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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.10.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981013019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898101301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898101301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-13
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Man braucht nicht gerade ein Gegner der modernen Frauen bewegung zu sein, um zum mindesten gewisse Themata nnd mehr noch die Art und Weise, in welcher sie in öffentlicher Bersammlunz vor verheiratheten Frauen und jungen Mädchen behandelt werden, als recht gefährlich zu bezeichnen. ES sollten die Leiterinnen der Bewegung mehr auf die in Stutt gart gemachten Erfahrungen achten, als sich von einigen radikalen Frauen mit in einen Strudel ziehen lassen, der der ganzen Bewegung den Stempel deS Sensationellen aufdrückt. So manche gute Saat ist aus unserer Stadt Leipzig ausgestreut worden und auch der Allgemeine Frauenverein hat durch seine vielfachen segensreichen Einrichtungen unendlichen Nutzen gestiftet. Aber jetzt scheint uns die Frauenbewegung in Bahnen einzulenken, dre bei den Frauen, die noch für unsere staatsbürgerliche Ordnung eintreten, Bedenken erregen müssen, Bedenken, die umsomehr gerechtfertigt sind, als eine Nothwendigkeit, in da« radikale Fahrwasser einzubiegen, gar nicht vorliegt. UnS scheint, als ob jetzt die Frau nach dem Wunsche ihrer Führerinnen nicht als bürgerliche Person, sondern als Gattin dem Manne den Krieg erklären solle; die Saiten, die in Stuttgart und in Hamburg angeschlagen worden sind, tönen ganz so, als ob der Mann, den man bis jetzt noch als von der Natur besonders zu manchen bürgerlichen Berufen und Stellungen berufen gelten ließ, nunmehr auch aus diesen Positionen gedrängt und nur noch zu ganz untergeordneten Dienstleistungen zugelassen werden solle, nm der Frau die Entfaltung aller ihrer wirklichen und vermeintlichen Kräfte zu ermöglichen. Kein halb wegs vernünftiger Mann wird gegen die Bethätigung der weiblichen Intelligenz im öffentlichen Leben und im Er werb etwas einzuwenden haben, wenn sic sich als gleich- werthig zeigt und die seit Jahrtausenden geltende biblische Ordnung von der Ehe und ihrem Oberhaupt nicht verschiebt. ES giebt freilich auch Männer, die aus Galanterie, Selbstsucht — weil sie viel Töchter haben — oder Un verstand die weitergehenden Ziele der jetzigen Damen tin «le siöcie mit Wohlwollen betrachten oder gar fördern. Auf solche Männer aber sollte man sich nicht berufen, denn sie nölhigcn den besonnen denkenden Frauen zumeist noch weniger Nespect ab, als den meisten ihrer Gescklechtsgenossen. Die von Fräulein Lange vorgeschlagene und einstimmig ange nommene Resolution: „Die Versammlung hält die Theilnabme der Frauen an Communal-, Schul- und Armenangelegenheiten sür dringend nothwendig", und der Ausspruch vcS Fräulein Raschle, daß die Frauen als Laienrichterinnen im Gewerbe gericht, besonders aber im Schöffengericht und Schwurgericht sich bethätigen sollen, bilden die erste Etappe zum Beschluß der Erlangung des Wahlrechtes und damit einer Um wälzung unserer ganzen bürgerlichen Verhältnisse. Wäre nur von „Frauen" die Rede und nicht von „der Frau", so wäre ja ernstlich in Betracht zu ziehen, ob und wie eS sich er möglichen ließe, geeigneten Frauen die für alle geforderten Rechte zu gewähren. Die Verallgemeinerung der Forderung dient nur dazu, die Berechtigung des kürzlich in den Wester- mann'schen Monatsheften den Frauenrechtlerinnen und ihren Freunden vorgehaltenen Satzes zu erhärten: „So manche schwache Seele übernimmt sich in raffelnden Vorsätzen und überbebt sich an niederdrückenden Lasten; unbe rechtigte Ansprüche zerstören daS Gleichgewicht der Ge schlechter im Hause und im Volke." Uebrigens war die Begründung jener Forderung noch anfechtbarer, als die Forderung selbst. Man berief sich auf Neuseeland und auf einige Staaten der Union, wo die Frauen gleiche Rechte haben. Wenn Beispiele jemals hinken, so hinken sie hier. In Neuseeland wenden sich die Frauen schon wieder von dem öffentlichen Leben ab und in Amerika hat man noch nicht beobachtet, daß die Frauenstaäten, um unS gelinde auszudrücken, an der Spitze der industriellen und gesell schaftlichen Entwickelung marschirten. Ueberhaupt reizt, wie schon oben gesagt, die Art, in der die Beschlüsse vorbereitet wurden, noch mehr zur Kritik, als die Beschlüsse selbst. Wo allzuviel gesprochen wird, läuft immer viel Ungereimte» unter. Und gesprochen wurde entsetzlich viel und ungleich mehr an Pathos als an Gründlichkeit ge leistet. Selbst manche der Theilnebmerinnen mag heimlich mit demLachen gekämpft haben, wenn eine recht tönende Phrase an ihr Ohr schlug. So z. B. als die sonst so verdienstvolle und einsichtige Vorsitzende davon sprach, daß die Frauen nicht nur Erzieherinnen der Kinder, sondern der Männer, ja deS ganzen Menschengeschlechtes sein sollten. Man frage nur unsere Hausfrauen, wie schwer ein Mann zu erziehen ist, auch wenn man in solchen Sachen Erfahrung hat! Recht oberflächlich war auch die Art, in der die Aerzte abgefertigt und abgeurtheilt wurden, die sich bekanntlich auf dem dies jährigen Congreß erkühnt haben, anderer Meinung zu sein, als einige der streitbaren Damen. Man kann der Ansicht sein, daß die betr. Resolution deS AcrztecongresseS recht anfechtbar sei, und doch wünschen, daß die Bekämpferinnen der Resolution sich ihre Ausgabe weniger leicht gemacht hätten. Mehr noch gilt dies von der Berathung der Ab rüstungsfrage. Einer der uns vorliegenden Berichte meldet nämlich über diese Debatte: Frau Prof. Selenka- München legte eine längere Resolution vor, die eine Sympathiekundgebung des Bundes für die Friedenssache und die Friedensfreunde aller Länder bedeutete. „Die deutschen Frauen dürften nicht zurück stehen in der Kundgebung für den Friedensgedanken, die jetzt in allen Ländern verbreitet werde." Frl. Helene Lange-Berlin hieß an sich die Friedensbestrebungen zwar gut, war aber gegen Aufnahme derselben in das Arbeitsgebiet des Bundes, da der Friedensgedanke schon ganz vorzüglich von den bestehenden Friedensgesellschaslen vertreten werde. Frl. Marie Mellin war der gleichen Ansicht, empfahl aber die Resolution Selenka. Gegen den Nutzen der FriedenS- bestrcbungen überhaupt sprach sicb nur Volkssckullchrerin Frl. LischnewSka-Berlin auS. Rednerin beurtheilte die Angelegenheit sehr nüchtern und hielt den ewigen Frieden für ein Unding. Die deutschen Frauen seien stets gegen einen vom Zaun gebrochenen Krieg gewesen, aber nie gegen einen gerechten Krieg. (Lebhafter Widerspruch.) Als 1813 die Flammen der Begeisterung emporschlugen, hätten die deutschen Frauen ihr Letztes hingegeben (Beifall); und welche segens reichen Folgen habe nicht der Krieg 1870/71 für daS Vater land gehabt. Nun die praktische Folge des Abrüstungs vorschlages für die Frauen! Wenn die Erlangung des allgemeinen Stimmrechtes für die Frauen eine der wichtigsten Forderungen der Frauenbewegung sei, so dürfe man sich nicht verhehlen, daß diese Wünsche nie erfüllt werden können ohne Hilfe der Regierung und der ihr zur Seite stehenden Parteien. Seien nun die Frauen für die Abrüstung, so würde der Staat ihnen niemals daS Stimmrecht zubilligen können, denn dann würden die Frauen daS Vaterland wehr los machen. (Lebhafter Widerspruch.) Jedenfalls sei die deutsche Armee das sicherste Bollwerk deS Friedens. (Zischen und Pfeifen.) Frau Luca Morgen st ern bemerkte,daß sich Vie deutschen Frauen niemals gescheut hätten, sür daS Vaterland im Augenblick der Gefahr einzutreten. (Lebhafter Beifall.) Es sei sehr betrübend, wenn gerade eine deutsche Volksschullehrerin sich gegen den Friedensgedanken bekenne. Gerade die Frauen könnten am besten für diesen wirken, indem sie unsere Jugend vor dem Nationalitätenbaß bewahrten. Durch die Schul bücher werde die Vorstellung vom „Erbfeind" geradezu gezüchtet. (Zustimmung.) Es wurde schließlich der Antrag Morgenstern in folgender Form angenommen: „Der Bund beschließt, die Friedensbewegungen in sein Programm aufzu nehmen." Ebenso wurde der Resolution Selenka zu gestimmt. Man würde diesen kurzen Bericht für eine boshafte Sa tire halten müssen, wenn nicht aus den ausführlichsten Berichten hervorginge, daß in der Tbat über eine Frage, deren Beurtheilunz die gründlichsten historischen, politischen und psychologischen Kenntnisse voraussetzt, in so kränzchen- hafter Weise verhandelt worden ist. In der Resolution bildet die Erklärung „Wir wollen den Frieden!" den Mittelpunkt. — Auch die Prostitution, das Steckenpferd der Frau Bieber-Böhm, wurde verhandelt. Niemand leugnet, daß die Prostitution eines der größten Uebel ist, aber Zeder, der ernstlich die unzähligen Versuche zur Aus tilgung dieses Nebels verfolgt bat, wird sich sagen müssen, daß eS niemals anSgetilgt werden wird, wenn eS in seinen Ursachen und Erscheinungsformen nicht gründlicher untersucht wird, als von den Hamburger Rednerinnen. Mit Polizeimatronen ganz sicher ebensowenig, als mit anderen Mitteln, deren Anpreisung sich auf die Annahme gründet, das männliche Geschleckt sei ausschließlich oder auch nur vor zugsweise für das Uebel verantwortlich. Viel gegründeter als diese Annahme ist die Bcsorgniß, daß die rabiatesten Frauenrechtlerinnen durch ihre Bestrebungen ein weibliches „Bildungsproletariat" heranzichen, da» in der unausbleiblichen Noth die Zahl der Gesunkenen mehrt. Wie schon eingangs gesagt, kamen auf dem Frauentage neben den oberflächlich behandelten Anregungen tbeils radikal politischer, tbeils extrem socialer Art auch praktische Ideen zu ihrem vollen Rechte. Man widmete dabei sogar einem männlichen Mitgliede unserer menschlichen Gesellschaft, und zwar unserem beliebten Leipziger Arzt Or. Taube, Worte der Anerkennung. Es geschah dies gelegentlich der Besprechung der Frage der Kostkinder und der General vormundschaft. Frau Else Berg lobte die von Or. Taube in Leipzig bei der Erziehung der unehelichen Kinder ein geführte Generalvormundschaft und hatte auch sonst für das System Worte der Anerkennung. Man nahm folgenden An trag in seinem ersten Theile an: ») Einführung einer nach Artikel 136 des Einsührungsgesctzcs zum Bürgerlichen Gesetzbuche zulässigen Generalvormundjchast aller außerehelichen Kinder. b) Ueberwachung der Verpflegung und Erziehung verwahrloster ehelicher und aller unehelichen Kinder durch Aerzte und behördliche Pflegerinnen, sowie durch Unterbringung in geeignete Famiticnpflege. c) Für eine einmalige Landesjammlung zur Beschaffung eines unter staatliche Verwaltung zu stellenden Landessonds zwecks eventueller Deckung aus Liesen, dem Leipziger System erwachsenden Mehrkosten. Was sonst noch über allgemeines ErziehungLwesen, insbesondere von Frau vr. Goldschmidt gesagt wurde, das haben wir zumeist von jeher vertreten, ebenso die Unter haltungsabende für junge Mädchen u. s. w. Ter ordnungsmäßig unterstützte Antrag des Allgemeinen Vereins sür Verbesserung der Frauenkleidung: „Die Generalversammlung wolle eine besondere Commission einsetzen zur Verbreitung der verbesserten Frauenkleiduug" wurde leider zurückgezogen; man wollte anscheinend höher hinaus. Dagegen wurden einige Reden gegen den Alkohol, gegen das Weitertrinken nach den Diners und gegen die Bierabzabe an Dienstmädchen gehalten. Schließlich wurden ,n den Vorstand gewählt: Frl. Aug. Schmidt mit 00 Stimmen zur ersten Vorsitzenden, Frau Anna Simson mit 82 Stimmen zur zweiten Vorsitzenden, Frau Marie Stritt mit 99 Stimmen zur dritten Vorsitzenden. In den Beirath sind gewählt Frl. Helene Lange mit 100, Frau Or. Naue mit 94, Frau Bieber-Böhm mit 95, Frau Schwerin mit 94, Frau v. Forster mit 87, Frl. Hoffmann mit 86, Frl. Förster mit 60 und Frl. Freudenberg mit 81 Stimmen. Diese Wahlen lassen erkennen, daß die radikale Richtung noch immer obenauf ist und daß der Frauentag noch weiter links segelt. Auf welche Art von HilfStruppen die Damen auf diesem Wege zu stoßen hoffen dürsen, darüber sind sie sich allem Anscheine nach selbst nicht klar. Aber die einfachste Erwägung könnte ihnen sagen, daß sie mit solchen Hilfs truppen auf friedlichem Boden keine Siege erringen werden. Und da ihnen socialdemokratische Umsiurztendenzen doch wobt fern liegen, so sollten sie schon aus taktischen Gründen den Bogen nicht Überspannen. Ohne die Männer läßt fick nun einmal die Welt nicht reformiren, und wer weder mit den Socialdemokraten Gewaltmittel anwenden, noch mit den Besonnenen zu gemäßigtem Streben sich verbinden mag, der muß wissen, daß er nur Luftschlösser zu bauen vermag. Deutsches Reich. /-.Berlin, 12. October. (Deutsch-socialer Jammer.) Wer Versammlungen der deutsch-socialen Reformpartei be sucht hat, weiß, mit welchem Eifer ihre Führer, voran Herr Liebermann v. Sonnenberg, sich bemüht haben, die deutsck- socialeReichStagsfraction von dem Vorwurfe des Schwänzens der Reichstagssitzungen reinzuwaschen. Und jetzt? Jetzt, da man aufs Neue die Erfahrung Hal macken müssen, daß allen Vertuschungsversuchen zum Trotz die Schwänzer fortfuhre», im Reichstage durch Abwesenheit zu glänzen, jetzt tritt Herr Zimmermann, der Vorsitzende der deutsch- socialen Partei, in die Fußtapfen des „Politischen Hand buches für nationalliberale Wähler" und legt sckmcrzbewegt dem in Cassel versammelten Parteitage die zahlenmäßigen Beweise für die politische Faulheit der Fraction vor. „Da ist's denn wahrlich oft ein Jammer!" An den 10 nament lichen Abstimmungen der letzten Session bat nicht ein einziges Mal die gesummte, 12 Mann starke Fraction theilgenommen: zweimal fehlten je 3 bei je einer Be urlaubung; einmal fehlten 4 bei einer Beurlaubung; zweimal fehlten je 5 bei je zwei Beurlaubungen; drei mal fehlten je 6 bei 2 Beurlaubungen; und selbst bei den hochwichtigen Abstimmungen über das Flottengesetz und über die Militair-Strafgericktsordnung waren je 1 resp. 2 beurlaubt. Die Palme im Schwänzen bat Herr Köhler davongetragen, der ausdrücklich erklärte: weun er gewählt werde, werde er erst recht nicht in den Reichstag geben. Dagegen legte zwar Reichstagsabzeordneter Gräse Ver wahrung ein, aber der Neichölagsabgcorknele Müller (Waldeck) entschuldigte die Schwänzer mit dem der Ausbewahrung würdigen Worten: „Gerade in den letzten Sessionen war die Theilnabme an den Verhandlungen vielfach unnötbig und Zei tvertrödelun g." Und Herr vr. Vielhaben erklärte (wir folgen dem Berichte der antisemitischen „Staats- bürger-Ztg."): „Die Erledigung von Berufsgeschäften ist ost sehr viel nützlicher, als die Anwesenheit im Reichstage, wo man oftmals gar nichts versäumt." Die Herren denken augenscheinlich anders als ibr Parteigenosse Graf Revent- low, der noch auf dem veralteten Standpuncte steht, zu behaupten: „Man soll nicht Pflichten übernehmen, die man binterber nicht erfüllen kann." So traurig das Bild ist, das der Rechenschaftsbericht deS Herrn Zimmermann von der Betheiligung seiner Fraction an den Arbeiten des Reichstags entwirft, so beweglich ist die Klage, die er über die Gegensätze innerhalb der deutsch socialen Fraction anstimmt. Während drei ihrer Mitglieder gegen das Flottengesetz votirten, gestaltete sich bei der Abstimmung über 8 der Militair-StrafgerichtSordnung dieAbstimmungderDeutschsocialen geradezu grotesk: 2 stimmten mit Ja, 3 mit Nein, 1 war beurlaubt, 6 fehlten. Wie schwerwiegend die Gründe waren, die die Abstimmung gegen eine Vorlage von der nationalen -Bedeutung des Flottengesetzes zur Folge batten, erhellt aus der Mit thcilung des Abgeordneten Werner: „Es ist falsch, daß die Wähler sie zu dem ablehnenden Votum genöthigt hätten. Herr Köhler hat sich beispielsweise schon vorher gegen die Flotten vorlage gebunden, ohne sie gekannt zu haben. Ick glaube, er hat die Mappe mit der betreffenden Drucksache noch nicht geöffnet." Der Abg. Müller bat auch die Verwerfung der Flottenvorlage durch seine FractionSzenoffen mit der trockenen Bemerkung entschuldigt (wir citiren immer nach der antisemitischen „StaatSbiirgerztg."): „Wer die Wirth- Feuilletsn. Was die Vachwett essen wird. Von Or. Curt Rudolf KreuSner (Graz). Nachtruck verboten. Schon seit Langem beschäftigen sich berufene und unberufene Köpfe. mit der Frage, in welcher Weise die Menschen zu künftiger Generationen die zu ihrem Bestehen erforderlichen Nahrungsmittel aufbringen werden, wenn der Erdball bis an seine äußersten bewohnbaren Grenzen bevölkert und gleichzeitig die Landwirthschaft auf eine so hohe Stufe der Vervollkommnung angekommen sein wird, daß keine Steigerung des Bodenertrages mehr möglich ist. Im vorigen Jahrhundert, al- die weitsichtige Politik deS großen Friedrich und seiner Nachfolger zur Stärkung der schwachen, einheimischen Volkskraft die salzburgischen Protestanten und französischen Emigranten, welche Glaubens- fanati-muS und politischer Haß von der heimathlichen Scholle vertrieben, mit offenen Armen aufnahm, konnte man derartige Spekulationen als unpraktisch belächeln. Heutzutage aber ist die NahrungSnrittelfrage für viele Länder der alten Welt bereit» höchst aktuell geworden; denn das Gespenst der Uebervölkerung rückt immer näher und ist in einigen Gegen den bereits greifbare Wirklichkeit geworden. Das heutige Deutschland hat mit einer Bevölkerung von rund 54 Millionen, obwohl der Flächenraum derselbe geblieben ist, 15 Millionen Menschen mehr zu ernähren als im Fahre 1870, und die er staunliche für das Fahr 1897 nachgewiesrn« Volksvermehrung von 800 000 Personen läßt auch für die nächsten Jahre eine weitere intensive Zunahme der Population erwarten. Thatsächlich ist Deutschland schon seit mehreren Jahrzehnten gezwungen, jahraus jahrein für Hunderte von Millionen Mar! Brodgetreide vom Au-land zu kaufen und ein Gleiches gilt von Großbritannien, Belgien, Italien und sogar in neuester Zeit von der westlichen Hälfte der österreichisch-ungarischen Monarchie. Vorläufig können, Dank der Verkehrsmittel der Gegenwart, ander« Länder, wie Rußland, Amerika und Indien, mit ihrem Ueberfluss« aushelfen, und di« Colonisation Sibiriens, welche» rin« Kornkammer ersten Ranges für Europa zu werden ver spricht, befindet sich erst in den allerersten Anfängen. Aber daS von dort bezogene Getreide will bezahlt sein, und wenn jene Länder sich erst einmal von der europäischen Industrie, deren Waarenerzeugniss« wir an Zahlungsstatt für die importirtc Feldfrucht hingeben, unabhängig gemacht haben werden, geht dir NvhrungSsorge mit grimmiger Rauhheit an die Thür deS EisenarbeiterS der westfälischen, rheinischen und schlesischen Hütten-Districte und de» Weber» von Crrfeld, Chemnitz und hundert anderen Orten unsere» Vaterlandes, und schließlich muß auch einmal her Augenblick kommen, wo die heute nur dünn be völkerten Exportländer, deren Einwohnerzahl gleichfalls in ra- pidem Wachsthum begriffen ist, nur mehr den «igenen Bedarf werden decken können. Was soll dann geschehen? Zum Glück ist di« Antwort, welche unS hirrauf di« Wissenschaft giebt, durchaus keine trost lose. AuS dem Mund« d«S vor mehrren Jahrrn verstorbenen berühmten Elektriker» Werner von Siemen» rührt da» stolze Wort her, welche» er gelegentlich einer Naturforscherverfammlung sprach, daß «» einer nicht mehr fernen Zukunft mit Sicherheit gelingen werde, die wichtigsten Nahrungsmittel auf chemischem Wege in beliebigen Mengen und zwar billiger herzustellen, als die» bisher der Fall war. Wenn nicht Alle» trügt, dürfte diese» prophetische Wort eher in Erfüllung gehen, als wohl selbst sein Urheber und dessen Zu Hörer sich gedacht hoben. Wenigstens bedeuten einig« Ent deckungen der letzten Monate die ersten entscheidenden Schritte zur künstliches Zusammensetzung der Nährstoffe. Der Alkohol, welchen man zwar nicht eigentlich als Nahrung»mittel bezeichnen kann, der aber nun doch einmal in seinen verschiedenen Gestalten als Wein, Bier oder Branntwein ein fast unentbehrliches Genußmittel fast aller Völker geworden ist, wurde zwar schon vor langen Jahren auf «inem sehr um ständlichen Wege aus seinen Elementen, Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff, hergestellt, kam aber hierbei viel theurer zu stehen, als der aus Getreide oder Kartoffeln durch Gährung ge wonnene. Die Entdeckung des Calciumcarbides, welches zur Erzeugung des schnell berühmt gewordenen neuen Beleuchtungs- gases, des Acetylens, heute in großen Mengen fabricirt wird, führte zu einer neuen, vielversprechenden Fabrikationsweise des Alkohols, welcher aus Acetylen auf ziemlich einfachem Wege her gestellt 'Vivo. Allerdings zeichnet sich dieses Product keineswegs durch besonderen Wohlgeschmack aus; aber es ist schließlich nur eine Frage der Zeit, daß es gelingen wird, diesen künstlichen Alkohol von den geschmackswidrigen Verunreinigungen zu be freien und damit die riesigen Mengen Cerealien, welche heut« zur Spiritusfabrrkation verbraucht werden, ihrer natürlichen Be stimmung als Nahrungsmittel wieder zuzuführen. Weitaus wichtiger wäre di« Massenfabrikation von künst lichem Eiweiß und M«hl bezw. Zucker, den Grundstoffen, aus w«lchen alle unsere zahllosen Nahrungsmittel im Wesentlichen bestehen. Auf dem diesjährigen naturwissenschaftlichen Congreß in Madrid machte Professor Finkler Aufsehen erregende Mit theilungen über ein neues und billige», eiweißhaltiges Nahrungs mittel, welches nach seinem Vorschlag Trovon genannt und i, den meisten Berichten als „künstliches Eiweiß" bezeichnet wurde. Ein solches ist «S zwar nicht, sondern vielmehr ein echte» orga nisches Eiweiß, welches aus dem Fleisch« der an manchen Orten überaus billigen Seefische und dem Mehle der eiweißreichen Hülsensrüchte gewonnen wird. Es hat aber den Vorzug, nur etwa halb so viel wie die entsprechend« Menge Eier oder Fleisch zu kosten. Für die Krankenpflege spielt dieser Nährstoff, der bereits vielfach im Handel vorkommt, schon jetzt eine große Rolle als Kost schwacher Patienten, welche mit 50 Gramm Tropon, die ohne Beschwerden vertragen werden, den Nährwerth der fünf fachen Meng: des besten Rindfleisches erhalten und bei Vieser Er nährungsweise die erstaunlichsten Gewichtszunahmen erfahren. Dagegen ist das von Or. Leon Lilienfeld hergestellte Eiweiß «in echtes, aus unorganischen Stoffen zusammengesetztes Kunst eiweiß; der Ausgangspunkt für sein« Fabrikation ist das unter dem NamenCarbolsäure allbekannt« Phenol, aus welck-em unter Einwirkung von Amidoessigsäur« und einer Verbindung von Phosphor, Sauerstoff und Chlor, dem sogenannten Phosphor oxydchlorid, unmittelbar echtes Pepton, also ein Stoff entsteht, welcher bisher nur als Bestandtheil d«s Thierkörpers bekannt war. Hiermit ist «ine der schwierigsten Fragen der organischen Chemie gelöst; denn die Synthese von Enveißkörpcrn ist in volt- wirthschaftlichemSinne nichts anderes als ein wichtiger Schritt zur Emancipation der menschlichen Ernährung von der Natur. Uebrigens producirt die Natur außer in den Körpern der Thiere in den Pflanzenstoffen Eiweißverbindungen in kolossalen Mengen. Unsere sämmtlichen Schlachtthiere sind Pflanzen fresser und entnehmen das zum Ausbau ihres Muskelfleisches erforderliche Eiweiß dem Heu und Grllnfutter, während der menschliche Magen nicht im Stande ist, die in diesen Pflanzen körpern enthaltenen Nährstoffe auszunutzen. Es ist daher nur begreiflich, daß es die Wissenschaft seit langem reizt, die Arbeit, welche die Magen der Wiederkäuer verrichten, die aber der mensch liehe Magen nicht zu bestreiten vermag, auf künstlichem Wege dem letzteren vbzunehmen. Das wesentliche Hinderniß der Verdau lichkeit des Eiweißes deS gewöhnlichen Wiesengrases ist der Um stand, daß dieses Eiweiß in den Zellen der Pflanzen eingeschloffeu ist, d«ren Cellulosewandungen für den menschlichen Magen ab solut unverdaulich sind. Auch durch Kochen können diese Wandungen nur in recht ungenügendem Maße zerstört werden, und so kommt«», daß selbst unsere zartesten Gemüse al» Eiweiß nahrung durchau» nicht die Bedeutung haben, welche ihnen im Allgemeinen zugeschrieben wird. Wenn man dagegen die Pflanzen der werthoollen Wiesengräser auf das Feinste zerreibt, , den entstandenen Brei mit Wasser auSlaugt und endlich ein«
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