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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.11.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981128020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898112802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898112802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-11
- Tag1898-11-28
- Monat1898-11
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De zember ein katholischer Feiertag ist, so stehen für die Be- rathungen deS Reichstags vor Weihnachten nur etwa »ebn SitzungStage zur Verfügung, in denen bei dem größten Fleiße rur der Etat und die in unmittelbarem Zusammenhänge damit eingebrachten Vorlagen in erster Lesung erledigt werden können. Erwägt man ferner, daß in den Reichstag zahlreiche Abgeordnete neu eingetreten sind, die einander und den alten Parlamentariern erst persönlich näher treten müssen, bevor sie, ohne Verwirrung und Zeitverlust herbeizuführen, ihren Thatendrang befriedigen können, so ist jedenfalls die Mahnung am Platze, aus Rücksicht auf eine ersprießliche Erledigung der Reichstagsgeschäfte zunächst in der parteipolitischen Initiative etwas Zurückhaltung zu üben. Uebrigens gewinnt es den Anschein, als ob die Präsidentenwahl nicht ganz glatt vor sich gehen werde. Bekanntlich hatte die „Kreuzztg" gelegentlich einer Erörterung über die Zusammen setzung des Präsidiums die Niederlegung eines Kranzes durch die Abgeordneten vr. Spahn und vr. Bachem auf dem Grabe des Fürsten Bismarck als eine Sühne für die verweigerte BiSmarck-Ehrung vom 23. März bezeichnet, welche die Wahl eines Centrumsmitgliedes zum ersten Präsidenten erleichtern müsse. Gegen diese Auffassung wird nun auf das Entschiedenste proteslirt in einer Zuschrift an die ultramonlane „Köln. Volkszeitung", in der mit der größten Schärfe erklärt wird, das Centrum brauche seine Haltung am 23. März 1895 weder zu bedauern, noch gut zu machen. Man wird nun schwerlich umhin können, dem vom Centrum präsentirten PräsidentschaftScandidaten die Frage vorzulegen, welche Bedeutung er jener Kranzspende beilege und wie er sich an der Stelle der Herren vr. Spahn und vr. Bachem verhalten haben würde. Wie aber auch die Antwort lauten mag, für den Reichstag ent hält die ganze Kranzangelegenheil die Mahnung, baldigst Vorkehrungen zu treffen, daß für alle Fälle, mag nun der Reichstag versammelt sein, oder sich in den Ferien befinden, oder die Legislaturperiode beendet sein, immer eine geordnete Repräsentation der Volksvertretung vorhanden ist und zwar mit so viel Stellvertretern, daß unter allen Umständen eine genügende und angemessene Vertretung des Reichstages möglich ist und daß nicht willkürlich ein Abge ordneter sich zur Repräsentation berufen fühlen kann, wie in diesem Falle der Abgeordnete vr. Bachem, der nicht mehr Befugniß dazu hatte, als die 396 anderen Abgeordneten. Der Münchener „Allgem. Ztg." war bekanntlich aus Stuttgart gemeldet worden, infolge der persönlichen Rück sprache des Kaisers mit dem Prinz-Regenten von Bayern und dem König von Württemberg sei in der lippischen Frage eine Wendung eingetreten, die allen Vaterlandsfreunden zur Befriedigung gereichen könne; eS sei zwischen dem Kaiser und der Mehrzahl der größeren Bundesfürsten eine Uebereinkunft dabin erzielt worden, daß auch in der Behandlung dieser Frage die großen nationalen Beziehungen den Aus schlag geben müßten. Zu dieser Meldung hatten die „Münchner Reuest. Nachr." bemerkt, eS möge wohl zutreffend sein, daß die lippische Angelegenheit einen Gegenstand der Unterhaltung zwischen dem Kaiser und den Regenten der süd deutschen Staaten gebildet habe; davon aber, daß die Angelegen heit bereit« eine günstige Wendung genommen habe, könne Wohl nicht die Rede sein; die lippische Sache sei zu ver worren, als daß sie nicht noch viel Zeit zu ihrer allmählichen Erledigung bedürfe. Daraus antwortet nun die„Allgem.Ztg": „Man mag darüber völlig beruhigt sein. Wir hätten die Nach richt, über deren Tragweite wir uns klar sind, nicht mit solcher Bestimmtheit gegeben, wenn sie nicht über jeden Zweifel erhaben wäre. Das wird die nächste Zukunft erweisen." Warten wir also die „nächste Zukunft" ab. Die frei- conservative „Post" thut dies nicht; sie zerbricht sich nicht den Kopf darüber, wie infolge einer Unterredung des Kaisers mit zwei süddeutschen Fürsten über die lippische Angelegenheit im Fluge eine Uebereinkunft zwischen dem „Kaiser und der Mehrzahl der größeren Bundeöfürsten" habe entstehen können, sondern schreibt frischweg: „Heinrich von Treitschke sagte einmal, daß in jeder ent« scheidenden Stunde, von 1871 bis heute, dem deutschen Kaiser ein Rath zur Seite gestanden habe, der zwar nicht in den Paragraphen der Reich-vrrfassung stehe, aber dennoch augenscheinlich vorhanden sei und neben Bundesrath und Reichstag auf das Wohl der deutschen Lande sinne: dies sei der deutsche Fürstenrath. Und fürwahr, daß dieser existirt, bezeugt die Geschichte unserer Tage laut genug. Soeben noch verkünden die in den Blättern erscheinenden „Gedanken und Erinnerungen" deS Fürsten Bismarck der Mitwelt, ein wie lebhaftes Interesse die deutschen BundeSsürsten seit 1871 an der Entwickelung unserer ge« sammtea nationalen Politik genommen haben, wie sie mit Rath und That den verantwortlichen Leiter unterstützten und aufmunterten, und schon tritt abermal- ein Act des Fürstenraths in die Erscheinung, der im Süden und Norden deS deutschen Reiches mit gleich Herz, sicher Freude begrüßt werden wird. . . Freilich meint auch die „Post", man gebe zu weit, wenn man schon von einer „Erledigung" der lippischen Frage rede; der dem Bundesrath vorliegende Antrag deS Fürsten zu Schaumburg-Lippe werde seinen ordnungsmäßigen Gang gehen; trotzdem fährt das Blatt fort: „Jedenfalls hätte Kaiser Wilhelm bei dem Wicderbetreten des deutschen Bodens sein Herrscheramt nicht schöner wieder aufnehmen können, als mit diesem hochherzigen Acte, der uns seine liebenswürdige und versöhnliche Gesinnung, sowie seine politische Einsicht in Hellem Lichte zeigt." Wir begnügen uns mit dem Ausdrucke des Wunsches, daß die leidige Angelegenheit baldigst von großem nationalen Gesichtspunkte aus erledigt werde, und verzichten vorläufig darauf, retrospektive Betrachtungen über die Gründe anzu stellen, die bisher die nationalen Gesichtspunkte nicht haben wirksam werden lassen. Nur auf den anscheinend osficiösen Versuch, den Nachweis zu führen, daß staatsrechtlich der Graf- Regent von Lippe eine andere Stellung einnehme, als der Fürst von Schaumburg-Lippe, nochmals zurückzukommen, können wir uns nicht versagen. Wer daS behauptet, ver wechselt besten Falles da« Staatsrecht mit dem höfischen Ceremoniell. Die untergeordnete Rolle, die dieses Ceremoniell i in nationalpolitischen Angelegenheiten spielen sollte, bat König Albert dadurch gekennzeichnet, daß er bei der ! Thronbesteigung Kaiser Wilhelm'S II. dem Prinzregenten von Bayern als dem Repräsentanten deS zweitgrößten Bundes staates den Vorrang eiuräumte. Die ZSe-Frage, die dadurch entstan'.en ist, daß die tschechischen Reservisten unter der Einwirkung der nationalen Agitation bei den Controlversammlungen sich mit „Zde", statt, wie vorgeschrieben ist, in der Dienstsprache mit dem deutschen „hier" meldeten, ist noch keineswegs geschlichtet. Tschechische Blätter behaupteten, die Kriegsverwaltung habe angeordnet, daß die Reservisten beim Namensaufruf nicht mehr zu antworten, sondern nur vorzutreten brauchen. Man mußte dieser Meldung Glauben schenken, da in den Control versammlungen zu Tabor und anderen Orten wirklich darnach vorgegangen wurde. Aus einem Erlasse des Kriegsministcrs ergiebt sich indcß, daß hier eine Eigenmächtigkeit vorliegt, die geahndet wurde, und daß die Meldungsvorschrift nicht geändert wurde. Einer tschechischen Studentenversammlnng wurde von Finanzminister Kaizl, der bekanntlich selbst ein Tscheche ist, der Bescheid, die Regierung könne nichts thun, da sie keinen Einfluß auf die Militärverwaltung habe. Die Prager „Politik" findet das befremdend und plaudert aus, die Regierung habe dadurch, daß sie eine günstige Erledigung der Zde-Frage in Aussicht stellte, die Jungtschechen bestimmt, in der Delegation für die von der Kriegßverwaltung ohne gesetzliche Ermächtigung verausgabten 30 Millionen zu stimmen. Der Tschechenclub, der durch sein Eintreten für den schlechten Ausgleich zu Gunsten der Regierung sich verblute, müsse in der Zde- Frage etwas erreichen und nöthigenfallS daraus einen Oasus belli machen. Der Jungtschechenclub ließ sich das nicht zweimal sagen. Er erklärte, der Zwang der deutschen Meldung bei den Controlversammlungen berühre das nationale Empfinden des ganzen tschechischen Volkes auf das Schmerz lichste und der Club werde dem Kriegsminister gegenüber an der entsprechenden Stelle die Folgerungen ziehen. Damit ist dem Kriegsminister offenbar die Opposition in der Delegation angedroht. Daß eine so chauvinistische Partei wie die jung tschechische mit ihren Forderungen vor der Armee nicht Halt machen werde, war freilich unschwer vvrauSzusehen und wir sagten eS bereits voraus. Unter dem Vorwand, die nationale Ehre erfordere es, haben die Tschechen fast alle ihre Forderungen verfochten und auch durchgesetzt. Wir setzen voraus, daß dieser letzte Anspruch doch an der gemein samen Armee zu Schanden wird. Da der französische Haushalt für daS Jahr 1899 einen Mehraufwand von 86 Millionen erfordert, so hat auch die jetzige Regierung der Kammer wieder wie allen vorigen einen Einkommensteuer-Entwurf vorgelegt, von dessen Ein führung eine Einnahme von 175 Millionen erwartet wird. Das Einkommen soll unter Zugrundelegung der Wohnungsmiethe durch eine ziemlich schwierige Rechnung er mittelt werden, wobei dieMiethen in sünfStufengetheilt werden, dessen niedrigste in Paris bis zu 400 Fres., auf dem Lande bis zu 50 Fres. angenommen wird. Auf der höchsten Stufe stehen für Paris Miethen über l2 000 FrcS., auf dem Lande solche über 700 Frcs. Diese Mietbe wird nun je nach der Stufe um das 4-, 5-, 6-, 8- und lOfache vermehrt, um unter Zuschlag der sür die vorangehenden Stufen berechneten Ein nahme das Einkommen zu finden. So wird beispielsweise für die niedrigste Stufe in Paris ein Einkommen von 2000 FrcS. berechnet, jür die fünfte Stufe mit 12 000 Frcs. Miethe ein solches von 137 000 Frcs., während auf dem Lande die Mietbe von 700 Frcs. einem Einkommen von 10 000 Frcö. entspricht. Das so ermittelte Einkommen wird alsdann aufsteigend mit einer Steuer von 2—10 Proc. belegt. Die wohlhabenden Classen sollen noch weiter herangezogen werden, indem durch das Halten von Dienstboten, Wagen, Pferden und Hunden ihre Einnahme entsprechend erhöht wird. Diese Erhöhungen richten sich nach der Größe der Wohnplätze, welche in fünf Classen eingetheilt sind, so daß z. B. in Städten von über 100000 Einwohner für das Halten eines männlichen Dienstboten ein Zuschlag zum Einkommen in der Höhe von 2100 Frcs. gemacht wird, in Städten bis zu 2000 Einwohner ein Zu schlag von 1200 FrcS., in Paris aber 2400 Frcs. Für einen weiblichen Dienstboten beträgt der Zuschlag zum Einkommen 400—800 Frcs. und für jeden weiteren Dienstboten 800 bis 1600 FrcS. Für jeden Wagen wird ein Zuschlag von 400 bis 2000 Frcs. erhoben, sür jedes Pferd eben so viel, so baß beispiels weise in einer Stadt von über 100 000 Einwohnern das Halten eines Wagens nebst Kutscher die Erhöhung des Einkommen ansatzes um 6600 Frcs. zur Folge hat. Ein Motorwagen erhöht das Einkommen um 3000 FrcS., während ein einfaches Fahrrad jetzt schon mit 10 Francs jährlicher Steuer belegt wird, wodurch im letzten Jahre rund 4 Millionen Einnahmen erzielt wurden. Auch daS Halten von Hunden hat Einfluß auf die Berech nung des Einkommens, indem für jeden Hund sich das Ein kommen um 100 Francs erhöht. Da in Frankreich zahlreiche Meuten von 20, 30 und mehr Stück gehalten werden, so ist auch diese Steuer nicht unwesentlich. Bei allen Einkommen, welche in Paris 20 000 Francs, in Städten der andern Classen 12 000—5000 Francs nicht übersteigen, wird beim Vorhanden sein mehrerer Kinder ein Abzug gemacht und zwar bei 2 Kin dern r/to des Einkommens, bei 3 Kindern 2/^ u. s. w., bei 7 Kindern v/l« des Einkommens. Für diejenigen aber, welche in der günstigen Lage sind, selbst Häuser zu besitzen, wird ebenfalls der Miethwerth der Hauser berechnet, wobei Gärten, Fischteiche und Luxuseinrichtungen erhöhend in Rechnung ge zogen werden. Bei der Abneigung der besitzenden Classen Frankreichs, die das Staatsruder in der Hand halten, ist es jedoch kaum wahrscheinlich, daß diese Reform der Einkommen steuer, so mangelhaft sie auch sein mag und soweit sie noch von der ausgleichenden Gerechtigkeit des progressiven Steuer systems entfernt ist, ihren Weg vom Papier in die Wirklich keit finden werde. In Rutzland erwartet man mit Ungeduld die Rückkehr des deutschen Kaisers nach Berlin. Die Ursache dieser Ungeduld liegt in der Aufregung, welche die Rede Chamberlain's über die Bereitwilligkeit Deutschlands, die englische Politik im fernen Osten und in Afrika zu unterstützen, in der russischen Presse hervorgerufen hat. Man erwartet nun in Rußland, daß Kaiser Wilhelm II. unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Berlin die Hoffnungen des englischen Colonienministers auf Deutschlands Unterstützung nicht erfüllen werde. Dieser Erwartung giebt die „Nowoje Wremja" lauten Ausdruck, indem sie sagt, unter allen wich tigen Fragen, deren Lösung der Ankunft des deutschen Kaisers harrt, steht die in Manchester abgegebene Erklärung Chamber lain's von der angeblichen Bereitwilligkeit Deutschlands, Eng lands Politik im fernen Osten zu unterstützen, im Vorder gründe. In Rußland sei man der Ueberzeugung, daß diese Erklärung von Kaiser Wilhelm II. nicht ohne Antwort ge lassen werden könne; sollte dieser unwahrscheinliche Fall dennoch eintreten, so werde man in Rußland annehmen müssen, daß in Berlin thatsächlich die Absicht bestehe, die Ansprüche, welche England au Rußland und Frankreich zu Feirrlletsir, Die Lettelmaid. Ibj Roman von Fitzgerald Molloy. Nachdruck »erboten. Capri entgegnete trocken: „Also die Geschichte ist ein für allemal erledigt! Mrs. Lordson wünscht, daß ich Sonnabend mein Amt antvete." „Das kannst Du", sagte er seufzend, schlürfte den letzten Rest Whisky und schnalzte vergnügt mit der Zunge. „Papa", plauderte Capri weiter, froh, so leichten Kaufs davongetommen zu sein, „wenn Du wirtlich glaubst, daß Du Dich ohne mich einsam fühlen wirst, warum verheirathest Du Dich nicht?" Er sah sie nur vorwurfsvoll cm. „O, ich habe wirklich nichts dagegen, meine Einwilligung hast Du." Das Taufelchen in ihrer Brust war wieder erwacht. „Ich werde zur Trauung kommen, Thränen vergießen und aus rufen: Gott segne Euch, meine Kinder!" Dabei erhob sie sich, nickte dem Vater lachend zu und schlüpfte zur Thür hinaus. Draußen verschwand ihre gute Laune sofort, sie blickte ernst drein und Thränen füllten ihre Augen, als sie vor sich hinflüsterte: „Armer Marc! Was wird er von mir denken?" Zwölftes Capitel. Nachdem Capri sich von Lord Harrick verabschiedet hatte, um Padre Pallamari zu besuchen, blieb der Vicomte während der ganzen Fechtstunde sehr zerstreut. Er sprach nie viel mit seinem Lehrer, aber heute beantwortet« er nicht einmal die an ihn gestellten Fragen, denn er dachte nur an das reizende Antlitz des jungen Mädchen-. Noch ehe die Stund« beendet, legte er sein Rapier zur Seite, schützte Ermüdung vor, reichte dem Hauptmann eine Cigarre und empfahl sich. Ueber eine Viertelstunde schlenderte er in der Euston-Road umher, in der Hoffnung, die zurückkchrende Capri zu treffen, dann rief er eine Droschke herbei und ließ sich nach Pall-Mall in seinen Club fahren. Hier begab er sich ganz gegen sein« sonstige Gewohnheit sofort in den Lesesaal, setzte sich an eines der Fenster, die auf die belebte Pall-Mallstraße mündeten und hing seinen Gedanken nach. Er wußte, daß er hier am un gestörtesten blieb, denn das Zimmer war fast leer. Die vielen TageSblätter und Wochenschriften würdigte er heute ebenso wenig eines Blickes wie sonst. Was kümmerte es Lord Harrick, ob ganze Inseln versanken, Menschen ertranken, in Kohlenminen verschüttet wurden, in Theatern verbrannten, durch Erdbeben umkamen u. s. w.? Seinethalben mochten sich die Welten in der umgekehrten Richtung bewegen, die epochemachendsten Er findungen gemacht werden, die Kunst neue Wunder hervor bringen, die Philosophie noch nie dagewesene Principien ent wickeln: all diese Dinge konnten ihn persönlich nicht berühren. Wozu brauchte er also Zeitungen zu lesen? Und doch kam er täglich in den Club, um die Zeit todtzuschlagen, er spielte Billard, traf Bekannte und Freunde, machte neue Bekanntschaften, beachtete vom Fenster aus die auf der Straße hin- und her- fluthende Menschenmenge, nahm sein Gabelfrühstück ein und schlenderte in den Rauchzimmern umher. Heute befriedigten ihn all diese Genüsse nicht, sondern er blieb nachdenklich im Lesezimmer sitzen. In seinem Kopfe schwirrten die Gedanken bunt durcheinander — für ihn ein seltenes Ereigniß, denn als englischer Pair hatte er es nicht nöthig, sein Gehirn anzustrengen, um so weniger, als seine Agenten, Diener und Freunde für ihn dachten und handelten, und zwar stets zu seiner Zufriedenheit und ihrem Nutzen. Die Ide«, die heute sein ganzes Denken in Anspruch nahm, und deren er sich nicht erwehren tonnte oder wollte, verwirrte ihn, und doch mochte er in diesem Fall weder seine Diener noch seine Freunde um Rath fragen. Sollte er Capri, dieses ent zückend« Wesen, zu seinem Weib« machen oder nicht? Ihre wundervollen, fruchtschimmernden, sanften Augen verfolgten ihn. In welch feine Dame könnte sie sich in wenigen Monaten ver wandeln! Ihr gewinnendes, reizendes Wesen, ihre Anmuth würden jedem Salon zur Zierde gereichen. — Noch kein Weib hatte bisher vermocht, solche Gefühle in ihm wachzurufen. — Er konnte heute weder essen noch trinken noch rauchen, sondern nur stillsitzen und an daS schöne, eigenartige Mädchen denken, das in seinem Herzen einen Funken entzündet hatte, der zur Hellen Flamme aufloderte und ihn zu verzehren drohte. Sollte er sie zu seiner Frau machen und sich nicht darum kümmern, was „die Welt" dazu sagen würde? Wenn es sich um den Kauf eines Pferdes oder eines Hauses handelte, müßte er wohl erst seine Freunde zu Rache ziehen, aber die Wahl einer Gattin ist doch ein« ganz andere Sache, da kam nur sein Geschmack in Betracht. — Er hatte keine nahen Verwandten, die sich in seine intimen Angelegenheiten mischen konnten. — Die Mutter starb bei seiner Geburt, und an den Vater vermocht« er sich kaum zu erinnern. Er war Herr seines Willens, — warum sollte er sich nicht einen eigenen Herd gründen, statt sein ein sames Leben fortzuführen? Er wunderte sich darüber, daß ihm erst heute die Jd«e gekommen, war er doch schon dreiundzwvnzig Jahre alt und hatte also das richtige Alter, einen Hausstand zu gründen und eine Frau zu wählen. Als gewissenhafter Staats bürger hatte er sogar die Pflicht, dies zu thun. Aber durfte er, Lord Harrick, ein Mädchen von dunkler Abkunft heirathen, dessen Vater Fechtmeister war und in einer schlechten Straße in Hinterzimmern wohnte? Da lag der Stein des Anstoßes. Was wird die Welt sagen? Er selbst fragte nicht viel darnach, aber er wußte, daß „die Welt" oder „die Gesellschaft" gleichbedeutend sei mit einer Anzahl von Leuten, die sich ihre eigenen Gesetze machen, ihre eigenen Idem über bestimmte Gegenstände bilden und ihre Vorurtheile haben, die man nicht besiegen kann. Er selbst könnte ganz unabhängig von diesen eingebildeten Gesetzen, Meinungen und Vorurtheilen leben, aber würde auch sein zukünftiges Weib es auf die Dauer können? Oft ist es für ein Weib Lebens- bedürfniß, was für einen Mann keine Bedeutung hat. Lord Harrick, der sich keiner besonders lebhaften Beobachtungs gabe erfreute, hatte dennoch bemerkt, daß alle Mütter und deren hei rathsfähige Töchter nach ihm angelten und ihn als besonderen Treffer in der Ehestandslotterie betrachteten; er war überzeugt, daß jedes Mädchen, das sich ihm näherte, ihn als ihren zu künftigen Gatten betrachtete, den sie sich durch List oder Koketterie erobern müsse. Er wußte, daß er in ihren Augen nichts an Werth verlieren würde, wenn er der verworfenste Don Juan, der gemeinste Judas, der hinterlistigste Vaterlandsverräther wäre, so lange ftin Titel alle Sünden und sein Goto olle Schmach ver decken konnten. Diese Erfahrungen ließen ihn das schöne Ge schlecht in den Reihen "der oberen Zehntausend meiden, überdies hatte ihn noch keine Lady in so hohem Grade zu interessiren ver mocht, wie die Tochter seines bürgerlichen Fechtmeisters. „Capri hat sich noch niemals Mühe gegeben, mir zu gefallen", sagte er sich. — „Die Mädchen meines Standes sind stets so auf fällig freuiMich mit mir; sie lieben Alles, was ich liebe, ver abscheuen, was ich verabscheue und tauchen immer dort auf, wo ich mich gerade befinde. Die Kleine thut nichts von all' diesen Dingen, scheint auch nicht nach mir zu fragen und ich bete sie an, tws steht fest. Sie ist ein schrecklich liebes und aufrichtiges Ding und ich bin überzeugt, daß ich mit ihr viel glücklicher werden könnte als mit jedem anderen W«ibe auf Erden, wenn sie mich nur heirathen wollte. — Als ich heut« ihre Hand in die meinige nahm, zog sie sie nicht zurück, das ist ein günstiges I Zeichen; auch trägt si« das Armband, das ich ihr schenkte. — Ich hätte mich sicherlich erklärt, wenn der dumme Hauptmann uns nicht im entscheidenden Augenblick gestört hätte." Er verfiel in eins angenehme Träumerei und sah sich als glücklichen Gatten Capri's. Während er so in Gedanken ver sunken dasaß, trat ein Herr ins Lesezimmer, der um einige Jahre älter sein mochte als Lord Harrick. Er ging von Tisch zu Tisch und blätterte flüchtig in mehreren Zeitschriften. Als er in die Ecke kam, wo der Vicomte wachend träumte, stutzte er und beobachtete ihn ein Weilchen; dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht, er berührte die Schulter des Lords und sagt«: „Guten Tag, Harrick! Wie geht's Dir?" „Hallo, Guy! Wie kommst Du so plötzlich hierher?" rief dieser, überrascht aufspringend und dem Freunde herzlich die Hand schüttelnd. „Ich hätte e'her einen Geist zu sehen erwartet als Dich!" Guy Rutherford, der mit feiner unerwarteten Ankunft Lord Harrick in solch' freudiges Erstaunen versetzte, erfreute sich einer Erscheinung, di« man nicht leicht vergessen konnte. Sein Gesicht war nicht so schön wie charakteristisch, es verwirrte und inter- efsirte Jeden, der Physiognomien zu lesen verstand, denn Weich heit und Strenge, Güte und Härte, Munterkeit und Melancholie warm darauf verzeichnet, — ein "Gemisch, das auf ein originelles Ganze schließen ließ. Aus seinem sonnverbrannten Gesicht guckten rin Paar geistvoller, stahlblauer Augen mit einem selbst bewußten und doch gutmllthigen Ausdruck in di« Welt; auch die gerade, kräftig gebaute Nase bekundete Energie, dagegen ließ die untere Partie des Gesichts auf eine gewisse Weichheit schließen, namentlich ein Zug um den kleinen, vollen, sinnlichen Mund. Nicht, daß dies« Charaktereigenschaften auf den ersten Blick zu Tage getreten wären, nein, man mußte ihn erst sprechen hören oder nachdenken sehen. Mit der Schnelligkeit eines Blitzes prägte sich alsdann bald diese, bald jene Stimmung darauf aus und verschwand wieder ebenso schnell. Sein interessanter Kopf saß auf einer vollendeten Gestalt von mittlerer Höhe und großer Ge schmeidigkeit, die an die traditionelle Schönheit der jugendlichen griechischen Athleten erinnerte. Lord Harrick schüttelte ihm immer wieder von Neuem die Hand und konnte sich kaum von seiner U«berraschung erholen. „Nein, wie ich mich freue, Dich «üblich wiederzusehen", rief er ein über das andere Mal aus. „Als ich Dir das letzte Mal schrieb, weilte ich in Egypten." „Ja, das ist aber schon länger als «in Jahr her, wenn ich mich recht erinnere." „Ich habe seither stets dort gelebt." „Seit wann bist Du in Lorchon?"
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