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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.12.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981215025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898121502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898121502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-15
- Monat1898-12
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Dt» Morgen-Aorgab« erschestet «m '/,? Uhr, di« Abend-Ausgabe Wochentag» um b Uhr. Re-actio« und Lrve-itiou: Jahannesgaffe 8. Die Ekpedition ist Wochentag» unontrrbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend« 7 Uhr. Filiale«: vtt» Klemm'» Lorti«. (Alfred Hah»), UniversitStSstraß« S (Paultnum), Lont» Lösche, Katharinenstr. I», Part, and Königrplatz 7. BezugS-PreiS Al d« HauptexpedMo, oder h« im Gieidö» beetrk und den Vororten errichteten Aus- oav,stelle» abgeholt: vierteljährlich^».^, ket Uveimaliaer täglicher Zustellnag in« Haut ^l KLO. Durch di« Post bezöge» für Deutschland und Oesterreich: virrteliShrlich ^li I.—. Directe tägliche streuzbandsendung tu» Au»land: monatlich 7.bv. 635. Abend-Ausgabe. LMM TaMM Anzeiger. Amtsblatt -es Komgkiche« Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Nmtes der Ltadt Leipzig. Donnerstag den 15. December 1898. Anzeigen.PreiS -ie 6 gespaltene Petttzeile SS Pfj? Reclamen unter dem RedactionSstrich (»go» spalten) b0>4, vor den Familieanachrichten (6 gespalten) 40/4. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. «rtra»Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbesörderun^ 60.—, mit Postbefürderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittag- 10 UhL Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je rin« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L. Loltz in Leipzig 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. December. Die Dürftigkeit der bisherigen Etatsdebatten im Reichs tage hat nicht Verbindern können, daß sich einiger Zeitungs zwist an sie knüpfte. WaS die Bemerkungen des Herrn v. Bülow und die auswärtige Presse anlangt, so war dies selbstverständlich. Wenn der Vertreter eine« auswärtigen Amte» über internationale Beziehungen etwa« gesagt zu haben scheint, so werden die journalistischen Conimentatoren der anderen Länder lebendig. DaS ist Handwerks brauch, im vorliegenden Falle aber auch weiter nichts als Handwerksbrauch, und Herr v. Bülow wird e» selbst belächeln, daß englische Zeitungen mit französischen über den Sinn seiner diplomatischen Ausführungen in Streit gerathen sind. Weniger erfreulich ist es ihm vielleicht, daß ein russische» Blatt, die „PetersburgerZeitung", ihn mit einer ganz ungewöhnlichen Beflissenheit an sein Amtfestzuloben suckt. Gegen Lob von deutscher Seite muß sich der neue StaalSsecretair aber das bekannte, sonst gegen Angriffe erwünschte „dicke Fell", besorgen, wenn ihm sein Leben nicht verleidet werden soll. Denn ein Theil der Presse hat ihn von dem Tage seiner Ernennung an mit Vorschüssen auf künftige Berühmtheit förmlich verfolgt und nach seiner Rede vom Montag muß er sich Schmeicheleien so gröblicher Art gefallen lassen, wie sie einem Manne von Geschmack, als den sich Herr v. Bülow im Reichstage gezeigt hat, nur höchst widerwärtig sein können. Eine Polemik bat sich auch an die Rede des Abg. Basser- mann geknüpft, natürlich eine innerdeutsche. Freisinnige, dem Freisinn nahestehende, aber auch einige mittelparteiliche Blätter hatten gefunden, daß der nationalliberale FractionS- redner einen Schritt nach links gelhan, und dies veranlaßt die „Kreuzzeilung", ihre ursprüngliche vorbehaltlose Zu stimmung zu der Rede Bassermann'S zwölf Stunden später erheblich einzuschränken. Wir verzeichnen diese kleinen Vor gänge als gewissenhafte Chronisten. Bedeutung wird ihnen, sowie Allem, was mit dieser ödesten aller EtalSdebatten zu- sammenhängt, Niemand beimessen. Die gestrigen Er örterungen brachten das Kunststück zuwege, die vorher gegangenen Tage an Interesselosigkeit noch zu über treffen. Der erste Redner, Herr von^kardorff, einer der wenigen Männer, die dem Reichstage von Anbeginn angehören, ist noch immer ein beredter Mann, aber, was ja nicht zu verwundern, ein nach seinen Ueberzeugungen, Lieb habereien und — Schrullen so bekannte Persönlichkeit, daß er wohl nur dann etwas Neues bieten könnte, wenn die dem Reichstage vorliegenden Gegenstände den Anstoß zu geben geeignet wären. Der alte Herr verdient aber auch Dank dafür, daß er auf die Nichterwähnung deS Fürsten Bismarck in der Thronrede hingewiesen hat. Um zu dergleichen den Muth zu besitzen, muß man, so scheint eS, ein alter Herr sein. Herrn Rickert'S, des zweiten Redners, Betrachtungen haben den Zorn der „Freisinnigen Zeitung" erregt, woraus zu schließen, daß die im Grunde wohlwollende Haltung, die der Führer der Freisinnigen Vereinigung zur Militairvorlage einnahm, und die von ihm vorgetragene Ansicht über den Werth der gesetzlichen Festlegung der allgemeinen Dienstzeit schließlich nickt zn einer Abstimmung im Sinne des Herrn Richter führen werden. Daß der ehemalige Nationalliberale den Grafen PosadowSky fragte, ob der Reichskanzler auch für die Reden de» Kaisers die Verantwortung tragen will, muß man ihm natürlich ebenso verargen, wie man eS dem Grafen PosadowSky zu danken hat, daß er diese unzeitige Neugier nicht stillte. Der Rest der gestrigen Sitzung heißt Graf Stolberg, Hilpert und Fürst Radziwill und ist Schweigen. Im Margarinegesetze ist, wie bekannt, vorgeschrieben worden, daß der gleichzeitige Verkauf von Butter, Käse und Schmalz neben Margarine, Margarinekäse und Kunstspeise fett in getrennten Räumen stattfinden muß. Wenn aucklin den Ausführungsbestimmungen, die der Bundesrath erlassen bat, die Vorschriften Uber die Einrichtung der Verkaufsräume und die zwischen den Räumen für Butter und denen für Margarine herzustellenven TrennnngSwände so mild gefaßt worden sind, wie eS der Wortlaut des Gesetzes nur gestattet, so sind doch für die Kaufleute, namentlich für die Inhaber kleinerer Läden erhebliche Belästigungen entstanden. In vielen Fällen ist eS ihnen nickt möglich gewesen, die Vorschriften deS Bundes- ratheS zu erfüllen, und dann sahen sie sich vor Vie Frage gestellt, ob sie Butter oder Margarine führen sollten; daß die Entscheidung häufiger für die Margarine als für die Butter auSsiel, ist, da die erstere namentlich im Arbeiter stande in Stadt und Land immer größere Verbreitung gesunden hat, leicht erklärlich. Es haben aber auch andere Gewerbetreibende, namentlich Fleischer, die Butter nicht führen, zum Verkauf von Margarine sich entschlossen. In einem Aufsatze des Bezirks-Thierarztes Reuter in Karlstadt am Main, den die agrarische „Disch. Landw. Presse" ver öffentlicht. wird über diese Entwickelung gesagt:j „Damit rrwuch» (den landwirthschasllichen Producten) allerdings eine noch weit gefährlichere Conen rrenz, als wenn die Margarine-Fabrikate von den kleineren Kaufleuten, Händlern u. s. w. auf dem Lande neben Butter, Käse u. s. w. ohne be sondere mannale Einschränkungen der Verkaufsräume feilgehalten werden dürsten." Als im Reichstage das Margarinegesetz beratben wurde, ist seinen hitzigen Freunden auch dies vorausgesagt worden, selbstverständlich ohne Erfolg. Heute bequemen sie sich, wie Vas Beispiel des genannten Blattes zeigt, allmählich, aber auch zu spät, zur Einsichi. Auch an einem anderen Puncte hat sich die Zweischneidigkeit des Margarine gesetzes erwiesen. Nach den vom BundeSrathe er lassenen Vorschriften soll den bei der Fabrikation von Margarine zur Verwendung kommenden Felten und Oelen Sesam öl zugesetzt werden, um die Margarine zu erkennen. Schon bald nach Erlaß dieser Vorschriften wurde darauf hin gewiesen, daß als Futter für Milchvieh vielfach Sesamkuchen benutzt werve und die Butter, die aus der Milch der so gefütterten Kühe gewonnen wird, gleichfalls die Sesamöl- reaclion erkennen lasse, so daß auf Grund einer chemischen Untersuchung Naturdutter für ein Margarinegemisch an gesehen werden könne. Es wurden Vorstellungen bei den Regierungen erhoben, die eine Aeußerung deS preußischen Cu ltusmi nister iuS hervorriefen. Der Inhalt dieser Verfügung wird in dem oben erwähnten Aufsatze in folgender Form wiedergegeben: „Es könne ein ausreichender Anlaß, schon jetzt eine Aenderung de» erst im vorigen Jahre bestimmten Kennzeichnungsmittels für Margarine herbeizuführen, nicht für vorliegend erachtet werden. Um möglichst zuverlässige Ergebnisse bei Untersuchungen zu erlangen, sei es zweckmäßig, die mit der amtlichen Untersuchung von Butter und Speisefetten betrauten Stellen darauf aufmerksam zu machen, daß rin längere» Erwärmen der zum Zwecke der Untersuchung mit Salzsäure und Furfurol versetzten Fettproben zu vermeiden ist, weil es die Zuverlässigkeit des Ergebnisses der Untersuchung wesentlich zu beeinträchtigen vermag, und daß nicht jede Rothfärbung der untersuchten Probe, sondern nur «ine solche, welche sofort oder schon wenige Minuten nach Ausführung der Sesamölprobe sich zeigt, den Verdacht des Vorhandensein» von Margarine in dem Fette ausreichend rechtfertigt." Praktisch ist mit dieser Belehrung Wohl nicht viel an zufangen. Der mit der Untersuchung Beschäftigte wird nicht in der Lage sein, mit voller Sicherheit die Grenze fest- zusetzen, jenseits deren ein Verdacht für die Anwesenheit von Margarine nicht vorliegt. Erwachsen dadurch den Butter producenten auch ferner Unzuträglichkeiten, so mögen sie sich dafür bei den Wortführern ihrer angeblich allein für die Landwirthschaft sorgenden und in landwirthschaftlichen An gelegenheiten allein sachverständigen parlamentarischen Freunde bedanken. Der Rücktritt William Harcourt » von der „Führer schaft" der liberalen Partei in England bedeutet nur eine neue Phase in dem Zersetzungsproceß dieser schon mehr radikalen als liberalen Partei. Als Glakstone Home Rule Irlands zum Mittelpunkt deS liberalen Programms machte, war die Sprengung der damaligen liberalen Partei die nächste Folge. Nicht nur die altliberalen Whigs, welche ihr anaehörtcn, unter Lorv Hartington, sondern auch eine Anzahl Radikaler unter Chamberlain sagten sich von Gladstone loS; beide Gruppen verbanden sich mit ven Conservativen zur Partei der Unionisten, und trotz der großen principiellen Meinungsverschiedenheiten, welche zwischen einem Tory wie Lord Salisbury unv einem Radikalen wie Chamberlain be stehen, bat viese Vereinigung sich bis jetzt bewährt: der Besitz der Macht im Parlament und in der Regierung ist eben rin fester Kitt. Die Partei dagegen, welche trotz des Austritts der gemäßigten Liberalen und eines Theils der Radikalen sich weiter als die „liberale" bezeichnet, hat es seitdem weder zu einem festen Programm, noch zu einem anerkannten Führer zu bringen vermocht, und ihre Aus sichten haben sich seit den Wahlen von 1895, in denen Home Rule die endailtige Niederlage erlitt, schwerlich gebessert. So lange Gladstone lebte, galt er, trotz aller Verwahrungen und trotz der Zurückgezogenheit, in welcher er die letzten Jahre verbrachte, als der leitende Geist der Partei und jeder aktive Führer derselben nur als ein „Lieutenant" deS „großen alten ManneS". In dieser auf die Dauer unmöglichen Stellung war Lord Rosebery, in dem Gladstone selbst seinen Nachfolger erblickt haben soll, gescheitert. Der Parteiführer der Opposition gehört auch nicht ins Oberhaus, wo Rosebery seinen Sitz hat, sondern in das weit einflußreichere Unter haus. Hier hat Harcourt die liberal-radikale, mit socia- listischen Elementen versetzte Partei zu leiten versucht, besaß aber innerhalb derselben bisher nicht die allgemein anerkannte Autorität, die nach englischen Begriffen zur Führung einer Partei erforderlich ist. DaS Schlagwort „Fort mit dem Oberhaus!" ist noch immer der Schlachtruf der Liberalen, aber er verfängt nicht mehr, seit das Oberhaus vor einigen Jahren England vor der Theilung des „Vereinigten König reichs" bewahrt hat. Als Nachfolger Harcvurt'S dürfte nur nur Morley in Betracht kommen. König Christian von Schwede» hat sich bei dem Empfange deö StaalSrathS am Sonnabend über seine Weigerung, den Beschluß des norwegischen StortbingS in der Flagaensrage (Einführung der „reinen Flagge" für Nor wegen) zu sanctioniren, eindringlich ausgesprochen. Man meldet uns darüber aus * Kopenhagen, 14. December. „Ritzau's Bureau" meldet aus Christ iania: Nachdem die Mitglieder deS norwegische» Staats- rathes am Sonnabend dem Könige ernstlich davon abgerathen hatten, die Sanctionirung der Beschlüsse des Storthings in der Flaggen frage zu verweigern, weil dadurch eine Mißstimmung erzeugt werde, die zu vermeiden höchst wünschenSwerth sei, erklärte der König, er könne diese» ihm zum dritten Male vorgelegte Gesetz nicht sanctioniren. Er finde, daß er offen darlegen müsse, auf welchen Gründen sein Beschluß beruhe. Da» jetzige Unionszeichen in der schwedischen und der norwegischen Flagge sei im ersten Regierungsjahre seines VaterS eingeführt und vom norwegischen Volke mit Jubel ausgenommen worden. Seitdem sei die mit dem Unionszeiche» versehene norwegische Flagge über alle Oceane getragen worden, geehrt und ehrend. Er könne also keinen Grund zu einer Veränderung finden, die, wie er wisse, bei einer großen Anzahl patriotischer norwegischer Bürger Trauer ver ursachen werde. Wenn Schweden künftig das Zeichen der Union in der Flagge führe, während es in der norwegischen Handelsflagge abgeschafft werde, so werde das gemeinsame Zeichen der Ebenbürtigkeit vermißt werden und hieraus könne eine un richtige und für Norwegen schädliche Auffassung von der gegen seitigen Stellung beider Reiche entstehen. Darin liege bereits Grund genug für ihn als König deS Landes, um dem Gesetze nicht seine Zustimmung zn ertheilen. Nach Artikel 79 der norwegischen Verfassung hat dec König nur ein zweimaliges Veto und eine Vorlage, die in angemessenen Zwischenräumen zum dritten Mal, wie in dem vorliegenden Falle, von der Volksvertretung an genommen ist, muß als Gesetz veröffentlicht werden. Das Veto des Königs ist also hinfällig und das Flaggengesetz muß ohne weiteres Hinderniß an das Auswärtige Amt in Stock holm übermittelt werden, um durch dieses an die aus ländischen Regierungsstellen notisicirt zu werden. Weigert sich der Minister deS Aeußeren, Graf Douglas, dessen, so werden ihn die Norweger nicht mehr als gemeinsamen Minister anerkennen und die längst aufgeworfene und erörterte Frage von einem eigenen norwegischen „Außen- reichSministerium" tritt in Verschärftester Form auf den Plan. Man wird den Schritten des norwegischen Ministeriums und des Storthings mit großem Interesse, aber auch mit der Besorgniß entgegensetzen müssen, daß die Union mit Schweden vollständig gelost wird, und wer weiß, ob das schwache Band der Personalunion die straffe Spannung auf die Dauer verträgt. In einem verschiedentlich abgedruckten, auch un» zu gegangenen Privatbrief aus Samoa fand sich die Stelle: „Die unparteiische und correcte Haltung Deutschland» in dem spanisch - amerikanischen Kriege sei, so wird hier erzählt, in Amerika und England mit großer Befriedigung anerkannt worden und habe zu der Ansicht geführt, daß die deutschen Interessen in Samoa so hervorragend seien, daß man damit in erster Linie rechnen müsse und daher auch die eigenen Interessen auf Samoa dem alleinigen Protektorat Deutschlands überlassen könne. Wie gesagt, diese Version circulirt in hiesigen Beamtenkreisen und wird selbst von den nichtdeutschen Weißen lebhaft begrüßt, vielleicht weniger au» Sympathie für Deutschland, als in der Erkenntniß, daß eine einzige europäische Großmacht weit bester in der Lage ist, gründlich Ruhe im Lande zu schaffen, als drei auf einander eifer süchtige Mächte." Wer diese Worte aufmerksam liest, wird, so schreibt die „Tägl. Runksch." — und wir können uns ihre Ausführungen Wort für Wort zu eigen machen — sofort erkennen, daß der Verfasser des Briefes an die Thatsächlichkeit deS Gerüchts offenbar selbst nicht glaubt, sondern eS nur als bemcrkenS- werthes Anzeichen der dortigen Stimmung erwähnen will. Wir haben eS von Anfang an nicht anders aufgefaßt und darum den Brief, der im Uebrigen unseren Lesern nur Be kanntes bot, nicht erwähnt. Wie wir aber sehen, ist ein Tbeil unserer Presse naiv genug, den Engländern und Amerikanern wirklich ein solches Entgegenkommen zuzutrauen und wirklich zu glauben, die beiden Mächte wollten Deutschland, weil es so hübsch artig gewesen, auch etwas recht Schönes zu Weih nackten schenken. Natürlich folgt dieser Erörterung sofort ein sehr lebhafter Protest aus London und Washington und die Erklärung, daß man dort von einer solchen Lösung nichts wissen wolle. Deutsches Reich. Berlin, 14. December. (Professor Paul Hin schius b.) Wie bereits gemeldet, ist in der Nacht zum Dienstag einer der hervorragendsten Nechtslehrer, Professor an der Universität Berlin, Oc. Paul HinschiuS, aus dem Leben geschieden. Am 25. December hätte er seinen 73. Geburtstag begangen; ein langwieriges Leiven hat jedoch seinem Sckaffen nunmebr ein Ziel gesetzt. Was er in einer nahezu vierzigjährigen UniversitätS- laufbahn als akademischer Lehrer und Gelehrter auf dem Ge biete der RechtSkundc geleistet, zuerst in Berlin, dann in Halle, dann wieder in Berlin, bis er nach Kiel als ordentlicher FeuNletott» Die Lettelmaid. 30j Roman von Fitzgerald Molloy. Nachdruck verbot«». „Ich habe Capri versprochen, sie heute Abend ins „Gaiety" zu begleiten — welches Stück wird doch gegeben?" „Die Cameliendame, mit Sarah Bernhardt in der Titelrolle." „Ganz recht." „Nun?" „Im Club hat mich Saintsbury gebeten, in der Abendsitzung für seinen Antrag zu stimmen. — So unangenehm es mir ist, heute ins Parlament zu gehen, muß ich's doch thun, denn ich konnte doch nicht gut nein sagen." „Gewiß nicht", entgegnete Guy und blickte verlegen zur Seite. „Du bist ein guter Kerl und da wollte ich Dich bitten, Capri, die ich nicht um ihr Vergnügen bringen will, ins Theater zu begleiten. Du erweisest mir doch diesen Dienst?" Rutherford zögerte einen Augenblick, dann sagte er rasch: „Mii Vergnügen!" „Tausend Dank, mein Junge! Du kannst auch jederzeit über mich verfügen!" Ohne daß einer der Männer e» bemerkt hätte, war Capri eingetreten. Sie blieb wie festgewurzelt stehen, als sie die Beiden in freundschaftlichem Gespräch erblickte, jede Spur von Farbe war au» ihrem Gesicht gewichen, in ihren Augen flimmerte ein selt same» Feuer. Lord Harrick blickte zufällig in den Spiegel und bemerkte sie. „Capri, Du bist doch nicht böse, wenn ich Dich nicht ins Theater begleite und dies Rutherford überlasse. Ich mußte TaintSbury mein Wort geben, heute ins Parlament zu kommen. ES handelt sich um einen Gesetzentwurf." „Ist das göttliche Bestimmung?" fragte sich Caprt. Da sie bemerkte, daß ihr Satte eine Antwort erwart«, entgegnete sie: „Da Du es wünschest, werde ich gehen. Kannst Du nicht wenigstens für einen Augenblick mitkommen?" „Zu meinem größten Bedauern: nein." „Wie lange wird die Sitzung dauern?" fragte Guy. „Das weiß ich nicht; möglicherweise bis zum frühen Morgen." Capri schlug die Augen nieder und enthielt sich jeder weiteren Bemerkung. „Möchtest Du nicht wenigstens mit uns denken? Voraus gesetzt, daß Du noch nicht vergeben bist. Wir speisen heute, wegen des Theaters, um eine halbe Stunde früher als gewöhnlich. Nicht wahr, Capri?" Diese nickte bloS. „Du bist zu freundlich, Harrick, aber ich bin bereits versagt." Er war fest entschlossen, an dem Tische des Mannes, dem er ein großes Unrecht zuzufügen gedachte, kein Brod mehr zu brechen. „Jetzt muß ich aber wirklich fort, also nochmals Guten Morgen, Lady Harrick", sagte er, ihr die Hand reichend und die ihrige bedeutungsvoll pressend. „Um neun Uhr hole ich Sie ab, seien Sie bereit", sie hatten sich verstanden. Dann wandte er sich an Harrick: „Du bist ein echter Sohn Britanniens und interessirst Dich noch für Politik. Diese wird im Stande sein, Dich über daS bitterste Leid zu trösten und Dir darüber hinwegzuhelfen. WaS wäre England ohne solche Söhne! — Also auf Wiedersehen heute Abend!" Er winkte mit der Hand, um diese Harrick nicht reichen zu müssen und entfernt« sich elastischen Schritte». Den ganzen übrigen Tag lag Capri in ihrem Boudoir. Sie schützte heftige Kopfschmerzen vor und ertheilte ihren Dienern den Befehl, Niemanden vorzulassen, da sie bi» zum Abend ungestört bleiben wolle. Al» ihr Wagen am Nachmittage vorfuhr, schickte sie auch diesen fort. Sie fehlte seit Beginn der Saison zum ersten Mal in Rotten-Row. Der Tag erschien ihr wie eine Ewig keit, jede Stunde wie rin Jahr! O, wenn er nur schon zur Neige ginge und di« Nacht mit ihr«m Schatten einbräche, damit diese» entsetzliche Langen, dieses schleichende Fieber, da» sie verzehrte, »in End« nähme! Da» gleichmäßige Ticken der kleinen Kamin uhr brachte sie der Verzweiflung nahe, sie hielt sich di« Ohren zu, um nicht» mehr zu hören und schloß die Augen, um nicht» mehr zu sehen. Und doch da drinnen in ihrem Innern wollte eine Stimme nicht zur Ruhe kommen. Anderen glücklichen Liebenden flogen die Stunden so rasch dahin, und sie wurde von Ungeduld verzehrt, sie konnte weder Ruhe noch Rast finden, bis der verhängnißvolle Schritt gelhan. Bewegungslos lag sie auf der Ottomane ihres kosigen Boudoirs, ihr Körper war er schöpft, ihr Geist verwirrt, die "Gedanken überstürzten sich in ihrem Gehirn. Seit sie sich heute Morgen selbst für verloren er klärt, erschien ihr die ganze Welt wie auf den Kopf gestellt. Ein schweres Unglück schien in der Luft zu liegen, das sie beängstigte; ihre Schläfe Pochten fieberisch, ihre Pulse schlugen heftig und unregelmäßig, ihr Kopf war schwer und schwindlig, ihre Lippen heiß und trocken und ihre Nerven auf Aeußerste angespannt. Sie vermochte nicht zusammenhängend zu denken und sprang jeden Augenblick erschreckt auf. Wollte denn dieser entsetzliche Tag niemals enden? DaS Licht that ihr trotz der verhängten Fenster und ihrer geschloffenen Lider weh. Die Stille, die im ganzen Hause herrscht«, beunruhigte sie plötzlich, sie stützte ihr Haupt auf den Arm und lauschte gespannt auf jeden Laut. Das HauS schien wie ausgestorben. Nach einer Weile lehnte sie sich wieder müde zurück, sie hatte die Empfindung, als ob die Kräfte sie verließen, und eine ungeheure Angst bemächtigte sich ihrer. Wie, wenn sie jetzt erkrankte und nicht in» „Gaiety" zu-Hehen vermochte? Der Athen, stockte ihr . . . Wie, wenn das Fieber bereits in ihren Adern raste und der Todesrngel sie umschwebte? O, sie wollte beten, damit der Herr sie von ihrer Qual er löse, — sie sehnte sich nach Ruhe, nach ewiger Ruhe, — aber durfte sie auf Erhörung hoffen, sie schauderte vor sich selber! . . . Wenn sie jetzt stürbe, wa» würde au» ihm werden? Würde er ohne sie weiter leben, sie mit der Zeit vergessen lernen, die selben Worte, die er ihr heute ins Ohr geflüstert, einem anderen Weibe zuflüstern, deren Lippen küssen, wie er die ihrigen geküßt, sie in wilder Leidenschaft an sein Herz drücken, wie er e» heute mit ihr gethan? O, nein, nein, dessen wäre Guy nie fähig, er gehörte ihr über Zeit und Ewigkeit hinweg. Sie würde von ihrem Todtenbetre aufstehen, um ihm zu folgen. Nichts, nichts vermochte mehr sie von einander zu trennen; sie würde sich selbst in der Hölle an seiner Seite glücklich fühlen. Horch! die Kammuhr schlug schon wieder. Eins, zwei, drei, vier! Erst Vier! Mein Gott, will denn der Tag noch immer nicht enden?" entrang es sich ihrer gequälten Seele. Mit jeder Minute fühlte sie sich verzweifelter und abgespannter; ihr Geist begann umherzuirren und sie hatte keine Gewalt mehr über ihre Gedanken. Träumte sie? Es mußte wohl so sein, denn plötzlich befand sie sich in Marcus Phillips' Atelier. Der junge Künstler richtete flehend seine treuen, blauen Augen auf sie. Jetzt huschte vin glückliches Lächeln über seine Lippen, er sprach zu ihr, aber sie vermochte seine Worte nicht zu verstehen und doch wußte sie, daß er sie beschwor, ihn nicht zu verlassen. Sie liebte ihn jetzk und fühlte sich in seiner Nähe namenlos glücklich. Doch plötzlich verwandelten sich seine Züge in diejenigen Guy Rutherford'» und, was das Merkwürdigste dabei, sie wunderte sich weder übe: die plötzliche Verwandelung noch auch darüber, Guy im Atelier zu sehen. Er bohrte seine glühenden Augen in die ihrigen, sie wollte entfliehen, vermochte aber nicht, sich vom Fleck zu rühren, hilflos und zitternd stand sie vor ihm und ihre Liebe verwandelte sich in namenlose Angst. Sie beobachtete gespannt, wie er einige Pinsel vom Boden aufhob und ihr Portrait zu malen anfing, und zwar in zwei Farben: roth und schwarz. In einem Augen blick war das Bild fertig. Ein rothes Gewand hüllte die Gestalt wie in ein Flammenmeer und die Augen starrten wild, wir im Wahnsinn, aus ihren Höhlen. Dann wieder verschwand die Leinwand und eine andere erhob sich von der Staffelei. Wem gehörte diese» todtbleiche Antlitz an? Wo hatte sie diese Züge schon einmal gesehen? Sie schauderte bei dem Anblick der ab gezehrten Gestalt mit den ausdruckslosen Augen und wirren Haaren, die eine solche Aehnlichkeit mit ihr selbst hatte! Ver zweifelt rang sie die Hände unter der schrecklichen Angst, die sie erfaßt hatte. Mit einem Male sank sie tiefer, tiefer und als sie wieder die Augen aufschlug, sah sie ein glückliches, unschuldiges Kind mit leuchtenden Augen und fröhlichem Sinn vor einer Fischerhütte am blauen Strande der Adria fitzen und mit
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