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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.10.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981024013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898102401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898102401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-24
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I» H« H<Nlpt«xp«dttto» oder den im Ltabd b«iri »nd d« Borortrn errichteten BoS- «abestellen abgeholt: vierteljährlich ^!4.b0, vei zweimaliger täglicher Zustellung in» Lau« KLO. Durch die Post bezogen für Deutschland nud Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Krruzbandienduu- tu» «Ltlaud: mouatltch 7.KO. Die Viorgen-Ausgabe «scheint um '/.? Uh«, di« dlbeud-Ausgab« Wochentag« um b Uhr. Ne-ltttto« und Erpeditton: Johanne»,ässe 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen gevsfuet von früh 8 bi« Übend« 7 Uhr. Filialen: Dtt» Klemm'« Eortim. (Alfred Hahn), UniversitütSftratze 8 (Paulinus), L-ui« Lösche, Katharinenstr. 14, part. und KövigSplatz 7. Morgen-Ausgabe. eiMM, TaMalt Anzeiger. Atttlskkalt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes «nd Volizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. AttzeigenPreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redaction»strich («ge spalten) bO^, vor den Familirnaachrichtei (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- vtTzeichnib- Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen j« eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an dr« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 540. Montag den 2§. October 1898. 92. Jahrgang. Stadtebilder aus Lachsen. Döbeln. Nachdruck »erboten. (Schluß.) Daß bei «iner vielseitigen und lebhaften Industrie der Bahn- und Po ft der kehr ein ganz bedeutender sein muß, ist einleuchtend. Da man aus dem Steigen und Fallen dieses Verkehrs leicht die geschäftliche Lage einer Stadt erkennen kann, so sollen vergleichsweise im Nachstehenden die Verkehrsziffern von 1885 und 1895 angegeben werden. Die eingeklammerten Ziffern beziehen sich stets auf das Jahr 1885. Es gingen beim Po st amte Döbeln 1895 ein: an Briefen, Postkarten, Drucksachen und Waarenproben 1131832 Stück (715 032 Stück); an Packeten ohne Werthangabe 99 550 Stück (53 010 Stück); Briefe und Packete mit Werthangabe 8025 Stück (6642 Stück); Postanweisungen 66 433 mit einem Betrage von 3 804 245 ck( (38 616 mit einem Betrage von 2 478 721 c^l); die Porto- und Telegrammgebühreneinnahme betrug 157 396 (85 566 <^(). Auf dem Bahnhof und Haltestelle stellte sich der Personengesammtverkehr auf 618 489 Personen 1895 gegen 461975 im Jahre 1885. Das Gesammtgewicht der an gekommenen Güter stellte sich 1895 auf 145 268, 1 Tonne L 20 Centner, 1885 auf 76 360,9 Tonnen, das Gewicht der abgegan genen Güter auf 70 229,6 Tonnen und 1885 auf 42 521,7 Ton nen. Aus den vorstehenden Zahlen ersieht man, in welch erfreu lichem gewerblichen Aufblühen die betriebsame Stadt Döbeln sich befindet; denn in allen Zweigen des Verkehrs zeigt sich im Ver gleich zum Jahre 1885 ein ganz bedeutender Ueberschuß. Auch der Sparcassenverkehr giebt über die ge schäftliche Lage eines Ortes ein annäherndes Bild. Die im Jahre 1846 in Döbeln gegründete Sparcassr hatte 1883 ein Gesammtguthaben der Einleger von 3 797 000 1893: 5 771000 1896: 6 700124 der Reservefonds be trug in dem Jahre 1883 189 960 1896 dagegen 360 006 <^, der erzielte Reingewinn aber 67 792 Bei allen diesen Zahlen muß man aber auch das An wachsen der Einwohnerzahl in Rechnung ziehen. Gegen Mitte des 16. Jahrhunderts mochte sich nach den in den Kirchenregistern eingetragenen Geburtsfällen die Einwohnerzahl auf 3500 stellen, gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges mochte sie auf die Hälfte zurückgegangen sein. Zuverlässige Angaben liegen von 1806 an vor, in diesem Jahre betrug die Einwohner zahl 4116; 1815: 4507; 1830: 5034; 1846: 6474; 1861: 8191; 1871: 10112; 1880: 11802; 1890: 13 892; 1895: 15 763 und am 1. December 1897: 17 597. Zu dem Aufblühen Döbelns trug derAnschlußandas Eisenbahnnetz wesentlich bei. Am 29. August 1847 er folgte die Eröffnung der Eisenbahnstrecke Döbeln-Riesa, drei Jahre später die der Theilstrecke Döbeln-Chemnitz. Die Linie Leipzig-DLbeln-Dresden ward erst im December 1868 in ihrer ganzen Ausdehnung fahrbar. Seit 1885 vermittelt eine Se- cundärbahr den directcn Verkehr mit Mügeln und Oschatz. Dem Schulwesen hat die Bürgerschaft und die städtische Vertretung stets das ihm gebührende Interesse entgegengebracht, das beweisen einerseits die vorhandenen Stiftungen, die für Schulzwecke 34144 betragen und für Studirende und höhere Lehranstalten 280 213 <-^, andererseits die zeitgemäßen Neu bauten und die Organisation des gestimmten Schulwesens, die den "bürgerlichen und gewerblichen Verhältnissen der Einwohner schaft Rechnung trägt. Neben den zwei Bürgerschulen besteht eine einfache Volksschule, für die ver Volksschule entwachsenen Knaben ist die Fortbildungsschule vorhanden, in welcher sie mir Rücksichtnahme auf ihre berufliche Thätigkeit in Fachclasieu unterrichtet werden. Für die weitergehende Ausbildung sorgt das königliche Realgymnasium, mit welchem eine höhere Lanv- wirthschaftsschule verbunden ist. Für die Erziehung der Waisenkinder ist das Wappenhensch-Stift besorgt. Dieses Stift verdankt die Stadt Döbeln der hochherzigen Gesinnung des letzten Justitiars des neben dem Stadtgericht bestandenen Hospital- gerichts, dem im Juni 1869 verstorbenen Justitiar Wappen- hensch. Er erwarb die baulichen Ueberreste von dem Hospital St. Georg und vermachte letztwillig sein bedeutendes Vermögen der Stadt zur Errichtung eines Waisenhauses. Der Bau des selben begann 1873 und ward 1875 vollendet. In dem statt lichen Neubau erhalten zur Zeit gegen 60 Waisenkinder Unter kommen und Unterricht. Aus Stiftungsmitteln werden außer dem den männlichen Zöglingen auch noch die Kosten zur Aus bildung in irgend einem Handwerk gewährt. Mit nur wenigen Unterbrechungen ist Döbeln stets Gar nisonstadt gewesen; zur Zeit liegt hier das gesammte 11. königlich sächsische Infanterie-Regiment Nr. 139. Die Stadt Döbeln liegt 170 Meter über dem Spiegel der Ostsee, die Temperatur beträgt im Jahresmittel 8,2 Grad 6. Die Mulde und die mäßigen Höhen rings umher machen die Lage der Stadt zu einer angenehmen. Ein Rundgang durch die Stadt frischt manche geschichtliche Erinnerung wieder auf. Das Wappen von Döbelst zeigt drei Thürme und drei Thore, dadurch will es daran erinnern, daß es früher drei Zugänge hatte. Äon dervormaligrnBefestigung der Stadt erblickt man hier und da nur noch spärliche Ueber- reste, die Stadtthore wurden im Jahre 1839 abgetragen. Der letzte Mauerthurm fiel 1844, es war der sogenannte Marter thurm. Das alte Schloß, das nach der Verwüstung, die die Hussiten in Döbeln anrichteten, nur nothdürftig wieder her gestellt ward und später allmählich verfiel, diente 1730 nach dem großen Stadtbrande den Umwohnenden als willkommenes Bau material zum Aufbau ihrer niedergebranntcn Gebäude. Da, wo einst das Hospital St. Georg sich erhob, erhebt sich jetzt der stattliche Neubau des Wappenhensch-Stift. An das ehemalige Kloster erinnert nur noch das jetzige Kloster gut. Die altehrwürdige Kirche St. Nicolai gehört zu oen sehenswerthesten Gebäuden Döbelns. In dem weiten Raume fesselt besonders ver Altar mit künstlerisch geschnitzten Figuren, unter denen die des heiligen Nikolaus den Mittelpunkt bildet. Diese Kirche ward in den Jahren 1479—1485 erbaut. In dec katholischen Zeit war sie reich an Altären, der Hauptaltar war der „Altar des heiligen Leichnams der Jungfrau Maria." Ein zelne Gewerke und Gesellschaften hatten ihre besondere Altäre, so die Schuhknechte, die Schützengesellschaft und die Kalands- brüder, letztere bildeten eine Verenigung zur Veranstaltung von Seelenmessen, die auch mit Schmausereien verbunden waren. Die Einführung der Reformation in Döbeln gestaltete auch das Thun und Treiben in diesem Gotteshause um; die Reformation ward im August 1539 hier eingeführt. Seit der Vollendung des stattlichen Baues im Jahre 1485 ist der Kirch thurm den Flammen zweimal zum Opfer gefallen, das Kirchen schiff ward durch den kühnen Wagemuth der Bürger gerettet. Zum dritten Male drohte dem Gebäude das Verderben, als im Jahre 1783 ein Blitzstrahl den Thurm traf, doch die rasche Entschlossenheit der Bürger rettete auch dieses Mal das Gottes haus vor dem Verderben. Eine besondere Sehenswürdigkeit ist außer dem Altar auch noch die aus dem Jahre 1599 stammende kunstvoll geschnitzte Kanzel. Eine gründliche Erneuerung fand im Jahre 1885 statt, die aufgewendeten Kosten betrugen rund 87 000 c/(. Des Rathhauses wird zuerst 1409 und 1420 urkund lich gedacht. In ihm befanden sich der Weinkeller und die Brod- bänke. Dem Rathe stand das alleinige Recht des Weinschankes zu, dieses Privilegium ward durch den Herzog Heinrich 1539 von Neuem bestätigt. Wie sich die Besucher im Weinkeller zu verhalten hatten, darüber sagt das Statut: „Wer darin Je manden zu nahe trete mit ehrenrührigen Worten, solle zur Strafe geben fünf Gulden; wer mit Schlägen oder Messerzucken den Andern bedroht, ohne ihn zu verwunden, sechs Gulden; wer den Andern verwunde, doch nicht tödtlich, zehn Gukden; wer den Andern tödtlich verwunde, so jedoch, daß derselbe durch eine glückliche Cur noch am Leben erhalten werde, zwanzig Gulden. Bei wirklicher Tödtung aber solle der Thäter, auch wenn er sich mit des Getöoteten Freunden vergleiche, in der Stadt nicht mehr gelitten werden." Ueber die Entstehung des jetzigen Rath hauses liegen sichere Angaben nicht vor, bei dem Stadtbrandc von 1730 verlor es seinen hohen gothischen Giebel und mußte sich in der Noth der Zeit mit einem weniger stattlichen Thurme begnügen. Die rechts und links am Eingänge zum Treppen thurm befindlichen Figuren — Kurfürst August und eine Justitia — sowie die Schlußsteinfigur mit der Jahreszahl 1571 sollen ein damals nachträglich in das Mauerwerk eingefügtcr Schmuck sein. Neben den Verwaltungsräumen enthält da- Nathhaus auch den Börsensaal. Aüf dem Schloßberge erhebt sich das Gebäude der Bürger schule, welches in den Jahren 1867—1869 mit einem Auf wände von rund 170 000 cA errichtet ward; die am Körnerplahe befindliche Bürgerschule ward von 1890/91 erbaut, der Kosten aufwand betrug 350000 <^. Inmitten der Stadt erhebt sich das stattliche Gebäude des königlichen Real gymnasiums mit der Höheren Landwirthschaftsschule, das selbe wird von einem 3,25 Hektar großen Areal umgeben und soll das Gebäude demnächst erweitert werden. In der Oberstadt, auf einem sanft aufsteigenden Gelände von 1,5 Hektar, das parkartig angepflanzt ist, findet man das Stadtkranken Haus, welches 1881 seiner Bestimmung übergeben ward. Es ist so eingerichtet, daß es dreißig Kranke ausnehmen kann. Zur Entlastung desselben dient auch das 1864 in Benutzung ge nommene Armenarbeitshaus, dasselbe enthält eine Zwangsarbeitsanstalt, aber auch eine Krankenstation für leichtere Kranke. Im Hamler-Hospital befindet sich eine Ver sorgungsanstalt für arme, alte Bürger. Das Stadttheater erhebt sich an der Stelle, an der vormals sich der städtische Marstall erhob, es wurde in den Jahren 1870 und 1871 erbaut und hat 348 Sitzplätze und eine größere Anzahl Stehplätze. Die von der Stadt errichteten Baulichkeiten sind zur Brandoersicherung mit rund 750 000 eingeschätzt. An sonst bemerkenswerthen Gebäuden, die in der Hauptsache sämmtlich in neuerer und nettester Zeit errichte: sind, sind zu nennen die königliche Amtshauptmannschast, könig liches Amtsgericht, königliche Bezirkssteuereinnahme, kaiserliches Postamt, die Militairgebäude und das stattliche Schützenhaus. Um die Bürgerschaft mit gesundem und nahrhaftem Fleische zu versehen, hat die Fleischerinnung im Jahre 1888 an der Burgstraße einen Schlachthof erbaut, der 1896 durch eine Kühlanlage erweitert ward. Derselbe wird von einem von oec Stadt angestellten Thierarzte mit verwaltet. Die städtische Vertretung hat im wohlverstandenen Interesse der Bürgerschaft und beseelt von dem Gedanken, Döbeln zu einer gesunden, angenehmen Stadt zu gestalten, in den letzten Jahrzehnten in um- und weitsichtiger Weise Vieles gethan, was die Stadt dem angegebenen Ziele wesentlich näher geführt hat. Dazu sind zu rechnen die Erbauung zeitgemäßer Schulgebäude, die Errichtung des Stadtkrankenhauses, des Waisenhauses, des Armenarbeitshauses, des Theaters und der ansehnlichen um fänglichen Militairbauten, die Renovation der Stadtkirche, der Umbau der Wasserleitung, Neuherstellung der Quellfassungcn und Zuleitungen, der Bau des Wasserhebewerkes und Hocy reservoirs, der Durchbruch der Königs- und Zwingerstraße, die Fenilletsn. Ein luftiger Kranker gesucht. Humoreske von Jules Moinaux. Deutsch von MargotElpen. Nachdruck verboten. Dieses Inserat erschien eines Tages in den gelesensten Pariser Zeitungen und schloß folgendermaßen: „Er soll Pflege, Wohnung, Kost, Unterhaltung und Taschen geld haben, und seine einzige Verpflichtung soll im Vorlesen von Zeitungen bestehen. Offerten sub L. U. an die Expedition ves Blattes." Sobald LsoN Salicorne, ein junger, weniger zum Studiren als zu allerhand Possenstreichen aufgelegter Student, diese Annonce zu Gesicht bekommen, beschloß er, sofort als „lustiger Kranker" aufzutreten und sich auf Rechnung des naiven Autors dieses Gesuches pflegen, verhätscheln und speisen zu lassen. Allein der Letztere zählte keineswegs zu den Naiven, es war vielmehr der unangenehmste Hypochonder von der Welt. Mr. Brabanyon — so hieß er — schien di« ganze Menschheit dafür verantwortlich zu machen, daß ihm verschiedene Pläne und Unternehmungen im Leben gescheitert waren. Das hatte ihm die Stimmung vergällt und ein« Leberirankheit zur Folg« gehabt, die ihn veranlaßte, fortan das Zimmer zu hüten und Unmengrn von Medikamenten zu verschlingen. Eines TageS ward ihm ein« große Ueberraschung: eine alte Tant« war gestorben und hatte ihm ihr Vermögen von einer Million hinterlassen. Dies« Nachricht wirkte wahrhaft wunder- thätig und hätte thatsächlich sein« Heilung zu Weg« gebracht, wenn nicht «in« Claus«! dab«i gewesen wäre, di« kein rechtes Wohlgefühl aufkommen ließ. Dir Verblichene war eine alte Sünderin, die im Alter fromm geworden und dal Gelübde gethan hatte, einrn Kranken bei sich aufzunehmen, ihn zu pflegen, für ihn zu sorgen und ihm nach Möglichkeit Gute» zu thun, bis entweder seine Heilung oder sein Tod erfolgte. Dann kam ein Anderer an di« Reihe. Da» sollt« zehn Jahr« so fortgehen. Al» sie sich ind«ß gegen End« des neun ten JahreS dem Tode nahe fühlte, beauftragte st« ihren Neffen und Erben Brabancon, wahrend d«s letzten Jahre« di« Erfüllung ihre» Gelübde» auf sich zu nehmen. „Wie?" brummte dieser. „Ich soll gezwungen werden, mein Hau» zum Hospital zu machen? Habe ich noch nicht genug an Mutter TuberoS, meiner HauShältenn, die mich mit ihren Quack salbereien, ihrem Katzenfell und ihren Tränken nahezu um bringt? Nun soll ich mich noch mit einem Kranken behängen, den ich Tag und Nacht stöhnen und wimmern höre, und dessen Unterhaltung mein Leiden noch verschlimmern wird?" In Folg« dieser Erwägungen kam er auf di« Ide«, auf dem Annoncenweg« «inen lustigen Kranken zu suchen. „Merkwürdig", äußerte er eines Tage» beim Rafiren zur Wittwe Tubrro», „s«tt Publikation meine» Inserate» sind nun schon vier Tag« verflossen, ohn« daß sich Jemand darauf ge meldet hätte." „Wird sich auch Keiner melden, Monsieur. Ich, di« seit mehr al» zwanzig Jahren Kranke wartet . . . ." „Schwöre auf da» Katzenfell", vollendete Brabangon. „Da» thue ich auch,Monsieur. Aber wa» ich sagen wollte. . . in all' diesen zwanzig Jahren habe ich keinen Kranken gefunden, der nicht wie ein zusammengerolltes Stachelschwein gewesen wäre... Ich sage das nicht in Bezug auf Sie, Monsieur, denn Sie sind in Ihrer Art immer noch ganz nett." „Was verstehen Sie unter meiner Art, edle Tuberose?" „Na, ich will damit sagen, daß Sie, von Ihrer Brummigkeit abgesehen, ganz nett sein können". „Danke." „Keine Ursache, Monsieur, ich sage, was ich meine." „Danke nochmals, Sie sind ja die personificirte Zartheit." In diesem Augenblicke tönte die Hausglocke so heftig, daß Brabanewn sich vor Schreck mit dem Rasirmrsser in die Haut schnitt und Frau Tuberos von ihrem Stuhle «mporfuhr. „Zum Henker, wer erlaubt sich, so an der Glocke zu reihen?" schrie 'der Hausherr zum Fenster hinaus. „Der lustige Kranke", tönt« es zurück. Brabancon's Zorn legt« sich wie durch Zauberei. „Es giebt also doch einen?" rief die Mttwe in starrem Staunen und eilte hinaus, dem Ankömmling zu öffnen. Lächelnd betrat Salicorne das Zimmer. „Monsieur", sagte er, „ich habe erst heute Morgen Ihr Gesuch gelesen und eil«, fliege... ha, ha, ha!.. . und da bin ich . . .!" „Lustig sind Sie offenbar", versetzte Braban<;on, „doch welches ist Ihre Krankheit?" „Ich kenn« ihren Namen nicht, Monsieur. Ich schlaf« wie ein Murmelthier, schnarche wie ein Walroß und esse! . . . Sie haben keine Idee davon! ... Ich verschlinge Ihnen im Handumdrehen eine Hammelkeule, eine Ente, ein Speckomelette . . . Sie werden sich wundern . . . ." „Aber ich seh« nicht, welche Krankheit . . ." „Oh, halten Sie meine Leiden für nichts?" „Ah, Sie leiden also?" „Und sind dennoch lustig?" „Ob ich lustig bin! DaS heißt: ich bin nämlich ein patho logische» Phänomen, dem die Wissenschaft vychlüfft gegenüber steht. Je mehr ich leide, desto lustiger bin ich, und wenn ich meine Krisen habe, nimmt meine Heiterkeit solche Dimensionen an, daß es in meiner Nähe nicht auszuhalten ist." „Und welches Leiden verursacht diese Krisen?" „Sehen Sie, ich bin Musiker. Eines TageS habe ich das Mundstück meiner Clarinette verschluckt und seither fängt dasselbe, sobald wir stürmisches Wetter haben, in meinem Magen zu singen an." „Hält der Kerl mich etwa zum Narren?" dachte Brabangon. „Das ist ja «in ganz abnormer Fall", sagte er scheinbar harmlos. „Allerdings; ich bin wahrscheinlich der erste Instrumental künstler, der die Clarinette innerlich spielt." „Sie sind also Musiker von Profession?" „O nein: nur Amateurkünfiler." „So! Und Ihr Beruf?" „Professor der chaldäischen Sprach«. Aber. . . Pardon, ich möchte gern etwas genießen." „DaS ist sehr richtig. Meine Haushälterin wird alles Noth- wendige besorgen." Leise ertheilte Brabanyon Mutter TuberoS einige Aufträge. Diese verließ da» Zimmer, während ihr Gebieter zu seinem unterbrochenen Rasirgeschäft zurückkehrte. „Lesen Sie mir während des RasirenS die Zeitung vor", sagt« er zu dem vorgeblichen Kranken; „da» wird hier Ihre einzige Beschäftigung sein. Lesen Sie gut?" »Ich? Ich bin Vorleser des Kaisers der Dudelsackpfeifer ge wesen. Ein Original, dieser Kaiser! Hat sich «in Palais von zwei Kilometer Länge und fünfundvierzig Centimeter Tiefe ge baut, dessen Möblirung sich etwas schwierig gestaltete." „Nur immer weiter, mein Kerlchen!" dachte Brabancron. „Das Quatschen wird Dir bald vergehen." Der Aufforderung des Hausherrn folgend, griff Salicorne nach der Zeitung und begann, das Blatt vor der Nase, eine haarsträubende Geschichte mit tragikomischem Schlußeffect zu improvisiren. „Es ist aus", erklärte er dann. „Nun möchte ich aber wirklich etwas zu mir nehmen." „Ich habe das Nöthige bereits veranlaßt", entgegnete Bra- bancwn mit eigenthümlichem Lächeln. Mutter Tuberos bereitet vorerst ein Senfbad . . ." „Für einen Hummer? Bravo, bravo! Das ist mein Leibgericht!" „Sie bereitet uns auch ein Getränk." „Champagner? Um den Hummer zu begießen? Famos!" „Nein, Thee von Hundskraut." „Wie....?" „In Erwartung des Arztes, nach dem ich gesandt habe." „Ein Arzt?" stotterte Salicorne unruhig. „Natürlich. Um Sie zu untersuchen, seine Diagnose zu stellen und die Behandlung anzuordnen .... Wie, Sie lachen nicht mehr?" „Na ob!" versetzte der angebliche Kranke mit krampfhaftem Lächeln. „Dieser Aesculap wird -den ganzen Zauber verderben!" dachte er besorgt. „Sehen Sie, ich kenne Sie nicht", fuhr Brabangon fort. „Der erste beste Gauner könnte ja Herkommen und, eine Krank heit simulirend, sich hier bei mir einnisten, in welchem Falle ich ihn natürlich arretiren und in Polizeigewahrsam bringen lassen würde." „Ach, Sie würden. . ." „Jawohl, ich würde sein« Bestrafung beantragen auf Grund des Paragraph 406 de» Strafgesetzbuches — betrügerische Mani pulationen, um sich in den Besitz von Geld, Sachen u. s. w. zu setzen — «in bi» fünf Jahr« Gefängniß ... Ich kenne das Gesetz und werde meine Rechte zu wahren wissen." Salicorne verfärbte sich. Mutter Tuberos erschien mit einem Schlafrock, einer Baum wollmühe und zwei großen Krügen, di« sie auf den Tisch stellte. „AllonS!" rief Brabancon, „während wir aus den Arzt warten, können Sie sich umkleiden." Und er reichte ihm den Schlafrock und stülpte ihm die Mütze auf den Kovf. „Die Sach« nimmt eine ganz fatal« Wendung", dachte Salicorne, der seinen Einfall immer mehr zu verwünschen be gann. „So! Nm, setzen Sie sich hier in bitten Sessel!" gebot Bra- baneon. „Und nun, Mutter Tuberos, können Sie uns unseren Trank credenzen." „Monsieur", wandle er sich an sein Opfer, „Sie scheinen zu leiden .... Da» wär« also der richtige Mo ment für Ihre Heiterkeit .... Nun lo» damit, seien Sie doch lustig!" Der Unselige nahm den Krug, den man ihm reichte, und rief voll Galg«nhumor: „Hurrah, da» Fest beginnt!" „Sehr gut!" sagte der unerbittliche Quälgeist. „Trinken wir!" Und Salicorne trank, doch nicht ohne eine fürchterlich« Grimasse. In diesem Moment tönte die Glocke. „Aha, der Doctor!" sagte Mutter TuberoS. Gleich darauf trat der Genannte ein. »Hat Ihr Zustand sich verschlimmert?" wandte er sich an Brabaneon. „Es handelt sich heute nicht um mich, Doctor, sondern um diesen Kranken hier. Untersuchen Sie ihn gefälligst und sagen Sie uns, was ihm fehlt." Der Doctor betrachtete Salicorne. „Hm", meinte er, „er sicht schlecht aus." Und Vas war in der That so. Er fühlte des Patienten Puls und schüttelte den Kopf. „Glrederbeben", constatirte er bedenklich. Und so war es. Dann mußte Salicorne die Zunge zeigen und — wunderbare Kunst Aesculaps! — unser Doctor fand eine schwere Affection der Vevdauungsorgane heraus. „Weh' mir, er will mich mit Arzeneien tractiren", seufzte der arme Teufel, banger Ahnung voll. „Was?" rief Brabaneon. Der Kerl tobt ja beinahe vor Lustigkeit und ißt für vier Mann nnd einen Corpora! dazu." Doch wann hätte rin Jünger Aesculaps geirrt? „Dann ist der Fall desto schwerer", erklärt« er. „Es ist das sogenannte Freßficber." „Ich habe das Freßfieber!" stieß der entsetzte Patien! hervor. „WaS ist das?" fragte der ganz außer Fassung gebrachre Brabancon. Und der Doctor erklärte: „Frcßfieber .... Verdauungs störung .... unnatürlichen Hunger .... nicht zu verwechseln mit dem ganz gemeinen Wolfshunger .... sehr ernst zu neb men .... energische Maßregeln nothlrwndig." „Ich habe ihm ein Senfbad bereiten lassen", bemerkte Bra- baneon. „Sehr gut. Stecken Sie den Kranken hinein, jetzt zwei Stunden und Abend» wieder zwei Tiunden. Daneben absolute Diät. Adieu, morgen werde ich wieder vorsprrchen." „Niemals!" rief Salicorne wild, sobald der Doctor hinaus war. .Ich bin nicht krank und will nicht . . . ." „Ah. so gestehst Du also, elender Betrüger! Und dieser Doctor will uns einreven .... Du sollst mir sogleich in polizeilichen Gewahrsam, mein Kerlchen." „Das ist mir ganz egal! Um wa» hab« ich Sie denn schließ sich betrogen? Um einen Krug von dem elenden Gesöff, zu dem Tie mich obendrein gezwungen haben. Schön, gehen wir meinet wegen zum Tribunal, mir soll'» recht sein. Dort werde ich Ihr Inserat vorlesen. DaS Publicum wird sich über Sie lustig machen und Sie werden Zweck und Ziel Ihre» Gesuche» zu er klären haben." „Wetter!" dachte Brabangvn. „Wenn man erfährt, daß ick die Testamentsclausel derart umgehen wollte, Verden die anderen Verwandten mir Vie Erbschaft womöglich streitig machen." „Schieren Sie sich zum Teufel!" rief er, auf die Thür weisend, und Salicorne beeilte sich, diesem zarten Winke zu folgen. Ob und Vie Brabancon schließlich seiner testamentarischen Verpflichtung nachgekommen, habe ich nicht in Erfahrung bringen können. So viel stöbt aber fest: sollt« man mir unter gleichen Bedingungen «ine Million in Aussicht stellen, so würde ich meinen „lustigen Kranken" zu finden wissen. Ich würd« ihn in der politischen Welt suchen.
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