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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.12.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981222022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898122202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898122202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-22
- Monat1898-12
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Das ministerielle Blatt bestreitet, daß da» eingeleitete DiSciplinarverfahren den Zweck habe, einer sachlich gehaltenen Deurtheilung von Regierungsversügungen entgegenzutreten, und betont, daß cs sich nur darum handle, „vor Len gesetzlich geordneten Instanzen" die Frage zu lösen, ob ein höherer königlicher Staatsbeamter, der Anderen mit gutem Beispiel vorangehen müße, nicht mit den Pflichten seines Amtes in Widerspruch geräth, wenn er über Regierungsmaßregeln in so maßloser, unerhörter Weise sich auSläßt, wie Delbrück dies in den „Preußi schen Jahrbüchern" über die Ausweisungen aus Nordschleswig gcthan hat. Wir sind der Ueberzeugung, daß die „Berl. Corr." wenigstens der nationalgesinnten Presse gegenüber gar nicht nöthig gehabt hätte, die preußische Regierung zu rechtfertigen, wenn diese gegen den Herausgeber der „Preußi schen Jahrbücher" zuerst die S t a a t S a n w a l t s ch a f t zum Einschreiten veranlaßt und von dem Richterspruche die Ein leitung de» DiSciplinarverfahrens abhängig gemacht hätte. Denn darüber, daß ein Einschreiten gegen den Herausgeber der „Preußischen Jahrbücher" gerechtfertigt und nothwcndig ist, kann eigentlich gar kein Streit entstehen. Mag Herr Delbrück, wie die „Voss. Ztg." betont, sich noch so sehr im deutsch-französischen Kriege ausgezeichnet und als Prinzen erzieher noch so Hervorragendes geleistet haben, er steht des halb als Herausgeber der „Preußischen Jahrbücher" doch nicht über dem Gesetze. Und wie über „Kritiken", wie er sie in dieser Zeitschrift an den Ausweisungen ans Nordschleswig geübt bat, der ganze Reichstag denkt, hat er erst kürzlich gezeigt. Als der Abgeordnete v. Vollmar in der Reichstagssitzung vom 13. December d. I. jene Ausweisungen ein „barbarisches" Vorgehen nannte, erhob sich der Präsident Graf Ballestrem und sagte: „Ich kann es nicht zu geben, daß das Vorgehen einer Bundesregierung hier barbarisch genannt wird, und rufe Len Abgeordneten von Vollmar zur Ordnung." — Nach tz 60 der Geschäfts ordnung für den deutschen Reichstag hatte der Abgeordnete v. Vollmar das Recht, gegen die Zurechtweisung des Präsi denten schriftlich Einspruch zu tbun. Er hat das nicht gethan und damit eingeräumt, daher den Ordnungsruf v er d ien te. Herr Delbrück hat sich nun ungleich stärkerer Ausdrücke be dient, als der Abg. v. Vollmar; er bat sich auch nicht, wie dieser, unter dem Schutze der parlamentarischen Redefreiheit befunden und kann die Aufwallung des Augenblicks, die den Redner in gewissem Sinne entschuldigt, nicht für sich in Anspruch nehmen: er saß an seinem Schreibtische und hatte Zeit, seine „Kritik" nach Inhalt und Form genau zu prüfen. Wenn er sich trotzdem zu Auslastungen hinreißen ließ, die wohl geeignet waren, die preußische Staatsregierung vor dem Aus lande herabzusetzen, so erwuchs für die Regierung die Pflicht zum Einschreiten. Nicht einmal das formelle Recht der Regierung, gerade da« DiSciplinarverfahren gegen einen Mann einzuleiten, der in seiner Privateigenschaft als Herausgeber der „Preußischen Jahrbücher" seine Pflichten als Staatsbeamter so sehr vergaß, daß er über die vom Präsi ¬ denten LeS Reichstags gerügten Angriffe eines socialdemv- kratischen Abgeordneten gegen die Negierung hinausging, läßt sich in Abrede stellen. Aber warum schlug man nicht den Weg ein, der allen Streitereien den Boden entzogen hätte, — warum schritt man nicht zuerst gegen den keiner DiSciplinar- gewalt unterstehenden Herausgeber der „Preußische» Jahr bücher", den Hauptschuldigen, ein und machte von dem richter lichen Spruche über diesen die Einleitung der Disciplinar- untersuchung gegen den Professor abhängig? Sie wäre ja im höchst wahrscheinlichen Falle der Vcrurtbcikmg selbst verständlich gewesen. Wir erinnern uns, daß Professor Mommsen einmal in einer Wahlrede ein sehr scharfes Urtheil über den Fürsten Bismarck fällte. Er wurde wegen Bismarckbeleidigung unter Anklage gestellt, ohne daß es einem Menschen eingefallen wäre, zu verlangen, daß der Staatsanwalt in dem Wahlredner Mommsen den Professor respectire und vor diesem Halt mache. Mommsen wurde frei gesprochen und dieses freisprechende Urtheil wurde vom Reichsgerichte bestätigt. Nun unterblieb auch die Einleitung dcS DiSciplinarverfahrens, über die kein Mensch sich gewundert baben würde, wenn eine gerichtliche Verurlheilnng voraus gegangen wäre. Warum schlägt man Delbrück gegenüber einen andern Weg ein? Etwa weil inan die Freisprechung Mvmmsen's noch nicht vergessen bat? Wäre diese Vcrmuthung begründet, so dürfte sich die „Berl. Eorr." nicht darüber be klagen, daß die meisten Blätter das gegen Delbrück beobachtete Verfahren mißbilligen. Ueber das Schicksal deS Antrages Hasse auf Abänderung des Gesetzes über den Erwerb und Verlust der Scutsche» TtaatSangehiirigkeit ist kein Vorhersagen möglich. Ins besondere muß dahingestellt bleiben, ob die vorgeschlagene Bestimmung, wonach vor Ertbcilung der Naturalisations urkunde an einen Fremden das Reichsamt des Innern gehört werden muß, nicht auf unüberwindlichen particularistischen Widerstand stößt. So viel aber steht fest, daß der Gesichts- punct, auS dem der Freisinn, richtiger ein Tbeil seiner Presse, diese Vorschrift wie die anderen die Erschwerung der Naturalisation bezweckenden Vorschriften in dem Jnitiativgesetzentwurfe bekämpft, eine Specialität dieses Freisinns und etwa noch der Socialdemokratie bleiben wird. Abweichend von seiner bei dem Feldzüge gegen die Ausweisungen beobachteten Taktik und in diesem Falle das freilich von jeher durchsichtige Visir lüftend, erklärt das „Berliner Tageblatt", der Hasse'sche Entwurf dürfe um der ausländischen Juden willen nicht Gesetz werden. Von den Juden steht nun zwar in dem Antrag, der, wie selbstverständlich, alle Ausländer gleich behandelt, nichts. Aber das genannte preußische Blatt bezweifelt nicht,daß das Reichsamt „reactionäre preußische Eontrole" ausüben und daß deshalb der Entwurf die „Naturalisation eines Juden gesetzlich un möglich machen werde". DaS ist zwar nicht ganz logisch, aber auf die Folgerichtigkeit bei den eigentlichen Urhebern deS gegenwärtigen LärmS kommt eS uns nickt an, sondern auf die Offenbarung der Gesinnung, der ihre Stellungnahme in der augenblicklich die Naturalisationsfrage an Wichtigkeit übertreffenden Angelegenheit der Ausweisungen entspricht. Das „Berl. Tagebl." giebt zu, „daß Deutschland bereits selbst einen Ueberschuß an Bevölkerung besitzt und ein Zuwachs derselbe» durch Einwanderung kein Bedürfniß ist". Es hätte eigentlich heißen müssen „kein Bedürfniß im Allgemeinen". Tenn diesem seinen Zugeständnisse läßt daS jüdische Blatt, ohne irgend eine andere Nationalität zu erwähnen, sofort den Hinweis auf die Verhinderung der Naturalisation von Juden und ein kategorisches Nein zu dieser — vermeintlich — gesetz lichen Wirkung des Antrages solgcn. Seinem erwähnten Argumentes ü r den Entwurf weiß das Blatt außer der schuldigen Rücksichtnahme auf die Juden keuic weiteren Gegengründe cnt- gegenzustellen. Es heißt zwar, die Hasse'scken Naturalisations vorschriften würden „nothwendiger Weise Retorsionsmaßregelu im Auslande provociren". Aber das ist kein Einwand gegen ein Gesetz, das wie der vorliegende Antrag die Erschwerung des Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit sich zur Hauptaufgabe macht. Daß er dabei gegen den im Jahre 1868 abgeschlossenen sog. Baucroft-Vertrag über die Naturalisirunz Deutscher in Len Vereinigten Staaten verstoße, ist unwahr, denn der Entwurf sieht die von ihm sonst verhinderte Ent lassung für b:n Fall vor, daß sie „durch Staatsvcrträge be dingt ist". Wenn jetzt auch der französische Ministerpräsident Dupuy es für nvthwendig erachtet hat, in der Pariser Kammer öffentlich zu erklären, daß eine Veröffentlichung des geheimen Aclcnstücks, das in der Dreyfus-Angclegenheit bisher noch nicht dem Eassationöhofe ausgeantworlet ist, geeignet sei, den europäischen Frieden zu gefährden, so muß, wie wir mit der „Köln. Ztg." betonen, daran festgcbalten werden, daß diese Erklärung sich nicht auf Deutschland beziehen kann. Denn die deutschen amtlichen Auslassungen über den DreyfuSsall lassen keinen Zweifel darüber auf kommen, daß keine einzige deutsche Persönlichkeit, weder hoch noch niedrig, zu irgend einer Zeit zu Dreyfus Beziehungen gehabt hat, welche sie mit den französischen Gesetzen hätten in Eonflict bringen können. Deutscherseits würde also nicht daS Geringste gegen die Veröffentlichung deS ganzen Inhalts des geheimen Äctcnstücks einzuwcnden sein; die Beziehungen zwischen Deutsch land und Frankreich würden Lurch die Veröffentlichung in keiner Weise geschädigt werden. Auch kann man den maß gebenden französischen Staatsmännern nicht so viel Unver stand zutrauen, daß sie im Ernste annehmen könnten, in jenem geheimen Aktenstück befänden sich echte, auf die TreyfuS-An- gelegenhcit befindliche Briefe oder Schriftstücke dcS deutschen K,»ff:rS. Wer solch abgeschmacktes Zeug glaubi, k.uin selbst keine reine Wäsche haben. Enthält daS geheime Aktenstück überhaupt echte Urkunden und nicht lediglich Fälschungen, so kann durch ihre Veröffentlichung entweder nur eine andere ausländische Macht als Deutschland bloßgestellt werden oder Frankreich selbst, das dadurch als Friedensstörer hingestelkr würde. Der Pariser Bericht erstatter der „Times" weist darauf hin, daß in diesem Aktenstücke Enthüllungen über ausgedehnte russische Spionagen in Frankreich enthalten seien. Frankreich habe von Rußland eine Bestellung auf eine sehr große Anzahl französischer Lebek-Gewebre haben wollen. Ta Rußland vor gezogen habe, sich die Gewehre in den eigenen Gewehrfabriken herzustellen, so habe es durch ausgedehnte Spionage in Frank reich versucht, sich die wesentlichen Bestandtheile deü fran zösischen Gewehres heimlich zu verschaffen. Diese Aus streuungen mögen ja freie Combinationen des Bericht erstatters sein, aber sie zeigen, daß auch außerhalb Deutsch lands nicht daran geglaubt wird, daß durch die Veröffentlichung die deutsch-französischen Beziehungen getrübt werden könnten. Im Londoner „Observer", der stets sehr unterrichtet thut, wird als Neuigkeit die alte Fabel wieder aufzetischt, der deutsche Militairattache in Paris Oberst v. Schwarzkoppen habe nicht mit DreysuS, sondern mit Esterhazy in Ver bindung gestanden. Schwarzkoppen soll darüber in Paris Jedem gegenüber, der eS b»ören wollte, höchst ungenirt ge plaudert und dem italienischen Militairattachö Panizzare, compromittirende Briefe geschrieben haben, die dieser nick t genügend verwahrte. Wir haben auf das Blödsinnige düse. Erfindung, welche die beiden Militairattaches geradezu zu Narren stempelt, schon früher Angewiesen. Kaum haben die Franzosen aus Nimmerwiedersehen Fasckoda verlassen, so schickt sich England an, seinen Lwg im Sudan voll auszunutzen. Hn diesen Tagen trifft Lord Kitchener mit dem Gouverneur Cromer in Chartum zu sammen; alsdann soll sofort daran gegangen werden, auck den letzten Nest der früheren eghptischcn Besitzungen von Leu Derwischen zu säubern. Gleichzeitig ist eine Abthcilung königlicher Ingenieure nach dein Sudan beordert worden, um die Telegraphenlcitungcn südwärts sortzusetzen und ebenw soll der schon in den letzten Jahren sehr geförderte Eisen bahnbau weiter nach dem Süden fortgesetzt werden. Zu der selben Zeit geht man daran, v,»u Uganda auS nordwärts eine Eisenbahn zu erbauen. So tbut England alles Mög liche, seinen Plan einer englisch«» Colonie von Alexandr: r aus bis nach der Capstadt hin zu verwirklichen. Sel-r vernünftig ist die Absicht der' englischen Verwaltung, die im Sudan neu zu errichtenden Beamtenstellen soweit als möglich mit Egyptern zu besetzen. Dadurch wird bei diesen der Eindruck hcrvorgerufen, daß dre Eroberung des Sudan? doch wenigstens nicht gänzlich zu Gunsten Englands voll zogen worden ist. Die Rücksichtnahme Englands auf die Egypter hat aber offenbar auch den Zlweck, die französische u Jntriguen in Egypten auch »ach dieser Richtung hin zu unterbinden. Bisher hatte Frankreich die Sympathien der eingeborenen Bevölkerung für sich. Der Erfolg der Engländer im Sudan bereitete eine Wandlung ver Stimmung vor, nur wenn jetzt entgegen der sonstigen englischen Praxis auf die Egypter Rücksicht geuommcn wird, so kann es nicht fohlen, daß der politischen Eroberung des Nilthales durch England Vie moralische folgt. Die Schilderhebung des „tollen Mullah" scheint sich, nach den neuesten Berichten von *>er,indischen Nord we st grenze, in Wohlgefallen aufzulöscn. Hiernach behalten die Stimmen derer Recht, welche als Nenner von Land und Leuten schon im Vorhinein der ganzen Sache keine ernstere Bo deutung beilegen wollten. Der Herd dor Bewegung war der Bezirk von Kohistan, wo noch bis auf den heutigen Tag keinerlei anerkannte Autorität herrscht, so daß jeder Abenteurer, dem cs nicht an dem nöthigen Selbstvertrauen gebricht, mit Leichtigkcn einen Anhang um sich sammeln kann. Kommt nun noch hinzu daß der britische Vertrauensmann, im vorliegenden Falle der Nawab von Dir, unter der Grenzbevölteruwg unbeliebt, um nicht zu sagen: verhaßt ist, so bedarf es nur eines kleinen, für den aufrührerischen Parteigänger siegreichen Scharmützels, um als bald einige Tausend Wegelagerer auf die Beine zu dringen. So weit verlief das Unternehmen des „tollen Mullah" ganz „pro^ grammmäßig". Nun aber kam ein nicht vorgesehener Querstrich, der darin bestand, daß, als der Haufe des Mullah beim weiteren Herabziehen im Malakand-Thale an die Grenzposten des Nawab von Dir kam, diese weder davon liefen, noch zu den Aufrührern übergingen, sondern Gewehr bei Fuß stehen blieben. Dieser Umstand, verbunden mit der Wahrnehmung, daß einige Bc wcgung in die weiter rückwärts stehenden anglo-indischen Grenz abiheilungen kam, genügte schon, um den Verband in den Scharen des Mullah dermaßen zu lockern, daß eine Masten desertion anhob und der Mullah es für gercrthen hielt, mit dem Reste der ihm treu gebliebenen Mannschaft sich seitwärts in die Fruilletsn. Hellersdorff. Ls Novelle von Hedda von Schmid. Nachdruck verboten. „Arme, arme Irene!" „Und ich dünkte mich so reich, als ich nach langem, schwerem Kranknbett endlich genas und mein Kindchen in meine Arme nehmen durfte; Du weißt, es war ein Knabe. Nach seinem Vater ward er genannt. Mein süßer, kleiner Harry ... ich wollte ihn selber nähren — doch hieß es, Tante Hermine behauptete es — ich sei zu zart, um dem -Stammhalter der Hellersdorffer Rembdens genügend kräftige Nahrung zu geben. Und Tante Hermine wußte unseren Kirchspielsarzt zu ihrer Meinung zu bekehren. Ach, Du kennst sie nicht, Elisabeth! Es ist vielleicht schlecht von mir, daß ich so bitter rede; doch von dieser Sache kann ich nicht ruhig sprechen — wirklich, ich kann's nicht. So mußt« ich auf eine der schönsten Mutterpflichten verzichten; hätte ich's nicht gethan, vielleicht lebte mein Kind noch. Doch Harald stimmte seiner Tante bei, und da fügte ich mich, wie — immer. Eine Amme wurde genommen, ein« derbe Person aus dem Dorfe, die sich bei Tante Hermine einzuschmeicheln verstand. Die Beiden entrissen mir die Wartung meines Sohnes vollständig. Ich durfte den Kleinen weder baden, noch sonst für sein körper liches Wohl sorgen, und als ich einmal aufstützig wurde, da spielte Tante Hermine die Todtgekränkte und verklagte mich bei meinem Manne. Harald bat mich freundlich und rücksichtsvoll, denn daS ist er immer gegen mich — die Tante so zu nehmen, wie sie nun einmal sei, und fchließlich hätte ich doch absolut keine Erfahrung in der Pflege kleiner Kinder, und Tante Hermine habe ihn, Harald, auferzogen und wüßte besser als ich, solch' ein kleines Wesen zu behandeln. Da schwieg ich, Elisabeth, und fügte mich eben." „DaS hätte ich nie gethan", rief das junge Mädchen erregt. „Ja, Du — aber ich zählte damals erst neunzehn Jahre und war von meinem seligen Vater her an unbedingten Gehorsam ge wöhnt. Auch war Harald anscheinend im Recht: was verstand ich von der richtigen Behandlung kleiner Kinder? Doch wußte er nicht, daß in jeder Mutter die natürliche Befähigung lebt, ihr Kind zu hegen und zu pflegen. Wie das kleine Mädchen seine Puppe ins Steckbettchen packt und in den Schlaf wiegt, so er wachen bei einer Frau alle Triebe, für ihr Kind zu sorgen, sobald sie den ersten Schrei desselben vernommen. Mein Knabe war mehr als ein Vierteljahr alt, da wurde er von Krämpfen befallen. Die Amme hatte ungesunde Speisen, solche, welche dem zahnenden Kleänen schädlich waren, genossen. Mein Kind starb — an seinem Todtenbette begrub ich den Traum von Glück, der in mein Leben gelächelt. Ich war so elend und wünschte mir auch den Tod. Ich machte Tante Hermine keine Vorwürfe, sie selber trauerte tief um das Kind, das rechnete ich ihr hoch an in meinem Herzen; aber sie betrauerte in meinem Liebling mehr den künftigen Erben von Hellersdorff, als meinen und Harald's Sohn." „Und Dein Mann?" fragte Elisabeth. „Auch er war tiff ergriffen. Vielleicht hätte damals Vieles eine andere Wendung genommen, wenn mich nicht die Apathie befallen hätte, unter deren Bann ich innerlich zum Theil auch heute noch stehe. Wenn Du wüßtest, Elisabeth, wie gleichgiltig mir das Meiste um mich herum ist. Nur manchmal werde ich angeregt und gewissermaßen aufgerüttelt. So jetzt — durch Dein Hiersein — es thut so wohl, eine Freundin sich nahe zu wissen, Jemanden, mit dem ich mich rückhaltslos aussprechen kann; Du bist ein treuer und kluger Mensch, Elisabeth; ich weiß, Du ver stehst mich richtig. Ich habe ja früher, als Papa noch lebte, nie mals eine Freundin besessen. Als Mademoiselle gestorben, fühlte ich mich ganz einsam, bis nach Papas Tode Tante Hermine und Harald kamen. Ja, zuweilen nur werde ich wieder voller Inter esse für meine Umgebung; so z. B. gestern, als Baron Arend Nydegg, Harald's Freund, so anschaulich und fesselnd von seinen Reisen in Afrika erzählte. Doch was ist Dir, Elisabeth — Du wirst ja ganz blaß . . . ?" „Nichts — nichts — es mag sein, daß ich die Farbe ge wechselt — ich habe wenig geschlafen — im CoupS war es sehr heiß. Aber fahre fort, Irene; also Baron Nydegg ist hier bei Euch — seit wann ist er auS Afrika zurück?" „Seit ganz kurier Zeit. Du kennst den Baron, Elisabeth — mir ist's so, als hattest Du einmal flüchtig seiner als eines Be kannten erwähnt." „Wir verlebten vor Jahren einige Sommerwochen mit einander bei den Strahlenhösffchen Trauns. Onkel Traun war mit Arend Nydegg's Vater eng befreundet gewesen — daher genoß Arend in Strahlenhoff gleichsam Sohnesrechte. Seine Eltern waren früh gestorben und Strahlenhoff wurde ihm eine Heimath." „Ja, er sprach mir davon gestern", sagte Irene; „weißt Du. er ist auch solch' ein Mensch, ähnlich wie Du — dem könnte ich vertrauen, dem gegenüber könnte ich mich aussprechen, wie ich es eben gethan." „Aber warum hast Du mir niemals aufrichtig geschrieben? Deine Briefe, welche all' die Jahre hindurch, seit Deiner Heirath, fast nur zu meinen Geburtstagen eintrafen, waren so knapp gehalten und sagten mir nichts über Dein Gemüthsleben." „Ich bin eine scheue Natur, Viele halten mich für indolent — wenn auch mit Unrecht — doch bin ich zaghaft und mit der Feder vollends ungewandt. Und dann — ein geschriebenes Wort bleibt bestehen — es wiegt ungleich schwerer als ein gesprochenes. Stimmungsbriefe sind mir überhaupt verhaßt. Dann dünkte es mich niedrig, über Tante Hermine gegen Jemanden — und wäre es auch die beste Freundin — Klage zu führen. Harald ist ihr unendlich vielen Dank schuldig, und sic thut so viel hier in Hellersdorff — ich sollte ihr dankbar» sein und sie nicht als dritte Person hinstellen, welche hier vom Uebel sei. Vergiß meine Andeutungen über Tante Hermine, Elisabeth, im Grunde meint sie es gewiß gut mit mir — auch mit meinem Kinde hatte sie, ihrer Ansicht nach, das Beste im Auge — und doch — ich kann es nicht verwinden, daß sie mich um unzählige glückliche Stunden gebracht. Hätte ich meinen Liebling nur pflegen dürfen, wie ich es wollte." „Gott wird Dir Ersatz senden, Irene." „Nein — nein", rief die junge Frau heftig — „ich glaube, ich könnte ein anderes kleines Wesen nicht so lieben, wie ich meinen Harry geliebt. Und dann wäre cs doch wieder die alte Ge schichte — ich würde mir jetzt allerdings meine Mottenechte nicht so leichten Kaufes schmälern lassen, aber das gäbe dann Kampf, Unfrieden im Hause . . ." „Dein Mann würde sich doch auf Deinen nachdrücklich ge äußerten Wunsch hin von der Pantoffelherrschaft seiner Tante befreien können . . . ." „Schwerlich. Sie hat ihn erzogen — und dann — lägen die Verhältnisse hier anders " Es war, als wolle die junge Frau noch etwas hinzufügen — doch sie brach ab mitten im Satz und fuhr darauf nach einem Momente in ihrem müden, resignirten Tone fort: „Siehst Du, jetzt kann ich wenigstens ruhig über mein todtes Kind reden, — damals, gleich nach dem Schrecklichen, fiel es mir schwer, seinen Namen über meine Lippen zu bringen. Diejenigen, welche für den Ausdruck ihres Schmerzes Worte finden, sind glücklicher daran als Solche, welche Alles in sich verarbeiten müssen; zu diesen Letzteren gehöre auch ich. Dort, in jenem Schrank, be wahre ich alle die kleinen Sachen, welche mein Sohn in den paar Monaten seines Daseins auf seinem kleinen Körper getragen. Und in meinen einsamen Stunden — ich habe deren so viele, nehme ich die Jäckchen und Häubchen, die winzigen, weichen Kindcrsöckchen zur Hand und weine mich aus über ihnen. Kein Stück dieser kleinen Ausstattung habe ich bis jetzt verschenkt. Ich beneide jede Frau, welche dergleichen Sachen für ihr Kind an fertigen kann. Und doch begehre ich keinen Ersatz für Das, was ich verloren — nein — nein — aber es macht mir Freude, für fremde Kinder zu arbeiten, und da häkele und stricke ich und v«f schenke meine Arbeiten. Es giebt so viele junge Mütter hier unter den Hellersdorffer Leuten und weiter in der Umgegend, denen ich eine Freude bereiten kann. Was sollte ich anfangen ohne Hand arbeit mit meinen Tagen? Tante Hermine ist unsere leibhaftige Vorsehung, und im Hause geht Alles wie am Schnürchen, wovon Du Dich selbst bald genug überzeugen wirst." „Unbegreiflich", murmelte Elisabeth Traun — dann vernahm Arend, der mit gemischten Gefühlen und voll athemloler Spannung dem Gespräche gelauscht, wie Stühle gerückt wurden — Damenkleider rauschten, die Thür, die zum Boudoir führte, ward geöffnet, und Frau Irene und Elisabeth durchschritten den Salon und traten auf die Veranda, um sich dort am Kaffeetisch nicder- zulassen. Zum Glück stand derselbe so, daß Arend, ohne durch die offen gebliebene Verandathür von den Damen gesehen zu werden, durch einen anderen Ausgang des Salons sein Versteck hinter der japanischen Wand verlassen konnte. Er nahm seinen Weg durch den Corridor, verlieh durch die Hauptthür das Haus und als er, durch den Park kommend, nach eicker Viertelstunde etwa, der Veranda sich näherte, fand er die vier Damen dort vor. Nur Harald fehlte noch. Arend hatte sein Lauscherposten mehr gebracht, als er je sich's hätte träumen lassen. Während er soeben den Park hastig durchschritten, waren Elisabeth Traun's Worte unablässig in seiner Seele nach geklungen: „Nichts und Niemand würde mich daran hindern, meinem Manne immer die Nächste zu sein und zu bleiben; Alles würde ich mit ihm theilen . . . ." Elisabeth war also nicht Das, für was er sie Jahre hindurch gehalten — keine herzlose Kokette mit überlegenem Verstände und verblüffender Schlagfertigkeit. Hatte Arend schon heute früh den Gedanken, abzureisen, sofort bis auf Weiteres aufgegebcn, jetzt war er fest entschlossen, in Hellersdofff zu bleiben" (Fortsetzung folgt?
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