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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.12.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981205014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898120501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898120501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-05
- Monat1898-12
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Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr, dt« «bend-AuSgab, Wochentag« um b Uhr. Re-actio« und (trveditiou: J,tza»ne««asse 8. Die Sxprditioa ist Wochentag« uaunterbroch« grSssuet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. BezugS'Prei» A dae Haahter-edtti», oder de« I« Etadt« bezirk «atz de» Vorort« errichtet« Ans» aobeslellen adgeholt: vierteljährlich kei »weimaliger täglicher Zustellang in« Lau« ÜLO. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierieuäbrlich . Direkte tägliche -reuzbaudsrnduug in« Ausland: monatttch 7.b0. Filialt»; vtta UlemM'S vortim. (Alfred Hah»), Universitätssrratze S (Paulinuss»), Laut« Lösche, Datbarinenstr. t4, Port, und Kö»ig«platz 7» Morgen-Ausgabe. MpMr,TaMlltt Anzeiger. Amtsölatt -es AönigNchen Land- «n- Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes nn- Nottzei-Amtes -er Lta-t Leipzig. SIS. Montag den 5. December 1898. AttzelaenPeeiS die 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter dem Redacttonsstrich (4ge« spalten) üO/ij, vor den Familiennachrichteo (6gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit de, Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—. ^nnahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4UHL. Lei den Filialen und Annabmestrllen je ein« halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an d-< Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig, 92. Jahrgang. Stadtebilder aus Sachsen. Leisnig. (Schluß.) Nachdruck «erboten. Mit dem Anwachsen der Bevölkerungsziffer hing das Auf blühen der Gewerbe und des Handels ursächlich zusammen. Schon frühzeitig ward die Stadt von den Landes fürsten mit Vorrechten bedacht, die für Handel und Gewerbe eine grundlegende Bedeutung hatten. Hierher ist zu rechnen daS Stapelrecht und derFloßhandel, Kurfürst August ge stattete 1568 dem Rache einen Wasserzoll. Das Marktrecht ward 1700 insofern erweitert, als der Stadt erlaubt ward, neben dem alten Laurentiusmarkte noch zwei weitere Märkte halten zu dürfen und Stättegeld zu erheben. Um 1424 er hielten die Bürger vom Herzog Friedrich zu Sachsen das Salz- recht, nach welchem es dem Rathe gestattet war, gegen eine geringe Abgabe den Salzhandel treiben zu dürfen; auch bezüglich der Braugerechtigkeit erfuhren die Brauberechtigten manche Erleichterung, besonders nach dem großen Brande vom Jahre 1700. Mit reichlichen Schenkungen bedachte besonders Markgraf Wilhelm um 1365 die Stadt, er beschenkte nämlich die Bürger mit einem großen Therl« Ackerlandes, das vordem zu einem Vorwerke gehört hatte. In weitausschauender Fürsorge nahm der Rath die Gelegenheit wahr, nach und nach einen an - sehnlichenLandbesitzzu erwerben, es waren dies haupt sächlich burggräfliche Vorwerke. So erwarb er 1403 von dem Markgrafen das VorwerkDöhlen, 1408 von einem Herrn von Miltitz das Vorwerk Lichten Hain, 1480 das Vorwerk Moschwitz von einem Herrn von Lamberswald«, 1545 das Vorwerk Paudritzsch und 1559 das Vorwerk Tragnitz und in ebendemselben Jahre dieNieder - und Obermühle vom Kurfürst Vater August. Diesen Besitz veräußerte der Rath wiederum an die Bürger, so daß das fruchtbare Ackerland um die Stadt her, das Melanchthon die „Schmalzgrube Sachsens" nannte, in Besitz der Bürgerschaft überging. Durch diese Maß nahmen ward Leisnig eine Ackerbau und Obstbau treibende Landstadt, es entwickelte sich in 'ihr bald auch ein reger Ge- treid «handel, das Leisnig die Kornkammer für das Erz gebirge ward. Um diese Zeit stand das Gewerbe schon in hoher Blüthe, besonders die Leineweberei und Tuchmacherei; 1574 fertigten die Tuchmacher 1016 uno 1589 1705 Stück Tuche, die Weißgetber gerbten 1593 1375 Leder, in der Stadt gab cs 225 brauberechtigte Bürger, die 1542 1300 Fvß Bier brauten. Die erste Buchdruckerei ward 1726 errichtet, 1806 gründete Drakonus Arnold das erste Leisniger Wochenblatt, die erste Lesebibliothek entstand 1809 durch den Fleischer und nachmaligen Postboten Welker. Die Errichtung der ersten Gärtnerei fällt in das Jahr 1816. Als Mitte der dreißiger Jahre das größer« Publicum in Folge der Erbauung von Eisen bahnen Zutrauen zu Actienunternehmungen bekam, traten auch in Leisnig Actienunternehmungen an di« Oeffenklichkeit. Man errichtete 1836 eine Sparkasse und 1837 ein Theater auf Aktien. Schon frühzeitig erhielt Leisnig durch den Kauf mann Fleischer, nämlich im Jahre 1844, eine Gasanstalt. Im Jahre 1847 legte die Braugenoffenschaft die städtische Brauerei an. Unter großen Festlichkeiten wird im Herbste 1867 die Eröffnung des Betriebes der Eisenbahn be gangen, an den Anschluß an den Eisenbahnverkehr schließt sich in Leisnig eine lebhafte Bauthätigkeit an, im Jahre 1867 werden allein 86 Neubauten fertig gestellt. In den Sechziger Jahren wandelte sich Leisnig mehr und mehr in «ine Industriestadt um, es entstanden in diesem Jahrzehnt zwei große Tuchfabriken, zwei Kratzenfabriken, di« Cigarrrnfabrikation, Schäfte fabrikation, Brückenwaagenbau, Eisengießerei, Vie Stuhlbauerei und Handelsgärtnrrei kamen in Aufnahme; auch in den siebziger Jahren fand die einheimische Industrie weiteren Ausbau und die vorhandenen gewerblichen Anlagen wurden vielfach erweitert. Die heutigeJndustrieLeisnigsist sehr mannig fach und vielgestaltig. Der frühere Kleinbetrieb der Tuch fabrikation hat sich bis auf wenige Betriebe aufgelöst und sind an 'deren Stelle fünf größere Tuchfabriken getreten, welche jede über Hundert Arbeiter beschäftigt. Innerhalb der letzten fünf Jahre ist die Stuhl- und Sophabauerei zur Vlüthe gekommen und bestehen zur Zeit sechs Fabriken und außerdem noch drei Möbelfabriken mit Dampf- bez. Motorbetrieb. Die Schäfte fabrik von Heinrich Zehl L Co. beschäftigt jetzt ca. 120 Arbeiter, durch Einrichtung der Schuhsabrikation, zu welchem Zwecke ein neues großes Fabrikgebäude mit Dampfeinrichtung erbaut worden ist, wird Vas Personal sich vervierfachen. Die weiteren Großbetriebe, als eine Cigarrenfabrik, eine Schnupftabakfabrik, eine Corsrtfabrik, zwei Seifenfabriken, eine Cementwaaren- fabrik, zwei Maschinenfabriken mit Eisengießerei, drei Strumpf- waarenfabriken, eine Dampfbrauerei, eine Kunstfärberei mit Dampfbetrieb, eine Kupfer- und Eisenwaarenfabrik für Brauerei- und Brennereieinrichtungen, Kartoffeldämpfen und Viehtränken, eine Faßfabrik. Außer diesen Großbetrieben sind die größeren Motor- bez. Handbetriebe zu erwähnen, nämlich drei Gerbereien, drei Steinbildhauereien mit Steinmetzwerkplätzen, vier Kunstschlossereien, ein« Werkstatt für Elektrotechnik, sechs Bauglasereien, sechs Bauklempnereien, drei Wagenbauereien, fünf Beschlagschmieden, eine Molkerei, zwei Käsefabriken und der Schlachtvirhhof. Die Leisniger Kunstmühle, in Firma Leisniger Mühlen-Actien-Gesellschaft (A. Uhlmann), kann als eine der größten in Sachsen bezeichnet werden. Neun größere Handels gärtnereien Mit ganz bedeutendem Exporthandel verleihen der betriebsamen Stadt besonder« im Sommer ein liebliches An sehen. Das frühere Hotel „Bad Mildenstein" ist in eine Cur- anstalt umgewandelt worden, sie steht unter der Leitung des Herrn I)r. meck. HeUbner und erfreut sich schon jetzt eines regen Besuches. Areal zu weiteren größeren Fabrik- An l a g e n in der Nähe des Bahnhofes, an der Mulde und in der oberen Stadt ist genügend vorhanden und wird das zum Be triebe nöthige Wasser aus den zwei städtischen Wasserleitungen, wozu im Jahre 1899 ein« dritte erbaut wird, abgegeben. Die drei in Leisnig bestehenden Baugeschäfte kann man als gute und solide empfehlen, wie auch die städtische Sparkasse sowie die Vereinsbank Leisnig mit Filialen in Hartha und Geringswalde Gelder bei billiger Verzinsung auf industrielle Anlagen leiht. Besonders günstig für Anlag« von Fabriken in Leisnig ist auch der Umstand, daß sich in nächster Näh« ergiebige Braun- kohlenfeldrr vorfinden, bei Nagewitz beträgt die Flözstärke meist 7 bis 8 Meter. Braunkohlenwerke giebt es in Ragewitz, Leipnitz und im Thllmmkitzwalde. Daß 'bei einer so vielseitig entwickelten Industrie auch der Post- und Bahnverkehr ein reger sein muß, ist ein leuchtend. Ein« heilsame Folge des Eisen-bahnbaues für Leisnig war eS, daß es 1837 Vie e rst e Fahrp 0 st nach Oschatz uno eine Botenpost nach Waldheim erhielt, vorher hatte es nur eine Botenpost nach Colbitz gehabt. Da die sich aus diesem Verkehr ergebenden Zahlen ein ziemlich getreues Bild von dem Aufblühen einer Stadt geben, so sollen vergleichsweise die Zahlen für die Jahre 1895 und 1885 angegeben werden, die «ingeklammerten Zahlen 'beziehen sich immer auf das Jahr 1885. AnBriefen, Postkarten, Drucksachen und Waarrnproben gingen 1895 in Leisnig ein 570 622 Stück (315 360 Stück); Packet« ohne Werth angabe 47038 Stück (31104 Stück); Briefe und Packet« mit Werthangabe 3637 Stück (3618 Stück); Postanweisungen wurden aufgege'ben 33 264 Stück im Betrage von 1977 531 (24 011 Stück im Betrage von 1416345 »/(); an Tele grammen wuvden aufgegeben 4764 Stück (2658 Stück), kamen an 5084 Stück (2951 Stück). Die Porto- und Telegrammgebühren-Einnahme betrug 66 088 (41160 cM- Der Personenverkehr auf dem Bahnhof Leisnig erreichte 1895 die Zahl von 200 174 Personen gegen 161529 Personen im Jahre 1885; der Güterverkehr be trug 1895 : 69 624,2 Tonnen gegen 49 614,9 Tonnen im Jahre 1885. Die vorstehenden Zahlen, die den Berichten der Handels und Gewerbekammrr Chemnitz entnommen sind, geben ein be redtes Zrugniß davon, >daß sich Leisnig in einem recht erfreulichen geschäftlichen Aufschwünge befindet. Die Lage der Stadt Leisnig ist eine überaus an- muthige. Unten im Thal« liegt die betriebsame industrielle Unterstadt, oben auf 'dem Berge erhöbt sich die bergkrönende, burggeschirmte, saubere und freundliche Oberstadt. Die Unter stadt liegt 150 bis 160 Meter, die Oberstadt 200 bis 220 Meter über dem Spiegel 'der Ostsee. Innerhalb Sachsens liegt es fast genau in der Mitt« zwischen Leipzig, Chemnitz und Meißen, durch die Leipzig-Döbelner-Dresoener Eisenbahn hat man von Leisnig aus rasche Verbindung mit den genannten Städten und mit Berlin. Das Wappen von Leisnig zeigt in goldenem Felde einen sch" >,rze".) *chrä'en Balken, o»u links und rechts drei Rauten begleiten. Von der Unterstadt führen angenehme, schattige Promenaden wege nach der Oberstadt, die letztere erhält durch das Schloß ein eigenartiges Gepräge. Das alte Schloß blickt auf eine lange Reihe von Jahren zurück, Erbauer soll nämlich Wiprecht von Groitzsch gewesen sein. Von den ursprünglichen Mauern ist freilich nicht mehr viel vorhanden, sie sielen bakv 'der Zerstörung anheim. Markgraf Wilhelm der Einäugige ließ das Schloß wirder aufrichten, aber schon 1592 stürzte es zum Theil wieder ein. Was in späterer Zeit nachgebaut wurde, hat wenig den Charakter einer Burg beibehaltcn, zu den ältesten Theilen des Schlosses gehört die Burgcapelle, die als einzigen Schmuck Luther's Bildniß trägt. Der 33,60 Meter hohe Wartthurm ward 1875 auf Anregung des Leisniger Alterthumsvereins und unter Beihilfe des Herrn I)r. Mirus nach den Plänen des Herrn Baurath Ür. Mothes stilgerecht erneuert. Von dem Wartthurme aus hat der Wanderer einen gar lieblichen Rundblick auf Leisnig und dessen Umgebung. Im Schloß, der Milden- oder Muloenstein genannt, besinnet sich Vas königliche Amtsgericht, außerdem enthält es noch Bc amtenwohnungen. Durch 'oas Entgegenkommen des königlichen Justizministeriums hat im Schlosse der Leisniger Alter thumsverein mit seinen sehenswerthen und reichhaltigen Sammlungen eine passende Unterkunft gefuiroen. Als Seltenheit sieht man hier die auf Böttcher, den Erfinoer ves Meißener Porzellans, geprägte Denkmünze, das letzte Meßgewand aus dem nahen Kloster Buch, den hölzernen Arm veS heiligen Lau rentius, eine angeblich von Wiprecht von Groitzsch nach Leisnig gebrachte wunderthätige Reliquie, ferner die Insignien der vor mals bedeutenden Leisniger Tuchknappenschaft und auch viele andere auf die Geschichte >der Stadt und deren Umgebung be zügliche Gegenstände. Die Sammlung enthält über tausend Nummern. Eine bemerkenSwerthe Sehenswürdigkeit bildet die Stadt- und Hauptkirche St. Matthäi. Sie ist ein stattlicher gothischer Bau, der zwischen 1460 und 1490 von Ullrich Halb butter mit dem Personale der Rochlitzer Steinmetzhütte ans Rochlitzer Porphyr im Auftrage der Stadt Leisnig errichtet ward. Nach der Zerstörung im Jahre 1637 ward der Bau von Neuem aufgerichtet, 1882 nach den Plänen des Herrn Bau Meisters Möckel von Grund aus erneuert, der Aufwand betrug 52 000 Der um Leisnig hochverdiente königlich sächsische Notar I)r- Karl Adolf Mirus ließ im Jahre 1891 den alt ehrwürdigen Bau mit einem stilgerechten 63,5 Meter hohen Thurme versehen und Frau Fanny oerw. Rentner Böhme mit neuen Glocken. Von der Bergeshöhe schaut der majestätische Bau hinaus in die gesegneten Fluren der Umgebung und verleiht dem Stadtbild« ein besonderes charakteristisches Aussehen. Be achtenswerth ist das Innere der Kirck-e. Besonders fesseln den Blick des Besuchers die Fresken, die den Altarplatz schmücken, sowie di« stimmungsvoll wirkenden Fenster. Am Markte erhebt sich das prächtige Rathhaus, das nach dem großen Stadtbrande im Jahre 1803 von Grund aus neu aufgebaut ward. Um den Marktplatz vergrößern zu können, verlegte man es von dec Mitte desselben nach seinem heutigen Standorte, um Raum für den damals noch sehr bedeutenden Getreidemarkt zu erhalten. Neubau ward erst 1809 vollendet und seiner Bestimmung übergeben. Im Archive des Ratyhauses befindet sich noch manche gesch:chuici)e Urkunde, die für die Geschichtsforschung noch nicht vcrwerthet ist. Auch die 1405 in Kreuzesform erbaute Superintendent»« birgt noch manchen urkundlichen wichtigen Schatz. Einen imposanten Eindruck macht die im Jahre 1888 von der Stadt erbaute Caserne, in 'der gegenwärtig das zweite Bataillon des königlich sächsischen Infanterieregiments Nr. 17!' einquartiert ist. Dieselbe liegt frei und gesund im Süden der Stadt an der Colbitzer Straße. Die Herstellungskosten be trugen 320 000 ck/. Andere bemerkenswerthe Gebäude sind das Ge- I bäude ver stävtischen Realschule, die neue Bürgerschule, das I stattliche Postgebäude, dessen Erbauer und Besitzer Herr Amts I baumeister Schurich ist. An Behörden findet man in Leisnig ein Amtsgericht, Superintendentur, Militaircommando, Kaiserliches Postamt, Bahnhofsinspection, Standesamt, Aichamt und ein Königliches Untersteueramt im neuen Schlachthofe. Unter städtischer Ver waltung stehen folgende Schulen: drei Bürgerschulen, eine Feuilleton. Fräulein Hinkebein. Eine wahre Geschichte von WillyWeber. S!a<tdr»ck verboten. Sie war ein ganz nichtsnutziges Ding. Vor Allem besaß sie einen unbezähmbaren Drang zum Umhertreibcn und Vaga- bondiren. Alle Ermahnungen der Mutter halfen nichts, selbst einig» derbe Katzenköpfe des Vaters blieben ohne Wirkung. Man konnte zehn gegen eins wetten: wurde „Miez" gesucht, so war sie nirgends zu finden. Im Uebrigen war „Miez" ein hübsches Thierchen mit seiden weichem grauen Fell, klugen Augen, langen Spurhaaren; sie konnte sich ganz gut aufs Schmeichelkätzchen hinausspielen, wenn sie nur wollte. Aber da Jugend keine Tugend hat, wollte sie gewöhnlich nicht. Befreundet hatte sie sich eigentlich nur mit der Tochter des Hauses, der blonden Else, deren Liebkosungen sie unter lautem Schnurren entgegennahm. Allen übrigen Familien mitgliedern brachte sie Theilnahmlofigkeit, sogar Geringschätzung entgegen, die Magd aber haßte sie geradezu. Als „Miez" eines Morgens an den Sahnentopf gegangen war, war sie von der Magd ertappt worden. Sie hatte sich zwar durch einen ver zweifelten Sprung in Sicherheit gebracht, aber die Magd hatte hinter dem Flüchtling eizren Lederpantoffel hergefeuert, daß KieS und Funken stoben. Das war doch eine katzenunwürdige Be handlung. Dafür hatte sie sich aber schon wiederholt revanchirt. Ein mal hatte Miez das Fleisch vom Teller stibitzt, dann hatte sie sich in die Schlafstube geschlichen und als Abends die Magd die Thür öffnete, war sie pfauchend und pustend die Treppe hinuntergesaust, daß dir Magd vor Schreck um Hilfe schrie, weil sie Einbrecher vermuthete, und schließlich hatte sie ihre Krallen ordentlich gebraucht, als sie gefangen werden sollte. „Biest elendigliches hörte sie die Gekratzte noch rufen. Im Hause war es soweit ganz hübsch, aber da» Herumlaufen im Garten, auf der Straße, rm Feld und Wald gefiel „Miez" eben besser. Gefahrlos war da» allerding» nicht; einmal hakte sie von einem Kutscher einen Peitschenschmitz abgekriegt, in den See war sie auch schon gerathen, ein Hund hatte sie in den Schwanz gebissen, sogar Schrote waren ihr schon um die Ohren gepfiffen, al» sie sich zu dicht an die Kette der Jäger heran gewagt hatte. Ne klagte ihre Noth der Mrttter. „Wer nicht hören will, muß fühlen", hatte sie die abgewiesen, „an Ermahnungen hat e» nicht gefehlt, aber wenn Du sie alle in den Wind schlägst . . . Miez steckte eine zerknirschte Miene auf, dabei dachte sie aber: Redet mir vor, so viel ihr wollt, da» geht bei mir zu einem Ohr hinein und zum anderen hinaus. Und so blieb es beim Umher- trviben. Eines Tages strich Miez über einen Kartoffelacker. Vor sichtig duckte sie sich die Furchen entlang, — da raschelte es vor ihr und ein junges Rebhuhn stieg mit raschem Flügelschlage auf. Miez nahm sofort die Verfolgung auf. Sie hatte sich auch bald an das Thierchen herangepürscht und wollte eben zum ent scheidenden Sprunge ausholen, da ließ sich plötzlich ein großes Rebhuhn beinahe vor ihrer Nase nieder. „Mir auch recht", dachte Miez, sprang zu — und verfehlte das Huhn, das blitzschnell zur Seite gelaufen war. Dieses Spiel wiederholte sich noch einige Male, und als Miez noch einen Gewaltsprung riskirte, stieg das Rebhuhn auf und strebte dem nächsten Gebüsch zu, in welchem sich das Junge längst in Sicherheit gebracht hatte. „Was für Schlau berger das sind", knurrte Miez, „'ne solche Fopperei ist noch gar nicht dagewesen. Nun sitze ich hier und kann mir den Mund wischen." Sie schlängelte sich noch vorwärts bis zu einer einsamen am Wegrand« stehenden Scheune, vielleicht gab's unter dem Dachfirst einen Sperlingsbraten. Sie staunte nicht wenig, als sie an der Thür schon sine Katze sitzen sah; pechschwarzes Fell, ver schmitzte gelbe Augen, emporstrebende Ohren. Wie ein Blitz schoß ihr der Gedanke durch den Kopf: diese Katze ist ein Kater, und vor dem Zusammentreffen mit Katern hatten sie ihre Eltern so eindringlich gewarnt! Aber ehe sie sich noch zurückziehen konnte, war sie schon bemerkt worden. Mit zürlichen Schritten tänzelte der Schwarze auf sie zu: „Guten Tag, Friiuleinchen", schnurrte er in außerordentlich jovialem Tone, „wo kommen Sie denn her, mit wem habe ich denn daS Vergnügen? Ich bin der schwarze Peter vom Dominium." „Ich heiße Miez", flüsterte sie schüchtern, „und wohne drunten beim Bauunternehmer." „Na, soweit 'ne ganz nette Gegend, ober wir vom Dominium sind doch immer herrschaftliche Kotzen . . er setzte sich in Positur und drehte sich di« Spurhaare. Nun entspann sich eine allgemeine Unterhaltung; die Mäusefrage wurde discutirt, die Ruppigkeit der Dienstboten besprochen, die Gemeingefährlich seit der Hunde erörtert. Dann wurde das Gespräch intimer, es wurde leiser geführt und ging schließlich in ein vergnügliches Schnurren Uber .... — „Also leb' wohl für heute", miaute schließlich der schwarze Petek zärtlich und reichte Mie, graciös die Pfote. „Es bleibt also bet unserer Verabredung, — morgen gegen Abend an der selben Stelle!" Miez nickte zustimmend und machte sich schleunigst auf den Heimweg, denn eS war schon spät geworden. Der Empfang war »ein freundlicher. Da« Abendessen war schon verzehrt und Miez mußte mit den Brocken vorlieb nehmen. „Jo", schalt sie die Mutter, „wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muß seh'», wa« übrig bleibt." „Wo hast Du Dich denn wieder Herumgetrieben?" knurrte der Vater ärgerlich. „Ich war mit dem schwarzen Peter vom Dominium zu sammen", erzählte die Mieze. „Was, mit diesem Don Juan?" miaute die Mutter, „daß Du Dich mit dem nicht einläßt!" „Ich soll aber morgen wieder zu der Scheune kommen", greinte Miez. „Daraus wird nichts", entschied der Vater, „Du bleibst hier oder es giebt Katzenköpfe, daß die Haare nur so fliegen." Miez verbrachte eine schlaflose Nacht. Sollte sie den Eltern gehorchen? Sollte sie ihr Versprechen brechen? In ihrer Auf regung tappte sie in die Küche und angelte sich eine Wurst aus dem Speiseschrank — sie hatte ja den ganzen Tag nichts Rechtes ge gessen . .... Außerdem würde es ja doch heißen, daß die Magd in den Schrank gegangen sei, und der geschah es ganz recht. Am anderen Morgen merkte Miez, daß sie strenger Aufsicht unterstellt war. Man ließ sie kaum aus der Stube, niemals war sie allein, Vater und Mutter waren immer um sie beschäftigt. Die Magd hielt, mit einem Besenstiel bewaffnet, an der Hofthür Wacht, und selbst Elschen blieb in einem Fragen nach der „Miez". Wäre diese belästigende Controle nicht gewesen, würde Miez sich vielleicht gefügt haben, aber so „Nun gerade nicht", dachte sie, „meinetwegen legt Schlösser vor die Thüren, ich rücke doch aus!" Gesagt, gethan. Am Nachmittag spazierte Miez langsam die Bodentreppe hinauf. „Sie geht schlafen", meinte die Mutter be ruhigt. Aber Miez dachte gar nicht an's Schlafen. Nachdem sie sich überzeugt hatte, daß man ihrer Spur nicht folgte, zwängte sie sich vor bis zur Bodenluke. Zu der streckte ein Äpfelbaum seine Aeste empor. Ein vorsichtiger Anlauf, ein Sprung —, Hurrah, Miez erfaßte den einen Ast und steuerte ratternd am Stamm bis zur Erde. Athemlos lauschte sie, verstohlen blickte sie um her.. . Niemand hatte sie bemerkt, die Flucht war ihr glänzend gelungen. Schmunzelnd trollte sie durch den Garten, schlüpfte durch eine Lücke des Zaunes und war bald in dem Kartoffelacker. Sie schlug genau denselben Weg wie gestern ein. Das junge Reb huhn jagte sie auf, das Alte kam Solche Faxen", lachte Miez, „mich macht Ihr nicht mehr dumm. Außerdem habe ich heute Besseres zu thun, ich geh' zu meinem Peter.' „Meinem" Peter, — wie stolz daS klang! Aber hatte er ihr denn nicht Versprechungen gemacht? Hatte er ihr nicht ein Liebes lied vormiaut? War d«r Schlußvers nicht bis zu den Tönen emporgestiegen, der Menschen rasend machen kann? Sie war kein Stein, den er zu erweichen brauchte, ein liebebedürftiges Katzen herz schlug in ihrer Brust. Welch' «inen Empfang ihr wohl Peter bereiten würde, — er würde sie auf den Pfoten trag«. Ein Don Juan sollte er sein, Unsinn, sie würde ihn schon zu fesseln verstehen, und dann ... ach, da war ja schon die Scheune! Sie lugte nach der Thür, Peter war nicht da. Sie schlich die Treppe empor: keine Spur von Peter. „Er wird vielleicht nach dem Sperlingsnest ge krochen sein", calculirte sie, „er will mich mit einem Braten über raschen." Sie erklomm die Leiter, die gerieth bedenklich ins Rutschen, so daß sie nur mehr über der Tennenöffnung hing. Draußen war Peter auch nicht. Die jungen Sperlinge saßen ruhig im Nest, er war also heute gar nicht hier gewesen. Ein solches Spätzlein hätte sich Miez ohne Weiteres greifen können, aber ihr war jeder Appetit vergangen. Das war also die Treue der Kater . . ., um diesen schwarzen Kerl hatte sie die Eltern und Haus und Hof verlassen . . .! Ein Hcimathsgefühl überkam sie, nach Hause, nur nach Hause, fort von hier, — ein Sprung zur Tennenöffnung, mit der linken Schulter streifte sie di« Leiter, die schlug urplötzlich um, und ehe Miez sich noch retten konnte, traf die Lenerkante ihren rechten Hinterfuß. Da hing sie nun, kopfunter und gefangen wie in einer Fuchs falle. Der schwere Schlag der Leiter hatte sie für Augenblicke betäubt, die scharfe Kante hatte die Knochen zermalmt. Als sie wieder zurBcsinnung kam, freute sie sich darüber, daß sie vorläufig Schmerzen nicht verspürte. Vielleicht konnte sie sich retten. Sie strebte nach rechts empor, sie versuchte links einen Halt zu ge winnen, es war vergebens. Die Kante der Leiter lag wie ein Bleigewicht auf ihrem Schenkel und jede Bewegung verursachte unsägliche Schmerzen. Miez winselte, kreischte, schrie, beulte, — kein Mensch hörte es. In dieser qualvollen Lage verbrachte das Thier eine Nacht, einen Tag . . ., noch eine Nacht. Ein Tag folgte noch, — Miez hätte gerne der Qual ein Ende gemacht, — aber das zähe Katzen leben . . . Noch eine Nacht . . . Am anderen Morgen kam die Besitzerin der Scheune und be trachtete staunend das Vieh, das auf die Tenne niederhing. Es war eine Kühe, die nur noch schwache Spuren des Lebens zeigte. Miez wurde halbtodt nach Hause getragen. Das zerquetschte Pein wurde amputirt. Blond-Elschen übernahm die Pflege der Patientin. Der Thierarzt gab zue-st wenig Hoffnung, ober Miez erholte sich. Sie trank Milch, nahm Semmel, dann Fleisch. Schließlich verließ sie auch ihr Krankenlager, sie stand auf, mit drei Beinen! Fräulein Hinkebein wurde sie nun getauft, und diesen Namen führt sie noch heute. Inzwischen hat sich Fräulein Hinkebein verheirathet. Sie ver fügt auch schon über eine Anzahl Kinder. Es ist ergötzlich an zusehen, wenn Madame ihren Sprößlinaen Zucht und Titte bei bringt: dazu gebraucht sie die rechte Vorderpfote und sitzt nur noch aus zwei Beinen!
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