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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.11.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981125026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898112502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898112502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-11
- Tag1898-11-25
- Monat1898-11
- Jahr1898
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Wie uns der Telegraph meldet, hat der Prinz-Regent in die Errichtung eines bayerischen Senats mit dem Sitz in Berlin beim Obersten MilitairgerichtShose cingewilligt und der Kaiser hat dagegen Bayern das Recht der Ernennung des Vorsitzenden, sowie der Mitglieder in diesem bayerischen Senate und des M i l i t a i r a n w a l t s an demselben eingcränmr. Wir hoffen, daß der bayerische ParticulariSmus mit diesem Ab kommen sich ebenso befreunden Werve, wie man sich in den übrigen Theilen des Reichs mit ihm befreunden kann. Wir glauben auf dieses Abkommen aber auch die Hoffnung gründen zu tonnen, daß der Kaiser nunmebr baldigst Gelegen heit suchen und finden werde, den ltppischen Zwischenfall in befriedigender Weise zu erledigen. Wie dringend nölhig das ist, ergiebt sich aus dem Unfug, den der Byzantinismus treibt, um nachzuweisen, daß der Graf-Regent von Lippe Detmold gar keinen Anspruch darauf habe, wie ein deutscher Fürst be handelt zu werden. So wird in einer von der „Köln. Ztg." wiedergegebenen Zuschrift gesagt: Der Regent ist nicht Landesherr, Staatsoberhaupt mit den höchsten Attributen der Hoheit, er regiert nur in Ver tretung eines minderjährigen oder eines dauernd verhinderten Herrschers, er regiert, aber er herrscht nicht, oder er functionirt, wie man sich früher im öffentlichen Recht ausgedrückt hat, nur „nck luanus re»is kuturi" . . . Von selbst erhellt aus alledem, daß ein Regent, der eben nur Regent ist, nicht auf dieselbe Stufe gestellt werden kann, wie ein selbstständiger Fürst unferes Reiches. Wie das Fürstenthum Lippe ein Gliedstaat des Reiches ist, so steht unter den Contrahenten des Bundes der Fürst zu Lippe: er hat die Rechte eines Bundesfürstrn in vollem Umfange für sich in Anspruch zu nehmen, nicht aber der, der sich in Lippe nur in der Stellung eines Regenten befindet.... Hierauf bezieht sich die Antwort, die ihm zu thcil geworden ist: „Was dem Regenten zukommt" . . . Ein Regent bleibt ein Regem, nur ein Regent, „weiter nichts". Nach dieser Ncchtsauffassung hat ein Regent wohl den Pflichten eines Bundesfürsten zu genügen, die Rechte eines solchen aber werden ihm theilweise vvrenthalte». Nun ist aber Kaiser Wilhelm I. in den Jahren 1858—l86l Regent von Preußen gewesen und keinem Menschen ist die Behauptung in den Sinn gekommen, daß der Regent, zumal in der Vertretung Preußens »ach außen, ins besondere innerhalb des damaligen deutschen Bundes, nicht genau ebenso der vollberechtigte Repräsentant der Krone Preußens sei, wie es ein regierender Fürst war. Prinz Albrecht von Preußen ist bereits lange Jahre Regent von Braunschweig, niemals aber bat man gehört, daß die Theorie auf ihn angcwendct worden sei. Prinz Luitpold von Bayern ist ebenfalls nur Regent, doch wenn die Fürsten des Reiches sich „wie der Sterne Chor" um den Kaiser stellten, so hat der Prinzregent von Bayern noch immer zur Rechte» des Neichsoberhauptes gestanden. Soll er nun in den Glauben versetzt werden, das werde künftig anders werden und die Theorie der „Köln. Ztg." Feurlleton» Die Lettelmaid. 13s Roman von Fitzgrrald Molloy. Nachdruck verboten. Beide verstummten. Lord Harrick kaute an einem Ende seines Schnurrbartes, ein Beweis, daß er nachdachte. Die zu künftige Freiheit Capri's beschäftigt«, seinen Gedankengang; eine kühne Idee halte ihn erfaßt, die er gar nicht auszudenken wagte. Eine Todtenstille herrschte im Zimmer, keine Fliege wagte es, sich zu rühren. Die Sonne schien durch Vie rothen Vorhänge quer auf den abgetretenen Teppich, das Geräusch der auf der Straße hin- und herfahrenden Omnibusse und Miethkutschen drang nur schwach zu dem Paare hinauf, die Uhr der St. Pancras-Kirchc schlug Drei. Das Schweigen zwischen den Beiden dauerte noch eine Weile fort. Unter solchen Umständen konnte es entweder gefährlich oder unangenehm werden. Und unangenehm wurde es Keinem der Beiden. Capri fragte sich im Stillen nochmals, ob der Lord sie wirklich liebe, und wenn ja, ob er sie zur Vicomtesse Harrick erheben werde. Sie fühlte, daß er sie liebe, und daß sie, wenn sie nur wollte, ihn in ihre Netze verstricken könne, denn sie besaß di« gefährliche Gabe, Leute durch ihr gewinnendes Wesen und ihre eigenartige Schönheit bezaubern zu können. All' die Vortheile, die sie durch den Besitz dieses Mannes zu erlangen vermochte, traten plötzlich vor ihr geistiges Auge. Den verhältnißmäßig geringen Kampf belohnte der hohe Preis reichlich. Der Lord gehörte nicht gerade zu den weisesten Männern, er war im Allgemeinen dumm und temperamentlos, aber wenn er sich etwas in den Kopf setzte, konnte er sein Ziel eigensinnig verfolgen. Seine Eltern waren todt und da er bereits 23 Jahr« zählte, brauchte er sich auch keinem Vormund mehr zu untcrordnen und war Herr seines Willens. Di« alt« Herzogin von Dewshire, seine Großmutter, die er jedes Jahr einige Male be suchte, übte gar keinen Einfluß auf ihn aus. Alles »«reinigte sich, um Capri ihrem Zi«l nahe zu bringen. Sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händ«n und schloß die Augen. War es am Ende doch nur ein wilder Traum, die Ausgeburt ihrer lebhaften Phantasie, was ihr Blut so aufregte? Das Bild, das vor ihrem geistigen Auge aufstieg, verwirrte sie und macht« ihr Herz heftig pochen. Und doch, war es wirklich so unmöglich? Lehrte die Welt werde auch auf ihn Anwendung finden? Dem Kaiser kann es unmöglich entgehen, wie gefährlich eS sein würde, wenn nicht baldigst mit dem ganzen lippischcn Zwischenfalle auch dem kurzsichtigen Treiben der liebedienerischen Presse ein Ende bereitet würde. Tie ultramontane „Köln. DolkSzeitg." äußert unverhohlen ihre Freude darüber, daß land wirthsch ast licke Ver tretungen in Ostpreußen sich für die Ansäffigmachung »uffisch-polnischcr Arbeiter im Reiche cndgiltig ausgesprochen habe». Das führende EentrumSblatt ist überzeugt, es tverde der Negierung nichts Anderes übrig bleiben, als dieser For derung der vstpreußischen Landwirthe zu entsprechen. Welche nationalen Folgen ein solcher Schritt der Regierung nach sich zieken müßte, kümmert die „Köln. Volkszeitg." nicht im Geringsten. Dabei ist es gerade die „Köln. Volksztg.", die eben jetzt die Polengefabr für WestdeuschlanP in der unzweideutigsten Weise anerkennt. Sie sagt, aus der Anstellung polnischer Arbeiter in Rheinland- Westfalen sei „schon eine Art Calamität entstanden", und fügt wörtlich hinzu: „Es wäre eine starke Selbst täuschung, wenn die Regierung meinen sollte, die so ver pflanzten Polen würden leichter germanisirt." Lassen sich also die Polen in Rheinland-Westfalen nach klerikalem Zeugniß nicht leichter germanisiren als die Polen in Osten, fo liegt auf der Hand, daß die russisch-polnischen Arbeiter im Osten, die viel stärkere nationale Antriebe haben als die Polen im deutsche» Westen, eine directe Gefahr für das Deutschthum in der Ostmark sind. Unsere Frei sinnigen aber, die noch jüngst davon fabelten, daß die Polen in Rheinland-Westfalen germanisirt würden, mögen sich das Urtheil der „Köln. Volksztg." gesagt sein lassen. Außerordentlich viel beschästigen sich in letzter Zeit die englischen Staatsmänner und die ihnen ergebenen Zeitungen mit Deutschland und der Politik, die es ein zuschlagen hat, wenn cs nach englischer Ansicht einer glänzenden Zukunft entgegengehen will. So wird uns gemeldet: * London, 25. November. (Telegramm.) Die „Times" besprechen in einem Leitartikel die deuifch-engllschen Vea'-Hun,;«"-- und sagen: Seite an Seite zu stehen mit den englisch sprechenden Völkern auf der ganzen Erde zur Aufrechterhaltung dcS Friedens und zur Entwickelung der Handelspolitik, deren Vorkämpfer England sei, daS sei die richtige Politik Deutsch lands bei den Bewegungen der Jetztzeit. Es sei keine britische Colonie im Gedeihen, bei der deutsches Capital und deutsche Staats angehörige nicht intrressirt seien. Durch eine dauernde freundschaft liche Haltung gegenüber dem britischen Weltreiche schütze Deutschland in Wahrheit seine überseeischen Interessen weit umfassender, als durch eigene Colonien. England verlange dafür von Deutsch land thatsächlich weiter nichts, als daß es sich nicht daran betheilige, England in Europa oder anderswo Ungelegenheiten zu bereiten. Wir sagte» neulich, England sei lüstern nach unseren Eolonien. Hier ist der Beweis. Wir überlassen England unsere afrikanischen Besitzungen und lassen ihm auch sonst in ber Welt freie Hand, wo es selbst zugreifen will — und das ist überall der Fall, wo das britische Banner noch nickt weht — und dafür erweisen wir unS auch noch dadurch dank bar, daß wir England nirgends Ungelegenheiten bereiten. Wahrhaftig, einlucrativesGeschäft fürunS! Unübertrefflich,denn die große angelsächsische „alma," water nimmt uns für den kleinen Dienst, den wir ihr erweisen, ja auch noch unter ihr geschickte nicht, -atz reiche, angesehene Männer arme Mädchen zu sich emporhobrn? Heiratheten nicht Aristokraten schöne Schau spielerinnen? Warum sollte dieser Mann nicht ihr König Cophetua sein, war sie doch die Beitelmaid? Schöner als sie konntediebiblische auch nichtgewescn sein! Nein, nein, eswarkaum denkbar! Sie, di« so oft mit hungrigem Magen hatte zu Bette gehen, tausend Nadelstiche und Demiithigungen ertragen muffen; sie, die für einen Schilling die Stunde die Töchter ihrer Haus frau singen lehrte, in zwei elenden Zimmern an der Seite eines halbverkommenen Vaters ihr Dasein fristete, sie, die niemals die Wohlthat eines eigenen Heims, niemals die Liebe und Sorgfalt zärtlicher Eltern gekannt, sollte plötzlich eine Vicomtesse von England und Baronin von Schottland werden?! Sie, eine eigenwillige, ungebildete Bohemienne mit einem hübschen Lärvchen und etwas Verstand! Ihr Erfolg bei der Amerikanerin mußte ihr die Sinne vollständig verwirrt haben. So sagte sie sich selbst, suchte die Hoffnung, die in ihrem Herzen Wurzel gefaßt, aus zurotten und nahm sich vor, nie mehr an Liebe oder an Lord Harrick zu denken. Sie ließ die Hände, mit denen sie die ganz« Zeit ihr Gesicht bedeckt hatte, auf den Tisch sinken, der Silberreif raffelte dabei ein wenig, worauf Lord Harrick schüchtern fragte: „Denken Sie manchmal an mich, wenn Sie den Reif tragen?" „Das mutz ich ja", entgegnet« sie weich. Er reichte ihr dankend die Hand und hielt dann die ihrige fest. Sie bemerkte, wie das Blut in seine Wangen stieg und seine Augen glänzten. Unwillkürlich preßte sie die freie Hand gegen das Herz. „Werden Sie mir gestatten, Sie hier und da einmal in Mayfair zu besuchen?" Sie wollte ihrem Vorsatz, jeden Gedanken an ihn als Anbeter zu bannen, treu bleiben und antwortete daher ausweichend. „Ich weiß nicht, ob ich frei über mein« Zeit werde verfügen können, da ich nur die Gesellschafterin der Mrs. Lordson bin, wenn Sie dies« besuchen, werd« ich Sic vielleicht auch begrüßen dürfen." „Ich kenne di« Dame leider nicht." „Sie könnten aber im Laufe der Saison ihre Bekanntschaft machen, wenn Sie wollen." „Wo?" „Zum Beispiel bei Mr». Stonex, deren Donnerstage Sie wohl besuchen." „Verkehrt sie dort?" „Mr. Newton Marrix hat sie eingeführt." „Dann gehe ich schon nächsten Donnerstag dahin und lasse mächtiges Protektorat, ja wir dürfen uns hinfiiro ihrer liebe vollen uneigennützigen Vormundschaft erfreuen. Wer kann nun noch den englischen LiebeSwerbungcn widerstehen! Aber man berichtet unS weiter: * London, 25. November. (Telegramm.) In einer gestern Abend in der Handelskammer zu Croydon gehaltenen Rede sprach der HanLelSminister Ritchie sein Bedauern über die jüngste Differenz mit Frankreich aus und erklärte, es gebe kein Land, mit dem England in freundschaftlicheren Beziehungen zu leben wünsche, als Frankreich. Im weitere» Verlause seiner Rede sagte er mit Bezug auf Englands Handel, er könne nicht umhin, Unruhe darüber zu empfinden, daß England in feinen: Ausfuhrhandel so schnell eingeholt werde, namentlich durch Deutschland und die Vereinigten Staaten. Es fei bedauerlich zu erfahren, daß feit 189l diese Länder ihre Ausfuhr vermehrt hätten. Die Ausfuhr Frankreichs habe feit diesem Jahre um 1'/.>Proc.. die Deutschlands, Hollands und Belgiens zusammen um 12'/« Proc. und die der Vereinigten Staaten von Nordamerika um 18 Proc. zngenommen, während die britische Ausfuhr um 4 Proc. abgenommen habe. Man sollte indessen, fuhr der Minister fort, diesen Ländern die Steigerung ihrer Wohlfahrt nicht mißgönnen; denn so oft fremde Länder derartige Vorthcile genossen und reicher geworden feien, habe auch England dabei gewonnen. Das Gedeihen Deutschlands fei nicht allein aus Lessen höheres Unterrichtswesen, sondern auch aus den ausgezeichneten Stand seines Mittel schulwesens zurückzusühren und er hoffe, daß die englische Regie- rung diesem Punkte ihre Aufmerksamkeit zuwenden werde. Dieser „neidlose" Vergleich deutschen Aufschwungs mit eng lischem Rückgang auf deut Gebiet des Welthandels zeigt uuö in dankenswertber Weise, wem wir unsere Stellung in der Welt — Li« doch noch etwas imponirender ist, als diejenige Englands — zu verdanken haben: Uns selbst und deutscher Kraft und Bildung! Dietrick Grabbe sagt in einem seiner Kaiserdramen: „In Deutschland selbst liegt Deutschlands Kraft." Lassen wir's bei dieser unanfechtbare» Wahrheit bewenden und verzichten wir darauf, daß England unS hoch bebt. Wir haben die Kinderschnhe längst ausgetreten und suiden de» Wcg vorwärts und aufwärts ganz allein. Tie focialdemokratischc Mißwirthschast in der Loudoncr Gemeindeverwaltung hat eS jetzt glücklich dahin gebracht, daß in den Arbeiterkreisen der englischen Metropole die heftigste Mißstimmung wegen der unverant wortlichen Verschleuderung deS Geldes der Steuerzahler und der systematischen Preisgabe deS materiellen Interesses der Londoner Arbeiter die Oberhand gewinnt. Als die Führer der socialdemokratischen TradeunionS, unterstützt von ihren bürgerlich - demokratischen Affiliirten, in den County Council und in das städtische Arbeitsresiort ihren Einzug hielten, da thaten sie es »»ter dem Schlachtrufe: I^onckolr vorlc kor 1-onclon mon! Gegenwärtig aber liegt die Sache so, daß die von der hauptstädtischen Verwaltung zu vergebenden Lieferungen beinahe ausnahmslos und zu wesent lich erhöhten Preisen in die Provinz gehen, weil eS den Londoner Firmen schlechthin unmöglich ist, sich einer social demokratischen Control« in ihren eigenen EkablissemeniS zu unterstellen, die den Keim der Auflösung aller Fabrikordnung und geschäftlichen Disciplin in sich trägt. Geradezu vexatorisch sind die in den ArbeitScontractformularen des Tiefbauressorts, welches die meisten Aufträge in der Maschinenbranche vergiebt, sigurirendcn Bestimmungen, mich ihr vorstellen", sagte er eifrig. „Ich langweile mich zwar stets, wenn ich hingehe, denn Vie Gesellschaft ist mir zu künstlerisch." Während er eifrig sprach, blickte Capri verstohlen auf sein kurzgeschnittenes röthliches Haar, sein volles Gesicht, seine plumpen Hände und Füße und fragte sich, weshalb Mutter Natur gerad« ihm dieses wenig anziehend« Aussehen verliehen. „Es wäre mir gar zu schmerzlich gewesen. Sie aus den Augen zu verlieren", begann er zögernd. „Wirklich?" „Und ... und ich hoffe, es wäre Ihnen auch nicht angenehm gewesen . . ." „Was?" „Mich nicht mehr zu sehen." „Ich müßte das erst erproben", entgegnete sie lächelnd. „Sagen Sie das nicht. ... Es thut mir weh!" „Ich hoffe, Sie werden mich nicht auf die Probe stellen. . ." „Weshalb machen Si« sich über mich lustig?" fragte er ernst. „Das fällt mir ja gar nicht ein. Es ist mein sehnlichster Wunsch, in meiner neuen Stellung alle alten Freunde begrüßen zu können. ... Ich würde mich sehr einsam fühlen, wenn dies nicht der Fall wäre." „Wissen Sie, Latz ... . daß?" „Was?" „Daß ich zu ihren ir«uestcn Freunden gehLre Daß .... daß ich sie liebe!" Sie blieb bewegungslos sitzen und senkte die Lider. Er rückte zu ihr Heran, sie fühlte seinen warmen Athem auf ihrer Wange und den heißen Druck seiner Hand auf der ihrigen. Er hätte in diesem Moment willig sein halbes Vermögen geopfert für einen Kutz von ihren schwellenden Lippen, aber man hörte Schritte auf der Treppe und Capri erhob sich, so daß er ihre Hand freigeben mußte. „Es ist Papa", sagte sie und rückte ihren Stuhl zurück. Lord Harrick murmelte etwas zwischen den Zähnen, das einem Fluch nicht unähnlich war und wünschte den Hauptmann ins Land, wo der Pfeffer wächst. Die Thäire ging auf und dieser trat geräuschvoll ein. „Ah, Mylord, heute pünktlich!" rief er, sich tief verbeugend. „Ja, es ist 3 Uhr, und heute sind auch Sie ausnahmsweise pünktlich!" damit begab er sich in die Ecke, wo dir Rapiere standen und nahm das seinige zur Hand. Capri erhob sich, setzte ihren Hut auf, zog Handschuhe und Jacke an und wandte sich zur Thüre. „Wohin, mein Herz?" flötete der Vater zärtlich. wonach z. B. den tradeunionistischen Führern der jederzeitige Zutritt zu den Werkstätten der liefernden Firmen frei sieben und ihnen die Befugniß eingeräumt werden soll, die sofortige Entlassung solcher Werkmeister und Vorarbeiter zu bewirken, welche von ihnen als „vdjeetiouadle" erklärt werden. Und natürlich wird von den Socialdemokraten jeder Arbeiter „beanstandet", mag er in seinem Fache noch so tüchtig und in jeder Hinsicht noch so ehrenwerth sein, der nicht zu „ihren" Leuten gehört und den Befehlen derOberen blindlings gehorsamt. Nachdem es die hervorragendsten Firmen der LondonerMaschinen- brauche haben erleben müssen, daß ihre Offerten, obwohl weit aus die preiswürdigsien, cousequent abgelehnt wurden, weil sie auf die entwürtigenden Zumuthungen der socialdemokra tischen „Arbeitsordnung" sich nicht einlassen konnten, haben sie den weiteren Wettbewerb um die Ausschreibungen des Loudoncr Arbeitsressorls als zwecklos ausgegeben. WaS das für den Gemeindesäckel besagen will, erhellt daraus, daß die nach der Provinz vergebenen Aufträge sich in der Regel 10 bis 25 Procent im Preise Höker stellen. Die Provinzalfirmen machen dafür auch weniger Schwierigkeiten den vexatorischen Contractklauseln der Londoner TradeunionS gegenüber, weil sie, in Nordengland oder Schottland domicilirt, von eptem- porirten Schnüffeleien der Londoner Genossen nichts zu be sorgen haben. Trotz der befriedigenden Aufklärungen deS LandeSverthei- digungsministers Baron Fcjervary hat die Opposition im ungartschc» Abgeordnetenhaus« sich von Neuem mit Wucht aus die Hentzi-Denkmals-Angelegenheit geworfen und es ist wiederholt zu überaus stürmischen Auftritten (die im Einzelnen bereits geschildert sind) gekommen. Die parlamentarische Lage in Pest ist recht kritisch geworden, auf beiden Seiten herrscht große Erbitterung und besonders vie Opposition ist leidenschaft lich erregt, seit Baron Banfsy im Club der Regierungspartei erklärt hat, wenn die Obstrnction das Budgetprovisorium ver hindere, so bleibe nichts übrig, als ohne parlamentarische Er mächtigung die Geschäfte weiter zu führen. Es ist zu fürchten, Laß dw Opposition demgegenüber dazu schreiten wird, die Straße gegen Banffy aufzuwiegeln, der in den Augen eines TheilS der Opposition unfähig ist, Ungarn zu regieren, und daher mit allen Mitteln gestürzt werden soll, währenv der andere Thcil der Opposition die Obstruction zwar nicht billigt, aber unterstützt, um durch Verhinderung deS AuS gleiches die volle wirthschastliche Selbstständigkeit für Ungarn bcrbeizuzwingen. Wer da weiß, wie sehr das magyarische Volk an den parlamentarischen Einrichtungen hängt und darüber wacht, daß sie nicht geschmälert werden, kann den weiteren Ereignissen in Pest, die alle nur Folgewirkungen der von Badeni in Oesterreich entfesselten Wirren sind, nur mit Sorge entgegensetzen, zumal da auch noch eine unüber windliche persönliche Antipathie der Opposition gegen Baron Banffy tzinzukommt. Banffy hat zwar wiederholt und erst gestern wieder versichert, daß er das volle Vertrauen der Krone besitze, aber, wenn das auch Niemand bezweifelt, so lehrt doch die Geschichte des ungarischen Parlamentarismus, daß die unausgesetzten Drohungen und Einschüchterungen der herrschenden Partei und dem Monarchen schon mehr als einmal die Ueberzeugung beigebracht haben, der angegriffene Minister sei nicht länger zu halte». Banffy'S Stellung ist also durchaus nicht so sicher, wie er eS glauben machen will. „Zum Padre Pallamari; in einer Stunde bin ich wieder hier." Lord Harrick trat rasch vor, öffnet« die Thüre und sagte leis«: „Auf Wiedersehen!" Sie neigte leicht das Haupt, ohne aufzusehen, im nächsten Augenblick schloß sich die Thüre hinter ihr. Zehntes Capitel. Der alte Pallamari wohnte in dem gegenüberliegenden ruhigen, schmalen Quergäßchrn, das einst bessere Lage gesehen und noch immer von dem alten Ruf zehrte. Alle Häuser auf beiden Seiten sahen sich so ähnlich wie ein Ei dem anderen. Der Baumeister, der sie erbaut, hatte sein« Phantasie nicht zu sehr angestrengt, sie waren alle vier Stock hoch, harten alle die gleichen schmalen Hausthüren, die von den Miethern kontraktlich jährlich einmal dunkelbraun angestrichen werden mußten, jede Thur wies den gleichen Bronzeklopfer auf, zu jeder führte eine schneeweiße Steintreppe, die jeden Morgen gescheuert wurde, und fast in jedem Fenster erblickte man auch «inen weißen Zettel mit den fettgedruckten Worten: „Hier sind Zimmer zu vrrmieihcn." Das anständige Gäßchen hatte nur anständige, wenn auch arme Bewohner. In Nr. 3 z. B. lebt« ein französischer Tanz- merster, der in vornehmen Häusern Unterricht ertheilte. Wenn er Mittags das Haus verließ, blickte man ihm aus allen Fenstern nach, denn „Monsieur" kleidete sich nach der neuesten Pariser Modc, seine prachtvollen schwarzen Locken glänzten nicht weniger als die Lackstiefelchen, in denen seine zierlichcn Füße steckten, um die ihn manche englisch« Lady beneidete. Die ganze Straße — namentlich seine Zimmervermietherin — war stolz auf ihn, denn Niemand grüßte so höflich, verbeugte sich so schön und sah so elegant aus wi« „Monsieur". Drüben in Nr. 10 wohnt« der Requisiteur eines kleinen Theaters mit seiner Frau. Auch sie waren achtbare Leut«, wenn gleich sie fast nie zur Kirche gingen und Abends sehr spät heim kehrten. Das gehörte zwar zu ihrem Beruf, aber man würde es ihnen vielleicht doch nicht verziehen hab«n, wenn sie nicht bald Dem, bald Jenem Theaterkarten geschenkt hätten. In Nr. 8 wohnte «in ehrbare» altes Fräulein, die tagsüber fleißig schneiderte und Abends die blutrünstigsten Roman« las oder die schauerlichsten Melodramen besuchte. Miß Bank», dies ihr Name, war ob ihrer „Bildung" allgemein geachtet und auch die Einzige, die der alte Pallamari hier und da mit seinem Besuch beehrte. Er selbst bewohnte ein Dachstübchen in Nr. 13. „Es ist nahe dem Himmel", sagte «r einst zu Capri, al» diese ihn aufmerksam machte, daß die vielen Stufen ihn schon zu sehr
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