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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.12.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981206026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898120602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898120602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-06
- Monat1898-12
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Di« Morgcn-AuSgabe erscheint mn '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentag» um 5 Uhr. Ne-action und Erpeditiou: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr- Filialen: Ltto Slemm's Sorttni. (Alfred Hahn)» Universitätsstraße 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Katharinenstr. 14, Part, rod KönigSplatz 7. BezugSPreiS Hauptexpedition oder de« im Stadt» "Kirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, der zweimaliger täglicher Zustellung ins hau» 5.50. Durch die Pose bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandiendupg tu» Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. WxMr.TagMllü Anzeiger. AmtsAatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes nn- Volizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen.Pret- die 6 gespaltene Petttzeile LV Pfg» »erlamen unter dem RedactiorBstrich (»M» spalten) SO >4, vor den Famililmnachrichte» (6 gespalten) 40^. Gröbere Schritten laut unserem PreiS- verzeichuiß. Tabellarischer und Zifsernsatz nach höherem Tarif. Extra-Vellage« (gefalzt), nur mit de, Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderunx ^ll 60.—, mit Postbesörderuvg 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: Nachmittag» »Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anreizen sind stet» an die Expeditio» zu richten. Druck und Verlag von S. Pwlh tu Leipzig «18. Dienstag den 6. December 1898. 92. Jahrgang. Die Eröffnung -es Reichstags. Die 10. Legislaturperiode des deutschen Reichstags ist, wie uns der Telegraph meldet, heute um 12 Uhr Mittags im Weißen Saale ves königlichen Schlosses zu Berlin vom Kaiser mit folgender Thronrede eröffnet worden: „Geehrte Herren? Bei dem Beginn einer neuen Legislatur periode habe Ich Sie zu Mir entboten, um Sie als die gewählten Vertreter des deutschen Volkes Namens der verbündeten Regierungen willkommen zu heißen. Möchte es Ihrer selbstlosen Thätigkeit gelingen, die zahlreichen und wichtigen gesetzgeberischen Aufgaben, die Ihrer harren, einem der Wohlfahrt des Vaterlandes dienlichen Abschluß entgegenzusühren! Der weitere Ausbau der socialen Gesetzgebung liegt den ver bündeten Regierungen nach wie vor am Herzen. Auf diesem Gebiete wird Ihnen wiederum ein Gesetzentwurf zugehen, der den Mängeln der Jnvaliditäts- und Altersversicherung in wesentlichen Beziehungen abzuhelfen sucht. Durch eine Novelle zur Gewerbeordnung soll der den gewerblichen Arbeitern bereits gewährte Schutz vor Gefahren für Leben, Gesundheit und Sittlichkeit auf die Gehilfen und Lehrlinge im Handelsgeschäft aus gedehnt und gleichzeitig Mißständen gesteuert werden, die sich namentlich in der Consections-Jndustrie gezeigt haben. Eine besondere Vorlage schlägt Ihnen vor, die Zulassung von Beauf tragten zur Vertretung der Parteien im patentamtlichen Verfahren gesetzlich zu regeln. Der Terrorismus, durch den Arbeitswillige an der Fortsetzung oder Annahme von Arbeit gehindert werden, hat einen gemeinschädlichen Umfang angenommen. Das den Arbeitern gewährleistete Coalitionsrecht, das unan getastet bleiben soll, darf nicht dazu gemißbraucht werden, das höhere Recht: zu arbeiten und von der Arbeit zu leben, durch Einschüchte- rung oder Drohung zu vergewaltigen. Hier die persönliche Freiheit und Selbstbestimmung nachdrücklichst zu schützen, ist nach Meiner und Meiner hohen Verbündeten Ueberzcugung ldie unabweisbare Pflicht der Staatsgewalt. Hierzu reichen aber die bestehenden Strafvorschriften nicht aus; sie bedürfen deshalb der Erweiterung und Ergänzung. Diesem Zwecke entspricht ein Gesetzentwurf zum Schutze des gewerblichen Arbeitsverhältnisses, dem Sie, wie Ich zu versichtlich erwarte, Ihre Zustimmung nicht versagen werden. Nach Vorschrift des Bankgesetzes ist bis zum Abläufe des nächsten Jahres zu beschließen, ob das Privilegium der Reichsbank von Neuem verlängert werden soll; ;Sie dürfen entsprechenden Vor schlägen entgegensehen, die gleichzeitig bestimmt sind, dem Reichs- bankinstitute die Erfüllung seiner finanzpolitischen Aufgaben zu er leichtern, ohne die erprobten Grundlagen unserer Bankgesetzgebung zu verlassen. Um den Gefahren zu begegnen, die der Verkehr mit un untersuchtem, zum menschlichen Genüsse bestimmtem Fleische, sei es in- oder ausländischer Herkunft, mit sich bringt, wird von Len verbündeten Regierungen die allgemeine Einführung der Schlachtvieh- und Fleischbeschau erwogen. Ein diesen Gegenstand regelnder Gesetzvorschlag wird Sie, wie Ich hoffe, noch in dieser Tagung beschäftigen. Der in der vorigen Legislatur- Periode nicht verabschiedete Gesetzentwurf über einige Aenderungen aus dem Gebiete des Post-Taxwejens und der grundsätzlichen Rechte der Post wird in umgearbeiteter und erweiterter Fassung von Neuem Ihrer Beschlußfassung unterliegen. Aus Billig keitsrücksichten ist darin eine Entschädigung der durch die Er weiterung des Postzwangs unmittelbar Geschädigten vorgesehen; hinzugekommen ist die Neuordnung des Post-Zeitungstarifs. Um den breiten Schichten der Mittelclassen, die kein Girokonto bei der Reichsbank halten können, einen billigen und bequemen Weg für die Ausgleichung kleinerer Zahlungen zu schaffen, wird beabsichtigt, ein Check- und Ausgleichungsversahren durch Vermittelung der Postanstalten einzurichten. Den Bedürfnissen des mächtig fortschreitenden Fernsprech wesens soll eine Gesetzesvorlage dienen, die der Telegraphen verwaltung die Benutzung der öffentlichen Wege mehr als bisher sichert. Di« Einnahmen des Reiches haben auch im verflossenen Rechnungsjahr und bis zur Gegenwart eine stetig steigende Ent wickelung gezeigt. Der Reichshaushaltsplan sieht neben dem Auf wande für die Aenderungen der Heeresorganisation reichliche Mittel vor für weitere Verbesserungen der Lage zahlreicher Classen unterer und mittlerer Beamten, sowie für die Förderung allgemeiner wirthschaftlicher Interessen, insbesondere in den Colonien. Wenn infolgedessen zur Herstellung des Gleichgewichts in höherem Maße als in den letzten Jahren auf Anleihen zuriickgegriffen werden muß, so ist doch bei der ungewöhnlichen Höhe der einmaligen Ausgaben zu erwarten, Laß solche in auch nur annähernd so hohen Beträgen nicht wiederkehren werden und daß mithin die Noth- wendigkeit einer stärkeren Anspannung des Credits nur vorüber gehend sein wird. Mit Rücksicht auf den bevorstehenden Ablauf des zur Zeit für die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres giltigen Gesetzes werden Ihnen zwei Gesetzesvorlagen zugehen, welche Len Zweck verfolgen, wesentliche Lücken unseres Heerwesens zu besei tigen. Mit dem Anwachsen der Armee hat die Schaffung der C o m m an d o ste l l e n nicht überall gleichen Schritt gehalten, und es bedarf an einigen Stellen einer ander weitigen, die Einwirkung der Führer mehr gewährleistenden Gliederung der vorhandenen Verbände. Auch ist bei einzelnen Waffengattungen, um den im Ernstfälle zu stellenden An- forderungen und den Fortschritten der Technik gerecht werden zu können, eine Vervollständigung der Organisation nicht länger aufschiebbar. Hierbei soll der finanziellen Leistungs fähigkeit des Reiches durch allmähliche Durchführung der noth- wendigen Aenderungen Rechnung getragen werden. Ich vertraue, Laß Sie sich von der dringenden Nothwendigkeit der Vorschläge der verbündeten Regierungen überzeugen und durch die Bewilligung der erforderlichen Mittel der Armee die Erfüllung ihrer hohen Auf gabe, ein zuverlässiger Schutz des Friedens und des Vaterlandes zu sein, auch in Zukunft ermöglichen werden. Der Voranschlag für die Marine ist durch das Flottengesetz vorgezrichnet und hält sich im Rahmen desselben. Die Beziehungen Deutschlands zu allen auswärtigen Mächten sind unverändert freundliche. An Meinem Theile mit beizutragen zur Aufrechterhaltung und immer größeren Festigung des Weltfriedens, ist das vornehmste Ziel Meiner Politik. Mit warmer Theilnahme habe Ich deshalb die hochherzige Anregung Meines theueren Freundes, Sr. Majestät des Kaisers von Rußland, zu dem Zusammentritt einer internationalen Conferenz begrüßt, welche dem Frieden und der bestehenden Ordnung der Dinge zu dienen bestimmt ist. Die auf der Conferenz zu Tage tretenden Vorschläge, welche jenen edlen Zweck zu fördern geeignet erscheinen, sind von Seiten Meiner Regierung sympathischer Aufnahme gewiß und werden von ihr sorgfältig geprüft und behandelt werden. Mit tiefem Schmerze und Abscheu gedenke Ich des fluchwürdigen Verbrechens, daS Meinem treuen Bundesgenossen, Seiner Majestät dem Kaiser und König Franz Joseph, die erlauchte Gemahlin jäh entrissen hat. Die ruchlose That, die ganz Deutschland, Fürsten und Volk, andauernd mit innigem Mitgefühl erfüllt, hat der Regierung Sr. Majestät des Königs von Italien eine Berathung wirksamer Maßregeln gegen die anarch istische Propaganda geboten erscheinen lassen und ihr Veranlassung zur Einberufung einer Conferenz gegeben. Die Bereitwilligkeit, mit welcher dieser dankenSwerthen Einladung allerseits entsprochen worden ist, berechtigt zu der Zu versicht, Laß ein richtiges Gleichmaß zwischen Rechten und Pflichten als unerläßliches Ersorderniß für die gedeihliche Entwickelung der internationalen Beziehungen nicht nur theoretisch von Neuem anerkannt, sondern auch durch praktisch brauchbare Schlußfolgerungen bethätigt werden wird. Den aus unserer Neutralität im spanisch-amerikanischen Kriege sich ergebenden völkerrechtlichen Pflichten ist Deutschland gewissenhaft und loyal nach beiden Seiten hin gerecht geworden. Die deutschen Colonien befinden sich in gedeihlicher Ent- Wickelung. Den ruhestörenden Unternehmungen feindlicher Stämme sind Meine Schutztruppen in Ost- und Westasrika siegreich begegnet. Mit der Neu-Guinea-Compagnie ist wegen Uebernahme ihres Schutzgebiets auf das Reich ein Vertrag abgeschloffen worden, welcher Ihnen zur Genehmigung vorgelegt werden wird. In Kiau tschau sind die ersten Schritte zur wirthschastlichen Ent wickelung des Schutzgebietes gethan. Tie Grenze ist im Einvernehmen mit der chinesischen Regierung endgiltig festgesetzt, der Freihafen ist er öffnet worden, die Hafenbauten sind in Angriff genommen und der BeginndesEiscnbahnbaues nach dem Hinterlande steht für dienächste Zu kunft bevor. Gestützt auf die bestehenden älteren Verträge, wie ans die durch den deutsch-chinesischen Vertrag vom 6. März d.J. neu erworbenen Rechte, wird Meine Regierung unter gewissenhafter Achtung der wohler worbenen Rechte dritter Staaten auch in Zukunft bestrebt sein, die von Jahr zu Jahr gewichtiger werdenden wirthschastlichen Be- ziehungen Deutschlands mit China weiter zu entwickeln und den deutschen Reichsangehörigen den vollen, ihnen gebührenden Antheil an der wirthschastlichen Erschließung des fernen Ostens zu sichern. Bei Meinem Aufenthalt in Konstantinopel, Palästina und Syrien ist es Mir eine Freude gewesen, Mich durch den Augenschein davon zu überzeugen, wie deutsche Tüchtigkeit undSitte drn im türkischen Reiche lebenden Reichsangehörigen zu geachteter Stellung verhalfen haben. Mit bewegtem Herzen habe Ich mit der Kaiserin und Königin, Meiner Gemahlin, an den Stätten geweilt, die durch da» Leiden des Erlösers der gesammten Christenheit theuer sind. Den evangelischen Bekenntnissen dort ein Gotteshaus zu errichten, war schon das sehnliche Verlangen Meiner drei Vorgänger an der Krone Preußens. Daß eS Mir vergönnt war, jenes Verlangen zu erfüllen und die Eriösrrkirche zu Jerusalem dem Dienste des Herrn zu übergeben, ist Mir ein neuer An» trieb, die Mir von Gottes Gnaden verliehene Gewalt auch weiter einzusetzen für die ewigen Grundwahrheiten deS Christenthums. Von solchen Gefühlen geleitet, hat es Meinem Herzen besondere Genugthuung gewährt, einen langgehegten Wunsch der deutsche» Katholiken durch Erwerbung eines ihnen durch weihevolle Er innerungen geheiligten Besitzthums auf dem Berge Zion in Erfüllung zu bringen. So gebe Ich mich der Hoffnung hin, daß Mein Aufenthalt im türkischen Reiche, die ebenso gastfreundliche «oie glänzende Auf nahme, die Ich bei Sr. Maj. dem Sultan, entsprechend den freund- chastlichen Beziehungen der beiden Reiche, gefu nden, und der be- geisterte Empfang, der Mir und der Kaiserin atllenthalben von der osmanischen Bevölkerung bereitet wurde, dem deutschen Namen und den deutsch-nationalen Interessen zu bleibendem Vortheil und Segen gereichen mögen. Geehrte Herren, indem Ich Sie hiermit zu Jh ren Verantwortung-:- vollen Berathungea entlasse, will Ich dem Wunsch Ausdruck geben, daß die bevorstehende Legislaturperiode durch gemeiusame Arbeit der Regierungen und der Volksvertretung einen bedeutsamen Ab- chnitt in der geistigen und wirthschastlichen Entwickelung unserer Volksgemeinschaft bilde." Diese Rede giebt trotz ihrer Länge wlmig Anlaß zu Be merkungen. Die Vorlagen, die sie ankündisgt, sind schon früher in Aussicht gestellt und zum Theile auch ihrem wesentliche» Inhalte nach bekannt gegeben worden. Neues über sie erfährt man durch die Thronrede nicht; nicht einmal die begreifliche und berechtigte Wißbegier nach denr Berbältniß LcS Entwurfs emeS Gesetzes zum Schutze Arbeitswilliger zur Oeynhausener Rede wird befriedigt. Auch ist die Aufzählung der Arbeiten, mit denen der Reichstag befaßt werden soll, augenscheinlich nicht vollständig; von den Vorlagen, die von der Justizverwaltung vorbereitet worden sind, ist z. B. nicht die Rede. Bei der Zusammensetzung deS Reichstags, die wechselnde MehrheitSgruppirungen zu läßt, und bei der Unsicherheit der Haltung deS Ccntrunis wäre eine Aufzählung des gesammten Arbeitsmaterials auch zwecklos; läßt sich doch nicbt einmal Lbersehen, was aus den Entwürfen wird, die aufgezählt urrd kurz charakterisirt werden. Am erfreulichsten sind die Mittheilungen über die Finanzlage des Reiches; obgleich auch sie nichts Neues bringen, bestätigen sie doch, daß eö an Mitteln zur Herbeiführung von Reformen auf alle» Gebieten mcht fehlen wird. Leider vermissen wir eine Hindeutung darauf, daß die günstige Finanzlage goeignet sei, wiederum den Versuch zu einer festen Regelung deS Verhältnisses zwischen ReichSfinanzwirthschaft und einzelstaatlichem Finanz- gebahren zu machen. Auch was über die Entwickelung unserer Colonien ge sagt wird, ist erfreulich, umsomehr, je weniger berechtigt der Vorwurf sein würbe, es stehe im Widerspruche zu objectivcn Berichten. Auch hier freilich fehlt eine Lücke in den Ausführungen nicht. Und wenn mau daraus, daß die die Delagoa-Bai betreffenden Abmachungen nicht einmal gestreift werden, den Schluß ziehen darf, daß über diese Abmachungen nichts Erbauliches zu sagen sei, so fällt in den Freudenbecher unsrer Colonialsreunde em gallenbitterer Tropfen. Von internationalen Beziehungen ist im Uebrigen in der Thronrede ziemlich viel die Rede; das freilich, was man gern wißen möchte, bleibt dunkel. Nicht die leiseste Hindeutung auf die Drohrede des Grafen Thun; nicht die geringste faßbare Aeußerung über die Stellung Deutschlands zu dem Abrüstuugsv orschlage des Kaisers von Rußland — man müßte denn daraus, daß gesagt wird, die vom Zaren vorgeschlagene Conserenz habe den Zweck, dem Frieden und I der bestehenden Ordnung der Dinge zu dienen, schließen, I mit Vieser höflichen Wendung solle der Zar auf den Ueber- I ganz zur Tagesordnung über seinen Vorschlag vorbereitet ' werden. Einen bloßen Höflichkeitscharakter trägt jeden- Ferrrlleton. Die Lettelmaid. 22j Roman von Fitzgerald Molloy. Nachdruck verboten. „Weshalb bewahren Sie es so sorgältig auf?" fragte sie naiv, dabei streifte ihr Auge seine Hand, und sie wunderte sich über deren Röthe und Plumpheit. „Weil es von Ihnen stammt", flüsterte er, ihr die Hand drückend. Dann zögerte er einen Augenblick, ehe er seine Lippen darauf preßte. Seine Küsse wurden immer glühender, sie ließ ihn ruhig gewähren, verhielt sich aber ganz passiv, denn sie wollte ihr Schicksal weder beschleunigen, noch beeinflussen. „Capri", fuhr er leidenschaftlich fort, „wissen Sie, daß ich Sic seit jenem Tage wahnsinnig liebe?" „Nein, das wußte ich nicht." „Nun, so sage ich es Ihnen noch einmal. — Ich hatte die Ab sicht, es Ihnen schon damals, als wir aus Richmond heimfuhren, zu gestehen, aber die Vers.... Pferde." — Sie blickte zu ihm auf; das Blut schoß ihr ins Gesicht, seine sonst ausdruckslosen Augen sprühten beinahe vor verhaltener Leidenschaft; sie fühlte, wie sein heißer Athem ihren Nacken streifte. „Haben Sie mir nichts darauf zu entgegnen? Können Sie mir nicht ein wenig gut sein? Darf ich diese süße kleine Hand für immer behalten?" „Sie überraschen mich, Mylord! Ich weiß nicht." — Sie stockte, denn ihre Stimme versagte ihr plötzlich. „Haben Sie es denn nicht geahnt, daß ich Sie anbete?" „Ja, aber wie konnte ich denken, daß — daß —" „Capri, ich liebe Sie mehr als mein Leben, wollen Sie mein Weib werden?" Sie antwortete nicht gleich, denn plötzlich stieg das Bild Marc's vor ihr auf, und sie mußte sich gestehen, daß sie sich in seiner Gegenwart frei und glücklich fühlte, die Erinnerung an sein offenes, hübsches Gesicht stellte sich zwischen sie und Lord Harrick; sie sah seine treuen blauen Augen, hörte seine klang volle Stimme — und zögerte einen Augenblick. Dann aber dachte sie an das Lächeln, mit dem Mrs. Stonex vorhin den jungen Künstler empfangen, und ihr Entschluß stand fest. Wenn sie, ihrem besseren Gefühl Folge leistend, Marc heirathen wollte, würde sie ihn in seiner Carriöre hindern. Ja, wenn er reich wäre, wie ihr aristokratischer Freier, dann würde sie sich keine Minute besinnen. Aber die Armuth hatte sie satt, und dann, — war es nicht edel von ihr, dem Künstler zu entsagen? Er würde sie im Besitz einer Würdigeren und Reicheren vergessen lernen, und wenn sie sich dann nach Jahren begegnen sollten, würden sie sicher über ihre Jugendliebe lachen, die sie niemals überwinden zu können geglaubt. Statt einer Antwort reichte sie dem Lord, der sie voll Spannung beobachtete, beide Hände. „Ich darf sie behalten?" fragte er zärtlich. ,< „Ja." Er schlang den Arm um sie und bedeckte ihren Mund und ihre Wangen mit leidenschaftlichen Küssen. In seiner Erregung merkte er gar nicht, daß sie sich kalt wie eine Statue verhielt und seinen Gefühlsausbruch nicht erwiderte. Eine halbe Stunde später stand sie wieder vor der koreanischen Vase und plauderte lächelnd mit Miß Raven. Guy Rutherford beobachtete sie vom entgeengesetzten Ende des Salons und sagte sich: „Sie ist ein selten schönes Geschöpf. — Am Ende bleibe ich doch in England. — Sie hat Recht, es ist nicht gut, in der Ver gangenheit zu leben." Einzelne Gäste verabschiedeten sich, und Mrs. Lordson winkte Capri herbei, und Beide bahnten sich wieder in Begleitung New- ton's einen Weg zu Mrs. Stonex. Sie kamen an Marcus Phillips vorbei: „Gute Nacht, Marc", flüsterte das junge Mädchen. „Wenn ich mich frei machen kann, besuche ich Dich morgen." Er nickte ihr dankbar zu und drückte ihr zärtlich die Hand. Ihr ward recht weinerlich zu Muthe. Lord Harrick und Guy Rutherford begleiteten die Damen zu ihrem Wagen. „Darf ich morgen kommen, Fräulein Dankers?" fragte der Aristokrat. „Ja", lautete die von freundlichem Lächeln begleitete Antwort. Im nächsten Augenblicke war der Wagen um die Ecke ver schwunden. „Rutherford", begann Harrick, den Arm seines Freundes neh mend, „ich habe sie gefragt, ob sie mein Weib werden will." Guy blieb wie festgewurzelt stehen: „Und sie?" „Hat natürlich eingewilligt!" Sie schritten schweigend durch die stille Nacht, Rutherford blickte gedankenvoll zum sternenbesäeten Himmel hinauf. „Weshalb gratulirfi Du mir gar nicht zu meinem Glück?" fragte Harrick verletzt. Guy warf die soeben angezündete Cigarre fort und sagte dann leise, als ob er mit sich selbst spräche: „Manche Männer haben Frauen, die nicht halb so schön waren wie diese, ihre Zukunft und ihr Seelenheil geopfert." Lchtzehntes Capitel. Capri vermochte die ganze Nacht kein Auge zu schließen; sic hatte die Empfindung, als ob die Erlebnisse bei Mrs. Stonex nur Ausgeburten ihrer lebhaften Phantasie seien. Sie setzte sich einige Male in ihrem Bette auf und sagte laut: „Nein, ich schlafe nicht. Lord Harrick hat mir wirklich Herz und Hand angeboten, und ich habe Beides angenommen." Plötz lich vergrub sie ihr Gesicht in die Kissen und brach in ein nicht endenwollendes Schluchzen aus. Sie wußte selbst nicht, ob sie vor Freude oder Kummer weine. Sie, das einfache Kind des Volkes, das einst am Strande der Adria barfuß umhergelaufen, mit den Fischertindern um die Wette Muscheln gesucht, sie, die Tochter einer Sängerin, die die schönsten Jahre ihres Lebens in zwei Hinterzimmern einer ärm lichen Straße verbracht und Musikunterricht ertheilt hatte, sie, die froh war, hier und da von ihren Schülerinnen ein Bändchen, ein Paar Handschuhe oder dergleichen Tand geschenkt zu bekommen, sollte nun in kürzester Zeit Vicomtesse Harrick werden! Hatte sic nicht erst vor wenigen Monaten Marc versichert, daß gerade die unwahrscheinlichsten Dinge oft in Erfüllung gehen? Wenn ihr damals Jemand prophezeit hätte, sie werde heute die Braut eines englischen Lords sein, sie würde ihm ins Gesicht gelacht haben, trotzdem sie sich schon damals mit ehrgeizigen Plänen trug. Daß ihr Leben diese Wendung nehmen könnte, hätte sie nicht einmal in den kühnsten Träumen zu hoffen gewagt. Müde und abgespannt erhob sie sich am nächsten Morgen von ihrem Lager, um, wie gewöhnlich, Mrs. Lordson beim Frühstück Gesellschaft zu leisten. „Der Athem stockt mir förmlich vor Erstaunen", rief diese, nachdem Capri ihr von dem Heirathsantrag des Lords berichtet. Auf ein Haar, und die kostbare Theetaffe wäre ihr aus den Hän den gefallen. „Ich wußte, daß es so kommen müsse.... Aber jetzt, da er sich bereits erklärt hat, scheint es mir kaum glaublich. . . . Sie haben mir aber auch die Neuigkeit so ohne Vorbereitung mitgetheilt. ... Ich bin sprachlos vor Ueberraschung! . . . . Capri, mein Herz, ist es nicht seltsam, daß Sie nun bald meine Gönnerin und mir an Rang und Reichthum überlegen sein werden?" „Ja, sehr seltsam." „Es wundert mich nur, daß der Lord sich nicht damals in der Mondscheinnacht, als wir von Richmond heimfuhren, erklärt hat! ... Die Gelegenheit war so günstig, und eS wäre auch viel romantischer gewesen als gestern Abend! Am Ende hat es ihm das griechische Costüm angethan . . . Sie sahen darin auch bezaubernd aus!" Capri lachte, oder sie machte vielmehr den Versuch, zu lachen, aber derselbe mißlang. Die glänzende Aussicht auf die Zukunft blendete sie, aber sie war weit davon entfernt» sich glücklich zu fühlen. Ein Seufzer nach dem anderen entrang sich ihrem ge preßten Busen, und sie hätte am liebsten weinen und wieder weinen mögen. , „Eigentlich sollte ich Ihnen ernstlich böse sein, daß Sie mir diese Freudenbotfchast so lange vorenthalten haben .... Wie konnten Sie es nur ubers Herz bringen, zu schweigen?" sagte die gutmüthige Amerikanerin, scheinbar ungehalten. „Liebe, einzige Mrs. Lordson", bat Capri in ihrem ein schmeichelndsten Tone und sah zärtlich zu ihr auf, „Sie sind ja die Erste, mit der ich darüber spreche. ... Ich war gestern so verwirrt und konnte es mir selbst nicht glauben .... Es kam so ... so plötzlich . . . ." Sie erhob sich, ging zur Amerikanerin hinüber und umschlang deren Nacken. „Nicht wahr, Sie sind mir nicht mehr böse?" „Nein, nein, mein Kind! Ich freue mich ja mit Ihnen, als ob Sie meine Tochter wären. — Ich wußte, daß er vor Ende der Saison um Ihre Hand anhalten würde — selbst ein Blinder hätte das sehen müssen. — Welche Seligkeit, sich ein so schönes Weib erobert zu haben! — Ja, ich sage es Ihnen offen ins Ge sicht, Sie sind das schönste Wesen, das ich bislang kennen gelernt, und Sie werden eine vornehme Lady abgeben! Capri, ich werde Ihnen einen Trousseau und ein Brautkleid machen lassen, so kostbar, wie Worth es nur Herstellen kann!" schloß sie erregt. ,So viel Güte verdiene ich gar nicht!" stammelte Capri gerührt. „Still, still, mein Kind!" Damit zog sie das Mädchen an ihre Brust und küßte ihm beide Augen. Um die Mittagsstunde erschien Lord Harrick. Er übergab seiner Braut feierlich einen seltsamen, altmodischen, mit Perlen besetzten Ring, den Maria Stuart am Tage ihrer Hinrichtung seiner Ahne geschenkt hatte. Er vererbte sich von Vater auf Sohn und besiegelte seither alle Verlobungen der Träger des Namens Harrick. » (Fortsetzung folgt.)
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