Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.09.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980912026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898091202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898091202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-12
- Monat1898-09
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis di der Hanptexpedition oder den km Etadt- bezirk und den Vororten errichteten AuS« aübestrNen obgeholt: vierteljährlich^».«), bet zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS ö.öO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandlendung t»S Ausland: :nonatlich ^4 7.SO. Die Morgen-An-gabr erscheint üM '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Redaction und Expedition: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geössnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: Otto Klemm'» Eorttm. (Alfred Hahn), Universität-straße 3 (Paulinuir), LoniS Lösche, Katharinenstr. )4, pari, und Kontgsplatz 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Ämtsötatt -es Lömglichen Land- im- Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes «n- Notizei-Ämtes -er Stadt Leipzig. AuzergeN'PreU di« 6 gespaltene Petit-eil« LO P^§» Reclame» unter demNrdattiou»strich (4^- spalte») bv><, vor dsa Familirnnachrichtea (ögrspaltea) 40-ztz. Eröhere Schriften laut unserem Preis- verzrichniß. Tabellarischer und Lfffrrnsatz »ach höherem Tarif. Extra-Vellage» (gesalzt), nur mit der Morgen-Au-gabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesürderung Ai 70.—. Druck und Verlag vo» E. Volz in LelpzlA, ^uuahmeschluß für Anzeige«: Ab end-Ausgabe: Vormittage io Uhr. Marge »-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhu. lvei den Filialen und Annahmestellen je ela» halbe Stunde früher. Anzetgcn siud stet» an dir Ertzeditts» zu richten. Montag den 12. September 1898. 92. Jahrgang. Die Ermordung der Atnrserrn von Oesterreich. Der politische Charakter des Verbrechens. Das starre Entsetzen, mildem die Genfer Mordkunde die Welt gelähmt hat, weicht nicht, r» vergrößert sich vielmehr, je mehr man Uber das Geschehene nachdenkt. Etwa- in der Geschichte Unerhörtes ist geschehen. Eine harmlose, betagte, durch unsägliches Mutterelend des tiefsten Mitleid» würdige Frau ist gemeuchelt worden, nur weil sie vermöge der Würde ihres Gatten über die Menge emporragt und darum ihre Hinmetzelung geeignet ist, weithin Schrecken zu verbreiten. Dem Tode anderer hochgestellter Opfer des Anarchismus konnte eine wirre Phantasie eine Wirkung andichten, die Bombenschleuderer von Barcelona mußten eS nicht für unmöglich halten, daS Leben von Menschen, die ihre Rachsucht entflammt hatten, mit hinwegzuraffen, diese jüngste fürchterlichste Unthat ist nur mit der Absicht zu erklären, die Menschheit mit Furcht vor einer geheimnißvollen Macht, mit feigem Zagen vor ihr zu erfüllen und die von Socialismus und Nihilismus aufgewühlten Massen, welche der Anarchismus als seine Borfrucht ansieht zur endlichen Abschüttelnng des Joches staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung anzustacheln. Die Kaiserin Elisabeth hat sich von der Politik gänzlich serngehalten, in ihrem Leben nehmen neben dem Unglück Werke der Menschenfreundlichkeit und der Kunstliebe den breitesten Raum ein, die letzte Bauersfrau im letzten Dorfe steht politischen Kämpfen nicht ferner als sie, und an dieser ausgesucht unpolitischen Persönlichkeit wird ein Mord verübt, damit die Welt erkenne, daß Niemand vor Anarchisten- Dolchen sicher sei. Der politische Charakter des Verbrechens steht außer allem Zweifel und wird es bleiben, selbst wenn der anarchistischen und socialistischen Presse der Nachweis gelänge, daß der Missethäter ein außergewöhnlich excentrischer Kopf gewesen sei. Man zückt den Mordstahl nicht gegen eine alte kranke Frau, wie man nicht gelehrt worden ist, daß auch durch solches Thun ein Verdienst um das „Proletariat" erworben werden kann. Daß er als Schüler der socialrevolutionären Propaganva gehandelt, hat der verworfene Mörder bereits mit einer Eitelkeit bekannt, die nur auf der Gewißheit, heimliche Anerkennung seiner That zu ernten, beruhen kann. Er hat seine „Schuldigkeit" als Anarchist thun und „ein Beispiel" geben wollen, weil er überzeugt ist, daß allen seinen Lehrern und Genossen die Ueberzeugung von der Rühmlichkeit und Nützlichkeit eines Mordes und nur nicht der Muth, zur That zu schreiten, gemeinsam ist. „Wenn ", so sagte der Ruchlose, „alle Anarchisten ihre Schuldigkeit thäten, so würde die bürgerliche Gesellschaft bald ver schwunden sein." In diesem heißen Drang, di« bürgerlich« Gesellschaft um jedrn Prii« zu vernichten, berührt sich der Anarchismus mit der Socialdemokratie. Der Unterschied gründet sich lediglich aus die verschiedene Beantwortung gewisser Opportunität«- fragen und darf in seiner praktischen Bedeutung nicht über schätzt werden. In Italien und in anderen romanischen Ländern fließen SocialißmuS und Anarchismus thatsäcklich fast in einander, und wenn bei uns in Deutschland die Auf reizung zum Umsturz der „bürgerlichen Gesellschaft" seltener di, Mordlust entzündet al» dort, so ist dir» der nationalen Eigenart, dem kälteren Blut zuzuschrriben und nicht der Mäßigung der socialdemokratischen Führer und Schriftsteller. Es sind noch nicht drei Wochen her, daß der „Vorwärts" in einer Betrachtung Uber die Nothwendig- keit, bei ungewöhnlicher Hitze Handarbeit zu verrichten, eine so grenzenlose Wuth zu erregen sich bemühte, daß eS nicht das Verdienst dieser von wohlsituirteu Herren geschriebenen Zeitung ist, wenn nicht einer ihrer Leser den Dolch gegen einen nach seiner Meinung nicht Arbeitenden gezückt hat. Wie der Zweck, so ist di« Methode der beiden social revolutionären Richtungen dieselbe, die Erregung von Haß und Neid Nicht nur gegen gewisse Schichten der Gesellschaft, sondern gegen jeden Einzelnen, der nicht „Proletarier" oder Proletarier führer ist. Nur auf «ine Verschi«denh«it in d«m nationalen Temperament der Brthörten weist di« Verschiedenheit in den Erscheinungsformen der Arbeitervergiftung im Süden und Norden zurück. Die Propaganda der That. Der „Vorwärts" öffnet mit jener Bereitwilligkeit, die er bisher bei allen ähnlichen Gelegenheiten bekundete, dem anarchistischen Mörder der Kaiserin Elisabeth dir Pforten des Irrenhauses. Der Grund für dieses V«rhalten liegt auf der Hand: eS ist da- Bestrrben, den compro- mittirten revolutionairen Zwillingsbruder nach Kräften zu entlasten, damit verhütet werde, daß di« eigene revolutionair« Agitation Einbuße erleide. DaS socialdemokratisch» EentralorgaN gebt dabei soweit, daß eS von keinem anarchistischen Blatt« übertroffen werden könnte; es behauptet, selbst wenn Beweise für die anarchistische Gesinnung des ThäterS beigebracht werden könnten, so beweise dies für den politischen Charakter de« Attentat- „noch gar nichts": die Anarchisten hätten kein« gemeinsame Organisation, die Ideen von der Propaganva der That hätten auch in den anarchistischen Kreisen an Boden verloren, nur ein krankes Gehirn könne den Gedanken auSbrüten, eine harmlos«, alte, kranke Frau, die Niemand etwas zu Leide gethan, auf offener Straße an Hellem Tag« auzufallen. Di« allgemeinen Redensarten Über das Fehlen einer grmeiusamen Organisation und Üb«r das Schwinden der Idee von der Propaganda der That lassen wir auf sich be ruhen. Die Dreistigkeit aber, die, offenbar wider bessere« Wissen, vorgiebt, daß Attentate, wie da« gegenwärtig verübte, nur von Wahnwitzigen begangen werden können, sei an der Hand der anarchistischen Taktik ein«r Prüfung unter- zogen. Deren Ergebniß muß, um das vorweg zu nehm«», dahin lauten, daß di« Erdolchung der Kaiserin Elisabeth alle Kennzeichen des anarchistischen Ge dankens der Propaganda der That trägt. Der Freiburger Nationalökonom Professor Adler betont in seiner Darstellung deS Anarchismus, daß letzterer nicht nur ein« selbstständige Theorie, sondern auch eine originelle Taktik entwickelt habe; gerade sie habe ihn so berüchtigt ge macht, gerade sie charakterisire ihn als dir extremste Partei der Weltgeschichte. Revolutionaire Bestrebungen mit grund sätzlicher Billigung der Attentate sind in der Geschichte öfter vorgekommen, wir erinnern nur an die „blanquistischen" Ver schwörungen in Frankreich und an dir „Unbedingten" unter den deutschen Burschenschaftern. Aber stets war da- Attentat nur empfohlen worden, um die hauptsächlichen Widersacher der revolutionairen Bewegung unschädlich zu machen. Der Anarchist Netschajew war der Erste, der Attentate, Putsche ,c., ganz abgesehen von jrn«m Zweck, ausschließlich zur Verbreitung der Idee des Anarchismus ins Werk zu setzen anrieth. Diese scheußliche Lehre wurde unter dem Namen „Propaganda der That" fast von der gesammten Anarchistenpartei der Welt angenommen. Netschajew ver kündet« u. a.: „Ohne unser Leben zu schonen, müssen wir mit «iner Reihe verwegener, ja übermüthiger Unternehmungen in daS Leben deS Volke« einbrechrn und ihm den Glauben an seine eigen« Macht einflößen, eS erwecken, vereinigen und zum Triumph seiner eigenen Sache hiusühren." Eine jede solche That, sagen di« Anarchisten, werd« bei dem heutigen Zeitungswesen binnen wenigrr Stunden in der ganzen Welt bekannt; man spreche in jeder Werkstatt, in jedem Wirthshause, in jeder Hütte darüber; die Gründe der That würden erwogen; man käme auf den Thäter und damit auf die Grundsätze zu sprechen, denen zu Liebe er die Handlung vollbracht. DaS sei eine Agitation, wie sie durch Reden und Schriftennimmermehrerzieltwerdrnkönnte. Besonder-energisch trat PaulBrousse,Mitglied der Föderation jurassienne, für diiPropagandaderTbatein; sein Blatt „Avant-garde" verherr lichte die Hödel und Nobiling und bedauerte nur, daß man immer zur unsicheren Pistole anstatt zu dem besser treffenden Dolche griff. Die socialistische Partei Italiens hat in den 70«r Jahren da« Princip der Propaganda durch die That ausdrücklich angenommen und eS an Thaten nicht fehlen lassen. Di« spanische Arbeiterpartei hat ebenfalls die Propaganda der That ausdrücklich proclamirt, desgleichen Fürst Krapotkin, dessen Programm fast sämmtliche franzö sische Anarchistengruppen annahmen. Die Pariser „Revolution sociale" reizte fast in jeder Nummer zu Attentaten an und gab ausführliche Rccept« zur Bereitung und Verwendung von Sprengstoffen. Ist «S nöthig, über den deutschen Anarchismus etwas zu sagen? Die Namen Johann Most und „Freiheit" sprechen Bände, e« ist bekannt, mit welchen bestialischen Mitteln der ehemalige socialdrmokratische Agitator Most der „EigenthumSbestie" beizukommen trachtete. In Oesterreich-Ungarn prüclamirte der Pester „Socialist" buchstäblich den „TerroriSmuS", und der Pester anarchistische „Radikal" gab wörtlich die Losung auS: „E- lebe die Bestialität!" Vergegenwärtigt man sich die im Vorstehenden skizzirte anarchistische Taktik, so drängt sich d«r Schluß atif, daß Nur daS Gehirn eine-Anarchisten die Ungeheuerliche That äuS- brüten, daß nur ein Anarchist eine harmlos«, alte, kranke Frau, die Niemand etwa- Zu Leid« gethan, auf offener Straße an Hellem Tage erdolchen konnte. Dem „Vorwärts" ist daS ohne Zweifel klarer als jedem Anderen. Nennt «k ttvtzbem das Attentat ein „unfaßbare- Verbrechen", da- Nur ein Wahnwitziger hab« begehen könne», so spricht au« Vieser geheuchelten UnkuNd« daS Bewußtsein Ver Schuld, welche die Socialdemolrati« auf sich labet, indem sie durch Verhetzung der Massen in Rede und Schrift zur Propaganda der That nicht minder anreizt als die anarchistische Taktik. Wir lassen nUtiNtebr die Nachrichten folgen, Welche über Vie in ihren Folgen jedenfalls weittragend« Blutthat bei uns im Laufe des Vormittag» elngetaufen sind: Die That des Airaechistea. * Genf, lik. September. tNitSfnhtlich,) Lie Kulleren Elisabeth weilte ttt Per Schwei, erst seit einigen Tucken Und dielt sich in EatiL ans. ÄtN Fkeitäg war sie nach Gens gekommen. Nachdem sie im strengsten Anrognit» ver Baronin Rothschild «inen Brsnch ckbgeltattet Patte, wollt» sie fick nach Eaux zlirückbcgebeitr das Gefolge war mit pcm »kpäck bereits abgekeist nnv die Kaiserin war imr noch ban einer Hofdame und einem Diener begleitet. Der Mörder hat in dem Verhör, wetcht» der «olizeieöMMissar Attbcrt mit ihm anstellte, schliesslich erklärt, er hab« seit -em Monat Mat in Lausanne gearbeitet «nt set nach Genf in der Hoffnung gekommen, den Prtnsen von vrlean» dort zu finden. Lieser fei aber bereit» abgereist gewesen, nnd da Lncchetti sah, Säst Jener nicht mehr zurückkomme» werde, so begab er sich nach Vota«, bei ilansann«, w» er sich aber nochmal» in seiner Hoffnung, den Prinzen »n treffen, getäuscht sah. Nunmehr kehrte er nach meist Wrack. Hier las er 1» den Blättern, daß sich die Kaiserin Elisabeth in der Stadt aushalte. La er dieselbe früher schon einmal in Pest gesehen hatte, kannte er sie n«d f»lg te ihr ktßerall Lerrillatsir. Henny Hurrah! lOj Roman von Ernst Elausen. Nachdruck verbot««. Er packte einen Aschenbecher und schleuderte denselben mit voller Wucht sich vor die Füße. „Verzeihen Sie! Aber irgendwo will der Mensch hin mit seiner Wuth!" „Das ist recht! Nicht wahr, das hat Ihnen wohlgethan?" meinte Uexhus ruhig. — Für einen Skeptiker, wie den Grafen, war das nur eine neue traurige Erfahrung mehr. — Wie würde dieser Axel noch zu leiden haben, ehe er das nöthige dicke Fell bekam, das man in der Welt braucht, und das allen Idealisten so grausam langsam wächst. „Ich wette", fuhr Axel fort — „daß meine Tante Ihnen darüber etwas gesagt hat!" „Nein, gewiß nicht! Das ist nun eine gute Seite an ihr! Sie klatscht nur inwendig, oder höchstens im engsten Familien kreise; Fremden gegenüber ist sie zu stolz! Uebrigens, wissen Sie, daß es Henny schlecht geht?" Axel war zu erregt, um auf dieses Thema einzugehen. Erst nach einigen Minuten sagte er verbissen: „Nicht schlechter wahrscheinlich, als sie es verdient." Uexhus schwieg, aber er war überzeugt, daß diese Aeußerung keiner allgemein moralischen Weltanschauung entsprang, sondern einem mehr persönlichen Gefühl, und daß es besser sei, den Sturm bei Sternfeld erst austoben zu lassen. Als er die Treppe hinunter kam, traf er in der Hausthür den alten Schuster Knüller. „Na, Meister Pfriem! wie gehtS?" Derselbe wandte ihm sein grauborstiges Gesicht zu; es war Sonnabend, und Meister Knüller ließ sich nur am Sonntag rasiren. Er lachte Uber das ganze Gesicht. Er hatte die Gewohnheit, allen Personen zuerst auf die Stiefel zu sehen, und die ersteren so von unten nach oben in Augenschein zu nehmen. „Die neuen Reitstiefel sitzen schön, Herr Graf, nicht wahr? Wie es mir geht? — Na, so gut vielleicht, wie ich eS verdiene." „Das kann nicht Feder von sich sagen!" „Stimmt schon, Herr Graf! Zum Beispiel denen dort oben!" Er deutete mit der Spitze seiner kurzen Arbeit-Pfeife die Treppe hinter sich hinauf. „Hut ab! sage ich, Herr Graf, vor den Herrschaften! Und das Fräulein! So eine soll mir Einer wieder zeigen. Na, ich möchte nicht mal, daß meine Tochter so den ganzen Tag Hinterm Ladentisch wie angenagelt säße. Es ist eine verrückte Welt! Nicht blos wegen der neumodischen Stiefel, Herr Graf!" „Was haben Sie denn nun wieder gegen die Stiefel?" fragte Uexhus lachend. „WaS da» betrifft, Herr Graf, so hat solch ein Schuster, wie ich, doch auch seine Empfindungen bei der Arbeit. Ein recht schaffener Stiefel muß passen, nicht zu viel und nicht zu wenig! Nun gucke man sich blos mal solch ein Ding an, wie ich es für den Herrn Lieutenant Seefried hab« machen müssen." Er langte in die Werkstatt und holte einen Lackstiefel heraus. „Hinten ist er ganz ordentlich; den Absatz lasse ich mir noch gefallen, aber nun hier vorne! Man sagt ja immer, daß die Menschheit so bannig klug sei heutzutage, und daß so viel studirt Und gearbeitet würde. Nun sehen Sie sich bloS mal so 'ne Stiefelspitze an, und dann so 'nen modernen Damenhut. Die Frauensmenschen wollen ja wohl jetzt 'ne ganz neue Rolle spielen in der Welt! Mit die Hüte? So lange hat das keine Noth. Es muß Eine doch mächtig wenig in 'n Koppe haben, wenn ste solch «in Ding darauf sehen kann." „Na, Knüller, wegen der spitzen Stiefel und großen Hüte, wenn e« weiter nicht« wäre", unterbrach ihn Graf Uexhus lachend. „Weiß nicht, Herr Graf. Da liegt auch Zukunftsmusike drinne. Die Welt ist verdreht, da- sage ich nun, und was meine Alte ist —" „Gute Nacht, Herr Knüller!" Uexkus machte, daß er fortkam; er kannte diesen Leder philosophen, der au« dem Hundertsten in« Tausendste schwatzte und immer mit dem Schimpfen über moderne Gewerbefreiheit und mit seinem Gesellenärger endete! — Axel theilte seiner Schwester nicht» von dieser Unterredung zwischen dem Grafen Uexhu» und ihm mit, und sie fragte auch gar nicht nach dem Grunde von dessen seltenen Besuchen. — Sie, das Mädchen, fühlte, ohne sich auszusprechen, den wahren Grund heraus, und sie wollte Axel schonen. — Lrüxen» hatten die beiden Sternfeld- zum Abendessen ge beten, was ihnen Axel in Anbetracht des gespannten Verhält nisses zur alten Tressing hoch anrechnete. Ernst Trüxen, der inzwischen Major geworden war, wollt« die beiden Geschwister eigentlich zu einer Gesellschaft mit Familien des Regiments einladen. Er hatte sich kürzlich ge ärgert über die hochnäsige Bemerkung einer Lieutenantsfrau in Bezug auf Hedwig's Berufswahl. Bei Trüxen kam der vor nehme Mensch immer wieder durch, trotz der Geldsorgen und der Angst um seinen Beruf und seine iknlitairische Zukunft. „Diese Frau von Tresdorf, diese hochnäsige, alberne Prise! Was ist sie denn? Eine geborene Apel. Ihr Alter hat früher mit der Elle Hinterm Ladentisch gestanden, und wenn er nicht speculirt hätte, würde er nicht so rasch reich, Rentier und Villen besitzer geworden sein. Anständige Menschen werden überhaupt nicht reich. Nein, nun laden wir Sternfelds erst recht ein!" Seine Frau saß auf dem Sopha und polirte das gute Silber zeug für die Gesellschaft. „Ich finde cs sehr unklug, Stcrnfelds zu dieser Gesellschaft zu bitten. Besonders Hedwig setzen wir dadurch nur Demüthigun- gen aus!" „Was, hier in meinem Hause — das sollt« Einer wagen", brauste Trüxen auf. Er stand in Hausschuhen am Ofen, und hielt abwechselnd einen der Füße gegen die warmen Kacheln. Am Vormittag war Besichtigung d«r alten Mannschaft im Ge lände gewesen. . „Wir haben doch den Ob«rst eingeladen", fuhr Louise fort und drehte den silbernen Suppenlöffel aus, „und gerade er äußerte kürzlich, wenn Menschen mit ihrer Berufswahl aus ihren Kreisen herausträten, einerlei ob Noth oder freier Wille «sie dazu zwänge, so müßten sie auch die Consequenzen tragen, be sonders in Bezug auf ihre gesellschaftliche Stellung. Erinnerst Du Dich noch, Ernst?" „Na ja, was denn? Was gehen mich des Obersten Weltan- schauungen an? Seine Dienstanschauungen, gut, ja, denen muß ich mich fügen, aber sonst — da» fehlte auch noch!" „Lieber Ernst, der Oberst that diese Aeußerung, weil Lieute nant Weller seine beiden Schwestern zum Casinoball einladen wollt«. Diese beiden Schwestern haben rin kleines Posamenten geschäft auf der Wrangelstraße angefangen." „Weiß' wohl", knurrte Trüxen, „und wenn ich nicht irre, geben sie dem Bruder so viel Zuschuß, daß er Offiner sein kann." „Dann hätte er eben nicht Lieutenant werden sollen!" „So, weshalb denn nicht! Sein Vater war Amtsrichter, und er selbst ist «in netter, brauchbarer Mensch. Auf die Se- schichte hin mit dem Castnoball hat er um seine Versetzung nach gesucht und die Schwestern stehen nun ganz allein!" „Ich finde, daß der Oberst recht hat", fuhr Louise unbeirrt fort, und zählte die silbernen Gabeln noch einmal durch, „ein Mädchen, das ums tägliche Brod arbeitet, noch dazu in einem öffentlichen Geschäft, gehört nicht in die Gesellschaften unserer Kreise, und gerade Ihr, die Männer, seid Vie Ersten, die es solch einem Mädchen fühlen lassen. Wir würden SternfeldS und uns einen schlechten Dienst erweisen!" Damit stand sie auf und ging hinaus. Trüxen blickt ihr nach. Ja, er hatte daneben gestanden, alZ der Oberst damals die Bemerkung machte, und — hatte geschwiegen. Louise fing in der letzten Zeit an, viel energischer zu werden, und zwar seitdem ihn Zukunftssorgen drückten, seitdem er Demütigungen auch im Dienst verbissen schweigend hinnahm, aus Besorgniß, durch Opposition sich unliebsam zu machen. Herr Gott, wie hatte sie früher zu ihm aufgesehen! Er war der vornehmste und beste von allen Männern, so lange sie seinen Trotz und sein Selbst- ständigkeitsgefiihl durch Zureden mildern mußte. Das war ganz unbemerkt so geworden und er gab sich auch keine Rechenschaft darüber, sondern hatte nur das unklare Ge fühl, daß seine Frau in dem soeben stattgefundenen Gespräch den Sieg davon getragen, die Ueberlegxnbeit gezeigt hatte, die immer das Vorurtheil über die einfachsten, vornehmsten Re gungen hat. Ja, ja, es war doch wohl zartfühlender, Sternfelds nicht in unangenehme Lagen zu bringen. „Ich werde Axel und Hedwig heute Abend allein zum Thee bitten!" rief er zur Thür hinaus. „Das ist mir ganz recht, Ernst. Ich habe noch kalten Kalbs braten von gestern Mittag!" kam die Antwort au» der Küche zurück. Axel holte Hedwig am Abend ab, da» heißt, er wartete vor dem Geschäft, bis sie herauskäme. Sie war als Eaffirerin stets die Letzte, die den Laden verließ. Die anderen Mädchen hefteten, wie sie eine nach der anderen auf die Straße traten, einen scharfen musternden Blick auf Axel. „'s ist ihr Bruder!" hört- er eine zur Anderen im Fortgehen sagen, und aus dem Tonfall der Stimme klang eine Art von Enttäuschung heraus. „'n Tag, Sternfeld", sagte Jemand hinter ihm, „auf wen wartest Du denn, oder darf man darnach nicht fragen?" Der diese Frage stellte, war der Lieutenant Seefried, im langen, grauen Mantel mit dem Helm auf dem Kopfe. „Auf mein« Schwester!" «rwid«rt« Ax«l und L^ert« sich .
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite