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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.12.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981227011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898122701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898122701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-27
- Monat1898-12
- Jahr1898
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Vez«gS*Prei- Hew-texyeditto« oder den im Stadt» tmirk mrd dm Vorort»» errichteten Aut« «vestellea ab geholt: vierteljährlich ^t-LO, »ei zweimaliger täglicher Zustellung iw» Laut ^l bchO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Sreuzbandimdutit tut Lutland: monatlich 7.b0. > i Vi» Dtorgm-Sntgabe erscheint nm '/«7 Uh«, hl» dlbend-Autgabe Woche» tag- n» - Uh», NeLartiüu vnd LrpeLUi-»: Lnhannetgaffe 8. Di» Expedition ist Wochrutagt »nnnterbrochm »äffuet von früh S bit Abeudt 7 Uhr. /ilialrL: Dtt» Arm«'» korli«. (Alfred Hahn), Universitättsrrabe 3 (Paultnuss^, Lauit Lösche. Lakbarinmstr. 1< Part, und Köiigtplatz D Morgen-Ausgabe. ApMer TaMatt Anzeiger. Amksvkatt -es LönigNchen Land- im- Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Motizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. 65t. Dienstag den 27. December 1898. Anreigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen uuter dem Redactionsstrich (4 ge spalten) 50^, vor den Familiennachrichte» (S gespalten) 40^. Gröbere Schriften laut unserem Preis- veTzrichniß. Tabellarischer und Ziffernlatz nach höherem Tarif. Ertra-Beilagen (gefalzt), uur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbeförderung ^l SO.—, mit Postbeförderung 70.—. Druck und Verlag von E. Pol» in LeipziL 92. Jahrgang Annahmeschluß für Anzeigen: Lbend-Au-gabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4UH-. Bet dm Filialen und Annahmestellen je eia» halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an de« Erpeditias zu richten. StädtebU-er aus Sachse«. Pirna. (Nachdruck verboten.) (Schluß.) In Folge des lebhaften Handels und Wandels gehört Pirna mit zu den st e u e r k r ä f ti g st e n O r t e n Sachsens. Aus der Veranlagung zur Staatseintommensteuer ersieht man zugleich auch, wie günstig es sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. DaS Soll der Staatseinkommensteuer betrug nach Maßgabe der vom königl. Finanzministerium festgestellten Cataster im Jahre 1886 : 70128,60 1890: 97 250 1895: 120 824 und 1898: 149 710 es hat sich somit gegen 1885 mehr denn verdoppelt. Die Grundsteuereinheiten der Steuergemeinde Pirna beliefen sich zum zweiten Termine 1890 auf 236 931,93 Einheit, 1895 auf 300 614,24 Einheit und 1898 auf 337196,86 Einheit. Das ist gegen 1890 ein Mehr von 100 264,95 Einheiten. Die Brandversicherungs einheiten stellten sich zum zweiten Termine 1890 auf 739 235, 1896 auf 898 003, 1898 auf 1038167, also ein Mehr gegen 1890 von rund 300 000. Die Orts steuern und Ab gaben halten sich im Allgemeinen in der Höhe der StaatS- einkommensteuersätze, sind also im Vergleich zu vielen anderen Städten unseres Vaterlandes als äußerst mäßige zu be zeichnen. Eine Aenderung hierin wird auch schwerlich eintreten, da Pirna in Folge feinet ansehnlichen Grundbesitzes, der Ueber- schüsse bei der Sparkasse und Gasanstalt alljährlich auf bedeutende Einnahmen rechnen kann. Daß bei einer so vielseitig entwickelten Industrie und bei einem so lebhaften Handel auch der Post- und Bahn verkehr ein bedeutender sein muß, ist einleuchtend. Da nun die VerkehrSziffern ein ziemlich sicheres Bild von dem sich in einer Stadt abwickelnden geschäftlichen Thun und Treiben geben, so sollen diese im Nachstehenden vergleichsweise mit dem Jahre 1887 aufgeführt werden. Die eingetlammerten Ziffern beziehen sich stets auf das Jahr 1887, die Angaben sind den HandelS- kammerberichten der Handels- und Gewerbekammer Dresden entnommen. An Briefsendungen wurden im Jahre 1897 aufgegeben 1261 700 Stück (674 300 Stück); gingen ein 1128 800 Stück (613 300 Stück). PacketeohneWerth- angabe kamen zur Beförderung nach anderen Postorten 56 322 Stück (40 978 Strick), gingen ein 93119 Stück (54 336 Stück); Briefe und Packete mit Werthangabe wurden auf gegeben 8228 Stück (6149 Stück), gingen ein 7696 Stück (6192 Stück). Po st Nachnahmesendungen wurden aufgegeben 8800 Stück mit einem Betrage von 55968 (4446 Stück mit 35100 c/(), gingen ein 14 247 Stück mit einer Nach nahme von 208 576 (5555 Stück mit 38 885 c((). P o st - au ft rüge zur Geldeinziehung gingen ein 4212 mit einem Werthbetrage von 562 600 (2585 mit 295 900 -M. P o st- an Weisungen wurden eingezahlt 73 694 Stück mit 4 644 200 (42 950 Stück mit 2 521 600 -M, ausgezahlt 65 954 Stück mit 3 819 600 (38 626 Stück mit 2 234 600 M. Tele ¬ gramme gelangten zur Aufgabe 12 819 Stück (5607 Stück), kamen an 12 081 Stück (6319 Stück). Die etatmäßigen Ein nahmen für Porto- und Telegrammgcbühren betrugen 165 529 Mark gegen 105 352 im Jahre 1887. Ganz gewaltige Steigerungen zeigt der Güterverkehr, Es wurden nämlich 1897 aufgegebcn und kamen an 442 163 Tonnen L 1000 Kilogramm, dagegen 1887 nur 191518 Tonnen; die hierfür erzielten Frachteinnahmen beliefen sich auf 818 454 c/i gegen 429 447 -A. Aehnliche Steigerungen zeigt auch der Personenverkehr. Die Zahl der angekommenen und abgegangenen Personen betrug 1897 2 080 935 gegen 822 827 im Jahre 1887; die Einnahmen aus dem Personen- und Gepäck verkehr stellten sich auf 408 469 c/i gegen 218 287 <^. Ueber den Kohlenempfang liegen dem Verfasser nur Angaben über die Jahre 1896 und 1897 vor. Mit der Bahn kamen an 1896 86 422 Tonnen, 1897 92 654 Tonnen; mit dem Schiffe 1896 5899 Tonnen, 1897 8839 Tonnen. In Mügeln, das wirtschaftlich mit Pirna zusammengehört, in denselben Jahren 15 548 Tonnen und 19 564 Tonnen mit der Bahn und 6138 Tonnen und 7630 Tonnen mit dem Schiffe. Diese auffallenden Steigerungen sind dem Aufblühen der Industrie zuzuschreiben. Ein Rundgang durch die Stadt bietet des Inter essanten gar viel. Auf Schritt und Tritt treten dem Wanderer altehrwürdige Zeugen der Vergangenheit entgegen, aber auch Bauten, die dem verfeinerten Geschmack der Gegenwart Rechnung tragen. Drei Straßen führen von dem stattlichen Bahnhofe nach der Stadt. Die bequemste ist die breite Gartenstraße. Ueber der Stadt ragt der Sonncnstein empor. Das neue statt liche Postgcbäude, ein mächtiger und prächtiger Sandstein bau mit reichem ornamentalen Schmucke fesselt den Blick des Wanderers. Die Gartenstraße mündet auf die P r o m e n a d e, welche, auf dem ehemaligen Walle und dem ausgefüllten Stadt graben angelegt, die innere Stadt im Süden und Westen in an- muthigster Weise umgrenzt. Da, wo die Gartenstraße die Promenade erreicht, haben die deutschen Sänger dem Dichter der „Gesellenfahrten" und des Liedes „Das treue deutsche Herz" I u l i u s O t t o, ein schönes Denkmal errichtet. Diesem Dein-' mal gegenüber wird im kommenden Frühjahre das Bismarck- Denkmal enthüllt werden, bestehend in einer Marmorbüste vom Bildhauer Theodor Kirchhoff. Durch die neuangelgte Jacobäer- straßc kann man nun direct in das Innere der Stadt, zum Brenn punkt des Pirnaer Verkehres, der Dohnaschen Straße, gelangen, doch lockt die schattige Promenade, den Weg vorläufig bis zum Königsplatz fortzusetzen, auf dem ein vom Verschönerungs verein Pirna errichteter schöner Springbrunnen die Auf merksamkeit fesselt. Aus diesem Platze befinden sich ferner die Gebäude der königl. Amtshauptmannschaft, der Volksschule und die des „Hotel zum Adler", in dem sich das Officierscasino be findet. Von hier aus erstreckt sich nach Süden die breite, mit Ahornbäumen eingefaßte Breitestraße, an der in den Anlagen des ehemaligen Nicolaifriedhofes das Kriegerdenkmal die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es stellt die in doppelter Lebens größe in Sandstein ausgeführte Figur eines todesmuthig vor wärts stürmenden die Fahne hoch empor haltenden Kriegers dar. Links erhebt sich das schöne Gebäude der neuen Bürger schule, rechts die 1896 eingeweihte Turnhalle und das erst 1897 von einer Dame der Stadt gestiftete Volks bad. An der Promenade erhebt sich die katholische Kirche nebst Pfarrei und Schule. Sämmtliche Gebäude sind in rein gothischem Stil ausgeführt und berühren höchst angenehm durch ihren harmonischen Aufbau. Die Kirche enthält ein werthvolles Altargemälde von Menzel Schwarz, darstellend die Aufnahme der heiligen Kunigunde ins Kloster. Rechts der Promenade erheben sich die Gebäude des königlichen Amtsgerichtes, sowie die der Tischer-Stiftung .moderne Villen und Miethdäuser folgen, denen sich schmucke Gärten anschließen, die in dem noch nicht ausgefüllten Stadtgraben angelegt worden sind. Die obere Burggasse führt hinauf zu Schloß Sonnenstein, das in wechselnder Gestalt auf der bisherigen Wanderung dem Wanderer in den Gesichtskreis getreten ist. Der Eintritt inS Schloß, das eine Heimstätte für geistig Umnachtetr ist, wird nur Interessenten gestattet; auf dem Wege zum Schlöffe ladet eine traulich« Stätte zur Rast ein, es ist die Schkoßschänke. Bequeme Wege und eine mit 157 Stufen versehene Treppe führen hinauf. Der rechts führende Weg führt an dem ältesten Pirnaer Stadtwappen vorüber, in ihm erblickt man einen Birn baum mit einem Löwen; seit dem Jahre 1549 führt Pirna zwei Löwen im Wappen. Die Schloßschänke ward 1700 von dem Schloßcommandanten errichtet, seit 1786 befindet sie sich in städtischem Besitz. Vor ihr erhebt sich ein schattiges Plateau, von dem man eine reizende Aussicht hat. Vom Plateau führt eine Felsentreppe hinauf zu dem Hohen Werk — Höhenlage 160 Meter —, eine überraschend schöne Fernsicht belohnt den Aufstieg reichlich. Ungern scheidet man von dem herrlichen Puncre. Geht man wieder der Stadt zu, so findet man an den Abhängen des Schloß berges die Sammelbassins für die städtische Wasserleitung, die ein stets frisches gesundes Quellwaffer liefern, daß in Folge seines natürlichen Druckes bequem den höchsten Stockwerken zu ¬ geführt werden kann. Am Fuße des Schloßberges sprudelt frisch rin Quell hervor, der in Pirna und Umgebung unter dem Name., „Erlpeter" bekannt ist. Sein Wasser galt ehedem als heilkräftig und heute noch wird es mit Vorliebe getrunken. Auf dem Wege von der Schloßschänke bis zur inneren Stadt und der Stadr kirche machen sich verschiedene Gebäude bemerkbar, die reich mi: architektonischen Sehenswürdigkeiten geziert sind. Als ein Bau denkmal der späteren Gothik stellt sich die Stadt - oderSi Marienkirche dar, die in den Jahren 1502 bis 1546 er baut ward. Der dreischiffige Bau wird von einem Deckengemälde überspannt, das durch die Kühnheit seiner Ausführung bei allen Besuchern Staunen erregt. Gleiche Bewunderung ruft auch der dreitheilige zehn Meter hohe Altar hervor. Er ist in feinster Sandsteinarbeit ausgefiihrt, so daß man Alabastertechnik vor sich zu haben glaubt. Kunstverständige rühmen ihn als ein Meister stück der späteren Renaissance; seine Herstellung fällt in die Jahre 1611 bis 1614. Beachtenswerth sind ferner das reichverzierte Taufbecken und die Kanzel aus dem Jahre 1543. Hochinteressant sind die Deckengemälde, von ihnen behauptet der Kunstkenner Professor Steche: „Der Gemäldecyklus ist ein protestantische- Kunstwerk von hoher Bedeutung und Seltenheit." In den Jahren 1889/90 wurde das Innere der Stadtkirche durch den Kirchenbaumeister Quentin in Pirna in kunstsinniger Weise er neuert und namentlich die 1802 weiß übertünchte Malerei wieder zur Geltung gebracht. In der Mitte des Marktplatzes erhebt sich das Rathhaus. Der ursprüngliche Bau stammt aus dem Jahre 1555, der schlanke Thurm ist 1718 erbaut, das an ihm befindliche Wappen ist mit dem Uhrwerk verbunden, so daß bei jedem Glockenschlage die sich im Wappen befindenden Löwen bewegen. Ein Gang in das RathhauS giebt reichlichen Stoff zu architektonischen Studien, wie überhaupt die Stadt reich an Denkmälern mittelalterlicher Baukunst ist. Der schon citirte Professor Steche äußert sich über Pirna in dieser Beziehung: „Pirna gehört zu den wenigen Städten im Lande, welche sich wenigstens theilweise, trotz der Brände und Kriegsverwüstungen, die architektonische Physiognomie vergangener Jahrhunderte erhalten haben. Sind auch nur noch eine geringe Zahl unverletzter Fanden erhallen, so sind doch eine verhältnißmäßig große Anzahl von Portalen, Erkern, Giebeln noch vorhanden, welche größtentheils aus dem 16. Jahrhunderte stammen. Sie bekunden den großen Wohl stand, der früher in Pirna geherrscht hat." Ecu anderes alles gothisches Baudenkmal ist die ehemalige Klosterkirche, die zu dem um 1300 gegründeten Dominikanerkloster gehörte. Wechselvoll ist das Schicksal des selben gewesen. Nachdem 1539 die Reformation in Pirna Ein gang gefunden hatte, blieb sie lange Zeit unbenutzt und verfiel. Häßlich muß ße sein. Humore-ke von Theodor Schütz. Nachdruck verbot-». An unserem Stammtisch im Augustinerbräu war — und zwar zum hundert und so und so vielten Male — die Heiraths- frage auf dem Tapet. Die Sache war in der That für uns aktuell; der Bestand unserer fröhlichen auf Cölibat unv Bier genuß gegründeten Junggesellenrepublit stand in Frage. Inner halb weniger Monate hatte der unbarmherzige Hymen sich aus unserem kleinen fröhlichen Kreise das dritte Opfer geholt — Grund genug für uns, das alte und doch ewig neue Thema in allen erdenklichen Varianten zu besprechen. Aber noch stand ja unsere festeste Stütze, unser Tischpräsident, der schöne Dagobert, unversehrt da, wie eine Marmorsäule, an der unsere gesunkenen Hoffnungen sich wieder emporranken konnten. Zwar sagten böse Zungen von ihm: „auch diese schon geborsten, kann stürzen über Nacht"; aber das war ja krasseste Verblendung, daß er neulich im Flora-Concert einer gluthäugigen Schönheit auf Tod und Leben die Cur geschnitten und sogar — er, der sparsame — sich zur Dedication eines Veilchensträußchens mit Tuberosen für ganze eine Mark fünfzig Pfennig aufgeschwungen habe. „Wenn ich", so unterbrach er fast mehmüthig unsere Wechsel reden, „wirklich einmal so unzurechnungsfähig sein sollte, mich zu beweiben, dann darf sie wenigstens keine Schönheit sein. Das könnte mir im Traume nicht einfallen", fuhr er fort, als wir ihn lachend an seine Liaison mit der kleinen hübschen Handschuh macherin auS der Goethestraße erinnerten. „Nicht wahr? Ihr als Zaungäste und Hausfreunde; das könnte ich brauchen. Dann lieber noch eine Häßliche, die wie ein Veilchen im Verborgenen blüht und mich pflegt und hegt, wenn ich alt und schwach werde." Dabei ließ er einen zärtlich besorgten Blick über seine durchaus keine Abzehrung verrathende Figur gleiten. Der omniöse Vergleich mit dem Veilchen im Verborgenen und das Bouquet im Palmengarten! Aber Unsinn! Dago war ja der hartgesottenste von uns Junggesellen. Darum unter drückten wir unsere jähen Zweifel und trennten uns in heiterster Laune. « * » Dagobert vernachlässigte seine Präsidentenpflichten seit einiger Zeit in auffallender Weise. Bald war er durch ein Un wohlsein abaehalten, bald hatte ihn sein griesgrämiger Vor gesetzter als dritten Mann zum Skat geladen; bald behauptete er mit einer wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt zu sein, welche ihm den Weg zur Universitätslaufbahn eröffnen sollte. So kam das Frühjahr heran, und eines schönen Tage- brachte uns die Post ouf elegantem goldumrandeten Larton die Kunde seiner Ver lobung mit Fräulein Helene Jung. Die Aufregung in unserem Zirkel war keine gering«. Es war auch wirklich nicht schön von ibm, unter solchen Heimlich- thuereien ins Lager der Feinde abzuschwenken. Im Grunde ge nommen waren wir ja ohnehin schon durch den Abfall unserer in jüngster Zeit unter den Pantoffel gekommenen Genossen ziemlich mürbe geworden und hätten gegen Stiftung einiger AnanaS- bowlen vielleicht mit uns handeln lassen und unser „Ja und Amen" dazu gesagt. » Aber wer mochte sie wohl sein! Keiner von uns kannte eine Familie Jung, und da« Adreßbuch, welche» wir sofort zu Rathe zogen, wie» nicht weniger al» 47 Träger diese» Namen» auf. Jede Spionage wäre übrigens, auch wenn wir die Häuser aller 47 Jung's unter Beobachtung gestellt hätten, vergeblich gewesen; denn diejenigen von uns, welche sich unter dem Vorwande, gratuliren zu wollen, in seine Junggesellenwohnung wagten, kehrten mit der Nachricht zurück, daß Dagobert zum Besuche bei den Eltern seiner Braut in einer schlesischen Fabrikstadt weile und jedenfalls von dort nicht unvermählt zurückkehren werde. So eilig hatte er es also — der Heuchler, dem wir bis zum letzten Moment unser Vertrauen geschenkt hatten. * * * Wenige Wochen darauf folgte der Verlobungsanzeige die Mittheilung von Dago's Vermählung und nach weiteren vierzehn Tagen erschien er selber in ganzer Leibeslänge in unserer Tafel runde. Die malitiösen Fragen, wie lange er denn Urlaub erhalten, ob er überhaupt wirklich den Hausschlüssel bekommen habe, ob er bei der Heimkehr auch die Stiefeln schon im Vorzimmer aus ziehen werde, schien er absichtlich ignoriren zu wollen. Als wir endlich noch anzüglicher wurden und ihn fragten, ob er denn eine seinem Häßlichkeitsideal entsprechende Gattin gefunden habe, zog er mit unnachahmlicher Geberde seine Brieftasche und warf uns eine Photographie hin, in deren Original allerdings jeder eine dralle böhmische Köchin als die Frau des patenten Regierungs- Assessors von Menz vermuthet haben würde. Geist sprach ebenso wenig wie Schönheit aus diesen Zügen. Mit dem Hausschlüssel schien es übrigens doch eine eigenthümliche Bewandtniß zu haben Denn soviel Dagobert von seiner häuslichen Herrschergewalt auch erzählte, nach 9 Uhr wurde er merkwürdig wortkarg, fing zu gähnen an, erzählte, wie wohlthätig daS solide häusliche Leben auf seine Nerven wirke, und als es drei Viertel zehn Uhr oe- worden war, gab's kein Halten mehr; er ging, nicht ohne einen heimlichen bedauernden Blick auf die silberköpfigen Flaschen zu werfen, welche in diesem Augenblicke zur Feier von Willy's Re ferendariat gerade aufmarschirten. Artigkeitshalber warf ich als einziger von unserer Tafel runde die üblichen beiden Visitenkarten mit dem p. s. in der rechten unteren Ecke eine» schönen Tages bei Dagobert ab, die ich, da kein Klingeln die Pforten seines ehrlichen Heimes er schloß, dem Briefkasten anvertraute. Aber Dago reagirte nicht darauf. Er wollte augenscheinlich keinerlei Verkehr. War er als Gatte der unschönen, aber reichen Fabrikantentochter noch immer der alte Knauser, der keine Gäste bewirthen wollte, oder war er wirklich eifersüchtig? Kurzum: wir respectirten seinen Willen und gönnten ihm sein Glück, ohne weitere Annäherungs versuche zu machen. Dennoch wollte es der Zufall, daß ich ihn in einer vertraulichen Angelegenheit einige Wochen später auf suchen mußte. Diesmal fand ich wirklich Einlaß, und die Gnädige war es sogar selbst, welche mir öffnete. Während ich respektvoll mich vorstellte, hatte ich Zeit genug, wahrzunehmen, daß da- Original noch bedeutend häßlicher auSsah al» die Photographie. Und welche Einfalt dazu. Meine Anrede „Gnädige Frau", die mir hier zum ersten Male schwer über die Lippen wollte, schmeichelte offenbar ungemein, und da der „Herr Assessor" nicht zu Hause war, aber jeden Augenblick zurückkommen mußte, wurde ich zum Warten genöthigt. Im nächsten Augenblick befand ich mich im EmpfangSsalon, aber allein; denn die Gnädige hatte bereit» die Thür hinter sich geschlossen und überließ mich meinen Gedanken, welche sich mit > dem Lontrast zwischen dem gediegenen geschmackvollen Luxus drS Raumes und der fast ärmlichen Toilette und dem linkischen Be- I nehmen der Haulherrin beschäftigten, di- ibren Gatten al» „Herrn I Assessor" bezeichnete. Indessen verrannen die Minuten und I Viertelstunden, ohne daß Freund Dago erschienen wäre. Die I Zeit drängte mich; ich machte mich im EntrSe durch Hüsteln be merkbar, welches die Gnädige auch herbeilockte, und empfahl mich, beim Herabsteigen über die Treppen überlegend, wen ich mehr bedauern sollte, ihn, der sich um schnödes Geld an ein geradezu unmögliches Geschöpf verkauft hatte, oder sie, welche ihr Herz vielleicht an den Mann gehängt hatte und bei Dagobert'S flattrr- baftem schönheitdurstigen Charakter unmöglich auf die Dauer von schweren Enttäuschungen verschont bleiben konnte. » * An einem jener Sommersonntage, welche Tausende und Abertausende der Großstadt hinauslocken, befand auch ich mich unterwegs, und ließ mich willenlos von der großen Menschen woge dahintragen, welche auf dem breiten Wege vor einem Gartenrestaurant unablässig hin- und herfluthete. Es dunkelte bereits stark, und eine von Westen langsam am Abendhimmel heraufsteigende bleigraue Wolkenwand verkündete das Nahen eines Gewitters. Da sehe ich plötzlich dicht neben mir Dagobert sich zwischen den Tischen durchwinden. Kurz entschlossen drängte ich ihm nach; denn ich langweilte mich, offen gestanden, gründlich und zog der Vereinsamung unter Tausenden unbekannter Leute das Zusammensein mit dem abtrünnigen Freunde vor, selbst auf die Gefahr hin, seine Ehehälfte mit in den Kauf nehmen zu müssen. „Bist Du allein hier?" fragte ich, nachdem ich ihn erreicht hatte. „Durchaus nicht", erwiderte er, eine leichte Befangenheit be- meisternd. „Also mit Gemahlin? Um so besser. Ich suche seit einer Stunde nach einem bekannten Gesicht und bin froh, Dich getroffen zu haben." „Hm", meinte er zögernd — „meine Frau ist nicht hier." „Dann ist es also eine Freundin?" fragte ich darauf mit ge heucheltem Erstaunen, „und gewiß eine hübsche? Du Schwere- nöther." „Der wahre Engel", gab er zurück. „Und Du fürchtest Dich gar nicht, hier gewissermaßen auf dem Präsentirteller sitzend, Deine Abenteuer zu suchen?" „I bewahre!" sagte er mit einem Humor, der mir etwa» ge zwungen zu sein schien. „UebrigenS, wir sind schon im Gehen! Ich glaube, eS kommt ein Wetter. Du entschuldigst mich." Damit war er im Gedränge verschwunden. Ziellos einherschlendernd, gewahre ich auf einmal ein Dietel- stündchen später Dagobert'S wohlbekannte Gestalt, einige Tische von mir entfernt mit einer Dame, wie sie bei einer Flasche Rhein wein sich an einem Gericht Krebse gütlich thun; sie von jener ausgesuchten Eleganz, welche einen gewtiblten Geschmack verräth: er mit der Galanterie, welche ihm in seinen guten Tagen eigen war, die Scheeren der leckeren Krustenthiere auSlösend, welche sie holdselig lächelnd hinter ihren Perlenzähnen verschwinden läßt. Sie war in der That eine Schönheit ersten Range», und nament lich ihre langbewimperten Augen, mit welchen sie halb träumerisch halb zärtlich, schalkhaft den treulosen Dagobert anfunkelte, hätten auch dem frommen Einsiedler von Padua da» Herz weich machen müssen. Aber ich war doch innerlich empört über Dagobert'S hinterlistige» Benehmen und beschloß, ihm wenigstens jetzt im Augenblicke die Freude deS Alleinsein» zu Zweien zu verderben. Ich näherte mich daher, einen großen Bogen beschreibend, von vorn seinem Tisch« und stand plötzlich vor dem nicht grradr an genehm Ueberraschten. „Du auch hier, lieber Dagobert? Nein, das nenne ich eine Ueberraschung. Und", seht« ich hinzu mit einem vielsagenden Blick auf seine Nachbarin, „obendrein in Gesellschaft. Willst Du nicht so gut sein, mich vorzustellen?" Mit einem wüthenden Blick, aus welchem der aufrichtige Wunsch sprach, mich möglichst weit weg im Lande deS Pfeffers zu wissen, nannte er der schönen Unbekannten meinen Namen, und ich nahm Platz, ohne eine Aufforderung dazu abzuwarten. In diesem Augenblicke begab sich etwas Sonderbares. Ein jähes Erschrecken läuft über Dago's Züge, aus denen eine tödt liche Verlegenheit spricht, und als ich erstaunt der Richtung seiner Blicke folge, wen gewahre ich? Sein braves, ehrliches Weib, wie sie sich, noch drei Tische entfernt, ihren Mantel über dem Arme, plump und ungeschickt, aber sicher vorrückend durch das Gewirr der Slühle den Weg zu unserem Platze bahnt, den: ehernen Verhängniß vergleichbar, welches unaufhaltsam einher schreitet. „Um Gottes willen, Deine Frau!" rufe ich entsetzt mit halb unterdrückter Stimme, und während ich erregt aufspringe im Vorgefühl der Katastrophe, welche im nächsten Augenblick herein brechen muß, ist der Groll über den hinterlistigen Freund aus meinem Herzen wie weggeblasen. Wie ihn retten? Und in dem Wunsche, ihm den Frieden seiner Ehe zu erhalten, blitzt der Ge danke in mir auf, alle Schuld auf mich zu nehmen. „Wie brillant sich das trifft, daß Sie Dagobert endlich ge funden haben. Sie suchen Ihren Herrn Gemahl gewiß schon lange", sage ich, mich tief verbeugend vor ihr, deren Züge in meisterhafter Selbstbeherrschung keine Spur von Entrüstung zeigen, und einmal im Redeflüsse begriffen, fahre ich fort, ans Dagobert'S Liebchen deutend: „Gestatten Sie, daß ich Ihm:; meine Cousine Emma Schultze aus Treuenbrietzen vorstell.-. Dagobert ging vorhin bei unL vorbei, und ich habe ihn fes: gehalten." Ein jäher Aufschrei, daS Klirren eines zerbrechenden Glas machen mich verstummen. Hoch aufgerichtet, aus ihren dunkle Augen Vernichtungsblitze auf den in sich zusammengebrochcma Dagobert schießend, aber auch in ihrem mir zwar unbegreiflich:.: Zorne noch herrlich und anbetungswürdig, steht meines Freunde Flamme da. „Dagobert, daS ist abscheulich, nichtswürdig", sprudelte es unter ihren Zähnen hervor, und zu mir sich wendend: „Sie sind in einem Jrrtbum befangen, mein Herr. Das ist Marianka unsere böhmische Köchin, und ich bin die Frau dieses Elenden — O, ich arme» betrogenes Weib — Dagobert! wir gehen sofort nach Hause." Und so entfernten sie sich; sie stolz davon rauschend; da hinter Dagobert, jämmerlich geknickt, und zum Schluß die gute häßliche Marianka, noch immer den Damenmantel schwenkend welchen sie sorgsam ihrer Herrin hatte nachtragen wollen, als das Gewitter heraufzog. . » « Ich zahlte Krebse und Wein. DaS Gewitter entlud sich in krachenden Schlägen, und während mich die Straßenbahn nacki meiner Wohnung dahintrug, dachte ich darüber nach, wie Dagobert zu Muthe sein würde, über dessen Haupt sich jetzt gewiß auch ein Gewitter entlud. Wenige Tage darauf erhielt ich von dem Ehepaar von Men; eine Einladung zum Mittagessen am nächsten Sonntage. Ich ging natürlich hin. Dagobert empfing mich, noch immer m-t etwas Verlegenheit kämpfend; die junge, ebenso liebenswürdig wie schöne Frau aber erzählte mir, während wir den ausgezeick neten Proben von Marianka's Kochkunst zusprachen, wie sie dem I Sünder aus eifersüchtiger Liebe doch habe verzeihen müssen, I nachdem er ihr mit heiligen Eiden versprochen hab«, nie mehr I sein» Köchin als seine Frau ou»,ugeLen.
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