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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.10.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981004022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898100402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898100402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-04
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Reklamen unter dem Redactionsstrich (4a«» spalten) 50-iZ, vor den Familiennachrichteu (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. Srtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderunx 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Wrrgr n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzkz, 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. Oktober. Auf dem socialdemokratischcn Parteitage in Stuttgart hat gestern der Abg. Liebknecht in seiner Begrüßungsrede u. A. gesagt, man Hetze mit dem rothen Gespenst aus Anlaß der gänzlich unpolitischen Mordthat in Genf; Social demokratie und Anarchismus seien aber Antipoden; der Anarchismus sei daS Kind des Capitalismus. Kurz vor dem Zusammentritte des Parteitags hatte aber das Organ deS Herrn Liebknecht, der „Vorwärts", in einem den Tag begrüßenden Artikel wörtlich gesagt: „Mit einer Grausamkeit, die in der modernen Geschichte kein Seitenstück hat, wurde die von den Arbeitern aller Länder freudig begrüßte Commune.Erhebung des französischen Proletariats unterdrückt, der Gedanke der internationalen Solidarität war aber den Arbeitern aller Länder schon in Fleisch und Blut übergegangen, nnd im Blutbad der Commune wurde die internationale Socialdemokratie nicht, wie die internationale Reaktion gehofft hatte, ertränkt, sondern, dem jungen Held Siegfried gleich, zur UnüberwinLlichkeit gekräftigt." Nun ist es weltbekannt, daß die Pariser Conimnnards eine Rotte von Mördern, Mordbrennern und sonstigem Aus wurf der Menschheit waren; ihre Verbrechen, an die erst kürz lich wieder auf Grund unanfechtbarer Zeugenaussagen erinnert worden ist, stellen sie auf völlig gleiche Stufe mit den Anarchisten. Wenn nun das „Centralorgan" der deutschen Socialdemokratie, das Blatt des Herrn Liebknecht, die Commune-Erhebung verherrlicht, so straft es den Redner Liebknecht Lügen, der Socialdemokratie und Anarchismus Antipoden nennt. Die in Stuttgart versammelten Hörer des alten Parteiführers haben auch sicherlich den Widerspruch zwischen feiner Behauptung und der Commune-Verherrlichung seines Blattes herausgefunden. Aber sie sind schon zu sehr daran gewöhnt, in einem Alhem anarchistische Mordbuben zu ver herrlichen nnd den Vorwurf der innigsten Verwandtschaft mit den Anarchisten als schändliche Verleumdung im Brusttöne tiefster Ucberzeugung abzuleugnen, als daß sie an diesem Widerspruche Anstoß hätten nehmen können. Sie halten es für eine kluge Taktik, jetzt zu verleugnen, was sie eine Minute vorher gepriesen haben, und hoffen mit Hilfe dieser Tactik ihrem Ziele Schritt für Schritt näher zu kommen. Sie können aber mit dieser Taktik eine recht trübe Erfahrung machen. Gleich in der Eröffnungssitzung zeigte die Wahl Singer's zum Präsidenten, daß auch in den Reihen der „Genossen" Unzufriedenheit mit einzelnen Führern herrscht, über deren „Terrorismus" man sich bitter beklagt. Ist es nun so ganz unwahrscheinlich, daß einmal in einem der unklaren Köpfe, deren es nach dem Eingeständniß der Führer trotz der socialdemokratischen Arbeiterbildungöschulen auch unter den „Genossen" giebt, das Verherrlichen der zu Zeiten verleugneten „Männer der Thal" Unheil stiftet und ihn glauben läßt, eine der Verherrlichung werthe Thal zu thun, wenn er zur That gegen eine Größe schreitet, die nach seiner Meinung die glorreiche socialdemokratische Sacke schädigt? In solchem Falle würde Herr Liebknecht den Thäter dem Capitalismus jedenfalls nicht an die Rockschöße hängen können. DaS taktische Spielen mit dem Anarchismus ist daher ein sehr zweischneidiges Ding. Wir wünschen Herrn Liebknecht aufrichtig, daß er das nicht an sich selbst oder an einem seiner Freunde erfährt. Die im heutigen Morgenblatte mitgetheilte und besprochene Verfügung des preußischen Ministers des Innern wegen deS WasfcngcbrauchS Vcr Polizei hat in der liberalen Presse fast durchweg Befremden erregt, ebenso bei der kleri kalen „Germania". Dagegen findet ein „unparteiisches Blatt": der Zusatz zu älteren Bestimmungen, welcher „Schreckschüsse" verbiete, sei sehr verständig, da „Schreckschüsse nur Len die Massen ermuthigcndeu Eindruck Hervorrufen, als fehle eö den behördlichen Organen an der Entschlußkraft, von den Waffen einen wirkungsvollen Gebrauch zu machen." Und die frei- conservative „Post", welche derselben Ansicht ist, behauptet sogar, daß die Verfügung des Ministers heilsam wirken werde; wenn nur scharf cingehauen und nur scharf geschossen werden dürfe, dann werde die Polizei „naturgemäß aus Las Sorg samste und Pflichtmäßigste prüfen, ob der Wasfengebrauch wirklich notbwendig ist, und nur in solchen Fällen, wo zu der Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung kein anderes Mittel mehr wirksam ist, wird zu dem Waffengebrauch geschritten werden." Die „Nat.-Ztg." führt dagegen aus: „In der That? Wie aber, wenn die Dinge derart liegen, daß ein energisches Dreinschlagen mit der stachen Klinge genügen würde, während zum scharfen Einhanen oder Schießen keine Nothwendigkeit vorhanden scheint? Dann würde nach der scharfsinnigen Ausein andersetzung der „Post" die „heilsame" Wirkung der ministeriellen Verfügung sein, daß — gar nichts Wirksames zur rechten Zeit geschehen würde. Die Behauptung von der steten Wirkungslosigkeit von „Schreckschüssen" beruht auf der Vorstellung, daß ein tuuiul- tuirender Bolkshaufen unter allen Umständen aus den gcwalt- thätigsten Elementen bestehe. Dies braucht aber keineswegs immer der Fall zu sein; eine über die Köpfe der Leute abgegebene Salve veranlaßt sie unter Umständen zu eiliger Flucht, ohne daß sie sich erst umsehen, ob es Ernst war, ob Todte und Verwundete auf dem Platze geblieben. Zeigt sich aber, Laß man es mit Elementen zu thun hat, auf die nur solcher bitterer Ernst Eindruck macht, so sind im schlimmsten Fall zwei Minuten verloren worden. Kein Verständiger wird behaupten, daß die Sachlage bei Ruhe störungen niemals das sofortige scharfe Eiuhauen oder sofortige scharfe Schließen erfordern könne. Was uns an der Verfügung des Ministers von der Recke höchst gefährlich erscheint und nach unserer Meinung die nachdrücklichste Mißbilligung herausfordert, ist die darin unternommene Beschränkung des eigenen pflichtmäßigen Ermessens derjenigen Beamten, welche in der Lage sind, die Erfordernisse des einzelnen Falles zu beurtheilen. Es ist nothwcndig, daß der einzelne Executiv- und daß der höhere Polizei-Beamte ans Schutz durch die Vorgesetzten rechnen könne, wenn er nach seiner pflichtmäßigen Ueberzeugung gegen Tumultuanten zu den schärfsten Mitteln gc- griffen hat; der Schutz muß ihm in diesem Falle auch dann zu Theil werden, wenn über die Unvermeidlichkeit der Anwendung äußerster Mittel verschiedene Meinungen möglich sind, denn hinterher läßt sich zwischen solchen fast niemals mit Sicherheit entscheiden. Aber die Verfügung des Ministers von der Necke hat einen ganz anderen Zweck, als den, die Polizei dieses Schutzes zu versichern; sie bezweckt eine Beschränkung des eigenen Urtheils derselben, und diese kann verhängnißvolle Folgen nach sich ziehen." Uebrigens sind auch diejenigen Blätter, die den Erlaß an sich billigen, der Ansicht, daß es nicht dem Zufall hätte über lassen bleiben dürfen, ob die Bevölkerung Preußens über den Willen des Herrn v. der Recke aufgeklärt werden würde oder nicht. Selbst die „Kreuzztg." meint, cs liege im Interesse der gesammlen Bevölkerung, wenn bei Zeiten in voller Oessen tlichkcit darüber Klarheit verbreitet werde, daß die Staatsgewalt den festen Willen habe, allen Absichten, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu stören, streng und ent schieden eutgegenzutreten. In Sachen des Ücntsch-cuglischcn Vertrags wird den „Bcrl. N. N." aus Pretoria telegraphier: „Es ist hierher gemeldet worden, daß die Londoner „Daily NewS" eine CorrcsponLcnz veröffentlichte», wonach dem Gesandten I)r. Leyds jüngst in Berlin ein sehr kühler Empfang zu Theil geworden sei, was den Agitationen in der deutschen Presse gegen den deutsch-englischen Vertrag zugcschrieben wird, von welchen Agitationen man glaubt, Latz sie von der T r a n s v a a l c r Negierung unterstützt würden. In einer Besprechung dieser Meldung sagt die „Volksstem", daß die freundliche Haltung eines großen Theiles der deutschen Presse gegenüber Transvaal in Pretoria hoch gewürdigt wird, daß aber I)r. Leyds vollständig im Recht war, wenn er bestritt, daß jemals irgend eine Agitation in der deutschen Presse von hier unterstützt worden ist oder unterstützt werden wird, zumal La kein Grund bekannt ist, warum die deutsche Regierung von ihrer gegenwärtigen afrikanischen Politik abgchen sollte, und keine Besorg n iß im Transvaal besteht, daß der deutsch-englische Vertrag den Interessen der Afri kander schädlich sei, auch hier kein Verlangen danach ist, mit der eurpäischen Politik aneinander zu gerathen." Wir erwähnen noch, daß, während ziemlich allgemein in der deutschen Presse der Bericht der „Daily News" über den frostigen Empfang des Herrn I)r. Leyds in Berlin als im Wesentlichen richtig angenommen wurde, die „Rhcin.- Wcstf. Ztg.", welche auch Verbindungen mit dem Trans- vaal'schen Gesandten haben dürfte, schreibt: „Nach Erkundigung an zuständigster Stelle wird uns diese Mitlheiluug des Londoncr Blattes als vollständig ersunden bezeichnet." Vorläufig muß also die Empfangsangelegenheit in ckul-io bleiben. Wenn übrigens die Trausvaaler „Volksstem", welche stets die Sache der Holländer gegen die Engländer vertreten bat, sich wegen des Erwerbes der Delagoabai durck Großbritannien durchaus nicht besorgt so mag sie das mit'sich aus- macken. Den deutschen Interessen ist es jedenfalls im höchsten Grade abträglich, wenn Transvaal — und daS ist unausbleiblich, mag die „Volksstem" noch so sehr auf die sicher treffenden Büchsen der Bocren zählen — seine nationale Selbstständigkeit verliert und von England ausgcsvgcn wird, sobald die Delagoabai iu dessen Händen ist. Wir schwärmen durchaus nicht für die Boeren und wissen wohl, daß die Gewehre der niederländischen Bauern gegeben- falls schwerlick für deutsche Interessen loSgchen werden, aber die Erhaltung der Transvaal-Republik als selbst ständigen Staates entspricht unseren Interessen. Für uns kann cs nicht gleichgiltig sein, wenn das stolze Wort Cecil Rhodeö': „Vom Cap bis Kairo" zur Wahrheit wird. Im Jahre 1894 hatte bereits Lord Kimberley mit dem Congvstaat einen Vertrag geschlossen, nach welchem dieser ein willigte, Großbritannien einen von dem nördlichen Ende des Tanganyika-Sees bis zur Schutzherrschaft Uganda laufenden Streifen Landes abzutrelen. Hiergegen erhob indessen Deutsch land einen nachdrücklichen Einspruch, gestützt darauf, daß der Congvstaat nach vertraglicher Verpflichtung der unmittelbare Nachbar Deutsch-OstafrikaS bleiben müsse. Also selbst Graf Caprivi, dem man doch keine Anglophobie nachsagen kann, suckle die englische Nachbarschaft im Innern Afrikas Deutsch land sehr energisch vom Halse zu halten. Die „Times" beeilen sich, die Meldung, daß gleichzeitig mit Kaiser Wtlhcnr der KhcSive in Konstantinopel anweseno sein werde, dahin zu commentiren, daß aus der Thatsache dieser gleichzeitigen Anwesenheit keinerlei politische Schlußfolgerungen gezogen werden dürften. Der Berliner Korrespondent des englischen Blattes versichert, aus bester Quelle zu wissen, daß kein Anlaß vorhanden sei, aus dem man etwa von irgend welcher Seite hoffen dürfe, aus dieser Zusammenkunft politisck-es Capital zu schlagen. Mit der „irgend welchen Seite" ist wohl in erster Reihe der Khedive selbst gemeint, der das Joch der englischen Okkupation bekanntlich höchst ungern trägt und sich allerdings möglicherweise der Hoffnung hingiebt, dec mächtige deutsche Kaiser würde sich der Befreiung Egyptens wohl geneigt erweisen. Darin aber dürfte er sich — und man kann darin der Erwartung des „Times"-Correspondenten zustimmen — täuschen, denn man weiß in Deutschland sehr gut, daß das Ende der englischen Herrschaft in Egypten nicht die Erfüllung des Losungswortes: „Egypten für die Egypter", sondern die Präpotenz Frankreichs bedeuten würde. Mit der Zuziehung des Khedive zu dem Kaiserbesuche in Konstantinopel verfolgt dec Sultan wohl keinen anderen Zweck, als daß der deutsche Kaiser, der vielleicht auf seiner Reise noch einen kurzen Abstecher nach Egypten macht, den Khedive erst unter dem Schatten der Fahne des Propheten sehen soll, bevor er ihn als eine an englischen Drähten gezogene Puppe zu sehen bekommt. Die Anwesenheit des Khedive hat also einen mehr dekorativen Zweck, indem da durch die Macht des Sultans zum Ausdruck gebracht werden soll. Damit ist aber nicht gesagt, daß die Zusammenkunft zwischen dem deutschen Kaiser und dem Khedive nicht die Wirkung haben könnte, die deutschen Handelsinterrssen in Egypten zu fördern. Außerdem kann es ja auch, wenn nicht für jetzt, so doch für die Zukunft von Vortheil sein, wenn Deutsch land einen gewissen politischen Einfluß in Egypten erlangt und gelegentlich England darauf aufmerksam machen kann, daß es auch einmal von diesem Einflüsse gegen England Gebrauch machen könnte. In der ^reyfnS-Sache theilt der Pariser „Matin" auS der Feder Strong's weitere Enthüllungen mit, die Esterhazy diesem gemacht hat. Esterhazy bestätigte, daß der Unlersuckungsrichter Bertulus über die gegen Picquart verübten Fälschungen zu den richtigen Schlüffen kam, aber die Negierung habe einen Druck auf die Anklagekammer ausgeübt, um das Verfahren einzustellen und die Anklage kammer habe diesem Drucke nachgegeben. Der Grund war, daß die ganze Verdächligungsaction gegen Picquart auf Befehl des Generalstabs eingeleitet worden war. Gleichzeitig, während du Paty de Clam Depeschen fälschte, um Picauart als Mitglied des „Verschwörer - Syndikats" hinzustellen, erging eine Anweisung an die Post, die Correspondenz Picquart's zu sistiren. Diese Anweisung mußte von einer hohen Autorität gezeichnet werden. Esterhazy war von An fang an der Mann des Generalstabs. Cavaignac habe ibn durch die Dienstentlassung abschütteln wollen; aber er sei eine Kampfnatur und entschlossen, sein Leben möglichst theuer zu verkaufen; deSbalb habe Esterhazy auch seinen letzten Be richt an das Kriegsgericht begonnen mit den Worten: „Ich bin der Mann des Generalstabs", und er habe viel Feuilleton. . »- a - «--- -- Die kleine Lulu. 2j Seeroman von Clark Russell. Mchdruck verboten. Erschrocken über meine Worte und Haltung, prallte Lickwater zurück, stieß dabei an Linen hinter ihm stehenden Kohlenbehälter und stürzte über diesen. Im Fallen faßte er das Kleid von Mrs. Chadburn, so daß diese rücklings gegen das Feuergatter taumelte und alle Kamingeräthe umwarf. — Es war ein Höllen spektakel, — er fluchte und wetterte so schön, wie ich es nur je auf einem Schiffe gehört hatte, und sie schrie Zeter und Mord, was sie nur schreien konnte. Das ließ mich nun ziemlich kalt, da ich mein Herz erleichtert und Alles gesagt hatte, was ich hatte sagen wollen, ging ich mit einem herzhaften Seemannssegen hinaus, nahm meine Kiste, trat auf die Straße und schlug die Thür hinter mir mit einem solchen Krach zu, daß es dröhnte wie ein Kanonenschuß. Einige Augenblicke wartete ich noch, um zu sehen, ob Mr. Lickwater etwa Lust verspürte, mir zu folgen, da ich aber ver geblich harrte, winkte ich einem Träger in einer weißen Blouse, der auf der anderen Seite der Straße ging, übergab ihm meine Kiste und schritt ihm voran nach dem Gasthaus zum „Weißen Hirsch", dessen Besitzer mir von früher her gut bekannt war. Der Wirth vom „Weihen Hirsch" war ein achtbarer junger Mann mit guten Verbindungen in der Stadt und Besitzer einer Dacht von fünf Tonnen, in welcher ich oft mit ihm eine Kreuzfahrt in der Bay gemacht hatte. Wir kannten einander sehr genau, und als er mich die Stufen zum Gasthaus hinaufsteigen sah, kam er mir entgegen und bewillkommnete mich so herzlich, daß ich darüber den Empfang bei meiner Stiefmutter beinahe vergaß. Sein Name war Transom. Er hatte gerade augenblicklich viel zu thun, wie er mir sagte, wollte sich aber, sobald er fertig sei, zu mir setzen und erzählen, was sich die beiden letzten Jahre in der Stadt zugetragrn habe. Inzwischen gab er mir in freundschaftlicher Weise zu verstehen, daß ein saftiges Stuck geschmortes Rindfleisch im Hause wäre und ich gute Bedienung bei den Kellnern finden würde. Ich ging zuerst auf das mir angewiesene Zimmer, machte mich etwas sauber und begab mich dann wieder hinunter. Da ich mich in einer Stimmung befand, in welcher man am liebsten allein ist, war es mir sehr angenehm, das Gastzimmer leer zu finden. Das tief herunterreichende Bogenfenster dieses Zimmers gestattete einen weiten Blick über den Hafen und die hinter ihm sich ausbreitende See. Es lag eine ganze Anzahl Schiffe ver schiedener Größe und Takelung vor Anker, darunter auch einige Schraubendampfer und Flußfahrzeuge. Eine Menge Menschen strömte bei dem Fenster vorbei und am Hafendamm entlang, wo ein« Negergesellschaft einen dichten Haufen von Matrosen und Mädchen mit ihren Liedern entzückte. Auch Flöten, Geigen und Harmonikas erklangen; die leichte Seebrise trug die Töne vom Hafen aus herüber, zuweilen vermischt mit dem Chorgesang der Matrosen beim Ueberholrn der Kabel. Ich fühlte mich sehr niedergeschlagen; die fröhliche Menge und die Musik diente nur dazu, meine Traurigkeit zu verschärfen. Ich saß und dachte an meinen Vater: woran er wohl gestorben sein mochte, ob er während feiner Krankheit eine gute Pflege gehabt haben möge, wie er dazu gekommen sei, diese Frau zu heirathen, und was sie vorher gewesen sein möge. Diesen trüben Gedanken wurde ich durch Transom entrissen, welcher kam, mich einzuladen, auf seinem Zimmer eine Pfeife mit ihm zu rauchen und ein Glas zu trinken. Ich nahm diese Einladung freudig an, folgte ihm und setzte mich in der behaglich eingerichteten Stube an ein offenes Fenster, welches auf einen wohlgepflegten Garten blicken und den Duft von Rosen und Gaisblatt hereinströmen ließ. Nachdem wir zunächsiüber Dieses und Jenes geplaudert hatten, erzählte mir Transom die Geschichte von meines Vaters Heirath. „Ich weiß mehr davon, als irgend ein Anderer in der Stadt", sagte er, „und das kam so: Nachdem Sie abgesegelt waren, kam Ihr Vater oft hierher, saß ganz allein, rauchte und trank sein Glas; es war im Winter, wo wenig Gäste verkehrten. Eines Abends rauchten wir wieder eine Pfeife zusammen, da sagte er: „Transom, haben Sie in der Kirche wohl zufällig einmal zu mir herübergefehen?" „O ja, das kam wohl öfter vor." Haben Sie dabei manchmal eine Dame nebm mir bemerkt?" „Ja, Mistreß Parson." „Ganz recht", sagte er, mich sonderbar ansehend und dabei ein Auge zukneifrnd. „Ist sie nicht eine Schneiderin?" fragte ich. „Gewiß, und wa« für eine!" entgegnete er. „Ich sage Ihnen, mein Junge, sie versteht es, eine Weste zu wenden und einen Rücken einzusetzen, so fest, daß der stärkste Mann nicht im Stande ist, eine Naht zu platzen; sie arbeitet besser als irgend ein Schneider. Neulich verehrte sie mir eine Weste; das war doch freundlich von ihr, nicht wahr?" „Als er dies gesagt hatte, blinzelte und zwinkerte er so schlau mit -den Augen, daß ich lachen mußte. Er stimmte ein und zwar so herzlich, daß ihm die Thränen über die Backen liefen und er sich am Tabakrauch so verschluckte, daß er einen ordent lichen Krampfanfall von Husten bekam. Als dieser vorüber war, fragte er mich, während ihm immer noch die Thränen herunter liefen, was ich von Mrs. Parson hielte. Ich erwiderte, daß ich nichts von ihr wüßte. „Sie finden sie vielleicht nicht schön — aber das ist Geschmack fache", meinte er. „Was man von gutem Wein sagt, das sage ich von ihr — sie hat Fülle. Von Jugend auf habe ich schon eine besondere Vorliebe für starte Frauen gehabt." Ich schwieg, um zu sehen, wo er eigentlich hinaus wolle, und nachdem er eine Weile still vor sich hin gedampft hatte, wandte er gedankenvoll seine Augen auf mich und fragte: „Was meinen Sie, wenn ich sie heirathete?" Mich verblüffte im Augenblick di« Frage; dann aber ant wortete ich, das ginge mir nichts an, — „um Ihretwillen aber sollte es mir leid thun, denn Sie würden sich sicherlich nicht freuen, eine Schneiderin zur Stiefmutter zu erhalten." „Das ist es eben", sagte cr, „Jack würde es nicht gern sehen." „Ich kann mir auch gar nicht denken, daß Sie im Ernst sprechen, Mr. Chadburn", sagte ich. „Das thue ich aber", erwiderte er, „und ich möchte gern Rach hoben. Sehen Sie, sie scheint mich wirklich sehr lieb zu haben, und ich habe es, weiß Gott, schrecklich langweilig zu Hause, wenn Jack fort ist, und er ist immer fort. Wahrhaftig, Sie würden mir einen Gefallen thun, Mr. Transom, wenn Sie mir ganz offen Ihre Ansicht aussprechen wollten; ich würde gern hören, was Sie denken; denn Sie sind ein einsichtsvoller junger Mann." „Gut", entgegnet« ich, „wenn Sie es nicht anders haben wollen, — ehrlich gesprochen, würde ich an Ihrer Stelle Wittwer bleiben." Das sagte ich, weil ich an sie dacht«, obgleich ich überzeugt war, daß er sich sehr ärgern würde. Um so überraschter war ich daher, als er aufsprang, mir warm die Hand schüttelte und versicherte, daß er ganz meiner Meinung sei, denn er müsse sich doch eigentlich sagen, daß Mrs. Parson ihn wohl nur der Vortheil« wegen haben wolle, die sie durch ihn zu erlangen hoffe, und es schließlich auch lächerlich sei, wenn rin so alter Mann, wie er, noch einmal heirathen wolle. — Nachdem er noch einige Zeit in dieser Weise ge sprochen und dabei dem Weibe häßliche Namen gegeben hatte, ging er weg. Ich freute mich um ihretwillen, daß ihr Vater seine tolle Idee aufgegeben hatte; einige Tage nach diesem Gespräche aber — ich denke, ich soll aus den Wolken fallen — erzählt mir der alte Kirchstuhlschließer Tarns, daß Ihr Vater schon seit acht Tagen mit der Frau verheirathet ist." „Und wie ist die Ehe ausgefallen?" fragte ich nach einer Weile des Stillschweigens. „Na, soviel ich gehört habe", erwiderte Transom, „hat sich die Frau ziemlich gut benommen, obwohl einmal das Gerede ging, daß sie die Gesellschaft eins Mannes, Namens Lickwater, eines kleinen Schulmeisters, sehr gern habe, und ihn öfter zum Thee lüde, als ihrem Vater angenehm wäre. Aber'', fuhr er fort, „obgleich Ihr Vater noch öfter zu einem stillen Rauchstündchen hierher kam, hörte ich ihn doch nie über seine Frau klagen, oder Lickwater's Namen nennen, und deshalb glaube ich wirklich; daß er es ganz gut hatte. Freilich, alle seine Freunde haben nie be greifen können, wie ein alter Herr, Ihr Vater solches Gefallen an einer gewöhnlichen, ungebildeten Schneiderin finden tonnte." Dies war Alles, was ich über meinen Vater, seine Ver heirathung und seinen Tod erfuhr, und im Grunde genommen ja auch Alles, was ich zu wissen nöthig hatte. Mein gutmüthiger Freund leitete dann die Unterhaltung auf andere Dinge und erzählte mir von den Veränderungen, die in Bayport während meiner Abwesenheit stattgefunden hatten. Lischcn Harris, ein reizendes, kleines brünettes Mädchen, in die ich einst sterblich verliebt war, hatte den alten Corkendale, den Weinhändler, geheirathet. Frank Hawkins, ein Cassirer an der Bank, war mit fünfhundert Pfund durchgcbrannt, hatte in der Schweiz versucht, sich den Hals abzuschneiden, und trug jetzt einen geschorenen Kopf in einem Zuchthause. Der junge Dick Swift, eine betrunkene Vogelscheuche, war zu einer Rente von zweitausend Pfund im Jahr gekommen und hatte in eine alte adlige Familie geheirathet. Einer war todt, Einer bankrott. Einer in Californiem, Einer lag im Ehescheidungsproceß rc. Solche Veränderungen binnen zweier kurzer Jahre, es war kaum zu glauben. Der kleine Jenkinson, das frischeste, heiterste Geschöpf, dem ich eine Lebensdauer von hundert Jahren prophezeit hätte, war an Diphtheritis gestorben; dagegen war der alte Samuel Gorman noch am Leben, welcher zweiundneunzig Jahre zählt«, als ich weg ging, und dessen Tod schon damals stündlich von den Vätern der Stadt erhofft wurde, weil er auf öffentliche Kosten lebte und ganz
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