Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.12.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981217028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898121702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898121702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-17
- Monat1898-12
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
VezugSiPrel- Bororten errichteten Aus» ,olt: vierteljährlich chland «>L Oesterreich: viertelsSdrUch —. Direkte tägliche Krruzbandiendung tws Ausland: monallich 7.b0. Di» Morgen-Ausgab« erscheint «» '/,7 Uhr, di« Abend-Ausgab« Wochentags nm b Uhr. Redaktion und Expedition: Johannes,afie 8. Di« Expedition ist Wochentags nnunterbroch« geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Dtt» Niemm'S korti». (Alfred HahnX UniversitätSstraße 3 (Pauliuum), Louis Lösche, Dotharineustr. 14, Part. imd ASnigsplatz 7. Abend-Ausgabe. eipMcr TaMlÄ Anzeiger Amtskkatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die S gespaltene Petttzeile SO Pfß. Iteclamen unter dem RedactionSstrich (4«» spalten) 50^, vor den FamMraaachrichten (6 gespalten) 40 Größere Schritten laut unserem Preis» vrrzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Tarif. Extra »Beilagen (gefalzt), «ar mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbrsürderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: BormittagS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anreigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Pols, in Leipzig 839. Sonnabend den 17. December 1898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 17. December. Auch wenn der Reichskanzler geahnt hätte, daß seine Theiluahme an den kaiserlichen Jagden bei Springe während der ersten EtatSberathung im Reichstage den Politikern vom Schlage der Inspiratoren der „Voss. Ztg." Anlaß zu Klagen und Combinationen geben würde, würde er sicherlich die Reise nach Springe der Betheiligung an der öden EtatSdebatte vorgezogen haben. Das geht aus der Rasch heit hervor, mit der er die seltsame Vermulbung des frei sinnigen Blattes, die Reise habe mit den vom Oberpräsidenten v. Köller verfügten Ausweisungen auS NordschleSwig etwas zu thun und bilde die Einleitung zum unfreiwilligen Rücktritte des früheren Ministers deS Innern, durch die „Nordd. Allgem. Zeitung" al» haltlose Unterstellung bezeichnen läßt. Um solche Gerüchte zu kennzeichnen, bedarf es aber keines Auf tretens des Reichskanzlers im Reichstage; dazu genügt der officiöse Preßapparat vollkommen. Und wenn er zu der weiteren Unterstellung, er habe sich um eine Antwort auf die Frage, ob ein neues Flotten gesetz in Aussicht stehe, herumdrücken wollen, schweigt, so ist auch dieses Schweigen für jeden Einsichtigen eine genügende Antwort. Anders als nut Schweigen hätte eine solche Frage auch im Reichstage nicht beantwortet zu werden gebraucht, denn es liegt auf der Hand, daß in dem kurzen Zeiträume, der seit dem Inkrafttreten de« Flotten- gesetzeS verstrichen ist, neue Erfahrungen in taktischer und technischer Hinsicht, die eine fernere Erweiterung unserer Marine als nothwendig erscheinen lasten könnten, gor nicht gesammelt worden sein können. Der an seine Reise sich knüpfenden Gerüchte halber hat also Fürst Hohenlohe nicht nötbig gehabt, eine viertägige Etatsdebatte über sich ergehen zu lasten. UeberdieS konnte er vorauSsehen, daß sein Fernbleiben von Springe gerade die „Voss. Ztg." und ihre parlamentarischen Freunde veranlaßt haben würde, darüber zu klagen, daß er mit dem Kaiser, von dem er doch während der ganzen Orientreise de« Monarchen getrennt gewesen sei, nicht genügend in Fühlung bleibe, um den ibm zustehenden Einfluß ausüben zu können. Wahrscheinlich würde die ,^Vosi. Ztg." in diesem Falle auch nicht verfehlt haben, darauf aufmerksam zu machen, daß unter den kaiser lichen Iagdgästen in Springe auch der Fürst und der Prinz Adolf von Schaumburg-Lippe sich befanden. DaS bat natürlich Fürst Hohenlohe auch gewußt, und eS ist wenigstens nicht unmöglich, daß gerade dieser Umstand ihn veranlaßt bat, die Einladung des Kaiser« nicht unter Be rufung auf die Sehnsucht, mit der er im Reichstage erwartet werde, abzulehnen. Im Allgemeinen darf man gewiß an nehmen, daß Fürst Hohenlohe in feinem Alter lieber mehrere Tage lang im Reichstage einige Stunden geduldiger Hörer ist, als bei schlechtem Wetter auf die Saujagd geht; zieht er Letzteres vor, so hat er sicherlich dazu gewichtige Gründe. Sollte es ihm in Springe geglückt sein, die lippische Frage der Lösung näher zu führen, die man im Interesse des Reiches wünschen muß, so würde ihm dafür uneingeschränkter Dank gebühren, von dem wohl selbst die „Bost. Ztg." sich nicht ausschlöffe. Wiederholt schon ist im Reichstage von nationalliberaler Seite in Anregung gebracht worden, die Bestimmungen deS Gesetzes vom 1. Juni 1870 über die Erwerbung und den Verlust der Reichs- und Staatsangehörigkeit in der Richtung einer besseren Wahrung des nationalen Interesses abzuändern. Die nationalliberalen Abgeordneten vr. Hasse, vr. Lebr und der fre konservative Abgeordnete Graf v. Arnim haben jetzt mit Unterstützung von nationalliberalen und reichSpartei- licken Abgeordneten einen vollständig ausgearbeiteten Gesetz entwurf eingebracht, welcher diesem Bedürfnisse in weitestem Maße abzubelfen unternimmt. Der Gesetzentwurf verfolgt hauptsächlich drei Zwecke: er will zunächst deutschen Stammes- angebörigen im Auslande die Erwerbung der Reichs- bezw. Staatsangehörigkeit erleichtern, ferner den Verlust der letzteren erschweren und endlich die Naturalisation von Ausländern an schärfere Bedingungen knüpfen. Dem ersteren Zweck dient vor Allein die Bestimmung, daß auch die im Aus lande erfolgende Geburt eines ehelichen Kindes für dieses die ReickSangehörigkeit eo ipso begründet, falls der Vater ein Deutscher ist. Das Gleiche gilt für außereheliche Kinder einer deutschen Mutter. Die Verhei ratung mit einem Deutschen soll für die Ehefrau die Staats- bezw. Reichsangebörigkeit des Mannes mit sich bringen. Im Sinne der Freizügigkeit einerseits und der Für sorge für die Erhaltung der Reichsangebörigkeit andererseits liegt die vorgeschlagene Bestimmung, daß es zum Zwecke der Erwerbung der Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaate der Entlastung und der Staatsangehörigkeit in einem anderen Bundesstaate nickt bedarf und daß die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaate durch Erwerbung der Staatsangehörigkeit in einem anderen Bundesstaate nicht verloren geht. Von beson derer Bedeutung in dem Antrag ist die Aufhebung der jetzt geltenden Bestimmung, wonach die ReickSangehörigkeit durch einen zehnjährigen Aufenthalt im AuSlande verloren wird. Auf Grund dieser Bestimmung sind bisher Tausende von Deutschen im AuSlande ihrer ReichSangehörig- keit und damit auch deS Anspruchs auf den Schutz des Reiches verlustig gegangen, wie auS wiederholten Anlässen festgestrllt werben mußte. Wenn man bedenkt, daß in dem Jahrzehnt von 1878 dis 1888 nahezu 1>/r Millionen Deutscher das Vaterland verlassen haben, so wird man den Verlust, den daS Reich an StammeSangebörigen infolge dieser Be stimmung bis zum Schluffe des laufenden Jahres im letzten Jahrzehnt erlitten bat, auf viele Hunderttausende berechnen müssen. Fortan soll, so schlägt der eingebrachte Gesetzentwurf vor, der Verlust der Reichsangehörigkeit der Regel nach nur durch Entlassung aus derselben aufAntrag der Betreffenden erfolgen, und zwar nur dann, wenn die Antragsteller als Kinder deutscher Staatsangehöriger im AuSlande geboren sind und im Auslande ihren dauernden Aufenthalt haben. Andereu Reichs angehörigen soll die Entlassung nur dann ertheilt werden, wenn ein deutsches Staatsinteresse vorliegt oder wenn sie durch Staatsverträge bedingt ist. Ein strafweiser Verlust der ReickSangehörigkeit soll dagegen außer nach den geltenden Bestimmungen auch dann eintreten, wenn sich ein Deutscher im AuSlande feindseliger Handlungen gegen daS Reich oder solcher Vergeben schuldig macht, deren Bestrafung mit Ebr- verlust verbunden ist. Die Durchführung dieser Bestimmungen würde den weitaus überwiegenden Tbeil der deutschen Aus wanderer in engerer Verbindung mit dem Mutterlande erhalten, da sie bei ihnen einen Zweifel an ihrer ReichS- angebörigkeit gar nicht aufkommen taffen würden. Von den weiteren Bestimmungen deS Gesetzentwurfs, deren Berech tigung augenfällig ist, sei noch eine bervorgehoben, welche dem verschiedenartigen Vorgehen der Bundes staaten in Bezug auf die Naturalisation von Ausländern ein Ende zu macken bezweckt. Um eine möglichst einheitliche Handhabung der einschlägigen Bestimmungen zu sickern, soll in jedem einzelnen Falle, wo es sich um die Naturalisation von Ausländern bandelt, daS Reichsamt des Innern über daS Vorhandensein der Erfordernisse für die Naturalisation ge hört werden, und dieses soll wiederum bei seiner Beurtheilnng der Sachlage an besondere Anweisungen de« BundeSratbS gebunden sein. Die in diesem Gesetzentwurf gegebenen An regungen verdienen umsomehr Beachtung, je mehr da« deutsche Reich infolge der Zunahme des auswärtigen Handels und seiner colonialen Erwerbungen in den Weltverkehr binein gezogen wird. Es ist daher zu hoffen, daß auf der Grund lage dieser Vorschläge ein Gesetz zu Stande kommt, welches, dem wachsenden Ansehen deS Reiches entsprechend, den aus giebigsten Schutz der Reichsangehörigen im Auslande ermög licht, diese selbst in reger Verbindung mit dem Vaterlande erhält und gleichzeitig auch die Einwanderung in das Reich unter eine gesunde Controle nimmt. Ein Gutes hat der Zwischenfall im österreichischen Ab geordnetenhause am Donnerstag, wo Graf Thun daS sonderbare Ansinnen stellte, seine Ioterpellationsbeantwortungen dem Parlament — schriftlich (im Protokoll) zu geben, doch zur Folge gehabt. Graf Thun, dessen Stärke daS Beantworten von Interpellationen entschieden nicht ist, bat e« durch sein allem parlamentarischen Gebrauch hohnsprechendes Begehren bewirkt, daß die seit längerer Zeit schon arg zerfahrene deutsche Opposition plötzlich wieder wie aus Einem Guß zum Widerstande sich erhob und mit einer schon lange nicht bemerkten Einmüthigkeit der einander sonst grimmig befehdenden Fractionen die Beobachtung des Gesetzes auch gegenüber dem Minister - Präsidenten kategorisch forderte. Der Erfolg stellte sich auch sofort ein, denn der Präsident, obgleich von der Majorität erwählt, wagte eS diesmal nicht, die Dienstfertigkeit für das Mini sterium bis zur Erfüllung des gräflichen Wunsches zu treiben, und der Minister-Präsident muß sich seiner Entscheidung zufolge fürs Erste noch bequemen, seine Interpellations- Beantwortungen auch weiterhin mündlich zu ertheilen. Allein auch darüber hinaus dürfte, wenn nickt alle Zeichen trügen, die Wirkung deS Zwischenfalls sich erstrecken. In den radikalen Gruppen der deutschen Opposition scheint der unverzüg liche Effect, den das einmüthige Auftreten der Mino rität hervorgebracht hatte, den Gedanken erweckt zu haben, daß es doch nicht woblgethan war, als sie vor zwei Monaten daS Organ für gemeinsames Handeln, welches die Opposition sich in der Obmänner-Conferenz geschaffen, in Trümmer schlugen. Die Obmänner-Conferenz war ein unvollkommene« Instrument, bei Weitem nicht vergleichbar dem Executiv- Comitö der Rechten, welche» eine tyrannische Diktatur über alleGruppen der Majorität auSübt und eben dadurch die Grund ursache der parlamentarischen Krankheit geworden ist, welche der Finanzminister constatirte und über die Herr von Ja worski von Zeit zu Zeit KrokodilSthränen vergießt. Allein in Augenblicken, wo es galt, einem von dem Epecutiv-Comits der Reckten wohl vorbereiteten Handstreich enlzegenzutreten, und die VerhaltungSlinie für alleGruppen der Opposition nicht so deutlich von selbst gegeben war, wie am Donnerstag gegenüber dem Verlangen de» Minister-Präsidenten, hat die Obmänner- Conferenz, indem sie diese Linie feststellte und ein geschloffene« Auftreten der Opposition ermöglichte, manchen wertbvollen Dienst geleistet. Alles deutet darauf hin, daß die erwähnten kritischen Augenblicke wiederkehrrn werden, vielleicht bald und oft, und damit stellt von selbst daS Bedürfniß sich ein, da« in einer Stunde deS MißmutbeS zerstörte Organ wieder- herzustellen, durch welches die Einmüthigkeit der Opposition, die sich vorgestern unwillkürlich und automatisch einstellle, im Notbfalle auch planmäßig zum gemeinsamen Vortheile wieder hergestellt werden könnte. Eine englisch-russische Annäherung soll allen Ernstes iin Werke oder gar schon perfect sein. So wissen diejenigen deutschen Blätter zu melden, welche ohne oder mit Vorbehalt einer deutsch-englischen Entente das Wort reden und sie freuen sich dieser Annäherung, weil sie anscheinend den Einwand beseitigt, ein Zusammengehen Deutschlands und Englands in bestimmten Fragen werde unS Rußland entfremden. Die Rede deS kaiserlich russischen CvmmissarS für die Finanz angelegenbeiten in London, Tatitscheff, war anscheinend Wasser aus die Mühle dieser Zukunftspolitiker. Allein die englisch-russische Freundschaft, von welcher der russische Commissar spricht, be ruht nicht auf gemeinschaftlichen Interesse», kann deshalb nicht tief geben und keine Dauer haben. Sie gleicht mehr einem verabredeten Waffenstillstand, der sofort erlischt, sobald es die Wahrung der wirklichen Landesinteressen, die einander bekämpfen, bei irgend einer Aenderung in der politischen Entwickelung an Ort und Stelle verlangt. Tic Einladung Talitscheff's an die englische Handelswelt, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu formuliren, sobald der Moment der Revision des deutsch-russischen Handelsvertrages gekommen sei, hat natürlich nur die Bedeutung einer schönen Phrase, bestimmt, in den englischen Ohren Wohl zu klingen. Ob in zwei Jahren dieselbe Einladung nach London gerichtet werden wird, ist doch zweifelhaft. Und wenn die eng lischen Handelskreise, ohne eine solche Einladung abzuwarten, sich in Petersburg meldeten, so würde die „sorgsame Erwägung", welche man ihren Wünschen dort verspricht, wahrscheinlich länger dauern als die Gelegenheit, sie zu be rücksichtigen. Dagegen zweifeln wir mit den „Hamb. Nachr." nicht an der vollkommenen Aufrichtigkeit des Wunsches Tatitsckeff'ö nach stärkerer Betheiligung englischen Capitals an russischen Unternehmungen und auch nickt daran, daß der Finanzminister Witte Werth auf die Consolidirung der gegenwärtigen guten Beziehungen legt. Davon hat Rußland Nützen, während es in seiner Politik dadurch nichts im Mindesten behindert wird, auch nicht daran, eines Tages kurzen Proceß mit den englischen Interessenten in Rußland zu machen, wenn dies im russischen Interesse nothwendig oder auch nur nützlich erscheint. Die Freundschaft zweier Staaten wird nicht durch Bildung von Acnengesellschaften bestimmt und auch nicht durch Tischreden, die bei Gelegenheit solcher Gründungen gehalten werden, sondern durch die großen Interessen, welche der Staatspolitik auf beiden Seiten ihre Wege weisen. Gra- vitiren diese Juteressen nach verschiedenen Richtungen, oder stehen sie sogar in direktem Widerspruche zu einander, so kann dieser Zustand zwar zeitweilig in den Hintergrund treten, wenn vorübergehenden Situationen dies dem einen oder dem anderen Theile, vielleicht auch beiden, vorthrilhaft erscheinen lassen; aber wer auf solche paffaaöre Erscheinungen politische Entschließungen von größerer Tragweite basiren wollte, würde sehr bald zu seinem Schaden erkennen, daß er einer Täuschung zum Opfer gefallen sei. Wie aus Rew York berichtet wird, hat Mr. Bryan sein vor mehreren Tagen angekündigtes „Antt-Amperial-Mantfest veröffentlicht und damit weit mehr Glück gehabt, als er nock vor wenigen Wochen hätte hoffen dürfen. Er hat febr geschickt die Silberwährungs-Frage ganz übergangen und so sich die Möglichkeit einer Verständigung mit allen Jenen ver schafft, die wie er die Imperial-Politik Mc Kinley's bekämpfen. Ferrillrtsir» Heltersdorff. 1j Novelle von Hedda von Schmid. Nachdruck verrott». Gerade, als ich es mir recht bequem in meinem Coup4 ge macht, mich in meiner ganzen, nicht allzu großenLänge auf der grauen Polsterbank hingestreckt, mein Reisekiffen unter meinen Kopf geschoben und mich behaglich in die ersten Seiten von Rudolf Stratz' „Weißem Tod" vertieft, hielt der Eurierzug, welcher zwischen den beiden Provinzialhauptstädten dahinbrauste, vor einer kleinen Station. Nur wenige Minuten Aufenthalt. Ein Hin- und Herhasten auf dem Perron vor meinem Fenster — da, schon daS zweite Abfahrtssignal — ein Rufen nach dem Conducteur — und dann ward die Thür zu meinem CoupS, in welchem ich bisher die einzige Insassin gewesen, aufgeriffen, und drei Herren, gefolgt von einem Gepäckträger, traten schnell ein. Adieu, Rudolf Straß! Adieu, bequeme Lage, die den reise müden Gliedern so wohl that . . . Rasch richtete ich mich empor und drückte mich in meine Frnsterecke — nachdem ich ein große- Spielzeugpacket — gelbgestrichene Schubkarren und Spaten, welch« ich meinen Kindern heimbrachtr, und die sich auf den Polstern breit gemacht, bei S«ite geschoben. Gin wohlwollender Onkel hatte besagtes Spielzeug gespendet; doch aufrichtig ge standen, bedarf eS des ganzen OpsermutheS einer Mutter, um immer bei Laune zu bleiben, wenn man dergleichen Handgepäck zwei Tagereisen lang mitschleppen muß. Besonders die Holz spaten besaßen ein kolossales Talent, im allerungeeignetsten Mo ment sich aus ihrer Verschnürung zu lösen, um mir, oder, was viel unangenehmer war, meinen Mitreisenden auf Kopf und Füße zu fallen. Es war ein fruchtbar heißer Vormittag. Ende Mai, eigent lich für diesen Monat viel zu heiß. Einer meiner neuen Reise gefährten fragte mich, ob ich gestatten würde, daß er die Thür zum Waggoncorridor öffne, ich bejahte; wir wechselten einige Phrasen über da» Wetter, die unerträgliche Hitze, und dann griff ich wieder zu meinem illustrirten Heft. Die Herren steckten sich, nachdem sie sich meine Zustimmung dazu ringeholt, ihre Papyros an und begannen eine lebhafte Unterhaltung. Wenn man eine längere Reise macht, so kommt man unwill kürlich dazu, unterwegs Betrachtungen über die Personen anzu stellen, mit denen uns der Zufall für einige Stunden in ein und dasselbe EisenbahncoupS zusammenwürfelte. Und da der „Weiße Tod" entchieden zu den interessantesten Romanen gehört, und mit Muße gelesen sein will, und ich nicht in Leselaune war, so blätterte ich nur in meinem Velhagen und lauschte dabei auf das, worüber meine Reisegefährten sich unterhielten. Sie waren, das klang aus ihren Reden heraus, sammt und sonders Land- wirthe. Manche Andere hätte es nun todtlangweilig gefunden, so in Einem hin über Stalkfütterung, Milch- und Butterpreise, Holzvevkauf, Pferdezucht u. s. w. debattiren zu hören; mich jedoch, als Frau eines Landwirths, interrssirte diese Art von Con- versation ungeheuer. Die Herren mußten in der Gegend, welcher unser Zug zu strebte, zu Hause sein; auch mir war dieselbe aus meiner Mädchen zeit her bekannt, und es amiisirte mich im Stillen, daß die Drei keine Ahnung davon hatten, wie vertraut mir manche Namen waren, welche im Laufe deS Gespräche- fielen. Auch die meisten der Güter, von denen die Rede war, kannte ich vom Hörensagen. Der Zug durcheilte den reizvollsten Thril Livlands. Die Berge der livländischen Schweiz, jenes köstlichen Erdfleckens mit seinem poesievollen Zauber, tauchten vor unseren Augen auf; durch das Raunethal ging e» dahin, über die auf kraftvollen, schlanken Pfeilern ruhende, schwindelerregende hohe Brücke. Grüngolden erglänzte das junge Laub der Birken im Maien sonnenschein, dann kam ein Strich ernsten Tannenwaldes, dann ging es durch eine Schlucht ein Bild machte in blitzeS- schneller Reihenfolge dem anderen Platz, und das Auge konnte sich satt schauen an den landschaftlichen Reizen. Ich bin im Flachlande zu Hause, und so fest ich auch an dem selben hänge, so sehr ich es liebe, gern und unverkürzt zolle ich meine Bewunderung den landschaftlichen Schönheiten, welche der Schwesterprovinz meiner Heimath eigen. Bet einem besonders schönen Ausblick in eine Thalsenkung hatten sich auch meine Reisegefährten von ihren Sitzen erhoben und waren näher zum offenen Fenster getreten. „Wundervoll", sagte der eine, der Jüngste von den Dreien, der am wortkargsten gewesen. blickte ihn an. Mann hatte noch soeben voll deS spannendsten Interesses geschienen, als sein vis-ö-vi» sich ausführlich über Friesenzucht verbreitete, und nun lag tn diesem „wundervoll" und dem Blick, der daS Wort begleitete, und der mit unverhohlenem Entzücken über die Landschaft dahinschweifte, solch »tn Hauch von unver kennbarem Idealismus, den ich mir mit seinem Interesse für Ostsriesenkälber gar nicht zusammenreimen konnte. Dieser Fremde kam mir plötzlich so bekannt vor, ich mußte ihm schon früher einmal begegnet sein. Aber wo? Ich strengte mein Gedächtniß an, kam jedoch zu keinem Resultat. Seltsam — und doch wußte ich bestimmt, daß ich diese vornehmen, etwa- scharf geschnittenen Züge schon ge sehen; freilich, damals waren sie von der FrühjahrSsonne nicht so gebräunt gewesen, wie jetzt; sie schimmerten in meiner Er innerung in fast frauenhafter Zartheit und Weiße. Jenen festen, energischen Zug um den Mund kannte ich auch nicht — über die Farbe der Augen war ich mir ebenfalls nicht im Klaren, weil der bekannte Unbekannte einen goldgefaßten Kneifer trug. Aber ich mußte ihm früher schon begegnet sein, diesem blon den, schlanken Mann, den sein Reiseanzug aus englischem Stoff so gut kleidete, der so distinguirt, ruhig und vornehm aussah. Meine ganze Schriftstellerneugier war erwacht. Ich lebe nämlich gleichsam immer zwei Leben — das eine in der Wirklich keit, daS andere in meiner Einbildungskraft und Phantasie. Daß ich diese» zweite phantastische Dasein nicht mit meiner eigenen Person und was dieselbe angeht, auSsülle, ist begreiflich, nein, da hinein placire ich alle Gestalten und alle Begebenheiten, die ich mit meiner Feder schildere, und sobald ein neues Ereigniß, eine neue Figur in mein Phantasieleben getreten, beschäftige ich mich lebhaft mit diesem Neuen und verarbeite e-, früher oder später, je nachdem, zu einem Romanstoff. Dieser fremde Mit reisende nun war, seinem Aeußeren nach wenigstens, ein Roman held, wie er nicht interessanter gedacht werden konnte, und sobald ich Solches sestgestellt, begann sich die Schriftstellerin in mir zu regen. Der schöne Aussichtspunkt war vorüber, und wir traten vom Fenster zurück. Dabei stieß mein Romanheld im Vorübergehen an mein ominöse- Spielzeugpacket und sofort polterte einer der gelben Spaten zu Boden. Mit einem höflichen „Pardon!" bückte sich der Fremde. „O bitte", erwiderte ich und bemerkte dann, daß ihm beim Bücken der Kneifer von der Nase geglitten. Wie ich richtig vrrmuthet, waren sein« Augen von einem dunklen Grau, so wie ich sie in meiner Erinnerung hatte. Tie stimmten gut zu dem kurz gehaltenen blonden Haar und der gebräunten Gesichtsfarbe. Letztere ist ja der schönste Schmuck eines jedweden Landwirths. Und plötzlich, nachdem ich die Farbe der Augen meines Reise gefährten constatirt, wußte ich ganz genau, wen ich vor mir hatte — es bedurfte nicht einmal mehr des Umstandes, daß einer der beiden anderen Herren ihn mit seinem Vornamen „Harald" an redete und von seiner Besitzung Hellersdorff, hier herum, in der Nähe der Bahnlinie, sprach. Also das war Harald von Rembden, mein ehemaliger Cotillontänzer. Sechzehn Jahre mochten es her sein, ich war dazumal ein Backfisch, als wir den ersten Cotillon miteinander getanzt. Eine lange Spanne Zeit. . . ' Was lag nicht Alles zwischen dem Einst und dem Jetzt? . . . Diel Glück und viel Leid — ein« ganze Kette verschiedener Schick salsfügungen. Mein Stern hatte mich in den Hafen geleitet, in dem man für Mann und Kinder lebt und auch noch einiges Interesse für die Welt außerhalb der eigenen Scholle übrig hat. Wie mochte eS Harald Rembden ergangen sein? Als ich ihn kennen gelernt, war er ein beliebter Student gewesen, Farben träger selbstverständlich. Er trug, wie ich mich besann, damals noch nicht den goldenen Kneifer. Etwas schüchtern war er mir stets vorgekommen; diese Schüchternheit war nun augenscheinlich dem Selbstbewußtsein deS fertigen Manne» gewichen. Schon schwebten mir die Worte auf den Lippen: „Erkennen Sie mich denn nicht, Herr von Rembden? Erinnern Sie sich noch dieses und jene» Balles, wo wir so vergnügt gewesen? Und des Liebhabertheaters auf dem Polterabend der M.'schen Silber Hochzeit, die wir zusammen mitgemacht?" Dann aber untere drückte ich alle diese Fragen. Die Herren waren wieder eifrig in «in Gespräch über eine demnächst stattfindende Thierschau gerathen, und da dünkte es mich ganz und gar nicht am Platze, mit meinen Ballerinnerungen einzufallen. Wie sollte Harald Rembden sich auch des Backfischchens mit langem, braunem Zopf erinnern? Schwerlich würde er dasselbe in der rundlichen Frau, die ganz nach einer Landpomeranze aus sah, die mit Hutcartons, in welchen Kindermatrosenhüte steckten, und mit gelb angestrichenen Schubkarren reiste, wiedererkennen. Er konnte mir möglicher Weise erstaunt entgegnen: „Beim besten Willen — ich entsinne mich nicht, gnädige Frau, je das Ver gnügen gehabt zu haben —" Da ertönte auch bereit» der schrille Pffff der Lokomotive — der Zug fuhr langsamer und hielt gleich darauf vor dem Perron de» Städtchen» W. Meine Reisegefährten erhoben sich. „Du, Harald, da steht Deine Frau und winkt Dir zu, sie holt Dich selber ab", sagte einer der Herren, welcher nach einem Gepäckträger zum Fenster ausgeschaut. Also Harald Rembden war verheirathet; richtig, da blitzte ja auch der breite Goldreif an seiner Rechten. Wir schade — am Ende war e- eine ganz prosaische Ehe, und Harald war
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite