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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.10.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981028011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898102801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898102801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-28
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Größere Schriften laut unserem Prei»- ve^zeichniß. Tabellarischer und Zifsernjatz nach höherem Tarif. Erteil-veiläget» (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesördrrung 70.—. Iinnahmeschluß für Ätyeizea: Abend-AuSgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen »Ausgabe: Nachmittag» 4 NHL Vei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» au d:« Expeditias zu richten. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig, ^-5^8. Freitag den 28. October 1898. 92. Jahrgang. Die Stellung -er Ehefrau nach -em Bürgerlichen Gesetzbuch. vr. L. Kein Abschnitt de» neuen Bürgerlichen Gesetzbuch«» hat schon jetzt eine so lebhafte Anfechtung erfahren, wie der« jenige, welcher die rechtliche Stellung der Frau nach ihrer Ver- heirathung regelt, inLbesondere sie gegenüber ihrem Ehemann« schützt. Und so oft auch die Nichtberechtigung dieser Anfechtung nachgewiesen worden ist, immer kehrt letzter« wieder. Die Ur» Heber vergessen dabei völlig, daß e» di« Aufgabe d«S Gesetzgeber» nicht ist, Experiment« zu machen und den Anschauungen einer kleinen Gruppe zu Liebe Grundsätze al» „Recht" aufzustellen, welche von der großen Mehrzahl der Frauen und der Männer als eine Lockerung des Familienbandes und der Zusammen gehörigkeit von Mann und Frau aufgefaßt werden. Der Gesetz geber soll zwar nicht die Anschauungen einer vergangenen Periode in einem neuen Gesetzbuch niederlegrn, aber er hat den Puls schlägen der Zeit zu lauschen und der Gegenwart Rechnung zu tragen. Daß die Regelung, welche da» eheliche Recht im Bürger lichen Gesetzbuch gefunden hat, den Anforderungen der Gegen wart wirklich entspricht, «rgiebt sich aus dem Folgenden. Wir wollen dabei zunächst den Einfluß der Eheschließung auf die persönliche Rechtsstellung der Ehegatten und sodann auf die Berfügungsfreiheit der Frau über ihr Vermögen ins Auge fassen. In Uebereinstimmung mit allen bisherigen Rechten, also mit dem gemeinen deutschen Recht, dem preußischen Allgemeinen Landrecht, dem sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuch und dem französischen Recht, dem 606s «lvil, behält daS Bürgerliche Gesetzbuch den Grundsatz bei, daß dem Manne die Ent scheidung in allen daS gemeinschaftlich« eheliche Leben be treffenden Angelegenheiten zusteht. Er ist daS Haupt der Fa milie. Die Frau ist Mar berechtigt und verpflichtet, daS ge meinschaftliche Hauswesen zu leiten, sie ist berechtigt, innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises Einkäufe zu machen, durch welche der Mann verpflichtet wird, ebenso Dienstboten zu enga- giren re. Entstehen hierbei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ehegatten, so kommt auch hier der Grundsatz zur Anwen dung, daß die Entscheidung dem Manne zusteht. Jedoch hier giebt das Bürgerliche Gesetzbuch der Frau einen Schutz gegen Uebergriffe de» Mannes. Sie ist, wie das Gesetz sich ausdrückt: nicht verpflichtet, der Entscheidung deS Mannes Folge zu leisten, „wenn sich die Entscheidung als Mißbrauch seines Rechtes darstellt". Die Frau kann sich in solchen Fällen um Hilfe an da» Dormundschaftsgericht wenden, welches auf ihren Antrag die Verfügung oder Entscheidung des Mannes aufhebt. Die Frau würde also z. B. Schutz dagegen finden, wenn der Mann, ohne zutreffende Begründung, seinerseits den Küchenzettel machen und dem Dienstmädchen entsprechende Anordnungen geben wollte, so daß die Stellung der Frau im Hause erschüttert würde, oder wenn er der Frau ohne Grund verbieten wollte, Einkäufe für die Küche zu machen. Unser bisheriges Recht kennt keinen Schutz der Frau gegenüber solcher Handlungsweise, die Frau hat gegen wärtig vielmehr nur das Recht, auf Scheidung anzutragen, wozu Fälle der erwähnten Art noch nicht schwer genug wiegen würden. Die volle Ungebundenheit des Lebens hört naturgemäß für beide Theile mit der Ehe auf. Wie der Mann di« Verpflichtung hat, für den Unterhalt der Familie zu sorgen, so hat die Frau die bereits erwähnte Pflicht, das Hauswesen zu leiten. Sie darf daher keine anderweitigen Verpflichtungen zu persönlichen Dienst leistungen z. B. als Lehrerin, Schneiderin, Aufwärterin über nehmen, wenn darunter die Besorgung deS Hauswesens leidet. L)b dies der Fall ist, soll jedoch, um die Frau vor einer ein seitigen Auffassung deS Mannes zu schützen, nicht dieser allein entscheiden; er hat daher nicht daS Recht, die von der Frau dritten Personen gegenüber übernommenen Verpflichtungen seinerseits zu kündigen, sondern, wenn di« Frau widerspricht, muß er die Entscheidung deS Vormundschaftsgerichtes einholen. Di« Freiheit d«r persönlichen Bethätigung der Frau ist hiermit im vollsten Maße geschützt. Die strenge Durchführung des Grundsatzes, daß bei Mei nungsverschiedenheiten die Ansicht des Mannes entscheidet, kann natürlich unter Umständen zu Härten führen. Als besonder hart wird es bezeichnet, daß bei der Einwilligung zur Ehe schließung eines Kindes lediglich der Vater entscheidet, und ebenso in allen Fragen der Erziehung und Berufswahl. Na mentlich bei Töchtern kann die Frau dies als Demüthigung empfinden. Aber rS giebt keinen Weg zur Lösung, denn die Aufstellung deS Satzes, daß Mann und Frau gleichberech tigt seien, würde bei Meinungsverschiedenheiten keine Lösung geben, und die Demüthigung des Mannes, dem zu Gunsten der Frau daS Recht der Entscheidung bei Eheschließung, Er ziehung und Berufswahl der Kinder entzogen würde, ebenso wenig. Härten werden auch um so weniger hervortreten, je mehr bei der Wahl des Ehegatten von äußeren Vorzügen ab gesehen und Gewicht auf wahre Bildung und Charakter gelegt wird. JnvermögenSrechtlicher Beziehung behält die Ehe frau ihre volle Freiheit, Rechtsgeschäfte jeder Art abzuschließen. Sie ist aber beschränkt in der Verfügung über denjenigen Theil ihres Vermögens, woran der Mann das Recht der Verwaltung und der Nutznießung hat, um die Einkünfte als Beitrag zu den Lasten der Ehe zu verwenden. Das Bürgerliche Gesetzbuch stellt nun die Regel auf, daß das ganze Vermögen, welche- die Frau zur Zeit der Heirath besitzt, dem Mann in die Eh« eingebracht ist, jedoch mit einigen Ausnahmen. Nämlich Kraft Gesetze» gelten al» „Vorbehaltsgut" die ausschließlich zum per sönlichen Gebrauche der Frau bestimmten Sachen, insbesondere Kleider, Schmucksachen und ArbeitSgetäthe, ferner waS ihr aus dem Nachlaß eine» Anderen zufällt oder von einem Anderen ge schenkt wird, wenn der Erblasser oder der Schenker bestimmt, daß daS zuzewandte Vermögen Vorbehaltsgut sein soll. Die praktisch wichtigste Ausnahme ist wohl di« dritte, nämlich, daß Alles, was die Frau durch ihre Arbeit oder durch den selbst ständigen Betrieb einer Erwerbgeschäfts erwirbt, also z. B. als Lehrerin, Malerin, Putzmacherin, Händlerin, ihr Vorbehalts gut ist, das sie selbstständig verwaltet und woran der Mann keine Nutznießung hat. Selbstverständlich ist es der Frau un benommen, vor oder nach der Ehe mit ihrem Bräutigam oder Ehemann einen Vertrag zu schließen und sich noch andere Ver mögensgegenstände, z. B. ihr Grundstück oder einen Theil ihres Capitalvermögens, zu eigener Verwaltung und Nutznießung vorzubehalten. Die Frauenrechtlerinnen hätten gewünscht, daß das eheliche GLterrecht umgekehrt geregelt worden wäre, nämlich, daß es gesetzliche Regel sei, daß die Frau die eigene Verwaltung und Nutznießung ihres Vermögens für sich behält, diese Rechte dem Manne also nur zustehen, wenn sie ihm ausdrücklich durch einen Ehevertrag übertragen würden. Meine- Erachtens ist der im Bürgerlichen Gesetzbuch geschehenen Regelung der Vorzug zu geben, denn man blicke nur hinein in» Leben und untersuche, wir thatsächlich die Ehegatten zueinander stehen. Selten sind die Ehen, in denen die Ehefrau zu ihrem Manne so wenig Vertrauen hat, daß sie ihm die Verwaltung ihres Vermögens nicht überläßt, sondern selber führt. Mann und Frau sind Eins, haben ungetheilt Leib und Gut, da- ist eine alte, aber gottlob noch Wahre Regel im deutschen Reiche. Die Güter trennung zwischen Mann und Frau entspricht Zuständen, wo die Ehegatten nicht miteinander, sondern nebeneinander leben. Wollte das Gesetz dieselbe einführen, so würde eS dazu beitragen, die bestehend« Innigkeit des Familienlebens zu lockern. Hat ausnahmsweise ein Mädchen-oder «ine Frau zu dem Manne ihrer Wahl nicht das Vertrauen, ihm die Verwaltung ihres Vermögens zu übertragen, so thut sie sicher besser, ihm auch ihre Person und die Leitung ihres Lebens nicht anzuvertraurn. Stellt sich erst während der Ehe heraus, daß der Mann deS ihm geschenkten Vertrauens unwerth ist, so bietet das Bürger liche Gesetzbuch der Ehefrau Wege, sich zu schützen. Der Mann darf nur eingebrachtes baares Geld ausgeben, Werthpapiere darf er ohne Zustimmung der Frau nicht veräußern oder verpfänden, ebenso wenig das eingebrachte Mobiliar oder gar Grundstücke. Die Einkünfte soll er zur Tragung der ehelichen Lasten ver wenden. Wird durch sein Verhalten irgendwie die Besorgniß begründet, daß die Rechte der Frau in einer ihr Vermögen erheblich gefährdenden Weise verletzt werden, so kann sie von dem Manne Sicherheitsleistung verlangen oder, nach ihrer Wahl, gleich Aufhebung der Verwaltung und Nutznießung des Mannes. Brautleuten und Ehegatten steht es frei, ihr eheliches Güter recht in beliebiger anderer Weise zu regeln. Wollen sie in all gemeiner oder nur in theilweiser Gütergemeinschaft leben, so bietet das Bürgerliche Gesetzbuch hierfür eingehende Vorschriften. Eine eifrige Agitation hat es zu Stande gebracht, daß in Frauenkreisen vielfach das Märchen verbreitet ist, als wenn das neue Bürgerliche Gesetzbuch die rechtliche Stellung der Frau, insbesondere gegenüber dem Manne, verschlechtere. Die vor stehende Erörterung wird gezeigt haben, daß dies keineswegs der Fall ist. Die Besonnenen unter den Frauenrechtlerinnen be haupten dies auck> selbst nicht, aber ihre meist einseitige Hervor hebung der vom Bürgerlichen Gesetzbuch nicht erfüllten Wünsche unter völliger Verschweigung der gemachten Fortschritte hat diesen Jrrthum naturgemäß entstehen lassen. Die Revision -es Dreyfusprocesses. * Pari», 27. October. (Telegramm.) Die Verhandlung de» Cassatioashofe» wird Mittag eröffnet. Der Saal ist überfüllt. Unter den Anwesenden befinden sich Frau Dreyfu» und die Advokaten DLmange und Labori. Der Berichterstatter Bord er greift sofort da» Wort und erinnert an die durch die Revision», frage verursachte Erregung und an die vorgekommenen Scandale, ehe di« Jnstiz mit dem Revisionsantrage befaßt worden fei. Er giebt sodann einen historischen Ueberblick über die Ver» nrtheilung DreyfuS' und zahlt die verschiedenen Versuche auf, die gemacht worden seien, um die Revision de» Processe» gegen Dreyfu» herbeizuführrn. Er erinnert an die Anzeige gegen Esterhazy, an die Angelegenheit Henry und an den Revisionsautrag der Frau DreyfuS, der auch darauf gegründet sei, daß das Bordereau von der Hand Esterhazy'» herrühren solle. Dard fügt hinzu, hinter diesen Thatsachen stecke ein Verdacht, der den R« Visionsantrag rechtfertige, und setzt auseinander, wie Frau Dreyfu» behaupte, daß das Bordereau nicht von ihrem Manne stamme. Bord unterzieht sodann die Berichte der Sachverständigen, die die Handschrift Dreysus' zu erkennen erklärt hätten, einer Prüfung und bemerkt, der Cassation-Hof habe also nach einer Um frage zu prüfen, ob die Thatsachen gemäß den gesetzlichen Vesiim- mungen Grund znr Revision gäben. Hierauf verliest der Bericht- erstatt» den Brief der Frau DreyfuS, in welchem sie die Re vision beantragt, und führt dann fort: „Oberst Henry hat eine Fälschung begangen. Seine Aussage war die niederschmetterndste gegen Dreyfu»; da die Aussage von einem Fälscher herrührt, kann sie al» verdächtig gelten. Hier liegt eine neue Thatsache vor, die die Bermuthung der Unschuld begründet und genügt, LaS RevisionSgcsnch zu begründen. E» ist ferner zu prüfen, ob das Bordereau wirklich von DreyfuS herrührt. Ter Cassatioushof ist regelrecht mit der Angelegenheit besaßt worden und wird fcstzustellen haben, ob er ohne eine ergänzende Enquete seine Entscheidung fällen kann." Im Verlause seiner Berichterstattung verliest Bard die Ausführungen des Leneralprocurators, in denen das bekannte Briesconcept Esterhazy's ausgcsührt ist, in welchem Esterhazy schreibt: „Wenn Sie der Ex- perten nicht sicher sind, werde ich ebenso, wie bei dem Bordereau, sagen, daß meine Schrift durcbgebaust ist." (Sensation.) Ferner verliest der Berichterstatter das Concept zu einem Briese, in welchem Esterhazy einem Generale als seinem Retter dankt. (Sensation.) Esterhazy hätte sich geweigert, den Adressaten dieses Briefes zu nennen. — Wie es heißt, lauten die Anträge des Generalprocurators auf unbedingt« Zulassung drö Revisionsgesuchs, weil Dreysus das Bordereau nicht geschrieben habe, dasselbe vielmehr von Esterhazy herrühren dürfte. * Part-, 27. October. (Telegramm.) Bis heut« Mittag zeigten sich keine Manifestanten in der Umgebung deS Justiz- Palastes. Di« Passanten gehen und kommen wie gewöhnlich. Tie Gitter de» Palastes sind geschloffen und die Absperrung ist streng. Gegen Mittag stellten sich einige kleine Gruppen Neugieriger ein, die die Polizei indessen sofort zum Weitergehen veranlaßte. * Paris, 27. October. (Telegramm.) Zwischen 12 und Vr1 Uhr trafen einige nationalistische Deputirte am Justiz, palaste ein, ihre Ankunft ging jedoch unbeachtet vorüber. Im Inneren de» Justizpalastes sind sehr strenge Maßregeln getroffen. Deutsches Reich. /?. Berkin, 27. Oktober. Ein neues französisches Nrtheil über die „Fälschung" der Emser Depesche ist ein neuer Stein zu dem Denkmal der Schande, daS die deutschen socialdemvkratischen Führer durch ihre gehässige und reichsfeindliche Auslegung der Emser Depesche sich errichtet haben. Charles Andler, der in der angesehenen Monatsschrift „Revue de Paris" eine Reihe von Aufsätzen über den Fürsten Bismarck veröffentlicht, wider- spicht im Octoberhcft der genannten Zeitschrift „diesen recht- FerriHeton. Neue Dramen. Daß die Modernen oder die Schriftsteller, welche dieser Richtung mehr oder weniger angehöreu, jetzt mit Borliebe da- Versdrama pflegen, erscheint un» immerhin al» eine Desertion an- dem Heerlager de» Naturalismus, denn die waschechten Apostel desselben verlange« ja vom Drama nicht nur die Sprache de- alltägliche« Leben-, sonder« auch con- centrirte Naturlaute der Empfindung, und der Ber- erscheint mit Leidem unverträglich; ja auch wir, die wir da» moderne Priucip stet» vertraten, lange ehe die sogenannte „Moderne" sich geltend machte, verlangte« vom Drama im Sinne der Jungdeutschen, daß e» den Zeitgedauke« spiegele oder wenigsten», woher e» immer seine Stoffe nehme, eine im Herzea der Zeitgenossen vibrirende Ader berühre, und wir können daher beim besten Willen in viele« Erzeugnisse« der Jüngstdeutscheu «ur eine« Rückfall in die alte Romantik erblicken. Ein schöne» Talent zeigt Max Bernstein, ein Haupt vorkämpfer der modernen Richtung, in seinem dreiaetigen Spiel „Ein Mädcheutraum" (Berlin,S.Fischer»Verlag). Da» Glück ist aber so wenig modern, daß e» «her an Lust- spiele von Shakespeare und Lope de Bega erinnert; e» kann ja in mancher Hinsicht al» rin Gegenstück zu «l-orv'u ladoar lost" betrachtet werden. Den« wie hier der König von Navarra durch einen UkaS seinen getreuen Studleugenoffeu die Frauealiebe verbietet, so verbietet in dem Bernstein'schea Spiel die Erbpriozessin von Aragon ihrem Hofgesinde die Liebe «ad die Lüg«— und die Point« beider Stücke ist, daß dort der Grlehrtendünkel, hier der Tugend- fanati»mu» aä sdenrcknm geführt wird. Di« ganze Ein kleidung ist diejenige romantischer Ver»dichtuna: auch fehlt e» «icht a« Monologen, die ja nach dem ästhetischen Codex der Jüngstdeutscheu eme Setzerei fi«d. I« der Lhat möchte man einmal einen solche« oocker t« uv« keimen lernen, um zu er fahre«, worin den« eigentlich da» Wese« der »moder««" Dichtung bestehl; des« an« den Erzeugnissen derselben, die nach allen Gegenden der Windrose au»emandergehrn, läßt e» sich schwerlich ergründe». Daß der Hof der Erbpriozessin hiuter ihrem Rücken oder wenigst«»», al» e «dieselbe abwesend glaubt, aegea ihr verbot iu ungeuirtester Weis« sündigt, ist selbstverständlich; ebenso, daß fie selbst ihren Mädchentranm al» nuhaltbar erkenn», nachdem di« Liebe zs Pedro de Giro» in ihr Her, eiugrzogen ist. Dieser Pedro ist ein siegeSgrwiffrr H«rr »ad erobert di« Prinzess!« »ach alle« Regel» der Be lagerungskunst. Der lächerliche Ceremonienmeister Toribio und der trunkliebende Aria» geben der Hofkomödie den Bei geschmack volkSthümlicher Komik und die Liebe zwischen Hernando und Ine» hat eine heitere, humoristische Färbung. Die Dichtung zeugt von auerkeunenSwerther sprachlicher Ge wandtheit iu Bezug auf Ber» und Reim; auch das epigram matische Fedrrballspitl gelingt dem Autor; die Tendenz de« Ganzen spricht wohl Pedro au-, der künftige Herr der tugendsameu Herrin de- Königreichs Aragon auö: Laßt euch brr Wahrheit erste» Beispiel geben. Vollkommenheit ist uur ein Mädchentranm, Ihm hat die wachend rauh« Welt nicht Raum — Zu hoch scheint der Gedanke mir zn streben. Der himmelnah di« Erde überfliegt. Auf ewig unaustilgbar ist da» Schlechte, Genug, wenn man daS Schlechteste besiegt. Wer selbst sich kennt, wird menschlichen Gebrechen Ein güt'ger Richter sein und milde» Urtheil sprechen. Wer eifert, richtet. Wer versteht, verzeiht. Als eine romantische Komödie wird Ed mond Rostan d'S „Cyrano von Bergerac" bezeichnet, von Ludwig Fulda verdeutscht. (Stuttgart 1898, I. G. Cvtta'sche Buch handlung, Nachfolger). Die Berliner baben sie, wie wir schou mittheilte«, am Deutsche« Theater gesehen: eS ist jeden falls ein merkwürdigr» Stück mit seinem originellen Helden und seiner meist so zerhackten Diktion, daß die epigrammatischen Splitter in alle Lüfte fliegen, eine Diktion, welche Ludwig Fulda mit seiuem selteueu BerS- und Reimtalent iu eigen artiger Weise wiedergegebeu hat. Nur genaue Senner der frauzostschen Literaturgeschichte kennen diesen Cyraoo von Bergerac. In der Einleitung zu seiner Uebersetzung deS Lust spiel» giebt un- Fulda einen kurzen LebenSabriß seiue» Helden. Savimea de Eyrano war am S. März 16lS — als, kaum drei Jahre vor seinem größeren Zeitgenossen Moliöre — in Pari» geboren. Cyraoo war sei« Familienname; de Bergerac nannte er sich zum Unterschied« von anderen Familien mitgliedern, vermuthlich nach der Herkunft seine« Geschlechte« oder eine« Lehn seiue» Vater». Al» er da- Colleg verlassen, wurde er rin Schüler de» berühmten Philosophen Gassendi. 1SS8 trat er m die vo« Hauptmann Carlo de Eastel-Jalour befehligte Compagnie i« der Garde, welch« fast ausschließlich au» Gascogner Edelleuten bestand. Dies« Cadetten waren berüchtigt wegen ihrer wilden Rauflust; Cyrano selbst aber war em Dämon der Tapferkeit; er hatte fast an jede« Tage seiner Dienstzeit ein Duell. Bei der Belagerung vo» Arra» 1640 wurde er schwer verwundet. Er entsaate iu Folg« dessen dem Kriegsdienst; doch «och oft maß er sich mit seinen Gegnern im Zweikampf. Er starb io Folg« «ine» Zufall»; eine» Tag» wurde ihm «in Stück Holz auf den Kopf geworfen. Er siechte lange dabin — frommer Eifer suchte ihn zu bekehren, besonder» seine Cousine Madeleine, welche den Schleier genommen batte, nachdem ihr Gatte auf dem Schlachtfelde von Arras gefallen war. Dies Leben bietet keine entscheidenden dramatischen Wendepunkte; ein Drama mit diesem Helden kann nur ein Charakter gemälde mit anekdotischem Aufputz sein — und in der Thal hat Rostand mancherlei Anekdoten au« dem Leben Cyranv'S verwerthet, so gleich im ersten Acte die in der Vorrede mit- aetheilte. Er glaubte sich eines Tage- von dem Schauspieler Jacob Montflenry, dem Stern der königlichen Truppe, welche im Hotel de Bourgogne ihre Vorstellungen gab, verletzt und befahl ihm zur Strafe, «inen Monat lang nicht aufzutreten. Da der Künstler sich diesem Befehl nicht fügen wollte, er trotzte eS Cyrano vor versammeltem Publicum, daß er die Bühne verlassen solle. Ein anderes Mal soll er ganz allein hundert gedungene Strauchdiebe in die Flucht geschlagen haben. Auch diese Anekdote ist im Drama verwerthet. So lauft die Handlung fort an einem anekdotischen Faden und auch der durch einen Zufall oder eine Absicht, die aber im Drama gar keine Rolle spielt, herbeigeführte Tod de» Helden giebt einen nicht dramatischen, sondern anekdotischen Abschluß. Für die Darsteller nicht sehr günstig ist di« Thatsache, daß Eyrano häßlich war und eine ungewöhnlich lange Nase besaß: er konnte e» nicht vertragen, daß man dieselbe ansab, er soll allein auS diesem Grunde zehn Menschen in» Jenseit» befördert haben. An diese Häß lichkeit, welche ihn für den Minnedienst wenig geeignet macht, und an die Thatsache, daß er trotzdem gern Liebe-episteln schrieb, knüpft der Verfasser die eigentlich frei erfundene Handlung, die allerdings unter einer gewissen tumultuarischen Massenbewegung oft wie verschüttet ist. Eyrano liebt selbst seine Cousine Roxane, aber in edler Aufopferung für feinen jungen schönen Freund leiht er diesem nicht nur seine Redegewandtheit, indem er unter dem Balcon der Freundin für ihn die Liebe-bewerbung anbriugt, sondern er schreibt auch zahlreiche LiebeSepjsteln für ihn, setzt keine Vermählung durch, ohne daß er, nachdem jener vor Arras gefallen, von der Wittwe den süßen Lohn dafür erhält. Sie geht in- Kloster und pflegt daun uur die Kranken und Leidenden. , Ein moderner Held ist Cyrano weder im Sinne der Modernsten, noch in unserem Sinne; denn ein solcher Rauf bold und Todtschläger ist doch unserer Gegenwart nicht sym pathisch. Freilich, di« Mischung diese» rohen Gladiatorenthum» mit der Bildung de» Dichter- und Denier» flößt einige» Inter esse ein für de« merkwürdigen Eharakterkopf. Hierzu kommt da» treue Enlturgemälde de» Zeitalter» ver prScieuses nud die fast krampfhaft« Lebendigkeit der auf der Bühn, sich ab spielenden, oft abzappelnden Handlung, lagt not least die vortreffliche Uebersetzung Fulda'», welche den ReimverS meisterlich behandelt und keine epigrammtische Spitze abstumpft. Nicht bloS die längeren Reden Cyranv'S, in denen ein, wir möchten sagen oft tautologischer Humor seine Trümpfe auöspielt, auch die oft zerhackten VerSzeilen, die gleichwohl am Schlüsse des Reimes nicht entbehre», bat Fulda mit großem Geschick wiedergegeben, vortrefflich besonders daS Lied von den GaScogner Cadetten mit seinen durch alle Strophen hindnrchgehenden Endreimen; die erste lautet: Da» sind die GaScogner Cadetten, Ihr Hauptmann ist Castel-Jalovxl Sie raufen und lügen und wetten. Da- sind die GaScogner Cadetten. Sie hatten zusammen wie Kletten Und lieben und zürnen im Nu. DaS sind die GaScogner Cadetteten, Ihr Hauptmann ist Lastel-Jatoux. Wenn Cyrano de Bergerac ein sehr romantisches und sehr unmoderne» Stück ist, so ist dagegen daS Drama: „Todte Zeit" von Ernst Hardt (Berlin, S. Fischer, Verlag 1898) so modern, wie nur eine Jbseniade sein kann. Zu einem glück lichen Ehepaar, Günther Vollmar und seiner Frau Estelle, kommt der frühere Verehrer der Letzteren, Alexander; er Hal auf sie verzichtet, in dem festen Glauben, daß jener sie glücklich machen werde. Jetzt findet er statt des geträumten Glückes eine bleierne Oede und nun erwacht in ib», die alte Liebe wieder — er will Estelle wiederhabrn, er stellt Günther zur Rede und zwar in einer sehr kräftigen und heftigen Weise. „Ich speie Dich an", sagt er zu ihm, und Günther kommt zur Erkenntniß: „Wir haben nicht gelebt im Leben, wir baben nicht jeden Tag ja gesagt zu unfern Empfindungen, wir haben gewartet — wir sind still gestanden und da« Leben ist an unS vorbcigcflossen, der breite, beiße, schöne Strom. Man soll zufaffen, wen» mau hungrig ist, man soll ja sagen, man soll leben, leben. Wir haben gewartet. Wir haben ein Stück todte Zeit in unserem Dasein, ein große» Stück todte Zeit — da« lähmt, da» tödtetl" DaS ist also die Tragödie der tobten Zeit! Wie Pockerath in Gerhart Hauptmann'» „Einsamen Menschen", stürzt sich anch Günther Vollmar in- Wasser, nachdem er vorher durch die Aufregung balb irrsinnig geworden. Alexander ist ein gefährlicher Ein- dria-ling, eine «icht minder bedenkliche Hau-genossin ist Dora. Von dem modernen Kraststil de- Werke- haben wir eiuige Proben gegeben. (Schluß folgt.)
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