Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.12.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981228013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898122801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898122801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-28
- Monat1898-12
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
VezugS'Prei^ kn der Hauptexpedition oder den im Stadt« bezirk und den Vororten errichtete» AuS- oaoestellen abgeholt: vierteljährlich ^14.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Laus 5L0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich X K.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung inS Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhl'« die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. --0E». Nedaclion und Erveditiou: AohanneSgaffe 8. Di« Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Filiale»»: vtt» klemm'» Sortim. (Alfred Hahn), Universitätssrraßr 3 (Pauliniv), Loui» Lösche, katdarinenstr. 14, part. und KöÄgSplatz L Morgen-Ausgabe. KjWM TaMaü Anzeiger. Amtsblatt des Hönigüchen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es AatHes nnd Nottzei-Amtes -er Lta-t Leipzig. 838 Mittwoch deu 28. December L8SL UozeigettPreiS die 6 gespaltene Petitzeile SO Psg. Reklamen unter dem RrdactionSslrich (4 g» spalten) 50 vor den Familienuachrichte» (6 gespalten) 40/^. Gröbere Schriften laut unserem Preis» ve^eichuiß. Tabellarischer und Zifsernfotz nach höherem Taris. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderung ^l SO.—, mit Postbesörderung 70.—. Anuahmeschlnß für Anzeige»: Abend-AuSgab«: vormittag« 10 Uhr. Morgr»-Ausgabe: Nachmittag« 4UHL» Bet de» Filialen und Annahmestelle» je «tae halb« 6Müde frntzer. L«tet«e» -ad KM am HSe H» richte». Drull »td .Dullaa von U. Vo lz in Ltipzis. 92. Jahrgang. Die Älters- und Jnvaliditätsversicherung iu Len Niederlanden. Als im Jahre 1896 in Holland die Zweite Kammer die Regierung aufgefordert hatte, sich mit der Alters- und Jnvaliditätsversicherung zu beschäftigen, ergriff die Regierung ein Mittel, das man in Holland oft anwendet, wenn man eine Sache aufschieben will: sie sehte am 31. Juli 1895 eine Commission von 24 Mitgliedern ein zur Untersuchung, ob neben einer (damals geplanten) Staatsleibrentenbank und neben einer Unfallversicherung auch ein Gesetz zur Versicherung von Arbeitern und mit diesen gleichzustellenden Personen, die wegen Alters oder Invalidität sich zu ernähren nicht mehr im Stande sind, ge schaffen werden sollte. Im Fall der Bejahung dieser Frage sei der Regierung ein Gesetzentwurf mit Berechnung der Kosten vorzulegen. Zum Vorsitzenden der Commission wurde vr. C. Pynacker Hordyk, ehemaliger Professor, Minister und Generalgouverneur von Ostindien, ernannt. Sie bestand weiter aus drei Professoren der Nationalökonomie, fünf Industriellen, zwei Mathematikern, zwei Vorsitzenden von Arbeilervereinen, acht Abgeordneten und drei anderen Personen. Alle politischen Par teien außer den Socialdemotraten waren in der Commission vertreten, und daraus ergab sich schon, daß es sehr schwer sein würde, ein positives Resultat zu erzielen. Und doch ist die Arbeit der Commission von großer Bedeutung, wie I. H. van Zanten in der „Soc. Praxis" nachweist. Nach seiner Darstellung begann die Commission ihre Ar beiten mit einer Untersuchung der Lage der alten Arbeiter. Aus den Bevölterungsregisiern einiger größeren und kleineren Ge meinden wurden die Namen aller mehr als 60, 65 und 70 Jahre alten Männer und Frauen ausgeschrieben; die Namen der Ein kommensteuer zahlenden wurden in dieser Liste gestrichen, und dann wurde die Lage von jeder einzelnen, nicht Steuer zahlenden Person genau untersucht. So ermittelte die Commission z. B. in Leiden (50000 Einwohner) folgende Ziffern. Mehr als 65 Jahre alt: Erwerbsfähig und Steuer zahlend . . Männer 31 "/- Weiber 24 «/. Zusammen 27 «/<, Erwerbsfähig und nicht Steuer zahlend 23 . 19 - 20 - Unterstützt 46 - 57 - .53 - Mehr als 70 Jahre alt: Männer Weiber Zusammen Erwerbsfähig und Steuer zahlend . . 29 o/o 22 25 o/o Erwerbsfähig und nicht Steuer zahlend 17 - 15 - 16 - Unterstützt 54 - 63 - 59 - In einer anderen Stadt ergab sich, daß von den männ- lick-en Arbeitern über 60 Jahre 44H Proc., von den weiblichen '»2r/<, Proc. unterstützt wurden. Auf dem Lande zeigte sich die Lage der alten Tagelöhner etwas besser: in einer Gemeinde wurden z. B. 36 Proc. der Männer und 43j Proc. der Weiber über 60 Jahre unterstützt; von den 65jährigen jedoch 42 und 54j Proc., von den 70jährigen 59 und 100 Proc. Die Commission sprach auf Grund ihrer Erhebungen ihr Urtheil dahin aus, daß Mir in den blühenden Fabrikgegenden, deren es in Holland nicht viele giebt, einigermaßen genügend für alte Arbeiter gesorgt werde und daß in den anderen Gegenden ihre Lage sehr schlecht sei. Darauf untersuchte die Commission die Wirkung der be stehenden Versicherungsanstalten, Fabrikcassen u. s. w. und fand sie völlig ungenügend. Was nun die Antworten auf die Fragen der Regierung be trifft, so verneinte die Commission die an erster Stelle stehende, ob sie eine Staatsleibrentenbank für Wünschenswerth erachte. Ebenso verneinte sie die Fragen, ob der Staat dem Arbeiter, der sich freiwillig versichert, einen Theil der Prämie oder der Leibrente auszahlen und ob der Staat den invaliden oder alten Arbeitern eine Altersrente gewähren solle ohne Beiträge von diesen selbst. Dahin ging nämlich der Wunsch der Social demokraten. Mit großer Mehrheit sprach sich schließlich die Commission für die obligatorische Alters- und Jnvaliditätsversicherung aus. Hierauf trat man in die Erörterung der Organisation der Versicherung ein. Zur Erleichterung der Verhandlungen wurden von den Professoren Greven (Leiden) und d'Aulnis de Bourroui'l (Utrecht) Notizen über die Wirkung des deutschen Alters- und Invaliditäts gesetzes vorgelegt. Professor d'Aulnis wies umständlich auf die Schwierigkeiten hin, die man in Deutschland erfahren hat, ins besondere mit dem „Klebeverfahren"; auch Professor Greven erwähnte diese Schwierigkeiten, fand sie aber viel weniger wichtig. Das Resultat der Verhandlungen ist folgendes: Die Kosten der Versicherung sollen nur von Unternehmern und Arbeitern ge tragen werden und zwar von beiden zur Hälfte. Der Staat wird nur diejenigen unterstützen, die nicht von ihrem Eintritts alter ab die Prämien zahlen konnten, da sie schon zu alt waren. Auch wird der Staat die Prämien der sich im Militairdienst be findenden Versicherungspflichtigen zahlen. Versicherungspflichtig sind nicht nur Fabrikarbeiter und Handwerker, sondern auch Seeleute, Boten, Landarbeiter, Dienstboten, Lehrer, auch Frauen. Als Maximallohn ward 1000 Gulden (1670 angenommen und kleine Unternehmer, Bauern, Handelsleute, die nicht mehr als 1000 Gulden verdienen, sollten freiwillig an der Versicherung theilnehmen können. Als Eintrittszeit wurde das 16. Jahr, als Anfangsjahr der Altersrentenauskehrung das 65. Jahr an genommen. Im Beharrungszustande der Versicherung, wenn der erste 16jährige Versicherungspflichtige das 65jährige Alter erreicht haben wird, soll es auch ein bestimmtes Alter geben, in dem man nicht mehr britreten kann, in dem Uebergangszustand jedoch nicht. Die Invalidität wurde folgendermaßen definirt: Invalide ist, wer länger als ein Jahr durch seinen physischen oder psychischen Zustand außer Stande ist, durch eine seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechende Arbeit, die ihm gemäß seiner Ent wickelung und früheren Beschäftigung in gerechter Weise auf getragen werden kann, einen Betrag zu verdienen, der gleich dem sechsten Theile des Durchschnittslohnes der Lohnclafle, in welcher er die letzten fünf Jahre seine Prämien gezahlt hat, plus einem Sechstel einer vom Provinzialausschuß als jährlicher Durch schnittslohn der gewöhnlichen Handarbeit für jede Gemeinde festzusetzenden Summe ist. Statt der vier Lohnclaffen des jetzigen deutschen Gesetzes hat die Commission fünf Elasten angenommen. Die erste Classe beträgt 0—415 Jahreslohn, die zweite 415—670 <-2, die dritte 670—1000 die vierte 1000-1330 und die fünfte 1330—1670 c-l. Hinsichtlich der Aufbringung der Mittel hatte die Commission zwischen drei Systemen der Prämienfeststellung zu wählen. Sie entschied sich nicht für das Umlageverfahren, sondern für ein Capitaldectungsverfahren, wonach die Prämien so groß sind, daß jederzeit der contante Werth aller laufenden Versicherungen vorhanden ist, daher kann auch in jedem Augenblick eine Liqui dation eintretcn. Obgleich die Nachtheile des deutschen „Klebe systems" von den beiden Professoren nicht gering beurtheilt wurden, wußte doch Niemand ein besseres System vorzuschlagen, und so ward es von der Commission zur Erhebung der Prämien angenommen. Die Wartezeit wurde in der Uebergangsperiode auf fünf Jahre, in welchen mindestens 250 Wochenprämien gezahlt sein müßten, für die Altersversicherung und auf drei Jahre mit 150 Wochenprämien für die Jnvaliditätsversicherung festgesetzt, im Beharrungszustande für die Altersversicherung auf zwanzig Jahre mit 1000 Prämien und für die Invalidität auf drei Jahre. Durch Nichtzahlung einer bestimmten Anzahl von Prämien erlischt die Anwartschaft, aber sie lebt wieder auf, wenn während einer bestimmten Zeit wieder eine bestimmte Zahl von Prämien bezahlt worden ist. Schließlich wurde der Betrag der Rente folgendermaßen festgesetzt: ein Fixum in jeder Lohnclasse wurde ihr zu Grunde gelegt und dieses um eine mittels der Zahl der von Jedem be zahlten Wochenprämien berechneten Summe erhöht. Jedoch wird die Rente nie weniger als ein Minimum betragen. Das giebt also die folgenden Resultate: Die ganze Versicherung soll (wie der Unfallversicherungs gesetzentwurf ebenfalls vorschlägt) von einer einzigen centralen Rentenbank ausgefllhrt werden, was bei dem mäßigen Umfange Lohnclasse Wochen' prämie Vrunb- betrag der Rente Der- Mehrung pro Wochen- vrämic Minimum der Jnvali' ditätS- rente Altersrente sUr Alter von V!> Jahren »nd Theil- nabme von 49 Jahren I. 0— 415 27'/- 83 4,2 125 ./cl 185,90 ./Z II. 415— 670 - 33 - 100 - 5,0 - 140 - 222,50 - Hl. 670—1000 - 44 - 133 - 6,7 - 173 - 297,15 - IV. 1000—1330 - 55'/- - 167 - 8,3 - 200 - 370,35 - V. 1330-1670 - 67 - 200 - 10,0 - 220 - 445,00 - des Landes keine Schwierigkeiten machen wird. In den Ge meinden sollen locale Commissionen, Vertretungen der Arbeiter und der Unternehmer gewählt werden, die dem Bankvorstand rathend zur Seite stehen bei Entscheidung über die Lohnclasse, in welche ein Arbeiter gebracht werden soll, und.über den Betrag der Rente, auf welchen er Anrecht hat. Nun trat aber eine seltsame Wendung ein. Die Grundzüge der Versicherung waren so festgesetzt, von den Mathematikern waren bereits die vom Staate in den ersten 50 Jahren nach der Einführung zu tragenden Kosten auf 390 Millionen Mark auf einmal oder 13 bis 15 Millionen Mark jährlich auf Grund der deutschen Zahlen berechnet. Als aber nun die Abstimmung über die Frage kam, ob die Commission die Einführung der Versicherung auf diesen Grundlagen der Regierung anrathen solle, da erhoben sich die Beschwerden. Man fand die Versicherung für den Staat zu theuer und bezweifelte, ob die Ziffern auf die deutschen Erfahrungen sich stützen dürften, ob sie nicht zu niedrig wären; auch fand man die Rente, besonders in den höchsten Classen, zu klein. Und so beantwortete die Commission die genannte Frage mit 12 gegen 6 Stimmen (2 Mitglieder waren abwesend) mit Nein! „kour aoquit oonZcienao" wurde darauf noch besprochen, ob man die Altersversicherung allein mit Zurückzahlung der gezahlten Prämien im Fall der Inva lidität, an Frauen, die sich verheirathrn, und beim Tode des Versicherten vor dem Erreichen des 65 jährigen Alters an die Wittwe und die Kinder Vorschlägen wolle. Aber sowohl die Zurückzahlung als die Versicherung selbst wurden abgelehnt. Und dennoch wurde zum Schluß mit 13 gegen 6 Stimmen (ein Mitglied war abwesend) die obligatorische Alters- und Jnva liditätsversicherung für Wünschenswerth erklärt. Trotz dieses widerspruchsvollen Ergebnisses kann man die Arbeit der Commission nicht erfolglos nennen. Sie hat den vortrefflichen Grundriß einer Versicherung entworfen, die bei aller Anlehnung an das deutsch« Gesetz doch in manchen Punkten mehr Vortheile bietet: Wohl ist der Maximallohn geringer und sind die Prämien höher, aber der Eintritt in die Versicherung und das Recht auf Rente fallen früher, während die Wartezeit kürzer ist und, was das Wichtigste ist, die Rente selbst ist sehr viel größer. Wenn die Regierung, die inzwischen gewechselt hat und wahrscheinlich einer Versicherung weniger abgeneigt ist als die frühere, jetzt einem von der Nothwendigkeit dec Ver sicherung überzeugten Manne die Ausarbeitung eines Gesetz entwurfes aufträgt, so kann bei den gründlichen Vorarbeiten ein Gesetz bald fertig sein. Es bleibt dann noch ein Weg zu finden, woher der Staat die großen Mittel, welche die Ver sicherung verlangt, nehmen wird. Deutsches Reich. 6. II. Berlin, 27. December. (Zur kommenden Lohn bewegung.) An die Maurerorganisationen ist die Auf forderung ergangen, in den Wintermonaten mit voller Kraft an dem Ausbau der Organisation zu arbeiten, da gewaltige Lohn kämpfe in Aussicht ständen. Zur Zeit zablt der Maurerverband 65,000 Mitglieder, 20 Procent aller Maurer sind also gewerkschaftlich organisirt; dagegen wurde von den Agitatoren in den letzten Versammlungen, die im ganzen deutschen Reich kurz vor dem Fest stattfanden, behauptet, daß es mit der gewaltigen Organisation der Arbeitgeber nicht weit her sei; nur 6000 baugewerbliche Unternehmer seien organisirt und in dieser Zahl seien auch diejenigen Arbeit geber einbegriffen, die jetzt keine Arbeiter mehr beschäftigen. Mit der erwähnten Aufforderung zur Organisation geben die Sammlungen für den Streikfonds Hand in Hand. Sie werden bei den Maurern den ganzen Winter hindurch fortgesetzt und haben bemerkenSwertben Erfolg. So kamen in der Weihnachten vorangegangenen Woche (13.—20. December) allein 1000 ans Hannover, 415 aus Groß-OtterS- leben rin. Der Centralverband der Maurer konnte im dritten Quartal, in dem sehr große Anforderungen an ibn gestellt wurden, doch immer noch 63 000 als QuartalS- ersparniß bei der Bank hinterlegen. Angesicht« dieser Er folge braucht man sich nicht zu Wundern, wenn alle Augen blicke über maßlose Ansprüche der Maurer berichtet und versichert wird, im nächsten Jahre werde auf der ganzen Lioie der Kampf um Erhöhung des Lohnes und Erringung des Achtstundentages ausgenommen werden. Im vorigen Jahr waren in 190 deutschen Orten Lohnbewegungen zu der zeichnen und die Agitatoren behaupten, in der Mehrzahl der Orte sei theils durch Verhandlungen, tbeils durch Streiks eine Lohnerhöhung durchgesetzt worden. Das stählt natürlich den KampfeSmuth, in dem die ernste Mahnung an die Arbeitgeber liegt, durch engen Aneinanderschluß ein Gegen gewicht gegen die immer mächtiger werdende Maurer- Organisation zu schaffen. * Berlin, 27. December. (DerNücktritt desGrafeu Zedlitz vom Posten des CultusministerS.) Die Er nennung des früheren CultusministerS v. Zedlitz u. Trützschler zum Oberpräsidenten von Hessen-Nassau veranlaßt die „D. Volksw. Corr." der allgemein verbreiten Ansicht entgegen zu treten, daß der im März 1892 plötzlich und unerwartet er folgte Rücktritt deS Grafen von dem erst ein Jahr vorher übernommenen Amte des CultusministerS durch das Schicksal deS Schulgesetzes veranlaßt oder bedingt gewesen sei, das er dem Abgeordnetenbause vorgelegt hatte und gegen da- sich der bekannte „Sturm" erhob. Die „D V. C " glaubt besser unterrichtet zu sein und schreibt: „Am Tage vor dem Rücktritt des Grasen Zedlitz fand bei ihm ein parlamentarischer Bierabend statt, zu dem auch der Kaiser erschienen mar. Nach der allgemein verbreiteten und ge glaubten Version soll es bei diesem Bierabend zu Erörterungen über da- Schulgesetz gekommen sein, deren Ergebnis dahin zusammenzu fassen wäre, daß der „Sturm" den Zedlitz'schen Entwurf hinwcggefegt und deshalb der Cultusminister seinen Abschied erbeten hätte That fache ist jedoch, daß die Theilnehmer an jenem Bierabende vielleicht die am meisten Ueberraschte» waren, als am nächsten Tage kurz nach Mittag bekannt wurde, daß Graf Zedlitz zuriickgetrete» war. Tas Ueberraschtsein hatte guten Grund. Hatten doch Theilnehmer des Bierabends ain nächsten Morgen ihren politischen Freunden übereinstimmend berichtet, dort wäre eine Vereinbarung darüber erzielt worden. Was aus dem Zedlitz'- schen Entwurf ausgrschieden werden solle und müsse, um den „Sturm" zu beschwichtigen und den Rest deS Entwurfs Gesetz werden zu lassen. Hervorragende Parlamentarier waren an jenem Morgen überzeugt und machten daraus kein Hehl, daß der das Zustande kommen des Schulgesetzes verbürgende Compromiß am Abend vorher geschlossen, wenn auch außerparlamentarisch, so doch unter Um ständen, die seine Innehaltung nnd Durchführung zu verbürgen schienen. Trotzdem war Graf Zedlitz am nächsten Abende nicht mehr Minister! Sein Rücktritt muß also andere Ursachen haben. Damals sollte, um den alten Dom im Lustgarten abreißen zu können, mit dem Bau des Interims- Doms im Moubijoupark begonnen werden. Ter Plan für diesen Bau stand fest. Es fehlte nichts weiter als die unbedingt erforder- liche Genehmigung des Monarchen zum Fälle» der Bäume, welche im Monbijou-Garten dem Interims-Dome weichen mußten. Die Zeit drängte. Der Baumeister wandte sich schließlich an den Cultusminister, der gewissermaßen Bauherr war, und Graf Zedlitz ertheilte die Erlaubniß zum Fällen derBäume, weil der Bauplan selbst die allerhöchste Genehmigung gefunden hatte. Daraufhin war mit dem Fällen der Bäume begonnen worden, als an dem jenem Bierabend folgenden Morgen der Kaiser im Monbijou-Garten er schien, um sich persönlich durch den Augenschein zu überzeugen, ob rS wirklich nothwendig sei, alle die schönen alten Bäume der Axt zu überliefern, zu deren Fällung seine Genehmigung erbeten war. AIS sich herausstevte, daß mit der Arbeit des Fallens bereits ohne diese Genehmigung und zwar mit Ermächtigung deS Grafen Trützschler begonnen war, fuhr der Kaiser direct ins Eultus- Ministerium, hatte mit dem Grasen Zedlitz eine Unterredung, und in dieser oder unmittelbar darauf erbat Letzterer seinen Abschied, der, sofort bewilligt, schon in den ersten Nachmittagsstunden in Berliner politischen Kreisen bekannt wurde. Eine relativ kleine Ursache hätte also auch hier eine große Wirkung geübt, denn daß nach dem Rücktritte des Grafen Zedlitz sein Schulgesetzrntwurf trotz Charakterbilder russischer Selbstherrscher. Nachdruck verbeten. Mehr denn je sind die Augen der politisch denkenden Welt nach der wunderbaren Stadt an der Newa gerichtet und hängen an der Person des jugendlichen Zaren, der vor wenigen Jahren erst den Thron seiner Väter bestiegen hat, aber schon berufen ist, schicksalsschwere Entscheidungen zu treffen, von denen für Europa nicht nur, sondern für alle fünf Weltthrile Krieg und Frieden abhängen. Zweifellos sind es die jeweiligen internationalen Machtconstellationen und die Rücksicht auf die Staatsinteressen, welche in letzter Linie den Ausschlag geben, aber die russischen Herrscher sind von Michail Fedorowitsch bis auf Nicolaus II. Selbstherrscher im strengsten Sinne des Wortes geblieben, und so war immer und ist noch heute die Politik Rußlands die Politik des Zaren. Sein Wille war noch stets der ausschlaggebende, von seiner Be- urtheilung der Dinge, von seiner Geistesrichtung und vor Allem von seinem Charakter waren daher die Gestaltung der Verhältnisse im Innern des Landes und die Rolle Rußlands in der Weltgeschichte abhängig. Will man daher die neueste Geschichte unseres mächtigen Nachbar reiches verstehen und über den künftigen Gang derselben ein nicht völlig in der Luft schwebendes Prognostiken stellen, so wird man sich weit eingehender mit der Person, dem inneren Wesen der russischen Zaren befassen müssen, als es etwa der Geschichtsschreiber eines konstitutionellen Staates mit dem fürstlichen Repräsentanten desselben nöthig hätte. Von diesem Gesichtspuncte aus hat Professor Arthur Klein schmidt in Heidelberg sein soeben erschienenes Werk „Drei Jahr- bundertr russischer Geschichte" (Berlin, Verlag von Johanne» Räde: Stuhr'schc Buchhandlung) vornehmlich geschrieben, denn er läßt es sich, gestützt auf jahrelange strenge Forschungen und vorwiegend russische Quellen ganz besonders angelegen sein, das Charakterbild der achtzehn Herrscher, welche seit 1613 die Zügel der Regierung geführt, sorgfältig zu zeichnen, es scharf und lebendig aus ihrer Umgebung heraustreten zu lassen und mit dem Tiefblick des Psychologen die inneren Triebfedern des Thuns und Lassens aufzuweisen. Lassen wir uns von dem ausgezeichneten Portraitisten, der mit der Feder des Geschicht schreibers wie mit dem Pinsel des Historienmalers zu arbeiten versteht, wenigstens die Gestalten der letzten Kaiser vorführen, die dem Gedächtniß und dem Auge der Mitwelt am nächsten stehen und unser Interesse am lebhaftesten in Anspruch nehmen. Lange verweilt Kleinschmidt bei der edlen, sympathischen Er scheinung Alexander's II., des Zarbefreiers. „Werde ein Mensch auf dem Thron", hatte ihm ein Dichtermund bei seiner Geburt zugerufen, und er ist es geworden. Der Grundzug im Charakter Alexander's war die Milde, seine großen schönen Augen strahlten Güte aus, aber eine gewisse Melancholie hatte sich seit Jahren über seine Züge gelagert und manchmal brach ein Ausdruck der Bitterkeit über den Undank, der ihm begegnete, von seinen Lippen. Hat doch kaum ein zweiter Herrscher dergestalt den Beweis liefern müssen, daß alle Güte und Milde das Ver brechen nicht zurückhält, wie der Zar-Befreier. Wie viele Atten tate sind während seiner 26jährigen Negierungszeit auf ihn verübt worden! Ist er einem solchen doch zuletzt auch zum Opfer gefallen! Und wie viel Kummer und Jammer mußte er erleben! Sein Thronfolger, Nicolai Alexandrowitsch, sein Ebenbild, ein vorzüglich beanlagter und allgemein beliebter Prinz von liberaler Färbung, den er zum Vollstrecker all des Guten ausersah, das ihm zu vollführen nicht mehr bestimmt sei, erlag als Bräutigam der Prinzessin Dagmar von Dänemark der Aus zehrung; es war ein furchtbarer Schlag für die zärtlichsten Eltern. Wie sein Vater, hatte Alexander einen ausgesprochenen Sinn für Freundschaft. Der freundschaftlichste Verkehr verband ihn mit den Verwandten in Berlin, Darmstadt, Stuttgart, Weimar rc.; besonders liebte er den Aufenthalt in Jugenheim bei seinem Schwager, dem Prinzen Alexander von Hessen, in Rußland weilte er mit Vorliebe auf Livadia, seinem herrlichen Lustschlosse in der Krim. Es gab keinen liebenswürdigeren und freundlicheren Hausherrn als Alexander, und an seinem Hofe mochte Mancher nahezu vergessen, daß ihm der unumschränkte Herr eines Riesenreiches gegenüberstand. Ohne seiner Würde jemals zu entrathen, kehrt Alexander den Menschen so heraus, sein treues Herz, sein warmes Gefühl kamen so offen zur Geltung, daß es Jeden anheimelte. Der Thronerbe eines deutschen Mittelstaates fand die kleinen Cirkel des Winterpalais weit weniger steif und ceremoniell, als die bei ihm zu Hause. Alexander war ein guter, aber kein starker Charakter, ließ sich leicht lenken und hörte auf vielerlei Rathschläge; gewöhnlich folgte er dann am letzten, und daß seine Rathgeber häufig unklug oder unwürdig handelten, war kein Wunder. Wenn man aber dem Kaiser wiederholt vorgeworfen hat, er habe mit seinen liberalen Ideen und Reformen die Geister nur erregt, sie aber nicht be friedigt, er habe vom Despotismus nur so viel nachgelassen, daß dadurch eine unruhige Neuerungssucht erzielt wurde, er habe ein Drängen nach Reformen wachgerufen, vor dem er selbst wie Goethe's Zauberlehrling erschreckt zurllckgewichen sei, und er sei frühe im Reformiren ermüdet, um drohende Elemente nicht zu entfesseln, so steht dem entgegen, daß seine reformatorische Thätigkeit keineswegs mit der Aufhebung der Sklaverei, dem herrlichen Werke, endete, das ihn an Lincoln's Seite stellt, der gleichfalls von Landsleuten ermordet wurde, daß sie vielmehr, wenn auch mit Unterbrechungen und Schwankungen, fortdauerte, und daß er in seinen Wohlthaten nie ermüdete. Gewiß hat er manchmal geirrt, hat sich eigensinnig geweigert, eine wirklich strenge Lontrole der Verwaltung eintreten zu lassen, hat sich zuweilen schwach und energielos gezeigt, meist aber trug er keine Schuld an den Dingen; er war vielleicht der mildeste Herrscher, den Rußland je gehabt hat, war voll der edelsten Absichten und seine Devise war: „Licht, Recht und Freiheit!"; aber seine Concessionen erschienen den Unersättlichen ungenügend, den Reaktionären revolutionär, die Unzufriedenheit hörte nicht auf, sein hoher Wille fand oft ein niederes Geschlecht. Politische Gründe entfremdeten ihn mitunter seinem Thron folger Alexander III.; dieser machte es, wie Thronfolger häufig thun, er frondirte gegen den Vater, kokettirte mit den Nationalen, ja selbst mit den Schreiern nach einer Verfassung, erweckte bei Panslawisten und Orthodoxen große Hoffnungen, konnte aber nicht recht populär werden; er war nicht zum Throne geboren und seine Erziehung wies daher Lücken auf, die sich nie schlossen, aber ihm eigneten großer Fleiß und eine rühmliche Gewissenhaftigkeit: Er sah mit Abscheu auf die allgemeine Be stechlichkeit, auf die unreinen Hände, die selbst in der kaiserlichen Familie zu finden waren, und gedachte mit Ekel der Er fahrungen im Kriege von 1877/1878 und des Wortes seines V-rters: „Ich fürchte, in dieser sauberen Gesellschaft sind wir Beide die einzigen Ehrlichen!" Welch grauenhafte Thronbesteigung war Alexander III. be- schieden! Was die Erfahrungen eines langen Lebens, was die gründlichste und umfassendste Erziehung zum Herrscherberufe nicht bewirkt hätten, that der eine Moment, als Alexander Alexandrowitsch vor der zerfetzten Leiche des Mannes stand, der ihm Vater gewesen und den er manchmal für einen Demokraten und Demagogen gehalten, weil er liberal gedacht hatte. Jetzt war es aus mit dem eigenen Kokettiren mit den Gegnern der Krongewalt, jetzt war er Selbstherrscher und wollte Rächer des entsetzlichen Verbrechens werden. Rußland erwartete eine Reform an Haupt und Gliedern, eine Verfassung, aber diese Hoffnungen sollten sehr bald zerrinnen. Alexander III. gab sich das Wort, ein» Verfassung oder verfassungsähnliche Zustände niemals zu
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite