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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.11.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981102020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898110202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898110202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-11
- Tag1898-11-02
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Ohne Andersgläubige irgendwie zu verletzen, hat sich der Kaiser zum evangelischen Glauben bekannt und dabei nicht das Trennende, sondern das Einigende hervorgehoben. Ueber das Gebiet des rein Religiösen hinausgehend, hat der Kaiser der deutschen Friedens liebe ein neue- Denkmal gesetzt, indem er betete: „Gott ver leihe, daß Gottvertrauen, Nächstenliebe, Geduld im Leiden und tüchtige Arbeit beS deutschen Volkes edelster Schmuck bleibe." Wenn er hieran den Wunsch knüpfte, daß der Geist des Friedens die evangelische Kirche immer mehr und mehr durchdringe, so erinnert uns das an die Worte, die der Kaiser am 3l. October l892 bei der Weihe der Witten berger Schloßkirche sprach: „Es giebt in Glaubens sachen keinen Zwang. Hier entscheidet allein die freie Ueberzeugung des Herzens, und die Erkenntniß, daß sie allein entscheidet, ist die gesegnete Frucht der Reformation." Auch dies waren Worte deS Friedens; den Frieden in der evangelischen Kirche aber haben sie leider nicht zu fördern vermocht. Die Befürchtung, die Mahnung des Kaisers werde auch jetzt ungehört verhallen, ist also jedenfalls nicht un gerechtfertigt. Und wie diese Befürchtung, so ist auch die andere nicht abzuweisen, daß der Ultramontanismus gegen den Geist der Duldung, den die letzte Ansprache des Kaisers athmet, nach wie vor sich abschließen werde. Haben wir doch auch nach dem Neformationsfeste des Jahres l892 erlebt, daß trotz der großen Rücksicht, die damals in Witten berg auf den Katholicismus genommen wurde, der Ultra- montaniSmuS in groben Schmähungen wider den Kaiser sich erging; wie damals die vatikanische „Voeo äolla Veritä" den Kaiser in einem überaus scharsen Ausfall angriff, so wird auch in Zukunft die Feindschaft des Ultramontanismus gegen das protestantische Kaiserthum sich Lust machen. Dies ist um so wahrscheinlicher, je weniger in dem führenden deutschen Staate der ernste Wille sichtbar wird, streng zwischen KatholiciSmuS und Ultramontanismus zu unterscheiden und dem letzteren die Verfolgung seiner fricdensfeindlichen Ziele zu erschweren. Auch mit ihm sucht man im Frieden zu leben, obwohl er nur den Frieden will, der auf die bedingungslose Unterwerfung unter seine Forderungen sich Hründet. Damit fördert man aber den Frieden nicht, sonder» erhöht nur die Ansprüche der Gegner eines auf gegenseitige Toleranz begründeten Friedens. Toleranz gegen die Intoleranz ist nichts Anderes als Förderung der Letzteren und PreiSgebung des Zieles gegenseitiger Toleranz. Und von einer solchen PreiSgebung in Preußen zu sprechen, hat man leider nur zu begründeten Anlaß. Wir wüßten zahlreiche katholische Geistliche zu nennen, die von wahrhaft tolerantem Geiste beseelt waren, aber gerade deshalb auch von staatlicher Seite hinter ultramontane Heißsporne zurückgcsetzt wurden und daraufhin den Kampf gegen die ultramontane Intoleranz aufgaben. Man sagt wohl, dieser Kampf müsse innerhalb des Katholicismus ausgefochten werden, aber wie soll ein Sieg deS toleranten Katholicismus über den intoleranten Ultramontanismus möglich sein, wenn der Staat, der an diesem Siege das größte Interesse hat, nicht nur müßiger Zuschauer bleibt, sondern den mit den gefährlicheren Waffen kämpfenden Tbeil noch fördert, indem er ihn sich zu ver pflichten sucht? Tas osficirlle Bcrichtcrstatterwcsen ist auch bei der Morgenlandreise deö Kaisers nicht in Ordnung. So ist die aus Anlaß der Einweihung der Erlöserkirchc in Jerusalem hinterlegte Urkunde zuerst in der socialdemokratischen „Wiener Arbeiter-Zeitung" veröffentlicht worden, noch bevor sie in Jerusalem amtlich bekannt gegeben wurde. Da der Kaiser in diesem Falle entgegen seiner Gewohnheit einen vorher entworfenen Text verlas, so handelt eS sich offenbar um die Entwendung einer Abschrift, begangen, um die Socialdemokratie in dem ihrem Ehrbegriff unter allen Umständen — vergl. den Briefdiebstahl im Reichstage — rühmlich erscheinenden Lichte eines die 6t udiguo „waltenden" Wesens zu zeigen. Der Vorgang ist ja nicht von großer Bedeutung, aber schön ist es nicht, daß selbst der Kaiser durch die Socialdemokratie die Richtigkeit der Erfahrung, baß man sich vor Hausdieben nicht schützen kann, kennen lernen muß. Auffällig und unerfreulich ist noch eine zweite Berichterstattungsgeschichte. Auf die beim Besuch der Erlöserkirchc gehaltene Ansprache des CultusministerS vr. Bosse läßt das Wolff'sche Telegraphenbureau den Kaiser u. A. antworten: „Mit bloßen Reden sei im Orient nichts gethan, er (der Monarch) hoffe, daß die Evangelischen be sonders auch durch ihren Wandel die Wahrheit ihres Glaubens bezeugen und bekräftigen würden." Der „Reichs anzeiger" aber enthält den Hinweis auf die Minderschätzung der Rhetorik im Orient nicht, nach ihm hat der Kaiser nur gesagt: „Er hoffe u. s. w." Nach Lage der Dinge muß das Amtsblatt denselben Text erhalten haben wie die anderen Zeitungen und kann die Aenderung nicht unter Zustimmung des Kaisers oder einer in seiner gegenwärtigen Umgebung befindlichen Persönlichkeit erfolgt sein. Sie ist in Berlin entstanden und man fragt sich, auf wessen Anordnung und aus welchen Erwägungen heraus. Solche Fragen sollten aber nicht auftauchen können. Für die Universität Freiburg in der Schweiz hat soeben auf die bekannten Anklagen der von dort fortgegangenen deutschen Theologen die Unterrichtsdirection des CantonS Frei burg in einer officiellen Denkschrift geantwortet. Die „Magd. Ztg." theilt darüber mit: Die Vertheidigung kommt an vielen Stellen einem Eingeständniß der erhobenen Be schuldigungen gleich, was um so auffallender ist, als sie im übrigen die acht gemaßregelten Professoren persönlich in der gröbsten Weise angreift und ihre wissenschaftliche Minder- werthigkeit behauptet. Als Fehler wird vor Allem zu gestanden, daß der UnterricbtSdirector Python durch seinen Graubündner Freund DecurtiuS die Professoren 1889 mit einer nach fünf Jahren lebenslänglich werdenden Anstellung berief, wozu er nach den Gesetzen des CantonS Freiburg gar nicht berechtigt war, eine Angabe, die auf die auch aus dem Canton Tessin genügend bekannte Schleuder- wirtbschaft in dem ultramontan regierten Theil der Eid genossenschaft ein sehr bezeichnendes Licht wirft. Dann aber wird zugegeben, daß auch die an der neuen Universität lehrenden elf „Patres Dominikaner" sich zweifellos theil- weise „Manches vorzuwerfen haben", aber künftig und nach dem neuen Unterrichtsprogramm sollen sie sich lediglich „mit ihrer Lehrtätigkeit" und ihren wissenschaftlichen Arbeiten befaßen, „dafür sie berufen sind", und auch die Frei bürger Cantonalrcgierung wird „an der Krisis ihre Er fahrungen gesammelt haben". Also ein Zugeständniß in bester Form. Wenn aber freilich um Ostern d. I. der Rector der neuen Universität im Vatican Audienz gehabt und dort vom Papst vernommen hat, daß dieser den Verbleib der Dominikaner in Freiburg wünsche, dann hätte man sich über haupt die übrigen Gründe gegen die sortgeärgerten deutschen Theologen sparen können. Bekanntlich sind vor etwa 14 Tagen tschechische Reser visten, die auf den Namensaufruf nicht mit „hier", sondern in tschechischer Sprache mit „2cis" geantwortet hatten, wegen Meuterei zur Verantwortung gezogen worden. Zeigte nun auch dieser Vorfall, daß Dank dem Nachgeben der österreichischen Regierung gegen die tschechische Imper tinenz der trostlose Nationalitätenstreit sich bereits in die Armee einzufressen beginnt, so schien doch das Vorgehen der österreichischen Regierung die Hoffnung zu rechtfertigen, daß sie sich dem Weiterfressen deS Giftes in der Armee energisch widersetzen wollte. Aber es schien nur so. Um die Tschechen vor allen Fährlichkeiten zu bewahren, hat man zu dem AushilfSmittel gegriffen, daß die Controlpflichtigen beim Namensaufruf gar nicht antworten, sondern stillschweigend ihren Militairpaß vorweisen sollen. Ob man diese salo monische Entscheidung in dem Streite zwischen „ricko" und „hier" mehr dumm oder mehr feige nennen soll, läßt sich wirklich schwer sagen. Denn was wird damit erreicht? Die Tschechen werden ja durch diese Nachgiebigkeit geradezu aufgefordert, ihre militairpflichtigen Landsleute aufzuhetzen, auch in anderen Fällen tschechisch zn antworten. Dann werden vielleicht wieder die Schuldigen bestraft — oder vielmehr nicht die eigentlich Schuldigen, denn das sind die Hetzer, sondern nur die Opfer der Hetzer werden bestraft —, aber es wird dann ein neues Mittel ersonnen werden, wie man wieder die Antwort des Soldaten umgehen kann. Schließ lich wird dann die deutsche Armeesprache nur noch darin bestehen, daß blos noch die Vorgesetzten deutsch zu sprechen und die Soldaten dann die Rolle „der stummen Diener des Serails" zu spielen haben. DaS Ansehen der Armee wird dadurch wahrlich nicht gefördert. Aber das ist der öster reichischen Regierung ja ganz egal, es kommt ihr nur darauf an, ein Mittel gesunde» zu haben, wie man weiter wursteln kann. Das neue französische Ministerium Tnpnh kann als ge bildet betrachtet werden. Es ist das siebenunddreißigste Ministerium, das während der 27jährigen Dauer der dritten Republik zur Amtsführung berufen wird. Der Cabinetschef selbst, der 47jährige Charles Dupuy, war bereits drei Mal Minister und darunter zwei Mal Conseils Präsident. Auch unter den anderen Mitgliedern des neuen Cabinets, das nur aus Civilministern zusammengesetzt ist, befinden sich viele Staatsmänner, die schon früher und theilweise wiederholt der Regierung angehörten, so der Kriegsminister Senator de Freycinet, der Doyen des Cabinets, der am 14. No vember seinen siebzigsten Geburtstag feiert. Als neue Männer können nur genannt werden der Iustizminister Lebret, Doctor der Rechte und Titnlar - Professor der Rechtswissen schaften an der Hochschule zu Caen, der Handelsminister Delombre, bisher Rcdacteur des „Temps" und Mitglied der Looietö 60 I'eeonomio xoliti'iuv sowie des Cobden-ClubS, und endlich der Colonien-Minister Guillain, seines Zeichens Ingenieur und bisher Navigations-Inspector im Arbeits ministerium. Die übrigen Minister, wie LeygueS (Unter richt), Krantz (öffentliche Arbeiten), Delcass« (AeußereS), Peytral (Finanzen), Lockroy (Marine) und Big er (Ackerbau) waren schon vorher wiederholt Minister, und die vier Letztgenannten haben dieselben Departements, die sie im Cabinet Brisson verwalteten, behalten. Die Mehrheit der Mitglieder des neuen Ministeriums gehört der republikanischen Partei an. Es giebt nur drei gemäßigte Radicale im Cabinet, nämlich Freycinet, Peytral und Lockroy. Ein Mit glied, der Unterrichtsminister Lcygues, zählt zu der Gruppe der progressistischen Republikaner. Die übrigen sechs Mit glieder sind Republikaner. Endlich sitzen nur zwei Mitglieder des Senates im Ministerium, nämlich de Freycinet und Peytral, die acht anderen Cabinetsmitglieder sind Deputirtc. Mit Ausnahme von Freycinet sind alle neun Minister jüngere Männer. Der älteste ist Lockroy mit 58 und der jüngste Delombre mit 39 Jahren. In Bezug auf die spanisch-amerikanischen FriedenSvcr- handlnnacn wird, wie man uns aus Washington telegraphirt, balbamtlich versichert, Amerika habe beschlossen, daß jeder Dollar wieder eingebracht werde» solle, der für den Krieg, einschließlich der gegenwärtigen und zukünftigen Pensionen, ausgegeben worben ist. Zur endgiltige» Balancirung der KriegSauSgaben und des Wertstes der erworbenen Besitzungen glaube man, dürfe die an Spanien noch zu zahlende Entschädigungssumme 25 bis 40 Millionen Dollar nicht übersteigen. Der Möglichkeit einer Wieder aufnahme der Feindseligkeiten werde stier mit Gleicst- mulh entgegengcsehen, weil man glaube, daß Spanien außer Stande sei, irgend welchen Schaden zuznfügen. Welchen Widerhall eine solche Sprache rücksichtsloser Brutalität in Spanien findet, ersieht man auS den jüngsten Auslassungen der Madrider „Correspondencia". DaS halbamtliche Blatt schreibt: Man beliebt von nordamerikanischer Seite augenblicklich dasselbe Spiel wie vor Ausbruch des Krieges, indeni an einem Tage Drohungen ausgestoßen werden, worauf am nächsten Tage wieder friedliche Versicherungen folgen. Augenblicklich ist daran die gegen wärtige Wahlbewegung in den Vereinigten Staaten Schuld, und andererseits dürfte man in Washington zur Zeit darüber noch nicht im Klaren sein, wie weit die augenblicklichen Forderungen gehen sollen. Demgegenüber wird die Haltung Spanien unbedingt die gleiche bleiben, indem es die beiden Forderungen Uebernahme der cubanischen Schuld durch Nordamerika und Ans- rechterhaltung der spanischen Oberherrschaft über die Philippinen unentwegt festhalten wird. Die Bereinigten Staaten mögen aller dings in der Lage sein, diesen beiden gerechten Forderungen Spaniens Gewalt entgegenzusetzen, aber sie werden eine spanische Regierung niemals zwingen können, einen Friedensvertrag zu unterzeichnen, welcher die offene Verhöhnung des vorläufigen FriedenS- protokollrs enthält. In katholischen Kreisen erregt der Hroßc Eifer, mit welchem Cardinal Gibbons und besonders Erzbischof Ireland von St. Paul dem Präsidenten Mac Kinley Anerbietungen bezüg lich der Neuorganisation der katholischen Kirche auf den neu erworbenen Inseln machen, bereits allgemeinen Verdacht. Der zweitgenannte Kirchenfürst ist zugleich ein leidenschaft- I licher Irländer und sein Vorschlag geht dahin, die spanischen > Geistlichen aus Cuba und Puerto Rico innerhalb weniger I Jahre durch irische Geistliche zu ersetzen. Feuilleton. Die kleine Lulu. 26s Seeroman von Clark Russell. Nachdruck verboten. „Er sicht sicherlich sehr sonderbar aus und ist wirklich häßlich genug, um wahnsinnig sein zu können", sagte sie mit jener köst lichen Einfalt, die mich immer lächeln machte. „Glauben Sie an seine Erzählung von dem Gold?" fragte ich. „Ich habe nie darüber nachgedacht", entgegnete sie. „Die Angst, die ich fortwährend ausstehe, hat mich an diese Geschichte noch nicht denken laßen." „Banyard glaubt nicht daran, die anderen Alle aber scheinen es zu thun. Nun, mag es wahr sein oder falsch, ich werde sie nach der Insel steuern, — wenn sie nämlich vorhanden ist." „Und wenn sie nicht existirt?" „Dann werde ich die Leute irgend wo anders ans Land setzen, wenn sie mich gewähren lassen." „Warum sollte man Sie daran hindern?" „O, wenn sie auf dem Lande, welches wir in Sicht bekämen, ein Haus oder «inen Flaggenstock oder die Spieren eines Schiffes sehen sollten, oder überhaupt irgend ein Anzeichen von Civili- sation, so würden sie mich sofort zwingen, davon abzuhalten. Ich rechne nicht darauf, daß es uns gelingt, in dieser Weise zu «ntkommen. Sie werden mich zu genau beobachten. Eine wüste Insel würde meinen Plänen besser entsprechen als eine be völkerte." Sie sah mich mit einem Ausdruck des Schreckens an, aus dem ich nicht klug werden konnte, bis mir plötzlich einfiel, was sie denken mochte. „Nicht für uns, um darauf zu bleiben", sagte ich lachend. „Sie haben wohl an Paul und Virginie gedacht?" Sie erröthete wie eine Rose, sah aber sehr traurig aus. „Ach, Miß Franklin", seufzte ich, „es wird eine Zeit kommen — lange nachdem ich Ihren Augen entschwunden bin —, wo Sie zurückblicken werden auf diese trüben Tage, und dann werden Sie mit einer gewissen Reue an den armen Jack Chadburn den ken, weil Sie ihm das Vertrauen versagten, um welches er Sie gebeten hatte." Sie sah mich mit großen Augen an und rief: „Wenn die Zeit kommt —", hielt inne und murmelte leise: „Ach, ich bin ein dummes, feiges Geschöpf", schwieg wieder still und versank in Nachdenken. Dies war mir peinlich, und deshalb erhob ich mich und sagte: „Aber ich halte Sie von Ihrem Frühstück ab", ver neigte mich und ging. Sechzehntes Capitel. Einige Tage mußten wir schwer gegen einen widrigen Wind ankämpfen, welcher aus Westen wehte, darauf sprang derselbe aber wieder nach der früheren Seite herum. Wir schüttelten die Reffs aus und setzten alle Segel, die die Brigg tragen konnte. Unser gekupferter Kiel durchschnitt die großen grünen Wogen, daß wir wie ein hüpfender Gummiball über dieselben weg flogen. Die Kälte in den Nächten war jetzt sehr empfindlich und selbst am Tage bitter genug. Der Schnee fiel in großen Massen auf unsere Decks und wenn man Eisen berührte, war es, als hätte man sich die Haut verbrannt. Das Takelwerk war vom Frost so hart wie Stahl, die einzelnen Windungen des aufgerollten Tau werks waren zusammengefroren und mußten scharf auf das Deck geworfen werden, um auseinander zu brechen. So aufgeräumt die Stimmung der Leute vorher auch gewesen war, jetzt befanden wir uns nicht in Breiten, wo die Fröhlich keit gedieh. Die Kälte betäubte alle seelischen Empfindungen, wie sie ihre Finger erstarren machte. Sie fluchten über den Mangel an Rum und schafften sich einen Ersatz in heißem Kaffee, d. h. nur, wenn das Wetter es erlaubte, denn oft konnte mehrere Tage hintereinander kein Feuer in der Küche angezündet werden. In dieser Weise näherten wir uns dem Cap Horn. Wenn ich auch große Aufmerksamkeit auf die Berechnung unserer Lage nach dem Loggbuch verwandte, so hatte ich doch auch das Glück, häufig astronomische Beobachtungen machen zu können. Die Instrumente in der Cajüte waren herrliche Muster der Mechanik und die Karten ganz neu. In der That, der Bau und die ganze Ausrüstung dieser Brigg würden den kritischsten Anforderungen genügt haben. Ile länger ich sie befehligte, je mehr lernte ich ihre vielen herrlichen Eigenschaften kennen und sie lieben. Der Gedanke, sie den Leuten zu entreißen und sie zurllckzuführen in die Heimath — mit der Geliebten an Bord und der unbeschädigten Ladung im Raum — bemächtigte sich meiner wie eine fixe Idee. Hier lag ein schönes Stück Ocean-Romantik vor mir, wenn auch vorläufig noch im dichten Nebel unbestimmter Hoffnungen und Träume; denn Alles hing von glücklichen Umständen ab. Eines Nachmittags geschah etwas, was meine im letzten Ca pitel ausgesprochene Vermuthung in Bezug auf Deacon's Geistes zustand bestätigte und geeignet war, der ganzen abenteuerlichen Fahrt, welche die Mannschaft in ihrem Wahnsinn unternommen hatte, eine Ernüchterung zu bringen. Bis zu diesem Tage war uns noch kein Eis in Sicht ge kommen. Wir waren jetzt in der Breite 57 Grad 30 Sec. Seit der letzten Woche hatte ich ein paar Mann Tag und Nacht auf dem Ausguck postirt, und ich selbst und Banyard hielten scharfe Wacht. Um Mittag blies es stark aus Süd-Süd-West; ich ließ die Brigg dicht beim Winde unter doppelt gerefftem Topsegel laufen, denn ich wünscht- nicht nach Norden zu steuern, um den auf unserm Lee-Bug liegenden, mit Eis umgürteten, zerklüfteten Felsen des Cap Horn nicht zu nahe zu kommen. Es war sehr schwerer Seegang und der ganze Ocean rings umher bot einen unbeschreiblich düsteren, wilden Anblick. Die zerrissenen Wollen jagten wie Rauch an dem bleigrauen Himmel dahin. Ein einziger Albatros wiegte sich auf den schäumenden, hochgehenden Wogen unseres Kielwassers und ununterbrochen brachen sich die Wellen berge an den Backen der Brigg, ihren Gischt bis zur Höh« der Fock-Raaen spritzend und donnernd auf die hohlen Decks nieder stürzend. Plötzlich ließ der Wind nach, wir schlingerten fürchterlich, der Himmel klärt« sich auf, die winterliche Sonne brach hervor und funkelte aüf den nassen Planken. Was hatte dies zu be deuten? Ich sah besorgt umher, aber der Horizont war klar. Das Rollen und Stampfen war entsetzlich. Ich rief die Wache und holte Alles fest an, aber in jedem Augenblick erwartete ich, die Oberbram-Stengen abbrcchen zu sehen. Jetzt konnte es sich rächen, daß ich aus Abneigung, den Leuten eine Arbeit zuzu- muthen, der sie sich vielleicht widersetzt hätten, nicht schon vor einer Woche die Oberbram-Raaen hatte herunternehmen lassen. Eine halbe Stunde, nachdem der Wind sich gelegt hatte, zeigte sich ein« schwarze Wolke im Südosten. Ich beobachtete sie einige Augenblicke und bemerkte, daß sie rasch höher stieg und an Aus dehnung schnell gewann; es sah aus, als erhebe sich die Nacht selbst aus dem Meere, um sich auf die Brigg herabzusenken. Ich ließ alle Mann auf Deck rufen, um Brassen und Schoten zu bemannen, und kaum war dies geschehen, als uns das Wetter auch schon faßte und «in Hagel niederprasselke, der uns den Athem raubte und uns beinahe betäubte. Keiner war im Stande, die Augen zu öffnen; Alles, was wir thun konnten, war, uns auf recht zu halten. Auf den Oelmänteln und Südwestern der Leute am Rade rasselte es, als ob ununterbrochen Kugeln in eine Zinn pfanne geschüttet würden. Dunkle Nacht umgab uns, und der Orkan auf der Backbordseite trieb die Brigg wie ein Gespenster schiff durch einen Nebel von Gischt, Hagel, Schnee und Regen. Das war das echte, rechte Cap Horn-Wetter; die Thränen, welche die Kälte unseren Augen erpreßte, froren an unseren Lidern, und der Schmerz in den Fingern war so heftig, daß man hätte schreien mögen. Als wenn die Dunkelheit, welche der Wolkenmantel ver ursachte, noch nicht unheimlich genug wäre, begann jetzt d«r Schnee den Hagel zu vertreiben und fiel in solchen Massen, daß die beiden Ausguck-Leute auf dem Vorderdeck vom Rade aus nicht sichtbar waren. Nichts konnte wunderbarer sein als der Anblick Des Schnees, welchen der Sturm um uns herumwirbelte. Es war, als flögen wir durch ein Meer von Dampf oder durch das Staubwasser eines mäcytigen Wasserfalles, welches die ganze Atmosphäre er füllte. Die beiden großen Segel standen noch doppelt gerefft; unter ihnen jagte die Brigg durch und über die schrecklichen Wogen gleich dem Albatros, welcher uns noch immer im Kielwasser folgte. Ich schickte die Leute nach unten, befahl ihnen aber, sich bereit zu halten für eine Aenderung des Windes oder das Beidrehen der Brigg; den beiden Ausguck-Leuten auf dem Vorderdeck schärfte ich aufs Neue große Aufmerksamkeit ein. Nach einem Weilchen wurde der Schneefall schwächer und die See öffnete sich um uns her, aber nicht weiter als auf wenige Schiffslängen. Da, auf einmal, erklang von dem Vorderdeck ein lauter Schreckensruf: „Rauder hart up, üm Gotteswillcn afhollen! Jsbarg grad vorwärts!" Ich hielt mich nicht damit auf, hinzusehen, meine Nase hatte mir schon genug gesagt, denn sie war gut, ich konnte das Eis deutlich riechen. „Scharf Steuerbord halten!" schrie ich, was ich tonnte, wäh rend ich mit ein paar Sätzen nach dem Rade sprang. Wie von einer Maschine getrieben, flog das Rad herum, und keine Secunde zu früh, denn auf dem Backbord-Bug trat aus dem dichten Schneeoorhang ein Eisberg hervor, dessen Umfang uns bei der nebelhaften Atmosphäre so groß wie eine Kathedrale erschien. Ohne Uebertreibung, es war ein Koloß mir hochragenden Spitzen, die sich im Nebel verbargen, und ungeheueren, schnee bedeckten Zacken uno Klüften. Die wildbewegten Wogen, welche sich an seinen Seiten brachen, rissen rin mächtiges Stück Eis ab, das mit donnerndem Getöse in die See stürzte und eine feste
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