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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.12.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981229017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898122901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898122901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-29
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I» bar HanptqpHttüm oder tz« 1» Ttoitt» Leztrl mch d«a Vororten «rrichtet« A»«- aavestrllea «bgeholt: vierteljährlich^4^0, bet zweimaliger täglicher Zostelloag in« Laus b^O. Durch die Post bezöge» für Drutschland «ud Oesterreich: vierteliahrlich >i . Direkte täglich« Kreuzbandirsdua« tu» Ausland: moaatlich 7.b0. Di« Morgen-AvSgabe erscheint um '/,? Uhr. di« Abend-Au-gabe Wochentag» um b Uhr. Ne-action und Lrvedilio»: AohauueSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet »vn früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. »o—c>» Filialin: Dtt» Klemms Lorti». (Rkfreff Hahn), Universität-straff« S (Paulinus), «aut» LSsche. Katbarinenstr. I». -art. and KSAgtplatz 7- 658. Morgen-Ausgabe. MpMer TagMM Anzeiger. Amtsölatt des ÄönigNchen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Polizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Donnerstag den 29. December 1898, -lvreiaen-Prei- bie 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter dem RedactionSsttich (4g«« spalten) 50>,z. vor den Familiennachrichtr» (6 gespalten) 40^. Gröbere Schriften laut unserem Preis» ve^zeichniß. Tabellarischer und Ziffer»)«» nach höherem Torff. ikrtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbesörderung >l vO.—, mit Postbeförderung .4i 70.—. —*^»GOG- Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-An-gabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag» 4 UHL Lei den Filialen und Annabmestrllen je eint halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an d-« Em»edtti»» zu richten. Druck a«ch Verlag vou L. Polz iu Leipzig. S2. Jahrgang. Der Zar und -er Papst. v.8. Im politischen Leben Europas zieht es im Grunde wenige Faktoren, die in einem derartigen Gegensätze zu einander stehen, Ivie das russische Kaiserthum und das Papstthum. Beide streben die Weltherrschaft an, beide verkörpern verschiedene Principien und beide standen lange in erbittertem Kampfe zu einander. Seitdem aber Cardinal Pecci als Leo XIII. den apostolischen Stuhl bestiegen hat, griff eine eigenthümliche Wandlung in dem Berhältniß zwischen Rußland und der Kurie Platz. Der gegen wärtige Papst hat schon bald, nachdem er die Regierung an getreten, den deutlichen Wunsch an den Tag gelegt, das Ver- hältniß zu Rußland freundlicher zu gestalten. Er ließ die jahrelangen Bedrückungen der Katholiken unbeachtet, er fand nicht- zu tadeln an den Maßnahmen PobjedonoSzew's, der Evangelische und Katholiken in gleichem Maße verfolgte und strafte, und schien die Geschichte vergessen zu haben, die zahllose Beispiele der Feindschaft kennt, welche seit Jahrhunderten zwischen dem Papstthum und Moskau, dem sogenannten „dritten" Rom, besteht. Wo er nur konnte, zeigte Leo XIII. dem Zaren Ent gegenkommen, räumte geschickt alles Kritische aus dem Wege und vermied, was zu Verstimmungen Anlaß bieten konnte. Lange hat Niemand an die Möglichkeit einer Annäherung zwischen Papst und Zaren im Ernste geglaubt. Da erfolgte auf ein Mal die Entsendung des Kammerherrn und Staatsrathes Iswolski als außerordentlichen Gesandten an den päpstlichen Hof. Damit hatte der Zar zum ersten Mal dem Papst gegenüber eine freundliche Gesinnung bekundet, und die Möglichkeit einer politischen Annäherung wurde alsbald ins Auge gefaßt. Vor läufig allerdings war es nicht zu spüren, daß die Lage der Katholiken im Zarenreiche gebessert würde. Im Gegentheil! Das Abkommen, welches Iswolski und Rampolla über ver schiedene kirchliche Fragen schlossen, enthielt nicht das mindeste Zugeständniß Rußlands, und die Polen und Katholiken schienen mehr als zuvor ausschließlich der Willkür der russischen Re gierung preisgegeben. Entschiedene Fortschritte aber machte die vatikanische Politik, alsNikolaus II. den Thron bestieg. Man begann, wenigstens scheinbar, die Idee des Papstes, die Vereinigung beider Kirchrv herbeizuführen, selbst in den Kreisen der Regierung zu be günstigen. Auch ist es durchaus nicht nachgewiesen, daß die Aussöhnungsbestrebungen gegenüber den Polen nicht gerade von der römischen Curie veranlaßt worden sind. Die erste Zeit war die Lage unter Nikolaus II. gleichwohl unverändert, und den Versuchen, die Polen Rußland zu nähern, folgte bald die Periode, in welcher die Rückkehr zu den Traditionen des Zaren Alexander's III. Rcgierungsgrundsatz schien. Auch heute herrscht offenbar die Strömung in Petersburg, welche die Polen durch Strenge zu loyalen Unterkhanen machen will. Nun wird aber seit Kurzem ein Gerücht verbreitet, welches den Beziehungen zwischen Rußland und der Curie eine völlig veränderte Richtung geben und auch auf das Verhältniß zu den Polen und Katholiken im Gebiete des Reiches einwirken würde. Es heißt, der Papst habe sich entschlossen, eine Nuntiatur in Petersburg zu errichten, und der Kaiser Nikolaus sei im Princip mit der Sache einverstanden. Ist die Zustimmung des Zaren thatsächlich erfolgt, so wäre das eine Errungenschaft für Rom, deren Bedeutung sofort in die Augen springt. Wie ganz anders kann die Curie wirken, wenn ein von Rußland unabhängiger Cardinal als Vertreter des Papstes an der Newa residirt. Be wahrheitet sich daS Gerücht, so werden die Katholiken von nun an einen wirksamen Schutz genießen und jedenfalls nicht in dem Maße wie früher, den Bedrückungen PobjedonoSzew's und des berüchtigten „Departements" im Ministerium des Innern aus gesetzt sein. Das letztere, welches die sämmtlichen sogenannten „fremden BekenntMe" unter sich hat und sich stets durch Rück sichtslosigkeit ausgezeichnet hat, wird sich vielleicht an den An gehörigen des Protestantismus schadlos hakten dürfen. Eine Nuntiatur in der russischen Hauptstadt würde aber nicht nur die Lage des Katholicismus und der evangelischen Kirche, sowie der zahlreichen nicht orthodoxen Glaubensgemeinschaften hervor ragend beeinflussen. Die Stellung des Polent hu ms würde von Grund aus geändert, ja, hat sich der Zar bereit erklärt, den Abgesandten des Papstes bei sich zu empfangen, so ist die Annahme durchaus wahr scheinlich, daß neue Strömungen in der Polenpolitik ihn zu dem bedeutsamen Entschlüsse vermöchten. Das würde aber keineswegs ohne jede Einwirkung auf die politische Lage bleiben können. Ist es ferner wahr, daß ein französischer Prälat, der Erzbischof von Paris, als Erster dem Minister Grafen Murawjew den Wunsch des Papstes offenbarte, so gewinnt man einen neuen und auffallenden Ausblick, der allmählich noch mehr erweitert werden muß.*) Wir wollen einstweilen die volle Bestätigung der Kund« ab warten, nach welcher die weitere Annäherung des Papstes an den Zaren sich vollzogen hat. Aber schon diese Meldung ist derart bezeichnend, sie signalisirt eine Fülle von Ereignissen und würde, sobald sie zur That geworden, ganz neue Kombinationen auf politischem Gebiete nach sich ziehen, so daß sie die Beachtung weitester Kreise wohl verdient. *) Die französischen Bemübungen um da» Zustandekommen eines freundschaftlicheren Verhältnisse» zwischen Zar und Papst legen die Bermuthung nahe, daß es sich um eine neue Action in der Orten,»ProtectoratSfrage, um einen gemeinsamen Schachzug Frank reichs, deS Vatikans und Rußlands gegen den durch die Jerusalem fahrt Kaiser Wilhelm's gehobenen Einfluß Deutschlands im Orient handelt. Dauernde Erfolge wird der neue unnatürliche Dreibund freilich nicht erzielen, denn der Zar und der Papst sind, was den Schutz der Christen im Orient betrifft, selbst eifersüchtige Concurrenten, und eine durch die Annäherung an den Vatican bedingte mildere Polen- Politik würde noch allen bisherigen Erfahrungen nicht lange vor halten. Ein Rückfall in die traditionelle Gewaltpolitik müßte aber die „Freundschaft" zwischen Zar und Papst sehr bald wieder erkalten mache». Anm. d. Redaktion. Die Entwickelung der deutschen Seemacht im Jahre 1-W Hs. Das jetzt zu Ende gehende Jahr 1898 ist für die Ent wickelung der deutschen Seemacht und dadurch für die Zukunft unseres Volkes von größter Bedeutung gewesen. Während seiner Dauer haben die bereits früher hervorgetretenen Bestrebungen der von der Nothwendigkeit einer mächtigeren Flotte für das stark bevölkerte, handelskräftige Deutschland überzeugten Männer zum guten Ziel geführt. Die Mehrheit unseres Voltes und des Reichs tages haben die Nothwendigkeit, daß Deutschland mehr als bisher zur See gelten müsse, eingesehen. Am 10. April konnte das den Sollbestand der deutschen Flotte und die Maßnahmen zur Er reichung desselben bis zum 1. April 1904 feststellende Flottengesetz verkündet werden. Der politische Gewinn dieser Errungenschaft wird sich später fühlbar machen; zur Zeit ist aber schon unserer Industrie und unserem Schiffbau ein schönes Feld sicherer Thätigkeit in dem stetigen Ausbau unserer Flotte eröffnet worden. Die vor dem Inkrafttreten des Flottengesetzes begonnenen Bauten sind in diesem Jahre theils beendet, theils weitergeführt worden. Am weitesten von den größeren Schiffen ist der große Kreuzer „Herth a" gefördert worden, der nach Erledigung von Probefahrten bereits ins Ausland entsendet ist. Vom Stapel gelaufen sind die Kanonenboote „Iltis" und „Jaguar", der große Kreuzer „Hansa" und der kleine Kreuzer „Gazelle". Zu Probefahrten bereit oder fast bereit sind die großen Kreuzer „Hans a", „Victoria Luise", „Freya" und „Vinet a". Probefahrten machen jetzt am Ende des Jahres das Linienschiff „Kaiser Friedrich III.", „Gazelle" und „Ilti s". Der Ausbau des bereits schwimmenden Linien schiffes „Kaiser Wilhelm II." und des Panzerkreuzers „Fürst Bismarck", der Umbau der älteren Linienschiffe „Sachsen" und „Württemberg", sowie der Bau des noch auf Stapel stehenden Linienschiffes „Ersatz König Wilhel m", werden energisch fortgeführt. Außerdem sind noch im Bau die beiden Kanonenboote „Ersatz Wolf" und „Ersatz Habicht", sowie Torpedofahrzeuge. Von den nach den Festsetzungen deS Flottengesetzes be gonnenen Neubauten stehen auf Stapel das Linienschiff bei Schichau in Danzig, L bei Blohm L Voß in Hamburg, der Panzerkreuzer auf der kaiserlichen Werft zu Kiel, der k l e i n e K r e u z e r auf der Germania-Werft zu Kiel, L bei der Aktiengesellschaft Weser zu Bremen. Der Dien st desl. Geschwadersund der Küsten- panzerschiffe verlief ähnlich wie in den Vorjahren. An Auslandshäfen haben diese Schiffe nur einige britische, dänisch« und skandinavische Häfen berührt. Ebenso verlief die Thätigkeit der Artillerie-Torpedo-Minen- und der See- cadetten- und Schiffsjungen - Schulschiffe. Entsprechend der größeren Zahl der Cadetten und Schiffsjungen, ist in diesem Jahre ein fünftes Schulschiff, die frühere Kreuzercorvette „Sophie", hinzugetreten. Zur Zeit befinden sich die fünf Cadetten- und Schiffsjungcn-Schulschiffe im Aus lande in den wärmeren Gegenden des nord- und südatlantischen Oceans. Außergewöhnlich war die Reise der Kaiseryacht „H ohenzol lern", der „Hertha" und „He la" vom September bis Anfang December bei Gelegenheit der Fahrt des Kaiserpaares nach Palästina. „Hertha" ist in Genua geblieben, woselbst einige Veränderungen an der Ventilation des neuen Schiffes vorgenommen werden. Dann geht der große Kreuzer nach Ostasien und löst den heimbefohlenen alten kleinen Kreuzer „Arcona" im Kreuzergeschwader ab. Von den den A u s l a n d s d i e n st leistenden Schiffen war in diesem Jahre die größte Zahl in Ostasien in Thätigkeit. Don dem Kreuzergeschwader dort unter Befehl des Vice admirals von Diederichs besteht die I. Division aus den Schiffen „Kaiser", „Irene", „Prinzeß Wilhelm" und „Arcona" (später tritt dafür „Hertha" ein). Die zweite unter Seiner Königlichen Hoheit Prinz Heinrich stehende Division wird von „Deutschland", „Kaiserin Augusta" und „Gefio n" gebildet. Stationirt in Ostasien ist der kleine Kreuzer „Cormoran". Auf der australischen Station sind „Falke", „Bussard" und das Vermessungsschiff „Möwe", in Ostafrika „Schwalbe" und „Condor", in West afrika „Wolf" und „Habicht", in den amerika nischen Gewässern „Geie r" und in K o n st a n t i n o p e l das Fahrzeug „Loreley" verblieben. Größere Unglllcksfälle sind in diesem Jahre nicht vorgekommen. Das während der Herbstmanöver in der Nacht zum 1. September in Folge von Leckwerden bei Fehmarn ge sunkene Torpedoboot ist wieder gehoben worden. Sonst hat die Marine durch den am 6. November erfolgten Tod ihres Chef konstrukteurs, des Wirklichen Geheimen Admiralitätsrathes Professor Dietrich, einen schweren Verlust erlitten. Von den nicht mehr activen Flffggofficieren sind in diesem Jahre die drei Vice-Admirale z. D. Klatt, Berger und Bätsch verstorben. Deutsches Reich. 4f Berlin, 28. December. (Unfall-, Invaliden- und Altersrenten.) Nach der dem Reichstage vorliegenden Nachweisung der Rechnungsergebnisse der Berufsgenoffen- sckaften haben bereits im Jahre 1897 über 500 000 Personen auf Grunv der Unfallversicherungsgesetze Renten u. s. w. be zogen. In der letzten Zeit bat die Zahl dieser Personen von Jahr zu Jahr um etwa 60 000 zugenommen, so daß man nicht fehlgeben wird, wenn man sie für daS Jahr 1898 au über 550 000 schätzt. Auch die Zahl der auf Grund des Jnvaliditäts- und AlterSvcrsicherungsgesetzes zu zahlenden Renten läßt sich für den Ausgang de» JabreS 1898 auf Grund der vorhandenen Zahlen einigermaßen übersehen. Am 1. Oktober 1898 liefen nach den amtlichen Veröffentlichungen 454 739 In validen- und Altersrenten. Wenn auch in dem seitdem nahezu verflossenen Vierteljahr die Altersrentenzahl sich noch etwas vermindert haben sollte, so ist doch mit Sicherheit anzunehmen, daß bei den Invalidenrenten das Gegentheil der Fall ge wesen sein wirb. Es ist also mehr als wahrscheinlich, daß die Zahl der Invaliden- und Altersrenten sich Ende 1898 auf über 450 000 beläuft. Ueberblickcn wir danach dir Zahl der auf Grund beider Gesetze aus den Fonds der Berufs- genoffenschasten und der Versicherungsanstalten unter Beihilfe des ReickS gezahlten Renten, so ergiebt sich die Thatsache, daß im deutschen Reiche während des JabreS 1898 die erste Million solcher Rentner erreicht worden ist. Diese That sache giebt neben der schon früher beobachteten, daß für die Kosten der staatlichen Arbeiterversicherung in Deutschland täglich etwa eine Million Mark aufzubringen ist, ein treffendes Bild von dem Umfange dieses Zweiges der heimischen Socialpolitik. A Berlin, 28. December. (Disciplinarstrafen und gesetzliche Strafen.) Die neue Gefängnißordnung setzt als zulässige Disciplinarstrafen fest: Entziehung der Be wegung im Freien, Entziehung deS BettlagerS, Kostschmälerunz und einsame Einsperrung; selbstverständlich sind für alle diese Strafmittel bestimmte Fristen ihrer längsten Dauer angegeben. ES wird sich von keiner Seite Widerspruch gegen die An wendung dieser Strafmittel gegenüber renitenten Gefangenen erheben, aber eS fragt sich, ob nicht derartige Straf mittel ebensogut, wie sie von der Strafvollstreckungs behörde verfügt werden können, auch von dem erkennenden Gerichte als ein Theil der Strafe festgesetzt werden können. ES ist doch sehr fraglich, ob nickt Jemand, der eine Missethat mit besonderer Rohheit, Grausamkeit oder Raffinirtheit aus geführt hat, oder der gewisse Arten von Delicten immer wieder begeht, eher eine Verschärfung der Freiheitsstrafe ver dient, als eine im Gefängnisse befindliche Person, deren Straftbat vielleicht gar nicht so bedenklich war, die sich aber im Jähzorn zu irgend einer schwereren Ungebühr hinreißen ließ. Wenn die die Freiheitsstrafe verschärfenden Straf mittel lediglich in die Hände der VollstrcckungSbebörde gelegt sind, so erhält diese über daS erkennende Gericht ein Uebergewicht, das sachlich nickt gerechtfertigt ist. Denn für die Behandlung eines Gefangenen sollten die Motive und die Art der Ausführung seiner Tbat mehr ins Gewicht fallen, als sein Benehmen während der Verbüßung der Strase. ES giebt feige und hinterlistige Verbrecher, die sich im Gefängnisse lammfromm benehmen, um bald nach ihrer Entlassung wieder dieselben Rohheitsdelikte zu begeben. Es soll nicht gesagt werden, daß die VollstreckungSbebörde über die StrasschärfungSmittel nicht verfügen dürfe, sondern eS soll nur gesagt werden, daß daS erkennende Gericht über derartige Mittel auch sollte ver fügen können. ES würde damit zugleich dem Gerichte die Möglichkeit einer individuelleren, dem einzelne» Falle besser angepaßlcn Art der Bestrafung gegeben werden. Wer einen einfachen Diebstahl begangen hat, erhält ebenso Gefäng- niß, wie der, der auf die raffinirteste Weise arme einfältige Leute um ihr Bißcken Hab und Gut beschwindelt hat, und wie der Raufbold, der Nachts harmlose Passanten überfällt; in dem einen Falle werden eS vielleicht 3 Monate Gefängniß sein, in den anderen Fällen 9 Monate oder ein Jahr, aber die Art der Bestrafung ist immer die selbe. Dazu kommt noch, daß mit den langfristigen Ge- fängnißstrafen nicht einmal etwas gewonnen wird, denn darüber, daß eine lang dauernde Strafe eher schadet als nützt, sind fick die meisten Praktiker einig. Es ist ja auch ganz klar, daß Jemand, der zuerst die Entziehung der Freiheit als ein schweres Uebel empfindet, durch eine lang dauernde Strafe immer mehr abgestumpft wird. Deshalb muß die Losung sein: kurze Strafen und, wo besondere Rohheit oder Gemeinheit der Gesinnung der Tbat zu Grunde liegt, zugleich strenge Strafen. Selbstverständlich würde, wie eS ;a auch bei Len Disciplinar- strafen der Fall ist, bei der Durchführung des neben der Ge- FrrrNletoir. Der Dozenpalak zu Venedig. Aus Venedig wird uns von unserem Mitbürger, dem königl. sächs. Baurath und Stadtrath vr. Arwed Roßbach, geschrieben: „Seit einiger Zeit ziehen durch deutsch« Zeitungen Nachrichten über angeblich schwere bauliche Schäden am Dogenpalast zu Venedig und da ihnen — gleichsam als wollte man sie dadurch noch interessanter machen — Andeutungen beigefügt waren, nach welchen die für die fortlaufende Instandhaltung des kalarLo ckucalo bestimmten Gelder nicht gehörige Verwendung fänden — vermögen solche Nachrichten wohl die Gebildeten aller Nationen mit Sorge um diesen Prachtbau zu erfüllen, der herrlich und würdig wie kein anderer der zauberhaften Jnselstadt die einstige aristokratische Republik repräsentirt. Begreiflicherweise bewegt diese Angelegenheit ganz Venedig in hohem Maße — umsomehr, al» soeben der angesehene Mailänder Architekt Cavaliere Boito im speciellen Auftrage des Unterrichtsministers Guido Baccelli hier verweilte, um di« Ursachen der beängstigenden Ge rücht« über drn nahe bevorstehenden Einsturz des östlichen, nach dem Rio della Canonica zu gelegenen BautheileS, zu erforschen und dessen sachverständigem Urtheile man nun mit Spannung entgegensieht. Gleicherweise erfüllte auch mich dies Borkommniß mit leb haftem Interesse und mein, dem Direttor« dell' Ufficio regionale, Sign. Cavaliere Frderiev Berchet, zu erkennen ge gebener Wunsch, nähere Kenntniß vom thatsächlichen Zustand des Palastes zu erhalten, wurde in liebenswürdiger Weis« und unter Darlegung aller auf die Verwaltung der National-Monumente Venedig» bezüglichen Einrichtungen und geschäftlichen Behand lungen entsprochen. Hiernach ist die Summe der Eintrittsgelder zum Palazzo Durale, zuzüglich einer gouvernalen Dotation von 9000 Lire und abzüglich einer Einkommensteuer von 4000 Lire, zur baulichen Unterhaltung sämmtlicher National-Monumente Venedigs und einschließlich der Villa nationale di Jtra zu ver wenden. Im Budget für 1898/99 sind die Einnahmen des Dogenpalastes mit 65 763 Lire beziffert und es ergiebt sich, unter Berücksichtigung obiger Zu- und Abzüge, die Totalsumme von 70 763 Lire zur Instandhaltung aller hiesigen National- Monumente, von der nun aber specielk für den Dogenpalast 47 926 Lire eingestellt und verbaut sind, worüber mir Abrechnung, soweit sie z. Z. erfolgt sein kann, vorlag. In den letzten sechs Jahren wurden jährlich durchschnittlich 42 096 Lire — in Summa 252 670 Lire für die bauliche Instandhaltung des Palastes aufgewendet. Zeigt der mir unterbreitete Rechnungsnachweis über die Auf wendungen seit 1893—98, mit welcher Sorgfalt jeder einzelne Raum und jeder Bautheil behandelt worden ist, so darf dieser Befund, in Verbindung mit dem weiter zu behandelnden bau lichen Zustand als Beweis dafür angesehen werden, daß jene Gerüchte von nicht gehöriger Verwendung öffentlicher Gelder auf unqualificirbaren Machinationen bureaukratischer Rivalität beruhen. Wem aber die hier zur Verwendung kommenden Summen, im Verhältniß zur Größe und Vielgestaltigkeit des Bauwerke-, zu gering erscheinen, der möge bedenken, welch« Fülle von edlen National-Monumenten Italien zu erhalten hat und wie selten man doch vernachlässigten Vermächtnissen mächtiger Epochen dieses Kunstgebietes begegnet. In dieser Beziehung bietet Italien ein nicht genug zu be achtendes und dankenSwerthes Vorbild für andere Staaten, denen in dieser Beziehung noch manches zu thun verbleibt. Die eingehende — ich darf wohl sagen — sachverständige, vom reinsten Interesse dictirte und frei von jeder Vor eingenommenheit erfolgte Besichtigung und Untersuchung der beängstigend aufgebauschtrn Defekte hat mich davon überzeugt, daß die bestehenden Defrcte auf naturgemäße Bewegungen zurück zuführen sind, die das Schicksal vieler alter Bauwerke bilden, dessen sachverständige und hingebende Behandlung jedoch die Dauer des Objectes immer wieder neu zu beleben vermag — wobei natürlich bureaukratischer Eigensinn und irrationeller Ge schäftsgang ausgeschlossen sein muß. Daß an diesem Juwel der Baukunst Verstöße gegen die gebotene Vorsorge vorgekommen wären, läßt der derzeitige Zu stand nicht erkennen — vorzüglich aber ist an die übermäßige Belastung einzelner Bautheile durch die Bibliothek und archäolo gischen Schätze meines Erachtens nicht zu denken, denn dieselben sind in sachgemäßer Weise entlang gut fundirter Schridemauern und in minder reichlichen Massen inmitten der Räume auf gestellt. Da übrigens die Ueberfllhrung der Bibliothek in das von Sansovino eigens für die berühmte Sammlung des Cardinal Brffarion geschaffene und erst 1812 dem königlichen Palaste zu- getheilte herrliche Gebäude an der Piazetta beschlossene Sache ist, so wird auch dieser Grund für fernere Befürchtungen hin fällig. Beiläufig gesagt dürfte diese Veränderung den Gelehrten und besonders den deutschen eine willkommene Nachricht sein, die sich alljährlich zur Winterszeit ihrer Studien halber ein zufinden pflegen und in den sonnenlosen bisherigen Räumen der Bibliothek viel von der Kälte zu leiden hatten. Die sonnige Zecca wird sicher weit hellere, behaglichere und würdigere Räume für die weltberühmten Sammlungen darbieten. Sollte nicht der lebhafte Wunsch nach dieser nur mit Freud« zu begrüßenden Wiederherstellung des einstigen Zustandes — der Vater jener Alarmrufe geworden sein? Ob nicht ein gut Theil der an der von Antonio Riccio 1485 begonnenen Ostfa<:ade des Hofes zu beobachtenden Deformationen der Parterre-Arkadenböden auf die mastwerkartigen runden Oeffnungrn über den Schlußsteinen zurückzuführen ist, sei hier nur angedeutet; leicht wäre der Versuch, den Schlußsteinen durch Vermauerung jener kreisrunden Oefsnunge« — natürlich so, daß die vom Architekten gewollte Auflösung der Massen nicht gestört wird — mehr Kraft zu verleihen. Doch nicht auf diese Stelle beziehen sich die dunklen Gerüchte von drohender Gefahr, sondern in der Hauptsache wohl auf diejenige, an der vor einigen Jahren eine Parterremauer beseitigt und durch neues Mauerwerk ersetzt werden mußte — eine Reparatur, die trotz großer Vorsicht kleine Senkungen und Risse in den oberen Baumassen — auch noch nach Jahren — im Gefolge haben kann. Vor morsch gewordenen Balkenköpfen verhüllt die Muse ihr Antlitz — sie sind die Gespenster alter Bauwerke —, doch auch ihre Mahnungen weiß sachverständige Vorsorge zu verscheuchen! Nach alledem haben mich, wie schon oben angedeutet, meine Wahrnehmungen zu der sicheren Annahme geführt, daß sich der Dogenpalast keinesfalls in einem bedenklichen baulickM Zustand befindet, wenigstens nicht in einem solchen, der nicht in der Eigenart der hier gebotenen Fundamentirungen beruhte und an den meisten hiesigen alten und neueren Gebäuden naturgemäß bemerkbar wird. So glaube ich denn, Kunstverständigen und Kunstliebhabern, wie Allen, welche das unvergleichlich schöne Venedig lieben, die Zuversicht von Neuem befestigen zu können, daß der Doqenpalast, das ehrwürdige Zeichen einstiger Größe der Lagunenstadt, noch auf lange Zeit hinaus seinen mächtigen Zauber ausüben wird, und daß die Erhaltung der hiesigen Kunstdenkmäler der Regierung Italiens am Herzen liegt und hier in guten Händen ruht. Venedig, Hotel „Aurora", am sonnigen Weihnachten 1898. vr. Arwed Roßbach. Ein Diktator. i. Die Weltgeschichte besteht nicht nur au» großen Ereignissen, die wie erratische Blöcke auf der Ebene des täglichen Lebens liegen, sondern sie zeigt auch ein« gewisse Feinarbeit, verbindende und schmiedende Glieder, die ihr den feinen Schliff geben, der den Kenner der Geschichte so erfreut, der den Freund der Historie so gern die Kleinarbeit betrachten läßt. Hier kommen auch di« Charaktere zur Geltung, die, in ihrem Wesen nicht besser und nicht schlechter angelegt als die Helden der Weltgeschichte, nicht der breitesten Öffentlichkeit bekannt werden, deren Namen auf den Tafeln der Geschichte nur in kleinen Lettern eingezeichnet stehen, die aber dennoch als Rädchen oder Oel in das Getriebe der Maschine, Vie man Weltgeschichte nennt, paffen und noth- wendig sind, die ihren Posten ausfüllen, und die an ihren Posten gleich muchig und freudig -ihre Mission erfüllten, gerade so wie die Wenigen, dn oben auf den Zinnen stehen und di«, von allen
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