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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.12.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981202020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898120202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898120202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-02
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Die Morgeu-AuSgabe erscheint «m V,7 ilhr, die Nbeod-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr, Redaktion und Expedition r JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags nnonterbroche» grossnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: vtt» Slemm'S Gorttm. (Alfred Hahn), UniversitätSstratze 3 (Paulinuuc), Louis Lösche, Katharinensir. 1s, Part, und -SniL»platz 7. VezugsPreiS Al der Hauptexpedition oder den im Stadt» beetrk und de» Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährliches4.50, dei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hous 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich S.—. Directe tägliche Krruzbandseudung ius Ausland: monatlich es 7.5V. Abend-Ausgabe. MpMer TaMall Anzetgen.PretS die 6 gespaltene Petitzeile SV Pf-.' Ree kamen unter dem RedactionSstrich (sge» spalten) 50 »j, vor den Familiennachrichteu (6 gespalten) 40^. Gröbere Schristen laut unserem Preis» verzrichniß. Tabellarischer und Zissernsatz »ach höherem Tarif. 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Die Häufung reprä sentativer Borgänge, die sich nicht nur bei Fürstenbesucheu in Berlin, sondern auch auf den zahlreichen Reisen des Kaisers, insbesondere während der Manöverzeit, jahraus jahrein wiederholen, zeigt auf das Deutlichste, wie recht Gustav Freytag hatte, als er gegenüber dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm am 1l. August 1870 in dem Gc- birgSdorfe PeterSbach auSeinandersetzte, welche Rücksicht ihm die Kaiseridee unlieb machte. Freytag berichtet hierüber in seiner Schrift „Der Kronprinz und die deutsche Kaiserkrone" u. A. Folgendes: „Die Durchführung der Kaiscridce bedroht das Geschlecht der Hohenzollern mit einer Anhäufung derselben Gefahren, durch welche mehr als eine erlauchte Herrcnsamilie zum Unglück ihres Volkes an Kraft und Tüchtigkeit verloren hat. Was unterscheidet die Hohenzollern, die, als Menschen betrachtet, keineswegs immer be deutender und kräftiger gewesen sind als ihre Stammesgenossen, von anderen Königen, die wie sie, in sicherem Erbe stehen? Doch zumeist der Umstand, daß sie um ihrer Selbstcrhaltung willen und zur Mehrung ihrer Macht genöthigt waren, den Vortheil der deutschen Nation gegen Las Hausinteresse anderer erlauchter Familien zu vertreten. Jeder große Fortschritt ist durch sie in den Zeiten errungen, wo diese Nothwendigkeit ihr Leben und ihre Thüligkeit beherrschte. Die Gefahren ihrer er habenen Stellung, die Abgeschlossenheit vom Volke, das leere Schaugepränge, das Beharren in einem vcrhältnißmäjzig engen Kreise von Anschauungen, die Besetzung ihrer Tage mit anmuthigen Nichtigkeiten, das Alles ist in diesen zwei Jahrhunderten scharfer Arbeit für sie wenig gefährlich gewesen. Eine gewisse spartanische Einfachheit und Strenge hat Beamtenthum, Heer und Volk in Zucht gehalten. Tie neueKaiserwürde wird das schnell ändern. Die deutsche Kaiserkrone hat zur Voraussetzung nicht nur die achtungsvolle Bewahrung der regierenden Häuser, durch deren Genehmigung sie jetzt gewonnen werden soll, sondern auch eine un ablässige Repräsentation den Fürsten gegenüber. Aller Glanz der Majestät, die Staatsaction bei vornehmen Besuchen, die Hosämter, die Schneiderarbeit in Eostüm und Decorationen werden zunchmen und, wenn sie erst einmal eingesührt sind, immer größere Wichtig keit beanspruchen. Der einfache blaue Rock der Hohenzollern wird zuletzt nur noch als alterthümliche Erinnerung hervorgeholt werden ... Bei der schnellen Steigerung Les Wohlstandes ist cs schon jetzt schwer, in den Officiercajinos die alte Zucht und Einfachheit zu er- halten, für die Zukunft wird daS nur möglich, wenn unsere Fürste» selbst unablässig ein gutes Beispiel der Einfachheit geben und den Regimentern die Gelegenheit nicht gewähren, in vor- nehmer Kameradschaft Geld auszugeben. Und wie im Heer und Eivildieust, so wird auch im Volke ei« höfisches und ser- viles Wesen sich einschleichen, das unserer alten preußischen Loyalität nicht eigen war. In Zeiten des Gedeihens 'werden die Deutschen wohl solchen Uebelstand ertragen könne», wenn er auch vielen Einzelnen die Energie und Tüchtigkeit vermindert. Aber jede Einseitigkeit ruft anch ihren Gegensatz hervor, und durch unser Jahrhundert geht eine starke demokratische Unterströmung. Wird einmal durch große Unsälle und ein Mißregiment im Volke die Unzufriedenheit verbreitet, dann drohen anch Len altheimijchen regierenden Familien größere Gefahren." Die Trohrcdc des (Grasen Thun hat in Wiener Blättern zu der Frage Anlaß gegeben, ob der Dreibund noch be stehe? Diese Frage enthält mit einer starken Mahnung an den Grafen Thun offenbar die Bejahung in sich. Dafür spricht auch der begründete Zweifel, ob der Ministerpräsident von Oesterreich zuvor über Vie Intentionen der ungarischen Regierung und vor Allem die des gemeinsamen auswärtigen Ministers der österreichisch - ungarischen Monarchie sich zur Genüge informirt habe; auf der anderen Seite aber die durch den Druck hervorgehobenen Auslassungen im „Deutschen Neichsanzeiger": „Seine Majestät der Kaiser gedenken mit den verbündeten Regierungen und dem deutschen Volke in innigster Antheilnahme des Tages, an welchem unser Erlauchter Bundesgenosse Kaiser Franz Josef vor fünfzig Jahren den Thron der Habsburgischen Monarchie bestiegen hat. Möge die Vorsehung daS theure Leben des edlen Herrschers noch lange Jahre erhalten zum Segen Oesterreich- Ungarns und zum Heil des europäischen Friedens'." In diesem osficiellen Glückwunsch wird Kaiser Franz Josef als Bundes genosse bezeichnet, mit dem Hinweis auf den eben durch Len Dreibund fundamentirten europäischen Frieden. ES liegt auf der Hand, daß diese Wendungen nur beliebt werden können, wenn die Berechtigung dazu besteht. Immerhin verdient aus den soeben veröffentlichten „Gedanken und Erinnerungen" des Fürsten Bismarck gerade in diesem Augenblick aus dem Eapitel „Dreibund" folgende Mahnung besondere Beachtung: „Wir müssen und können der österrcichisch-ungarischen Monarchie Las Bündniß ehrlich halten; es entspricht unseren Interessen, den historischen Traditionen Deutschlands und der öffentlichen Meinung unseres Volkes. Die Eindrücke und Kräfte, unter denen die Zukunft der Wiener Politik sich zu gestalten haben wird, sind jedoch com- plicirter als bei uns, wegen der Mannigfaltigkeit der Natio nalitäten, der Divergenz ihrer Bestrebungen, der klerikaleu Ein flüsse und der in den Breiten des Balkan und des Schwarzen Meeres für die Donauländer liegenden Versuchungen. Wir dürfen Oesterreich nicht verlassen, aber auch die Möglichkeit, daß wir von der Wiener Politik freiwillig oder un freiwillig verlassen werden, nicht aus Lein Auge verlieren ... Der Dreibund ist eine strategische Stellung, welche Angesichts der zur Zeit seines Abschlusses drohenden Gefahren rathsam und unter den obwaltenden Verhältnissen zu erreichen war. Er hat die Bedeutung einer strategischen Stellungnahme in der europäischen Politik nach Maßnahme ihrer Lage zur Zeit des Abschlusses; aber ein für jeden Wechsel haltbar es ewiges Funda ment bleibt es für alle Zukunft ebensowenig, wie viele frühere Tripel- und Quadrupel-Allianzen der letzte» Jahrhunderte und insbesondere die heilige Allianz und der deutsche Bund. Er dispensirt nicht von dem touzour en veävtts!" Auf der eigenen Kraft des deutschen Reiches beruht in erster Linie die ersprießliche Weiterführung dieser Friedens politik. Aus diesem Grunde darf mit Genugtbuunz darauf hingewiesen werden, daß sich im Reiche und in Preußen die Finanzkraft erheblich verstärkt hat und daß die staatliche Finanzkraft im Hinblick auf die künftigen Aufgaben der deutschen Politik sorgfältig gehütet wird. Hoffentlich bringt nun anch der deutsche Reichstag den neuen Forde rungen zur Stärkung unserer Wehrkraft, mit denen ihm die Regierung wegen des ablaufenden Ouinquennats jetzt wieder kommen muß, volles Verständuiß entgegen. Schon neulich äußerten wir Zweifel an der Aufrichtigkeit der französischen Minister, welche in der Sitzung der Kammer vom 28. November zur Picguarl-Affaire das Wort nahmen. Heute tritt klar zu Tage, daß das Ministerium den in dieser Sitzung errungenen Sieg thatsächlich zum großen Theile einer geschickten Zweideutigkeit zu verdanken hat. Von den radicaleu Abgeordneten hatten viele lediglich deshalb für den VertranenSbeschluß gestimmt, weil sie aus der Rede desMinitterpräfidenten Dupuy den Eindruck gewonnen hatten, daß die Negierung glücklich wäre, wenn der Eassationshof die daS „I'otit bleu" betreffenden Acten verlangen und so eine Vertagung des Prvcesses Picguart herbeiführen würde. Diese Auslegung scheint eine irrige gewesen zu sein. Zum Mindeste» hat Dupuy einem nationalistischen Volksvertreter die Versicherung gegeben, er habe durchaus nicht die Absicht gehabt, dem Cassationshof ein derartiges Recht zuzuerkenneu; er habe nur sagen wollen, daß der Cassationshos befugt sei, die Uebermittlung der Acten zu fordern, unter dem selbstverständlichen Vorbehalt, daß hier durch keine Verzögerung des für den 12. December an beraumten ProcesseS entstehe. Auch der Kriegsmiuisler de Freycinet hat durch seine Ausführungen den Beweis erbracht, daß er den Ruf der Geschicklichkeit vollauf verdient. Er verstand es, die Besorgnisse der Freunde Picguart's zu beschwichtigen, indem er sagte: „Man hat für die Proccßverhandlungen vollständige Oesfentlichkeit verlangt. Nun denn, die Untersuchung ist abgeschlossen, und was die vollständige Oesfentlichkeit anbelangt, so habe ich sie versprochen." Wiegroß war das Erstaunen der radicalen Ab geordneten, die diesen Worten lauten Beifall gespendet hatten, als sie am nächsten Morgen aus dem Amtsblatt ersahen, daß Freycinet den Wortlaut dieser Stelle inzwischen folgendermaßen abgeändert hatte: „Und was die vollständige Oesfentlichkeit an belangt, so habe ich dieselbe versprochen. Es wird nicht von mir abhängen, wenn dies nicht geschieht." So geschickt auch diese neue Snlisirung sein mag — ein kleiner Uebelstand hastet ihr doch an: man ersieht, daß der Kriegsminister ein Versprechen geleistet Hal, von dem er wußte, daß er es nicht werbe halten können. General Mercier wird wegen feiner „Türken-Rede" von der republikanischen Presse scharf angegriffen. Die chauvinistischen und monarchistischen Blätter spenden dagegen den Ausführungen des Maulhelden rückhalt loses Lob. Die „Gazette Le France" richtet an den General ziemlich unverhülll die Aufforderung, seinen Worten die Tbat folgen zu lassen, denn unter den gegenwärtigen Verhältnissen fei ein Toast angesichts der Verräther innerhalb und der Feinde außerhalb Frankreichs keine geeignete Waffe. Seit einiger Zeit bereitet man in England neue An klagen gegen Transvaal vor. Sowohl der englische Obercommissar in Capsladt, Milner, wie der britische Resi dent in Pretoria, Greene, weilen in London; dort wird eine neue Action gegen die Republik eingeleitet, die sich auf Ver letzung der 1884er Convention stützen soll. Die Negierung zu Pretoria hat nämlich die eingewanderten Farbigen mit einer Steuer belegt und sie gewissen Beschränkungen unter worfen. Zu diesen Farbigen werden auch die Inder ge rechnet, gegen welche auch in Natal besondere Maßregeln getroffen worden sind. Die Engländer behaupten nun, diese Inder wären Schutzbefohlene der Königin und dürften den anderen Farbigen nicht gleichgestellt werden. Ohne auf diesen Streit weiter einzugehen, ist doch, wie den „Berl. N. N." geschrieben wird, aus allen Vorbereitungen zu ersehen, daß die südafrikanische Frage bald von England wieder in Bewegung gesetzt wird. In Pretoria ist man daraufhin schon sehr auf der Hut. Bereits vor einigen Monaten brachten die führenden Zeitungen in Pretoria eingehende Mittheilungen über englische Rüstungen in verschiedenen Orten nahe den TranSvaal- grenzen, namentlich wurden dort überall die Garnisonen durch aus England kommende Truppen-Abtheilungen ver stärkt, ferner wurden die älteren Truppen mit neuen Waffen versehen u. A. Jetzt wird auf eine neue englische Kriegs rüstung bingewiesen. Die „Volksstem" hatte sich über gewisse militairische Vorgänge in Natal beschwert, erhielt aber durch dortige Zeitungen eine Zurückweisung. Darauf erwidert das Blatt nun Folgendes: „Wir wollen gerne glauben, daß die Leser deS „Natal Afrikaner" von den freundlichsten Gefühlen für die Boerenstaaten beseelt sind: wir glauben es auch, daß die Regierung von Natal keine feindliche» Gesinnungen gegen die beiden Boeren-Republiken hegt, aber dies Alles kann nicht die Beobachtung beseitigen, daß Natal, ohne auch nur einen Einwurf zu machen, zuläßt, daß sein Gebiet als eine Basis für militairische Operationen gegen die Republik gebraucht wird. Unlängst erst verkündeten englische Zeitungen, daß Ladysmith bestimmt wäre, ein südafrikanisches Aldershot (großes englisches Mili- tairlager in der Grafschaft Hampshire) zu werden, und wie große Summen daraus verwendet würden, um diese Absicht zu erreichen Die oberen Bezirke von Natal sind voll britischer Garnisonen, die sicher nicht dahin gebracht sind, um «ine etwaige Landung einer französisch-russischen Armee zu verhindern. Wir nehmen mit Ver gnügen Notiz von den friedlichen Erklärungen aus Natal, doch für die Republiken ist die natalische Truppcnzusammenziehung die Haupt- fache, umsomehr, als die vollkommene Duldung von Volk und Regierung in Natal als eine stillschweigende Zustimmung der Inder- colonie angesehen werden kann zu der drohenden Haltung gegen die Boeren-Republiken. Ter beste Beweis, den unsere natalischen Freunde als Beweis für ihre Freundschaft gegen die Republiken geben könnten, wäre ein Versuch gegenüber den britischen Kriegsbehörden, um das südafrikanische Aldershot anderswo anzulegen. Aus diesen Angaben ist ersichtlich, wie England fort dauernd und systematisch KricgS-Ausrüstungen in Südafrika betreibt. Doch geht auS den Aeußerungen klar hervor, daß die Boeren-Republiken nicht wieder überrascht werden können wie am 1. Januar 1896. Die aus Bombay verbreiteten Meldungen über eine zu nehmende Ausbreitung deS neuesten Aufstandes an der indischen Rordwestgrcnze mögen zutreffend sein oder nicht, jedenfalls braucht sich daS englische Regime in Indien des wegen nicht besonders zu beunruhigen. Daß der unter dem Namen des „tollen Mullah" bekannte muselmännische Fana tiker kein Freund des neuen, zwischen der indischen Regierung und den Bergstämmen geschlossenen Abkommens ist, war den anglo-indischcn Grcnzbehörden schon lange kein Geheimniß mehr, ebensowenig. Laß er sich alle Mühe gab, einen neuen AuSbruch der Empörung zu entfachen. Aber daS hat gute Wege. Nach der scharfen Lection, welche den Bergvölkern in der letzten Cam pagne ertheilt worden, haben diese vorläufig alle Neigung zu FruNlrton» Die Lettelmaid. I9j Roman von Fitzgerald Molloy. Nachdruck verboten. „Du legst zu viel Werth auf den Schein und das Urtheil der Welt." „Nur so viel, als unbedingt nothwendig, um ihr gerecht zu werden, weil sie sich sonst verletzt fühlen würde. Sie hält ihre Meinung für Gesetz und dieses, darf man nie ungestraft über treten." „Ein Gesetz, das ich verlachen würde!" „Sonst wärst Du ja kein echter Bohemien. Leute Deiner Claffe werden von der „Gesellschaft" entweder verhätschelt, oder nur geduldet, aber sie stehen immer außerhalb ihrer Grenze — das vergißt sie niemals." „Es scheint mir, Capri, als ob unser Leben nicht nur ein viel freieres und glücklicheres ist, sondern auch ein viel auf richtigeres, rechtschaffeneres als das der sogenannten „Gesell schaft"." „Aber auch ein viel bescheideneres, und das ist der gefähr liche Felsen, an dem es so oft scheitert. Reichthum kann uns alles Schöne verschaffen, der Anblick des Schönen erfreut das Herz und macht glücklich. Kannst Du das bestreiten?" „DaS Glück ruht in unserem Herzen, aber nicht in Aeußerlich- keiten." „Du als Künstler mußt wissen", fuhr sie fori, ohne auf seine Bemerkung einzugehen, „was für eine Natur, wie die meinige, schöne Gemächer, kostbare Kleider und die tausend Kleinigkeiten bedeuten, die das Leben angenehm machen, und die nur der Reichthum verschaffen kann. Glaube mir, ich kann ohne alle diese Dinge nicht mehr leben!" „Ist treue Freundschaft, unendlich starke Liebe nicht weit mehr Werth, als der Flitterkram, von dem Du sprichst? Glauve mir, Capri, Deine Welt trügt; sie wird Dein Herz verhärten und alle besseren Gefühle ersticken; denn ganz tödten kann sie sie nicht. Eines Tages wirst Du aus dem Rausch, der Deine Sinne jetzt gefangen hält, erwachen, Deine Umgebung verachten, und Dich nach den unscheinbaren Schätzen zurücksehnen, di« Du jetzt von Dir wirfst. Laß Dich überzeugen, daß treue, echte Liebe das höchste Geschenk der Vorsehung ist." „Das kann ich nicht", entgegnete sie, sich langsam erhebend, denn das Gespräch berührte wieder einen Punct, den sie ängstlich zu vermeiden suchte. „Du vermagst als Mann gar nicht zu be- urtheilen, welche Macht schöne Kleider und Juwelen auf ein schwaches Frauenherz ausüben", schloß sie lachend; am liebsten hätte sie laut aufgeschluchzt. Zum ersten Mal, seit er sie kannte, verletzte ihn ihre Heiter keit. Sie stand in der Mitte des Zimmers, er näherte sich ihr und fragte mit bebender Stimme: „Willst Du wirklich nicht morgen, oder sagen wir übermorgen, mit mir kommen?" „Ich kann nicht", entgegnete sie ernst. „Mistreß Lordson würde es mir auch nicht gestatten." „Wenn Du Dich vor der „Welt" fürchtest, so werde ich noch Padre Pallamari dazu einladen, die frische Luft wird ihm wohl- thun, auch Newton und die beiden Töchter Deiner gewesenen Hausfrau." „Newton Marrix begleitet morgen Mistreß Lordson und Lord Harrick nach Richmond." „Und Du?" „Ich wahrscheinlich auch — als fünftes Rad am Wagen", entgegnete sie bitter. Marc sagte nichts mehr, aber die unaussprechliche Freude, die ihn beim Eintritt in dieses Haus beseelt, war erstorben; eine Wolke, deren Form und Farbe er noch nicht zu unterscheiden vermochte, stellte sich zwischen ihn und die Sonne seines Lebens und machte ihn elend. Hätte Capri ihn nur von seiner Liebe sprechen lassen, er hätte ihr gesagt, wie er den Tag herbeisehnte, an welchem sie vereinigt würden! Er erhob sich, um zu gehen und wollte noch einen Versuch machen, ihr sein Herz zu offen baren; aber seine Kehle war wie zugeschnürt? er brachte keine Silbe hervor; so reichte er ihr denn nur die Hand, blickte be trübt in ihre Augen und stammelte: „Lebe wohl, Capri!" „Lebe wohl", entgegnete sie mit abgewandtem Blick, während er fest und zärtlich ihre Hand drückte. Im nächsten Augenblick schloß sich die Thür hinter ihm. Capri blieb wie gebannt auf der Stelle stehen, ein leichtes Zittern durchlief ihren Körper. Hatte sie ihn mit ihren leichtfertigen Worten verletzt? Würde er sie fortan meiden? „Marc, Marc!" schrie sie plötzlich auf und rannte den ersten Treppenabsatz herunter. Dort hörte sie, wie die Hausthür hinter ihm zuschlug und sah, wie der Diener verwundert zu ihr hinaufstarrte. „Soll ich den Herrn zurückrufen?" fragte er. „Nicht nöthig." Sie hatte sich sofort wieder gefaßt und schritt stolz ins Empfangzimmer zurück. Dort warf sie sich jedoch auf einen Stuhl und brach in krampfhaftes Schluchzen aus, rief Marc bei allen Kosenamen und vermochte sich gar nicht zu beruhigen. Wenn er sie nur hätte hören können! . . So aber schritt er mit schwerem Herzen und düsterem Sinn die Straßen entlang und konnte gar nicht begreifen, daß cs dieselbe Sonne sei, die vom wolkenlosen Himmel ihre glühenden Strahlen herabsandte. Vor einer Stunde hatte sie Alles in rosiges Licht getaucht und jetzt wie farblos erschien ihm die Welt, wie drückend die Luft, wie geräuschvoll und unangenehm das Straßenleben! In einer einzigen Stunde war er aus allen Himmeln wieder auf die Erde gefallen und dieser Fall hatte eine tiefe Wunde in seiner Seele erzeugt. Sechzehntes Capitel. Der Mittwoch kam und fand Mrs. W. Achilles Lordson in großer Aufregung, denn sie erwartete um 12 Uhr Lord Harrick, der sie in seiner Kutsche nach Richmond fahren wollte. „Herrjeh, wenn mich nur Mrs. B. Hatchway von Illinois oder Oberst Johnson Walworth heute sehen könnten! Wissen Sie, mein Kind, er wollte mich heirathen, aber ich habe ihn voll Entrüstung zurückgewiesen, denn er handelt mit Obst und be geistert sich nicht für die Kunst — aber ich gäbe trotzdem viel darum, wenn er mich in den Wagen des Vicomte einsteigen sähe, eines wirklichen, wahrhaftigen Vicomte!" Eine Pause trat ein, in der Mrs. Lordson eine vortreffliche Idee bekam. Sie wollte ihren Freunden jenseits des Oceans briefliche Mittheilung davon machen. Würden diese aber ihren Worten rechten Glauben schenken? Wie schade, daß die Presse in der alten Welt noch nicht so fortgeschritten war, um in ihre Spalten so bedeutende Personalnachrichten aufzunehmen! Da kam ein englischer Lord, um sie in seinem eigenen Wagen nach Richmond zu führen, und kein Mensch würde um das Ereigniß wissen, vielleicht nicht einmal die Nachbarn, wenn sie nicht gerade zufällig am Fenster standen. Sie wollte versuchen, Newton Marrix, der bei einigen Blättern Einfluß hatte, zu veranlassen, eine Notiz über ihren Ausflug mit Lord Harrick unterzubringen. Sie würde, selbst wenn es nur drei Zeilen wären, die ganze Auflage aufkaufen, um sie an alle ihre Bekannten in Amerika versenden zu können, damit diese sich überzeugen, in welch' vor nehmer Gesellschaft sie sich bewege. Wie sie vor Neid bersten würden, wenn sie sähen, daß ein Lord und wirklicher Vicomte sich eine Ehre daraus mache, sie in seiner Kutsche spazieren zu fahren! Der Gedanke überwältigte sie beinahe. Um den Lord nicht warten lassen zu müssen, saß sie vollständig ausgerüstet im Salon. Ihr stahlblaues, reich mitSpitzen besetztes Seidenkleid ließ ihre Gestalt noch viel voller erscheinen, als sie in Wirklichkeit war; dazu trug sie ein schwarzes, mit Perlen über und über besätes Mäntelchen — ein Meisterwerk aus dem großen Pariser Atelier Worth — ein dazu passendes Capothlltchen, achtknöpfige, Helle, schwedische Handschuhe und einen rothen Seidenschirm. Ihren Busen zierte ein Strauß frischer Theerofen und ihre Arme schwere goldene Spangen, die mit den Perlen auf Hut und Mäntelchen um die Wette funkelten und blitzten. Sie hatte heute besondere Sorgfalt auf ihre Toilette verwendet und war ganz stolz auf den großartigen Erfolg, den sie erzielt. Newton Marrix ließ lange auf sich warten, aber sie war überzeugt, daß er zur bestimmten Zeit eintreffen werde, hatte er sie doch noch nie im Stiche gelassen. Sie konnte ihre Ungeduld nicht länger bezähmen und wanderte unruhig im Salon umher, zog jede fünf Minuten ihre brillantenbesetzte Uhr und nahm endlich an demjenigen Fenster Platz, von dem aus sie die Kutsche zuerst erblicken mußte und wo bei jeder Bewegung, die sie machte, der gegenüberstehende Spiegel ihr elegantes Bild widerstrahlte. Auch Capri vermochte ihre Ungeduld nicht länger zu verbergen und spähte hinter dem Vorhang neugierig auf die Straße. Sie sah in dem hellbraunen Wollkleide und einem dazu passenden Rubenshut mit weißer Straubfeder wie eine Märchengestalt aus. Der einfache silberne Reif, den Lord Harrick ihr geschenkt, war der einzige Schmuckgegenstand, den sie angelegt. Frau Lordson musterte sie wohlgefällig von Kopf bis Fuß; sie beglückwünschte sich innerlich schon zu wiederholten Malen, eine so außergewöhn liche Gesellschafterin gefunden zu haben. Wohin sie auch kam, sprach man von der Bettelmaid. Capri's Name wurde immer wieder in den Zeitungen genannt, sie mochte sich mit ihr an der „Row"*) betheiligen, im Park spazieren gehen, ein Theater oder Concert besuchen: am nächsten Morgen oder zu Ende der Woche stand es in den Spalten der verschiedenen Blätter. Das Publicum interessirte sich für das Thun und Lassen des Originals der Bettelmaid nicht weniger wie für das irgend eines anderen „Stars". Der bekannteste Hofphotograph hatte sie um die Erlaubniß gebeten, sie und auch die Bettelmaid photographiren und dann in seinem Schaufenster zwischen den anderen Schönheiten aus stellen zu dürfen. Er verkaufte Tausende von ihren Bildern zu einem Schilling das Stück. Auf diese Weise wurde Capri in ganz London bekannt, und ob sie nun in den Salons oder auf *) Der Corso während der Saison im Hyde-Park. Alles von Rang und Namen betheiligt sich zwischen 12—1 Uhr Mittags daran.
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