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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.12.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981223024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898122302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898122302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-23
- Monat1898-12
- Jahr1898
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Volksztg." glaubt rin Mittel zur Abstellung in einer Verschiebung in der Lage der Sessionen zu sehen. ES mag sein, daß eine solche Verschiebung wünsckenSwerth wäre und daß sie sich auch ermöglichen ließe, dann aber dürfte es nicht, wie es von Seiten der „Kölnischen Volkszeitung" geschieht, in 8U8pev8l) gelassen werden, welche von beiden Körper schaften bei der Auswahl der günstigsten Sessionszeit zu bevorzugen wäre. Kein Geringerer als Fürst Bismarck hat sich mit aller Schärfe dafür ausgesprochen, daß bei der Auswahl der Zeit der Reichstag bevorAigt werden müßte. In einer Rede vom 16. Juni 1873 sagte er: „ES leidet die nationale reichsmäßige Entwickelung, wenn die einzelnen Länder und Landtage sich nicht an den Gedanken ge wöhnen, daß das Reich kein Anbau an das Gebäude der Einzel staaten ist, sondern daß es die umfassende Wölbung ist, unter der die einzelnen Staaten in ihrer Gesammthcit wohnen und die zu pflegen die Aufgabe Aller ist. Meines Erachtens hat das Reich das Recht, sich diejenige Zeit zu wählen, die überhaupt für parlamentarische Versammlungen in großen Städten die geeignetste ist; das ist „der Winter". — Fürst Bismarck sprach dann weiter darüber, daß Reichstag und Bundesrath sich über die geeignetste Zeit einigen sollten. Sobald das geschehen sei, werde keine Rücksicht auf irgend eine partikulare Versassungsbestimmung ihn abhalten, dem Kaiser zu rathen, zu der Zeit, über die Reichstag und Bundesrath einig seien, den Reichstag zu berufen. „Mögen die Partikular verfassungen in der Richtung geändert werden, wenn es nötbig ist! Das ist eine Anfsorderung, die näher liegt, als daß die Institutionen des Reiches sich beugen sollen unter die Be dürfnisse der einzelnen Staaten." Fürst Bismarck legte auch dar, warum der Reichstag nicht zu einer früheren Frist berufen werden könne. Es sei nicht möglich, den Etat festzustellen, bevor man Einsicht in die Abschlüsse des Vorjahres erhalten habe; über die Resultate deS Vorjahres aber könne man nicht vor drei Monaten nach Abschluß des EtatSjahreS ein einigermaßen sicheres Urtbeil gewinnen. Wollte man also durch eine Verschiebung der Sessionen das Zusammenragen von Reichstag und preußischem Landtage verhindern, so müßte nach dem Bismarck'schen Vorschläge die particnlaristische Institution geändert werden, d. h. das preußische EtatSjahr müßte einen anderen Anfangstermin erhalten, etwa wie in Frankreich, wo das Etalsjahr mit dem 1. Januar beginnt. Dann wäre e» möglich, daß der preußische Landtag vor der Einberufung deS Reichstags den Haupttheil seines ArbeitSmaterialS erledigte. Ob man zu dieser, zugleich eine Verfassungsänderung bedingenden Abänderung geneigt wäre, ist sehr die Frage. So lange diese Abänderung aber nicht vorgenommen wird, ist das monate lange Zusammentagen beider Parlamente unvermeidlich und eS ist eine ganz schiefe Unterstellung, wenn die „Köln. VolkSzta." annimmt, die preußische Regierung wolle den Ruf nach ReickstagSdiäten dadurch abschwächen, daß sie den preußischen Landtag möglichst lange neben dem Reichstage sitzen lasse und dadurch wenigstens die zahlreichen Abgeordneten mit Doppelmandaten einigermaßen zufrieden stelle. Die preußische Regierung bat doch wahrlich nichts dazu gethan, daß zahlreiche Abgeordnete ein Doppelmandat besitzen, sondern die einzelnen Parteien haben es sür an gemessen erachtet, eine erhebliche Zahl von Männern, die eben erst in den Reichstag gewählt worden waren, auch bei den Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhause wieder auf zustellen. Wie auS Schleswig mitgetheilt wird, beabsichtigt der Abg. Haussen unmittelbar nach dem Zusammentritte deS preußischen Landtags im Abgeordnetenhause mit Hilfe der Freisinnigen und deS CentruinS eine Interpellation über die Ausweisungen ans RordschleSwig einzubringen. Abg. Hanffen ist Herausgeber der dänischen Zeitung „Heimdal" und auch sonst einer der rührigsten Führer der dänischen Agitation; er wird also bei der Begründung seiner Interpellation kein Blatt vor den Mund nehmen. Sollte er sich aber bei seiner Kritik der Ausweisungen den Herausgeber der „Preußischen Jahrbücher', Herrn Professor Ür. HanS Delbrück, zum Vorbilde dienen lassen, so würde er sicherlich einem Ordnungsrufe ebensowenig entgehen, wie der Abg. v. Vollmar kürzlich im Reichstage diesem Schicksal entgangen ist. Für den preußischen Cnltusminister vr. Bosse, der, wie man beute auS der „Nordd. Allgem. Ztg." ersieht, die Einleitung des DiSciplinarverfabrenö gegen Delbrück verfügt und in der letzten Sitzung des preußischen Staats ministeriums seinen College» lediglich Mittheilung von diesem Schritte gemacht bat, wäre ein Herrn Hanffen wegen un gebührlicher Auslassungen ertheilter Ordnungsruf recht an genehm, denn Herr vr. Bosse würde sich dann, wenn im Laufe der DiScussion auch der Fall Delbrück zur Sprache gebracht würde, darauf berufen können, daß die Präsidenten de» Reichstags und deS Abgeordnetenhauses ein drastisches Urtheil über die Ausdrucksweise Delbrücks ab gegeben hätten. Auch das könnte ihm nur lieb sein, wenn von freisinniger Seite behauptet werden sollte, er müßte, wenn er konsequent sein wollte, auch gegen den Berliner Professor vr. Kaftan ein DiSciplinarverfahren einleiten, weil auch dieser Universitätslehrer in den „Preuß. Iahrb." die I Ausweisungsmaßregeln in Nordschleswig einer abfälligen I Kritik unterzogen hat. Denn eine solche Behauptung würde I Herrn vr. Boffe Gelegenheit geben, die Auslassungen der beiden Professoren mit einander zu vergleichen und an denen Kaftan's den Nachweis zu führen, daß man sehr wohl eine Regierungs maßregel kritistren und tadeln kann, ohne sich zu beleidigenden und beschimpfenden Ausfällen hinreisi^' zu lassen. Immerhin wird es Herrn vr. Boffe sehr schwer »Verden, seine Behand lung des Falles Delbrück zu rechtfertigen und besonders die Frage zu beantworten, warum er es verabsäumt hat, die Minister der Justiz und des Innern zu veranlassen, durch Einleitung eines strafrechtlichen Verfahrens gegen den Herausgeber der „Preußischen Jahrbücher" eine unan fechtbare Grundlage für ein DiSciplinarverfahren gegen den Professor Delbrück zu schaffen. Auch darüber wird man jedenfalls Aufklärung verlangen, warum so häufig Landräthe trotz ihres schroffen Verhaltens gegen die Regierungspolitik unbehelligt bleiben und wie sich diese Toleranz mit Z>em gegen Professor Delbrück beobachteten Verfahren vereinbaren lasse. DaS ist um so mehr zu be dauern, je mehr es die an sich so klare und für die Regie rung so günstig liegende Ausweisungsfrage verwirrt. Muß doch selbst Prosessor Kaftan, obwohl er die Art der Aus weisungen mißbilligt, in seinen an Delbrück gerichteten Aus führungen eingestehen: „Die augenblicklichen Ausweisungen dänischer Unterthanen aus Nordschleswig kann ich nicht so durchaus verdammen, wie Sie es thun. Bei dieser Maßregel scheint eS sich mir um eine Frage der politischen Zweckmäßigkeit zu handeln. Der Erfolg wird sie entweder rechtfertigen oder als Fehler erweisen. Daß damit mög licher Weise dem Unfug der dänischen Agitationen etwas Einhalt gethan werden kann, möchte ich nicht von vornherein verneinen. Uns die Dinge liegen so, daß man wobt verstehen kann, wenn zu außerordentlichen Maßregeln gegriffen wird. Die dänische Presse Nord-Schleswigs ist bodenlos frech. Sie nimmt sich Tag für Tag heraus, den bestehenden Rechtszustand zu ignoriren, Schleswig alS einen Theil von Dänemark und das Preußrnthum als widerrechtliche Invasion zu behandeln — versteht sich, möglichst so, daß sie mit dem Preßgesetz nicht in Collision kommt! Da schadet es nicht, wenn die Be- theiligten einmal zu spüren bekommen, daß der Faden der Geduld auch reißen kann. Und nicht anders Dänemark gegenüber! Die Herren Dänen erlauben sich in naiver Sorglosigkeit einfach Alles, um ihrerseits die politische Agitation in Nordschleswig zu schüren. Es geschieht ihnen Recht, wenn ihnen einmal deutlich gemacht wird, daß es noch Mittel und Wege giebt, ihnen an den Kragen zu kommen." Wie leicht würde sich solchem Eingestästdniß gegenüber — von anderen ganz zu schweigen — die Interpellation über die Ausweisungen abthun lassen, wenn die Delbrück-Affaire dem Strafrichter überlassen geblieben Wäre und somit auS der AuSweisnngSangelegenheit auSschiede. Immer wieder sind englische Federn an der Arbeit, die Verhetzung zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland zu betreiben. Der neueste derartige Versuch findet sich in einem Washingtoner Telegramm von „Daily Chronicle". Darin wird, wie schon kurz erwähnt, zuerst mit großer Genugthuung hervorgeboben, daß England eine in Hongkong ausgerüstete „Flibustier-Expedition" verhindert habe, welche zurUnterstützungAguinaldo'S auf den Philippinen bestimmt gewesen wäre, und daß eS dadurch einen neuenBeweiS derengliscben Freundschaft für die VereinigtenStaaten geliefert habe. Dann aber wird der Versuch gemacht, Deutschland zu verdächtigen. Man sei in Washington sehr begierig, zu wissen, woher die Insurgenten ihre Waffen bezögen; und man hege verschiedent lich den Verdacht, daß der Lieferant Deutschland sei. Dieser Verdacht habe eS zweifellos verursacht, daß die Flotte des AdmiralS Dewey verstärkt worden sei, sie wäre jetzt der deutschen Flotte gewaltig überlegen. — Zu solchen ebenso perfiden wie thörichlen Hetzereien sollten sich, meint die „Nat.-Ztg.", englische Blätter um so weniger hergeben, als bisher überall, wo von Waffenschmugzel — auch gegen England — die Rede war, englische Lieferanten als die Urheber entdeckt worden seien, und erinnert sehr zutreffend an die Waffenlabung jenes Schiffes, das im vorigen Jahre von englischen Kreuzern im persischen Golfe aufgebracht wurde, weil es angeblich russische Waffen in Persien einschmuggeln wollte und daS sich schließlich alS der Theil eines sehr einträglichen Waffenhandels entpuppte, den Birminghamer Waffenfabriken im persischen Golfe betrieben. Diejenigen deutschen Blätter, welche die deutsch-englische Entente so freudig begrüßt haben, sagen uns vielleicht, wie sie dic Hetze der englischen Presse gegen Deutschland, die auch nach den von Wohlwollen überquellenden englischen Minister reden der letzten Zeit nicht aufgehört hat, mit diesen zu vereinbaren im Stande sind. Wenn man den interessirten Meldungen über den Empfang deS Kreta-Kommissar», Prinzen Georg von Griechenland in Canea trauen dürfte, wäre mit der Landung deS Zauber prinzen der selige Zustand der Dinge angebrochen, wo da» Lamm neben dem Löwen lagert und der Geier mit der Taube girrt. „Der Bürgermeister von Canea, eia Muhame- daner, ging mit dem ersten Beigeordneten, einem Christen, Arm in Arm in der Stabt spazieren. Christen und Muhamedaner begrüßten sich beifällig. Die Festlichkeiten dauern fort". So mejdet der officiöse französische Telegraph, der vielleicht die Wahrheit sagt, wenn er von der Ver brüderung der beiden Notabeln berichtet, aber sicher ver schweigt, daß sie ein Schaustück war, für daS sich der Muhamedaner nicht umsonst hergegeben bat. Ander» stellt der Berichterstatter de» Londoner „Manchester Guardian" die Lage dar. Er meldet aus Canea, 22. December: ES kaun nicht geleugnet werden, daß die Demonstration, so enthusiastisch sie auch war, rein christlich war. Die Mn Harne- Fcuillctsn. HeUersdorff. 6j Novelle von Hedda von Schmid. » Nachdruck verboten. Ja, die Wohlerzogenheit der gebildeten Menschen ist der beste Panzer für ihre Gefühle — Arend Nydegg und Elisabeth Traun begrüßten einander mit vollkommenster Ruhe, — vielleicht hätte ein scharfer Beobachter gesunden, daß es unter dem weichen, schwarzen Schnurrbart um Arend's Mund etwas nervös zuckte, und daß Elisabeth's Züge jenen Ausdruck annahmen, welchen ihre Bewunderer „den unnahbaren" zu nennen pflegten. Weder Irenen, noch den beiden älteren Damen fiel dies auf. Arend wurde der Baronin Traun vorgestellt; sie überschüttete ihn förmlich mit einem Strom verbindlicher Redensarten, in welchen sie Meisterin war. Ohne aufdringlich zu werden in grober Schmeichelei, verstand sie es, Jedermann etwas An genehmes zu sagen. Man fand die Dame deshalb allgemein außerordentlich liebenswürdig. In ihrer Jugend mußte die Baronin sehr hübsch gewesen sein, sie machte auch jetzt noch durchaus nicht den Eindruck einer alten Frau. Ihre dunklen Augen blickten lebhaft, ihr Haar war noch von keinem Silberfaden durchzogen. Sie verstand es, sich mit raffinirtem Geschmack zu kleiden und besaß jenen undefinirbaren Charme, durch den di« Frauen, welchen er eigen, noch stärker wirken, als durch ausgesprochene Schönheit des Gesichts und der Gestalt. „Der berühmte Afrikareisende" erweckte sofort daS lebhafteste Interesse der Baronin. Sie nahm Arend geradezu in Beschlag. Elisabeth kam dieser Umstand zu Statten. Es war ihr lieb, daß sie nicht gleich in eine Conversation mit Arend hinringezogen wurde. Tante Hermine erging sich in Muthmaßungen über Harald's lange» Ausbleiben. „Er ist sonst sehr pünktlich zu den Mahlzeiten da", versicherte sie Elisabeth; „aber er hat so schrecklich viel zu thun. Ich sage eS immer, er strengt sich zu sehr an." Irene sagte kein Wort, sie spielte mechanisch mit ihrem Kaffee- löffelchen und wandte sich mit einer müden Bewegung flüchtig um, als Harald endlich erschien. Er hatte seinen Reitanzug mit einem gutsitzenden Sommer- costüm vertauscht, und Elisabeth Traun konnte nicht ander», als finden, daß Irenen» Gatt« ein hübscher und stattlicher Mann sei. „Die Beiden sind wie geschaffen für einander — Harald und Irene", sprach sie zu sich selber, „und nun zu denken, daß sie das gar nickt zu begreifen scheinen. Unglaublich!" Ihre klugen, dunkelbraunen Augen, das Schönste und Seelen vollste in ihrem interessanten Antlitz, flogen lebhaft beobachtend zwischen dem Ehepaar hin und her. Harald entschuldigte sich, daß er seiner angenehmen Pflicht als Hausherr so säumig nachkomme und erst jetzt seine Gäste begrüße. „Lieber Harald — Sie erlauben doch, daß ich Sie so nenne — wir sind ja Verwandte — wenn auch entfernte. Ihre Tante, meine theure Hermine, hat mir bereit» geschildert, wie thätig Sie in Ihrer großen Wirtschaft sind, und wie besetzt Ihre kostbare Zeit ist", sagte die Baronin mit ihrem liebenswürdigen Lächeln. Dann wandte sie sich wieder Arend zu. Elisabeth hatte bemerkt, daß bei den Worten ihrer Mutter Harald unmuthig seine Brauen gefurcht — augenscheinlich liebte er keine Phrasen, und war auch selber sicher kein Held in solchen, denn sonst hätte -er mit irgend einer banalen, abwehrenden Redensart die ziemlich unverhüllte Schmeichelei der Baronin be antwortet. Irene hatte unterdessen ihrem Manne den Kaffee eingeschenkt und bot ihm nun den silbernen Korb mit frischgebackenen, gold gelben, kleinen Brödchen. „Aber Irene", rief Tante Hermine vorwurfsvoll, „Du weißt doch, Harald ißt zum Kaffee zuerst immer ein Schwarzbrod- Butterbrod. Erlaube, lieber Harald, daß ich Dir dasselbe prä- parire; ich kenne Deinen Geschmack besser al» Deine Frau, und weiß genau, wie dick die Butter aufgestrichen werden muß." „DaS ist ja eine reizende Pflanze, diese Abart einer Schwiegermutter", meinte Arend in seinen Gedanken. Unwill kürlich flog sein Blick zu Elisabeth hinüber — keiner von Beiden schaute auf Irene. Elisabeth sprach ruhig mit dem Hausherrn, der sich nach dem Verlauf ihrer Reise erkundigte, weiter, und Arend schien ganz Ohr zu sein sür Das, was die Baronin ihm erzählte. Harald nahm indessen,sein Butterbrot» aus Tante Herminens sorgender Hand in Empfang und Irene saß schweigend da. Ob wohl der kleine Zwischenfall an und für sich nicht viel auf sich gehabt — der Ton, in welchem Tante Hermine gesprochen, der Blick, mit dem sie ihre Worte begleitet, gaben Elisabeth und Arend zu denken. Wenn Arend Harald betrachtete, so fragte er sich fast traurig: „Was ist au» dem frischen, idealen Jungen geworden? Ein patenter Landwirth, doch kein glücklicher Mensch! Diese» „krampf hafte Sichvertiesen und Aufgehen" in seinem Beruf ist weder ganz natürlich, noch ihm zuträglich. Er überanstrengt sich, darin hat diese vortrefflich« Tante Hermine recht. Und doch bestärkte sie ihn in seinrm Thun — sie ist stolz darauf, daß alle Welt ihrem Neffen Lorbeer flicht und ihn als Fachmann bewundert; es anstaunt, daß er, in so jungen Jahren, so viel praktische Er fahrung gesammelt und so viel leistet." Zu diesem Resultat seiner Beobachtungen gelangte Baron Nydegg am zweiten Tage seines Aufenthaltes in HellerSdorff. Er hatte soeben mit Harald einen längeren Rundgang durch dessen Wirtschaft gemacht, und befand sich nun, kurz vor dem späten Mittag, in seinem Himmer. Die Damen des Hauses und deren Gäste hatte er bisher verhältnißmäßig nur flüchtig gesehen — man ging des Abends auf Hellersdorff ziemlich zeitig auseinander, so verlangte e» di« von Tante Hermine eingeführte Hausordnung. Arend war dies sehr recht. Er hoffte die späten Abendstunden zu geistiger Arbeit benutzen zu können. Er war eine Natur, die sich jeder Zeit, auch wenn es in ihr stürmte und gährte, mit eiserner Gewalt zu geistiger Thätigkeit zwingen konnte. Letztere beruhigte ihn dann. Nie hätte er vorausgesetzt, daß ihm Schicksal oder Zufall, oder ersteres in Gestalt des Letzteren, das Mädchen, dem gegen- llberzutreten er am wenigsten gewünscht oder gewollt, gleich bei sein«! kaum erfolgten Rückkehr in die Heimath in den Weg führen werde. Fünftes Eapitel. Elisabeth Traun benahm sich tadellos. Flüchtig streifte sie im Gespräch ihre frühere Bekanntschaft mit Arend Nydegg; nichts in ihrem Betragen ihm gegenüber verrieth, ob es ihr lieb ober leid, zum wenigsten peinlich sei, mit ihm nunmehr in täglichem engeren Verkehr stehen zu müssen. „Ich begreife Dich nicht, Elisabeth", sagte die Baronin am Abend des Tages ihrer Ankunft in Hellersdorff, während sie vor dem Toilettespiegel saß und ihr noch immer schönes und volles Haar bürstete, „Du hast mir ja niemals erzählt, daß Du diesen Baron Nydegg bei Onkel Traun kennen gelernt. Und das geschah vor Jahren — damals war Nydegg vermuthlich noch Student?" „Er hatte sein Studium eben beendet." „Du warst damals freilich noch ein halbes Kind, für Back fische haben junge Herren nach bestandenem Examen gewöhnlich kein Auge." „Ich war zwanzig, Mama, wie Du weißt, werde ich ja nach einigen Monaten sechsundzwanzig." „Dies brauchst Du gar nicht so nachdrücklich zu betonen. Kein Mensch sieht Dir Dein Alter an. Doch wirklich, Elisabeth — wenn Du Dich nicht beeilst — Du ignorirst mit einer göttlichen Unbefangenheit alle Chancen, die sich Dir bieten — wenn Du nicht Ernst machst, es dürfte Dir leid thun. Hättest Du dem Freiherrn von Räutling in Nizza keinen Korb gegeben, wir brauchten jetzt nicht hier auf Hellersdorff einen langweiligen Sommer zu verbringen." „Ich finde es hier wunderschön, Mama; diese köstliche Ruhe nach dem Lärm der großen Welt." „Das ist Geschmackssache; ich für meine Person finde, daß die gute Hermine unleidlich geworben mit ihrer faden „Harald^ Verhimmelung". Er ist ein versimpelter Krautjunker, und seine Frau ist lanaweilig und schlecht angezogen. Die Aermel ihre- heutigen Kleides waren vor zwei Jahren modern." „Vermuthlich' hat Irene auch nicht im Entferntesten solch' riesige Schneiderinnen-Rechnungen zu begleichen, wie z. B. wir", versetzte Elisabeth gelassen. „Ich beurtheile übrigens die Leute nicht nach ihren Kleidern. Doch, wenn es Dir so unangenehm ist, in Hellersdorff zu bleiben, Mama, so laß uns abreisen. Ein plausibler Vorwand für einen Aufbruch von hier findet sich ja leicht." Es lag eine gewisse Spannung in diesen Worten — Elisabeth wußte, ihre Mutter liebte es, oft und plötzlich ihren Aufenthali zu wechseln. Würde sie auch jetzt den Plan, Hellersdorff bald zu verlassen, aufgreifen? Doch die Baronin machte unmuthig eine abwehrende Handbewegung. „Das geht nicht. Dank Deinem Eigensinn, mein Kind, bin ich gezwungen, mich pecuniär sehr einzuschränken. Räutling ist sehr reich — hättest Du „Ja!" gesagt, so säßen wir jetzt auf seinem Schlosse in Kärnthen." „Ich liebe ihn aber nicht, diesen Mann, der weder Herz, noch Gemüth besitzt, sondern nur Löwe im Salon, auf dem Parquet ist." „Schon gut! Lassen wir das Thema." Die Baronin zuckte nervös mit den Achseln. — „Nun, also weil Du den Freiherrn von Räutling abgewiesen, müssen wir sparen. Da ist zum Beispiel eine Rechnung der Madame Duverd, welche mir Kopfzerbrechen macht. Sie arbeitet vorzüglich, ihre Hüte sind wahre Kunstwerke, aber sie ist theuer, sehr theuer — da» ist nicht zu leugnen. Ich mußte die Person bitten, zu warten, mir die Zahlung zu stunden. Und vor solchen Leuten beugt man sich nicht gern." (Fortsetzung folgt.)
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