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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.12.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981215015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898121501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898121501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-15
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«tz«g»Pre^ k der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und deu Vororten errichteten AuS- aabestellen ab geholt: vierteljährlich ^l4L0, bet zweimaliger täglicher Zustellung in« OauS^tbchO. Durch die Post bezogen für Deutschland nnd Oesterreich: virrtel,ährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandienduug in« Ausland: monatlich 7.50. Die Morgni-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. hi« Abend-AuSgabe Wochentag« um b Uhr. Ne-actiou und Erve-it'um: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrocheH gröffurt von früh 8 bis Abends 7 Uhr. »o»»c> < Filiale»,: Ott» Slemm'S Lortim. (Alfred Hahn)) Universitätsslraste 3 (Paulinuss'), Lolli« Lösche, Katbarinenstr. 14, pari, und Körig«platz L KAI. sssssssss— Morgen-AusgaVe. MpMerTagMak Anzeiger. Amtsblatt des Aömgkichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Motizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. AvreigenPreis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. 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Frankreich hatte gleich nach dem Kriege den Anspruch auf »ine Kompensation erhoben und Bismarck hatte das Bedürfnitz Frankreichs nach einem Zu wachs an Land und Leuten im Gespräch mit Benedetti anerkannt, jeden Versuch dagegen, solche Kompensation auf deutschem Ge biete zu gewinnen, in unzweideutiger Form abgelehnt. Die Lage des noch in der Organisation begriffenen Norddeutschen Bundes erheischte doppelt diplomatische Vorsicht, und kein billig Denkender wird es Msmarck verdenken, wenn er die Frage dilatorisch be handelte, den Franzosen es überließ, ihre Compensationswünsche zu formuliren, und sie dann in wohlwollender Form mit ihrem Berliner Repräsentanten erörterte. Wenn Moralisten in dieser Be handlung eine dem deutschen Charakter fremde Art finden wollen, so beweisen sie damit nur, daß sie von dem A-B-C der diplo matischen Kunst keine Ahnung haben. Es wäre eine geradezu strafbare Plumpheit gewesen, wenn Bismarck den französischen Wünschen ein kategorisches Nein entgegengestellt und dadurch den Krieg provocirt hätte; genug, daß er die Abtretung deutschen Gebietes bestimmt ablehnte. Bei jedem anderen Erwerb, den Frankreich in Europa zu machen wünschte, hatten die europäischen Mächte mitzusprechen; das machte die Sache für Frankreich un bequem. Angesichts der Möglichkeit einer europäischen Ver wickelung stimmte Napoleon seine Wünsche bedeutend herab: er wollte Luxemburg durch Kauf von Holland erwerben und brachte auch den König Don Holland durch Ileberredung und Drohung zum Abschluß eines Kauf-Vertrags. Der Norddeutsche Bund konnte an sich auf Luxemburg Rechtsansprüche nicht erheben; aber das deutsch« Nationalgefühl äußert« sich damals in einer so leb haften Form, daß Bismarck darin einen starken Verbündeten fand für seine diplomatische Action, die Luxemburg vor fran zösischer Begehrlichkeit sicherstellte, und seiner zukünftigen Neu tralität die Bürgschaft der europäischen Großmächte verschaffte. Seit diesem Mißlingen dachte Napoleon an den Krieg mit Preußen, die Reform des französischen Heeres, seine Neuorgani sation und bessere «Bewaffnung wurde mit Eifer betrieben, und fleißig hielten seine Berather Ausschau nach einem Vorwande, der die Kriegserklärung in den Augen Europas rechtfertigen konnte. Die preußische Politik aber hielt sich in so korrekten Bahnen, sie war so «hrlich beflissen, die Friedlichkeit ihrer Ziele zu betonen und di« Bestimmungen des Prager Friedens hin sichtlich der süddeutschen Staaten auch allen pandeutfchen Be strebungen gegenüber zur Geltung zu bringen, daß Frankreich sich schon den Vorwand schaffen mußte, wenn es gum Kriege gelangen wollte: die Candidatur deS Erbprinzen Leopold von Hohen» zollern bot hierzu willkommene Gelegenheit (22. Capitel: D i e Emser Depesche). Die Franzosen werden nicht müde, zu behaupten — und die deutschen Franzosenfreunde unter den Socialdemokraten stimmen ihnen bei —, daß die Hohenzollern'sche Kandidatur von Bismarck eigens erfunden worden sei, um die Franzosen zum Kriege zu reizen. Daß das eine Lüge fei, ist schon tausendmal bewiesen worden, und vor der Geschichte wird auch die Lüge keinen Bestand haben. Der Antrag, König von Spanien zu werden, ist dem Erbprinzen Leopold von Spanien aus gemacht worden. Die ganze Sache ging nur Spanien und den Erbprinzen, bez. dessen Vater als Familienhaupt deS Hohenzollern - Sigmaringischen Hauses an, den König von Preußen nur in seiner Eigenschaft als Chef des Hohenzollern'schen Gesammthauses, insoweit ihn die fürstliche Linie in ihren Familienangelegenheiten als solchen an erkannte. Weder der preußische Staat noch der Norddeutsche Bund konnte sich mit der Frage der Besetzung des spanischen Thrones befassen, und wenn Bismarck in dieser Angelegenheit dem Fürsten Anton und seinem Sohne auf ihr Befragen Rath schläge gab, so that er es nicht in seiner Eigenschaft als Kanzler des Norddeutschen Bundes, sondern als Privatmann ohne jede Verbindlichkeit für Preußen und den von ihm geleiteten Bund. Gewiß ist — und er hat «S nie bestritten —, daß er dem Prinzen gerathen hat, Spaniens Wunsch zu erfüllen, aber ebenso gewiß ist, daß er diesen Rath nicht gab in der Hoffnung, dadurch zum Kriege mit Frankreich zu gelangen. Er glaubte im Gegentheil, vaß dic Wahl des Prinzrn, der dem Napoleonischen Haase i>äh » verwandt war als den Hohenzollern in Preußen, in Paris auf Widerstand nicht stoßen würde, und hielt es für ganz selbst verständlich, daß der Prinz als König von Spanien danach streben würde, die Fühlung mit der kaiserlich französischen Politik zu gewinnen, die zu den Vorbedingungen gehörte, unter denen er Spanien regieren konnte. Daß er die spanische Thronfrage unter dem Gesichtspunkte der deutschen Interessen erwog, war seine Pflicht, aber er dachte zunächst mehr an wirthschaftliche als an politische Beziehungen, denen ein König von Spanien deutscher Abstammung förderlich sein konnte: „Ein uns befreundetes Element in der spanischen Regierung wäre ein Vortheil gewesen, den r» liwins abzuweisen in den Aufgaben der deutschen Politik kein Grund vorhanden war, es sei denn, daß man die Besorgniß, Frankreich könne unzufrieden werden, als einen solchen gelten lassen wollte." Die Haltung Spaniens im deutsch-fran zösischen Kriege hat gezeigt, wie wenig Deutschland in politischer Hinsicht von Spanien erwarten durfte: die Nachkommen des Cid sahen „Gewehr bei Fuß" zu, wie sich die deutschen Truppen mit den Franzosen schlugen um die Freiheit der spanischen Königs wahl und ließen ohne Murren die Fälschung der Frage aus einer spanischen in eine deutsche geschehen, statt ihrerseits Frank reich wegen seiner Einmischung in eine spanische Angelegenheit zur Rechenschaft zu ziehen. Wenn Frankreich sein Interesse durch die Wahl des Hohen zollern'schen Prinzen gefährdet glaubte, so hatte es sich nach Madrid, nicht nach Berlin zu wenden; indem es seiner pein lichen Ueberraschung im Auswärtigen Amte zu Berlin Ausdruck gab, bewies es, daß es den gesuchten Vorwand zum Kriegsfall mit Preußen gefunden zu haben glaubte. Die Antwort, die Herr von Thile dem französischen Geschäftsträger gab, war durchaus correct: dem preußischen Ministerium war die durchaus als Familiensache behandelte Angelegenheit amtlich fremd; denn das in den Denkwürdigkeiten des Königs von Rumänien erwähnte Ministerconseil im Schlosse zu Berlin hat niemals stattgefunden, di« spanischeCandidatUr ist dort höchstens im Tischgespräch berührt, niemals aber amtlich ver handelt worden. In Paris mochte man kein Hehl daraus, worauf «8 bei der ganzen Komödie abgesehen war: Preußen sollte ent weder zur Zurückziehung der Candidatur, zu der es nur durch die Person seines Königs als eines Mitgliedes des Hohen zollern'schen Hauses in Beziehung stand, gedemüthigt oder zum Kriege getrieben werden. Ließ es sich demüthigen, so hatte Frankreich einen diplomatischen Erfolg errungen, der sein durch 1866 verlorenes Prestige mit einem Schlage wieder herstellte, lehnte es die geforderte Genugthuung ab, so hoffte man es zu schla^ no .echneie dabei aus die Mitwirkung der südd«"tsth,n Staaten, sowie derjenigen unzufriedenen Elemente des Nord bundes, sie aus ihren französischen Sympathien kein Hehl machten. Die französischen Minister „lebten, rechneten und handelten in Rheinbundserinnerungen", „der deutsch - nationale Aufschwung, welcher der französischen Kriegserklärung folgte, vergleichbar einem Strome, der die Schleusten bricht, war für dir französischen Politiker eine Ueberraschung". Das Ministerium Gramont-Ollivier überstürzte die Dinge: der un berechtigten Anfrage vom 4. Juli, die Bismarck als eine „inter nationale Unverschämtheit" bezeichnet, „die für uns dic Un möglichkeit involvirte, auch nur um einen Zoll breit zurückzu weichen", folgte am 6. die „amtliche internationale Bedrohung mit der Hand am Degengriff" durch die Erklärungen der beiden Minister und die Fluth von amtlich autorisirten Beschimpfungen Preußens in der französischen Presse über das Thema ,.I.n krussc; cnns" (Preußen kneift!). Bismarck wurde durch den Sturm kriegerischer Leidenschaft, den das Bekannkwerden der Hohenzollern'schen Candidatur an der Seine entfesselt hatte, in Varzin überrascht; hatte er den ersten Aeußerungen in der französischen Presse kein besonderes Gewicht beigelegt, so belehrte ihn die amtliche Erklärung der Minister vor den gesetzgebenden Körperschaften in Verbindung mit der Thatsache, daß Graf Benedetti Weisung erhalten hatte, in Ems direkt beim Könige von Preußen vorstellig zu werden, daß an dem Ernst der Lage nicht zu zweifeln sei. Er verliest am 12. Juli Varzin, um sich nach Ems zu begeben und bei dem Könige die Berufung des Reichstages zum Zwecke der Mobil machung zu befürworten. Er gab die Reise nach Ems aus, als er in Berlin aus den eingegangenen Telegrammen ersah, daß der König auch nach den französischen Bedrohungen in Presse und Parlament fortfuhr, mit Benedetti zu verhandeln, „ohne ihn in kühler Zurückhaltung an seine Minister zu verweisen". Die am Abend eintreffende Nachricht von der Entsagung des Prinzen von Hohenzollern bestärkte ihn in seinem Entschlüsse, aus dem Dienste zu scheiden, „weil er nach allen beleidigenden Provokationen, die vorhergegangen waren, in diesem erpreßten Nachgeben eine Demüthigung Deutschlands sah", die er amtlich nicht verant worten wollte. Moltke und Roon, die an diesem Abend bei ihm waren, hatten gleich ihm das Gefühl, daß Preußen durch seine Nachgiebigkeit eine Niederlage erlitten habe, die der von Olmütz gleichkam. Die Dinge waren durch die persönlichen Verhand lungen des Königs mit Benedetti auf einen falschen Strang gekommen; er hätte vollständig correct gehandelt, wenn er den zudringlichen und unbequemen Fragesteller an den Minister ver wiesen hätte, dem es zukam, politische Verhandlungen zu führen. In aufrichtiger Friedensliebe hatte er sich ehrlich bemüht, die französische Aufregung zu dämpfen, und war sicher der festen Ueberzeugung, der Würde seines Staates nichts vergeben zu haben. Sein Minister war anderer Meinung. Im kon stitutionellen Staate ist nicht das Staatsoberhaupt, sondern der Minister verantwortlich, und das Triumphgeheul der französischen Presse über den diplomatischen Sieg Frankreichs beweist zur Ge nüge, daß man dem Ministerium Bismarck und der durch das selbe vertretenen preußischen Ehre einen tödtlichen Streich zu gefügt zu haben glaubte. Da war es eine besondere Fügung, daß der König den Minister ermächtigte, die Thatsache, daß die neue, geradezu unerhörte Forderung einer bindenden Garantie für dic Zukunft vom Könige zurückgewiesen worden sei, sowohl den Gesandten wie in der Presse mitzutheilen. Die Form war Sache des Ministers, und es ist eine ganz un- FarriUaton. Das Weihnachtsheimweh. Von Marie Stahl. Nachdruck vtriotrn. „Wäre ich doch nicht hergekommen, wäre ich doch meilenfern von hier!" dachte vr. Arnold Falkner, während er mit seiner Tischnachbarin einen Knallbonbon aufknallte und scheinbar sehr herzlich über den einliegenden Vers lachte: „Liebe führt durch dick und dünn Endlich doch zum Küster hin." Er hatte die Einladung in die Thiergartenstraße beim Bankier Gaedicke angenommen, weil er den Weihnachtsabend nicht in drr Kneipe oder allein zubrtngen wollte und — trotzdem er es sich selbst durchaus nicht eingestand — zog ihn die Hoffnung her, Sigrid Wilhelmi hier zu treffen. Nun ja, sie war da. Die kleine Sängerin mit der süßen Stimme und den großen Räthselaugen, die er seit einigen Wochen vergeblich zu errathen suchte. Waren sie nichts als neckische Irrlichter oder war der ge- heimnißvolle Glanz, der zuweilen übermäßig aus ihren Tiefen brach, Licht vom ewigen Himmelslicht? WaS nutzte «S ihm nun, daß sie da war? Sie saß am anderen Ende der Tafel hinter einem Aufsatz mit prachtvollen Orchideen ganz verborgen, so daß er nur eine einzige Locke ihres silberblonden Nixenhaares und einen Streifen duftiger Spitzen von ihr sah. Aber der baumlange, athletisch gewachsene Garde- Kürassier mit dem blaublütigen Air, ihr Tischnachbar, sah so verliebt aus und amüsirte sich so ausgezeichnet, daß sie, danach zu schließen, sehr liebenswürdig aufgelegt sein mußte. Freilich, die Gard«unifvrm und dazu ein reichsgräflicher Name von einem der reichsten schlefischen Adelsgeschlechter — welch« Sangeskünstlerin mit großem Ehrgeiz und noch sehr kleiner Gage konnte da widerstehen? vr. Falkner, der HauSarzt der Gaedickes, fuhr fort, Bonbon« zu zerknallen, Dielliebchen zu essen und mit der lustig lärmenden Jugend um ihn herum zu lachen, al« gäbe es nichts Ver« gnüglichereS auf der Welt, wahrend er eine gräßliche Oede in seinem Innern fühlte. Jetzt wurde die Tafel aufgehoben, die Flügelthüren-zu einem angrenzenden Prunksaal öffneten sich, und der eintretenden Ge sellschaft bot sich rin strahlende« Bild. Ein deckenhoher, prachtvoller Weihnachtsbaum blendete da« Auge mit Strömen elektrischen Licht« und prangte in feenhaftem Schmuck metallisch schillernder Blumen, Sterne und Flüchte, wie spinnwebarkige'r glitzernder Fäden, die graziös die Zweige umspannen. Der ganze Saal war in ein Meer von Licht getaucht, vor dem Weihnachtsbaum befand sich ein lebendes Gruppenbild, von einem Künstler malerisch inscenirt: die Madonna mit dem Christ kindlein, umgeben von anbetenden Hirten und Engeln, von jungen und jüngsten Mitgliedern der Familie Gaedicke gestellt. Und hinter dem Weihnachtsbaum, von leisen Geigentönen begleitet, sang die süße Stimme der kleinen Wilhelmi: „Stille Nacht, heilige Nacht —" Kaum war daS Lied verklungen, so brach die schweigende Bewunderung in lauten, jubelnden Beifall aus. „Gott, die Käte! was für eine entzückende Madonna!" „Sieh doch nur unser Hermännel, den reizenden Hirten bengel!" „Wirklich großartig! Diese Licht- und Farbeneffecte! Wahrhaft überirdisch ist die Engelgruppe! Wie auf dem Theater!" Eine junge elegante Frau drängte sich vor, streckte die Arme aus und rief lachend und jauchzend: „Hansi, mein Hansi!" Worauf das Christkindlein plötzlich ansing, so laut zu krähen und zu strampeln, daß jede Andacht hin war und die schöne Gruppe sich unter schallendem Gelächter löste. Jetzt folgte der zweite Theil der Weihnachtsfeier, die Be- scheerung. Auf schön decorirten Tafeln waren überreiche Geschenke aufgebaut, für Kinder und Erwachsene. Nachdem die Großen sich auch an diesen Herrlichkeiten und an dem Jubel der Kinder müde gefreut, zogen sich die älteren Herren an die Spieltisch« zurück, die Jugend folgte lockenden Walzerklängen in den Tanzsaal und dic alten Damen ruhten plaudernd von den Strapazen des Tages. Als vr. Falkner Sigrid im Arm ihreS blaublütigen Ritt meisters durch den Saal fliegen sah, zog er sich in ein Neben gemach zurück und gesellte sich zu den Herren, die das Rauchen dem Tanze vorzogen. Schließlich blieb er allein in dem lauschigen Winkel, wo ein Arrangement tiefer, weicher Sessel um ein Rauchtischchen, in einem byzantinischen Erker, unter einer rubinrothen Ampel stand. Plötzlich knisterte ein seidene« Frauengewand ganz in seiner Nähe. Er war so verträumt gewesen, daß er nicht das Nahen eines Menschenpaare« auf dem dicken Zimmerteppich gehört hatte. Ein« leise, heftige Stimme sagte: „Gehen Sie, ich will allein sein! Ich befehle Ihnen zu gehen!" Worauf eine vor Leidenschaft bebende Männerstimme flüsterte: „Sigrid! ich bete Sie an — ich liebe Sie — ich " Aber im nächsten Augenblick verließ der Rittmeister eiligst das Gemach, als er einen unberufenen Zuhörer in der Tiefe des Erker« entdeckte. Sigrid setzte sich mit einem Hellen Lachen zu vr. Falkner, sie schmiegte sich tief und behaglich in einen der schwellenden Sessel und sagte: „Sie haben das beste Theil erwählt. Aber hübsch ist es doch nicht, daß Sie am Weihnachtsabend ein so griesgrämiges Gesicht machen und thun, als sähen Sie Einen gar nicht!" Sie sah über ihren Federfächer so schelmisch vorwurfsvoll zu vr. Falkner hinüber, daß diesem das Herz schwoll. „Ich habe das Weihnachtsheimweh", erwiderte er. Der Federfächer fiel auf den Teppich, sie legte beide Arme auf die Seitenlehne des Sessels, stützte das Kinn in die schmalen Hände und sah ihn mit einem seelenforschendrn Blick an. „Das Weihnachtsheimweh? Kennen Sie das?" „Ja. Nach dem Weihnachtsbaum meiner Kindheit, der so wundervoll nach Wachslichtchen und braunem Pfefferkuchen duftete. Nach meiner Mutter und den schönen Weihnachts liedern, die wir unter dem Christbaum sangen. Der prächtige Baum heute hatte keine Seele und keinen Duft. Die Jungfrau Maria und die Engel waren alle geschminkt, es war eine reizende Theatergruppe, und sie ließ mich ganz kalt. Ich bin es nicht gewöhnt, die heilige Nacht im Ballsaal zu feiern, ich hätte nicht Herkommen sollen, aber ich fürchtete das Alleinsein." Sigrid schlug beide Hände vor das Gesicht und ein leises Aufschluchzen machte ihren ganzen Körper beben. „O, das Weihnachtsheimweh! Wie bin ich vor ihm ge flohen! Ich wollte tanzen, tanzen bis zur Bewußtlosigkeit, um cs zu vergessen! Aber es läßt sich nicht Niederkämpfen. Der heimathlose Mensch mag sich noch so hart machen, es faßt ihn, es schleicht sich in seine Seele — mit einem Glockenklang, mit einem alten Lied, mit einem Weihnachtsduft, der ihm aus irgend einem Winkel entgegenweht — es blüht vor ihm auf aus dem hartgefrorenen, verschneiten Boden wie eine Wunder blume — er hört den Wind im 2fen Pfeifen, und da ist eS in der klagenden, winselnden Stimme des Windes " „Ja, ja, so ist eS", sagte vr. Falkner, „und wenn man so schöne Weihnachtserinnerungen wie ich hat! Ach, wie deutlich steht vor meinen Augen die alte Stadt und das Vaterhaus mit seinem Weihnachtszauber!" „O, was wissen die Städter von den Wundern der heiligen Nacht!" rief Sigrid, und sich in ihren Sessel zurücklehnend blickte sie mit sehnsüchtig leuchtendem Blick wie in weite Fernen. „Draußen auf einem kleinen entlegenen Dorf, mitten im flachen Land, das die eisigen Winterstürme fegen, wo der Himmel so unendlich ist wie die Ewigkeit, da ist eS gut Weihnachten feiern! Da glitzern und funkeln die Sterne so wundersam und ein feierliches Brausen wie Orgelklang geht durch die tiefverschneiten Wälder! In den kleinen Häusern und Hütten ducken sich di« Kinder unter Wonneschauern in warmen Eckchen zusammen und lauschen fiebernd vor großer Freude und Erwartung hinaus auf da- Wunderherrliche, das kommen soll. Plötzlich schwebt Glocken klang über das Dorf in die frostklare Stille der Winternacht hinaus, eS ist nur ein dünner, etwas blecherner Klang, aber den Kindern däucht es Sphärenmusik. Mit dicken Pelzkappen und Fausthandschuhen trippeln sie hinter den Eltern nach der kleinen Dorfkirche, aus der Lichterschein und leise Orgeltöne geheimnißvoll dringen. Nur einmal im Jahr sehen sie die alte wunderliche Kirche im Kerzenlicht und es ist wie ein Märchen. Auf dem Altar stehen zwei Tannenbäumchen mit dünnen gelben Wachslichtchen, an den Kirchenstühlen und am Orgelchor brennen kleine Kerzen und in dem großen finsteren Raum werfen diese Kerzenflammen nur schwache röthliche Lichtkreise. Tiefes Dunkel webt in den Ecken und Winkeln und nur undeutlich und ver schwommen fällt hier und da ein zitternder Lichtstrahl auf einen Todtenkranz an der weißen Kalkwand oder auf die grell bunte Gestalt eines Apostels oder Engels im Bilde. „Mit hüstelnder Stimme verkündet der alte weißhaarige Pastor vor dem Altar die Wundergeschichte im Stalle zu Beth lehem, und unter Schauern der Andacht singen die Kinder: „Stille Nacht, heilige Nacht" vom Orgelchor herab. „Und wenn sie Heimkommen durch Schnee und Nacht und Graus, da strahlt und duftet und leuchtet es auch in der ärmsten Hütte! „Ach, könnte ich mich nur noch einmal im Leben so freuen, wie in dem alten grauen Pächterhaus, wo der Weihnachtsbaum auf weißgescheuerter Diele stand und seine ganze Herrlichkeit in ein paar rothen Aepfeln und bunten Papierflittern bestand! Wo wir Kinder so fröhlichen Ringelreihen um ihn tanzten und unter seinen Zweigen uns Märchen erzählten, bis das letzte Lichtlein knisternd erlosch!" Sigrid legte den Kopf in beide Hände und weinte wie ein Kind. „Sigrid", sagte eine tiefbewegte Stimme, „wir haben beide das große Weihnachtsheimweh, wollen wir uns nicht zusammen eine neue Heimath suchen? Da soll die alte Weihnachtsherrlichkeil wieder auferstehen! Nächstes Jahr werden wir unseren eigenen Weihnachtsbaum haben, wir werden wirkliche rothe Aepfel und echte Nüsse in seine Zweige hängen und ganz altmodische gelbe Wachslichtchen sollen brennen. Unser Heim soll nach braunem Pfefferkuchen und Tannengrün duften und wir sitzen unter unserem Weihnachtsbaum und erzählen uns das wunderselige Märchen von der ewigen Liebe, die in der heiligen Nacht von Himmelshöhen auf die arme Erde herniederstieg, bis das letzte Lichtchen knisternd erlischt." Sigrid hörte auf zu weinen, ein strahlendes Lächeln verklärte ihr Gesicht, und still legte sie den Kopf an die Brust des Mannes, der vor ihr kniete. „Und wenn wir ganz alte Leute mit eisgrauem Haar sind, sitzen wir am letzten Weihnachtsabend unseres Lebens wieder unter unserem duftenden Baum und erzählen unseren Enkeln das alte süße Liebesmärchen. Dann haben wir Beide wieder daS große Weihnachtsheimweh nach der ewigen Heimath, und wir wissen, daß wir bald nach Hause kommen. Mit Freuden blicken wir zurück auf die lange, lange Reihe strahlender Weih- nachtSbäume, die unser Leben erhellt haben, und Hand in Hand bleiben wir, bis das letzte Lichtchen leise erlischt." Sie waren beide an das Fenster getreten, das sie öffneten. Ueber der lärmenden Straße und den Häusermauern war ein Stückchen Himmel und ein Stern zu sehen — «in Gruß der Ewigkeit in heiliger Nacht.
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