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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.10.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981013021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898101302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898101302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-13
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Der Absicht der Freisinnigen Bolkspartei, durch da» Auf werfen einer Regentschaftsfrage für das Reich die Orient ierst des Kaisers im Reichstage zur Erörterung zu bringen, könnte nichts dienlicher sein, als wenn an dem an geblich bestehenden Plane festgehalten würde, zu den Kosten der Orientfahrt einen Zuschusj an» Reich-Mitteln zu ver langen. Bekanntlich sind pekuniäre Bezüge mit der Kaiser würde nicht verbunden; der Kaiser hat von Reichs wegen weder eine Civilliste, noch eine Krondotation, noch den Genuß von Domainen. Auch in dieser Beziehung lebt der deutsche Kaiser vom Könige von Preußen. Und daS ist gut so ; denn die finanzielle Bedürfnißlosigkeit des Kaisers als solchen ist ein wirkungsvolles Merkmal des preußischen Rechts auf die führende Stellung in Deutschland. Jede Ver kümmerung dieser Ehrenpflicht Preußens würde de» parti- cularistischen Elementen willkommen sein, besonders willkommen aber aus dem in Rede stehenden Anlaß, weil die Reise des Kaisers mit den unmittelbaren Interessen des Reiches nur lose zusammenhängt. Das wird auck von einer Seite anerkannt, die der Gewährung eines Zuschusses durch den preußischen Landtag mit der Begründung sich nicht abgeneigt zeigt, daß daS Grundstück, auf dem die Erlöserkirche sich erhebt, dem König Wilhelm I. persönlich geschenkt sei und daß der dortige Besuch des deutschen Kaisers mehr mit dem Summepiskopat über die preußische Landeskirche, als mit den unmittelbaren Interessen des Reiches zusammenhänge. Gerade der Zusammen hang mit dem Summepiskopat aber sollte der ausschlag gebende Grund dafür sein, auch nicht vom preußischen Land tage einen Zuschuß zu fordern. Mit Recht bemerkt die »Freis. Ztg.", daß daS Summepiskopat doch nur für die alt preußischen Provinzen bestehe und daß der Staat für die Repräsentation einer Confession derartige Mittel nicht auf zubringen habe. Man male sich aus, wie dem Centrum eine solche Geldforderung zu Statten käme! „Un erquickliche Erörterungen" im Abgeordnetenhause, welche die »Freis- Ztg." prophezeit, würden Centrumsdiplomaten wie vr. Lieber Wohl nicht Hervorrufen; die Centrumsdeinokraten jedoch, die DaSbach und FuSaugel, würden sich eine so schöne Gelegenheit, das Klagelied von der „Imparität" wieder einmal zu variiren, nicht entgehen lassen, ganz zu schweigen von der klerikalen Presse. Und auch Herr Richter dürfte sich bei diesem Anlaß mit verdoppeltem Eifer den Wählern im Lande als „Sparagnes" in Erinnerung bringen. Darum: kein staatlicher Zuschuß zur Reise deS Kaisers, die sicherlich nicht unternommen worden wäre, wenn die Mittel für sie auch nur theilweise nachträglich vom Parlament beschafft werden müßten. Die „Köln. Ztg." und ähnliche Blätter, die aus Besorgniß, daß das Centrum der Regierung sein Wohlwollen entziehen könnte, die nationale Haltung der EentrumSprcsse tu der ProtectoratSfrage gar nicht genug rühmen konnten, haben den Tag vor dem Abend gelobt. Die „Germania" rückt bereits von der Regierung ab, ja noch mehr, sie fällt ihr bereits in den Rücken. Sie kehrt den Spieß einfach um. Der Papst hat nicht etwa durch seine fast im Augenblicke der Abreise deS deutschen Kaisers nach dem Orient an die franzö sischen Pilger gerichtete Ansprache die deutsche Regierung verletzt, sondern die Negierung hat durch die Abberufung Bülow'S den Papst „tief verletzt". Und nicht nur den Vorwurf der Härte macht die „Germania" der Re gierung, sondern auch den der Voreiligkeit. ES wird dem Auswärtigen Amte vorgeworfen, gehandelt zu haben, obne den authentischen Wortlaut der Ansprache abzuwarten. Da einstweilen wenigstens noch kein Iesuitenpater eine höhere Stelle im preußischen Ministerium bekleidet, so hätte dieses Ab warten nichts genützt, denn den authentischen Wortlaut so zu deuteln, als ob der Papst gar nichts Verfängliches gesagt hätte, war nur jesuitischer Begabung, wie sie in der „Germania" vorhanden ist, möglich. Ebenso hinfällig wie die persönlichen Angriffe gegen die Regierung sind die sach lichen Ausführungen deS klerikalen Blattes, auf die man deshalb eingehen muß, weil sie wohl nur als Einleitung zu einem allgemeinen Umschwenken der CentrumSpresse nach der vatikanischen Richtung hin anzusehen sind. Die „Germania" erkennt zu einem Theile wenigstens ein fran zösisches Protektorat als gerechtfertigt an. Die Personen nämlich, die unter kirchlicher Jurisdiction stünden, seien von dem unter französischem Protektorate stehenden Erzbisthum von Jerusalem zum Theil abhängig. Die „Germania" erkennt also der Zugehörigkeit zu einer kirchliche» Organisation die Exemption von der Staatshoheit zu. Ganz abgesehen davon, daß das Staatsgefühl eine derartige Exemption nicht gestatten kann, scheint die „Germania" zu vergessen, baß sie mit dieser Ausführung den Gegnern der Aufhebung des Iesuitengesetzes eine Waffe liefert. Denn die Jesuiten stehen unter einem in Nom befindlichen französischen oder italienischen Iesuitengeneral, würden also nach der Auffassung der „Germgnia" dieser Jurisdiction und nicht der deutschen Staatshoheit unterstehen. Damit würde in Deutschland eine gegebenen Falls dem deutschen Reiche direkt feindlich gesinnte Persönlichkeit die Hoheit über Männer ausüben, die schließlich einen großen Einfluß im Volke hätten. Die „Germania" hegt die Besorgniß, daß, wenn die deutschen kirchlichen Organe deö unter französischem Pro tektorat stehenden Erzbisthums Jerusalem unter anderen Schutz treten wollten, Unordnung in der kirchlichen Organisation eintrelen würde. Die Unordnung aber, die in der Organi sation eines Staatswesens eintreten muß, wenn ein Theil der Staatsangehörigen fremdem Schutze untersteht, scheint daS Herz der „Germania" wenig zu berühren. Also wieder einmal em Beispiel dafür, wie dem KlerikalismuS die Kirche stets über den Staat geht. Will man angesichts solcher Thatsachen immer noch von nationaler Gesinnung der Kleri kalen sprechen, so darf man sich nicht wundern, wenn die höchste Stelle der Kirche künftighin noch weniger Rücksicht auf berechtigte deutsche Ansprüche nimmt. Der bekannte belgische Jngenieurgeneral Brialmont macht sich in einer von ihm verfaßten Broschüre zum Sprach rohr der Unzufriedenheit des belgischen Lfficiercorps mit der jetzigen nebenamtlichen Leitung des KriegSministcriums durch den Eisenbahn-, Post- und Telegraphenminister. Seit den zwei Jahren, welche dieses Provisorium jetzt bereits dauert, habe die Lage der belgischen Armee sich wesentlich verschlechtert. General Brialmont erklärt, der jetzige nebenamtliche Leiter des Kriegsdepartements besitze nicht die Fachkenntniß und Erfahrung, welche er forderlich sei, um eine Stellung auszufüllen, für veren Ueber- nahme unter den jetzigen Verhältnissen sich mehr als ein General bedanken würde. Der Minister erfülle nicht die Neutralitätsbedingungen, welche die Verwaltung einer Armee erheische. Dann heißt eS von dem derzeitigen Chef deö Kriegsdepartements weiter: „Er ist ein Kampfpvlitiker, der bei den Maßregeln, die er trifft, bei der Auswahl, die er vornimmt, dem Einflüsse nichtmilitairischer Ideen und Empfindungen gehorcht. Statt sich jeder Maßnahme zu enthalten, die seine Verantwortlichkeit engagiren könnte, entfaltet er in seinem Nebenamte als Kriegsminister eine gefahrbringende Thätigkeit. Ohne daS geringste Gewissensbedenken hat er die Bestimmungen über die Beförderung zum General und über die Einberufung der Reservisten im Mobilmachungsfalle abgeändert, sowie ein Abänderungsproject bezüglich des verschanzten Lagers von Antwerpen nach seinen eigenen Ideen ausarbeiten lassen. Die Armee hat ein Recht, sich zu beklagen, daß sie im Kron rath und im Parlament nicht mehr durch eins ihrer Mit glieder vertreten wird." Heute, nach einer andern Meldung gestern, ist die Frist für das Ultimatum der vier Mächte an die Pforte, in welchem die sofortige Zurückziehung der türkischen Truppen auSKreta kategorisch verlangt wird, abgelaufen. Die Antwort der Pforte ist rechtzeitig eingegangen. Wie man weiß, erklärt der Sultan sich mit der Zurückziehung der Truppen einverstanden und hat bereits Anordnung getroffen, die Räumung in die Wege zu leiten. Allein Abdul Hamid müßte kein Orientale sein, wenn er vas Spiel schon verloren gäbe. Er hat zwar die Note der vier Mächte zu stimmend beantwortet, aber zugleich den Wunsch ausgesprochen, in drei befestigten Städten Kretas Garnisonen hallen zu dürfen, die genügen würden, die Muselmanen zu schützen oder doch wenigstens die Fortdauer der Souverainetät der Pforte über die Insel zu kennzeichnen. Diesmal sieht er sich aber dem unabänderlichen Willen der Mächte gegen über, die entschlossen sind, ein Ende zu machen. Der Stand punkt derselben geht aus folgender Meldung hervor: * Canea, 12. Oktober. Auf die Antwort der Pforte, daß sie in die Zurückziehung der Truppen unter der Bedingung ein- willige, eine genügende Besatzung auf der Insel belassen zu dürfen, erwiderten die Admirale, ihre Regierungen müßten, da dies ein zu dehnbarer Begriff sei, mit Rücksicht auf die in Kandia gemachten Erfahrungen auf dem Verlangen einer völligen Entfernung der türkischen Truppen von der Insel beharren. Was die Entsendung von Paschas anlangt, die den Abmarsch der Truppen hier leiten sollen, so beschlossen die Admirale, deren Landung nicht zu gestatten, um neue Schwierigkeiten und Verhandlungen zu vermeiden. Da die Pforte keinerlei Andeutung über die Abreise ihrer Civil- beamten gemacht hat, so beantragten die Admirale bei ihren Regierungen, die Zustimmung der Pforte dazu als vollendete That« sache anzusehen. Wie wir schon mittheilten, will ein großer Theil der Muhamedaner die Insel verlassen, sobald die türkischen Truppen sich einschiffen. Daran thun sie auch gut, denn Niemand zweifelt daran, daß sie der Rachsucht der kretischen Christen an dem Tage verfallen werden, an welchem die Truppendetachemcnts der fremden Mächte die Anker gelichtet haben, und für immer können diese doch nicht auf Kreta bleiben. Die Kretafrage wird also mit dem Ultimatum nicht gelöst, sondern die Mächte durchbauen einfach den gordischen Knoten. Sie lassen dem Sultan formell die Oberhoheit über Kreta, nehmen ihm aber thatsächlich die Insel, indem sie dieselbe den christlichen Insurgenten ausliefern. So bezahlt die Pforte den Sieg über das räuberische Griechenland in dem ihr aufgedrungencn Kampf um Kreta mit dem Verlust eben dieser Insel! Wem wird sie in Zukunft gehören? Das ist jetzt die Frage und diese dürste noch schwerer zu lösen sei als die Räumungsfrage. Der italienische Minister deS Aeußeren, Canevaro, hat letzterer Tage in einer Unterredung mit einem Publicisten geäußert: WaS die spätere Zukunft Kretas betreffe, so wäre eS nach seiner Meinung sehr unwahrscheinlich, daß e i n e Macht die dauernde Fest setzunz auf der Insel plane. Andererseits sei es aber höchst wahrscheinlich, daß keine Negierung der Festsetzung einer anderenMacht gleichgiltigzuseheu würde. Aus diesem Zusatz gel t hervor, daß Canevaro eS doch nickt für so „sehr unwahr scheinlich" hält, daß eine einzelne Macht Absichten auf Kreta hat. DaS Kreta-Problem birgt also noch zahl reiche Möglichkeiten zu ernsten Verwickelungen in seinem Schooße. Bezüglich der Politik Oesterreich-Ungarns und Deutschlands bemerkte Canevaro, in Wien und Berlin habe man auf die Mitwirkung bei der Okkupation verzichtet, als die Candidatur deS Prinzen Georg auftauchte. Man hegte specielle Bedenken gegen diese Candidatur und man wollte sich nicht an Schritten betheiligen, die dahin führen konnten, daß die Türkei zu einer schweren Demüthigung gezwungen worden wäre. Die beiden Kaisermächte hätten aber auch nach jener Phase eine vollkommen loyale und korrekte Haltung beobachtet. Sie zeigten der Pforte ihr Wohlwollen, sie be- tbäligten aber zugleich ihr Wohlwollen für die pacisicatorische Action der vier Mächte. Wenn noch ein Zweifel daran möglich gewesen wäre, das; ganz England in der Sndanfrage einig ist, so wäre er durch die Rede behoben, welche Lord Rosebery, der frühere liberale Premierminister und politische Antipode des jetzigen Premiers Salisbury, in Epsom gestern über die Fa schoda-Angelegenheii gehalten hat. Rosebery sagte, er welche nicht von der Erklärung ab, die Grcn im Jahre 1895 abgegeben hat, als er, Redner, Premierminister war. Am schwersten wiege, daß Frankreich mit Vorbedacht einen Act bc« gangen habe, von dem England vorher erklärt hatte, daß es ihn als einen unfreundlichen ansehen werde. Hinter der Politik der jetzigen Regierung stehe die ganze Nation. Eine Regierung, die von dieser Politik abweichen wollte, würde nicht eine Woche überdauern. Salisbury habe nur uöthig, bei der in dem Blaubuche dargelegten Haltung zu beharren, und die Nation werde jedes Opfer bringen, UM Salisbury'» Vorgehen zu unterstützen. Wenn Lord Salisbury sich der gleichen Sprache be dienen wolle, wie seiner Zeit Hanotaux, so werde Salis ¬ bury die Ansprüche Egyptens auf die Sudangebiete in so gebie terischer Weise geltend machen, daß keine Regierung im Stande sei, ihrer Nachdrücklichkeit Widerstand entgegenzusetzen. Die An sprüche Egyptens auf diese Gebiete seien niemals mit mehr Nach druck verfochten worden, al» von den französischen Ministern und Botschaftern. Rosebery sprach schließlich die Hoffnung aus, der Zwischenfall werde friedlich beigelegt werden, ohne daß jedoch dabei die Rechte Englands auf Egypten gesährdet werden dürften. Das ist eine so scharfe und drohende Sprache, wie sie Lord Salisbury selber nicht schärfer und drohender führe» könnte. Man sieht hier wieder, wie in nationalen Fragen, in Fragen, bei denen daS Prestige, die Macht und der Ruhm Englands im Vordergründe stehen, alle Parteien fest Zu sammenhalten und eines Sinnes sind. Dort — und auch in Frankreich — gilt daS für selbstverständlich. Und bei uns in Deutschland? In Paris bleibt man der aufgeregten Sprache der englischen Politiker gegenüber vorläufig recht kühl. So erklärt der „Temps", Marchand sei nach Faschoda gegangen, nicht, um neue Gebiete zu durch forschen, denn diese seien bereits untersucht, sondern um zur politischen Kcnntniß des Nilthales beizutragen. Wo die Feuilleton. Die kleine Lulu. 10j Seeroman von Clark Russell. Nachdruck verboten. In diesem Augenblicke kam Suds, welcher die Ziehharmonika spielte, auf Deck und ließ sich auf diesem angenehmen Instrumente los. Etwas Gräßlicheres, als seine musikalischen Leistungen, kann sich Niemand vorstellen. Ein Lied besonders kann ich heutigen Tages noch nicht hören, ohne das Vordercastell der Brigg vor mir zu sehen und den ihm eigenen Geruch in der Nase zu spüren. Nur dieses eine Lied konnte er bis zum Schluß spielen und wiederholte es deshalb bis zur Erschlaffung, alle anderen Melodien ergänzte er bald nach den ersten Takten aus eigener Erfindung. Diese Compositionen waren derart, daß mir im Vergleich mit diesem «in Concert der vereinigten Katzen und Kater eines ganzen Stadtviertels eine Erholung gewesen wäre. Die übrigen Matrosen dagegen fanden sein Spiel herrlich. Die Pfeife im Mund«, saß«n sie, aufmerksam laufchend, im Kreise, und folgten mit Bewunderung den Fingern ihres MaatS; mochte er hundert Mal dasselbe spielen, sie waren es zufrieden und er müdeten nie. Diese Musik brachte Deacon zum Schweigen. Ich dachte noch eine Weile über seine sonderbaren Fragen nach und vergaß sie dann. Wir befanden uns in Breiten, wo die Dämmerung von kurzer Dauer ist. Die Sonne sank wie ein runder, scharf geränderter, glühender Schild allmählich ins Meer. Unbeschreiblich war das Bild, welches in ihrem feurigen Schein di« mächtige rollende Dünung gewährte, wenn jeder Wasserberg, den blutrothen Wider schein passirend, seine blaue Farbe in Gold verwandelte. Als schließlich die Sonnenscheibe ganz verschwunden war, brach di« Dunkelheit rasch herein, und am Himmelsgewölbe er schienen spärlich einige Sterne. Auch wenn kein Witterungswechsel eintrat, war doch jeden falls eine dunkle Nacht zu erwarten, denn wir hatten keinen Mondschein. Al» es acht Glasen schlug und die Steuerbordwache den Deckdienst übernahm, wurde mir der Ausguck auf dem Vorder deck überwiesen. Das heftige Stampfen der Brigg war kaum mehr zu ertragen; die fortwährende Anstrengung, das Gleich gewicht zu erhalten, ermüdet« den Körper in ganz außer gewöhnlicher Weise. Mit ebenso großer Sehnsucht wie der Capitain selbst, sah ich nach dem ersten Anzeichen von Wind aus. Ich kann nicht erklären, woher es kam, daß sich in der allge meinen Dunkelheit die Schwärze des Wassers doch noch dem Be wußtsein aufdrängte. Schrecken erfüllte mein Herz, wenn ich an den unendlichen Raum dachte, welcher sich Meilen und Meilen um uns her erstreckte. Jedesmal, wenn die Brigg hoch gehoben wurde, um gleich darnach wieder in die fürchterliche Tiefe hinab gezogen zu werden, überschlich mich unwillkürlich ein Grauen vor der unsichtbaren Macht, die hier waltete. In unmittelbarer Nähe des Schiffes phosphorescirte das Wasser, weiter äb aber war kein Leuchten zu fehen. Feurige Ströme ergossen sich aus den Gaten, sobald es sich von der einen Seite auf die andere legte; mehrere Fuß tief schnitt sein starker Vorsteven in den feurigen Schaum, wenn die Roller bis zur Höhe des Außenklüvers stiegen. Auch ein weniger phantasie reiches Auge als das meinige hätte in dem glitzernden Figuren spiel zauberische Gebilde zu sehen vermocht. Liverpool-Sam, welcher, 'wie es schien, unten keine Ruhe hatte finden können, tastete sich zu mir und raisonnirte auf den Capitain, weil dieser nicht die Segel hatte kürzen lassen, so lang« es zu der Arbeit noch hell genug war. „Dat ist justement hüt de richtige Ort Nacht, üm bi so' an sackermentsche Arbeit äwer Burd tau gähn", knurrte er, „un wenn einen dat passirt, ward hei womöglich nich hürt, nich sehn, hei kann vrrsupen, ahn dat einer 'nen Finger rögt, em tau helpen. Duntaumalen, as ik noch en jungen Kierl war, da was dat betcr, da smeten sei bi so en Gelegenheit en liichtende Boje in 't Water, dünn hadd doch so 'n arm Luder wat, an wat hei sik Hollen künnt." „Es ist doch ein Barometer an Bord", sagte ich, „und das Quecksilber versteht mehr von dem, was kommen wird, als Du oder ich. Das wird wohl dem Capitain gesagt haben, daß er ruhig die Segel oben behalten kann. Aber mir gefällt freilich das Aussehen des Himmels auch nicht, ich verstehe die Bedeutung dieser fürchterlichen Wogeüberge nicht." „Quecksülwer!" rief der alte Mann im Tone tiefster Ver achtung. „Wat fall woll dat Quecksülwer mit dat Weder tau dauhn hebben? Dal hürt in d« Afteike. Ik hew Lüd kennt, sagg ik Di, de hebben dat Weder ut diit konträr gegen all Baromeiters. Ik segelte einmal unner en Kapteihn, de seggte: „Dat Glas iS fallen, dat dedüt flicht Weder, äwer de Himmel süht mi nich darnach ut, ik ward all Segel baben laten!" Un sühst Du, de Kbpteihn hadd Recht, un de Baromriter hadd logen. — Quecksülwer! Wenn wi kein beter Wedertüken hädden, denn miiggt dat vel Wracks mihr gewen.", — Sam gehörte zu jenen konservativen Seeleuten, welche streng an der Vergangenheit festhalten, bis herab zur Zeit ihrer Groß väter. Sie hassen alle Neuerungen und nehmen, keine Ver besserungen an. Wenn sie nicht behaupten, daß Noah's Archc das einzige Fahrzeug war, welches sich für die See eignete, so ist dies nur, weil Noah's Arche eben ein wenig vor ihrer Zeit gebaut wurde. Wäre aber Noah ihr Großvater gewesen, dann hielten sie ganz sicherlich seine Arche für das Musterschiff, von dessen Bauart abzuweichen reine Ketzerei gewesen wäre. In der Regel sind diese Leute gute Matrosen, arbeiten aber nie, ohne zu schimpfen. Jede Art von Verbesserung des Tau werks, jeder patentirte Apparat, welcher Art immer er auch sei, gleichviel, ob ihnen selbst auch eine ungeheure Wohlthat, ist ihnen ein Gegenstand steten Aergernisses. Eigensinnig drehen sie ihre Prim im Munde und sprechen von „vor fünfzig Jahren, als die Capitain« noch Männer waren, die ihre Sache verstanden und nicht bloße Kohlenschiffer, wozu sie heutzutage der Dampf gemacht habe; vor fünfzig Jahren hätte der beste Capitain nicht lesen können und keine Handelsgerichtsgelehrsamkeit bedurft, um sein Schiff gut zu führen." Ich war im Begriff, einige bescheidene Entschuldigungen für das Quecksilber vorzubringen, als Sam, plötzlich nach oben zeigend, erschreckt rief: „Maat kiek, — Gott bewahr uns, ik will nie wedder en Droppen drünken, wenn dit nich en KoMposant is." Ich sah aus und erblickte, was ich noch nie gesehen hatte, obgleich den meisten Seeleuten etwas ganz Bekanntes, eine kleine blaue Feuerkugel, welche über dem Ende der Vorbram-Raanoke schwebte. Sie blieb einige Augenblicke unbeweglich an dieser Stelle, obwohl man hätte annehmen sollen, daß das Schwanken des Schiffes sie über oder unter die Spiere hätte bringen müssen, darauf verschwand sie. Nach einem Augenblick erschien sie oder eine andere wieder, und zwar diesmal auf der Fock-Raanoke, direkt über unseren Köpfen. Dies sehend, rannte Sam, mir zurufend: „Lat Di nich belüchten, dat is Düwelslicht, dat bringt Unglück", so schnell er konnte davon und stürzte sich Hals über Kopf in die Luke. Da ich des alten Mannes abergläubische Furcht nicht theilte, sah ich mir das Ding sehr aufmerksam an. Sein Glanz war sehr matt, obgleich es einen Hof Hellen Nebels ausstrahlte. Es sah mir aus wie entzündete Lust, wiewohl ich nicht verstehen konnte, warum es dann so localisirt blieb uiÄ> weder größer noch kleiner wurde. Dann dachte ich, daß es doch eine Ver wandtschaft mit den bekannten Irrlichtern haben müsse, deren Entstehen man den Gasausströmungen der Sümpfe zuschreibt, und glaubte daher, die hier auftauchende Erscheinung sei durch Elektricität hervorgerufen. — Späterhin machte ich die Be merkung, daß das Licht hauptsächlich auf dem oberen Eisenwerk des Schiffes erschien und selbst bei heftigstem Winde ruhig leuchtete. Dec abergläubische Seemann betrachtet diese Feuer kugeln mit Angst, da er sie für übernatürliche Verkünder von Glück oder Unglück hält, je nachdem sie von der Stelle ihre» Erschcinens steigen oder fallen. Ich wurde in meinen Betrachtungen durch den alten Wind wärts unterbrochen, der mir zurief: „Wo ist der Kompreesant*) hingegangen?" „Er verlöschte, Sir." „Wo zeigte er sich, nachdem er auf der Vorbcam-Raa ge wesen?" „Auf der Fock-Raanoke." Nach einer kurzen Pause brüllte er: „Große Obermars- und Bramsegel aufgeien! — Außen klüver Niederhalen!" Diese Befehle, welche so unmittelbar der Erscheinung des geisterhaften Lichtes folgten, erregten bei den Leuten ein Gefühl unheimlichen Grauens, welches schließlich auch mich überkam. Einig« stiegen schweigend in die Wanten, um die Reuls zu beschlagen. Ich stellte mir vor, wie sie in der Dunkelheit in das schwer erkennbare Takelwerk schielen mochten, jeden Augenblick in der angstvollen Erwartung, 'das geisterhafte Licht wieder erscheinen zu sehen. Der nächste Befehl lautete, Vas Vorbramsegel festzumachen. „Da süht man wedder, wat dat för en Hundsfott is", fluchte einer von den Leuten, „so lange as 't hell was, wiird nicks anrührt, un up stunns wo't so dunkel is, dat man sic» eigen Näss nich seih» kann, heit 't Segel körten." Der Mann hatte nicht Unrecht. Die Arbeit war unter den obwaltenden Umständen eine ganz außerordentlich mühsame und gefährliche. Der Himmel war von einem Dunst überzogen, welcher das schwache Licht her Sterne vollständig verhüllte; es herrschte eine totale Finsterniß. Nur die Lampe im Compaß- häuschen warf einen schwachen Schein durch die schwarze Nacht auf den Mann am Rave. Nachdem ver Klüver niedergeholt und die oberen Segel be schlagen 'waren, standen wir — nämlich die Wache — in einem Haufen beisammen und warteten auf weitere Befehle. *») TaS Wort schreibt sich ivahrscheinlich von corpus snncti her, oder ist vielmehr die Malrojen-Au-fprache des Lateinischen.
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