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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.10.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981026026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898102602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898102602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-26
- Monat1898-10
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. Txtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderun? 60.—, nnt Postbefürderung 70.—. Allnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: BormitisgS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 545. Mittwoch den 26. October 1898. 92. Jahrgang. Der L1urz des Ministeriums Griffon. -p. Noch unmittelbar vor dem gestrigen Beginn der Herbst session de« französischen Parlaments war man allgemein der Ansicht, daß die ersten Sitzungen der Kammer keine Ueber- raschungen bringen und den üblichen Formalitäten gewidmet sein würden,daö Cabinet Brisson sich also über die Stimmung der Kammer orientircn und danach seine Dispositionen treffen könnte. Nun liegt es schon am Schlüsse der ersten Sitzung zu Boden. Man meldet unS: * Paris, 25. Oktober. (Ausführlich wiederholt.) (Deputirten- kammer.) Nach Wiedereröffnung der Sitzung erklärt Brisson, die regelwidrige Demission Chanoine'S sei angenommen worden. Ein interimistischer Kriegsminister werde bestimmt werden. Brisson beantragt, die Kammer bis zum Donnerstag zu vertagen, und betont die Suprematie der Civilgewalt über die Militairgewalt. (Beifall.) Ernest jNoche wirft der Negierung Verzögerung bei Einberufung der Kammer vor. Comte de Mun fordert Erklärung über das angebliche Militair-Complot und fordert Nennung der Namen und Be weise. (Unterbrechungen auf der Linken.) De Baudry v'Asson wirft unter lebhaften Zwischenrufen der Regierung vor, zuzulaffen, daß die Armee beleidigt werde. Ribot befürwortet im Namen seiner Freunde, unter denen Mölme sich be findet, den Antrag auf Vertagung und fügt hinzu: „Wir schenken der Armee Vertrauen und wollen nicht, daß man sie angreife. Alle Republikaner sind in diesem Punkte einig." (Lebhafter Beifall.) Hierauf wird Schluß der Erörterung verkündet. Ribot bringt eine Tagesordnung ein, der zufolge die Kammer die Suprematie der Civilgewalt über die Militair gewalt bekräftigt und ihr Vertrauen in die den republikanischen Gesetzen treue und diese beobachtende Armee ausspricht; mehrere andere Tagesordnungen werden eingebracht. Cavaignac erklärt, daß eine sofortige Berathung nöthig sei. (Cavaignac wird mit zahlreichen feindlichen Rufen begrüßt, wie „Säbel", „Fälschung", „Rasirmesser". Tumult.) Ministerpräsident Brisson nimmt die Tagesord nung Ribot an. Mehrere Redner wollen sprechen, sind aber beim Lärm nicht zu verstehen. De Mahy bringt einen Zusatzantrag ein, durch welchen die Regierung aufgefordert wird, der Campagne gegen dieArmee ein Ende zusetzen. Justizminister Sarrien erwidert, er werde beantragen, daß dem Gesetze eine Bestimmung zugefügt werde, daß man die Angriffe der Blätter gegen die Armee unterdrücken könne; es sei unmöglich, eine gerichtliche Verfolgung einzuleiten, wenn die Betheiligten nicht die Klage einreichen. Er habe Chanoine aufgesordcrt, die gerichtliche Verfolgung in die Hand zu nehmen, Chanoine aber habe es ab gelehnt. (Beifall.) Hierauf wird die Tagesordnung Ribot mit 559 gegen 2 Stimmen angenommen. Berger be- antrogt, der Tagesordnung folgende Worte hinzuzusetzen: „Die Kammer spricht der Regierung einen Tadel dafür aus, daß sie der Armee nicht Respekt verschafft habe." Sarrien wiederholt, Chanoine habe aus dreimaliges Ersuchen, die gerichtliche Verfolgung zu beantragen, ablehnend geantwortet. Nach verschiedenen Bemerkungen wird der Zusatzantrag Berger mit 274 gegen 261 Stimmen abgelehnt. De Mahy bringt seinen anderen Zusatzantrag ein, in welchem die Regierung auf gefordert wird, der Campagne von Beleidigungen, welche gegen die Arms« organisirt sei, ein Ende zu machen. Brisson ver wirft dies Amendement und erklärt, die Regierung nehme ebensowenig eine Aufforderung wie einen Tadel an. Tas Amendement de Mahy wird sodann mit 296 gegen 243 Stimmen angenommen. Der socialistische Deputirte Berteaux beantragt ein Vertrauensvotum für die Regierung. Brisson schweigt dazu. Ter Antrag Berteaux wird mit 286 gegen 254 Stimmen abgelehnt. Die Minister verlassen den Saal. Tie Demission des Mini steriums gilt für sicher. — Dechand bringt die Tages ordnung Ribot mit dem Amendement de Mahy zu sammen zur Abstimmung; Beides gemeinsam wird mit 460 gegen 28 Stimmen angenommen. (Rufe: „Nieder mit denJudeni") De Baudry d'Asson beantragt, ave Minister, mit Ausnahme des Generals Chanoine, „dieses braven, loyalen Soldaten", in An klagezustand zu versetzen. (Tumult.) Die Sitzung wird um 8 Uhr 35 Min. geschlossen. Tie nächste Sitzung ist am 4. November. Wie uns weiter aus Paris tclegraphirt wird, begaben sich die Minister unmittelbar aus der Kammersitzung zum Präsidenten Faure, um gemeinsam ihre Demission zu überreichen. Faure nahm die Demission an und ersuchte die Minister, die Leitung der Geschäfte — Marineminister Lvckroy soll nach einem dem Präsidenten unterbreiteten Teeret Brisson's interimistisch den Posten des Kriegsministers übernehmen — bis zur Bildung des neuen Cabinets beizubehalten. Auf den ersten Blick könnte eS scheinen, als ob die Reso lution Ribot, welche das Uebergewicht der Civilgewalt über die Militairgewalt, zugleich aber der Armee das Bertrauen dcS Landes ausspricht, daß sic die Gesetze der Republik achte und schütze, einen inneren Widerspruch enthalte, und noch schärfer scheint dieser Widerspruch hervorzutreten, wenn man dem Zusatzantrag de Mahy, welcher die Armee gegen die wider sie eingeleitete Campagne geschützt wissen will, mit dem ersten Theil der Tagesordnung Ribot zusammenhält, mit der sie nachher sogar noch förmlich ver einigt wurde. Allein der Widerspruch ist nur ein scheinbarer. ES ist in diesem vierfachen Kammervotum lediglich die Stimmung Frankreichs zum Ausdruck gekommen, wie wir sie schon letzter Tage charakterisirlen: Das französische Bolk hält mit überwiegender Mehrheit fest an der republikanischen Staatsform, eS spricht sich entschieden gegen den royalistischen Staatsstreich ans und tadelt das Ucbergreifen der Militair gewalt in den Bereich der Civilgewalt, wie eS während dcS Zola-Processes wiederholt vorgckommen war und die öffent liche Meinung der Revision geneigt gemacht hatte, allein diese selbe öffentliche Meinung hält es auf der andern Seite im Interesse der Sicherheit des Landes für einen schweren Fehler, die Autorität der Armee syste matisch zu untergraben, die Führer derselben mehr, als unbedingt nöthig, bloßzustellen und so Frankreich in den Angen des Auslandes und nicht zuletzt in denen des ver bündeten Rußland herabzusetzen. Ter Uebereifer der Dreyfus- freunde, die ja allerdings keine Schande aufdccken, die nicht wirklich vorhanden ist, hat es fertig gebracht, daß die der Revision erst kehr günstige Volksstimmung sich wieder gewendet hat. Auch die von England her drohende Kriegs gefahr mag dazu das ihrige beigetragen haben. In radicalen Kreisen wird erklärt, daß die Frage der Revision des Dreyfus-ProcesseS durch den Sturz Brisson's nicht berührt werde, da für jedes neue Cabinet die Tagesordnung, betreffend die Suprematie der Civilgewalt, maßgebend sein müsse. Das ist richtig. Allein wenn die Kammer sich auch nicht dircct gegen das Revisionsverfahren ausgesprochen hat und das kommende Ministerium auf Grund seines Potums auch die Revision durchführen kann, so fragt eS sich doch sehr, ob eS noch den Muth dazu finden wird. Denn indirect hat die Kammer sich doch als Gegnerin der Reform bekannt. Ten Tadel gegen das Cabinet Brisson, dasselbe habe die Armee nicht genügend geschützt, hat die Kammer nicht zu dem ihrigen gemacht, da der Juslizminister nachweisen konnte, daß er den Kriegsminister vergeblich zur Verfolgung der Beleidiger der Armee aufgesordcrt hätte, und trotzdem endete die Sitzung mit einer MißlraucnSkundgebunsi gegen das Ministerium. WaS hat es gethan? Nichts weiter, als daß eS die Revision des Dreyfusprocesses in die Wege ge leitet hat. Das also und nichts Anderes kann der Grund sein, weshalb die Kammer es fallen ließ. Zweifellos ist damit der Sache der Revision, der Wahrheit und der Gerechtigkeit ein schwerer Schlag versetzt worden. Vielleicht wäre daö Ergebniß der Kammerabstimmung für Brisson und das Nevisionscabinet nicht ein so vernichtendes gewesen, wenn der Kriegsminister Chanoine nicht seinen überraschenden, offenbar mit dem Generalstad verabredeten Coup ausgeführt hatte, aus der Gesellschaft seiner „die Ehre der Armee preiSgebcndcn" Ministercollegen in die Oeffent- lichkeit der Kammer zu flüchten und von ihr den Schutz dieses „Kleinodes" zu erflehen. Das mußte einen tiefen Ein druck machen. Allein ausschlaggebend war daS Auftreten Chanoine'S nicht. Das zeigt die Stimmung der Straße. Diese war eS, die in der Kammer ihren Widerhall gefunden hat. Uns wird über die gestrigen Straßenscenen nach Schluß der Kammersitzung berichtet: * Paris, 25. Oktober. Mitternacht. Dvroulöde wurde beim Verlassen der Kammer vom Publicum mit lauten Zurufen begrüßt, die Polizei hinderte ihn indessen daran, eine Ansprache zu halten. Es bildeten sich nunmehr Gruppen von Manifestanten und zogen vor den Cercle Militaire unter Schmährufen gegen Brisson und die Juden. Von hier begaben sie sich vor die Redaction der „Libre Parole", wo sie ihre Kundgebungen wieder holten, bis sie gewaltsam durch berittene Mannschaften der Garde röpublicaine auseinandergetrieben wurden. Drumont, Mlllevvye und andere Deputirte wurden in derselben Weise, wie Düroulöde, beim Verlassen der Kammer begrüßt. Sie begaben sich alsbald nach der Präfcctur und verlangten die Freilassung Guörin's, des Führers der Antisemitenliga, der verhaftet worden war. Als dieses Verlangen abgelehnt wurde, begaben sie sich ebenfalls nach der „Libre Parole", vor der es zu erneuten Kund- gebnngen der Antisemiten und zu einer Schlägerei kam. Die „Libre Parole" hatte illuminirt und eine Tafel mit der Inschrift: „Nieder mit den Juden!" herausgehängt. Die vor dem Gebäude stehende Volksmenge rief, unbekümmert um die Polizei, unausgesetzt: „Nieder mit Brisson, nieder mit den Juden!" Bor dem Cercle Militaire brachte die royalistische Jugend Hochrufe auf die Armee aus und ebenso vor den Redaktionen des „Gaulois" und des „Soleil", wo ein großes Gedränge herrschte. Auch aus Len Boulevards hielt die Aufregung an. — Gegen 10'/, Uhr Abends kam es auf den Boulevards zu einem Tumulte und zu Schlägereien, in die auch die Polizei-Agenten verwickelt waren. Erst gegen Mitter nacht zerstreuten sich die Manifestanten von selbst. Ein gewißer Martin schlug nach einem Officier der Sicherheitsmann- schast Namens Nadaud mit einem Stocke und wurde verhaftet. Ein Mann, der von einem Omnibusse aus Schmährufe gegen Drumont auSgestoßcn hatte, wurde von den Manifestanten halb todt geschlagen. Der socialistische Ueberwachungsausschuß beschloß, beute früh ein Manifest zu veröffentlichen, in dem gesagt wird: Der Kampf in der Kammer sei erstickt. Ein Staatsstreich-General habe auf der Tribüne, seine Pflicht verletzend, demissionirt. Einige angebliche Republi kaner hätten im Verein mit Reactionairen diesem Aufwiegler Beifall gespendet. Die gemäßigte Partei übernehme, indem sie das Vorgehen Chanoine'S ausnütze, die Verantwortung, die Regierungskrise zu eröffnen. Die socialistische Partei sei für alle Fälle bereit und bleibe aufrecht stehen gegen die militairisch-klerikale Reaction, die die Republik be drohe. Der Ausschuß gab eine Tagesordnung aus, in der gesagt wird, es sei nöthig gewesen, unverzüglich alle sociali- stischen, revolutionären und republikanischen Kräfte zur Ver- thcidiHung der Republik zu organisiren. Diese entschiedene Stellungnahme der socialistischen Partei wird freilich das Bild der Lage im Augenblicke nicht zu ändern vermögen. Die Partei steht anscheinend ganz allein, denn wie die letzte Abstimmung über die combinirte Tagesordnung Ribvt- dc Mahy erkennen läßt, scheint die ganze radicale Linke sich der Abstimmung enthalten, die Flinte also inS Korn geworfen zu haben. So lange sie noch mitstimmte, waren die Mehr heiten für die der Negierung ungünstigen Tagesordnungen durchaus keine sehr erheblichen, als sie sich zurückzog, schnellte die Majorität der TadelS-Votanten gewaltig in die Höhe. So haben die Radicalen dafür gesorgt, daß die Lage so verworren und unklar geworden ist, wie mir möglich. All gemein wird anerkannt, daß sich auS den abgegebenen Voten kein Fingerzeig ergiebt, der dem Staats chef die Aufgabe, einen Nachfolger Brisson's zu bestimmen, erleichtern könnte; jedoch wird der Name Ribot'S genannt, und man glaubt allgemein, daß Faure sich an ihn wenden werde. Verloren ist die DreyfuS - Sache auch jetzt noch nickt, denn wenn die fortschrittlichen und radical-socialistiscken Elemente sich wieder zusammensassen, können die geringen Mehrheiten von gestern, welche gegen die Revision sprechen, sich in geringe Mehrheiten verwandeln, die für dieselbe sind. Daß freilich damit die Revision populär geworden wäre, läßt sich nicht behaupten. Nach wie vor wird die DreyfuS-Sache die Republik in Aufregung erhalten und schließlich wird nur ein Schwert den gordischen Knoten durchschneiben können. Noch fehlt es an der Hand, die daS Schwert hebt, aber sie wird sich finden. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. October. Die Meldung, daß in Altona ein Mensck verhaftet worden sei, der erzählt habe, ihn habe daS LooS getroffen, den deutschen Kaiser auf der Rückreise nach Deutsch land zu ermorden, bestätigt sich. Ein solcher Mensch, Namens Oldenburg, ein vielbestraftes Subject, ist verhaftet worden. Die Feststellung seiner Angaben beschäftigen die Altonaer Criminalpolizei, die sich den „Hamb. Nachr." zufolge mit dem Berliner Polizeipräsidium in Verbindung ge setzt hat. Weitere Mittbeilungen zu machen, hat die Altonaer Criminalpolizei bcgreiflicker Weise abgelehnt, man ist daher vorläufig auf die Meldungen der Altonaer Blätter angewiesen, denen wir zur Ergänzung des bereit« im heutigen Morgen blatte Berichteten das Folgende entnehmen: „Oldenburg logirte seit einiger Zeit in der ersten Etage des Frnilleton. Die kleine Lulu. 21s Seeroman von Clark Russell. Nachdruck brrdotkN. „Macht mich los, Leute, laßt mich aus die Füße kommen! Was habt J-Hr vor mit mir?" schrie er, und gab sich plötzlich mit den Fersen einen Ruck, daß Klein-Welchy sich wie ein Blut hund auf ihn stürzt« und ihm auf die Brust kniet«. „Ligg still, Halunk!" keuchte er dabei mit vor Wuth erstickter Stimme, „oder et is Dien Tod. Jetzt kümmt de Rach' för Dien Prügel, Du Satan; — ligg still un rög Di nich, dat rat ik Di", und drohend, mit fest zusammengebiffenen Zähnen hielt er sein« schwere Faust üb«r dem Gesicht seines wehrlosen Opfers erhoben. „Nun vorwärts, dat Boot is klar!" schrie Deacon. „Hinein mit sei, — de Wind frischt up, wi müssen ein En'n melken. Tauirst mit des em schielenden Murdbuben henein", sagte er, auf den alten Windwärts zeigend. Augenblicklich stürzte sich fast die ganze Band« auf diesen. Er stieß mit den Füßen und kämpfte unter gotteslästerlichen Flüchen wie ein tobender Wahnsinniger, während er aufgehoben wurde. Seine Henker freuten sich seiner Wuth, lachten und warfen ihn wie einen Sack Kartoffeln in das Boot. Nach wenigen Minuten lag auch der Schiffer neben ihm. Dee Leute, welche die beiden Läufer bedienten, harrten de« Winkes, da« Boot herab zulassen. Jetzt stürzte ich vor und rief ganz außer mir: „Wollt Ihr sie gebunden niederlassen? — Befreit sie wenigstens von ihren Fesseln, eh' Ihr sie abtreiben laßt." „Das ist richtig", sagte Deacon. „Jimmy, spring in't Boot un treck dien Metz öwer de Stricke." „Dat füllt mi insollen", erwiderte dieser; „den sülwigen Ogenblick, wo sei d« Arm' frie kragen, stödden sek mi äwer Burd." „Makt Platz!" schrie Klein-Welchy, sprang mit dem Messer in der Hand ins Boot, durchschnitt schnell di« Bande und war schon wieder auf der Schonzkleidung, «he noch einer der beiden Männer Zeit gehabt hatte, sich von den Fesseln zu befreien. Deacon rief nunmehr: „Los!" und rasch ging da« Boot zu Wasser. „Haken Sei dat Boot lot, Mr. Sloe", schrie Blunk, wahrend di« anderen Leute mit grimmigen, wilden, aber vor Aufregung blassen Gesichtern über da« Geländer bltckt«n. Keiner der Beiden rührte sich. Sie waren aufgrstanden und hatten sich auf die Duchten gesetzt. Nur einmal sah der Capitain zu uns hinauf, mit einem Blick, der mich bis in meine Todes stunde verfolgen wird. Keiner von ihnen sprach ein Wort; sie mochten wohl einsehen, daß jedes gute Wort für ihre Wieder aufnahme verschwendet gewesen wäre und daß jede Zornes- äußerung nur Hohn und Spott hervcwgerufen haben würde. Stumm und still starrten sie mit düsterem Blicke vor sich nieder. „Wenn Ji nich lot hakt, ward Jug de Düwel bald kielholen", schrie Blunt, welcher ausfah, als ob er an diesem mörderischen Intermezzo großes Gefallen fände. „Kappt die Läufer!" mischte ich mich nun hinein, aus Furcht, daß das Boot am Schiff zerschellen könnte und die beiden Un glücklichen vor unseren Augen ertrinken würden. Zwei Beile besorgten die Arbeit, die Tau« fielen mit Ge plätscher ins Wasser; das Boot war frei. „Paß up, Welchy, dat sei nich wedder an Burd kamen", warnte Deacon. „Un nau, Maats, wull'n wi de Segel stell'». Billy, Du nllmmst dat Räd. Bier kümmt de Bris'l Herüm mit dat Rad, herüm! Griept tau, Kierls." Di« kalte, schwach« Brise, welche die Oberfläche des Wassers im Süden schon seit einiger Zeit verdunkelt hatte, erreichte die Brigg und erfüllte die Segel. Unter dem Stampfen der Füße, vermischt mit Gelächter, rauhen Gesängen und lauten Flüchen, welch« den Zweck hatten, die Ohren der beiden im Boote Treibenden zu erreichen, wurden die Raaen nach dem Winde ge braßt und das Schiff in gute Fahrt gebracht. „Nümm den Curs nah Westen, genau nah Westen!" schrie Deacon dem Mann am Rade zu. „Ay, ay!" kam dir Antwort zurück. Ich ging nach hinten und blickte auf das Boot. Der Maat saß und starrte wie versteinert auf die Brigg. Sein blutbeflecktes Gesicht, sein zerrissener Rock, sein verwirrtes Haar und der Aus druck von fast erstickender Wuth und gänzlicher Hoffnungslosig keit in seinen Zügen bot einen ebenso grausigen als erbarmens- werthen Anblick. Der Capitain saß in sich versunken, den Kopf auf die Hand gestützt, die Augen auf den Boden des Bootes gerichtet, da. Wie sehr ich ihn auch verurtheilte, jetzt konnte ich ihn doch nicht so elend und hilflos in das weite Meer treiben sehen, ohne mein« Feigheit zu verwünschen, die mich keinen Kampf für seine Rettung hatte versuchen lassen. Umsonst sagte ich mir, daß nichts, was ich hätte thun können, ihm genützt haben würde, daß ich nur Einer gegen Biele gewesen wäre, daß von meinem Leben ein anderes abhängen konnte, welches mir th«urer war als mein eigenes, und daß um dieses Lebens willen ich recht gethan hätte, nicht «inzuschreiten. Aber, wie gesagt, umsonst hielt ich mir dies Alles vor; denn jetzt sah ich ein, daß ich durch mein feiges Ver halten eine unmenschliche Handlung gewissermaßen hatte mit be gehen helfen. Ich war empört über mich, daß ich eine so er bärmliche Memme gewesen war und die barbarische That ge duldet hatte, ohne auch nur den kleinen Finger zu rühren oder den Mund zu einem Einwand oder einer Ermahnung zu öffnen. Das Boot blieb schnell zurück. Die Leute hatten alle Segel gesetzt, die sanfte Brise hatte diese gefüllt und lustig glitt die Brigg vorwärts. Die ganze Mannschaft kam jetzt nach hinten, dem Boote nach zusehen. Ich hatte demselben den Rücken zugewandt, weil ich, überwältigt von Gewissensbissen, den Anblick nicht mehr ertragen konnte. Die feierliche Würde der bemitleidenswerthen Gestalt, die da, den Kopf auf die Hand gestützt, in stummer Verzweiflung im Boote saß, griff mir geradezu ans Herz. Ich weiß nicht, wie es kam, ich fühlte nur für ihn. Der Maat hatte an meinem Mitgefühl keinen Antheil. „Chadburn, ich möchte mit Dir sprechen, komm' in die Cajüte." Ich wandte mich um und sah Deacon vor mir. „Elender!" sagte ich heftig, „Du bist der Anstifter dieser Meuterei; das Blut jener Unglücklichen, die Du den Wellen preis gegeben, wird über Dich kommen." Er starrte mich an und erwidert« mit vor Wuth bebender Stimme: „Reize mich nicht, komme mir nicht mit einfältigen Gefühls duseleien. Ich meine es gut mit Dir; ich schulde Dir mein Leben und Du siehst, daß ich kein Schuft bin, da ich dies selbst Deinen Beleidigungen gegenüber nicht vergesse." „Gab es kein anderes Mittel, jene Leute unschädlich zu machen, als sie auszusetzen, sie — und den Einen noch obendrein verwundet — einem schrecklichen, langsamen Tode entgegenzu schicken? Du setzest sie aus in einem kleinen offenen Boot, ohne Segel, ohne Compaß, ohne genügende Lebensmittel, um den Kampf mit dem großen Ocean aufzunehmen! Schande über Dich! Ich habe keine Schuld daran, Gott ist mein Zeuge, aber ich fluche meiner Feigheit, daß ich nicht bestrebt war, Dein mörderisches Thun zu hindern. Ist das ganze Geld auf Deiner Insel auch nur einen Tropfen Menschenblut werth?" Mehrere Leute waren zu uns herangetreten, während ich meinen Zorn auf Deacon auSschüttete. „Wat het, Jack?" fragte Blunt finster. „Verdammt, SniggerS, Du hast doch seg^t, hei wier ein von unS; wat be« düden nau siene Würd? Nümm Di in Acht, Maat!" wandte er sich an mich, „ik rad Di, holt Dien Mul, wi kllnnt' Di sonst am Enn den Annern nachschicken." Ich warf einen Blick auf die ergrimmten Gesichter, welche mich umgaben, meine Gedanken flogen wieder zu dem ver lassenen Mädchen; ich machte deshalb gute Miene zum bösen Spiel und sagte ganz ruhig: „Deacon, Du forderst mich eben auf, mit Dir in die Cajüte zu gehen; was wünschest Du von mir?" „Nimm Vernunft an, Mann", lautete seine Antwort. „Denkst Du an den Tag, als der Maat den kleinen Joey zu Boden schlug? Damals warst Du doch wild genug. Weißt Du noch, wie der Junge starb? Ich sage Dir, damals war kein Mann auf der Brigg, der den Maat lieber erwürgt hätte als Du. Ich habe auch gesehen, wie Dir das Blut in den Kopf stieg, wenn der Schiffer auf uns fluchte, wo wir doch unsere Arbeit thaten wie gute Seeleute. Wir haben jetzt einmal den Spieß um gedreht und ihnen auf einmal die bittere Medicin zu kosten gegeben, die sie uns tropfenweise schmecken ließen, seit wir Bay- port verließen. Wenn Du mit dem Geschäft nichts mehr zu thun haben willst, gut, sei es d'rum. Wir wollen mit Vergnügen die Verantwortung auf uns nehmen, nur eins, das mußt Du thun." „Und das ist?" - „Du mußt die Brigg nach der Südsee führen." „Gut, das will ich thun." „Hal mi de Düwel, wenn ik nich glöw, dat Du versäuken warst! uns tau verraden", schrie Blunt, indem er mir «inen Stoß in den Rücken versetzte. „Mr wollen die Brigg in Deine Hände legen und Dir ver trauen", sagte Deacon. „Ich will die Führung deS Schiffes übernehmen unter einer Bedingung." „Wat nau?" knurrte Sam. „Daß der Schwester des Capitains kein Schaden geschieht." „Wat füllt ehr denn för Schaden wedderfahren von so 'ne achtbore Schippsmannfchaft, as wi siind!" sagte Suds grinsend. „Det Mäten is ganz seker, dorup kannst Du Di verlaten", versicherte Jimmy. „Sei is Dien, Jack, wi wull'n sei Di schenken", bemerkte lachend eine dritte Stimme, und Deacon, mit vornehm patroni- sirender Miene, fügte hinzu: „Ich will Euch verheirathen! Billy! Hal doch ein' Slaprock, ik ward de kirchliche Handlung utrichten. Jimmy het de richtige Schnarchnäfl, de kann de Köster merken un Amen seggen."
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