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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.11.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981115025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898111502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898111502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-11
- Tag1898-11-15
- Monat1898-11
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Reklamen unter dem RedactionSstrich (4ge» spalten) üO^j, vor den Familieunachrichteu (6 gespalten) 40/4- Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zifserosatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur «rit de. Morgen. Ausgabe, ohne Postbesörderunx 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend«Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stund« früher. Anzeigen sind stets an die Expeditta» zu richten. Druck und Verlag von E. Pol^ in Leipzig 58«. Dienstag den 15. November 1898. S2. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. November. Die „Hamb. Nachrichten" theilen heute mit, daß die von dem „N. Wiener Tagebl." veröffentlichte Denkschrift, die der Graf-Regent von Lippe-Detmold an die deutschen Bundesfürsten gerichtet hat, der Nedaction des Hamburger Blattes schon vor einiger Zeit vorgelegen hat, aber von ihr nicht veröffentlicht worden ist, „weil sie eS nicht als ihres Dienstes erachtet habe, bestehende Conflicte im deutschen Reiche zu verschärfen". An diese Mittheilung knüpft das Blatt die folgende Auslassung: „Wir bedauern die jetzt erfolgte Veröffentlichung; da sie aber einmal geschehen ist und die Presse sich eingehend mit der Denk- schrift befassen dürfte, haben wir nicht geglaubt, uns des Abdruckes entziehen zu dürfen. Im Uebrigen theilen wir die Auffassung, daß, wie immer es auf Grund der prenßilch.lippischen Militairconvention um daS Recht der Mitglieder der gräflichen Familie auf den Gruß der Detmolder Osficiere stehen möge, es sich dabei um eine solche Lappalie handelt, daß ohne Weiteres der Familie des Regenten das zugestandcn werden konnte, was der Familie des Fürsten gebührt, und Laß, wenn wegen derartiger Dinge in dem noch recht jungen deutschen Reiche Erörterungen, wie die vorliegenden, zwischen dem Kaiser und einem Bundes- fürsten sich entspinnen, dies nicht im nationalen Interesse liegt. Um so mehr erwarten wir vom Bundesrathe, Laß er möglichst bald eine Entscheidung in der lippischen Thronfolge.Sreitfrage herbeiführt, unabhängig auS seiner Stellung als oberstes Rcichsorgan heraus, und daß Diejenigen, welche dazu berufen sind, ihren Einfluß dahin geltend machen, daß das deutsche Reich zu einer Zeit, wo alle seine Kräfte bean- spracht werden, in jeder Hinsicht und in allen Factoren einig und gefestigt bleibt." Dem letzteren Wunsche schließen auch wir uns an, können aber nicht umhin, der Ansicht Ausdruck zu geben, daß ein Blatt, dem schon früher augesounen worden ist, die Denkschrift abzudruckeu und dadurch „einen im Reiche bestehenden Confiict zu verschärfen", noch etwas Anderes zu thun hätte, als Wünsche an den BundeSrath und die berufenen Rathgeber des Kaisers zu richten. Die „Hamb. Nachr." kennen die Person, die ihnen zugemuthet, jenen Conflict zu ver schärfen, und müssen davon überzeugt sein, daß eine solche Person keine Schonung verdient. DaS Blatt sollte daher eine solche Schonung auch nicht üben, die um so weniger am Platze ist, je eifriger gewisse Berliner Kreise beflissen sind, die Schuld an der Veröffentlichung dem Graf-Regenten von Lippe zuzuschieben. So wird der „Köln. Ztg." aus Berlin telrgrapyirt: „Die Denkschrift des Graf-Regenten von Lippe an die deutschen Bundesfürsten ist ohne allen Zweifel, wenn auch vielleicht nicht Liiert, so doch jedenfalls indirekt, von lippe-detmoldischer Seite in die Oeffentlichkeit gebracht worden. Schon die Wahl des ausländischen Blattes (Neues Wiener Tgbl.) und die Thatsache, daß von den lippischen Sachwaltern in der Presse alsbald bei der ersten Nachricht von der Veröffentlichung versichert wurde, daß Lippe-Detmold Lieser sernstehe, dürste nach der Regel gui s'eLuee s'aeausv daS Gegentheil erweisen (!). Auch scheint es ausgeschlossen, daß irgend einer der Empfänger diese- Schreibens de» Grasen Lippe unter den Bundesfürsten diese Denkschrift der Oeffentlichkeit übergeben haben kann, denn keiner hat! ein Interesse daran, den Gegensatz, den der Graf-Negent zwischen sich und dem Kaiser hervorgeruseu hat, noch zu verschärfen." Es ist selbstverständlich, daß die Verstimmung deS Kaisers gegen den Graf-Regenten noch wachsen und die baldige Ueber- brückung deS Gegensatzes noch erschwert werden muß, wenn der Urheber der Indiskretion nicht bekannt wird. Und cs ist andererseits sehr Wohl möglich, daß volle Klarheit über diesen Urheber nicht nur dem Kaiser und dem Graf-Regenten, sondern auch den Empfängern der Denkschrift die Augen über eine von Speculanten auf die Verschärfung bestehender Eonflicte drohende Gefahr öffnet, die zur schleunigen Beilegung des Streites um eine „Lappalie" führt. Hoffentlich haben sich die „Hamb. Nachr." dem Biedermanne gegenüber, der ihnen die Veröffentlichung der Denkschrift zumuthete, nicht zur Diskretion verpflichtet. Leuten gegenüber, die Teufeleien gegen daö Reich im Schilde führen und die Redaktion einer Zeitung durch die Zumuthung der Unterstützung solcher Teufeleien beleidigen, ist alles Andere als vertuschendes Schweigen am Platze. Die vom Statistischen Amte herauSgegebene Statistik der RcichstagStvahlcn, aus der wir bereits daS Wesentliche mit- getheilt haben, enthält im Vorworte die Mittheilung, die Partei stellung der Abgeordneten sei auf Grund deramtlichen Wahl berichte erfolgt. Ungena n sind aber, soweit wir Controle zu üben in der Lage waren, die Stimmangaben über die national liberale Partei. InSgesammt werden amtlich 971302 national liberale Stimmen gezählt. Dabei ist, um die größeren Zahlen hervorzuheben, Friedensrichter Uhlemann, der für den 15. sächsischen Wahlkreis Rochlitz-Flöha gewählt ist, als „un bestimmt liberal" bezeichnet. Er gehört aber als Hospitant zu den Nationalliberalen; somit sind die 12 888 Stimmen, mit denen er im ersten Wahlgang siegte, diesen zuzuschreiben. Dasselbe gilt von Eommerzienrath Mau ser in Oberndorf, der 6041 Stimmen im ersten Wahlgang erhielt, die in der amtlichen Statistik aber irrthümlich der Reichspartei zugezählt werden. In die Augen springend ist weiter ein Fehler in Bernkastel, wo auf Pfarrer Hackenberg, der jetzt als nationalliberaler Ab geordneter in den preußischen Landtag gewählt ist, 2258 Stimmen abgegeben wurden, die ebenfalls der Reichspartei zugeschriebcn sind. Zählen wir die übrigen Stimmen hinzu, die aus anderen Wahlkreisen zur nationalliberalen Partei gerechnet werden müssen, von der amtlichen Statistik aber als un bestimmt liberal oder anderen Parteien zugerechnet sind, dann ergicbt sich unzweifelhaft, daß die nationalliberale Partei bei der diesmaligen Wahl nicht abgenommen, sondern im Gegentheil als einzige von den größeren bürgerlichen Parteien sich sogar um ein Kleines vermehrt und zwar eine Million Stimmen um einige Tausend überschritten hat. Zur Slawisirnug Deutsch - Oesterreichs wird uns aus Graz, 13. d., geschrieben: Ein Senat des Obersten Gerichts hofes in Wien hat in der Sprachenfrage beim Grazer Oberlandesgerichte zu Gunsten der Slowenen entschieden. Das OberlandeSgcricht in Graz hatte gelegentlich den Be schluß gefaßt, slowenische PlaidoherS seien nicht zuzulassen, weil die ausschließliche Verhandlungssprache dieses Tribunals die deutsche sei. DaS Erkenntniß des Obersten Gerichts hofes lautet nun in Stattgebung eines Rekurses der slowenischen Laibacher Abvocaten gegen diesen Beschluß dahin, „daß daS OberlandeSgcricht in Graz verpflichtet sei, slowenische Eingaben anzunehmen und in der Sprache der Eingabe zu erledigen, und daß somit slowenische Parteien und deren Rechtsvertreter berechtigt seien, sich bei den öffent lichen und mündlichen Scklußverhandlungcn der slowenischen Sprache zu bedienen." Dieses Erkenntniß des Obersten Ge richtshofes ruft in hiesigen (nicht ausschließlich richterlichen) Kreisen einen tiefen und peinlichen Eindruck hervor. Hiermit ist ja die erste Bresche in die rein deutsche — ja deutscheste Stadt Oesterreichs geschossen, und zwar nicht im Interesse der Rechtspflege, sonder» in Begünstigung nationalen und sprachlichen Sports, der, begünstigt von den klerikal-feudalen Elementen, der Hetzjagd auf das edle deutsche, gegenwärtig herrenlose Wild huldigt. Slowenische Zeugen wurden beim Grazer Obergerichte immer anstandslos in ibrer Sprache abgehört. Bei den PlaidoyerS und bei der Urtheilöscköpfung wurde aber ans- nahmSloS an der deutschen Amtssprache festgehaiten. Die oberstgerichtliche Entscheidung, daß die slowenischen Parteien vertreter bei ihren Plaitoyers sich der slowenischen Sprache bedienen dürfen, entbehrt jedes stichhaltigen Motives und ist nur ein Zugeständniß an den slowenischen Chauvinismus. Es braucht nicht erst bewiesen zu werden, baß die slowenischen Parteienvertreter des Deutschen nicht nur vollständig mächtig sein müssen, sondern sich auch der deutschen Sprache vor Gericht weit leichter und sicherer bedienen, als der für die Rechtspflege sehr mangelhaft geeigneten slowenischen. Der Parteienvertreter muß seine Hochschulstudien, seine Prüfungen, seine Praxis haben, sonst kann er seines Amtes nicht walten und alles dies bedingt eine vollständige und genaue Kenntniß der deutschen Sprache. Nach der neuen Civilproccßordnung müssen die mündlichen Verhandlungen öffentlich sein. Aber der Zweck der öffentlichen Verhandlung wird znnichle gemacht, wenn dabei eine Sprache zur Anwendung gelangt, die an dem Orte, an welchem verhandelt wird, fast Niemand versteht. Graz ist eine durch und durch deutsche Stadt und eine öffentliche Verhandlung beim Oberlandesgerichte, die in slowenischer Sprache durchgeführt werden soll, ist einfach keine öffentliche mehr, das Verhandelte kann nur von dem Gerichte, den Parteieuvertretern und einigen Zeugen verstanden werden, und das ist genau so viel, als wenn geheim verhandelt wird. Auch kann es unmöglich im Interesse der ihr Recht suchenden Parteien liegen, daß ihre Vertreter in einer Sprache plaidiren, welcher der Richter, auch wenn er deS Slowe nischen mächtig ist, nur mit Mühe zu folgen vermag, einer Sprache, die für den Rechtsgebranch so wenig geeignet ist. Die Zulassung slowenischer Vcrhanolungcn beim Grazer Obergerichte wirb ver slowenischen Agitation, welche den Streit begonnen hat und unablässig schürt, neuen Muth ein flößen. Sie wird dieselbe ermuntern, in ihrem verderblichen Bestreben, die Rechtspflege slawischen Gelüsten dienstbar zu machen, eifrig fortzufahren. Sie ist nicht etwa der Abschluß der Agitation, sondern ein Ansporn zu immer weiteren, bas Nechtsleben immer mehr schädigenden Treibereien. Und sie ist schließlich, um das Letzte, aber keineswegs Unwichtigste hervorzuheben, eine nationale Gefahr für die deutsche Stadt Graz. Am Sonntag ist in der Schweiz, wie gemeldet, durch eidgenössische Volksabstimmung die Vereinheitlichung des Bürgerlichen Rechtes und des Strafrechtes mit großer Mehrheit angenommen worden. Das Bedürfniß nach der Nechtseinheit hatte sich bis in die breitesten Schichten des Volkes fühlbar gemacht und war allgemein geworden. Jeder einsichtige Bürger war zur Ueberzeugung gelangt, daß der bisherige Zustand der Rechtsunsicherheit und deS Rechts Wirrwarrs unhaltbar geworden sei und beseitigt werden müsse. Obwohl die Noihwendigkeit von der Einführung der Rechtseinheit in allen Kreisen und Schichten dcs Volkes zum vollen Bewußtsein gelangt ist, fehlte eS auch bei dieser Vorlage nicht an Opposition, namentlich in den ultra montanen Kantonen und auch bei einem Theil der Conservativen, welche in der Einführung der Rechtseinheit eine Einschränkung der kantonalen Souveränität erblicken. Sie mögen hierin Reckt haben, allein das bildet an sich keinen genügenden Grund, dieselbe abzulehnen, nachdem hinlänglich festgestellt worden ist, daß die kantonalen Gesetzgebungen seit Jahr zehnten in der Fortentwickelung des Rechts nichts mebr geleistet haben und auch ohnmächtig sind, aus diesem Gebicte noch fernerhin etwas zu leisten. WaS die Gründe anlangt, auS denen daS Schweizervolk sein Ja in die Urne gelegt bat, so lassen sich dieselben kaum besser zusammcnfassen, als dies vor einigen Tagen vom Verfasser des Gesetzesentwurfes über die Nechtseinheit, Professor vr. Huber, in einer Versammlung in Bern geschehen ist, indem er sagte; „Ta wirken ökonomische Gründe und Interessen mit, weil da einheitliche Recht dem Industriellen, dem Kaufmann größeren Rechtsschutz bringt, weil eine Bekämpfung deS unlauteren Wett- bewcrbes durch die Bundesgesetzgebung erwartet wird, während die Kantone auf diesem Gebiete unthätig geblieben sind. Auch der Handwerker erwartet besseren Schutz seiner Forderungen, der Bauer ein Grundbuch, bessere Orduung in den Besitzverhält« nftsen, weniger Processe, Vvrtheile aus einer neuen Hypothekar- orduung, die nicht an die kantonalen Schranken gebunden ist — aller Hoffnungen, die nicht unerfüllt bleiben werden. Ter letzte und wichtigste Grund aber für die Annahme der Nechtseinheit sind nicht die Interessen eines erhöhten Rechtsschutzes, sondern eS ist das schweizerische Gerechtigkeitsgefühl, es ist das Gefühl, daß cs ein Unrecht ist, wenn ein und dasselbe Verbrechen oder Vergehen in dem einen Kanton mit Zuchthaus, in einem anderen mit Buße, in einem dritten gar nicht bestraft wird. Tie großen Ncchlsuugleich. heilen im Straf« und Civilrecht verletzen unser Gerechtigkcilsgejühl. Und warum? Weil wir zu einem eidgenössischen Gedanken heran- gewachsen sind! ES ist ein gutes Zeichen, wenn in einer solchen Sache das Gerechtigkeitsgefühl den Ausschlag giebt; denn die Gerechtigkeit erhöhet ein Volk. Wenn dieser Gedanke am Sonntag durchdringt, dann Heil unserem Lande!" In crasser Weise ist erst jüngst die kantonale RechtS- zersplitterung in der Schweiz bei dem Fall Luccheni in die Erscheinung getreten. Der anarchistische Mordgeselle konnte in Genf nur zu lebenslänglichem Gesängniß verurtheilt werden, während in anderen Kantonen ihm die Todesstrafe sicher war. Zu dem Capitel. Teutschlantz »nd Marokko wird dem Centralverein für Handelsgeographie aus Tanger- Anfang November u. A. Folgendes geschrieben: Wie bekannt, war der deutsche Gesandte Baron Schenk von Schweins berg im April d. I. zum Sultan Abd- ul-Aziz nach dessen jetziger Residenzstadt Marrakesch gereist, um sein Accreditiv zu überreichen und dabei auch noch andere Geschäfte mahrzunchmen. Es handelte sich hauptsächlich um Reklamationen hiesiger und in Deutschland ansässiger Landsleute, deren Erledigung durch persönliche Verhandlungen deS Gesandten herbeigeführt werden sollten. Gleichwohl scheint cs, daß auch des Letzteren Bemühungen Die Lettelmaid. bj Roman von Fitzgerald Molloy. Nachdruck verboten. Mrs. Stonex sah ihn einen Augenblick durchdringend an. Sie verstand es, im Menschenantlitz zu lesen. „Die Arbeiten, die mein Freund dem Kunsthändler liefert, sind wahre Perlen", warf Newton Marrix ein. „Oder scheinen es einem enthusiastisch urtheilenden Freund zu sein", entgegnete Marc. „Sein letztes Bild, ein kleines Seestück, ist geradezu ent zückend", fuhr der Schriftsteller unbeirrt fort. „Es ist nicht leicht, das Meer zu malen", meinte Mr. Freake, und richtet« dabei seine Augen abermals auf das Antlitz des Malers, als ob er das Innerste seines Wesens ergründen wollte. „Das Meer erfordert ein ganz specielles Studium und ist nicht blos eine unermeßliche blaue oder grüne Fläche, auf welcher sich «in weißbesegeltes Boot schaukelt. Das Meer ist ein beseeltes Element und muß den wahren Künstler begeistern." „Das sollte die Natur immer thun", warf jetzt Mrs. Stonex ein. „Ja; aber ganz besonders das allgewaltige Meer", entgegnete Mr. Freake. „Selbst auf der Leinwand empfinde ich, falls es gut gemalt ist, beim Anblick desselben ein Gefühl der Freiheit und Frische, aber ich habe schon Seebilder gesehen, die sich wie steifer, blauglänzender Calico ausnahmen und sich zu dem wirklichen Meer verhielten wie eine vergoldete Papptrone zu einer königlichen Adelskrone. Claude Lorrain verstand es, das Meer zu malen!" rief Freake begeistert aus, fuhr sich mit seinen schlanken Fingern durchs gelbe Haar und starrte vor sich hin, als ob er mit einem unsichtbaren Geschöpf spräche. „Canaletto's Meere sind auch wundervoll", bemerkte Mrs. Stonex, sich an den Kunstkritiker wendend. „Aber er wurde der Natur untreu", entgegnete dieser traurig. „Und die Natur ist doch so herrlich, daß es «ine Sünde scheint, sie ihres Rechtes zu berauben", meint« Marc. „Ich finde, daß ich ihr trotz meines eifrigen Bestrebens niemals gerecht werden kann." „Wer kann es?" sagte Mrs. Stonex und blickte dabei ge dankenvoll °uf die graziös gemalten Gestalten ihres Fächers. Nach einer Wecke fuhr sie fort? - * „Giebt es etwas Lieblicheres als einen leuchtenden Sonnen strahl auf «inem Lilienblatte und welchem Künstler wäre es ge lungen, diesen täuschend wiederzugeben?" „Keinem!" rief der Kunstkritiker aus. „Er müßte erst mit der Natur Eins werden. Warum sind unsere modernen Städte nicht gebaut wie die der alten Florentiner, mit baumbepflanzten, großen Gärten zwischen den Häusern, damit die Menschen stets den blauen Himmel sehen und frische Luft athmen können?" „Aber bedenken Sie doch", meinte Newton, „wie weit sich London dann erstrecken müßte. Man würde Stunden brauchen, um die Straßen zu erreichen, die man jetzt in Minuten erreicht." „Ist denn die Zeit gar so kostbar?" „Zeit ist Geld und Geld ein wichtiger Factor in unserem materialistischen Jahrhundert." „Wir stürmen rastlos von Woch« zu Woche, von Monat zu Monat, bis der Lebensfaden reißt", warf die Hausfrau ein. „Und ist das klug oder gut?" fragte Freake pathetisch. „Vielleicht nicht; aber es liegt in unserem Jahrhundert." „Ach ja, der Mensch wird leider immer mehr zur seelenlosen Maschine." „Nicht, so lange ihm die Kunst bleibt", bemerkte Mrs. Stonex, worauf Mr. Freake sich zustimmend verneigte und die kleine Gruppe verließ, um sich einer anderen anzuschließcn. „Herr Phillips malt jetzt eine Studie, die er „die Bettelmaid" nennt", lenkte Newton Marn? das Gespräch wieder auf seinen Freund. „Wenn es Sie interessirt, können Sie das Bild sehen." O sehr gerne, wenn Herr Phillips es gestattet!" „Ich würde mich freuen, Sie in meinem bescheidenen Atelier begrüßen zu dürfen", stammelte Marc verlegen, denn er dachte daran, ob für die verwöhnte Dame die vier schlechten Treppen kein Hinderniß s«in würden. In diesem Augenblick trat der „schöne" Dichter Lucius Martyn ein, d«n Mutter Natur sehr reich bedacht hatte, viel reicher als die Musen, behaupteten seine Freunde. Er trug stets einen braunen Sammetrock und gefaltete Hemdkrausen. Sein letztes Buch — ein Band Gedichte — hatte er Mrs. Stonex gewidmet. Er war ein an den Sandbänken der modernen Krankheit ge strandetes Genie, das um ein Jahrhundert zu früh das Licht der Welt erblickt. „Sie da, Mr. Martyn!" rief ihm Mrs. Stonex freundlich entgegen, als er sich ihr langsamen Schrittes nähert«. Der schlank«, biasirt« Poet b«w«qte sich niemals rasch oder ungraziös. „Mr haben eben über Bilder geplaudert. Mr. Phillips hier malt «ine Studi«, die ich demnächst ansehrn darf." Der Dichter verneigte sich mit leichtem Lächeln vor Marc und wandte sich dann an die junge Witlwe: . „Ich wüßte mir kein größeres Vergnügen, als Sie, verehrte Frau, begleiten zu dürfen — vorausgesetzt, daß Herr Phillips mir erlaubt, in seinem Atelier zu erscheinen!" „Bitte, bitte." „Dichter sind aber selten gute Kunstkritiker", mischte sich Mr. Freake ins Gespräch, der im Vorbeigehen die letzten Worte gehört. „Ihr Urtheil geht fast immer mit ihrer Phantasie durch. Eine Kleinigkeit, ein Blatt auf dem Wege, ein im Grase ver stecktes Blümchen, vermag sie in solch« Begeisterung zu ver setzen, daß sie darob grobe Fehler übersehen." „Ja, wir sind Kinder des Impulses", entgegnete der Dichter mit schwärmerischem Augcnaufschlag. „Und wir Maler haben nur selten das Glück, Dichter zu Kritikern zu haben", meinte Marc. „Unsere Kritiker sind ebenfalls zumeist trockene Menschen, die es als ihre heiligste Pflicht betrachten, junge Autoren auf dem Altar ihrer Rache zu opfern." „Ich lese niemals Kritiken", bemerkte Martyn in dem ihm eigenen Flüsterton. „Was liegt daran, wie die Außenwelt über unsere Werke denkt? Sie kann sie doch nicht verstehen. Wenn mir meine Freunde, ihre Pflicht erfüllend, die unangenehmen Dinge, die die Presse über mich schreibt, mittheilen, muß ich immer der Worte Walter Savage Landor's gedenken: Die Wür mer müssen uns zernagen, ehe uns die Mit Anerkennung zollt. Erst wenn wir Skelette geworden, werden wir gewürdigt, nume- rirt und ausgestellt." „Wie richtig und wahr!" bestätigt« Mrs. Stonex. — „Kommt da nicht die hübsch« Miß Raven?" „Wie sie leibt und lebt", rief das goldhaarige, junge Mädchen, deren blaue Augen vor Lebenslust sprühten. „Ich komme direct von der Musikstunde, um ein Täßchen Thee bei Ihnen zu trinken. Darf ich?" „Selbstverständlich! Ich freue mich, Sie zu sehen. — Was für Fortschritte machen Sie in der Musik?" „Ich habe heute den Trauermarsch von Chopin durchgenom men zur Zufriedenheit meines Lehrers. — Sie auch da, Mr. Marrix? Man findet Sie überall und nirgrnds!" „Wo haben Sie Ihre Violine gelassen?" fragte dieser. „Ihre Seele, wie Sie dieselbe zu nennen pflegen." „Im Vorzimmer." „Darf ich sie später hereinbringen lassen? Wenn Sie nicht zu müde sind, spielen Sie uns vielleicht «twaS vor." Mrs. Stonrx nickte aufmunternd. „Sehr gerne. Habe ich Ihnen schon erzählt, daß ich demnächst in einem Dilettantenconcert mitwirken werde? Sie Alle werden doch kommen, um mich zu hören." „Natürlich!" erklang es im Chor. Der Salon hatte sich jetzt gefüllt. Eine buntere Gesellschaft konnte man sich kaum vorstellen. Da war der griechische Ver schwörer Eccinia, dessen lange, blauschwarze Locken eine purpur- rothe Sammetmütze bedeckte, die alte Lady Snarebrook, um die sich ein ganzer Legendenkreis gewoben, weil sie einst die intime Freundin Louis Philipp's gewesen. Sie erfreute sich trotz ihres Alters noch großer Anmuth und Schönheit. Mrs. Stonex liebte es, Ausländer zu empfangen, und so ver größerte heute Graf Basano, ein alter römischer Edelmann, den Kreis der Gäste. Er war ein gutmüthiger, lustiger Herr, dem der Schelm im Auge saß und der stets mit einer großen, antiken Schnupftabakdose, die ihm Papst Pius geschenkt, spielte. Seinen fadenscheinigen Rock trug er mit derselben Würde, wie ein Se nator seine Toga, in seinem ganzen Wesen schien er ein Ueber- bleibsel des vergangenen Jahrhunderts zu sein. Auch mehrere fashionaöle Schriftstellerinnen, einige Redactricen, zwei Schau spieler der neuen Schule, eine Primadonna und zwei Parlaments redner waren anwesend. Natürlich fehlte es auch nicht an Mit gliedern der oberen Zehntausend. Marcus Phillips hatte noch niemals eine aus so verschiedenen Elementen zusammengesetzte Gesellschaft gesehen und freute sich, so viele bedeutende Menschen kennen zu lernen. „Wie edel geformt ist doch der Kopf des Griechen!" flüsterte Marc dem Poeten Martyn zu. „Ich möchte ihn gerne malen. Wie schade, daß solche Schönheit vergänglich ist!" „Das Alter ist eine natürliche Folge der Jugend", erwiderte dieser wie aus einem Traume erwachend. „Aber bedauern Sie es nicht auch, daß di« Frische der Jugend so rasck verblüht?" fragte Marcus. „Durchaus nicht. Wenn man über das Leben tiefer nachdenkt, kommt man zu dem Schluß, daß die Jugend nicht bestehen kann. — Jugend bedeutet Unwissenheit. —" Der Poet seufzte schwer auf und lehnte sein Haupt in die weichen Kissen des Divans zurück, um wieder in Träumereien zu versinken. „Wer ist jener orientalisch aussehende Herr?" erkundigte sich Miß Raven bei d«r Frau des Hauses. „Das ist mein lieber, alter Freund, Graf Basano." „Graf Basano? Höre ich recht? Ich dachte mir wohl, er müßte etwas ganz Besonderes sein, weil er so schlecht gekleidet ist! Wie laut er spricht und wie stark er mit den Händen ge- sticulirt! Es scheint, als ob er ganz Auge und Hand wäre!" . '
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