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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.11.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981112021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898111202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898111202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-11
- Tag1898-11-12
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8488 «ßtbig, da- Erforderliche veranlassen. Al- Frau DreyfuS nacb Hause zurückkehrte, fand sie eine Aufforderung vor, noch mals auf den, Colonialministerium vorzusprechen. Dort wurde ihr ein Brief ihres Mannes vorgelesen, der so eben ««gekommen war, und in welchem es in der Hauptsache heißt: „Seit fünf Jahren verlange ich vom General Boisdefsre Revision meiner Processes. Man antwortet mir nicht. Ich sehe ein, daß jedes Bemühen vergeblich ist, und bin deshalb ent schlossen, Niemandem, selbst meiner Familie nicht, mehr zu antworten. Ich bin am Ende meiner Kräfte angelangt und bin ein Sterbender. Ich vermacht dem Edel- muthe Frankreichs die Sorge für die Rehabilitirung meines An denkens." Hierauf bat Frau DreyfuS, daß sie, um ihre Ehre zu retten, ermächtigt werde, ihrem Manne deu Beschluß desCassa- tionShofs zu telegraphiren, ober daß der Minister selbst telegraphire. Frau DreyfuS wurde wieder abschläg- lich beschieven und bat nun einen ihrer Freunde, beim Ministerpräsidenten einen letzten Versuch zu macken. Dupuy'S Aniwort enlsprach aber der des ColonialministerS. Die FamilieDreyfus' faßte hierauf gemeinsam mit ihrem Advocaten den Entschluß, wegen dieses Vorgangs in dringender Weise bei dem Cassationsbofe vorstellig zu werken, um die Mittheilung des Beschlusses des Cassationshofs an DreyfuS zu erlangen. — Die Untersuchung gegen Picquart wird am Montag oder Dienstag abgeschlossen werben. Deutsches Reich. Berlin, 11. November. (Im Dienste der Social demokratie erlittene Strafen.) Unter der Aufschrift „Unter dem neuesten Cours" veröffentlicht der .Vorwärts" das Octoberverzeichniß der Strafen, die der socialdemo kratische Parteivorstand als im Dienste der Social demokratie erlitten betrachtet; inSgesammt werden rund 6 Jahre und 2>/z Monate ausgerechnet. Ein Drittel davon entfällt aus folgende Strassälle: Ein Maurer wegen Beleidigung von Streikbrechern 30^t Geldstrafe. — Ein Bauarbeiter wegen Bedrohung von Streik brechern 6 Monate Gefängniß. — In der Berufungsinstanz ein Maurer und ein Tischler 2 bezw. 4 Wochen Gefängniß wegen Vergehens gegen 8 153 der Gewerbe-Ordnung. — Wegen Mißhandlung Streikender ein Canalarbeiter sieben Monate, rin Maurer 3 Monate und ein Bauarbeiter 3 Wochen Gefängniß. — Wegen Bedrohung Streikender der Genosse Lüthje eine Woche Gefängniß. — Wegen Bedrohung Streikender ein Zimmerer 2 Monate Gefängniß. — Zwei Maurer je 2 Monate und 1 Woche Gefängniß wegen Nöthigung rc., und rin Maurer 1 Woche Gefängniß wegen Hausfriedensbruchs.— Ein Maurer 4 Wochen Gesängniß wegen Hausfriedensbruchs rc. — 8 Monate Gesängniß ein Möbelpolirer wegen Nöthigung, Bedrohung von ArbeitScollegen, die sich seiner Arbeitsniederlegung anzu schließen weigerten. Natürlich bestreitet die socialdemokratische Parteileitung nach wie vor, daß eS zum System der Unisturzbewegung gehört, Arbeitswillige zu terrorisiren und durch öffentliche Belobung solcher Ausschreitungen die Arbeiterschaft einzu schüchtern und sich gefügig zu machen. * Berlin, 11. November. (Angebliche Denkschrift deS Grafrebenten von Detmold.) Bekanntlich ver lautete vor einiger Zeit, daß der Grafregent Ernst von Lippe- Detmold infolge des vom Kaiser an ihn gerichteten Tele gramms an sämmtliche deutsche Bundesfürsten eine Denkschrift zur Wahrung seiner Rechte gerichtet habe. Jetzt will das „N. Wiener Tagebl." in der Lage sein, den Wort laut dieser Denkschrift zu veröffentlichen, aus welcher der „Voss. Ztg." und dem „Berl. Loc.-Anz." auS Wien telegraphisch der folgende Auszug mitgetheilt wird: Die Denkschrift enthält zunächst den vom 15. Juni d. IS. datirten Brief des Grafregrnten an Kaiser Wilhelm wegen der seinen Familienmitgliedern von den Truppen verweigerten Ehrenbezeigungen, sowie da» bereits veröffentlichte Antworttelegramm des deutschen Kaiser» an den Regenten. Anknüpsend daran legt der Grafregent feierliche Rechtsverwahrung gegen dieses Telegramm ein. Er erklärt: „Ich kann vor Gott und den deutschen Fürsten der Wahr heit gemäß bezeugen, daß ich von der ersten Stunde meines RegentschaftSautritt» an bemüht gewesen bin, eine gnädige Ge- sinnung Seiner Majestät zu gewinnen und dir Treue zur Allerhöchsten Person des Träger» der deutschen Kaiser- kröne auch vor meinem Lande bei dieser Gelegenheit zu bekennen. Ich muß aber ebenso wahrheitsgemäß vor Gott und den deutschen Fürsten zu meinem tiefem Schmerze aussprechen, daß ich während der Zeit meiner Regentschaftsführung mehrfach bitteren Erfahrungen durch dir Ungnade Seiner Majestät preisgegeben war. Für die Lösung diese- Conflicte», soweit er nur meine Person und Familie betrifft, werde ich menschliche Hilfe und Vermittelung niemals anfprechen: ich stelle sie allein Gott und der Zu kunft anheim." Der Grafregent erhebt sodann gegen Form und Inhalt de» TelegrammeS des Kaisers ebenso rhrer- btetig al« entschlossen Einspruch und sagt: „Ich kann au»zusp«ck«n nicht unterlassen, daß die Ausübung einer discivlinaren Correctur gegen ein deutsches Staatsoberhaupt das verfassungsmäßige Der- hältniß der Bundessürsten im Reiche in seinen Grundlagen ver ändern müßte. Wenn Se. Majestät ihren Worten: „Dem Regenten, was dem Regenten zukommt", noch hinzuzufügen geruht haben: „Weiter nichts", so erscheint damit eine Auf- fassung zum Ausdrucke gebracht, welche die Begrenzung und Inhaltsbestimmung meiner landesherrlichen Rechte in irgend welchem Sinne von dem allerhöchsten Willen oder der Gnade de» Kaisers absolut abhängig stellt. Gegen diese Ausfassung lege ich Namens des von mir vertretenen staatsgrundgesetzlichen Rechte» Verwahrung ein." Ter Grafregent führt dann auS, daß ganz dasselbe im Grunde allen anderen Fürsten auch geschehen könnte. Die Rechtsverhältnisse zwischen dem Kaiser und den einzelnen Landesherren hatten zur selbstverständlichen Voraussetzung, daß sie den landesherrlichen Befugnissen und ihren Rechten nicht zum Abbruch gereichen könuten. Der Grafregent betrachte »S als seine heilige und unveräußerliche Pflicht, gegen jede Beschränkung seiner Rechte rntschiedenst Stellung zu nehmen und er würde, wenn ein anderer Weg nicht übrig ist, im Bundesrathe den Antrag ein bringen, die reichsgesetzliche Abgrenzung der Befugnisse zwischen den commandirenden Generalen und den Landesherren in Anregung bringen zu lassen." Ist dem „N. W. Tageblatt* wirklich der Wortlaut der Denkschrift übermittelt worden, so kann dies nur infolge einer grobenJndiScretion geschehen sein, denn daß derGraf- regent die Veröffentlichung veranlaßt habe, ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil er wissen muß, daß der „Schritt in die Oeffentlichkeit" seiner Sache bei den übrigen BundeS- fürsten nur schaden kann. Er selbst wird daher darauf dringen müssen, daß der Schuldige gesucht werde. Ist das Wiener Blatt getäuscht worden, so wird man daS bald aus Detmold erfahren. — Gestern Abend fand die angekündigte Versammlung zwecks Vorbereitung eines festlichen Empfanges des KaiserpaareS bei der Rückkehr aus dem Orient statt. Ein Ausschuß wurde mit der Förderung der Vorbereitungen betraut; demselben gehören der Polizeioberst Krause, der Branddirector GierSberg und Andere an. — Der zum Generalconsulat in Kairo commandirte militairische Attache ist der Premierlieutenant von Bohlen- d'Halbach. Die Commandodauer ist vorläufig auf ein Jahr festgesetzt. — Der Marine-Etat für das Rechnungsjahr 1899 siebt eine Erhöhung der EtatSstärke der kaiserlichen Marine gegenüber dem Rechnungsjahre 1898 vor im Umfange von 48 Officieren, 10 Marineärzten, 89 Deckofsicieren, 398 Unter- ofsicieren, 950 Gemeinen, 256 Schiffsjungen und umsaßt sonach im Ganzen 1118 Officiere, 142 Marineärzte, 1119 Deckossiciere, 5193 Unterofficiere, 18 079 Gemeine und 1000 Sckiffsjungen. Gleichzeitig wird die Bildung einer Etatsabtheilung beim NeichSmarineamt und die Schaffung eines DecernatS für die Kiautschau-Angelegenheiten in Aus sicht genommen. Aus diesem Grunde, sowie wegen der anderweitigen Vermehrungen des Beamtenpersonals entfällt ein großer Theil der Personalvermehrungen auf daS Reichs- marmeamt selbst, wenn man von den übrigen Vermehrungen absieht, welche nach Maßgabe deS Gesetzes vom 10. April 1898 der jährlichen Ausgabensteigerung von 4 900 000 entsprechen. — Die etatsmäßigen Einnahmen der Reichs post- und Telegraphenverwaltung haben in der ersten Hälfte des laufenden Rechnungsjahres 165,53 Millionen Mark betragen gegen 154,03 Millionen, so daß sie gegen daS Vorjahr um IN/, Millionen gestiegen sind. Für das ganze Rechnungsjahr 1898 ist die Einnahme auf 331 Millionen veranschlagt, so daß im Sommerhalbjahr bereits'wie Hälfte deS Etatsansatzes erreicht ist. Da das Winterhalbjahr erfahrungsgemäß mehr Einnahmen als der Sommer bringt, so ist anzunehmen, daß die wirklichen Einnahmen des laufenden Rechnungsjahres die Ansätze wesentlich übersteigen werden. — Nach einer Entscheidung deS Reichs Versicherungsamtes sind Hausgewerbetreibende der Textilindustrie auch dann invaliditäts- und alterSverscherungSpflicktig, wenn sie nicht für Fabrikanten rc., sondern für andere Haus gewerbetreibende der Textilindustrie thätig sind. — In verschiedenen freisinnigen Blättern wird die in Folge der andauernd niedrigen Zuckerpreis« ungünstige Lage unserer Zuckerindustrie auf daS Börsengesetz zurück geführt, welches angeblich den börsenmäßigen Terminhandel in Zucker aufgehoben haben soll. Vom Terminhandel in Zucker enthält aber daS Börsengesetz nicht das Geringste. Der tz 50 desselben untersagt nur den börsenmäßigen Terminhandel in Getreide und Mühlenfabrikaten. Allerdings ist der BundeSrath nach eben diesen Paragraphen befugt, auch den Terminhandel in anderen Maaren zu verbieten, aber von dieser Befugniß hat der BundeSrath bisher keinen Gebrauch gemacht. Die aus der Lage des Zuckermarktes hergeleiteten Angriffe auf das Börsengesetz sind daher hinfällig. — Zwei Wahlproteste werden angekündigt. Die Socialdemokralen im 11. Hannoverschen Wahlkreise Nort- Hritn-Einbeck-Ostrrode haben in einer in Northeim ab- gehaltenen Krei-conferenz beschlossen, gegen die Wahl de» Reich-tagSabgeordneten Harriehausen wegen vielfach vor gekommener Ungesetzlichkeiten bei der Wahl Protest zu er heben. — In Flensburg soll gegen die Wahl des national liberalen Abgeordneten Jebsen Einspruch erhoben werden. Der Einspruch gründet sich u. A. darauf, daß der Wablcommissar bei der Besprechung der Proteste gegen die Wahlmännerwahlen so undeutlich und leise gesprochen habe, daß die Wahlmänner ibn nicht hätten verstehen können, ferner darauf, daß die Abgrenzung der Urwahlbezirke zu Ungunsten deS Landkreises erfolgt sei. Der Landkreis hat angeblich bei 41594 Ein wohnern nur 148 Wahlmänner gewählt, während die Stadt, die etwa 1000 Einwohner weniger zählt, deren 163 gewählt habe. — Ueber die deutschen Delezirten zur inter nationalen Anarchistenconferenz bringen die Blätter jetzt einige Angaben, die zugleich die Motivirung der Be rufung enthalten. Daß der kaiserliche Botschafter in Rom, Frhr. v. Saurma, Deutschland auf der Conferenz in Rom vertreten würde, war selbstverständlich. Der Geh. Rath v. PhilipSborn hat wiederholt al» Regierungscommissar an den parlamentarischen Verhandlungen über Maßregeln gegen Umsturzbestrebnngen theilgenommen. Professor v. Martitz ist eine Autorität auf dem Gebiete des inter nationalen StrafrechtS; er ist der Verfasser eines bekannten Werkes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen. Vor Kurzem ist er von der Universität Tübingen an die Berliner berufen und gleichzeitig zum Mitglieds des Oberverwaltungs gerichts ernannt worden. Er vereint also in ähnlicher Weise daS Lehramt mit dem Richteramt, wie seiner Zeit Rudolf v. Gneist. — DaS Statistische Amt hat jetzt die „Statistik der Reichstagswahlen von 1898" veröffentlicht. Danach hat laut amtlicher Zählung die Socialdemokratie 2 107 076 Stimmen aufgebracht, 320 348 mehr als 1893. DaS Centrum ist von 1 468501 auf 1 455 139, die nationalliberale Partei von 996 980 auf 971 302 Stimmen zurückgegangen. Erst an vierter Stelle erscheint jetzt die konservative Partei; sie weist nur noch 859 222 Stimmen auf gegen 1 038 353 im Jahre 1893. Bei der freisinnigen BolkSpartei, die 558 314 Stimmen zählt, wird gegen 1893 ein Verlust von 108 025 berechnet. Die deutsche Reichspartei ist von 438434 auf 343 642 gesunken, die Partei der Polen von 229 531 auf 244 128 Stimmen gestiegen. Während die freisinnige Ver einigung von 258 481 Stimmen auf 195 682 zurück gegangen ist, werden für die Antisemiten 284250 gegen 263 861 Stimmen bei der vorigen Wahl gezählt. Dem Bund der Landwirthe rechnet das Statistische Amt 110 389 Stimmen an. Mit diesem Ergebniß ist die Bündler- presse natürlich nicht zufrieden; denn auf Candidaten, die den Forderungen des Bundes zugestimmt haben, seien an nähernd zwei Millionen Stimmen gefallen. Es ist be greiflich, daß dieser Versuch gemacht wird, die Mißerfolge deS Bundes der Landwirthe zu beschönigen. Die Rechnung stellt sich aber thatsäcklich wesentlich anders. Verloren haben die Deutschconservativen, zu denen anscheinend auck der gegen den Bundescandidaten Grafen Dohna gewählte Graf Doen- boff gezählt wird, 179 13 l, die freiconservative Partei 94 793, macht zusammen 273 924 Stimmen; davon gehen ab die 110 389 Stimmen des Bundes der Landwirthe; bleibt Ge- sammtverlust 163 535 Stimmen. Das ist das ziffernmäßige Ergebniß der Wabltbätigkeit deS Bunde- der Landwirthe für die Parteien der Rechten. Bei den preußischen Landtags wahlen ist eS ähnlich gegangen. — Der politische Redacteur deS hiesigen socialdemokra- tischen Organs vr. Adolf Braun hat einen Aus weisungsbefehl erhalten; er muß das preußische Staats gebiet binnen 14 Tagen verlassen. Als Grund der Verfügung wurde angegeben, Braun habe sich Lurch seine Thätigkeit als Redacteur des „Vorwärts" lästig gemacht, vr. Braun ist von Geburt Oesterreicher und durch seine Ehe mit einer Tochter des Generals v. Gyzicki bekannt geworden. Man rechnete ihn zu einem der schärfsten Gegner Liebknecht'- inner halb der „VorwärtS"-Redaction. — Der Minister des Innern Freiherr von der Recke ist nach der Rheinprovinz abgereist. — Der Ober Präsident von Posen Frhr. von Wilamowitz-Möllendorfs und der Erzbischof v. Stah le wSkt auS Posen sind hier angekommen. * Schwerin i. M, 11. November. Heute Mittag wurde der Landtag beider Mecklenburg nach kurzem Gottes dienst in der Kirche zu Malchin von den Commifsarien eröffnet. * Hamburg, 11. November. Eine größere Anzahl bedeu tender Viehimporteure beabsichtigt die Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung behufs Einführung frischgeschlachteten amerikanischen Fleisches. Eine Vorversammlung hat bereits stattgefunden. Die Constituirung erfolgt voraussichtlich bald. * FriedrichSruh, 11. November. Nach der „Voss. Ztg." wird das Halberstädter Kürassierreziment, dessen Chef Fürst Bismarck war, außer einer Osficiersabordnung, das Trom- petercorpS uud zwölf Unterofficiere zur Ueberführung der Leiche BiSmarck'S vom Sterbezimmer nach de« Mausoleum am 27. November nach FriedrichSruh ent senden. Oberpräsident Graf Wilhelm Bi-marck wird mit Familie bereits in der nächsten Woche in FriedrichSruh eintreffen. * Detmold, 11. November. Zur Amtsenthebung d«A lippischen ArchivratheS Berkemeyer schreibt die „Lipp. Landesztg.': „DaS lippische Archiv und das gesammte Urkundenmaterial standen den Rechtsvertretern der schaumburgischeo Linie zur freiesten Verfügung. Der fürstlich lippische Archivrath Berkemeyer hat für den Rechtsanwalt des Fürsten von Schaumburg-Lippe, Geh. Justiz rath Neuling in Berlin, da» gesammte Urkundenmaterial zusammengetragen, während eS einem Bertreter de» Grafen Ernst nur mit Mühe gelungen ist, Einsicht in höchst wichtige Doku mente zu bekommen, durch welche die Anerkennung der Biesterfelder als Agnaten de» Hause» unbedingt feststand. Diese wichtigen Doku mente befanden sich beim Privatsecretair de» Archivrath-Berke- meyer in dessen Privatwohnung." Auch die peinliche Lage des Biesterfeld'schrn Hause- glaubt daS officiöse Detmolder Organ streifen zu müssen: „Durch eine Verschleppung der Frage «ä eulenäas gruocas würde sowohl da» lippische Land schwer geschädigt wie auch die gräfliche Familie. Die Frage der Thronfolgefähigkeit auf Jahre hinaus schieben, hieße die Mitglieder de» Hause» Lippe zum Cölibat verurtheileo, da e» ihnen bei den ewigen Anfechtungen schwer werden dürfte, standesgemäße Ehen zu schließen." * Dortmund, 10. November. AuS Henrichenburg wird der „Rhein.-Westf. Zeitung" geschrieben: Die Minister von Hammerstein, Thielen und Brefeld werden nächsten Montag mit einem Salondampser die Strecke des Dortmund-EmScanalS versuchsweise befahren. Beim hiesigen Hebewerk werden die Herren für kurze Zeit im Hotel rasten und die Anlagen des mächtigen Bauwerkes besichtigen. Sodann nehmen die Herren auf dem Schiffe wieder Platz, und eS soll die Hebung und Uebersetzung desselben mittels deS Hebewerkes in den Dortmunder Canal erfolgen, worauf die Weiterfahrt nach Dortmund stattfindet. AuS dieser ein gehenden Probefahrt und Schiffshebung glaubt man schließen zu dürfen, daß die Herren Minister die gesammten Anlagen m ihrer Function genau prüfen wollen, bevor der Termin zur Eröffnung des Canals endgiltig festgesetzt wird. * Nürnberg, 11. November. Gegen den verantwortlichen Redacteur der „Fränkischen Tagespost" wurde der „A. Z." zufolge das Verfahren wegen MajestätSbeleidigung eingeleitet, begangen durch Nachdruck deS Gedichte- „Palästina fahrt" auS dem „SimplicissimuS". U München, 11. November. Hier haben in letzter Zeit Conferenzen der bayerischen GewerbeaufsichtS- beamten stattgefunden, in denen diese sich über die ver schiedensten, für ihr Amt in Betracht kommenden Fragen unter halten und Gelegenheit gefunden haben, ein gleichmäßiges Vor gehen aus einzelnen Gebieten zu verabreden. Diese Conferenzen, die übrigen- auch in anderen Bundesstaaten beliebt werden, sind sicherlich auch für das Gewerbe und zwar insofern von Nutzen, als eine verschiedenartige Behandlung der gleichen Betriebe eines Berufszweiges dadurch möglichst verhütet wird. Wenn dabei indessen noch etwas zu wünschen bliebe, so wäre es di- Anberaumung von Conferenzen der staatlichen Aufsichtsbeamten mit den berufSgenossenschaft- lichen Beauftragten. Infolge der Einwirkung ver schiedener höherer Instanzen hat sich ja das Verhältniß dieser beiden Beamtenkategorien zu einander gebessert und damit auch die üble Folge der früheren, ohne jede Rücksicht auf einander auSgeübte Thätigkeit der beiden Beamtenkategorien für die gewerblichen Betriebe gemildert. Jedoch würde hierin noch recht viel mehr erreicht werden können. Und dazu würde eine gegenseitige Aussprache auf solchen Conferenzen am besten geeignet sein. * München, 11. November. Die Entsendung eine sächsischen Untersuchungsrichters nach München in dem Verfahren gegen den „SimplicissimuS" hat einigen auf die Wahrung der bayerischen Hoheitsrechte übereifrig bedachten Blättern, unter denen das Sigl'sche „Vaterland" natürlich nicht fehlen durfte, Veranlassung gegeben, die bayerische Regierung wegen der Unterstützung der sächsischen Justizbehörde heftig anzugreifen. Jetzt muß daS „Vaterland" eine Belehrung in der höflichen Form einer „Zuschrift" ab drucken, welche ihm vom I. Staatsanwalt Müller beim Landgerichte München I zugegangen ist und folgendermaßen lautet: „Die im Berlage von Albert Langen — Pari», Leipzig München — erscheinende periodische Druckschrift „SimplicissimuS" wird hier rrdigirt, in Leipzig gedruckt und von dort au» in der überwiegenden Menge von Exemplaren verbreitet, in kleiner Zahl aber zum weiteren Vertriebe hierher gesendet. E» hat also der „SimplicissimuS" zweierlei AuSgabeorte, und folgerichtig in jedem derselben gleichberechtigt seinen Gerichtsstand, für welchen jedesmal an-jchließend die Prävention entscheidend ist. Die letztere wird, wie die» im gegenwärtigen Falle wirklich zutraf, meist für Leipzig und zwar aus dem Grunde eintreten, weil da» Blatt daselbst um einen Tag nicht durch so hervorragende Eigenschaften aus wie sein Vater, der ein vortrefflicher Botaniker und bekannter Naturforscher ge wesen war und sein Leben lang auf seltene Insekten Jagd ge macht, dabei stets Zwirnhandschuhe getragen, religiöse Bücher und Traktätchen mit Aufmerksamkeit gelesen und Niemandem ein freundliches Gesicht gezeigt hatte. Charakterverschiedenheiten zwischen Vater und Sohn gehören heutzutage nicht zu den ver wunderlichen Dingen. Der junge Lord Harrick scheerte sich nicht einen Pfifferling um alle Insekten der Welt, so lange sie ihn in Ruhe ließen; auch hatte er, seitdem er die Schulbank verlassen, nicht eine Zeile geschrieben, bis auf einige wenige Liebesbriefe, die ihm genug Kopfzerbrechens verursachten. Er wußte das Geld zu schätzen, weil er täglich sah, welche Ausnahmestellung es ihm im Leben verschaffte. Er war nicht geizig, lieh seinen Freunden ohne Sicherstellung und bezahlt« sogar einmal die Schulden eines leichtsinnigen Cousins, eines jungen Garde-Fähn richs, der die kostspieligen Gelüste eines Herzogs und das Einkom men eines Gericktsdieners besaß. Harrick wettete und spielte nur auf Verlangen seiner Freunde, zu deren Vergnügen und Nutzen, und war in Folge dessen auch sehr beliebt bei ihnen. Man kann sich kaum ein temperamentloseres Menschenkind denken als ihn, seine Haltung war eine gewöhnliche und entbehrte jeder natür lichen Anmuth; «r verletzt« die Gesellschaft nie durch den leisesten Versuch von Originalität und erregte auch nicht den Neid seiner Freunde durch Witz oder Geist. Wenn er sprach, so geschah es stets über gleichgiltige Dinge, aber er gab einen vortrefflichen Zu hörer ab, — eine Thatsache, die allgemein« Anerkennung fand. Er kleidete sich stets nach der neuesten Mode und interessirte sich nicht einmal für Pferderennen und Politik, diese beiden Lieblings beschäftigungen des englischen Highlife. Die gütige Mutter Natur hatte wahrscheinlich, als sie ihn als sechsten Vicomte seiner Linie in die Welt setzte, vorausgesehen, daß Talente ihn nur langweilen würden und ihm diese in ihrer Weisheit vonnthalten. So wie er war, besaß er weniger Phantasie als sein Groom und weniger Bildung als sein Kammerdiener, der in seinen Muße stunden dem Hausmädchen Byron vorlas und erklärte. Wäre er nicht der reiche Lord Harrick gewesen, es hätte sich Niemand um ihn gekümmert und man hätte ihn für dumm er klärt, aber Geld ist ein Schlüssel, der alle Thore und viele Herzen öffnet. Wer zum Reichthum geboren ist, braucht keine eigenen Gedanken und Meinungen zu haben. Man kauft sie in den Tagesblättern, wie man Brod beim Bäcker kauft. Wozu auch? D«r Redacteur ihres Lriborgans macht es den Lrllten so hübsch bequem. Die weisesten Gedanken in die hübschest« Form ge- tl«id«t, sprühender Geist, gesunder Menschenverstand können daS ganze Jahr hindurch jeden Morgen für eine Kupfermünze ge kauft werden! Nur dem Armen hat die Vorsehung Verstand verliehen, damit er ihn in Geld umsetzen könne. Es ist das seine Mission auf Erden. Trotz alledem betrachtete die „große Gesellschaft" Lord Harrick als das Musterbild eines englischen Aristokraten, und die Mütter heiratsfähiger Töchter wünschten nichts sehnlicher, als ihn zum Schwiegersohn zu bekommen, denn sie waren überzeugt, daß sich jedes Mädchen glücklich schätzen müsse im Besitze eines Gatten, der reich genug war, um ihr eine fürstliche Rente auszusetzen und dumm genug, um sich um ihre Privatvergnügen nicht zu kümmern. Als Capri aus Marc's Atelier heimkehrte, traf sie ihren Vater noch nicht zu Hause, dagegen wartete bereits die jüngere Tochter ihrer Wirthin, der sie Gesangunterricht ertheilte. „Kommen Sie, Kleine", sagte sie zu ihrer Schülerin, die eben so groß war wie sie selbst, und führte sie eine Treppe tiefer in den „Salon", wie sie das nothdürftig möblirte Hinterzimmer nannte, ließ sie vor dem alten, gebrechlichen Spinett Platz nehmen und begann sofort mit der Lektion. Capri überhäufte ihre beiden Schülerinnen stets mit Zärt lichkeiten und Liebkosungen, die die verschiedensten Früchte trugen. Ihr« Wirthin war niemals unfreundlich mit ihr, selbst wenn die Mieth« einen ganzen Monat rückständig blieb, und die beiden ungraciösen Töchter brachten ihr bald bunte Bänder, bald billige Schmuckgegenstände oder auch Handschuhe, — Dinge, für die Capri m«hr denn ein« gewöhnliche weidlich« Vorli«be hatte. An diesem Abend war sie noch liebenswürdiger als sonst und gab sich größere Mühe beim Unterricht, ja, sie küßte sogar das Mädchen beim Abschied auf den Mund, und das Alles nur, weil sie an den Streit ihres Vaters mit der Wirthin dachte und dies« vergessen machen wollte, was vorgefallen. Sie blieb vor d«m Clavier sitzen, nachdem ihr« Schülerin sie verlassen, schlug bald diesen, bald jenen Accord an und summt« dazu eine Ari« aus einer Oper, oder den Anfang ein«r Serenad« oder eines Volksliedes, das sie in längstvergangenen Tagen ge lernt. Und sie sang sehr süß, mit ein«m leichten Anflug von Pathos; in ihrer Erinnerung tauchte die Insel auf, deren Namen sie trug, die ehrlichen, gutherzig«« sonnenverbrannten Bauern, die ihre ersten und besten Freunde gewesen, die hohen Klippen, die im Hellen Sonnenlicht erglühten und das unendliche blaue Meer, dessen Wellen spielend den Sand küßten und dessen Rau schen ihr, wenn sie, wie heute, träumend in der Vergangenheit lebte, noch immer wie liebliche Musik in den Ohren tönte. Sie war so sehr in ihre Gedanken versunken, daß si« nicht einmal rin zweimaliges Klopfen an der Thüre hörte und erst aufblickte, als der eingetretene Lord Harrick mit verlegenem Lächeln sagte; „Fräulein Capri, ich fürchte, daß ich Sie störe." „Durchaus nicht", entgegnet« diese, ihm voll ihr Gesicht zu wendend. Er machte eine ungeschickte Verbeugung, legte Hut und Handschuh« auf einen Stuhl und näherte sich ihr. „Beweisen Sie, daß ich Sie wirklich nicht störe, indem Sie weiter spielen." „Mit Vergnügen! Ich dachte, Sie seien kein Freund von Musik, und fürchte, daß sie diese langweile", meinte Capri etwas spöttisch. Lord Harrick ließ sein Monocle fallen und lächelte; er war bereits an ihr« Eigenart gewöhnt und glücklich, daß er so gut mit ihr auskam. Heutzutage kleiden sich die Lakaien in England wie Cavaliere und diese wie Lakaien. Und auch Lord Harrick bemühte sich, wie ein solcher auszusehen; sein rothrs Haar war kurz geschnitten, «in zierliches Schnurrbärtchen ziert« di« Oberlippe. Seine run den, wasserblauen Augen blickten stets verwundert in die Welt und sein volles, glattrasirtrs Gesicht hatte den eigenthiimlichen Teint, der allen Rothharigen eigen ist. Bei dieser Gelegenheit trug er einen ebenso kurzen wie engen Rock, eine farbige Weste und eng anliegend« Beinkleider, di« deutlich erkennen ließen, daß sein Körper sich nicht der symmetrischen Formen eines Apollo von Belvedere erfreute. „Ich höre Sie so gerne singen oder spielen", sagte er, während er auf Capri's Geheiß nahe beim Clavier Platz nahm und sich mit dem Schildkrötenknopf seines Spazierstockes fortwährend das Kinn rieb. „Wirklich?" „Ja, aber Sie gönnen mir nur selten diese Freude." Dabei starrt« er sie mit seinen runden Augen an. „Ich hatte kein« Ahnung, daß Sie musikalisch sind", ent gegnete sie und sang, ohne sich weiter zu zieren, mit ihrer süßen, innigen Stimme ein Liedchen. „Tausend Dank!" ri«f er beg«ist«rt auS, als sie geendigt. „Bei Gott, es war entzückend!" „Hat eS Ihnen gefallen, Lord Harrick?" „Außerordentlich! — ES ist — e» ist ganz famos!" „Nun, ein guter alter Freund, Signor Pallamari, der Musik lehrer ist, hat es kürzlich componirt. Er möchte eS so gerne drucken lassen, aber daS kostet fünf Pfund und er nennt nicht einmal fünf Schilling sein eigen. Es bleibt ihm daher nicht» Anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu ergeben." „Wie bedauerlich!" stammelte der Lord verlegen. Er hätte sehr gerne Capri da» Geld angeboten, um ihr «in« Freud« zu be reiten, doch wußte er nicht, wie er dar anstellen sollte, ohne siv zu beleidigen. „Die Veröffentlichung dieses Liedes würde dem alten Mann nicht nur viel nützen, sondern ihm auch groß« Freud« bereiten." „Wo wohnt «r?" Die Augen des jungen Mädchens blitzten vergnügt auf. Sie hatte ihre Absicht, den reichen Gast für ihren Freund zu inter* rssiren, erreicht. „Er wohnt nur einige Häuser von hier entfernt, in einer kleinen Dachkammer, die seine ganze Welt ist. O, Sie müssen ihn einmal geigen hören, Mylord! Nicht einmal Paganini strich den Bogen besser! — Als ich nach England kam, war er eS, der sich zuerst meiner annahm, mir Musikstunden gab und sich nicht einen Heller dafür bezahlen ließ. — Eine wild« Begeisterung erfaßt mich, so oft ich den alten Maestro spielen höre." Sie sprach sehr rasch, bei jedem neuen Gedanken wechselt« der Ausdruck ihres Gesichtchens. Lord Harrick griff in sein« Brüsttasche. „Wollen Sie die große Liebenswürdigkeit haben, diese Kleinigkeit Signor Pallamari einzuhändigen und ihm zu sagen, daß einer Ihrer Freunde, der das wunderbare Lied gehört, ei serne gedruckt sehen möchte?" sagte er, Capri eine Banknote über reichend. Ein Ausruf der Ueberraschung entschlüpfte ihren Lippen, dann nickte sie ihm dankbar zu und hielt daS werthvoll« Papier beinahe ehrfurchtsvoll zwischen ihren Fingern. „Wie freundlich Sie sind, Mylord! Ich werde Ihnen für diese That dankbar sein!" dabei hielt sie ihm offenherzig die Hand entgegen und blickte ihm vergnügt in die Augen. Er nahm sie in die seinige und drückte sie herzlich, seine blauen Augen wurden noch runder und seine ohnehin rothe Gesichtsfarbe ver dunkelte sich noch mehr. Capri zog ihre Händchen rasch zurück. DieS verwirrt« den Lord dermaßen, daß er zuerfi verlegen mit seiner Uhrkette spielte und al» er trotzdem keine Worte fand, endlich sein« Uhr zog und stammelte: „ES ist schon nach sechs!" „Dann hat sich Papa wieder verspätet, aber rr kann nicht mehr lange fortbleiben. — Heut« ist er besonders beschäftigt", entgegnete sie, ihre Phantasie zu Hilfe nehmend, denn in Wirk lichkeit hatte sie keine Ahnung davon, was ihr Bater den ganzen Tag trieb. Sie konnte nur vermuthen, daß er, wie so oft, über einem oder mehreren Gläschen Schnaps seinen vornehmen Schüler vergessen, — aber da» durst« si« diesem doch nicht eingestrhen. „Da Sie ein Musikfreund sind", fuhr sie fort, „werde ich Ihnen Vorspielen, bis «r kommt." lSirtsetzung felgt.)
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