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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.12.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981223013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898122301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898122301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-23
- Monat1898-12
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BezugS-Prei^ Z» Her Hauptexpeditio« oder de« im Stadt« b«zirk und de« Vororte« errichteten AuS« «abrstellen abgeholt: vierteljährlich ^l4.üt), »ei zweimaliger täglicher Zustellung ins Lau» ^l ü^O. Durch die Post bezogen für Deutfchlaud und Oesterreich: vietteliäbrlich 6.—. Direct» tägliche Kreuzbandiendung ins Ausland: monatlich ^ll 7.LO. Wie Morgen-Au-gab« erscheint um '/,? Uhr. dir Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. Nedattion un- Lrve-itio«: IohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ««unterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filiale»: kttn klcmni'S Lor tim. (Alfred Hahn), Universitütsstraße 3 (Paulinuss»), Laut» Lösche. Satbarinenstr. 1». vart. und KöiigSplatz 7« kiS. Morgen-Ausgabe. tizingcr TagäM Anzeiger. Amtsblatt des AönigNchen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Noüzei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Freitag den 23. Dxcember 1898. ArizergenPreiS die 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4g«» spalten) 50^, vor den Familirnnachrichte» (6gespalten) 40/^. Gröbere Schriften laut unserem Preis« vr^eichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz «ach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ^l SO.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhc. Bei de« Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an df« Expeditias zu richten. Druck und Verlag von E. P olz in LeipzkL 92. Jahrgang. Der Abg. Mnnckel als Gesetzgeber. -I-Die „Nat.-Ztz." bespricht in der Nummer 662 anerken nend drei Anträge, die der Abgeordnete Mnnckel im Reichs tage eingebracht hat. Namentlich gefällt ihr der erste, „gegen den Mißbrauch deS Paragraphen vom groben Unfug gerichtete." Hierbei fehlen natürlich nicht die Ausfälle gegen „die Excesse res Scharfsinns" einzelner Juristen. Es ist zuzugeben, daß die Rechtsprechung zeitweise den Unfugs- Paragraphen zu weit auSgelegt bat. Dies ist vom Reichs- gericht selbst anerkannt worden, indem eS durch daS Unheil vom 14. Juni 1898 die bisherige Auffassung eingeschränkt und näher auSgefübrt bat, daß nur solche ungebührlichen Handlungen al« grober Unfug aufznfassen seien, welche eine Beunruhigung und Belästigung des Publikums und zugleich eine Störung oder Gefädrvunz deS äußeren Bestandes der öffentlichen Ordnung zur unmittelbaren Folge hätten. Ob nach dieser Entscheidung noch ein ausreichender Anlaß für ein Einschreiten der Gesetzgebung gegeben ist, kann wohl bezweifelt werden. Jedenfalls zeigt die Formulirung deS neuen Paragraphen durch den Antragsteller Munckel, daß das Kritisiren leichter ist, als selbst etwas Besseres zu machen. Dem Borwurfe, daß er zu den einzelnen Juristen geböre, die „Excesse deS Scharfsinns" begeben, hat Herr Munckel sich allerdings durch seinen Antrag nicht ausgesetzt. Er schlägt vor, den neuen Paragraphen so zu fassen: „Wer durch Erregung von Lärm oder ähnliche in die Sinne fallende Handlungen die öffentliche Ruhe ungebührlicherweise stört." Also nur die „Störung der öffentlichen Ruhe" soll noch strafbar sein. Wie der Minister v. d. Schulenburg nach der Scblacbt bei Jena in Berlin anschlagen ließ: „Rübe ist die erste Bürgerpflicht", so huldigt heute auch der freisinnige Gesetzgeber rem Satze: Ruhe ist das erste Bürgerrecht und die erste Bürgerpflicht! Nur keine Ruhestörung! ,^Ruhe, Ruhe iS mich nöthig, Ruhe is mein Leben." Sonderbar freilich muthet es an, gerade einen Berliner so sprechen zu hören. Giebt es denn in der modernen Groß stadt ^überhaupt „die öffentliche Ruhe"? Hier, wo in den Straßen ein unausgesetzter betäubender Lärm, zu sammengesetzt auS Rufen, Läuten, Pfeifen, Quietschen, Raffeln, Peitschenknallen und Clavierpauken das Ohr bestürmt? Dennoch soll nur „die öffentliche Ruhe" (die eigentlich gar nicht existirl) gegen ungebührliche Störung geschützt werden. Wodurch wird nun aber nach Munckel „die öffentliche Ruhe" gestört? Antwort: Durch „Erregung von Lärm" oder „ähnliche in die Sinne fallende Handlungen". „Erregung von Lärm" anstatt einfach „Lärm" ist eine Finesse; Muuckel will damit andeuten, daß der Tbäter nicht selbst zu lärmen braucht. Kneift oder schlägt er einen Andern, so daß dieser laut schreit, oder prügelt er seinen Hund, so daß dieser heult, so erregt er Lärm, ohne selbst zu lärmen. Schwieriger ist schon der Ausdruck: „in die Sinne fallend". Eine Störung der Ruhe kann doch — sollte man meinen — nur durch daS Ohr wahrgenommen werden, Nase und Auge sind für Störungen der Ruhe nicht empfänglich. Aber strafbar soll nach Munck.k sein nickt bloS Ruhestörung durch Lärm, sondern auch durch „dem Lärm äbuliche Handlungen". Welche» sind nun Handlungen, die die Rübe stören, jedoch kein Lärm, diesem aber ähnlich sind? Es klingt falt wie ein Räthsel; man möchte eS an daS „Daheim" einsenden (müßte man nur nicht auch die Lösung beifügen). Zuerst kommt man beim Rathen auf ungebührliches Musikmacken. Manche Musikstücke sind ja derartig, daß ihnen eine Aehnlich- keit mit Lärm nicht abzusprechen ist. Man kann es vielleicht als ungebührliches Lärmmacken im weiteren Sinne bezeicknen, wenn Jemand die halbe Nacht bei offenen Fenstern Elavier- quälerei treibt oder ein Tbema mit Variationen für Posaune (z. B. über: „Es ist im Leben bäßlich eingerichtet") »inübt. Ob dies der Absicht Munckel's entspricht? Wenn aber nicht oder doch nicht bloS dies, was versteht er dann unter Ruhe störung durch Handlungen, die dem Lärm ähnlich sind? Darüber kann man nur Vermutbungen anstellen, und cs wird gerade durch eine solche unklare, unbestimmte Fassung, wie bei allen derartigen „Generalklauseln", den Interpretations künsten, den „Excessen des Scharfsinns" Thür und Thor ge öffnet. Möge sich der Gesetzgeber klar aussprechen, was er bestraft wissen will, dann bedarf eS nickt solcher Künste. Aber die beliebte Manier ist heutzutage, unbestimmte dehnbare, un klare Wendungen zu mähte» und dem Strafrichter zu über lasten, welchen Sin» er nicht herauSfinden, soudern hinrinlegen will. Sollen nach Munckel'S Antrag dem Lärm ähnliche, in die Sinne fallende Handlungen Voraussetzung der Straf androhung sein, so muß demgegenüber doch daran festgehalten werden, daß nicht die bloße sinnfällige Wirkung der Handlung ausschließlich und allein für die Strafbarkeit maß. gebend sein darf. Niemand bezweifelt, daß eS grober Unfug ist, wenn muthwillige Buben mit lauter Stimme auf der Straße oder im Theater rc. falschen Feuerlärm machen; aber die bloße Störung der Ruhe durch das Rufen macht eS nicht. Hätten die Burschen anstatt: „Feuer, Feuer" „EiS, EiS" oder „Kirschen, Kirschen" gerufen, so wäre die Wirkung auf daS Ohr und „die öffentliche Ruhe" dieselbe gewesen, aber dann gefährdeten die Rufe nicht „den äußern Bestand der öffentlichen Ordnung". Diese Wirkung tritt bei dem „Feuer"-Rufen erst durch den Sinn de» Wortes, die dadurch hervorgerufenen Vorstellungen und deren mögliche Folge, bestehend in panischem Schrecken, in Verwirrung, Durcheinandertaufen, Drängen u. s. w., rin. Kann eS nun aber einen Unterschied begründen, ob die Worte, welche augenblicklich panischen Sckrecken, Muth, Straßenauflauf, Thätlich- leiten rc. herbeizuführen geeignet sind, durch Rufen oder durch Placate, Extrablätter, gedruckte Zettel, ZeitungSblätter kundgemacht werben? Ist dies aber der Fall, so vertagt daS Gesetz in Munckel's Fassung; denn die Vertbeilung gedruckter Zettel stört „die öffentliche Ruhe" nicht in sinnfälliger Weise und ist auch keine dem „Lärm" ähnliche Handlung. Soll sie dies aber nach Munckel's Meinung sein, so kommt ja sein Gesetzentwurf auf dasselbe hinaus, wie die jetzt in Kraft stehende Bestimmung. Ganz unumgänglich erscheint r», neben der „öffentlichen Ruhe" auch die öffentlicheOr dnung und den öffentlichen An- stand durch das Gesetz zu schützen. Wenn freche Burschen durch schamlose, unanständige (wenn auch nicht gerade unzüchtige) Handlungen, Gesänge oder Aeußerungen auf der Straße oder an öffentlichen Orten daS anständige Publicum belästigen und dadurch die öffentliche Ordnung stören, so ist das mindestens ebenso strafwürdig, wie eine Störung der „öffentlichen Ruhe" durch lautes Schreien, Heulen und sonstige „dem Lärm ähnliche" Handlungen. Die von Munckel vorgcschlagene Fassung des Gesetzes ist also ungeeignet und noch unklarer als das jetzige Gesetz, welches einfach besagt: „Wer ungebührlicherweise ruhestörenden Lärm erregt oder wer groben Unfug verübt." Der „Polnische Induftrieverein" in Leipzig. -u-Das herausfordernde Auftreten der Polen in der Ver sammlung des Vertins zur Förderung deS DeutschthumS und die Begründung eines polnisches Blattes haben gezeigt, daß die Polen bereits auch in Leipzig über eine feste Organi sation verfügen. Wenn die Polen in größerer oder geringerer Anzahl irgendwo vertreten sind, so schreiten sie sofort zur Begründung eines Vereins, dem sie nach außen bin, um die Aufmerksamkeit der Behörden und der „dummen" Deutschen zu täuschen, einen möglichst harmlosen Namen geben, der in Wahr heit aber nichts Anderes ist, als ein Mittel zur Wachhaltung und Belebung großpvlnischerGesinnung. In ihm wird dieErinnerung an die angebliche Herrlichkeit deS alten polnischen Reiches gepflegt, dort wirb mit der polnischen Sprache dem Manne polnisch-„nationale" Gesinnung ringeimpft, dort wird der Haß gegen das Deutschthum durch gewissenlose Agitatoren genährt, in ihm werden die Mitglieder zur Abschließung gegen die deutsche Umgebung dressirt, kurz, alle diese polnischen Vereine, mögen sie einen Namen tragen, welchen sie wollen, sind nickts als ein Herd großpolniscker Agitation. Auch Leipzig ist mit einem solchen polnischen Verein beglückt worden, der den Namen „Polnischer Jndustrieverein" trägt, als ob eS in Leipzig gelte, die Interessen einer besonderen polnischen In dustrie wahrzunebmen! Die Art der Tbätigkeit dieses Jndustrievereins, von der die polnischen Blätter zu berichten wissen, ist ungemein lehrreich. Auch hier dieselbe Rührigkeit, derselbe Eiser, den die Polen in nationalen Dingen stets entwickeln. Im ver flossenen Quartal hat der polnische Club nicht weniger als 11 ordentliche, eine Generalversammlung unk eine Vorstands sitzung abgehalten. Zur „Belehrung" der Mitglieder wurden bei den Zusammenkünften Artikel verschiedenen Inhalt» aus Zeitungen und Büchern vorgelesen. Welcher Art diese „Belehrungen" waren, zeigt daS Thema eines Vortrages, den ein Herr Bienkowski hielt; eS lautete: „Folgen der Theilnug Polens durch BoleSlauS Schiefmaul". WaS diese Frage mit der Industrie zu thun bat, ist schlechterdings unerfindlich. Außer den Generalversammlungen wurden noch alleDienStage im Restaurant „Bayerische Krone", Jacobstraße 1, Sitzungen abgehalten. Außerdem fanden jeden Sonntag und Feiertag noch besondere Zusammenkünfte statt, bei denen die Herren Polen sich unter Anderem durch nationale Gesänge die Zeit aufs Angenehmste vertrieben haben. Leider wird nicht getagt, welche Gesänge da gesungen wurden, aber daß die polnischen Revolutionslieder „Lors oos kolskv" und „2 ckz mem porarorv'- (Mit dem Rauch der Feuersbrünste) häufiger auf dem Pro gramm erschienen sein werden, ist nach den anderwärts ge machten Erfahrungen mit Sicherheit anzunchmen. Diese nationalen Genüsse haben die Mitglieder ihrem rührigen Ver- einsvorslande zu verdanken, der sich auS folgenden Personen zu sammensetzt: Vorsitzender ist Karl Donat, ein Name, der be kanntlich auch in Deutschland bei Deutschen vorkommt; auch der Schriftführer ist nicht ganz zweifelsohne, er führt näm lich den „urpolnischen" Namen Lukwik Hajdrych, der aus einem braven deutschen Heyderich Körner'schen Angedenkens (Joseph Heyderich oder deutsche Treue) hervorgegangen sein wird. Der Cassirer Johann Glebka scheint dagegen echt, während man bei dem Bibliothekar Michael Aniola immerhin den Verdacht schöpfen kann, daß seine Vorfahren als reine „Enget" (Poln. uniol-----Engel) durch dieses Jammerthal ge wandert sind. Die zielbewußte Arbeit des PolenthumS spürt man auch an den zahlreichen Bibliotheken, die der polnische Volks bibliothekenverein in Posen überall begründet, wo ein Häus lein Polen sich zusammenfindet. Dank der großen Opfer willigkeit der Polen ist dieser Verein bis jetzt im Stanke gewesen, allein 195 000 „et! für polnische Volksbüchereien auSzugeben. Wie bescheiden und beschämend für unS Deutsche Feuilleton. Luöwig Heinrich Christoph Holly. 8» tze« Dichters 150. Geburtstage. Bon Paul Pasig. Nachdruck verboten. MerwarHölty? Mit dieser zweifelnden Frage nimmt vielleicht der eine oder der andere Leser diese Blätter zur Hand, ohne sich zu vergegenwärtigen, daß dieser im jugendlichen Älter von erst 28 Jayren verstorbene Dichter zweifellos das begabteste Mitglied der hervorragendsten Dichtervereinigung des vorigen Jahrhunderts, des sog. „Göttinger Hainbundes" war und daß einige seiner Lieder noch heute in Aller Munde, also im besten Sinne Volkslieder sind. Oder wer kennte nicht den Ruf des alten Landmannes an seinen Sohn: „Heb' immer Treu und Redlichkeit", wer nicht die Lebenspflichten: „Rosen auf den Weg gestreut und des Harms vergessen", wer nicht das Mailied: „Der Schnee zerrinnt, der Mai beginnt", wer auch nicht die er greifend trostvolle „Elegie bei dem Grabe meines Vaters": „Selig Alle, die im Herrn entschliefen" ? Angesichts solcher Dichtungen, die unstreitig zu den Perlen unserer Literatur zählen, ist e» tief beklagenswerth, daß dem begabten Dichter keine längere Schaffensfrist im Dienste der Musen beschieden war. Schon in frühester Kindheit drohte ihm das dunkle Verhängniß. Geboren am 21. December 1748 in Mariensee (Hannover), wo sein Vater Prediger war, verlor er, kaum neun Jahre alt, die geliebte Mutter, und in derselben Woche, in der dies Unglück ihn betraf, wurde er von bösartigen Blattern heimgesucht, die in seinem lieb lichen KindeSantlitz entsetzliche Verwüstungen anrichteten und ihn sogar eine Zeit lang mit dem Verluste deS Augenlichts be drohten. Zwei Jahre lang war er wie erblindet, was seelisch um so niederdrückender auf den Knaben wirkte, als er dadurch verhindert wurde, seine Wißbegierdr zu befriedigen und seinem Geiste neue Nahrung zuzuführen. Kaum war er aber genesen, als er unter Leitung deS Vater- das Verabsäumte mit um so größerem Eifer nachzuholen suchte. Dabei war mit dem früher so lebhaften und aufgeweckten Knaben eine auffällige innere Veränderung vorgegangen. Er war still und in sich gekehrt, gleich al» lebe und verkehre er mehr in der Innenwelt, und die Außenwelt zeigt« sich ihm nur von ihrer ernsten, trüben Seite. So oft er eS ermöglichen konnte, flüchtete der Knabe in die Einsamkeit, wo er sich mit Lesen beschäftigte und zugleich bestrebt war, durch Aufzeichnungen, Notizen, ja, eigene Gedichte sich an selbstständige» Arbeiten zu gewöhnen. Hierdurch drohte seinem schon geschwächten Körper erneute Gefahr, und die sorgenden Angehörigen waren um so ängstlicher darauf bedacht, die Lesewuth de» Knaben möglichst zu beschränken. Allein dieser wußte sich zu helfen. Da ihm für die Abendstunden nur eben da» unbedingt nöthige Licht gegeben wurde, verschaffte er sich am Lage etwa» Oel und füllte e» in eine autgehöhlte Rübe, die er dann al» Nachtlamp« benutzte. Um aber de» Morgen» möglichst frühzeitig zu erwachen, legte er einen Stein auf den Stuhl vor seinem Bette und verband ihn mittel» eine» Bind faden» mit seinem Arme. Sobald er beim Umwenden letzteren bewegte, fiel der schwere Stein herab und weckte ihn durch einen etwa» unsanften Ruck au» dem Schlummer. So rang er ge waltsam dem Schlafe einige Stunden ab und gönnt« sich kaum zum Essen und Trinken die nöthige Zeit, so daß Kästner in einem den Dichter ehrenden Epigramm sagen tonnte: „Mehr, als ein Dichter lesen soll, las Hölty." Freilich erreichte dieser dadurch, daß er bereits mit sechzehn Jahren für die Universität reif war. Der verständige Vater sah aber mit Recht in dieser Treibhausbildung eine ernste Gefahr für des Sohnes Gesundheit und trug dafür Sorge, daß derselbe noch einige Zeit auf dem Lyceum zu Eelle sich klassischen Studien widmete. Erst »m Jahre 1769, also im Alter von 19 Jahren, bezog Hölty die heimathliche Universität Göttingen, um Theologie zu studiren. Es wird erzählt, daß der verschlossene, unbehilfliche, meist gebückt einhergehende Jüngling mit dem verdüsterten, ja, fast einfältigen Antlitz all gemein unter der studirenden Jugend auffiel. Wer ihm aber näher trat, der merkte bald, daß die rauhe unscheinbare Außen hülle einen goldenen Kern barg: das war jene echt deutsche Gemüthstirfe, gepaart mit warmer Religiosität und innigem Naturempfinden. Daher fühlten sich gleichgestimmte Jünglinge, deren damals in Göttingens Mauern eine größere Anzahl weilten, bald zu dem dichlenden Sonderling hingezogen, darunter vor Allem G. A. Bürger und Martin Müller, Verfasser des Liedes: „Was frag' ich viel nach Geld und Gut?" Und in der Dichtkunst fühlten sich Alle eins, die sich hier zusammen fanden und zu denen sich später noch Voß, Boie, Hahn u. A. gesellten. Höchst interessant ist die Schilderung, die V o ß in einem Briefe an Prediger Brückner von der Ent stehung dieses sogenannten „Göttinger Hainbundes" giebt. Es heißt da u. A.: „Ach, den 12. September — 1772 —, mein liebster Freund, hätten Sie hier sein sollen! Die beiden Millers, Hahn, Hölty, Wehrs und ich gingen noch Abends nach einem entlegenen Dorfe. Der Abend war außerordentlich heiter und der Mond voll. Wir überließen uns ganz den Empfindungen der schönen Natur. Wir aßen in einer Bauernhütte eine Milch und begaben uns dann ins freie Feld. Hier fanden wir einen kleinen Eichengrund, und sogleich fiel uns Allen ein, den Bund der Freundschaft unter diesen heiligen Bäumen zu schwören. Wir umkränzten die Hüte mit Eichenlaub, legten sie unter den Baum, faßten un» alle bei den Händen und tanzten so um den eingeschlossenen Stamm herum, — riefen den Mond und die Sterne zu Zeugen unseres Bundes an und versprachen uns eine ewige Freundschaft. Dann verbündeten wir uns, die größte Aufrichtigkeit in unseren Urtheilen gegen einander zu beobachten und zu diesem Endzwecke die schon gewöhnliche Versammlung noch genauer und feierlicher zu halten. Ich ward durchs Loos zum Aeltesten gewählt. Jeder soll Gedichte auf diesen Abend machen und ihn jährlich begehen." Das war die Gründung des sogenannten „Hainbundes", eine Bezeichnung übrigens, die keine»- wegs vom Bunde selbst herrührt. Die Mitglieder desselben, meist studirende Jünglinge, verpflichteten sich, allezeit Tugend, Vaterland und Freundschaft hoch zu halten und waren, dem Zuge der Zeit entsprechend, von sentimentaler Naturschwärmerei nicht frrizusprechen. Wie olle Begeisterung Klopstock, dem edeln Messiassänger und vorbildlichen Barden, galt, so der ganze Haß der Jünglinge dem „großen Sittenverderber" Wieland. Zum äußeren Zeichen, daß Deutschland ihr ganze» Streben durchdringen solle, legten sich die Jünglinge alt germanische Namen bei: so war „Haining" der Bundesname I unseres Hölty, andere Namen waren Teuthard, Minnehold, I Bardenhold, Gottschalk, Raimund u. A. m. Die Stimmung. I welch« den Bund wenigsten« in seiner Jugendzeit beseelt«, wird durch nichts besser charakterifirt, als durch die alkäische Ode, die Hölty (Haining) selbst den Freunden widmete: Dem Kutzgelispel ähnlich, wenn Freunve sich Umarmen, rausche, Harfe! Du, Lindenbaum, G«uß Vein Geflüster in die Saiten Haining's! Er glühet im Wonnetaumel, u. s. w. Ueber die reinen Ziele des Dichterbundes äußert sich der überschwengliche Barde in folgenden Versen: Kein blaues Auge weine die Blumen naß, Die meinen Totrnhügel beduften, fall» Ich Lieder töne, welche Deutschland Schänden und Laster und Wollust hauchen! Ter Enkel stampfe zornig auf meine Gruft, Wenn meine Lieder Gift in bas reine Herz Des Mädchens träufeln, und verfluche Meine zerstäubende, kalte Asch«! Bis zu welch geradezu maßlos lächerlicher Schwärmerei sich die an sich ja gewiß edle Begeisterung der ideal veranlagten Poesiefreunde verlieren konnte, beweist u. A. die Feier von Klopstock's Geburtstag am 2. Juli 1773. Man kam Nachmittags auf Hahn'S Stube zusammen. „Eine lange Tafel", schrieb Voß, „war gedeckt und mit Blumen geschmückt. Oben stand ein Lehnstuhl ledig für Klopstock, mit Rosen und Levkoyen bestreut und auf ihm Klopstock's sciinmtliche Werke. Unter dem Stuhle lag Wieland'» „Jdris" zerrissen. Jetzt las Cramer au» den Triumphgrsängen und Hahn etliche auf Deutschland sich beziehende Oden von Klopstock vor. Und darauf tranken wir Kaffee; die Fidibus waren aus Wielands Schriften gemacht. Boie, der nicht raucht, mußte doch auch einen anzünden und auf den zerrissenen „Jdris" stampfen. Hernach tranken wir in Rheinwein Klopstock's Gesundheit, Luther'S Andenken, Hermann'» Andenken, deS Bundes Ge sundheit, dann Eberl's, Goethens, Herder'» u. s. w. Klopstock's Ode „Der Rheinwein" ward vorgelesen und noch einige andere. Nun war das Gespräch warm. Wir sprachen von Freiheit, die Hüte auf dem Kopfe, von Deutschland, von Tugendgesang, und Du kannst denken, wie. Dann aßen wir, punschten und zuletzt verbrannten wir Wieland's „Jdris" und Bildniß. K l o p st o ck. er mag'» gehört oder vermuthet haben, hat geschrieben, wir sollten ihm eine Beschreibung deS Tages schicken." . . . Leider konnte Hölty dem Bunde, dem er mit Leib und Seele zugethan war, sich nicht in dem Maße, wie er Wohl selbst wünschte, widmen. Ein Brustleiden, dessen Keim schon seit der Kindheit in ihm ruhte, fing an, sich in besorgnißerregender Weise zu entwickeln, und der Dichter war so glücklich, sich Uber den Ernst desselben nicht zu täuschen. Daher die bangen Todes ahnungen, die seine Dichtungen durchzittern und die zuweilen an leise Todessehnsucht gemahnen. Zwar versuchte Hölty namentlich vom Jahre 1774 ab seine Zukunft materiell sicher zu stellen: sein Plan war, sich ausschließlich literarisch zu be- thätigen und sich durch Uebersetzungen, namentlich aus dem Englischen, den Lebensunterhalt zu erwerben. Eine Reise nach Leipzig zum Buchhändler Weygand galt diesem Zwecke. Nach der Rückkehr zeigte es sich, daß des Dichter» Leiden Schwindsucht war und seine Tage gezählt seien. Als vollends im Februar 1775 ihm der geliebte Vater durch den Tod entrissen wurde, verdüsterten sich seine Tage mehr und mehr. Denn nun hörten die ihm von dieser Seite gewährten Zuschüsse auf. Gleichwohl hatte er dir Freude, in zarter Aufmerksamkeit seitens meist un gekannter Verehrer für sich gesorgt zu sehen. So fand er auf seiner letzten Reise, die ihn nach Hamburg zu den Freunden führte und in trautem Verkehr mit Klopstock, Voß und Claudius noch einmal frohe Lebenshoffnung in seinem treuen Herzen aufleuchten ließ, überall, auf der Post und in Gasthäusern, gastfreie Aufnahme. Nach Hannover zurück gekehrt, fühlte sich Hölty wesentlich schwächer. „Ich bin sehr krank", äußerte er am 1. September 1776 zu seiner Haus wirthin, „schicken Sie zum Doctor Zimmermann. Ich glaube ich sterbe noch heute." Und in der That, des Dichters Ahnung war richtig gewesen. Der Arzt fand seinen Zustand hoffnungs los, und noch an demselben Tage entschlummerte der edle Sänger hinüber ins Reich der ewigen Harmonien. An der Nordseite der alten Capelle auf dem Nicolaikirchhof zu Hannover befindet sich sein mit einem würdigen Denkstein geschmücktes Grab. Hölty wollte nach seinem eigenen wiederholten Zeugnisse nichts als idyllisch-lyrischer Dichter sein. „Den größien Hang", schrieb er einmal in einem Briefe, „habe ich zur ländlichen Poesie und zur süßen melancholischen Schwärmerei in Gedichten; an diesen nimmt mein Herz den meisten Antheil." Dabei schwebten ihm die höchsten Ziele vor, und er erklärte einmal, „er wolle kein Dichter sein, wenn er kein großer Dichter werden könne". „Wenn ich nichts hervorbringen kann", fügte er bei, „was die Unsterblichkeit an der Stirn trägt, was mit den Werken meiner Freunde in gleichem Paare geht, so soll keine Silbe von mir gedruckt werden. Ein mittelmäßiger Dichter ist ein Unding." Das Vorgefühl, als Unsterblicher in der Nachwelt fortzuleben, bereitete ihm eine hohe Genugthuung und bannte manchen trüben Schatten. „Welch ein süßer Gedanke", rief er einmal aus, „ist die Unsterblichkeit! Wer duldete nicht mit Freuden alle Müh seligkeiten des Lebens, wenn sie der Lohn ist! Es ist eine Ent zückung, welcher nichts gleicht, auf eine Reihe künftiger Menschen hinauszublicken, welche uns lieben, sich in unsere Tage zurück wünschen, von uns zur Tugend entflammt werden!" In der That müssen wir bekennen, daß eine ganze Anzahl kleiner lyrischer Ergüsse, die sich durch melodischen Fluß und seltene Klarheit der Gedanken empfehlen, für die Unsterblichkeit ge schaffen erscheinen (vergl. den Eingang des Artikels). Daß freilich zuweilen eine fast krankhaft zu nennende Sentimentalität den reinen Genuß seiner Gedichte beeinträchtigt, kommt einer seit» auf Rechnung der Zeit, denn diese gefühlsweiche Natur schwärmerei war eine „Zeitkrankheit", andererseits seiner un günstigen persönlichen Verhältnisse, die so recht zur Melancholie geschaffen waren. Uebrigens übersetzte Hölty auch aus dem Englischen H. Hurd's moralische und politische Dialoge (Lpz. 1775, 2 Bde.) und des Grafen v. Shaftesbury philosophische Werke (ebendas. 1776), Arbeiten, die eben dem leidigen Gelderwerb ihre Entstehung verdanken. Gesund an Leib und Seele und von einem gütigen Geschick zu einer höheren Altersgrenze geleitet, hätte Hölty, dem die Musen ihre der lockendsten Gaben in die Wiege gelegt, unzweifelhaft zu jenen begnadeten Poeten gehören können, die als Sterne erster Größe an unserem Dichterhimmel glänzen. Denn auch seine Harfe tönte „von Lenz und Liebe, von seliger, goldener Zeit", '„von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt" und allem „Hohen was Mcnsckenherz erhebt". An der Gruft aber des früh geschiedenen Sängers bleibt uns nur das wehmüthige Bekenntniß de» Sängers von „Danton's Tod", G. Büchner: -Ein unvollendet L-ied, sank er in'» Grab, Ter Verse schönsten nahm er mit hinab.»
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