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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.10.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981020015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898102001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898102001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-20
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Börner in Dresden hat kürzlich auf dem sächsischen Gemeindetaqe in Plauen einen Vortrag über die Be deutung des Bürgerlichen Gesetzbuches für die sächsische Ge meindeverwaltung gehalten, in welchem er unter Anderem auch über das neu zu errichtend« Institut eines Gemeinde waisenraths Folgendes bemerkt hat: „Eine neue Aufgabe erwächst der Gemeindeverwaltung in dem Gemeindewaisenrathe. Der dem Gemoinderathe zugewiesene Wirkungskreis ist ziemlich umfangsreich. Der Gemeindewaisen rath hat, sobald er von einem Fall« Kenntniß erhält, in welchem ein Bormund, Gegenvormund oder Pfleger zu bestellen ist, dem zuständigen Vormundschaftsgericht Anzeige zu erstatten, und die für die Uebernahme des Amtes geeignete Person vorzuschlagen. Er hat ferner — und das ist seine Hauptaufgabe — in Unter stützung des Vormundschaftsgerichts darüber zu wachen, datz die Vormünder der in seinem Bezirke sich aufhaltenden Mündel für die Person der Mündel, insbesondere für ihre Erziehung und Pflege, pflichtgemäß Sorge tragen, und die zu seiner Kenntniß gelangten Mängel und Pflichtwidrigkeiten dem Dormundschcrfts- gericht« mitzutherlen. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Pfleger. Richt minder hat er auf Erfordern dem Vormundschaftsgerichte über das persönliche Ergehen und Verhalten eines Mündels Aus kunft zu ertheilen. Eine Ueberwachung der Vormünder in Be zug auf die Vermögensverwaltung liegt ihm nicht ob; er hat nur, wenn er von der Gefährdung des Mündelvrrmögrns erfährt, das Vormundschaftsgericht zu benachrichtigen. Damit der Gemeinde- waisenrath seinen Pflichten nachkommen kann, wird ihm von dem Vormundschaftsgerichte jede Anordnung einer Vormundschaft oder Pflegschaft unter Bezeichnung des Vormundes, Pflegers und des Gegenvormundes, sowie ein in der Person deS Vormundes, Pflegers oder Geqenvormundes eintretender Wechsel mitgetheilt. Ebenso ist die Verlegung des Aufenthaltes eines Mündels in einen anderen Bezirk von dem Vormund oder Pfleger dem Ge meindewaisenrathe des bisherigen Aufenthaltsortes und von diesem wieder dem Gemeindewaisenrathe des neuen Aufenthalts ortes mitzutheilen. Soweit Minderjährige unter elterlicher Ge walt stehen, beschränkt sich die Obliegenheit des Gemeindewaisen- raths darauf, daß er, sobald ein Fall zu seiner Kenntniß gelangt, in welchem das Vormundschaftsgericht zum Einschreiten berufen ist, dem Vormundschaftsgericht Anzeige erstattet; solche Fälle sind namentlich die, in denen das leibliche oder geistige Wohl eines Kindes oder dessen Vermögen von dem Inhaber der elterlichen Gewalt erheblich gefährdet wird (B. G.-B. 88 1849—1851, 1779 Abs. 1, 8 1792 Abs. 4, K 1862 Abs. 1, LjK 1897, 1915, 8 1675; Reichsgesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898 8 49). Die dem Gemeindewaisenrathe zugewiesenen Ge schäfte werden zur Zeit in Sachsen zum großen Theile von den Ortsgerichtsprrsonen erledigt. Das Gesetzbuch verlangt eine Be- theiligung der Gemeinde als solcher. In der Denkschrift, di« mit dem Entwürfe des Gesetzbuches dem Reichstage vorgelegt worden ist, wird ausdrücklich hervorgehoben, daß in der Einrichtung des Gemeindewaisenraths der Gemeinde «ine gewisse Mitwirkung bei der Führung der Obervormundschaft gesichert werde. Wie der Gemeindewaisenrath eingerichtet wird, steht noch da- hin. Die Einrichtung erfolgt auf Grund des Ausführungs gesetzes durch Verordnung. Die Verordnung ist noch nicht er lassen. Nah« liegt, den Gemeindewaisenrath in Städten mit revidirter Städteordnung nach Art eines gemischten ständigen Ausschusses zusammenzusehen. Einen Vorgang hierfür bietet der Schulausschuß. Dabei mag in Frage kommen, ob nicht für große Städte, vielleicht für Städte mit über 100 000 Ein wohnern, nachzulassrn sei, daß mehrere solche Ausschüsse mit örtlich abgegrenztem Wirkungskreis eingesetzt werden. Für Städte ohne revidirte Städteordnung und für das Land dürfte es sich empfehlen, den Gemeindevertretungen anheimzüstellen, eine Person, oder nach Bedürfniß mehrer« Personen zu Waffen- räthen zu bestellen. An hierzu geeigneten Personen wird eS nicht fehlen. DaS Absehen dürfte wohl in erster Linie auf di« Ortsgerichtsprrsonen gerichtet werden, da diese sich vermöge der bisherigen Uebung am leichtesten mit dem Amte vertraut machen werden. In Preußen, aus dessen Rechte der Gemeindewaisenrath entnommen ist, sind nicht selten auch Geistliche Gemein^wmsrn- räthe. Das Amt des Gemeindewaisenraths kann meines Erachtens nur «in unentgeltlich zu verwaltendes Ehrenamt sein; dir säch lichen Kosten fall«n der Gemeind- zur Last. Daneben entstehen noch weitere Fragen, so die Frage, wie das Verhältniß des Ge meindewaisenraths zum Vvrmundschaftsgerichte zu ordnen ist, erner, ob den Gemeindewaisenrächen nicht zu gestatten sei, ich bei der Uebenvachung der Sorge für klein« Kinder oder für weibliche Mündel der Hilfe ehrbarer Frauen, di« man vielleicht Waisenpfleyerinnen nennm könnte, zu bedienen. Für die Städte, in denen die bereits «rörterte Generalvormundschaft be- teht, wird die Geschäftsläst -deS Gem«indewäis«nraths verhältniß. mäßig gering sein. Dir Generalbevormundung birtet an sich di« Gewähr für eine angemessen« Mündelfürsorge gerade in den- enigen Bevölkerungskreisen, auf dir aus naheliegenden Gründen der Gemeindewaisenrath vornehmlich sein Augenmerk zu richten hat. Da der Gemeindewaisenrath seinem Wesen nach ein Control- organ für den Vormund ist, so ergiebt sich von selbst, daß der mit der Generalvormundschaft betraute Beamte nicht Mitglied des Gemeindewaisenraths sein kann." Die Neformpartei in China. Zu den jüngsten Ereignissen im Reich der Mitte hat in erster Linie die Reformpartei beigitragen, die vor einigen Jahren gegründet wurde, und da diese aller Voraussicht nach eine wich tige Rolle in der Geschichte Ostasiens spielen wird, dürften einige dem „Schwäb. Merc." entnommene Mittheilungen über die Ent stehung und das Wesen dieser Partei am Platze sein. Bis in die neueste Zeit hinein wollte man in China nichts von europäischen Einrichtungen wissen, aber der letzte Krieg brachte einem Theil der Chinesen endlich doch die Ueberzeugung, daß man so Manches von den Ländern des Westens lernen konnte. Einen hand greiflichen Beweis lieferten ihnen ja die Japaner, di» nicht nur auf dem Gebiete der Kriegskunst, sondern auch der Industrie so viel von Europa gelernt hatten, und so brach sich denn auch in China die Ansicht Bahn, daß mit den alten Ueberlieferungen gebrochen und Reformen angestrebt werden müßten. Ein Mitglied der Hanlinakademie, Namens Kong-Chan g- su, der sich in den letzten Jahren durch mehrere politische philosophische Werke bekannt gemacht hatte, war der Erste, der an die Bildung einer Rcformgesellschaft dachte, und diese Idee brachte er nach dem letzten Kriege zur Verwirklichung, indem er im Juli 1895 in Peking eine solche Gesellschaft gründete, deren chinesischer Name C h i a n g - H s ü - Hu i ist. Es dauerte auch nicht lange, daß die Gesellschaft ein Blatt herausgab, dessen erste Nummer eine Einleitung vom Vicrkönig Chang-Chih-tung und das social-politische Programm der Reformgesellschaft enthielt. In letzterem verpflichteten sich di« Mitglieder, dafür zu arbeiten, daß die chinesische Nation als die zahlreichste Rasse der Erde durch Aufklärung und Bildung in den Stand gesetzt werde, den ersten Platz einzunehmen. Die Europäer, hieß es weiter, hätten in den letzten Jahrhunderten die Chinesen in vieler Hinsicht überholt, und deshalb müsse durch Ilebersetzungen für möglichste Verbreitung der wissenschaftlichen Literatur Europas gesorgt werden. Di« moralische Gruntdlag« der Gesellschaft solle die confucianische sein, auch wollten die Mitglieder in dieser Richtung für eine Reform der Zeitrechnung wirken, so daß das Jahr 1 mit dem Tod« ConfuciuS' (479 v. Chr.) beginnen solle. Es wurde bald eine Modesache für jüngere intelligente Männer, Mitglied der Chiang-Hsii-Hui zu werden, und in wenigen Monaten hatten sich 50 Mitglieder der Hanlin-Akademie der Reformgesellschaft angeschlosien. Da die Mitglieder der Akademie die gegebenen Anwärter für die höchsten Armier in China sind, waren die Ultraconservativen nicht wenig ängstlich darüber, daß die neue Reformbewegung einen großen Umfang annehmen könnte. Auch ließen die Artikel des Gesellschaftsorganes kaum einen Zweifel darüber, daß die Reformgesellschaft auf eine rckdicale Aenderung des Regierungs ¬ systems hinorbeitek. Besonders gerieihen die Tensoren in Auf regung. Die Crnsurbehörde zählt in der Regel 60 der an gesehensten Männer Chinas, die Jeden, vom Kaiser ab, zum Gegenstand ihrer Kritik machen können. Einer der Censoren bezeichnete in einem Schreiben an den Kaiser Kuang-Hsü di« Thätigkeit der Gesellschaft geradezu als revolutionär! und gefährlich für die Dynastie. Da der Kaiser ähnliche Warnungen auch von mehreren seiner vertrautesten Rathgeber erhielt, verfügte er im Derember 1895 die Auslösung der Reformgesellschaft. Beim Neujahrsempfang drückte der Kaiser noch mündlich seinen Unwillen über die Reformbewegung aus, aber bei dieser Gelegenheit nahmen mehrere Minister die Wirksamkeit der Gesellschaft in Schutz, erbotrn sich, die Gewähr für die Loyalität der Mitglieder zu über nehmen und bemerkten, daß der letzte Krieg die Nothwendigkeit gezeigt habe, für Kenntniß der Wissenschaft der westlichen Na tionen zu sorgen. Der Kaiser hörte aufmerksam zu und drückte chließlich sein Bedauern darüber aus, daß er den Gegnern der Reformbewegung ein allzu williges Ohr geliehen habe. Im Februar 1896 erschien eine neue Verfügung, in welcher Kuang- Hsü der Reformgesellschaft unter einigen Veränderungen und der Bedingung, daß der Freund und Lehrer des Kaisers im Englischen Vorsitzender würde, die Wiederaufnahme der Thätig- keit gestattete. Von nun an erfreut« sich die Gesellschaft starken Zuwachses. Die intelligenten Männer zahlreicher Großstädte folgten dem rn Peking gegebenen Beispiel, und selbst in Singan-fu, der Hauptstadt der nördlichen Binnenprovinz Schensi, erstand ein Ableger der Pekinger Reformgesellschaft. Die Abtheilung in Shanghai miethete sich innerhalb des englischen Bezirkes ein Local, wodurch die Mitglieder außerhalb der chinesischen Auf sicht kamen, «in Vortheil, den sich auch di« Gesellschaft in aus gedehntem Maße zu Nutze machte. Der junge Kaiser hat an der Wirksamkeit >der Reformgesellschaft kernen Anstoß genommen, vielmehr legte er allzu sehr seine Sympathie für die neue Be wegung an den Tag. Kuang-Hsü war nach dem Zeugniß aller Gesandten ein ungewöhnlich begabter Mann, wozu noch kam, daß er durch seine Sprachlehrer mit europäischen Anschauungen bekannt gemacht wurde und stets englische Zeitungen las. Des halb ist es zu verstehen, wenn er wegen der Zukunft des un geheuren Reiches Besorgnisse hegte und dir Bestrebungen der Reformfreunde ermunterte. Außerdem soll Kuang-Hsü gehofft haben, mit deren Hilfe die Vormundschaft, in der ihn die Kaiserin-Wittw« selbst noch nach seiner officiellen Thronbesteigung erhält, abschütteln zu können. In dieser Hoffnung haben ihn die Leiter der Reform partei ziemlich offenkundig bestärkt, was eben gleichzeitig die Kärserin-Wittwe veranlaßte, im Lager der Gegner Unterstützung zu suchen. Kuang-Hsü hat in den Jahren 1897 und 1898, mit der Reformpartei >d«r Centralregierung im Rücken, ein Reform- decret nach dem anderen erlassen, aber er sowohl wie seine Freunde überschätzten ihre Kräfte. Sie vergaßen, daß eine Reform in einem Reiche, das 400 Millionen Menschen zählt, langer Vorbereitungen bedarf. Die Chinesen sind eine conser- vative Nation und wollen stets das Alt« gegen das Neue er proben. Deshalb hat auch Li-Hung-Chang offene Opposition gegen mehrere der kaiserlichen Reformpläne gemacht, und das Ergebniß war, daß die Reformpartei in der Centralregierung eine ernste Niederlage erlitt. Die Reformfreunde werden hieraus sicher eine nützliche Lehr- ziehen. So lange die Kaiserin-Wittw« und Chinas „eiserner Kanzler" leben, werden sie schwerlich wieder ans Ruder kommen, aber Beide haben ein ansehnliches Alter erreicht, si« 64, er 76, und die Zukunft gehört der Jugend. Die Reformbewegung wird nie wieder zur Ruhe kommen, dafür sorgen die Europäer durch ihr Vorgehen, aber die Reformfreunde werden sich erinnern, was ihr Landsmann Marquis TsSng ein mal in „Asiatic Review" schrieb: „Nicht eilen — es ist weit zum Ende der Welt. Die Chinesen werden schon dazu kommen, den Platz «inzunehmen, d«r ihnen unter den Nationen gebührt." Von diesem Staatsmann rührt noch «in anderer Ausspruch her: „Nach 50 Jahren wird Europa nicht gegen uns Krieg führen wollen, weil wir zu langsam in der Anwendung von Dampf und Elektricität sind — sondern weil wir uns im Laufe dieses Zeitraumes diese europäischen Hilfsmittel im Dienst der In dustrie allzu s«hr dienstbar gemacht haben." Deutsches Reich. Leipzig, 19. October. (Socialdrmokratische Hetzerei.) In einem Hetzartikel über die „widerliche, bar barische, gemeine" Wohlthätigkeit unserer Zeit schüttet die „ S ä ch s. A r b e i t e r z t g." die Schale ihres Geifers über die 18. Versammlung des deutschenVerrinsfür Armen ) flege und Wohlthätigkeit aus, auf der verlangt wurde, es sollten diejenigen Eltern und Kinder ins Zwangsarbeitshau- gebracht werden, die den ihnen obliegenden Pflichten niftt ge nügten. Das genannte socialdemokratische Blatt bemerkt hierzu: „Die BandedesBlutes sind stark genug, um selbst in einer olchen Carricatur der Ehe und der Familie, wie wir sie haben, zu veranlassen, daß in der Regel den natürlichen Pflichten Genüge gethan wird. Wo es nicht geschieht, wo etwa rin Sohn es darauf ankommen läßt, daß seine Eltern der „Gemeinde zur Last fallen", da muß sich entweder eine furcht bare Familienkatastrophe zugetragen haben oder — was in den meisten Fällen zutreffend ist — das Elend hat eine solch« gräß liche Ausdehnung angenommen, daß die Stimme des Blutes schweigen muß." — Eine ärgere Schönfärberei zu Gunsten der Faulen, Trunkenbolde, Rohen und Lasterhaften ist nicht leickt denkbar. Wer die amtlichen Bekanntmachungen der Behörden in dieser Beziehung liest, weiß, in wie zahlreichen Fällen, der Bande des Blutes ungeachtet, den natürlichen Pflichten nicht genügt wird. Der Schreiber Lieser Zeilen hat jahrelang im „Leipziger Tageblatt" derartige Bekanntmachungen verfolgt, in denen verheirathete und unverheirathete Personen ge sucht werden, die „zur Fürsorge für ihre Familie" oder „zur Fürsorge für ihr Kind" „anzuhalten" waren. Und daß das Schicksal König Lear's mutacki» mutuuckis auch unter der Arbeiterbevölkerung Deutschlands sich wiederholt, steht fest. Die „Sächs. Arbeiterztg." zeigt sich ferner sichtlich rntrüstet über die Prügel st rafe, die im Leipziger Arbeitshaus be steht und an armen, verkommenen, „halbidiotischen" Menschen vollstreckt werde. Es ist schon in der Nürnberger Versammlung vom Stadtrath Ludwig-Wolff darauf hingewiesen worden, daß nur Der Prügel bekomme, der sie verdirnt. Die „ver kommenen" Insassen des Arbeitshauses ganz allgemein als „idiotisch" auszugeben, ist Entstellung der Thatsachen, die fast nur durch di« Absicht begreiflich erscheint, die Anerkennung, den Dank und die Abhängigkeit dieser Elemente der Socialdemo kratie zu sichern. > , > U Berlin, 19. October. (Eine neue polnische Liga.) Die gleichzeitig gegen den preußischen Staat und daS deutsche VolkSthum gerichtete großpolnische Agitation hat den Ge danken der Gründung einer polnischen Liga zum Schutze der polnischen Sprache aufgegriffen und be müht sich mit großem Eifer, ihn unter der polnisch redenden Bevölkerung populär zu machen. Es entspricht ja nur der auf systematische Irreführung der öffentlichen Meinung ge richteten Tendenz der großpolnischen Bewegung, das aggressive Borgeben der großpolniscken Hetzer dadurch zu verschleiern, daß man die Situation fälscht und sich den Anschein giebt, als Händlers sich um eine Action legitimer Notbwehr gegen Ausschreitungen der Polenpolitik der preußischen Staatsregierung. Die „Gazeta bandlowo-geograsic^na", welche jenseits der preußischen Grenze, in Lemberg, erscheint, und deSbalb bezüglich deS wahren Charakters der großpolnischen Agitation in Preußen eine durch keinerlei Rücksichtnahme auf vaS preußische Gesetz be engte Sprache führen kann, erklärt denn auch ganz offen, daß der „Schutz der polnischen Sprache" nur ein Vorwand ist, und daß die zu schaffende Liga in Wahrheit ein Verein sein soll, der aus der Wacht der Interessen des ge- sammten PolenthumS steht." „Dem H.-K.T. wollen wir Polen eine L. P. (Liga Polska) ent- geqenstcllen. Wir werden für die Idee Propaganda machen, der das Polenthum seit rund hundert Jahren seine Existenz verdankt. Wir werden polnische Vereine in de» Grenzgebieten, in den von polnischen Auswanderern bewohnten Gegenden und in der Heimat h gründen. Wir werden polnische Schulen inS Leben rufen und in den verschiedenen Ländern, auf der ganzen Welt, überall, wohin unser Einfluß reicht, Vereine von Freunden Polens organisiren ... Wir werden unseren nationalen Aspirationen außerhalb der Grenzen Polens Ausbreitung und Bolksthümlichkeit ver- Feiiillstsn. Joseph Joachim in Leipzig. Bon Andrea- Moser. (Fortsetzung.) Inzwischen war die Kunde von dem glänzenden Talent d«S Wunderknaben auch bis nach London gedrungen, wo ein Onkel von ihm leibte und sein Bruder Heinrich. Aus verschiedenen Gründen könnt« ein «rfolgveiches Auftreten in der Hauptstadt Englands für des Knaben Zukunft von weittragender Bedeutung werden, und so unternahm «r denn Anfang 1844 die Reff« dorthin. Da Joachim unter vielen Empfehlungsbriefen an einfluß reiche Persönlichkeiten in London auch einen an Ignaz MoscheleS besaß, so veranlaßt« dieser daS erst« Auftreten deS Knaben in einem Concert, >daS der Unternehmer Bunn am 28. März 1844 im Drury-Lane-Theater veranstaltete. MoscheleS spielte in dem selben seine „Phantasie über irische Volkslieder" und Joachim di« bereits erprobt« „Othello-Phantasie" von Ernst. Dem Toncrrt folgte Balfe'S Oper ,.Dtis öotiemian girl", und dir Reclame- notiz, ohne di« eS jenseits des Canals nicht gut abgeht, lautete: ,,In tkv Ooncert betör« tbe Lvbvmiau girl tkv eelekrntaä Hongariau do^ ckosspk ckoaebim eeiii portorm". Mendelssohn, der mittlerweile auch nach London gekommen war, hatte seinen Hellen Spaß an drm Verdruß deS Jungen über die Art der Re klame und nannte ihn von da ab scherzweise „m/ Hongn- riav dozt". Am 19. Mai 1844 veranstaltet« JuleS Benedict rin Riesrn- concert mit 23 Nummern, und di« folgenden Künstler bestritten die Ausführung de» Programms: Mendelssohn, Grisi, Shaw, Mario, Saldi, Lablache, Staudigl, Mm«. Dülken, Thal berg, Sivori, Joachim, Parffh-MvarS. Schon die bloße That- sache, daß em dreizehnjähriger Knabe es wagt«, im Verein mit den größten europäischen Berühmtheiten der damaligen Zeit vor die Rampe zu treten, fordert staunend« Bewunderung heraus. Daß er aber, vom Publicum mit Beifall überschüttet, auch die herzliche Anerkennung eines Künstlers wie Lablache errungen hat, geht schon auS dem Umstande hervor, daß dieser von nun ab über all gegenwärtig war, wo der Knabe sich hören ließ. Und nnnn er eine Stille besonders schön in Tongebung und Phrasirung ge spielt hatte, so durfte er sicher sein, daß ihm auS irgend einer Ecke deS SaakS die klangvolle Stimm« Lablache's darüber mit einem lauten „serr gutt" aufmunternd und dankend quittirtr. Hatte sich Joachim auf diese Weise bei dem Londoner Publicum auf daS Günstigste eingefllhrt, so gestaltete sich sein Auftreten im fünften philharmonischen Concert zu einem künst lerischen Ereignis; ersten Ranges, denn er spielt« in diesem am 27. Mai 1844 unter Mendelssohn'- Direktion zum ersten Mal daS violinconoert von Beethoven, j«n«S wunderbar« Werk, mit dessen idealer, vollendet«! Wiedergabe er seitdem Tausende und Abrrtausende begeistert hat und seit mehr als einem halben Jahr hundert ohne Rivalen dasteht. Die Statuten der phil harmonischen Gesellschaft ließen sonst das Auftreten von Wunder kindern in ihren Ccmrrrten nicht zu; allein es war Mendelssohn gelungen, daS ComitS davon zu überzeugen, daß eS sich hier nicht um daS AuSstellen «ineS künstlich gereiften Treibhaus- grwächseS handelte, sondern um dir herrlichen Leistungen eines Künstlers, der blol zufälliger Weise noch sehr jung sei. Am Tag« nach dem Concert schrieb Mendelisofp, den folgenden Brief an WitgensteinS in Leipzig: „verehrter Herr! Ich kann'- nicht unterlassen, wenigst«,,» mit einigen Worten Ihnen zu sagen, welch' einen unerhörten, beispiellosen Erfolg unser lieber Joseph gestern Abend im philharmonischen Con cert durch seinen Vortrag des Beethoven'schen Diolinconcertes gehabt hat. Ein Jubel des ganzen Publicums, ein« ein stimmige Liebe und Hochachtung aller Musiker, eine herzliche Zuneigung von Allen, di« an der Musik aufrichtig theilnehmen und di« schönsten Hoffnungen auf solch' ein Talent bauen — da- Alles sprach sich am gestrigen Abend auS. Haben Sie Dank, daß Sie und Ihre Gemahlin die Ursache waren, diesen vortrefflichen Knaben in unsere Gegend zu bringen; haben Sie Dank für alle Freude, di« «r mir namentlich gemacht hat, und erhalt« ihn der Himmel nur in guter, fester Gesundheit; aller Andere, was wir für ihn wünschen, wird dann nicht aus bleiben — oder vielmehr, es kann nicht ausbleiben, denn er braucht nicht mehr ein trefflicher Künstler und ein braver Mensch zu werden, er ist es schon so sicher, wie «S je ein Knabe sein«» Alters sein kann oder gewesen ist. Di« Aufregung, in die er schon in der Probe alle Leut« versetzt hatte, war so groß, daß ein rasender Applaus anfing, sobald er gestern ins Orchester trat, und es dauerte sehr lange, bis das Stück beginnen konnte. Dann spielte er aber den Anfang so herrlich, so sicher und rein, und trotzdem, daß «r ohne Not«, spielt«, mit solcher untadeligen Festigkeit, daß daS Publicum ihn noch vor dem ersten großen Tutti dreimal durch Applaudrren unterbrach und dann das halbe Tutti durch applaudirte; ebenso unterbrachen sie ihn einmal mitt«n in seiner Cadenz, u^ nach dem ersten Stücke hörte d«r Lärm eben nur auf, weil er einmal aufhören mußt« und weil den Leuten die Hände vom Klatschen und die Kehlen vom Schreien wrh thun mutzten. Es war eine große Freud«, das mit an zusehen, und dabei des Knaben ruhige und feste, durch nichts angefochten« Bescheidenheit. Er sagte mir nach dem rrsten Stück keife: „Ich habe doch eigentlich sehr große Angst". Der Jubel des Publicum- begleitete jede einzelne Stelle dos ganze Concert hindurch; als es aus war und ich ihn schon die Treppe heruntergebracht hatte, mußte ich ihn noch einmal wieder holen, daß er noch einmal sich bedankte, und auch dann daukrte der donnernde Lärm noch, bis er lang« wieder die Treppe herunter und aus dem Saal war. Ein Elfolg, wie der anerkanntestr, berühmteste Künstler ihn nie besser wünschen und besser haben kann. Der Hauptzweck, der bei einem rrsten englischen Aufenthalt nach meiner Meinung zu erreichen war, ist hierdurch aufs Vollständigste erreicht: Alles, was sich hier für Musik inter- essirt, ist ihm Freund und wird seiner eingedenk bleiben. Nun wünsche ich, was Sie wissen: daß er bald zu vollkommener Ruhe und gänzlicher Abgeschiedenheit vom äußerlichen Treiben zurückkehre, daß er die nächsten zwei bis drei Jahre nur dazu anwende, sein Inneres in jeder Beziehung zu bilden, sich dabei in allen Fächern seiner Kunst zu üben, in denen es ihm noch fehlt, ohne Das zu vernachlässigen, was er schon erreicht hat, fleißig zu componiren, noch fleißiger spazieren zu gehen und für seine körperlich« Entwickelung zu sorgen, um dann in drei Jahren ein so gesunder Jüngling an Körper und Geist zu sein, wie «r jetzt ein Knabe ist. Ohne vollkommene Ruhe halte ich da- für unmöglich; möge sie ihm vergönnt sein zu allem Guten, was der Himmel ihm schon gab. An Ihre Frau Gemahlin ist der Brief mitgerichtet; also nur noch ein kurzes Lebewohl von Ihrem ergebensten Felix Mendelssohn-Bartholdy." Glücklich wieder nach Leipzig und in di« vertrauten Ver hältnisse zurückgekehrt, wirkte Joachim im Winter 1844 auf 1845 in einigen Concerten im Gewandhaus mit, die gleich ehren voll für ihn waren: am 25. November spielte er mit Ernst, Bazzini und David Maurer'« Concertante für vier Violinen und am 4. December in einem Concerte der Jenny Lind, auf diese Weise eine Bekanntschaft eingehend, die bi- zum Hinschriden der herrlichen Künstlerin andauern sollte. Ueber die glänzende Ausführung des Maurer'schen Concertante seitens der vier Künstler berichtet A. Dörfftl in seiner „Beschicht« der Gewand»
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