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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.11.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981121018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898112101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898112101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-11
- Tag1898-11-21
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Nicht eine mystisch-geistliche Gewalt wird hiermit bezeichnet, sondern es soll in Demuth anerkannt werden, daß es eine un- rrforschliche Fügung der Vorsehung ist, wenn gerade dieses Geschlecht über all« anderen im Lande sich emporgehoben hat. Die Monarchie bedarf allerdings ganz besonders der Frömmig keit, weil dir Vorstellung, so hoch über allen anderen Menschen zu stehen, buchstäblich das Gehirn des Herrschers zu zerrütten vermag, wenn er nicht von frommer Demuth erfüllt ist und er kennt, daß seine Macht di« Fügung GotteS ist und daß er sich dieser Fügung unterzuordnen hat. Das Alles hebt aber die Regel nicht auf, daß diese Staatsgewalt weltlich ist und sein will. Der wirklich monarchische Staat erhebt nicht den Anspruch, der Gottheit ins Handwerk zu pfuschen. Andererseits ist die Monarchie aber auch der Republik ent gegengesetzt. Während in der Republik der Staatswille gefunden wird aus dem Willen der Regierten, erscheint er hier, kraft historischen Rechts eines bestimmten Geschlechtes, in dem Willen des einen Mannes, der die Krone trägt, der zwar einen Beirath mit größerer oder geringerer Brfugniß um sich haben kann, am letzten Ende aber doch selbst entscheidet. Es ist müßig, hier mit Bildern zu spielen; das Wesen der Monarchie liegt darin, daß Nichts gegen den Willen des Monarchen geschehen kann. Das ist das Minimum der monarchischen Gewalt. Wir haben also den Gegensatz von Einheit und Vielheit vor uns; und daß di« Monarchie wie keine andere Staatsform die politische Macht und 'die Einheit des Volkes sinnlich darzustellen vermag, ist eine alte Erfahrung. Daher hat sie etwas so wunderbar Gemein verständliches und Natürliches. Das haben wir Deutschen em pfunden in den ersten Jahren unseres neuen Kaiserreiches. Wie verkörperte sich für unö in der Person-des greisen Kaisers der Gedanke des einigen Vaterlandes! Was es für uns Werth war, als wir wieder einmal fühlen konnten: dieser Mann ist Deutsch land, das ist gar nicht auszusagen. Das eigentliche Wesen der Monarchie ist aber erst in zweiter Linie darin zu suchen, daß eine einzelne Person den Staatswillen vertritt, das Wichtigere ist, daß diese Staatsgewalt keine über tragene ist, sondern auf eigenem Rechte beruht. Um ein Wort der Scholastik zu gebrauchen: man kann von der Lseitas der *) Aus dem demnächst erscheinenden II. Bande von Treitschke'» „Politik«. Die Familie v. Treitschke'- hat den Ertrag der Buche- für den Verein zur Förderung des DeutschthumS in den Ostmarken bestimmt, besten Mitglied v. Treitschke von Anfang an war. DaS Werk er scheint bei S. Hirzel, Leipzig. monarchischen Gewalt sprechen. Sie hat ihre Gewalt von sich > selber, und darin vor Allem liegt begründet, daß die Monarch« größer« sociale Gerechtigkeit üben kann und übt als irgend eine republikanische StavtSform. Republiken können darum viel schwerer gerecht sein, weil es hier nur Parteiregierungen gilbt. Auch haben in der Geschichte Monarchien noch immer mehr Ge rechtigkeit gezeigt als Republiken. Nicht der Haß gegen di« Monarchie ist es, der in socialen Revolutionen dir Massen zu sammenrottet, sondern der Haß gegen einen höheren Stand. Gerade an den Monarchen werden di« Masten sich wenden, von ihm die Bändigung der Starken verlangen. Gin König, einer der es ist, steht so hoch, so allen Prrvatverhältnifsen enthoben, daß er die Stände wie die Parteien tief unter sich erblickt. Die Franzosen, die in ihrer großen Zeit die Monarchie sehr ernst und tiefsinnig oufgefaßt haben, hatten den RechtSsotz: Im Augenblick der Thronbesteigung geht mit dem König ein« aapiti» deminutiv vor im Sinne drS Privatrechts; sein Privat vermögen fällt an die Krone. Das ist ein großer Satz, wenn man seine Bedeutung in die äußersten Consequenzen verfolgt. Das Königthum leitet sein Recht ab aus der Geschichte, insofern hat es in sich etwas Aristokratisches: die Vorstellung, daß gewiss« Geschlechter kraft historischen Rechtes über allen anderen stünden. Daher auch die Erfahrung, daß ein guter Adel stets politisch tüchtig ist und die Krone immer zu stützen sucht. Andererseits wieder ist gesunden Monarchien eigen eine starke demokratische Kraft. Weil der König so hoch über allen Ständen steht, wird er zu den Schwachen der Gesellschaft hingezogen werden, und ein König der armen Leute zu sein, wie Friedrich der Große sagte, ist zu allen Zeiten ein Ruhm der Monarchie gewesen. Sie vertritt den Gedanken des gemeinen Rechtes; die natürliche Tendenz des Königs wird sein, das gemeine Recht für Alle zu verwirklichen. Daher die Erscheinung, daß in Monarchien, die sind, was ihr Name sagt, dir Maste drS Volkes ein unbeschreiblich starkes Vertrauen zur Gerechtigkeit des Königs hat. Das gilt trotz aller Agitatoren noch heut«, daß die Maste des Volkes zum König mehr Ver trauen hat als zum Parlament. Die naive Empfindung des natürlichen Menschen, welche überall nach einer letzten Autorität verlangt, wird im König die unpersönlich« Macht sehen, welche, selber bedürfnißlo», das suum ouiquo vertrift. ES liegt ferner in der erhabenen Stellung des Monarchen, weiter zu blicken als gewöhnliche Menschen. Der gewöhnliche Mensch übersieht nur einen kleinen Kreis deS wirklichen Lebens. Man kann das ganz besonders deutlich an den unwillkürlichen StandeSvorurtheilen der Durchschnittsmenschen erkennen. Ebenso gut wie adelige giebt eS bürgerliche, gelehrte Vorurtheil«; sie sehen nicht das Ganze der Gesellschaft, sondern nur einen kleinen Ausschnitt. Dogmen ist cs klar, daß ein Monarch von der Gesammtheit des Volkslebens mehr kennen lernen wird, als der einzelne Untrrthan, baß er in der Loge ist, di« Machtverhältniste der Gesellschaft richtiger zu schätzen, als es der Durchschnitts mensch vermag. Das gilt vor Allem dem Auslande gegenüber. Der König kann sehr viel genauer bcurchcilrn, wie rS in der Welt draußen wirklich steht, al- der einzeln« Unterthan oder l auch ein« republikanische Parteiregierung. Erne weit in die I Zukunft rechnend« Politik wird nur Dem möglich sein, der wirklich im Centrum steht. Dabei fällt auch noch ins Gewicht die Thatsache, daß alle großen Fürstenhäuser Europas ein« große Familie bilden, durch unzählige Bande der Verwandtschaft verkettet sind. Auch das giebt der Monarchie einen großen Vortheil vor der republika nischen Staatsleitung. Man muß hier die Bekenntnisse großer Republikaner lesen. Wiederholt sagt Washington — und wie oft hat er es schmerzlich an seinem Leibe erfahren —: ein sou veränes Volk muß immer erst fühlen, ehe es sich entschließt zu sehen. Das hat ja auch wieder der große Bürgerkrieg gezeigt. Wenn das amerikanische Volk rechtzeitig gesehen hätte, so hätte es diesen unvermeidlichen Krieg schon ein Menschenalter früher gehabt; aber die Noth mußte ihm erst an den Hals steigen. Dagegen kann eine Monarchie sehr weit in die Zukunft hinaus sehen, und eS giebt große Krisen in der Geschichte, von denen man sagen muß: diese entscheidende That konnte nur von einem Monarchen auSgehen. Di« preußische Politik vor 1866 konnte nur von einem großen Monarchen und einem großen Minister durchgeführt werden, nicht von einer republikanischen Staats regierung. Wir waren ein ganz kleiner Haufe, in Freiburg waren wir unser fünf, die damals zu BiSmarck hielten. Das ist die öffentliche Meinung, die angeblich Bismarck getragen haben soll. Er allein hat gegen den Willen des Volkes das Noth- wendige vollzogen. Glücklicherweise verstand der große Staats mann die Dinge so auf die Spitze zu treiben, daß jeder Preuße fühlen mußte: jetzt handelt eS sich um die Ehre Deines Landes, und daß dadurch dem Kamps oie Kraft und der Schwung eines wahren VolkSktirgeS gegeben ward. Au den weiteren Vorzügen der Monarchie gegenüber der Republik gehört die Macht der Tradition. Di« wohlgeordnete Monarchie spricht den Grundgedanken ihrer alten Ueber- kieferungen, ihre Tradition, besonders kräftig vuS, weil hier Verhältnisse und Gewohnheiten einer regiererchen Familie mit dem Staate aufs Innigste verwachsen sn-d. Das kam im alten Frankreich so schön zu symbolischem Ausdruck, wenn bei dem Tode deS Königs der höchst« Kronbeamtr auf den Balcon trat, mit dem Ruse: „le rc»i eot mort!" einen Stab zerbrach, dann aber sofort einen anderen Stab schlvenkte mit dem neuen Rus: „vivs Is roi!" Die Person deS Königs vergeht, die .Idee der Krone bleibt in seinem Nachfolger ver körpert. Das weiß schon Homer, der von dem väterlichen, unvergänglichen Sccpter der Könige spricht. Im Ganzen muß man eine fiste Erbfolge als eonckitio sino qur» non der monarchischen Staatsform bezeichnen. Dazu kommt, daß wir gewisse Charaktereigenschaften in herrschenden Familien sich forterben sehen. ES ist das natürlich nicht eine Eigenthllm- kichkeit blos der monarchischen Geschlechter, sich ähnlich zu bkeiben durch die Jahrhunderte; daS ist überall der Fall. Im Ganzen kann man von den Hohenzollern, einem begabten Geschlecht, das starke individuelle Verschiedenheit aufweist, doch sagen, daß sie mit wenigen Ausnahmen einfache Naturen gewesen sind. Was zeigt Friedrich der Große trotz aller Genialität für einen schlichten Verstand, der immer das Nah:- liegende sicht. Gewisse Anschauungen werden durch «ine lange historische Erfahrung zur Gewohnheit eines Herrschergeschlechts; denken Sie an Vie Bestrebungen der Hohenzollern Zur Bildung der Union. Das war für sie ursprünglich nichts alr ein Nothbehelf, um sich selber zu sichern. Durch seinen Ucl :r tritt zum resormirten Bekcnntniß war der Monarch mit seinem Hause in die kleine Minderheit gekommen; er mußte also versuchen, in irgend einer Form eine Vereinigung zu finden. Unleugbar liegt in dieser Stetigkeit der Familienoercrbung auch die Gefahr der Monotonie und Erstarrung. Es giebt so geistlose Herrschergeschlechter, daß man, wie bei den englischen Georgen, einen König von dem anderen kaum unterscheiden kann. Oder betrachten Sie die Bildnisse der habsburgischen Herrscher: überall 'derselbe Zug geistiger Dumpfheit auf den Köpfen; es sind alles Pfaffentönig« gewesen. Merkwürdig ist auch das HauS Holstein in allen seinen Zwergen. Diese oldenburgischen Holsteiner kann man nur daran unterscheiden, daß immer auf den höheren Christian der niedrigere Friedrich folgt. Nur der vierte Christian vermochte der Muse die Lippen zu lösen und lebt fort im dauernden Gedächtniß seines Volkes. Er ist der, von dem das Nationalkied singt: König Christian stand am hohen Mast. TroPxm war die Dynastie in allen Gene rationen beliebt. Sie hatten nichts Abstoßendes in all ihrer einförmigen Mittelmäßigkeit. Diese Gefahr der Erstarrung würde für die Monarchie noch größer sein, wenn nicht, wie überall, auch hier die menschliche Natur dagegen wirkte. Der natürliche Gegensatz des jüngeren und d«s älteren Geschlechts, der sich in allen Schichten der Gesellschaft findet, zeigt sich auf diesen Höhen besonders stark. Es giebt keinen menschlichen Beruf, der den feinsten sittlichen Versuchungen mehr ausgesetzt wäre als der des Thronfolgers in einem großen Reich. Es ist eine alte Erfahrung, daß gerade pflichtgetreue und kräftige Monarchen gegen ihre Thronfolger eine starke Eifersucht haben; sie wollen den, der nach ihnen kommt, nicht in die Küche sehen lassen. Der Kronprinz wurde von Kaiser Wilhelm I. immer sanft zur Seite geschoben. So hochgestellt und in der Regel ganz einflußlos wird der Thron folger herausgrfordert zur Kritik, Vie sich bald in schlimmen, balv in edleren Formen äußert. Noch nie ist bei den Hohen- zollern ein Vater gleichen Sinnes mit seinem Sohne gewesen. Das ist di« Correctur, welche die Natur hier anwendet, zu unserem Glück, gegen di« Gefahr einseitiger Erstarrung. Daher sind Monarchien nie in eine solche Eintönigkeit verfallen wie theo- kratische Staaten. Die Persönlichkeit des Regenten in ihrer Eigenart hat sich immer von Neuem als verjüngende Kraft geltend gemacht. Denn wir allüberall in der Geschichte kommt es vor Allem in der Monarchie an auf daS lebendige Leben der Persönlichkeit. Die Monarchie beruht auf dem tiefsinnigen Gedanken, den all- liberalen Schwätzer heute verspotten, daß Männer die Geschichte Feuilleton. Der erste und letzte Gimpel. Don Hans Siegelt. Nachdruck derbetcu. „Guten Morng mitenanner, Herr Färschter!" Mit diesem höflichen Gruße trat der „Keller - Lob - Gust" in die Wohnung Teumer's, des alten Försters von Tellerhäuser. „Guten'Morgen, Gust, — was bringt der Güst?" „Herr Färschter, gestern dein Dorchforschtcn ho ich in Wald a Gimpelnast gefunden — do ho ich's." Gust wickelte behutsam aus seinem roth-gelb-schwarzen Taschentuch ein zierliches Vogel nest mit vier kleinen, nackten Insassen, dir hungrig die Schnäbel aufsperrten. „I, seht an!" rief der Förster erstaunt — „wahrhaftig, es sind wirklich Gimpel — dar ist ein seltener Fund; was soll denn damit werden?" fragte er Gust. „Nu, do dacht ich aam, d-r Herr Färschter seilt sich «nn dorvu raussuchen, enn wollt' ich n« alten Barthel gaam, enn sellt dunten dor Herr Lehrer krieng, un enn wollt' ich salberscht behalten", antwortete Gust, der mit anerkennenSwerther Gründlichkeit sämmtliche Vertreter der Tellcrhäuser „oberen Zehntausend" mit je einem jungen Gimpel zu beglücken gedachte. Der Förster freute sich sehr über die Aufmerksamkeit be bilderen Waldarbeiter-, mehr noch über das selten« Geschenk. Nun handelt« es sich nur noch darum, unter den vier kleinen Schreihälsen rin Hähnchen herauSzpfinden, da bekanntlich nur dieses im Stande ist, eine Melodie nachzupfeifen. „Ja, wenn wir nur auch gleich wüßten, welches ein Hähnchen ist", sagte der Förster, während er die Vögel prüfend betrachtete. „Ich theet do - do namme", erlaubte sich Gust oorzuschlagen, „doS sparrt ne Schnabel gar asu weit auf, do- i- sicher a Hahn! — Galle, Matzl?" „Gut, da will ich da- nehmen!" entschied der Förster. Er griff nach dem unruhigsten unter den vier Waldkindern, um eS aus dem warmen Neste zu heben. Der kleine Gimpel jedoch, der die Ehre, vom simplen Waldvogel zum Gesellschafter eines könig lichen Försters aufzuriicken und so gewissermaßen in Staatsdienst übernommen zu werden, offenbar nicht zu schätzen wußte, schnappte in einer Anwandlung unverieihlicher Selbstüberhebung dem Förster nach dem Finger. Es nützte nicht». Di« Hand de» neuen Herrn erfaßte ihn und setzte ihn auf den Tisch. Aber auch hier zeigte es sich augenblicklich, baß der kleine Vogel leider noch sehr freien Manieren huldigte. Der Förster lachte: „DaS fängt aut an, Gust!" „Dos gibt sich Alles mit der Zeit!" begütigte Gust, der mit geheimem Grauen da» respectwidrige Betragen ferne» Geschenks wahrgenommen hatte. Er wickelte die übrigen Gimpel sammt ihrem Wohnhaus wieder vorsichtig in da» roth-schwarz-gelbe Taschentuch und empfahl sich, um sobald all möglich die anderen Herrschaften aufzusuchen. „Na, habt nur auch Dank, August!" Der Förster wählte ausdrücklich diese Form, wa» der Angeredete al» «in Zeichen -«sonderen Wohlwollen» richtig zu würdiaen verstand. «Gaam S« när dann Simpel rächt viel Maahlwermer und Millichbrei, nochert bring« Se na scho dorch — Guten Morng, Herr Färschter!" „Guten Morgen, August!" DaS Erste, was der Förster that, war, daß er au- der so genannten Rumpelkammer einen alten Vogelbauer hervorsuchte und in Stand setzte. Dann baute er aus weichem Wollstoff ein Nestchen in den Käfig und setzte den kleinen Waldbürger hinein. Frau Alinde, des Försters mildthätige Gattin, bereitete einen stärkenden Milchbrei und fütterte den neuen Hausgenossen, welche Wohlthat dieser damit vergalt, daß er regelmäßig bei jedem Bissen die Spenderin in den Finger biß. Unterdessen rief der Förster seine beiden Enkel herein, die eben im Begriff gewesen waren, ihre Treffsicherheit im Steine werfen an der goldenen Spitze der Blitzableiters zu versuchen, und begann mit ihnen folgende Unterhaltung: „Wer von Euch'kann am besten pfeifen?" „Ich, Großvater", sagte der Jüngere rasch. „Nein, ich", wehrte der Aelter« ab, „ich kann sogar auf zwei Fingern pfeifen!" „Und ich auf vier!" rief der Jünger«. „Nun gut", brach der Förster d«n edlen Wettstreit ab, „hört darauf, was ich Euch sage: Wer von Euch sich untersteht, inner halb der nächsten acht Wochen hier und in der Nähe des Forst- hauseS auch nur einen einzigen Laut zu pfeifen, darf in seinem ganzen Leben nie mehr mit mir auf den Hrrschanstand gehen!" Enttäuscht und fragend blickten die Knaben ihren Groß vater an. „Wollt Ihr mir alsg. versprechen, acht Wochen lang nicht zu pfeifen?" Di« Knaben versprachen «». Nun erklärt« ihnen der Förster den Grund. Sr zeigte ihnen den Vogel und thetlte ihnen mit, daß er dem Gimpel ein Lied lehren werde, und daß dieser eben deshalb während der Lehrzeit nichts Andere» pfeifen hören dürfe. Kein Versprechen, so lang« di« Welt steht, ist heiliger gehalten worden, al» da- der beiden Knaben. Und nicht nur diese pfiffen nicht, sondern auch die übrige Jugend verzichtete freiwillig auf die Ausübung der nervcnkitzelnden Kunst, sobald bekannt ge worden war, daß di« drei Dorfgrößen — Gust zählte in diesem Falle nicht mit — je «inen Gimpel hätten, der da» Pfeifen nicht vertragen könne. Noch an demselben Abend begann der Unterricht. Frau Alinde hätte es gern gesehen, wenn der Gimvel ehr LieblingSlied — soweit nämlich die weltlich« Kunst in Betracht kam — „Wenn Jemand «ine Reis« thut" gelernt hätte, zumal der Schluß: „Erzähle er nur weiter, Herr Urian!" ihr sott frühester Jugend besonder» gefallen hatte, allein der Herr Förster hatte in der richtigen Erwägung, daß der 8imp«l einem solchen kosmopolitischen Liede zu wenig Interesse «ntgegenbringen werde, und in Berücksichtigung de» Grundsatzes, daß aller Unterricht an den Vorstellungskrei» de» Schüler» anknüpfen müsse, auf da» Lied: „Im Wald und auf der Haide" bestanden. Im Anschlüsse an diese» Lied sollte der Gimpel noch pfeifen: Mir putzen ne« mir Hauemerschlog, Mir putzen nett mit Sand: Itze kimmt er, itze kimmt er, Itzt kimmt der Herr Schorschant! Der Herr Förster ließ also zuerst einig« Lockpfiffe ertönen, dann pfiff er seinem Schüler die bewußten Lieder vor. Dieses Schauspiel wiederholt« er jeden Morgen, Mittag und Abend. Aber auch der alte Barthel, de» Försters getreuer Wald wärter, hatte sich der neuen Pflicht mit Eifer unterzogen. Er verfuhr in ähnlicher Weise wie sein Vorgesetzter, nur daß er für seinen Zögling das GebirgSlied gewählt hatte: Wenn s draußen schneit thut, Ham » aa de Färschter gut, Kriech'» se inS Dickicht nei, lassen Rehbock Rehbock sei: Schic is in Friehgahr, schic iS zur Hardistzeit, Schic iS in Winter, wcnn'S draußen schneit! Der Herr Lehrer gedachte seinem Schüler das „Mailüftel" beizuLringen; Gust endlich hatte das schöne Lied erkoren: „Du bist dor beste Bruder aa nett!" Leider kam Gust gar nicht bis zum regelmäßigen Unterricht; denn bereits am zweiten Tage war der kleine Gimpel in einem Wassernapf, den Gust'S reinlichkeits liebende Ehehälfte unverständigerweise neben das Nestchen gesetzt hatte, ertrunken. Gust tröstete sich: „Wu nischt i», fällt aa nischt hie!" Drei Wochen waren vergangen. Die kleinen Vögel hatten sich allmählich mit Federn bäxckt, und mit Ungeduld betrachtete der Förster seinen Pflegling, ob sich nicht endlich die schöne roth« Farbe — daS Abzeichen des Hähnchen- — auf der Brust deS- selben zeigen möchte — noch war nicht» zu sehen. Auch von Er folgen des Unterrichtes konnte noch nicht die Rede sein, da be kanntlich die jungen Vogel viel später die ersten Pfeifiibungen anzustellen pflegen. Im Großen und Ganzen aber gedieh der Vogel unter Frau Alinde's sorgsamer Pfleg« ganz vorzüglich. Nach einigen Tagen traf der Förster d«u Waldwärter. „Nun, wa- macht der Student, Barthel?" fragte er. „Herr Färschter, aus menn Simpel ward nischt. Allemol wenn ich ahfang -« pfeifen, sperrt er senn Schnabel ganz weit Ms, als wenn er wos z« frassen krieng sellt; un nochert »muß ich allemol lachen. Un wenn ich in» Lachen drei nei bi«, nochert is de Stund' pfutsch." Bessere Fortschritte schien der Gimpel de» Lehrer» zu machen. Da die Kehle des Vogels bereits begann, sich roth zu färben, da er auch sonst erfreulich zunahm, und da ferner der Unterricht gewissenhaft auSgeführt wurde, so schienen alle Bedingungen für einen guten Erfolg gegeben. Da ereignete sich ein sehr trauriger Fall. Der Lehrer hatte di« thierfreundliche Gepflogenheit, seinen Schüler oftmals auS dem Käfig zu nehmen und auf dem Tisch umherklettern zu lassen. So hatte er auch heute gethan, und während er sein einfaches Abendbrod genoß, sah er mit Ver gnügen, wie der kleine Simpel di« Brodkrümchen aufptckte. Schließlich aber hüpft« der Nimmersatt nach dem Käse. Wollte er nach Insekten spähen? Wollte er untersuchen, ob der Herr Lehrer von Tellerhäuser Fett« oder Magerkäse zum Abendbrod aß? Wer weiß es! Sicher ist nur, daß der Klein« seinen Drang nach Wahrheit mit dem Tod« bezahlte. Ja, e» kann keinem Zweifel unterliegen: Der Käs« hat unserem Gimpel da» Leben»- licht au»geblasen. Barthel'» Simpel hatte ein ähnliche» Schicksal. Noch immer war Barthel nicht im Stande, regelrecht«» Unterricht zu ertheilen. Immer, wenn der Schüler den Schnabel öffnete, mußte der Meister lachen, so lLli-ßOch Barthel Gemahlin die Absicht aussprach, selbst den Unterricht in die Hand zu nehmen. „Wenn Du allemol ah ze lachen fängst", meinte sie, „ka dar Gimpel nischt larne. Itze waar ich mich amol salberscht drirberhaar machen!" „Gieh nijr", wendet« Barthel ein, „wenn Du ah ze pfeifia fängst, muß wieder der Gimpel lachen, un nochert ward geleich gar nischt!" Der Gimpel entging seinem weiteren Schicksal auf sehr trübe Weise. Eines Morgens lag der Vogelbauer auf dem Fußboden. Auf dem Nestchen lag der kleine Sänger, mausetodt, „wie" — so pflegte Barthel stets zu sagen — „wie a Rehwinzele offe Ard- eppelsalat." Die Katz« hatte während der Nacht den Käfig heruntergerissen und so dem verfehlten Dasein des Vogels ein Ende gemacht. So war also von der hoffnungsvollen Gimpelbrut nur noch der des Herrn Försters übrig. Unermüdlich pfiff der Meister das Jägerlied, unermüdlich putzte er „nett mit Hammerschlog", unermüdlich sorgte Alinde für Milchbrei und Mehlwürmer, aber ebenso unermüdlich ignorirte „Matzl" den Kunsttrieb seines LehrerS. Sechs Wochen waren vergangen. In dem Herzen des Gimpels hatte nach und nach eine viel innigere Zuneigung zur Frau des Försters Platz gegriffen, als zu ihm selbst, dessen Lieder all mählich für das materialistisch veranlagte Waldkind den Reiz der Neuheit verloren hatten. DaS Federtleid war fertig — Brust und Kehle vollständig aschgrau, kein rotheS Federchen war zum Vorschein gekommen. ES unterlag keinem Zweifel, der Pflegling hatte der allerersten Bedingung nicht entsprochen. „Herr Färschter", sagte Barthel, als er einmal im Forsthans war, „lassen Se dos Vegele naus, doS iS a Weibl!" „DaS nützt nichts, Barthel, der Kleine hat'» Fliegen nicht gc lernt, er würde draußen zu Grunde gehen", meinte der Förstcr ganz richtig. „Well mor ne när nauslossen; wenn er nischt zammbreng!, kenne mor ne doch wieder reihuhln", wagte Barthel vorzuschlagen. „Na, versuchen können wir'» ja." Der Förster öffnete den Käfig, nahm den Vogel heraus und hielt ihn durchs Fenster hin aus inS Freie. Augenblicklich flatterte dieser davon, aber nur, um nach kurzer Zeit in- Gras zu fallen. WaS nun geschah, entfesselte bei allen Zuschauern einen Sturm der Entrüstung. Kaum hatte nämlich der Gimpel den Boden berührt, als plötzlich Peter, de» Försters mäusegieriger Kater, der eben noch friedlich in der milden Sommersonnr sein eintöniges Lied abgeschnurrt hatte, als ob nichts in der Welt im Stande wäre, sein seelisch«» Gleichgewicht zu erschüttern, mit kühnem Sprunge den unglücklichen Vogel erfaßte und davonlief. „Gibst« dä geleich unnern Dugel haar — bei dir larnt er doch geleich gar nischt!" schrie der entrüstete Barthel. In de» Förster- Seele regte sich etwas wie Mitleid. „Wenn wir da» wußten", sagte er, „hätten wir da» Nest ge- lassen, wo eS war." „Herr Färschter, dieSmol sei mor allezamm im» Lehrgald tummel" sagte Barthel bedauernd. „Mag sein", erwiderte der Förster, — „jedenfall» war da mein erster und letzter Gimpel!"
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