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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.12.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981217019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898121701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898121701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-17
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Sie, die mit der Regierung zusammen in den Jahren des Conflictes den Kampf gegen die Herrschaftsgelüste des Abgeordnetenhauses geführt hatte, konnte nicht begreifen, daß Bismarck den Sieg nicht zu einer Revision der preußischen Verfassung benutzte, noch weniger, daß er dem gemäßigten Liberalismus Zugeständnisse machte und die kräftige Unterstützung der neugebildeten nationalliberalen Partei bei der Verfassungs arbeit zum Ausbau des Norddeutschen Bundes sich gefallen ließ. Schon im Jahre 1868 zeigten sich die Vorboten des Bruches mit der conservativen Partei, der 1872 mit Geräusch vollzogen wurde in den Debatten über die Begründung eines Provinzialfonds für die Provinz Hannover. Die Regierung hatte sich den Hannoveranern gegenüber durch ein Versprechen gebunden, dar sie durch eine entsprechende Vorlage beim Landtage einlvste; allein sie begegnete bei der durch Heißsporne, wie v. Brauchitsch, o. Diest u. A., geleiteten conservativen Partei einem solchen Widerstande, daß das Gesetz nur mit einer knappen Mehrheit zur Annahme gelangte. Die conservative Partei verkannte, daß ihre Aufgabe nach dem Kriege eine andere sein mußte, als zur Zeit des Conflictes: damals galt es, dem demokratischen Fortschritt und demagogischer Ueberstürzuna einen Hemmschuh anzulegen nach 1866 hätte sie sich umwandeln müssen in eine Partei des conservativen Fortschrittes. Indem sie das versäumte, drängte sie selbst Bismarck zum Anschluß an die liberale Partei, der für die höchste seiner Aufgaben, die Consolidirung der neuen Ordnung vor dem zu erwartenden Kriege gegen Frankreich, die Hilfe nehmen mußte, wo sie sich ihm bot. Nicht bei allen seinen conservativen Gegnern konnte Bismarck „achtbare principielle" Gründe ihrer Gegnerschaft erkennen, „die in dem Einzelnen eine stärkere Triebkraft ausübten, als ihr mehr preußisches wie deutsches Nationalgesühl." Bei den einen lag das Motiv der Opposition im Streberthum, so bei Harry Arnim, R. v. d. Goltz u. A., die sich kküger dünkten, als Bismarck (be kannt ist der AuSspruch von Goltz: „Nun macht der Mensch meine Politik und macht sie falsch!"), bei den anderen, den Standesgenossen vom Landadel, im Neid über die exceptionelle CarriSre eines der Ihrigen, der es vom schlichten Landjunker über die auch Anderen zugängliche „Excellcnz" hinaus zur „Durchlaucht" gebracht hatte, so wenig Bismarck jemals etwas Anderes sein wollte, als der Landedelmann, der er nach Geburt und Erziehung war. Die Opposition der Conservativen fand ihren Ausdruck in der verurtheilenden Kritik der Bismarck'schen Politik bei Gelegenheit des Schulaufsichtsgesetzes im Jahre 1872 durch den damaligen Führer der Partei, Herrn v. Kleist-Retzow. Bei der gewaltigen politischen Tendenz des Schulaufsichtsgesetzes war es eine ausgesuchte Thorheit der conservativen Partei, die Regierung im Stiche zu lassen, und Fürst Bismarck ist bis an den Tod der in den „Gedanken und Erinnerungen" aus gesprochenen Ueberzeugung treu geblieben, daß Herr v. Kleist- Retzow, indem er seine Parteigenossen — gleichgiltig aus welchen Gründen — zu solchem Widerstand verleitete, das Land und die conservative Sache schwer geschädigt habe. „Wenn die con servative Partei", sagt er im Rückblick auf diesen ihm schmerz lichen Vorgang, „anstatt mit mir zu brechen und mich mit einem Fanatismus zu bekämpfen, worin sie keiner staatsfeindlichen Partei etwas nachgab, der Regierung des Kaisers geholfen hätte, in ehrlicher gemeinsamer Arbeit die Reichsgesetzgebung aus zubauen, so würde der Ausbau nicht ohne tiefe Spuren solcher conservativen Mitarbeit geblieben sein. Ausgebaut mußte werden, wenn die politischen und militairischen Errungenschaften vor Zerbröckelung und centrifugaler Rückbildung geschützt werden sollten." Ob das schließlich in mehr conservativen oder in mehr liberalen Formen geschah, darauf konnte es einem Staatsmanne nicht ankommen, der, nicht durch Parteidoctrinen verblendet, die xudtioL imxsrii lZermanici allein im Auge hatte und das Zutrauen zum deutschen Volke hegte, daß es Auswüchse und Fehler der nationalen Einrichtungen heilen und ausmerzen werde, sobald es sich das Recht der freien Selbstbestimmung durch Her stellung einer zum Selbstschutze hinreichend starken Einheit ge wonnen haben würde. Der engere Anschluß Bismarck's an die Nationalliberalen steigerte die Feindschaft der Conservativen bis zu den berüchtigten Aera-Artikeln der „Kreuz-Zeitung", in denen gegen den Fürsten Bismarck, allerdings in einer für den Straf richter schwer faßbaren Weise, die gehässigsten Verdächtigungen ausgestreut wurden, und den schamlosen Angriffen der „Reich s- g locke", eines Blattes, das seine Mitarbeiter in den höchsten Kreisen des preußischen Adels hatte und durch Vermittelung des Ministers v. Schleinitz selbst am Hofe des Kaisers Wilhelm mit Eifer colportirt wurde. Fürst Bismarck knüpft an die Erzählung über die Form, in der sich die Feindschaft äußerte, allgemein giltige Bemerkungen über die Rohheit des Parteikampfes über haupt, die ich den Lesern des Blattes nicht vorenthalten will: „Jeder, der in heutiger Zeit in politischen Kämpfen gestanden hat wird die Wahrnehmung gemacht haben, daß Parteimänner, über deren Wohlerzogenheit und Rechtlichkeit im Privatleben nie Zweifel aufgekommen sind, sobald sie in Kämpfe der Art ge- rathen, sich von den Regeln des Ehrgefühles und der Schicklich keit, deren Autorität sie sonst anerkennen, für entbunden halten und aus einer karikirenden Uebertreibung des Satzes 8kUns publica suprema lex die Rechtfertigung für Gemeinheiten und Rohheiten in Sprache und Handlung ableiten, durch die sie sich außerhalb der politischen und religiösen Streitigkeiten selbst an gewidert fühlen würden. Diese Lossagung von allem, was schicklich und ehrlich ist, hängt undeutlich mit dem Gefühle zu sammen, daß man im Interesse der Partei, das man dem des Vaterlandes unterschiebt, mit anderem Maße zu messen habe, als im Privatleben, und daß die Gebote der Ehre und Erziehung in Parteikämpfen anders und loser auszulegen seien, als selbst im Kriegsgebrauch gegen ausländische Feinde . . . Welcher ge bildete und wohlerzogene Deutsche würde versuchen, im ge wöhnlichen Verkehr auch nur einen geringen Theil der Grobheiten und Bosheiten zur Verwendung zu bringen, die er nicht ansteht, von der Rednertribüne vor hundert Zeugen seinem bürgerlich gleich achtbaren Gegner in einer schreienden, in keiner anständigen Gesellschaft üblichen Tonart ins Gesicht zu werfen? Wer würde es außerhalb des politischen Parteitreibens mit der von ihm selbst beanspruchten Stellung eines Edelmannes von gutem Hause verträglich halten, sich in den Gesellschaften, wo er verkehrt, gewerbsmäßig zum Colporteur von Lügen und Verleumdungen gegen andere Genossen seiner Gesellschaft und seines Standes zu machen? . . . Sobald man aber vor dem eigenen Gewissen und vor der Fraction sich damit decken kann, daß man im Partei interesse auftritt, so gilt jede Gemeinheit für erlaubt oder doch für entschuldbar." Als Bismarck die Verleumdungen der „Kreuzzeitung" öffent lich vor dem Reichstage brandmarkte (9. Februar 1876) und die Conservativen aufforderte, sich von einem solchen Blatte los zusagen, antwortete ihm die Kundgebung der sog. Decla ranten, meist evangelische Geistliche, die dadurch in Bismarck's Augen sich zu Eideshelfern der „Kreuzzeitungslügen" machten und Bismarck's Mißtrauen „gegen Politiker in langen Kleidern, weiblichen und priesterlichen", durch ihr Eintreten für die frivolsten Verleumdungen des ersten Beamten des deutschen Reiches nur verstärken konnten. Bismarck zog die selbst verständliche Consequenz: zwischen ihm und allen „Declaranten" war das Tischtuch zerschnitten; er mußte mit manchen Männern brechen, die ihm früher in inniger Freundschaft verbunden ge wesen waren, und die Wunde, die dadurch seinem Herzen ge schlagen wurde, ist nie ganz vernarbt. Leider fand Bismarck bei den Nationalliberalen nicht vollen Ersatz für das, was er aufgab; es blieb ihm die bittere Er innerung daran, daß die nationalliberale Partei sich durch die rohen und unwürdigen Angriffe auf seine persönliche Ehren haftigkeit nicht bewogen fand, ihm in der Abwehr irgendwie beizustehcn, ja aus manchen Zeichen wollte er schließen, daß man in ihren Reihen den Angriff der conservativen Partei mit eine: gewissen Genugthuung begrüßte und sich bemühte, den Bruch zu erweitern und bei ihm den Stachel tiefer einzudrücken. Fürst Bismarck sieht die Ursachen dieser Haltung in der Fraciions beschränktheit, die immer nur fragt: was nützt der Fraction? und nicht: was ist im gegebenen Falle dem Vaterlande nützlich? Der durch die „parlamentarischen Condottieri" geübte Zwang schüchtert die einzelnen, minder redegewandten Mitglieder der Fraction ein, ihre Meinung frei zu äußern, und so dienen sie schließlich nur den Herrschaftsgelüsten der Parteiführer, deren letztes Ziel immer der Posten des leitenden Ministers sein wird. Das ist menschlich natürlich, mußte aber einen Charakier wie Bismarck abstoßen, der, über alles Parteiwesen hinausgewachsen, immer nur ein Ziel kannte: das Beste des Vaterlandes, bei den Parteien aber für seine Bestrebungen nicht die erhoffte Förderung fand, weil jede den Vorwurf scheute, „ministeriell zu sein", so lange die leitende Stellung in „festen" Händen war. „Dieser Vorwurf hörte sofort auf, den Conservativen unv anderen Fractionen empfindlich zu sein", als durch Bismarck's Entlassung die regierende Stelle vacant geworden war, „und jeder Partei führer, in der Hoffnung, bei ihrer Wiederbesetzung betheiligt zu werden, bis zur unehrlichen Verleugnung und Boycottirung des früheren Kanzlers und seiner Politik servil und ministeriell wurde." Aufreibender fast als der Kampf auf politischem und parla mentarischem Gebiete ist für Bismarck der Kampf gegen die Jntrigue gewesen, der sich hinter den Coulissen abspielte und ihm oft genug die Galle ins Blut getrieben hat. Das 26. Capitel der „Gedanken und Erinnerungen" (Intrigen) giebt davon Feseilletsn. Aus Rudolf von GottschaU's Jugendzeit. Don Hermann Pilz. I. Seit Goethe in seinem Werke „Dichtung und Wahrheit" sich selbst ein LebenSmonument errichtete, vor dem man in alle Ewigkeit bewundernd stehen wird, haben die Selbstbiographien deutscher Dichter und Denker in den letzten Jahrzehnten bedeutend zugenommen. Die Memoiren-Literatur ist beständig im Wachsen begriffen. Karl Gutzkow schilderte in seinem stimmungsvollen Bilderbuch „Aus der Knabenzeit" die Idylle seiner Kindheit in der preußischen Residenz, Bogumil Goltz gab in seinem „Buch der Kindheit" und „Ein Jugendleben" farbenfrische, an Jean Paul erinnernde Schilderungen seines Lebens und Kügelgen hatte mit den „Erinnerungen eine» alten Mannes" einen außer gewöhnlichen Erfolg. In neuerer Zeit gesellten sich dazu die LebenSerinnerungen Dingelstedt'S in den geistvollen „Münchener Bilderbogen", Spielhagen'L „Finderus Erfinder", sowie die Er innerungen von Dahn, Ebers und anderen mehr. Mit besonderer Freude aber wird e» begrüßt werden, daß auch unser heimischer Dichter Rudolf von Gottschall aus dem Bilderbuchc seines vielbewegten Lebens seinen Freunden und Verehrern ein zelne Blätter mittheilt, die ein hervorragendes Interesse bean spruchen dürfen:*) Rudolf von Gottschall ist am 30. September 1823 als Sohn eine» Premierlieutenant» der reitenden Artillerie in Breslau ge boren, aber der Beruf seines BaterS brachte e» mit sich, daß er nicht in der schlesischen Hauptstadt Kindheit und Jugend ver leben konnte, sondern schon frühzeitig den Wanderstab mit er greifen mußte. In den Erinnerungen aus seiner Jugendzeit ge denkt er mit warmer Hingabe seines VaterS, eine» Ostpreußen, der die Feldzüge von 18Ü, 1813, 1814 und 1815 nritgemacht hatte und sein« KriegSerlebniffe in Tagebüchern aufzeichnete, die sich noch im Besitze de» Dichter» befinden. Es treten uns leb hafte, den Reiz der Unmittelbarkeit ausübende Scenen aus diesen Tagebuchblättern entgegen, und man möchte fast glauben, daß Gottschall'» eigene, eminente Kunst der Schilderung ein Srbtheii seine» Bat«» gewesen sei. E» ist eine glühende Vaterlandsliebe auf diesen Blättern niedergelegt. Die Völkerschlacht führte Gott schall'» Vater zum ersten Male nach Leipzig, wo auch der Sohn schon in seiner Kindheit Einzug halten sollte. Äottschall theilt au» dem Tagebuch« des Vaters ein Kampfbild au» derSchlacht vonMöckern mit. Von Breslau kam der Dichter 1827 nach Neiße, und 1828 wurde der Baker al» Hauptmann in die Festung Coblenz am Rhein versetzt, so daß die Familie die damal» außerordentlich be schwerliche Reise von Neiße nach Coblenz in einem Mieths- wagen, obenein im Winter, unternehmen mußte. Bei Gelegenheit dieser Fahrt kam der Knabe zum ersten Male nach Leipzig. „In Leipzig", schreibt er, „erlebte ich selbst da» für mich inter *) „Au» meinerJugenü-, Crinnerungen von Rudolf von Gottschalk. Vertin, Verlag von Gebrüder Pa«trt. essanteste Abenteuer der ganz«n Reise; ich verlief mich nämlich auS unserem Hotel in fremde Straßen, und da ich den Namen des Gasthauses mir nicht cingeprägt hatte, so dauerte es lange, ehe man mich zu meinen Eltern zurückbringen konnte." Später hat er sich ja in Leipzig ganz gut zurechtgefunden. Ein glückliches Geschick führte Gottschall in seiner Kindheit gerade in diejenigen Gegenden unseres deutschen Vaterlandes, in denen die Natur den vollen Zauber ihrer Schönheit entfaltet. So hat er denn auch in seinen Romanen und Novellen, wie in seinen Gedichten dem Schlesierlande und dem Vater Rhein manches poetische Opfer in dankbarer Erinnerung dargebracht. Die Oertlichkeit, wo er mehrere Jahre seiner Knabenzeit in Coblenz zubrachte, hat er in seiner Novelle „Der Zeugleutnant" und auch in dem Roman „Moderne Streber" geschildert. Auf dem Gym nasium wurde er bereits zu dichterischem Schaffen angeregt, und es beschäftigte ihn ein Drama „Wilhelm von Oranien". Mit Schiller, zu dessen größten Bewunderern und Nach eiferern er später gehörte, hatte Gottschall im Anfang ein seltenes Mißgeschick. Er kannte den großen Monolog aus der „Jungfrau von Orleans" nur aus einer Travestie ü la GlaSbrenner. „Der Lehrer fragt«", erzählt er, „ob einer von uns den großen Monolog aus der Jungfrau von Orleans kenne; da meldete ich mich voll stolzen Selbstgefühls, und aufgefordert, ihn herzusagen, bestieg ich da» Katheder und begann: „L«bt wohl, ihr Berge, du jeliebte Hammelhrerde, Die Hann« sagt euch jetzt adje»! Ob ick noch mal zuriickekommen werde. Wer weeß, wer weeß!» Der Lehrer ließ mich zu seiner Freude und zur Freude der ganzen Sexta dies Pseudo-Schiller'sche Prachtstück bis zu den Schlußversen Vorträgen: „Ick fang« an, zu Wilthen und zu rasen, Die Pf«rde bvhmen sich und di« Trompetersch blasen!" Bon Coblenz wurde Gottschall'S Vater al- Compagniechef der FestungSortillerie in die Garnison von Mainz versetzt. „Mit dem goldenen Mainz, der Stadt des Gutenberg", schreibt er, „der Perle der Rheinlande, sind meine schönsten Jugenderinnerungen verknüpft. Hier zeigte ich mich in der Entwickelung meiner poetischen Anlagen al» eine Art von Wunderkind. Es ist damit aber nicht viel Rühmen» zu machen, denn e» ist ja bekannt, daß die Wunderkinder nachher in der Regel nicht» GescheidteS ge leistet haben." Keine Regel ohne Ausnahme! Im „goldenen Mainz" kehrte die Muse des Dichter» in seinem Drama „Guten berg" in Erinnerung an di« dort verlebt« schöne Zeit ein. Auch auf dem Mainzer Gymnasium entwickelte sich der „Dramatiker" Gottschall weiter. Er dichtete längst vor Wilbrandt einen „Cujus Gracchus", ein dreiactige» Drama, da» ihn mit einem Officier, dem Premierlieutenant von Greiffenberg, einem Polyphistor, der auch poetisch veranlagt war, in näher« Berührung brachte. Charakterzüge Greiffenberg'» hat der Dichter später dem Haupt mann in der Novell« „Die zehnte Sprache" gegeben. Dem „Caju» Gracchus" folgte alsbald eine „Catilina" — man sieht, das Römerthum hatte e», wie anderen jungen Dichtern, auch Gottschall angethan, der spät« „die Helden mit nackten Beinen, di« fortwährend beim Jupiter oder gar beim Terberu» schrieen", nicht lieble. Der Wunsch, die ersten Dramen auf dem Mainzer Theater «mfgeführt zu sehen, wurde dem Dichter freilich nicht er füllt, aber das entmuthigte ihn nicht, und an „Catilina" schloß sich «ine „Hippodamia", dann ein Stück auS der ungarischen Ge schichte „Ladislaus Hunyades" an, das Tieck eingesandt, von diesem aber unbeachtet gelassen wurde. „Zu spät erfuhr ich", schreibt Gottschall, „daß Ludwig Tieck an seinem Schreibtisch eine Versenkung angebracht haben soll, in welcher alle ihm ein gesandten Bühnenmanuscripte verschwanden." Der jugendliche Dichter wollte aber auch Epiker sein. Er schreibt darüber: „Und so sattelte ich meinen Hipogryphen zum Ritt in «in fremdes, romantisches Land. Dies Land war Mexiko und mein Held war Ferdinand Cortez. In der That, ich hatte 24 Gesänge zu Stande gebracht, ein jeder mit den üblichen 80 bis 90 Strophen, so daß er im Vergleich mit Gottfried von Bouillon und Rinaldo und den anderen Helden des befreiten Jerusalem, wa» die dichterische Aufstellung und Rüstung be trifft, nicht zu kurz kam. Auch der Forderung der Götter maschinerie wurde ich gerecht, und das war nicht mit geringen Schwierigkeiten verknüpft, denn die mexikanischen Götter hatten neben ihren sonstigen Vorzügen auch ziemlich unaussprechliche Namen, gegen welche sich das jambische Versmaß eigensinnig sträubte. Der Quetzecoastl, der Mxcoatl und andere, die wegen ihrer sonstigen mythologischen Bedeutung in einer schwunghaften Dichtung nicht fehlen durften, machten auch den gefügigsten Jambus so scheu, daß er einige Seitensprünge machen mußte, und auch die sonst hochpoetischen Feuerberge des Jtzichuatl und Popo- tretepetl boten einem correcten Versmaß Trotz. Die christlichen Engel und Erzengel waren viel bequemer. Sie waren gewohnt, in regelrechten Stanzen einquartirt zu werden. Trotz aller Schwierigkeiten ermüdete meine Muse nicht, sie sang die Er oberung Tenochtitlan», die Hinrichtung Montezuma'S, di« Empörung des über die Dämme der Seen nach der Hauptstadt dringenden Volkes, und der große Eroberer, obschon er kein großer Menschenfreund war, wurde doch von der Muse mit einem, wie ich hoffen durfte, unverwelklichen Lorbeer gekränzt." Von den folgenden Dramen des jungen Dichters, „Die Doppelgänger" und „Cerigo", nennt er selbst da» letztere den „Treffer in seiner Mainzer Gymnasialdramatik". Ein Theil desselben erschien 1839 in den „Mainzer Unterhaltungsblättern" und erregte gewaltiges Aufsehen. Gottschall war als Secundaner Mitarbeiter der Unterhaltungsblätter geworden. Die erste Scene de» dritten Aufzuges wird in den „Erinnerungen" mitgctheilt. Wir erkennen m ihr schon die ganze Eigenart Gottschall'scher Dichtung. Eine blühende, hier theilweise noch jugendlich bombastische Sprach«, einen kühnen Bilderflug und neben dem hohen Schwung der Gedanken bizarre Einfälle einer satirischen Narrenphilosophie. Da» Vertrauen auf die Macht der Poesie, der der Dichter später in „Maja" einen Triumphgesang weihte, spricht schpn aus den Worten Cerigo's an den Sänger: Dem Weltgericht traue unv verzage nicht! Schon sort mein Freund? So selten nur, so kurz Der Meine! Thöricht Wort! Ist er nicht immer Der Meine? Mit den Körpern spielt da» Schicksal, Doch mein« Allmacht trennt v«r Geister Band. Der Sänger stirb», der Himmelssang gesungen, Doch niemals, niemals ist sein Lied verklungen.» Bald sollte der junge Gottschall wieder andere Landschafts bilder vor sich auftauchen sehen. Im Jahre 1839 nahm sein Vater den Abschied und wandte sich nach seiner Heimath Ost preußen zurück. Wiederum berührte der Dichter Leipzig. Er schreibt darüber: ,',Di« Miethskutsche brauchte wieder Wochen, um uns ans Ziel zu bringen. Nur in Leipzig ging uns die Ahnung einer schöneren Zukunft des deutschen Reiseverkehrs auf. Die Bahn zwischen Leipzig und Dresden war eben eröffnet worden und wir sahen di« dampfende Locomotive und den Personenzug, der leider unS nicht zu Statten kam, da er sich nach einer anderen Richtung hin bewegte. Ich tröstete mich, indem ich mir die Verse von Karl Beck im Stillen vordeclamirte: „Rasend rauschen rings Vie Räder, Rollend, grollend, stürmisch sausens, Ti«f im innersten Geäder kämpft der Zeitgeist sreiheitrbrausend. stemmen Steine sich entgegen, Reibt «r sie zu Sand zusammen, Seinen Fluch und seinen Segen Speit rr aut in Rauch und Flammen!- Carl Beck, ein junger ungarischer Student, lebte damals in Leipzig. Ich hatte einen Empfehlungsbrief an den jungen Dichter, den ich alsbald aufsuchte, und der mir, dem schüchternen Scholaren, durch seine studentischen Allüren, seine Sporenstiefel, seinen magyarischen Schnürrock und seine Pfeife imponirte. Wir machten zusammen einen Spaziergang über die Leipziger Prome nade; keineswegs verminderte di« Persönlichkeit des Dichters den Eindruck seiner Verse; besonders kündigten seine oft gerühmten, mildgroßen, blauen Augen den Poeten an. Ein Literat auf den Schulbänken, der schon eine große Zahl von fünfactigen Tra gödien und eine Reihe gedruckter Zeitungsartikel hinter sich hat. führte ich mich durch Karl Andröe'S Empfehlungsbrief bei Gustav Kühne und Hermann Marggraff ein, den tonangebenden Leipziger Journalisten. Der Erstere redigirte da mals die „Zeitung für die elegante Welt" und hatte sich durch Novellen und Essay», besonder» aber durch einen sich in jung deutschem Fahrwasser bewegenden Roman „Eine Quarantaine im Jrrenhause" einen Namen gemacht. Der Letztere, später mein Vorgänger an der Redaction der „Blätter für literarische Unter Haltung" hatte gerade damals eine Schrift über Deutschlands jüngste Lit«ratur- und Culturperiode veröffentlicht und ein Drama „Das Täubchen von Amsterdam" erscheinen lassen. Beide empfingen nicht ohne einige» Befremden den so blutjungen Lite raten. Nach kurzem Aufenthalt in Königsberg ließ sich die Familir Gottschall in Rastenburg nieder, wo der Dichter die Prima des Gymnasiums besuchte. Das Studium von Voigt'» „Geschichw Preußen»" begeisterte ihn zu einem Trauerspiel: „Heinrich Monte, der Preußen Heerfürst", da» auch gedruckt erschien und bei dem ihm wohl die Dichtungen von Zacharias Werner „Das Kreuz an der Ostsee" und die „Söhne de» Thales" vorgeschwcbt hatten. Im Jahre 1841 bestand Gottschall die Reifeprüfung und bezog die Universität Königsberg, wohin auch seine Eltern über siedelten. Damit hatte seine Knabenzeit ein Ende erreicht. Es gewährt hohe» Interesse, in den „Erinnerungen" den Ent wickelungsgang de» Dichters zu verfolgen und zu sehen, wie er schon damals, wenn auch unerkannt, die ersten Garantien bot, sich zu einer literarischen Persönlichkeit von starkem, eigenartigem Geprägt herauSzubilden.
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