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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.10.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981005012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898100501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898100501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-05
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Am besten gebt man zunächst von der Thatsache auS^ daß der natürliche Beruf deS weiblichen Geschlechts aller dings der mütterliche und häusliche ist. „Die Frau gehört" — wenigstens in erster Linie — „ins HauS." Aber „nicht jedes Häfele findt sei Deckele", wie unsere Erzgebirger sagen, d. h. nicht alle Mädchen verheirathen sich; und wenn sich auch alle verheiratheten, so würde das gar kein wünschenswerther Zustand sein ; denn unsere vielgestaltige und verwickelte Eultur braucht weibliche Hilfskräfte, die nicht durch die Ehe gebunden sind, auf den allervcrschiedensten Gebieten mit mehr oder weniger Berechtigung, auf keinem mit größerer, als auf dem Gebiete der Erziehung. Früher, zur Zeit der sogenannten „geschlossenen HauSwirthschaft", wo noch jede Familie Alles, was sie brauchte, auch in sich selbst erzeugte, zu einer Zeit, wo sich auch die ganze Erziehungsarbeit im Hause abspielte, wo weiter nichts nöthig war, als daß die Mutter ihren Knaben lehrte, „Speere werfen und die Götter ehren", da war für Hilfskräfte in der Erziehung natürlich kein Bedarf. Aber die moderne Zeit mit ihrem rücksichtslosen, brutalen Kampfe umS Dasein hat daS Ideal der Mutter, die ihren Kindern die alleinige Erzieherin ist, die „die Mädchen lehret und den Knaben wehret", schonungslos zertrümmert; heutzu tage kommt fast keine Familie, selbst nicht die ärmste, mehr ohne fremde Hilfskräfte in der Erziehung aus, seien eS nun öffentliche Lehrer oder Lehrerinnen, Hauslehrer oder Gouver nanten, Kindergärtnerinnen, Kindermädchen rc. Und bei solcher Erziehungshilfe findet auch die Weiblichkeit ihren Platz — das ist ein Beruf, der ihr von Natur zukommt. ES sind gerade unsere größten Pädagogen, die von der grundlebenden Bedeutung einer Mitwirkung veS WeibeS an der Erziehung am tiefsten überzeugt sind: Comenius, Pestalozzi, Fröbel. DaS ist ohne Zweifel die Grundthatsache, von der bei Beurtheilung der ganzen Frage auSzugehen -ist: die Mit wirkung des WeibeS als Hilfskraft bei der Erziehung ist, gerade in der Gegenwart am allerwenigsten zu entbehren, und die Gesellschaft hat Veranstaltungen zu treffen, die es dem weiblichen Geschlechte ermöglichen, sich für den Erzirhung»- Leruf entsprechend vorzubrreiten. Wir werden uns daher auch nicht wundern, wenn sich Se. Excellenz der sächsische EultuSminister bei der Einweihung des neuen Lebrerinnen- seminarS zu Dresden sehr anerkennend über den Beruf der Lehrerin ausgesprochen hat. So stellt sich die Lage dar, wenn man sie betrachtet vom Standpunkte des gesellschaftlichen CulturbedürfnisseS auS; aber man kann sie auch ansehen vom Bedürfnisse de- In dividuum» aus. Hier liegt zunächst in dem in allen Cnlturländern zu beobachtenden und überall im Steigen begriffenen Bedürfniß gerade des besseren Theil» der Frauen nach einer Vertiefung und Verinnerlichung ihres Lebensinhalte», nach «inen» großen Ziele, an das sie sich hingeben können, eine Thatsache vor, die in der Richtung einer pädagogischen Ausbildung des weiblichen Geschlecht» sehr Wohl verwerthbar ist. ES ist nicht allemal nöthig, daß eine solche allgemeine Ausbildung mit pädagogischer Zuspitzung nun auch in daS Erzieberinnenamt auSmünbet; es ist für daS Mädchen schon ein großer Gewinn, wenn eS solche Studien auch nur als eine schöne freie Kunst betrieben, wenn eS durch sie seinen Geist überhaupt erweitert und veredelt hat; ein Lehrerinnenseminar behält seinen Werth auch, wenn man eS als eine bloße Bildungsstätte an sieht, wie jede andere Schule, nicht als eine Versorgungsanstalt, zu der übrigens blos eine falsche Auffassung es machen kann; denn die als Lehrerin geprüfte Seminaristin bekommt ja doch bei ihrem Abgänge vom Seminar nicht etwa so eine Art CivilversorgungSschcin ausgebändigt, wie der ausgediente Unterofsicier, wenn er inS bürgerliche Leben zurücktritt. Weil aber ein solches Seminar in erster Linie eine Stätte allge meiner Bildung ist, so ist die auf Aneignung dieser Bildung verwandte Arbeit auch dann nicht verloren, wenn ein junges Mädchen etwa heirathet, ohne sie in erzieherische Praxis umgesetzt zu haben oder vielleicht auch erst, nachdem es Lehrerin oder Erzieherin gewesen ist; denn sic hat auf alle Fälle dazu gedient, die Lebensauffassung des Mädchens zu erhöhen, und sie befähigt unter Umständen die nunmehrige Frau, die Entwickelung ihrer Kinder mit dem Verständniß der berufs mäßigen Erzieherin zu leiten. Aber jede Art Bildung ist nicht nur ein sittliches Gut an sich, sondern auch eine Waare mit Marklwerth und ein Mittel zum Fortkommen: so ist eS auch mit der Lebrerinnen- bildung. Und auch wenn man sie bloß unter diesem letzteren Gesichtspunkte betrachtet, hat sie ihren großen Werth; denn sie bietet eine der vielen Bildungsmöglichkeiten, für die die Gesellschaft zu sorgen hat, damit jedes Individuum in die Lage gesetzt werde, nach seiner Eigenart und Begabung einen ihm zusagenden Beruf zu ergreifen und sich auf diese Weise wirthschaftlich unabhängig zu machen. Diese wirthschaftliche Selbstständigkeit aber hat auch ihre moralische Bedeutung: mit dem wirthschaftlichen Halt geht gar oft auch der moralische verloren, insbesondere bei Frauen. Schon das Bewußtsein, sich durch irgend einen Beruf wirthschaftlich selbstständig in der Welt behaupten zu können, ist werthvoll für ein Mäd chen, auch wenn die Lage der Eltern derart ist, daß es daran nicht zu denken braucht. Aus diesem Grunde werden auch viele Mädchen auS den höheren Ständen Lehrerinnen. Daß der Sohn eines hohen Beamten ein Lehrerseminar besucht und einfacher Lehrer wird, kommt gar nicht vor; dagegen besuchen Töchter hoher Beamten nicht selten Lehrerinnen seminare und werden auch nicht selten einfache Lehrerinnen. Und r» ist social werthvoll, daß auch solche Elemente mit in den Lehrstand eingehen; sie vertreten Anschauungen, Er fahrungen und Traditionen, die auch ihr sehr BeachtenS- werlheS haben und die auS Kreisen herstammen, auö denen sich der Nachwuchs deS Volksschullehrerstandes für gewöhn- lich nicht zu ergänzen pflegt. Gerade Mädchen aus den höheren Ständen müßte diese Möglichkeit, sich zur Lehrerin auszubilden, besonder» liberal eröffnet werben, weil sie in der Wahl eines Berufe» oft viel schimmer daran sind, als Mädchen aus dem Bürgerstande, und sogar noch weit schlimmer, als Mädchen au« dem Arbeiterstande. Diese gehen in die Fabrik oder sie werden Dienstmädchen; das Mädchen aus dem Bürgerstande besucht, wenn eS sich speciell für die HauSwirthschaft ausbilden will, eine Haushaltungs schule, will es sich für einen Zweig des Handels oder Ge werbes, als Kindergärtnerin rc. ausbilden, die städtische Fortbildugsschule für Mädchen, oder, falls eS bloß ein Ge werbe wählen will, die Mädchen-Gewerbeschule des Carola- vereins, hat es Anlagen zu einer kunstgewerblichen Technik, so sind dafür an verschiedenen Anstalten kunstgewerbliche Curse eingerichtet, hat es sich für den musikalischen Beruf entschieden, so geht es auf das Conservatorium rc. Aber eS giebt auch Mädchen, die sich für keinen dieser Berufe eignen — nicht etwa aus unberechtigtem Hochmuth, waS allerdings auch vorkommt, sondern aus körperlicher Ungeschicklichkeit oder sonstigen berechtigten Ursachen, die dagegen nach ihrer ganzen Charakteranlage und ihrer Intelligenz vorzüglich zur Lehrerin passen würden; für sie giebt eS hier keine Möglich keit der Ausbildung. Damit ist, denken wir, daS Bedürfniß für eine solcke Ausbildung nachgewiesen. Und dieses Be dürfniß ist schon jetzt großer, als man denkt, würde aber ohne Zweifel sich noch mehr entwickeln, wenn einmal erst ein Lehrerinnen-Seminar hier bestehen würde. Seither halfen sich die Eltern dadurch, daß sie ihre Töchter auf ein aus wärtiges Seminar schickten; allein das ist ein Nothbehelf und kein erwünschter Zustand; denn dann richtet sich der Zugang zum Lehrerinnenberuf und somit die Auslese aus den Bewerberinnen nicht immer blos nach der Tüchtigkeit, sondern unter Umständen doch auch nach der Größe des Geldbeutels. Und dann trägt doch auch Mancher Bedenken, seine Tochter in fremde Hände zu geben, namentlich in ein Internat. Die Nachtbeile der Internate für die jungen Männer sind schon oft genug beklagt worden; bei den Mädchen sind sie zum Theil nicht minder groß, wenn auch nach anderer Richtung. Wie man seine Kinder in die fremden Hände giebt, weiß man; wie man sie wieder zurückbekommt, weiß man nicht. Und dabei ist oft genug nicht einmal der Leitung deS Internats «in Vorwurf zu machen. Es ist also eine einfache Forderung der Gerechtigkeit, gerade für solche Mädchen, die sich dem Lrhrerberufe widmen wollen — und daS werden im Allgemeinen die schlechtesten nicht sein — besonders zu sorgen. So lange da- noch nicht geschieht, sind diejenigen Kreise, die — man muß hier geradezu sagen: das Unglück haben, für den Lehrerinnenberuf geeignete Töchter zu besitzen, im Allgemeinen schlimmee daran, als Eltern, die solche Töchter nicht haben. Es ist vorauS- zusehen, daß sie sich, wenn auch diesmal das Seminar ab gelehnt werden sollte, immer wieder regen und sich nicht eher zufrieden geben werden, als bis hier gerechte Abhilfe geschafft ist. Und auch unseren städtischen Behörden wäre es nicht zu verdenken, wenn sie im Falle der Ablehnung de» Seminar» die Sache noch ein drittes Mal den Stadtverordneten vor legen würden. E» soll dabei noch gar nicht weiter darauf eingegangen werden, waö man hier in Leipzig aufwendet, um den Knaben eine höhere ErwcrbSbildung zu vermitteln, und wa» man für die Mädchen »ach dieser Richtung aufwendet, obwohl die betreffenden Zahlen sehr lehrreich wären. Nun wendet man freilich ein, für Gelegenheiten zur Er werbung höherer Bildung zu sorgen sei Sache deS Staates. Der Staat seinerseits aber hat unterm 22. August 1876 ein Gesetz erlassen, das gleichmäßib für Gymnasien, Realschulen und Seminarien gilt, „gleichviel ob diese Anstalten Staats anstalten oder ob sie Gemeinde-, StiftungS- oder ständische Anstalten sind." Der Staat seinerseits beansprucht also keineswegs ein ausschließliches Recht zur Gründung von Seminaren, vielmehr hat sicherem Vernehmen nach die Regie rung durch ihren Decernenten erklären lassen, daß sie ein städtisches Seminar genehmigen werde, wenn die Stadt vom Staate keinen Zuschuß beanspruche. Schon vorher aber hatte sie erklärt, sie werde ein Lehrerinnenseminar als Staats anstalt in Leipzig nicht errichten. Darnach ist die Bahn für Leipzig selbst frei, und es fragt sich nun, welche Erwägungen den Gedanken der Gründung eines städtischen Lehrerinnen seminars zn empfehlen vermochten. Da kommt zunächst die Analogie mit anderen großen, bürgerstolzen, opferwilligen und leistungsfähigen Gemein wesen in Betracht. ES giebt Viele, die es als eine Art Selbstentwürdigung für das stolze Leipzig, die drittgrößte Stadt des Reiches, empfinden, wenn es gerade in dem Wett bewerbe um Bildungsanstalten hinter anderen Städten zurückstehen wolle. Und der Stachel dieses Gedankens wird noch dadurch verschärft, daß sogar eine größere Anzahl ganz mäßiger, weit weniger leistungsfähiger und weniger auf ihren Bürgersinn und ihre Bilbungsfreundlichkeit stolzer Mittelstädte Lehrerinnenseminare errichtet haben, z. Th. schon seit langer Zeit. Man hat freilich eingewendet, diese Seminare seien auf die höheren Töchterschulen der betreffen den Städte nur aufgesetzt worden, um dir höheren Töchter schulen selbst hallen zu können. Dem ist aber entgegenzu halten, daß der Aufbau sich doch gewiß nicht behauptet haben würde, wenn er nicht einem Bedürfniß entspräche; daß eine unzweckmäßige Anstalt sich lange Zeit hindurch hält, das kommt wohl vor, wenn sie durch Verordnungen künstlich ge schützt wird, aber aus einem Gebiete so freier Concurrenz, wie hier, liegt die Sache anders. Weiter ist hier zu erwähnen der von zahlreichen Familien unserer Stadt geäußerte und auch ursprünglich von den Stadtverordneten (in ihrem Beschlüsse vom 3. Juni 1886) aetheilte Wunsch, ihren Töchtern eine ganze, voll berichtigte Lehrerinnenbildung in Leipzig selbst angedrihen lassen zu können; sie vrrmiffen schmerzlich die Möglichkeit, ihre Töchter gerade in diesen wichtigen Entwickelungsjahren unter ihren Augen sich entwickeln sehen zu können, wenn sie sie Lehrerinnen -werden lasset kvokkVi. Da sind Familien, die sich mit ihren Kindern nicht soz viel vornehmen, weit besser daran; sie finden hier, was sie brauchen. Daß aber der Familien, die ihre Töchter für den Lehrerinnenberuf ausbilden assen wollen, im Vergleiche zur Zahl aller Familien n der Stadt verhältnißmäßig immer noch wenige ind, das darf die Stadt ebenso wenig abhalten, Ür sie zu sorgen, al» sie zum Beispiel durch Errichtung und Unterhaltung zweier städtischer Gymnasien, eine» Real gymnasium«, dreier Realschulen und einer Gewerbeschule für eine Minderheit der männlichen Jugend sorgt; und wenn vielleicht ringewandt werden sollte, daß in der Richtung der Unterhaltung solcher städtischer höherer Lehranstalten für dir männliche Jugend schon zu viel geschehen sei — der Einwand kann kommen, wenn einmal wieder die Errichtung eine» städtischen Gymnasiums im Süden der Stadt erörtert Feuilleton. Das Weimarische Theater. 17V8-18S8. Bon vr. Max Rupprecht. SiaAtnick dtttotM. Dek 12. Oktober 1708 ist der eigentliche Geburtstag des Weimarischen Theater», wie er gleichfalls derjenige der idealen Kunst in Deutschland ist. Wohl Übernahm Goethe bereits im Jahr« 1791 di« Leitung der Wetmarischen Bühne, doch dienten di« ersten sieben Jahre im Grund« nur der Borbereituna für Da«, wa» kommen sollte. Au» den bescheidensten Anfängen wuchs dar nachmals so berühmte Theater empor; die Schul komödien, die tm 16. und 17. Jahrhunderi im Schloff« zu Wilhelmsburg nufgefÜhrt wurden, legten den «rsten Grund. Eine eigentlich« Echauspielertrupp« b«ri«f der Gemahl der kunst- sinnigm Herzogin Amalra, Ernst August Konstantin, erst 1706, indem er den Principal Karl Theopyilu» Döbdeltn, der damals in Erfurt spielt«, für jährlich 6800 Reichsthal» in Pflicht nahm. Schon 1768 aber entließ der Hof di« Truppe wieder, worauf, nach «inem Interregnum von 10 Jahren, Koch au» Leipzig be rufen wurde, der besonder« dem Singspiel große» Interesse widmete. Ihm folgte 1771 Seyler au» Hamburg, zu dessen Gesellschaft der bedeutrndst« Schauspieler jener Zett, Konrad Eckhof, gehörte. Der Brand de» Schlöffe» am 6. Mai 1774 zerstörte auch die Bühne mit und machte für längere Zeit allem Komödtensptel in Weimar ein Ende. Da kam 1776 Goethe nach Weimar und entfachte den schlummernden Funken zu neurr Flamme. Seiner Anregung verdankt da» Liebhabertheater d«r lustigen Tag« keine Ent stehung, denn noch trieb «r da» Komvdienspi«! nicht um der Kunst, s°nd«rn um de« virgnügins willen. Ueberall herrschte damals eine wahre Li«bhaverth»at«rwuth, in keiner anderen Stadt wurde iedoch so viel erreicht wie in Weimar, denn hier hatte man Dichter nte Goethe, Wieland u. s. tv. zur Verfügung. Die Hrrzogin und dl« Prinzen spielten s«kb«r mit, außerdem wirkten al» Schauspieler Goethe, Knebel, Bertuch, Seckendorf, während die Damenrollen von Lorona Schröter, Frl. von Göch- hausen und Kotzebue'« Schwester Amalie dargestellt wurden. Der vortreffliche Theatermeifsir Mieding sorgt« für di« Jnscenirung. So stellte man den The»pt»karren bald in Weimar, bald in Tirfurt, BelvedSre, Dornburg, -tt«r»burg oder Jena auf; mir d«n gut gefüllten Ktlchenwagen und d«n Packeseln zog man lo». di« Bühn« wukd« bei gutem Wetter gleich unter freiem Himmel hergerichtet: „In engen Hütten unh im reichen Saal, Auf Höhen Etter»burg», in Tiefurt» Thal, Im leichten Zelt, auf Teppichen der Pracht, Und unter d«m Gewölb der hohen Nacht." Da» Naturtheater im Park von BelvedSre ist heute noch vorhanden, Bühne, Couliffen und Zuschauerraum werden in demselben durch beschnitten« Buchenlaubaänge gebildet. Das Reprrtoire fetzte sich au» Singspielen, Lustspielen, selbst größeren Dramen zusammen, man wagte sich sogar an die Iphigenie, wobei Goethe den Orest und Prinz Konstantin den Pylades spielte, und an Lessing'» Minna von Barnhelm. Eine der be rühmtsten Aufführungen war die des Goethe'schen Singspiels „Die Fischerin" im Tiefurter Park, am Ufer der Ilm, deren Ufer durch Fackeln und Lampen magisch beleuchtet waren. Mit der Z«U ward der Dichter — und mit ihm jeder seiner Mitspieler — auch dieses Vergnügens überdrüssig, der Ernst des Lrbcns verdrängte die übersprühende Jugendlust. Man überließ da» Theaterspielen wieder den Berufsschausptelern. Im Jahr« 1780 war ein neues Heim für da» Theater- und das Re- doutnvergnügen geschaffen worden. Vier Jahre später zog wieder «in« Schauspiekrtruppe daselbst «in, deren Leiter der Principal Josef Bellomo war. Dir Leistungen der Gesellschaft stellt«» sich indessen mit der Z«it als so dürftige heraus, daß v«r Contract gelöst wurde und der Herzog im Stillen beschloß, die Theater-Verhältnisse endgrltig zu regeln, indem er das Lheakrr in rin wirkliche» Hoftheatrr unter Goeth«'» Führung vrrwandelt«. Den Anfang machte man damit, daß man den gesammten Bestand de» Director» Bellomo für 1200 R«ich»thal«r ankaufte. Nachdem die erforderlichen Acteurs engagirt und all« Vorbe reitungen getroffen waren, erfolgte hi« Eröffnung am 7. Mat 1791 mit Jffland's Jägern. Die Vorstellung leitete ein Prolog Goeth«'» ein, worin er da» Unternehm««» „Mit bestem Willen" der Billigkeit und Streng« der Zuschauer empfahl, unter Betonung des in allen Sachen schwer«» Anfang». In dem Prolog hieß e» U. A.: „Von allen Enden Deutschland» kommen wir Erst jeßt zusammen, sind einander fremd, Utto sangen erst nach jen«m schönen Ziel Vereint zu wandeln an, und Jeder wünscht Mit seinem Nebenmann, «s zu erreichen; Denn hier gilt nicht, daß Siner athemlo» Dem Andern hastig vorzueilrn strebt, 1dm einen Kranz für sich hinweg zu Haschen. Wir treten vor Such «ruf und Jeder bringt Besch«iden s«tne Blume, daß nur bald Ein schöner Kranz der Kunst vollendet werde, Den wir zu Eurer Freüde knüpf««» möchtin." D«r Dicht«« bracht« von Anfang an d««n Untrrnrhmen da» tiefste Interesse entgegen, doch drr Erfolg entsprach weder seinem Eifer, noch seinen Hoffnungen. Die Schauspieler ließen so ziemlich Alle» zu wünschen übrig, st« mußten erst allmählich zu denkenden Künstlern herangebildet wilden. Ihre Jntriguen, ihr Unverständniß verleideten dem großen Mann bald genug den schwierigen Posten, erst Schiller's lebendige Theilnahme erweckte wieder seine Begeisterung, und des Verfassers der „Räuber" gewaltige Schöpferkraft bot ihm das Material, nach dem er so sehnlich verlangte. Schiller'» „Wallenstein" brachte dem Unter nehmen «inen hohen theatralischen und künstlerischen Erfolg uno lenkte dasselbe in neue Bahnen. Die erste Aufführung von „Wallenstein's Lager" fand am 12. Oktober 1798 statt, daher darf man wohl diesen Tag als einen Wendepunkt in der Ge schichte des Weimarischen Theater» bezeichnen. Diese Auf führung leitet die große, glänzende Zeit des Weimarischen Theater» rin, die „Weimarische Schule" erfüllte ganz Deutschland mit ihrem Ruhm: „Die Schauspielkunst sollt«", wir Julius Hart die Bedeutung de» Vorganges in wenigen treffenden Worten zusammenfaßt, „von hier aus verbessert werden und einen neuen Stil erlernen, der den germanischen Naturali»muS, wie ihn die Hamburg-Schröder'sch« Richtung festhielt, durch da» W«sen des classikistisch-hellenistischen Idealismus verdrängen wollte. Sie nahm in der Weimarer Schule eine hohe und edle Bildung an und lernte tiefstes, geistiges Leben zum Ausdruck bringen, Schwung und Adel der Gefühle; aber st« kehrte auch wieder zur Declackation und zur Pose, zu dem äußerlichen Theaterspiel der alten französischen Bühn« zurück." Der Versuch Goethe'» und Schiller'», ein deutsche» Theater zu schaffen, scheitert« an der idealen Gesinnung drr beiden Männer, die in ihrem hohen Streben di« Bühn« als ein Mittel für dir Kunstbildung der Nation zu behandeln gedachten. Voll gelungen ist ihnen dagegen die Ausbildung d«s für di« Ent wickelung der deutschen Schauspielkunst wichtigen idealen Vor- tragtzstil». Wa» aber die Erreichung Vies«» Ziele» dem Dichter und Theakerltiker für unendliche Mühe gekostet davon vermögen wie UN» sitzt, wo man selbst an der mäßigsten Bühne Verse mit einer gewissen Virtuosität behandelt, gar keinen Begriff mehr zu machen. Alle Schule fehlte den damaligen Künstlern und die Aussprache war höchst mangelhaft. Mit der Zeit rückte Goethe jedoch vem angestrebten Ziel« näher, so daß die Weimarischr Bühne vorzüglich in der Tragödie ein sonst nirgends erreichtes Zusammenspiel aewann. Auf der höchsten Höhe, sowohl wa» ihre dramatischen Darbietungen al» ibre schau spielerischen Leistungen anlangt, stand sie in den Jahren 1798 bi» 1806. Goethe behielt die Leitung bi» zum Jahre 1817, wo rr durch den „Hund de» Aubry" von dem «in Diertrljahr- hundrrt tnnegehabten Posten verdrängt wurde. Die Affair« ist zu bekannt, al» daß wir sie hier zu wiederholen brauchten. Während seiner Theaterführung ließ d«r Dicht», wir Burkhardt mittheilt, sechshundert Stücke aufführen, und zwar 77 Trauer spiele, 104 Opern, 123 Schauspiele, 249 Lustspiele, 17 Possen und 31 Singspiele. Am meisten gegeben wurden die „Zauber flöte", „Don Juan", die „Entführung au» dem Serail" und „Don Carlos" (hie ersten zwei 82- und 68-, die beiden letzten 49- und 47 mal). Von Kotzebu« allrin erschienen 87 Stücke auf dem Repertoire, von Schiller 18, von Goeth« 19. Schiller's Stücke wurden 367-, die Goethe'schen nur 238 mal gegeben. Goethe selbst sprach sich gegen Eckermann über seine Thätigkcit dahin aus, daß ihm jedes Genre recht gewesen sei, wenn nur etwas am Stück war. Er habe nicht auf prächtig« Dekorationen und glänzende Garderobe, sondern auf gute Stücke gesehen. Goethe's Nachfolger war Graf Edling, ihm folgten dir Intendanten v. Vitzthum, Oberhofmarschall v. Spirgel (von Karl August'S Tode bi» 1847). Von den späteren Bühnenleitrrn sind vor Allem zu nennen Dingelstedt, Freiherr v. Loen und Beaulleu-Marconnay. Auch aus der nachgoethischen Zeit sind der wichtigen und bedeutungsvoll««» Momente viel zu erwähnen. So war es da» Theater von Weimar, auf welchem die historischen Dramen Shakespeare'» durch Dingelstedt in bühnengerechter Be arbeitung zum ersten Male zur Aufführung gebracht wurden, und wsider Weimar war es, von dem au» Wagner durch seinen Freund Li»zt erst der deutschen Bühne gewonnen wurde. Ja, zu LiSzt's Zeit erlebte das Theater der kleinen Stadt an der Ilm eine zweite Blüthepiriode, diesmal auf dem Gebiete ver deutschen Oper, dessen Wiege man da» kleine Weimar überhaupt nennen kann. Denn Niemand ander» alS die Herzogin Amalia war es, welche Wieland veranlaßte, s«in musikalisches Drama „Alceste" zu schreiben, das am Ä. Mai 1773, von Schweitzer componirt, auf der Bühne im Schloß aufgeführt wurd«. LiSzt's Bemühungen dankte man die Aufführungen deS „Tannhäuser" (1849) und „Lohengrin" (1860); letztere, die «rste Vorstellung de» Werkes überhaupt, entfachte den langjährigen Kampf für und gegen die neue Richtuna in der Musik, di« von Weimar aus ihren siegreichen Zug durch Deutschland begann. Sogar dec Sitz 'des Bühi»«nf«stspsilhaustS, das später in Bayreuth errichte! wurde, sollte Weimar ein Zeit lang werden, der Plan zerschlug sich jedoch und die Wrimartsch« Bühne bkieb der Pflege ihrer traditiomllen Aufgaben erhalten. Uns mangelt der Raum, an dieser Stelle aller bedeutenden Ereignisse zu gedenken, welche während der verflossenen 100 Jahre hier stattgehabt, oder aller bedeutenden Künstler, die hier gewirkt, und aller gottbegnadeten Dichter, di« hier zuerst zum Wort gekommen. Erwähnen wollen wir hier nur die wahren Fest spielen gleichkommenden Faustaufführungen, die zuerst am 6. und 7. Mai 1876 staktfanden und noch sitzt, wenn sie, wa» alle zwei oder drei Jahre geschieht, angesetzk werden, Taufende von Kunstfreunden nach Weimar Hinziehen. Noch sitzt gehört die Weimarische Bühne zu den besten Deutschland», mag auch die Pracht der großen Theater unsirer großen Hauptstädt« sie äußerlich überstrahlen, ihr innerer Mrkh blieb ihr trotz alledem und noch immer ist sie eine Hochburg de» «veksten Jdeali»mu»,
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