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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.10.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981025025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898102502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898102502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-25
- Monat1898-10
- Jahr1898
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentag« um 5 Uhr. Filialen: Ltto Klemm'« Gortim. (Alfred Hah»)^ Universitätssttaße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Latharinenstr. 14, Part, und KöniL-platz 7. Redaktion und Lrpeditiou: JohanneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Utzr^ Bezug-Preis k L« Hauptexprdittoa oder den kn Stadt» bettrk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestährlich <^T 6.—. Directe tägliche Mreuzbandienduug t»S Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgade. KpMcr TaMali Anzeiger. Amtsölatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes nnd Votizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. AnzeigeniPreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Sieclamen unter dem RedactionSstrich (4aa« spalten) 50/H, vor den Familiennachrichtea (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), n»r mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderunz 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: BormittazS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L Polz in Leipzig, 543. Dienstag den 25. October 1898. 82. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. October. Wie aus Konstantinopel gemeldet worden ist, hat der K a i s e r der dortigen deutsche» Schule die Berechtigung ercheilt, Zeugnisse der wissenschaftliche» Reife für de» ein jährig-freiwilligen Dienst auszustellen. Damit ist ein lang jähriger Wunsch der Deutschen in Konstantinopel in Erfüllung gegangen. Auf nationalliberaler Seite besteht um so mehr Anlaß, diese Maßnahme zu begrüßen, als in den letzten Jahren aus der Mitte der nationalliberalen Fraction des Reichstages warm dafür eingetrcten worden ist, die deutschen höheren Schulen im Ausland überhaupt nach Möglichkeit zu fördern und ihnen insbesondere, wo es nur angängig ist, die Berechtigung zu er- theilen, Einjährigenzeugnisse auszustellrn. Ein wesentliches Band zwischen den Deutschen im Ausland und der Heimath ist die allgemeine Wehrpflicht und darum hat das Reich auch ein großes Interesse daran, deutschen Eltern im Auslande auch die wissenschaftliche Vorbereitung ihrer Söhne zum einjährigen Dienste thunlich zu erleichtern, damit sie sich nicht zu übermäßigen Unkosten der Erziehung grnöthigt sehen und dadurch veranlaßt werden, ihre Staatsangehörigkeit aufzugeben. Aus diesem Grunde hat die Reichsregierung selbst die Schulen im Auslande angeregt, sich um die Berechtigung zur Ausstellung von Ein jährigenzeugnissen zu bemühen, und noch im Februar v. I. hat das Auswärtige Amt durch seinm Vertreter im Reichstage er klären lassen, daß es dem Wunsche, deutschen Schulen im Aus lande in größerem Umfang die Berechtigung zur Ausstellung einjähriger Zeugnisse zu ertheilen, sehr wohlwollend gegenüber stehe, und auf den Instanzenweg aufmerksam gemacht. Um jene Berechtigung zu eihalten, haben nämlich die deutschen Schulen im Auslande die Verpflichtung, der vom Reichsamte des Innern ressortirenden Reichsschulcommission den Nachweis zu liefern, daß ihre Einrichtungen und Leistungen im Wesentlichen den Anstalten gleich kommen, die iw Jnlande die Berechtigung haben. Hält die Commission den Nachweis für erbracht, dann erst ertheilt die Regierung die Genehmigung. Die Reichsschul commission steht unter dem Vorsitz des Präsidenten des Bundes amtes für das Heimathswesen; sechs Bundesstaaten haben einen höheren Regierungs- und Schulbeamten als Vertreter darin, zur Zeit Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Mecklenburg- Schwerin und Reuß-Greiz. Alljährlich tritt auf Befinden des Reichskanzlers diese Commission zweimal zusammen. Ihr muß daher auch die Konstantinopeler Schule den Nachweis erbracht haben, daß sie jenes Vorrecht nach ihren Leistungen verdient. Die socialdemokratische und die linksliberale Presse kalt sich darüber auf, daß das sächsische Ober laub es ger ich t ein Urtheil des Schöffengerichts und deS Amtsgerichtes zu Bautzen, durch welches Verthcilcr social- dcmokratischcr Flugblätter bestraft worden waren, bestätigt bat. Diese Entscheidungen sollen direct im Widerspruche zur NeichSgewerbeordnung stehen und die Socialdemokraten drohen damit, daß der Reichstag das sächsische OberlandeS- gerickt wegen der Nichtberücksichtigung eines Reichsgesetzes zur Raison bringen werde. Im § 43 der Neichsgewerbe- ordnung heißt es: „Zur Bertheilung von Stimmzetteln und Druckschriften zu Wahl- zwecken bei der Wahl zu gesetzgebenden Körperschaften ist eine polizeiliche Erlaubniß in der Zeit von der amtlichen Bekannt- machung des Wahltages bis zur Beendigung des Wahlactes nicht erforderlich." Damit ist doch weiter nichts gesagt, als daß Niemand deshalb bestraft werden kann, weil er eine polizeiliche Er laubniß zur Bertheilung derartiger Druckschriften nicht einbolt; es ist damit aber nicht gesagt, daß in keiner Art der Ver- theilung und in keinem Inhalte der Drucksachen eine straf bare Handlung liege. Man kann sich sehr wohl eine Art der Bertheilung von Flugschriften denken, die das Gepräge des Hausfriedensbruchs oder des ruhestörenden Lärms oder des groben Unfugs hat, ohne daß man insbesondere dem letzterwähnten Begriffe — was ja allerdings manchmal geschehen ist — eine zu weit gehende Auslegung zu geben braucht. Ebenso kann der Inhalt derartiger Drucksachen eine Beleidigung oder Majestätsbeleidigung oder andere Bergehungen involviren, und es ist zweifellos, daß die Bertheiler derartiger Flugblätter sich dann mit straf bar machen. Wohin würde man kommen, wenn man den 43 so auffassen wollte, als ob die Bertheilung von Flugblättern zur Wahlzeit und zu Wahlzwecken unter allen Umständen straflos bleiben müßte? Man nehme nur einmal an, daß die Anarchisten sich an politischen Wahlen betheiligen und Candidaten aufstellen wollten. Soll es dann gestattet sein, straflos von Haus zu Haus Flugblätter zu vertheilen, die den Fürstenmord predigen und dazu auffvrdern, einen Anhänger des Fürstenmordes zu wählen? Weder dem Wortlaute noch dem Sinne nach ist es gerechtfertigt, anzu nehmen, daß der ß 43 der Reichsgewerbeordnung die Be stimmungen des Strafgesetzbuchs wirkungslos machen wolle. Das Strafgesetzbuch ist ebenso Reichsgesetz, wie die Reichs gewerbeordnung, und kann nicht einfach von der letzteren aufgehoben werden. Bei dieser Sachlage werden sich die Vertreter der sächsischen Negierung im Reichstage vor einer socialdemokratischeu Interpellation nicht zu fürchten haben. Das Auftreten der Bculcnpest in Wien benutzt der „Vor wärts" zu einer Hetzerei gegen den Militarismus; das Eentralorgan der deutschen Socialdemokratie hat aber das Mißgeschick, in demselben Artikel dieses sein Ver fahren auf das Schärfste zu geißeln. Am Schluß eines Artikels „Die Pest in Europa" schreibt nämlich der „Vorwärts": „Ueberall, wo der Militarismus die schwersten Opfer von den Steuerträgern fordert, leiden die Culturaufgabe», so auch in Oesterreich! Eine mehr als thörichte Sparsamkeit hat dazu geführt, daß die Einrichtungen im Wiener pathologischen Institut m»L7Nügende waren, daß für die Versuche mit den verderbenbringenden Bacillen kein eigenes Gebäude errichtet wurde, daß für die Jsoli- rung der für die wissenschaftliche Forschung unentbehrlichen, aber als Krankheitsträger ungeheuer gefährlichen Versuchstiere in ganz ungenügender Weise gesorgt wurde. Man hat noch nie gezögert, Millionen für die Versuche mit neuen Mordwaffen auszugeben, die ungleich nötigeren Ausgaben für die wissenschaftliche Forschung hat man stets versagt... In Wien sehen wir die schrecklichen Folgen eines solchen Zustandes!" — Am Anfänge desselben Artikels schreibt der „Vorwärts": „Wien ist in der größten Erregung, die durch die elendesten, sensationssüchtigen Uebertreibungen, die gewissenloseste Hetze der bildungsfeindlichen antisemitischen Presse gegen die Aerzte immer weiter gesteigert wird. Zu übertriebener Furcht scheint aber keinerlei Anlaß zu sein, denn der kleine Pestherd in Wien ist aufs Strengste isolirt, der Ort des Vorfalles ist eine der mit Recht berühmtesten medicinischen Lehrstätten der ganzen Welt, die der früher führenden medicinischen Facultät der Wiener Universität; man kann sicher sein, daß nichts unterlassen werden wird, um die Verbreitung der Krankheit zu verhindern. Dann ist Wien, wenn auch sicher keine Musterstadt in Hhgieinischer Beziehung, doch eine der gesündesten Großstädte mit guter Canalisation, breiten Straßen, ausgezeichnetem Trinkwasser." Vollständiger kann man in einem Artikel sich nicht widersprechen, „elender", „sensationssüchtiger" kann man nicht übertreiben, „gewissenloser" kann man nicht Hetzen. Der Befürchtung, daß das dcntsche Kaiscrpaar vor anarchistischen Anschläge» auch nach der Aufdeckung des Complots in Alexandria und der Verhaftung der Haupt- rädelsfübrer nicht völlig sicher sei, haben wir wiederholt Ausdruck gegeben. Daß diese Besorgniß nicht unbegründet war, geht aus folgender Meldung hervor: * Alexandria, 24. October. Ein in Spanien und Frankreich wohlbekannter Anarchist ist gestern hier an Bord des „Papayami" verhaftet worden; dieses Schiff war von Malta gekommen und ist nach Makedonien bestimmt. Der Verhaftete war von Italien nach Malta gereist, hatte sich dort für die Fahrt nach Alexandria eingeschrieben, und beabsichtigte, Palästina zu besuchen. Die Polizeibehörden, sowie das britische und das italienische Consulat erwarteten ihn bereits hier in Alexandria, und er wurde festgenommen, ehe er an Land ging. Der Wachsamkeit der englischen und der italienischen Polizei ist es zu danken, daß auch dieser Mordgeselle unschädlich gemacht ist, der nach dem Mißglücken des Kairoer Attentatsplanes im Begriff stand, dem Kaiserpaare nach dem heiligen Lande zu folgen und dort an der Stätte, auf welcher der göttliche Verkünder einer selbst den Feind umfassenden Menschenliebe gewandelt, eine teuf lische That unversöhnlichen, zwischen Schuldigen und Un schuldigen nicht mehr unterscheidenden Menschen Hasses zu vollbringen. Die Vorsehung hat ihre schützende Hand bis jetzt über den Kaiser und seine hohe Gemahlin gehalten, wir hoffen, daß eS auch fürderhin geschieht und daß die innigen Wünsche des ganzen deutschen Volkes für glückliche Heimkehr sich erfüllen werden! Ueber die Entdeckung der Kairoer Verschwörung brachte die Wiener „Pok.Eorr." noch verschiedene Einzelheiten, die im heutigen Äfkorgenblatte nach Schluß der Redaction mitgetheilt sind. Wir sieben ans der Meldung der „Pol. Eorr." noch hervor, daß Pie elf Mann starke Bande zu ihrem Führer den Tapeziere August Bichielli und als Mitglieder dessen Schwager <r)uerci, Hugo Perini, die sämmtlich in Alexandria ansässig waren, -sowie die erst aus Italien an gekommenen Fiaschi, Mena und Demerita hatte. Mena ist ein Sicilianer und war in Italien als ein gefährlicher Anarchist bekannt. Er hatte aus Furcht vor den polizeilichen Maßregeln die Heimath verlassen und in Alexandria als Handelsagent Beschäftigung gesucht. Zieht man aus dem französischen wclbbuch über Faschoda die Quintessenz, so ergiebt sich folgende Situation: England verlangt die sofortige Räumung Faschodas durch die Expedition Marchand's und erst wenn diese geschehen, ist es möglich, daß die Londoner Regierung sich auf Verhandlungen darüber cinläßt, ob Frankreich das Bar elGazal-Gebiet, d. h. der Zugang von dem französischen Congo zum Nil zu zugestehen fei, worüber Lord Salisbury mit feinen Minister- collegen erst berathen will. Frankreich dagegen will, wenn es auch auf dem Besitz von Faschoda nicht durchaus besteht, diesen Punct erst dann aufgeben, wenn diese Verhandlungen zum Abschluß gelangt sind, wobei die Voraussetzung ist, daß das Bar cl -Gazal-Gebiet dem französischen Congo angegliedert wirt. Frankreich will dabei noch das Zugeständniß machen, daß es das große und reiche Gebiet dem Handelsverkehr voll ständig freigiebt. Die Sache steht also noch ganz auf dem alten Flecke. Das einzige ist, daß Salisbury über das» französische Verlangen „nachdenken und sich mit den anderen Mitgliedern des Cabinets ins Einvernehmen setzen" will, während es bisher den Anschein hakte, daß England sich auf eine Erörterung seiner Ansprüche unter keinen Umständen einlassen werde. Es heißt also jetzt ab warten, was im Rathe der englischen Krone beschlossen wird. Nach dem Gesammteindruck, den man auf Grund des Gelb buchs von den Acußerungen der englischen Staatsmänner dem französischen Botschafter Courcel gegenüber empfängt, ist auf englischer Seite so gut wie gar keine Neigung zur Nachgiebigkeil vorhanden. Für England handelt es sich nicht um Faschoda und die Aufgabe desselben durch Marchand, sondern um Weir mehr: nämlich um den Besitz des gesummten Sudan bis zu dem mittelafrikanischen Seeczebiet. Das ist das Streitobject, das England um keinen Preis in sranzösichem Be sitz sehen möchte, weil eö dasselbe nothwendig zur Begründung seines centralafrikanischen Colonialreiches braucht. Deshalb soll Frankreich sich nicht blvs vom Nil, sondern auch aus Bar el Gazal bis zur Wasserscheide der Nebenflüsse des Nils und des Ubanghi, des großen Congonebenflusses, zurückziehen. Das ganze Nilthal gehört England, alles, was der Mahdi einst Egypten abgenommen, gehört, nachdem derselbe bei Chartum geschlagen, England, nicht das Recht entscheidet, sondern die Waffengewalt. DaS ist unmißverständlich auch in dem soeben veröffentlichten englischen Blaubuchc zum Ausdruck gebracht, aus dem wir an anderer Stelle einen Auszug geben. Die Einwendungen Cvurcel's, daß Frankreich ein Recht auf Bar el Gazal habe, weil es ihm laut Verein barung mit dem Congostaate zugesprochen und weil die Republik sich schon seit Jahren im thatsächlichen Besitz desselben befinde, ja daß es selbst Faschoda nicht herauSzugeben brauche, weil es ebenfalls schon vor mehreren Jahren dort eingetroffen sei und daher daS Recht der ersten Besitzergreifung habe, diese Einwendungen existiren für Lord Salisbury einfach nicht, da er auf dem Standpunkt des „Rechtes der Eroberung" steht. Sehr weit von diesem Standpunct dürfte England sich auch nicht entfernen, zumal da es sieht, daß Frankreich, indem es bereit ist, Fafck.vda fallen zu lassen, sich schon anf der Rück zugslinie vom Nil bestnvet. Wie weit vir Nachgiebigkeit Frankreichs gehen wird, wird sich ja scbr bald zeigen. Unterdessen treffen beide Mächte fortgesetzt Vorbereitungen für alle Fälle. Officiös werden dieselben wie in Paris so auch in London abgeleugnet, aber von unterrichteten Seiten wird als Thatsache verzeichnet, daß wie an der Nordküste Frankreichs schon seit einer Woche Kriegsschiffe und Marinemannschaften zusammengezogen werden, so auch in Portsmouth sämmtlichen Kriegsschiffen aus dem Depot die an der vollen Kopfstärke fehlenden Mann schaften zugewiesen wurden und eine Reihe von Seeofsicieren, die bei der Mobilmachung zur Verwendung gelangen, die An kündigung erhielten, sich für die Einberufung bereit zu halten. Manche Schiffe, die für größere, aber nicht dringliche Ausbesse rungen an der Reihe waren, wurden zur Verfügung zurück genommen und dafür andere zu dringenden kurzen Reparaturen schleunigst in Arbeit gegeben. Wie in Paris verlautet, will Frankreich in Gemeinschaft mit Rußland, falls England nicht nachgebe, die egytische Frage aufrollen, eine Möglichkeit, die schon in der im französischen Gelbbuch verzeichneten Frnilletsn. Die kleine Luln. LOj Seeroman von Clark Russell. Nachdruck verboten. Es lag in der Art, wie er dieses sagte, kein« directe Grob heit, ein anderer Ton würde seine Sprache aber entschieden unverschämt gemacht haben. „Ich hoffe", flüsterte ich sehr eindringlich, „daß Du zwei mal überlegst, ehe Du handelst; es giebt Reichthum in der Welt, der mehr lostet, als er werth ist." „Du hast keine Ursache, einen Mangel an Ueberlegung von meiner Seite zu fürchten", entgegnete er, als ich wegging; mir fiel aber auf, daß er das „Du" stark betonte. Während des Nachmittags wurde der Wind schwächer. Die Leesegelspieren wurden ausgeschoben, die Segel gesetzt, und unter einer Wolke von Leinwand schwebte dir Brigg über die großen Wogen, welche von Süden herrollten. Gegen vier Uhr kam ein Schiff auf unserem Steuerbordbug in Sicht. Ich betrachtete es durch das Glas und recognoscirte es als einen großen Schraubcndampfer, offenbar ein Kriegsschiff. Seine Bramstengen waren binnenbords geholt und festgemacht, kein Segel war zu sehen. Rothe Gestalten auf seinem Vorder deck deuteten an, daß es ein Truppenschiff war. Für ein Seemannsauge liegt immer etwas Entzückendes in der imposanten Takelung eines Kriegsschiffes. Die bedeutende Ausbreitung der schwarzen Wanten, die massiven Raaen, die starken Tops, die weißen Reihen der Hängematten, die großen Backen, welche sich wie mit Verachtung über die anprallenden Wogen zu heben schienen, und das Buttern des Schaumes unter der Gillung, all dies bietet einen großartigen Anblick. Wir hißten die Flagge, bereit, sie beim Dorbeifahren des Schiffes dreimal auf- und nieder zu holen, denn dies ist die Art, in welcher Schiffe einander salutiren, und das Handelsschiff ist verpflichtet, in Vieser Weis« vor jedem englischen Kriegsschiff seinen Hut zu ziehen, welches ihm auf hoher See begegnet. Als Erwiderung unserer Begrüßung ging auf dem Dampfer daS ruhmreiche St. Georg-Kreuz auf, ein Symbol, das jedem Engländer theurr ist und seine Pulse kräftiger schlagen macht, so wie bei den Klängen von „Rute Britania" oder der munteren Melodie „Eheer, Boy», Cheer". Ein Mann tanzte uni zu Ehren auf der MarS deS Großmastes einen Hornpipr, und beim Anblick unserer rothen Flagge schwenkten die Sol daten ihre Mützen und Taschentücher und die Schiffscapelle spielte einen Walzer. Schön drangen die Klänge der munteren Weise zu uns herüber, bald aber wurden sie schwächer und schwächer und verhallten endlich ganz. Der große Rumpf des Schiffes schrumpfte mehr und mehr zusammen, dir Masten wurden immer kleiner, nach kurzer Zeit war der Koloß nur noch ein schwarzer Punct am Horizont und tiefes Schweigen herrschte um uns her. Zum ersten Mal an diesem Tage kam Miß Franklin jetzt an Deck. Sie blieb nachdenklich auf das Schiff blickend stehen, bis Meilen von Wässer zwischen uns logen; darauf ging sie wieder nach unten. Unsere Augen trafen sich und sie lächelte mir zu, ohne etwas zu sagen. Ich schloß daraus, "daß ihr Bruder ihr verboten hatte, mit mir zu sprechen, und ihr unter sagt hatte, auf Deck zu gehen, wenn ich oben war. Sicherlich stimmte ihr Benehmen mit diesen Vermuthungen über ein, aber ihr Stolz erlaubte es ihr nicht, zu gestehen, daß ihr Bruder sie nicht viel weniger despotisch behandelte als mich. Dies nahm mir nun auch die einzige gut« Meinung, die ich bisher von ihm gehabt hatte: daß sein Herz seiner Schwester gegen über weich sei. Ich hielt ihn in seiner besonderen kalten Art für ebenso roh wie den alten Windwärts in seiner ewig lärmenden und fluchenden Weise. Von ganzer Seele haßte ich ihn jetzt, weil er mir das einzige Glück entzog, welches mich noch die fast uner träglich gewordenen Zustände einigermaßen vergessen ließ. In der That, die Behandlung war nachgerade eine so tyrannische ge worden, wie man sie nur aus den Verhandlungen vor dem Liver pooler Polizeiamt kennt, wenn ein Dankee-Capitain sich dafür verantworten soll, daß er seine Leute auf Lebenszeit zu Krüppeln geschlagen hat. Als ich in der Nacht um zwölf Uhr auf Deck kam, war es völlig windstill geworden. Es stand kein Mond am Himmel, aber der Glanz der Sterne war so prachtvoll, daß bei den Strählen vom Himmel oben und ihrem Widerschein auf der glatten Oberfläche des Wassers die fernsten Strecken des Oceans sichtbar wurden und das höchste Tauwerk so deutlich zu erkennen war, wie die Zweige eines Baumes im Mondschein. Das süd liche Kreuz stand in seiner klaren Schönheit über dem Horizont, rin Sinnbild des Christenglaubens, weiches Gottes eigene Hand über die entlegenen Länder des Stillen Oceans gepflanzt hat. Manchmal wurde die Stjllc unterbrochen durch das melodische Gurgeln des Wassers. Die Segel schlappten leise und die Rad ketten raffelten auf den eisernen Scheiben der Blöcke. Ich ver nahm vorn rin unterdrücktes Stimmengemurmel, etwas ganz Ungewöhnliches zu dieser Stunde. Ich fühlte mich versucht, nach der Luke hinzuschleichen und zu hören, was da ver handelt würde, dachte aber an Banyard's Rath, mich fern zu halten, und blieb demnach auf meinem Posten. Demungeachtet regte sich in mir ein Gefühl der Unbehaglich keit. Diese todtenstillen, feierlichen Nächte auf dem Meer wirken auf die Nerven. Die umgebende Unendlichkeit berührt das Herz mit einem überwältigenden Gefühl der Einsamkeit. Man glaubt, leise Stimmen in der Luft zu hören, ein ge- heimnißvolles Murmeln und Säuseln, welches das Gehör sich nicht erklären kann, welches aber der Phantasie wie der Nachhall des Echos vorllbergezogener Stürme erscheint. Ein stärkeres Geräusch ließ mich an die Schanzkleidung treten und auf das Wasser sehen. Ein mächtiger Bewohner der Tiefe stattete einen mitternächtlichen Besuch ab. Um Luft zu schöpfen und einen Blick auf das Wasser zu werfen, war ein Wal fisch aufgestiegen. Keinen Zwiebackwurf von der Brigg lag das Thier wie der Rumpf eines kirloberst liegenden Schiffes und blies seinen Wasserstrahl in die Luft. Furchtbar anzuhören war das schnaubende, keuchende, hohle Geräusch, welches das Un geheuer machte, als es seine nasse Ladung gegen die Sterne schleuderte. Bald sah ich, daß er nicht allein war, denn unter den Backen, dicht unter dem Stern und auch zur Rechten kamen noch vier andere Walfische zum Vorschein. Es sah aus, als ob eine ganze Verwandtschaft sich hier ein Rendezvous gegeben hätte und zur Feier des Familientages Fon-tainen sprängen. Wenn wir Walfischfänger gewesen wären, hätten wir hier eine schöne Jagd gehabt. Eine ganze Weile hatte ich mein Vergnügen an diesen harmlosen Ungeheuern, dann aber verschwanden sie meinem Blick und ich und der Mann am Rade waren wieder allein. Es war dies Sawings, ein Mann, der sich mit der denkbar ärmlichsten Garderobe einyeschifft hatte, ober die glückliche Gabe besaß, zu borgen und zu vergessen wie ein irischer Major. Er wurde für dumm gehalten, oft gehänselt, aber auch oft geknufft. Eines Tages z. B. hatte man ihn eingeschlasen gefunden, ein Hosenbein an, das andere ausqezogen. Das war Wasser auf die Mühle der Leute. Sie schnitten ihm das abgezogene Hosen bein am Knie ab und nähten es zu. Darauf klopften sie auf die Luke und Einer schrie herunter: „Alle Mann!" Sawings springt natürlich auf, fährt in das Bein hinein, martert sich eine Weile ab, wirft dann in seiner Angst vor dem Maat die Hosen ganz fort und springt unter dem wiehernden Gelächter der ihn noch zur Eile antreibenden Leut« im bloßen Hemde aufs Deck. Hier stößt er bald auf den alten Windwärts, der, in der Meinung, di« anstößig« Bekleidung sei ein Hohn für ihn, sofort die Ver folgung des Unglücklichen aufnimmt, ihn um das ganze Deck jagt und schließlich mit einem fürchterlichen Fußtritt in die Luke hinabschleudert. Also dieser Mann stand jetzt am Rade, ich trat zu ihm und sagte: „Hast Du eine Ahnung, weshalb di« Leute im Vordercastell noch wach sind?" „Snaken velliecht von ehre Dierns", antwortete er, mir ins Gesicht grinsend. „Und von was wohl noch, möchte ich wissen." „Je, ja, mögt ik ok weiten. Master, könnt' Sei mi »ich en Mul vull Tobak leihn? Glöwte, ik hädd en Prim in mien Mlltz- Fauder, as ik an dat Stüer gung, äwer Jim, dit Walroß, möt 't mi stahlen hebben." Ich reichte ihm ein Stück aus meiner Tasche und er verstaute den Leckerbissen sogleich in sein« Backe. „Was mögen die Leute so spät noch haben?" fragt« ichj „Ik mien, 's ward woll Sniggers sien, de sien Garn spinnt." „Von der Insel und dem Gold?" „Nu frielich! Het hei dat ok all nah achter kröcht? Ik wullt' woll mitmaken nah de Insel." „Du glaubst also, was er sagt?" „Worllm füllt ik dat nich dauhn? Ik glöw em jed's Wort, hew jo de Zeidung sahn, in weck allens druckt steiht. Sniggers hat uns dat ganze Garn vörlasen." „Glauben denn die Anderen ihm auch?" „Dat will ik meinen; de Sak kann doch ganz gaud schahn sien. Wat kömmt nich allens vör? Ik hew sülwsten erlewt, wo ut en Haifisch-Buk Knöpp, Stäweln, Pött un so 'n Tüg, äwer ok mittenmang en grot Büdel mit Dollars treckt würd; würk- liches Geld segg ik Sei, un jedwrrein von uns kregt' en Stück, un denn was noch wat äwerblewen, dat bekem de Passagiers aS Markwördigkeit." „Wollen die Leute Deacon helfen, seinen Schatz wieder zu erlangen?" „Dorvon weit ik niks", erwiderte er mit plötzlich ver ändertem Ton, „da möten Sei sülwst sei dornah flogen." Hieraus merkte ich, er wollte nichts sagen, ich ließ deshalb den Gegenstand fallen. Wäre ich mit weiteren Fragen in ihn ge drungen, hätte er leicht den Leuten erzählen können, ich hält« versucht, ihn auszuhorchen. So sehr ich den Maat haßte, be absichtigte ich doch, ihm einen Wink zu geben, sobald er auf Deck käme. Demgemäß sagte ich zu ihm, als er sich um acht Glasen einfand: „Mir scheint, vorn wird Unheil gebraut, Sie werden gut thun, auf der Hut zu sein." „Woraus schließen Sie das?" fragte «r, meine Warnung in weniger beleidigender Art aufnehmend, als ich erwartet hatte.
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