Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.11.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981111029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898111102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898111102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-11
- Tag1898-11-11
- Monat1898-11
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-PreiS k der Hauptexpedittoa oder den tm Stadt» bezirk und den Bororten errichteten AuS- aobestrvrn ab geholt: vierteljährlich ^14.50, vet zwrtmaliaer täglicher Zustellung in« Hau» b.SO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel,ährltch ^l S.-—. Directr tägliche Kreuzbandieuduug in» Ausland: monatlich ^l> 7.50. Li« Morgen-AuSgabe erscheint am '/,? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentag» um 5 Uhr. Ne-aciion und Erve-ition: Iohannesgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag« unnnterbrocheit geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 UhL Filialen: Ltt» Klemm'« Eortim. (Alfred Hahn), UniversitätSstratze 3 (Paulinum), Loni« Lösche, katharinenstr. 14, part. und König-Platz?. Abend-Ausgabe. riWgcr TWMai! Anzeiger. Ilmtsötatt -es königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Makizei-Äintes der Stadt Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg.> Neclamen unter demRedaciion-strich (4g«- spalten) 50-cZ, vor den Familiennachrichtea (6gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis« verzrichaiß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Tarif. t?rtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbeförderun^ 60.—, mit Postbefürderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morge u-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhc. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Ertzetzitta» zu richten. Druck und Verlag von E. Pol^ in Leipzig 573. ———— Freitag den 11. November 1898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 1t. November. Obgleich der Zusammentritt des neugewählten Reichstag« nahe bevorstebt, hat der Bundesrath verschiedene Beschlüsse deS vorigen Reichstag« noch nicht erledigt. Einer der wichtigsten ist der bezüglich der Aushebung oder Abänderung deS AesnitengesctzeS. Wir sind mit dem „Schwab. Merk." der Meinung, daß e« Wünschenswerth wäre, wenn die Hinter lassenschaft der abgelaufenen Legislaturperiode noch vor Beginn der neuen geordnet würde. DaS Centrum würde allerdings, wenn der BundeSrath keine Neigung hätte, den Beschlüssen deS Reichstags bezüglich des JesuilengesetzeS zu willfahren, seinen Antrag auf Aufhebung dieses Gesetzes schleunigst wieder einbringen; in diesem Falle würde also mit einem beschleunigten Beschlüsse deS Bundesraths nicht viel erzielt werden. Aber sür ein ersprießliches Verhältnis zwischen den beiden gesetz gebenden Factoren deS Reichs ist eS doch rathsam, daß gegen seitig die peinlichste Rücksichtnahme geübt wird. Wie der BundeSrath sich verletzt fühlen würde, wenn der Reichstag diese oder jene seiner Vorlagen einfach ignoriren wollte, so könnte sich auch der Reichstag mit Recht beschweren, wenn der Bundesrath seine Beschlüsse ohne Bescheid ließe. Fürst Hohenlohe hat nun im Jahre 1896, als das Ccntrum wegen Nichtentscheidung deS BundeSraths über die vom Reichstag beschlossene Aufhebung des Jesuitengesetzes interpellirte, erklärt, der BundeSrath habe nach seiner nicht lange vorher erfolgten Ablehnung desselben Beschlusses eine abermalige Berathung der Angelegenheit nicht sür erforderlich gehalten, da neue Gesichtspunkte nicht hervorgetreten seien. Diese Begründung für die Haltung des BundeSraths trifft aber auf die Be schlüsse des Reichstags vom 3. April 1897 nicht zu, denn durch diese ist allerdings insofern ein bedeutsames Novum eingetreten, als der Reichstag dem Bundesrath die Wahl gelassen hat, ob er das ganze Jesuitengesetz oder nur den 8 2 desselben aufheben will, dem zufolge die OrdenS- mitglieder, wenn sie Ausländer sind, ausgewiesen werden können, und der weiter bestimmt, daß den Ordensmitgliedern, wenn sie Inländer sind, der Aufenthalt in bestimmten Be zirken oder Orten angewiesen werden kann. Mindestens über die letztere Frage hätte man eine Beschlußfassung des BundeSraths erwarten können. Vielleicht ist die Erklärung für die bisherige Verzögerung darin zy suchen, daß man die Ablehnung auch der theilwrisen Aufhebung des Gesetzes nicht aussprechen möchte, bevor die vom Reichskanzler 1896 zu gesagte Untersuchung, ob nicht noch weitere Orden von den Wirkungen des Jesuitengesetzes auszunehmen seien, zum Abschluß gekommen ist. Den Ultramontanen liegt es besonders daran, daß die Damen vom 8aer6 ooour und die Lazaristen zugelassen werden. Der Umstand, daß der Kaiser den Lazaristenpater Schmidt in Jerusalem ob seiner patriotischen Ansprache belobt bat, giebt der klerikalen Presse bereits Gelegenheit, das Anliegen recht kräftig in Erinnerung zu bringen. In weiten evangelischen Kreisen hat dagegen diele Ansprache die durch allerhand Maßregeln der preußischen Regierung erweckte Besorgniß verstärkt, es werde versucht werden, den UltramontaniSmus durch Zu geständnisse bezüglich des Jesuitengesetzes noch weiter zu „versöhnen". Schon aus diesem Grunde sollte sich daher der Bundesrath beeilen, Klarheit zu schaffen. Die unglückselige Fassung deS vom groben Unfug handelnden 8 360 Nr. 11 des R.-Str.-Ges.-B. hat wieder einmal zu einer Gerichtsentscheidung geführt, die Aufsehen zu erregen geeignet ist, diesmal freilich im entgegen gesetzten Sinne, als in der Regel: denn während man im All gemeinen Verurtheilungen auf der Grundlage deS groben Unfugs als der natürlichen Auffassung widersprechend be trachten muß, so widerspricht diesmal dieFreisprechung der selbstverständlichen Auffassung. In einem Vorort vonBerlin hatten socialdemokratische Bewohner am 18. März d. I. zur Er innerung an die Revolution von 1848 eine Illumination veranstaltet. Sie waren vom Schöffengerichte wegen groben Unfugs verurtheilt worden, wurden aber in der Berufungsinstanz freigesprochen, weil das Landgericht von dem Grundsätze aus ging, daß die unmittelbare Wirkung der auf Grund deS 8 360 Nr. 11 zu ahndenden Handlung die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und die Störung deS Publikums sein müsse. Blos denkbare unmittelbare Wirkungen der Handlung reichten nicht zur Strafbarkeit aus, darüber seien Theorie und Praxis einig. Die letztere Behauptung ist nicht zu treffend. So hat beispielsweise daS Gericht in München eine Bestrafung wegen groben Unfugs, wegen gröblicher Be leidigungen gegen den Fürsten Bismarck eintreten lassen; auch hier konnte nur von einer mittelbaren Wirkung die Rede sein. Wäre die Auffassung deS Landgerichts II zu Berlin zutreffend, so könnten eigenartige Zustände eintreten. Man wäre beispielsweise dagegen machtlos, wenn eS den Anarchisten am Tage der Ermordung der österreichischen Kaiserin eingefallen wäre, zu illuminiren, oder wenn es etwa den Socialistcn einfallen sollte, Fahnen heraus zu stecken, wenn etwa einmal ein Expeditionszug in den Colonien un glücklich verlaufen sollte. Die verschiedenartige und un sichere Judikatur über den groben Unfug sollte dahin führen, daß der 8 360 Nr. 11 beseitigt und durch einen um fassenderen Paragraphen ersetzt wird, der den Begriff deS groben Unfugs definirt und Thatbestands-Merkmale angiebt, an denen der Richter einen Halt hat. Ebensogut wie etwa der Z 242 die Thatbestands-Merkmale des Diebstahls oder der 8,263 diejenigen des Betruges so genau angiebt, daß Jrrthümer und entgegengesetzte Entscheidungen nur eine höchst seltene Ausnahme bilden, müßten sich auch Thatbestands-Merkmale des groben Unfugs gesetzlich festlegen lassen. Die gegenwärtig auf diesem Gebiete herrschende Unsicherheit kann das Ansehen der Justiz nicht fördern und wird, wie cö bereits mit dem freisprechenden Urtheile deS Landgerichts II geschehen ist, von den Feinden der staatlichen Ordnung für ihre Zwecke gehörig ausgebeutet. In der Beurtheilunz der bedeutungsvollen Rede SaliS- bnry'S sind die Meinungen getheilt, was nicht verwunderlich ist, da der Lord sich mit außerordentlicher Vorsicht und diplomatischer Gewandtheit ausgedrückt hat. Die Aus lassungen des englischen Premiers aber als eine Friedens-und Versöhnungsrede zu bezeichnen, wie es mehrfach geschieht, geht denn doch nicht an. Der Gesammteindruck ist doch zweifellos der, daß Salisbury der Welt zu verstehen geben wollte, daß Eng land nicht selbst zum Kriege mit irgend wem treibe, daß es aber loszuschlagen gedenke, wenn eS gereizt werde und die englische Regierung vcrmuthet, daß dies bald geschieht, sonst würde sie die „militairischen und Marinevorkehrungen" nicht mit aller Energie und Eile fortsetzen. Gereizt aber würde England sich dann fühlen, wenn seine „berechtigten Ansprüche" in irgend einem Theile der Welt oder auf einen solchen nicht respectirt würden. Nach englischer Auffassung sind natürlich alle diese Ansprüche berechtigt und die jeder anderen Nation un berechtigt. Deshalb liegt Conslictsstoff überall, wo englische Interessen mit denen anderer Völker collidiren und deshalb „kann heutzutage ein Krieg mit schrecklicher Schnelligkeit auSbrechen". I Es braucht nur die egyptische Frage auf der „AbrüstungS-1 conferenz" oder bei sonst einer Gelegenheit angeschnitten zu I werden — und man scheint in London vorauSzusetzen, daß > Rußland seinem jetzt im Stiche gelassenen Verbündeten diesen Gefalle» thun wird — so wird es in England heißen turucts oll. Denn daß man dort an eine Räumung des Nil landes nach dem Siege bei Omdurman nicht mehr denkt, daö hat Lord Salisbury doch deutlich genug gesagt. Die Aufrollung der egyptischen Frage bedeutet den Krieg. Darüber kann kein Zweifel bestehen und da Frankreich und Rußland diese Frage nicht ruhen lasten werden, wird der Krieg kommen. Daß England auch mit der Möglichkeit eines baldigen Ausbruchs rechnet, giebt es durch seine Rüstungen zu erkennen. Die selben erstrecken sich über das ganze britische Weltreich, vor Allem auch auf Asien, denn auch dort wird eS zu „Erb- theilungen" kommen. Dort ist die mandschurische Frage acut, die Rußland durch Besetzung der wichtigsten Punkte deS ganzen Gebietes in seinem Sinne zu lösen im Begriff ist, und dort steht die Philippinen-Frage auf der Tagesordnung. Be legen die Amerikaner die ganze Inselgruppe mit Beschlag, so ist es nichz ausgeschloffen, daß Frankreich und Rußland und vielleicht auch Deutschland ihr Veto einlegen und in diesem Falle dürfte England sein Wort zu Gunsten der Vereinigten Staaten in die Waagschale werfen. Sollte aber gar die schon während des spanisch-amerikanischen Krieges aufgetauchte Andeutung sich verwirklichen, die Ver einigten Staaten beabsichtigten, die Philippinen zu nehmen, um sie ganz oder zum Theil an England abzutreten oder zu verschachern, so würde der euro ¬ päische Protest ein ziemlich allgemeiner werden. Auch was Syrien und Kreta anlangt, so hat Salisbury nicht gesagt, daß England keine Absichten auf Landerwerb habe und man darf darauf gefaßt sein, daß es auch dort nicht ohne Ver wickelungen wegen übertriebener englischer Ansprüche abgehen wird. Das sind nur einige Punkte, die wir noch hervor heben wollten, ohne damit sämmtliche Conflictömöglichkeiten erschöpft zu haben. In diesem Sinne faßt auch die englische Presse die Rede Saliöbury'S auf, indem sie constatirt, dieselbe sei nickt geeignet für eine optimistische Auffassung der Lage, und nicht minder wird in den Ausführungen der Pariser Blätter der Hauptaccent auf den Satz über die Kriegsgefahr, die mit schrecklicher Schnelligkeit da sein könne, gelegt. Die „DebatS" erklären, die Londoner Rede sei ein Grnnd zur Beunruhigung für chlle kontinentalen Mächte und nach dieser Rede und den vorbcrgegangenen Ereignissen sei die Stunde für die französische Diplomatie gekommen, zu erwägen, welches Maß von Vorsicht und welche Kraftanstrengung die Situation von Frankreich erheische. Jetzt wird auch zugegeben, daß die französische Regierung gleichfalls für alle Fälle Vorbereitungen trifft. So meldet man uns: * Pari«, 11. Ncv.'inber. (Telegramm.) Die Conferenz, an der unter dem Vorsitze Lockroy's die Commandanten des Nord- und des Mittelmeergeschwaders, sowie die Seepräfekten theilgenommen haben, hat sich, wie der „Temps" meldet, mit der Prüfung von Maßnahmen beschäftigt, die im Hinblick auf die äußere politische Lage zu ergreifen seien. Daß beschlossen worden ist, 30 Schiffe der Reserve sofort seetüchtig zu machen, meldeten wir bereits. Wir sind nicht mit dem Pariser Berichterstatter der „Voss. Ztg." der Hoffnung, daß nach der Rede Salisbury's diese Maßregel rück gängig gemacht werde. Im Gegentheil dürfte Frankreich, wenn auch so geheim als möglich, den Vorsprung, den England be reits hat, jetzt nur um so eifriger einzuholen suchen. Im Anschluß an den Zwischenfall von Faschoda und die damit für den ganzen französischen Colonialbesitz in Afrika aufgeworfenen Fragen ist auch der seit Langem schon gehegte Plan einertrnnssahartfchrn Eisenbahn in Frankreich von Neuem Gegenstand der Erörterung geworden. Paul Leroy-Beanlieu widmet diesem Plane in den „Dubais" zwei Artikel, in denen er die Nothweudigkeit des Baues dieser Bahn zur Einigung und strategischen Sicherung deS französischen Colonialreiches darlegt. Die französische Art des Vordringens in Afrika von Westen nach Osten und von Süden nach Norden, führt er aus, ist mehr ruhmreich als nützlich gewesen. DaS fran zösische Colonialreich in Afrika besteht in seinen drei Gebieten Tunis-Algier, Senegal-Sudan und Congo-Abanghi eigentlich nur dem Namen nach, da Liese Gebiete vollkommen ohne Ver bindung untereinander sind. In Algier sind wir mit unserui zu fünf Sechstel aus Europäern bestehenden Heere von 60 000 Mann allen Gefahren gewachsen. Dazu ist daS Land wirtbschafilich so reich, daß es weit mehr als seine Bevölkerung ernähren kann. Hier liegt also die Basis, an die sich daS andere angliedern muß. Die beiden andern Gebiete können sich weder wirthsckaftlich noch strategisch allein und ge trennt von einander im Falle eines Krieges mit Eng land behaupten. Die tranSsaharische Eisenbahn würde mit einem Schlage die Lage ändern. Mit einer Fahrgeschwindigkeit von nur 20 km die Stunde würde sie unter klimatologisch gesunden Verhält nissen 5000—10 000 Manu zum Tschad-See befördern können, die in wenigen Wochen von dort an ihren weiteren Bestimmungsort gelangen könnten. Die ständig wachsende Production von Tunis und Algier an Getreide, Vieh, Wein und allen uolhwendigen Lebensmitteln würde die Verpflegung der Truppen unabhängig von der europäischen Zufuhr sichern und so Frankreich im Norden und in Centralafrika eine allen anderen Mächten überlegene Stellung verschaffen. Die jetzige Demüthigung Frankreichs in der Faschodafrage wäre, meint Leroy Beaulieu, nicht möglich gewesen, wenn die trans- saharische Eisenbahn bestände. DieEngländer hätten die franzö sischen Häfen blockireu,aberFrankreich halte mit seinen algerischen Truppen die Hand auf Sokoto, Gando, Kano, kurz den ganzen Central-Sudan gelegt. DietranSsaharische Bahn, schließt er daher, wird unsere einzige vorderhand wirksamste Schutz- und Angriffswasse gegen Uebergrisie der Engländer sein, selbst wenn diese uns in einem andern Theile der Welt in die Quere kommen wollen, weil sie uns als Psand Sokoto und den ganzen Central-Sudan in die Hand giebt. Deutsches Reich. n. 0. Berlin, 10. November. Der Bundesrath hat in seiner heutigen Plenarsitzung dem Aussckußantrag, betr. die Abänderung der Ausführungsvorschriften zum Tabak steuergesetz, die Zustimmung und der Rechnung der Caste der OberrechnungSkammer bezüglich des den Rechnungshof be treffenden Theiles für 1896 97 die Entlastung ertheilt. Die Entwürfe zum Reichshaushaltsetat für 1899» betr. die Einnahmen an Zöllen, Verbrauchssteuern rc., und betr. die Einnahmen an Stempelabgabcn, sowie die Etats des Neickö- iuvalidenfonds und der Rcichsjustizverwallung wurden ge nehmigt. Schließlich wurde über eine Reihe von Eingaben Beschluß gefaßt. Feurlleton» Die Lettelmaid. Roman von Fitzgerald Molloy. Nachdruck verbot!». „Capri!" unterbrach er sie. Ihr scharfes Ohr entdeckte, daß seine Stimme rauher war als sonst. „Du verleugnest Dein eigenes Herz — Dein besseres Ich!" Seine ehrlichen, blauen Augen blickten sie durchdringend an. Sie neigte ihr Haupt und gab keine Antwort, denn sie wußte, daß er die Wahrheit gesprochen. „Umstände machen uns zu Dem, was wir sind", begann sie nach einer Weile wieder. — „Bitte, bedien« Dich noch mit etwas Wurst, Marc. — Ich glaube, mein ganzes bisheriges Leben war rin verfehltes. Ich frage mich oft, wozu ich eigentlich geboren ward. Aber da ich einmal <da bin, muß ich mein Dasein so gut gestalten, als ich vermag. — Es dauert nur so lange, bis das Gute kommt!" „Und die Zeit ist die ärgste Feindin des Weibes." „Werde nur nicht epigrammatisch, das ist nicht Dein Fach", sagte sie neckend, fuhr ober gleich ernst fort: „Seit meiner frühesten Kindheit habe ich nichts als Mangel gekannt! so weit ich mich zurückerinnere, war ich eigentlich niemals Kind. — Sorgen machen früh reif." — „Arme, arme Capri, dann bedaure ich Dich aufrichtig! Die Kinderjahre sind eigentlich die schönsten. — Das reinste, spätere Glück kann nicht für rin verlorenes Kinderparadies entschädigen." Inniges Mitleid sprach aus seinen Worten. „Vielleicht nicht", entgegnet« sie und klapperte mit ihrem Löffel in der leeren Tasse. „Ich glaube, ich wär« glücklicher und besser geworden, als ich bin, wenn meine geliebte Mutter nicht so früh von mir geschieden wäre." — Ihre sonst so munteren Augen hatten einen traurigen Ausdruck angenommen. „Sie war Sängerin an der Oper in Neapel und schön, viel zu schön, um lange auf Erden weilen zu können, sagten die Leut« und sie hatten Recht. — Ich erinnere mich ihrer nur au» ihren letzten Tagen, wo ein leidender Zug ihre himmlischen Züge entstellte, aber ich werde dieses Gesicht nie vergessen. — Sie verliebte sich in Papa, — der bei der englischen Armee stand, aber nach Neapel gekommen war, um seine angegriffene Gesundheit wieder herzustellen. Meine Mutter blieb der Bühne treu, ich erblickte das Licht der Welt auf der Insel, die mir den Namen und noch etwas mehr verliehen. — Kur- darauf verlor Mama di« Stimme, wurde brustkrank und konnte kein Geld mehr verdienen. — Papa war immer selbstsüchtig und nur auf sein eigenes Wohl bedacht. Als die Mutter ihren Verpflichtungen an der Oper nicht mehr Nachkommen konnte, er kaltete seine Liebe für sie und er mutzte plötzlich nach England zurück. Dies brach ihr das Herz und beschleunigte ihren Tod." Capri mutzte einen Augenblick innehalten, denn Thränen er stickten ihre Stimme. „Sie trug ihr Leid mit himmlischer Geduld. — Gut«, treue Freunde — einfache Kinder des Volkes — nahmen sich ihrer auch in dieser schweren Zeit an, denn sie liebten sie, wie sie nach her mich als ihr Bermächtniß liebten. — Sie klammerte sich ans Leben und schied nur um meinetwillen ungern aus demselben. Wie oft drückte sie mich leidenschaftlich an ihre Brust und bedeckte mich mit Küssen, während Thränen ihre eingefallenen Wangen nützten! — Ich konnte damals nicht begreifen, warum meine schöne, angebetete Mutter stets weinte, wenn sie mich liebkoste. — Eines Morgens, als ich mich an ihr Lager schlich, lag sie mit weitgcöffnetrn, starren Augen da; ich rief sie mit allen Schmeichel namen an, aber sie antwortete nicht. — Ich erfaßte ihre kleine, fast durchsichtige Hand, — si« war eiskalt. In meiner Angst holte ich unsere alte Teresina herbei, sie sagte mir, meine Mutter sei ins Himmelreich eingekehrt, der Kummer habe ihr das Herz ge brochen und ich sei einsam und verlassen. — Die Welt erschien mir eine unendlich öde Wüste. Ich erwartete schmerzlich die Rück kehr meiner Mutter, damals kannte ich die Macht des Todes noch nicht. Teresina, die brave Seele, liebte und pflegte mich, als ob ich ihr eigenes Kind gewesen wäre. — Gott habe mich ihr ge sandt, meinte si« und betete Tag und Nacht den Rosenkranz für mein Wohlergehen. — Der alte Pater lehrt« mich lesen und schreiben, das war Alles, was er für mich thun konnte. Ehe ich acht Jahr« zählte, kannte ich Dante und Taffo vom ersten bis zum letzten Buchstaben. Baptista, der Orgelspieler unserer kleinen Kirche, war mein Musik- und Gesangslehrer; er behauptete, ich besäße die Stimme eines Engels. — Ich glaube, ich hätte bis an mein Lebensende glücklich und zufrieden mit jenen einfachen, aber herzensguten Leuten leben können, und ich wünsche oft, man hätte mich bei ihnen gelassen. — Al» ich zehn Jahre zählt«, kam Papa nach Neapel, um mich abzuholen. Ich weinte und beschwor ihn, mich nicht von meinen treuen Freunden fortzu nehmen. Vergebens, wir reisten nach England. — Ich glaubte, mein Herz würde vor Gram brechen, wie das meiner Mutter. Bald darauf mußte Papa seinen Abschied nehmen vom Mititair, weil er, wie er sagte, sein kleines Vermögen verloren hatte — ob er jemals welches besessen, weiß ich nicht. Er erhält sich und mich seit damals durch Fechtunterricht, denn seine Pension reicht, wie Dir bekannt, kaum zur Deckung der Miethe. — So, jetzt kennst Du meine Lebensgeschichte! — Ich bin so neugierig, ob ich Neapel je Wiedersehen werd«! O, es ist ein herrlicher Ort, Marc!" Die Augen der Sprecherin leuchteten begeistert auf und ihr ganzes Gesicht bekam einen verklärten Ausdruck, als sie fort fuhr: „Ich glaube, die liebe Sonne scheint nirgends so hell und der Himmel ist nirgends so klar und blau wie dort. Die Erinnerung an Capri verfolgt mich an manchen Tagen wie ein schöner Traum. Ich sehe dann die kleine Hütte am Strande, in der ich so glückliche Stunden verlebt, die barfüßigen Fischer mit ihren rothen Zipfelmützen, die von dem Gebrauch gebräunten, auf den Sand gezogenen Boote, die großen, gelben, zum Trocknen aufgespannten Netze; ich sehe das im Hellen Sonnenlicht träumerisch schlummernde Neapel und weiter entfernt den alten Vater Vesuv, und ich höre das Rauschen der Wellen wie himmlische Musik." „Diese Erinnerungen haben Dich zur Dichterin gemacht." „Jeder, der Neapel gesehen hat, schwärmt davon." „Wärest Du nicht nach England gekommen, ich hätte Dich wohl niemals kennen gelernt?" „Wer weiß? Ich glaube an das Fatum. Wenn es bestimmt war, daß wir uns kennen lernten, so würde es geschehen sein, ohne daß ich meine Zaubrrinsel hätte verlassen müssen und ohne daß Du bei meinem Vater fechten zu lernen brauchtest. — Aber, mein lieber Freund, Alles nimmt ein Ende in dieser abscheulichen Welt, sogar Deine Würstchen und alle die Herrlichkeiten des heutigen Abends und so will ich mich denn auf den Heimweg machen." Sie erhob sich von ihrem Sih und reichte dem Künstler die Hand, die dieser in der seinig«n behielt. „Wann wirst Du mir wieder sitzen?" fragte er, um das Mädchen so lange als möglich zurückzuhalten. „Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen; vielleicht schon morgen, wenn es mir irgend möglich — aber versprechen kann ich es nicht. — Ich plaudere so gerne mit Dir, fast so gerne, wie mit mir selbst. — Ich pflege das zu thun, wenn ich allein bin, und das bin ich oft. — Du verstehst mich besser als alle Anderen und bist auch der Einzige, dem ich das traute Du gestatte." „Versuch«, morgen zu kommen." „Jetzt, sage mir noch schnell, was Du mit dem Bilde anfangen willst, wenn es erst fertig geworden? Wird mein holdes Antlitz das Schaufenster eines Kunsthändlers schmücken? — Vielleicht verliebt sich irgend ein reicher Lord in mein Gesicht, fragt, wer ich sei und sucht mich auf. Aber er müßte sehr reich sein." — „Ich hoffe, daß dieses nicht geschieht", unterbrach si« der Künstler, nahm die Pfeife aus dem Munde und klopfte die Asche bedächtig heraus. „Sie sind sehr freundlich, Herr Phillips", entgegnete sie mit angenommener Entrüstung und brach dann in ein silberhelles Lachen aus. „Keine Furcht, heutzutage verlieben sich die Lords nicht so schnell und Könige heirathen keine „Bettelmägde!" Wie schade, daß gerade ich in diesem prosaischen Zeitalter leben muß!" „Ich möchte „die Bettelmaid" zur diesjährigen Kunstaus stellung schicken; vielleicht bringst Du mir Glück!" „Wirklich? Wie herrlich wird es sein, sich von Anfang Mai bis Ende August den ganzen Tag lang von einer Menschen menge bewundert zu sehen! Wie sie sich an das Bild drängen werden?" rief sie und klopfte begeistert in die Hände. Ihre Augen flammten vor Freud«, und ihr Gesicht strahlte bei dieser Aussicht. „Wenn man es nur annimmt!" fügte sie nach einer Weile be sorgt hinzu. Sie dachte dabei mehr an sich als an den Künstler. „Wer nicht wagt, nicht gewinnt", entgeanete dieser lächelnd. „Du hast Recht, Marc. Aber jetzt muß ich wirklich fort. Schönen Dank für den vergnügten Nachmittag! Ich komme, so bald ich kann. — Bitte, hilf mir meinen Mantel — zerre doch nicht so, er kostet nur 13 Shilling und ist sehr fadenscheinig. — ^Vtlciin, onro mio! — Ah, wie Du meine Hand drückst!" rief sie und scknitt eine Grimasse. „Lebe wohl, guter, alter Marc!" Und wie ein Wiesel war sie zur Thür« hinausgehuscht. Zweites Caprtrl. Alles Licht schien aus dem Atelier verschwunden, nachdem Capri es verlassen, und es zeigte sich in seiner ganzen poesielosen Dürftigkeit. Die Grazie und Lieblichkeit des holden Kindes theilte auch ihrer Umgebung Farbe und Glanz mit. Marcus Phillips blickte seufzend um sich, setzte dann eine angefangene Landschaft auf die Staffelei und begann eifrig zu malen, um seinen nicht gerade angenehmen Gedanken zu entgehen. In seinen träumerischen, blauen Augen, die bei der geringsten Erregung ins Violette spielten, schlummerte der Genius. Der kleine, frauen hafte Mund mit zwei Reihen tadelloser Zähne verlieh dem sonst männlichen Gesicht etwas ungemein Weiches. Marc war trotz der sanften, träumerischen Augen, des weichen Zuges um den Mund ein ganzer Mann, beinahe 6 Fuß hoch, mit breiten Schultern und wohlgeformte Gestalt. Er stand allein in der Welt. Kaum sechs Jahre alt, verlor er seinen Vater. Die Mutter vcrheirathete sich bald wieder und gab ihn in ein Pensionat. Er erinnerte sich noch ganz deutlich an Len Tag,
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite