Die mitt leren und großen Städte im Reiche, in welchen sich Privatpost anstalten befinden, repräsentiren «ine Gesammtbevölkerung von mehr als 10 Millionen, also etwa den fünften Theil aller Reichs angehörigen. Uebrigens ist für den Umfang und die Art der Verkehrs«inrichtungen das Brdürfniß maßgebend, und daß die großen Verkehrscentren in der fraglichen Beziehung ganz andere und verschiedenartigere Bedürfnisse haben, als kleinere Orte und das platte Land, und demnach auch besondere Berücksichtigung verlangen, liegt auf der Hand. Rührend möchte man die Für sorge nennen, welche' der Staatssecretair durch die Angabe be- knudete, daß diePrivatpostanstalten ihreAngestellten nicht gehörig besoldeten. Wir freuen uns, daß Herr von Podbielski ein so gutes Herz hat; in die Begründung der Vorlage gehörten die Worte indessen nicht. Wenn wir nun auch der Ansicht sind, daß der Staatssecretair des Reichspostamts mit der Wahl seiner Argumente für die Noth- wendigkeit der Erweiterung des Postzwanges nicht gerade glück lich gewesen ist, so bringen wir gleichwohl zum Ausdruck, daß wir in der fraglichen Ausdehnung des Postregals einen wesent lichen Fortschritt, eine wirthschaftliche Wohlchat erblicken würden. Man muß nur sinn irn cck xtuäio prüfen. Daß der Betrieb der Privatpost viel zu wünschen übrig läßt, daß ihre Leistungen im Großen und Ganzen denjenigen der Post gegenüber sich nur als minderwerthige bezeichnen lassen, wird jeder Kundig« bestätigen. Die Schnelligkeit, mit welcher die Post zu arbeiten vermag, und die Sicherheit, welche sie dem Publicum gewährt, können von den Privatpostanstalten nicht erreicht werden. Es ließe sich nun allerdings einwenden, daß es ja Jedem unbenommen sei, sich der Privatpost zu bedienen, oder nicht. Demgegenüber ist aber noch weiter zu bemerken, daß der ver schlossene Brief unter den Transportgegenständen «inen ganz be sonderen Rang einnimmt, daß er sich über die rein materielle Bedeutung wert hinaus hebt und im geistigen und Gemüthsleben der Menschen «ine hervorragende Rolle spielt. Ferner ist in Betracht zu ziehen, daß der verschlossene Brief einen vertrau lichen Charakter trägt Und daß daher seine ganze Behandlung in Annahme, Beförderung und Aushändigung eine sehr diskrete sein muß. Das Briefgeheimniß darf, wie ein Beichtgeheimniß, nicht verletzt werden, und welch' hoher Werth auf seine Wahrung gelegt wird, ergiebt die Thatsache, daß es schon seit langer Zeit in allen Culturstaaten durch die Verfassung oder ein sonstiges Gesetz feierlichst gewährleistet worden ist. „Das Briefgeheimniß ist un verletzlich", so sagt das Poftgesetz des deutschen Reiches. Hiernach muß in Anspruch genommen werden, daß alle An stalten, welche die Beförderung von geschlossenen Briefen be zwecken, «ine sichere Bürgschaft dafür bieten müssen, daß sie das Briefgeheimniß nach allen Richtungen zu wahren wissen. Können Privatbcfövderungsanstalten diese Bürgschaft leisten? Nicht in dem Umfange und mit der Wirkung, wie es im Interesse öffenk- licher Wohlfahrt und in dem des Einzelnen nothwendig ist. Nur der Staat' mit seinen beständigen, festgefügten Einrichtungen und mit seiner Hoheitsfülle vermag die erforderliche Gewähr zu bieten. Darum sind wir mit der Ausdehnung des Postzwanges auf den verschlossenen Ortsbrief durchaus einverstanden. Hoffentlich werden die Reichstagsverhandlungen die Frage unter diesen Gesichtspunkten und nach dieser Richtung hin 'zur Erledigung bringen. Was die Entschädigungspflicht des Reiches gegenüber den Privatpostanstalten betrifft, so ist es erfreulich, daß die neue Vorlage diese Pflicht anerkennen wird. Wir stehen auf dem Stand punkte, daß der Staat durch die fragliche Erweiterung des Postregals wohlerworbene Rechte verletzt und daher ein Entschädigungsanspruch der Privatpostanstalten begründet erscheint. Wir können darauf verzichten, hier diese Frage näher zu erörtern, da wir sie'schon früher zum Gegenstände eingehender Prüfung und öffentlicher Besprechung gemacht haben. Deutsches Reich. Berkin, 27. September. („Christliche Privat- gymnasen.") Von einer Anzahl den Kreisen der Inneren Mission angehörendrn Männer wird auf den 4. October nach Hamburg eine Versammlung einberufen, welche die Gründung christlicher Privatgymnasien und die Wiedereröffnung des Martincums zu Breklum beschließen soll. Die Unterzeichner des Aufrufes werden von der Absicht geleitet, „das Christenthum durch christliche Erziehungsanstalten unter die Gebildeten des Volkes zu bringen." Offenbar haben nach der Ansicht der Unter zeichner das Staatsgymnasium ebensowenig wie die städtischen bisher das Christenthum unt«r die Gebildeten des Volkes ge bracht. Daß der Begriff Christenthum in diesem Falle einseitig orthodox aufgefaßt wird, leuchtet ein. Aus der Reihe der Unter zeichner heben wir einige hervor, die dem Berliner Hofe und dem politischen Leben nicht fernstehen: Freiherr v. Mir bach, Oberhofmeister der Kaiserin, Graf v. Schlitz-Görtz, Hofprediger a. D. Stöcker; Pastor v. Bodelschwingh, Staatsminister a. D. Graf Zedlitz-Trützschler. 0. 8. Berlin, 27. September. (I)r. Lüttgenau.) Es gilt als sicher, daß vr. Lüttgenau, der be kanntlich die Prügelstrafe für anarchistisch« Mörder in seiner „Rhein.-Wests. Arbeiter-Zeitung" empfohlen hatte, aus der social demokratischen Partei hinausfliegt. Er stand überhaupt nicht sehr fest; lange Zeit wurd« er in Berlin mit lebhaftem Mißtrauen betrachtet, da er seine eigenen Wege ging und d«n Leitern des „Vorwärts" oft unbequem wurde. Jetzt wird er von vielen socialdemokratischen Blättern „ein unwürdiger Kämpfer in unseren Reihen" genannt, die „Magdeb. Volksstimme" redet sogar von den „verrückten Ideen" des vr. Lüttgenau und meint, daß ein Mann wie er, der mit seinen brutalen Anschauungen die Partei auf das Schärfste compromittir«, nicht werth sei, an der Spitze der Arbeiterbewegung zu stehen. Natürlich sind die Anarchisten ganz besonders über den Mann erbost, der ihren tapfersten Jüngern Prügel verordnen wollte; der „Arme Conrad" schlägt vor, „daß der Parteitag eine Commission er nenn«, die den albernen Patron auf seinen Geisteszustand unter sucht. Es erscheint uns zweifellos, daß der Alkoholgenuß, dem er, wie allgemein bekannt, seit Jahren übermäßig huldigt, ihn verrückt gemacht hat". Da hinter vr. Lüttgenau zweifellos eine ganze Anzahl Genossen steht, so hab«n wir also zu dein Falle Schumacher in Solingen, zu den Conflicten in Braun- FsttiHstoir. Luonaventura Genelli. Zum 1VV. Geburtstage. Von HanSMarshall. Nachtruck verboten. Am 28. September ist ein Jahrhundert verflossen, seit ein deutscher Künstler das Licht der Welt erblickte, dessen Eigenart schon bei Lebzeiten entweder begeisterte enthusiastische Verehrung oder entschiedene Ablehnung fand und auch jetzt noch bei der kühleren Nachwelt ein objekive» Urtheil zu erschweren scheint. Das heurige Jahr hat schon Gelegenheit gegeben, bei der hun dertsten Wiederkehr vom Todestage des AsmuS Jakobus TarstensdeS Aufganges einer Kunstrichtung zu gedenken, die al-eigentlichen Classicismus der v«rzopst«n Kunst des 18 Jahr hunderts wieder mehr Natürlichkeit und bedeutenden Inhalt ver liehen hat; ein Geburtstag soll an ihren leuchtenden Niedergang mahnen. Genelli, in dem Carstens'sche Kunstweise bis in di« zweite Hälfte unseres Jahrhunderts lebendig geblieben ist, ver lieh d«m bei seinem Vorgänger noch schroffen W«sen des Helle nismus Anmuth und reicheres dramatisches Leben. Die Schön heit der Linien hat Genelli bis zu einer bisher noch nirgends da gewesenen Vollendung gebracht, ihr opferte er nicht selten die richtige Erkenntniß sinnlicher Wahrnehmung und die Möglich keit natürlicher Bewegung. In seinen Gestalten ist das Indi viduelle durch da» Typische aufgehoben; so erscheinen seine Men schen stilisirt, wodurch allein ihr rein poetisches Dasein wahr scheinlich ist, und zwar so rein und konsequent, daß auch nicht eine, ja nicht ein Körpertheil den Ursprung verleugnet, selbst auf Skizzen und Dtudienblättern nicht. Sie alle sind G«n«llisch und verrathen ihre Kindschaft nicht durch Eurhythmie der Linien, Reinheit der Tontour«!, Fülle und Kraft der Formen allein, sondern auch durch Tigenthümlichkeiten, wie da» Maskenhafte der Gesichter und die breiten Fuß- und Handgelenke. Das Große und Bedeutende in Genelli'S Kunst liegt mit begründet in ihrem engsten Zusammenhänge mit seinem Leben; jedes seiner Werke ist ein aufrichtige» Bekenntniß seiner Persönlichkeit, ein Denkmal seiner gesammten Existenz; sie Alle zeugen davon, „daß von sich selbst der Mensch nicht lassen kann", auch dadurch, daß sie zugleich eine Huldigung der eigenen, allerdings auch schönen -und kraftvollen- Persönlichkeit im höchsten Maße, in höherem noch als bei Rembrandt, sind. BuonavrnturaGenelli wurde geboren zuBerlin. Sein Vater Janus, der älteste Sohn des durch Friedrich den Großen aus Kopenhagen nach Berlin berufenen Seidenstickers Giuseppe Genelli, war Landschaftsmaler. Buonaventura erbte von ihm als Familiengut das Talent, das in ihm die höchste onto- gen-etische Stufe erreichen sollte, tüchtige Gesinnung und un beugsamen Stolz. Von großem, erzieherischem Einfluß auf den geweckten Knaben konnte der Vater nicht mehr sein, da er zu früh starb. Um so stärker wirkte auf seine Entwickelung nun sein Oheim, d«r geniale Architekt -Hans Christian Genelli, dessen geistvolle Züge Carstens auf der Röthelzeichnung „Sokrates im Korbe" (Museum zu Weimar) im Kopfe des Strepsiades festgehalten hat. Varnhagen nennt diesen Mann, der zu den damals nicht seltenen Leuten von passiver Genialität gehört zu haben scheint, „genial bis zum Dämonischen, von einer gewalt samen, in jungen Jahren flotten Liebenswürdigkeit, voll weichster Gutmllthigkeit gegen Uebereinstimmende, unbarmherzig gegen Eitelkeit, Leerheit und Schwäche". Weiter war es seine schön« Mutter, die des Sohnes dichterische Phantasie durch ihre Mär chen und Erzählungen weckte und befruchtete und gemeinsam mit ihrem Schwager im steten Hinweis auf Carstens, dessen Ver ehrung Familientradition war und blieb, dem Streben des schaffenslustigen Genius die Richtung gab. Ein Portrait seiner Mutter (im Besitze des HandelSkammersecretairs vr- Julius Gensel in Leipzig), das Genelli als Jüngling gezeichnet hat, zeigt ein klassisch reines, edel geschnittenes Profil von weichem, liebe vollen Ausdruck. „Meiner Mutter", sagt der Künstler selbst in einer kurzen Selbstbiographie, „dann meinem Oheim, dem Archi tekten Genilli, der Bibel, dem Don Quixote und den Gesängen Homer's habe ich das etwaige Gute, was an mir als Künstler und Mensch ist, zu danken." Frühzeitig trat Genelli in die Ber liner Akademie ein und arbeitete mit großem Fleiße unter der fördernden Leitung de» Portraitmalers Bury und seines Vor mundes, de» tüchtigen Hummel. Ueberau» förderlich für Buonaventura war auch sein Verkehr im Hause der Gräfin Finkenstetn und im Salon der Ra Hel Levi, wo der junge Künstler mit allen damaligen Celebritäten Berlin» in Be rührung trat. Im Jahre 1822 zog Genelli, unterstützt von d«r Königin von Holland, einer preußischen Prinzeß, nach Rom, um e» erst nach zehnjährigem Aufenthalte wieder zu verlassen. Hier fand er Reinhart, Koch, Overbeck und andere Künstler von Namen, schloß sich aber keinem enger an. Von direktem persönlichen Einfluß auf ihn war eigentlich nur der phantasievolle Dichter und Maler Müller, mit dem ihn eine gemeinsame, hohe Verehrung des Asmus Jakobus Carstens ver band. Aus der römischen Zeit seiner Sturm- und Drangperiode sind von Genelli manche Tollheiten und gelegentliche Aeußerungen bekannt, aus denen seine überschäumende physische Kraft, sein Selbstbewußtsein und schroffer Charakter scharf und übermüthig hervorbrechen. Als einst jene Anekdote, nach der Karl XII. von Schweden, nachdem er fünf Tage gehungert, eine Schüssel Boh nen gegessen und auf einem Balle durch gymnastische Uebungen Proben seiner Kraft gegeben hat, im Kreise feuchtfröhlicher Kunstjünger keinen Glauben fand, erbot sich Genelli, den Beweis zu liefern, daß ein gesunder Mensch solches wohl leisten könnte, und nahm fünf Tage hindurch weder Speise noch Trank zu sich. „Sowie die Zeit um war", berichtet er selbst, „lief ich um das zwei deutsche Meilen im Umfange habende Rom in Zeit von 2Z Stunden, da man aber der Tiber wegen nicht herum kann, ohne sich übersetzen zu lassen, mußte ich, um doch immer auf dem Lande zu bleiben, die Hälfte der Stadt zwei Mal zurücklegen (nämlich von Porta del Popolo bis Porta San Sebastiano, macht ungefähr die Hälfte des Umfanges aus). Ich merkte aber doch, daß man ungegessen etwas schlappfüßig ans Ziel kommt. Ein Pfund Weintrauben, das ich mir am Thore kaufte, kam mir noch fünf Mal so süß schmeckend vor, als sie sonst sind. Hinter her meinten Alle, es sei eine Tollheit, vor der man Respekt haben müßte." Friedrich Preller, zu dem Genelli bereit» in Rom in Beziehung trat, äußert sich über den späteren Freund in seinen römischen Aufzeichnungen: „Ganz in seine Dar stellungen der griechischen Götter- und Heroenwelt versenkt, hielt «r sich von der herrschenden Schule der christlichen Kunst fern und beschränkte Umgang und Neigung auf wenige jüngere Leute. Für Cornelius empfand er ni< ein« rechte Sympathie. Genelli's herrliche Kompositionen wurden schon damals von Jung und Alt bewundert." Aus dieser Bemerkung geht hervor, daß Genelli in Rom nicht faul gewesen sein kann. Er selbst freilich hatte einmal Anlaß, sich gegen den Vorwurf der Unthätigkeit in der folgenden, charakteristischen Stell« eines Briefe» an seinen Bruder zu verwahren: „Ich bin nicht hergekommen, um die Kunstmode zu studiren, wozu man freilich nicht viel mehr denn acht Tage Zeit braucht, noch um eines dünnen RenommSes wegen. Je mehr ich jene großen Werke kennen lerne, die wahrlich dazu ge eignet sind, einen bedenklich zu machen, je mehr muß ich Alles leere, eitle Glänzen verächtlich finden. Wenn ich schon so arm gewesen wäre, hier drei Bilder malen zu können, es wäre ein Zeichen, -daß ich nichts an Dem zu sehen vermag, was hier zu sehen ist, und mein ganzes Hiersein wäre nur das Spiel „Pfählchen verwechseln" im größeren Stile. Ich werde mich in meinem einmal vorgezeichnetcn Wege nicht irre machen lassen, denn ich bin taub für allen blinden Ruhm, der, angenommen, mich vielleicht je treffen könnte, und sollt« selbst jene Königin, wenn sie sich durch falsche, klein lautende Berichte über mich betrogen fühlen wird, ihre mich bis jetzt haltende Hand zurllckziehen — immerhin; mein guter Leichnam wird'S ertragen, die nicht kranke, nur mit künstlerischen Betrachtungen erfüllte Seele mlt freudigem Bewußtsein hinter einen Pflug schleppen! Glaube aber nicht, ich sei wirklich faul, wenn ich nicht gleich etwas nach der Berliner Ausstellung schicke; denn alle Diejenigen, die in jetziger Zeit noch «twas Bedeutend«» machen, haben anfangs ebenfalls faulenzen müssen." Leider sollte er der Unterstützung der Königin von Holland thatsächlich bald verlustig gehen, die es ihm nicht 'ver zeihen konnte, daß er sich von ihr hatte überraschen lassen, als er an einem heißen Sommertage in seinem Atelier seinen eigenen wohlgestalteten Körper als Modell benutzte. Der schwer getroffene Künstler hat später die verhängnißvolle Ssene im Bilde (Aus dem Leben eines Künstlers. 24 Compositionen in Kupfer ge stochen von A. Burger, K. v. Gonzenbach, H. Merz und H. Schütz. Leipzig. Verlag von Alphons Dürr.) verewigt, nur daß er an Stell« der Königin die Jesuitenphysiognomie eines römischen Geistlichen in komischem Entsetzen zur Thür hereinschauen läßt. Drastisch kam die Schroffheit von Genelli's Charakter zum Aus druck, als er sich in einem Briefe an den Direktor der Berliner Akademie G. Schadow für «in seiner Ansicht nach zu erbärm liches Honorar, da» er für eine Zeichnung erhalten hatte, damit bedankte, daß er schrieb, er wolle die 20 Thaler, um sich die Mühe des Zurücksenden» zu sparen, seinem Bartkraher schenken. Die Jahre in Rom waren so fruchtbare, daß Genelli immer wieder auf sie zurückkommen und von ihrem Ertrage an Com positionen zehren konnte bi» in sein hohes Alter; denn die meisten seiner späteren Werke sind hier schon im Entwurf entstanden. Leider bot sich ihm nur einmal die Gelegenheit, den monumen talen Zug in seinen Arbeiten auf die entsprechenden Flächen verhältnisse zu übertragen; al» aber die Aufgabe, die dem Wesen seiner Kunst so recht entsprach und deren Erfüllung ihm auf segensreicher Bahn die Bethätigung seiner vollen Kraft und
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