Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.12.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981207018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898120701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898120701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Image 14 u.15 doppelt vorhanden, Text schlecht lesbar
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-07
- Monat1898-12
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Dezttgs-Prel^ Ist h« Hauptrxpedition oder den im Statt» beiirk und den Vororten errichteten Aus- aavestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus 5^0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierleliäbrlich . Direct» tägliche Krenzbandiendung in- Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedartiorl und Expedition: JohanneSggfle 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filiale»; Dtt« Klemm'- Eortim. tAlfrest Hahn), Universitätsstraße 3 (Pauliniv), L-uiS Lösche, Katharinen str. 14, pari, und KSrigSplatz 7. «18. Morgen-Ausgabe. KiWM Tageblatt Anreiqen-PreiS die «gespaltene Petitzeile L0 Pfg. Reklamen unter dem Nedactionsstrich (4ge» spalten) 50.H, vor den Familiennachrichte« (6 gespalten) 40/^. Größere Cchristen laut unserem Preis- Verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernlag nach höherem Tarif. bxtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbesördernng 80.—, mit Postbesörderung 70.—. —< Anzeiger. Amtsökatt des LöttigNche« Land- nnd Äintsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Noüzei-Ämtes der Stadt Leipzig. Ännatimeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhc. Lei den Filialen und Annahmestellen je rin« halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an Exprditia» zu richten. Druck und Verlag von E. Polj in Leipzig Mittwoch den 7. December 1898. 92. Jahrgang. Fürst Bismarck's Gedanken und Erinnerungen. * vn. In Petersburg (Cap. 10) fand Bismarck die Stimmung Nicht ungünstig für Preußen. Zur Zeit des Kaisers Nikolaus war das anders gewesen. Dieser autokratischste aller Autokraten hatte mehr Sympathie für den jungen Kaiser von Oesterreich, der den Kampf gegen die Revolution mit Entschlossenheit auf nahm, als für Friedrich Wilhelm IV., der die in seiner Hand liegende militairische Kraft nicht zum Ruhen der monarchischen Institutionen zu verwenden wußte und der Revolution in Preußen recht eigentlich zum Siege verholfen hatte. In dem Bewußtsein, von Gott selbst zum Hüter des Monarchismus in Europa berufen zu sein, hatte er es für seine Pflicht gehalten, aikch ungebeten dem zerbrochenen österreichischen Staate zu Hilfe zu kommen, mit russischen Waffen die Autorität des Königthums in dem empörten Ungarn wieder hergestellt nnd solchen Dienst ohne jeden Eigennutz geleistet. Die gleiche uninteressirte Freund schaft hatte er Oesterreich in Olmütz gewahrt, wo nur unter russischem Zwange Preußen die demüthigende Rolle des Besiegten auf sich nehmen mußte. Aber er hatte dafür nur Undank ge erntet. Im Krimkrieg schloß Oesterreich sich an die Westmächte an und war nur durch Preußens Abneigung gegen den Krieg mit Rußland verhindert worden, sich activ daran zu betheiligen. In Petersburg war man über Oesterreichs Undank tief verstimmt, diese Verstimmung aber kam Herrn v. Bismarck zu Gute: er fand am Hofe Alexander's II. die freundlichste Aufnahme und benutzte das Vertrauen, das ihm entgegengebracht wurde, im Sinne der Wiederherstellung innigerer Beziehungen zwischen den beiden nahe verwandten Höfen. In der damalige^ Petersburger Gesell schaft ließen sich, wie Fürst Bismarck erzählt, drei Generationen unterscheiden. Die vornehmste, die europäisch und klassisch ge bildeten tlrrrncts Seizimm"? aus der Regierungszeit Alexander's I., vertreten durch Mentschilow, Woronzow, Bludow, Nesselrode und — nach Geist und Bildung — auch durch Gortschakow, war im Aussterben begriffen. Die zweite Gene ration, Zeit- und Gesinnungsgenoffen des Kaisers Nikolaus, pflegte sich in der Unterhaltung auf Hofangelegenheiten, Theater, Avancement und militairische Erlebnisse zu beschränken. Zu ihr gehörten der charaktervolle, höfliche und zuverlässige Orlow, die Grafen Adlerberg, Vater und Sohn, Graf Peter Schuwalow, Fürst Suworow, der Eisenbahngeneral Tschewkin und Baron Peter v. Meyendorff, der Gatte einer der liebenswürdigsten Frauen, einer Schwester des Grafen Buol, „die in noch höherem Grade als ihre Schwester, Frau v. Vrints in Frankfurt, den Beweis lieferte, daß in der gräflichen Familie Buol der erbliche Verstand ein Kunkellehn war". Die dritte Generation war die der jungen Herren, die ihre Stärke darin suchten, durch schlechte Manieren und durch eine gern zur Schau getragene Abneigung gegen deutsche, insbesondere preußische Elemente, zu imponiren, auf Fragen in deutscher Sprache gar nicht zu antworten und Civilisten gegenüber unter das Maß von Höflichkeit herabzugehen, welches sie in den Uniform oder Orden tragenden Kreisen unter einander beobachteten. Wie in einem früheren Capitel Uber das Straßenleben in Paris, so macht Fürst Bismarck auch über das Straßenleben in Petersburg Mittheilungen von allgemeinerem Interesse. Hier wie dort spielte der mon^ieur ckveorv eine wich tige Rolle; das Abzeichen irgend eines Ordens verschaffte dem Träger ein Ansehen, dessen Bethätigung er in der Behandlung erfuhr, die ihm von Passanten, Kutschern und Organen der öffentlichen Ordnung zu Theil wurde. „Schon zu Pferde, wenn in Civil und ohne Reitknecht, lief man Gefahr, von den durch ihr Costüm kenntlichen Kutschern der höheren Würdenträger wörtlich und thätlich angefahren zu werden, wenn man mit ihnen in un vermeidliche Berührung gerieth; und wer hinreichend Herr seines Pferdes war und eine Gerte in der Hand hatte, that Wohl, sich bei solchen Conflicten als gleichberechtigt mit dem Insassen des Wagens zu legitimiren." Auch im gesellschaftlichen Verkehre mit Mitgliedern der jüngeren Generation machte sich in Ton und Manieren ein Rückgang gegen die Zeiten Nikolaus' I. und Alexander's I. bemerkbar. In der dem Hofe nahestehenden Ge sellschaftsschicht war die antideutsche Gesinnung durch Gortscha kow vertreten, doch äußerte sie sich zur Zeit von Bismarck's Petersburger Gesandtschaft weniger stark als später, wo verletzte Eitelkeit und der Neid gegen den glücklicheren Kollegen Gortscha- kow's Wohlwollen für den jüngeren lernbegierigen Diplomaten in sein . Gegentheil verkehrt hatte. Fürst Bismarck läßt es dahin gestellt sein, ob diese Wandlung erst nach 1870 begann oder ob sie vor diesem Jahre schon vorhanden war und sich nur seiner Wahrnehmung entzog. Am ersteren Falle glaubt er als ein acht bares und für einen russischen Kanzler berechtigtes Motiv den Jrrthum der Berechnung in Anschlag bringen zu können, daß die Entfremdung zwischen Oesterreich und Preußen auch nach 1866 dauernd fortbestehen werde. An sich aber sieht Fürst Bis marck keinerlei Grund zur Feindschaft zwischen Deutschland und Rußland, und es liegt eine für unsere Diplomaten beherzigens- werthe Mahnung zu vorsichtiger Schonung der russischen Freund schaft in den Sätzen: „Es liegt nicht in unserem Interesse, Rußland in der Verwendung seiner überschüssigen Kräfte nach Osten hin hinderlich zu sein; wir sollen froh sein, wenn wir in unserer Lage und geschichtlichen Entwickelung in Europa Mächte finden, mit denen wir auf keine Art von Concurrenz der politi schen Interessen angewiesen sind, wie das zwischen uns und Ruß land bisher der Fall ist. Mit Frankreich werden wir Frieden haben, mitRußland nie die Noth- wendigkeit des Krieges, wenn nicht liberale Dummheiten oder dynastische Mißgriffe die Situation fälschen." An beiden hat es nicht gefehlt, um unser Verhältniß zu Rußland zu trüben; auf die liberale Dummheit der Unterstützung des Battenbergers aber ließ sich Fürst Bismarck wicht ein, und die in den ersten Jahren des neuen Kurses vorhandenen dynastischen Verstimmungen scheinen nach Capcivi's Rücktritt wieder ausgeglichen worden zu sein. Als üble Erinnerung daran nun ist die russisch-französische Verbrüderung geblieben — eine beständige Mahnung, daß wir nicht ungestraft von den Bahnen der Bismarck'schen Politik abweichen können. — Am russischen Hofe bekleidete Bismarck ganz die Stellung eines Familiengesandten; das äußerte sich auch in der Art, wie er in Sarskoe oder Peterhof ausgenommen ward, und nicht ohne Ver gnügungen wird man seine Erzählungen von der Gastfreiheit des Hofhalts lesen und von dem großfürstlichen eutant terridle, das Bismarck aufs Freundlichste begrüßte, sich aber weigerte, einem miteingeladenen russischen General gleiche Freundlichkeit zu erweisen, und nach dem Grunde der Weigerung gefragt, mit Bezug auf Bismarck antwortete: „Der ist lieb" (on wilü), mit Bezug auf den General: „Der stinkt" (on nouajet). Ernster stimmen, wegen der daraus zu erschließenden Korruption der höheren Gesellschaftsklassen, die Berichte von den Unterschleifen, die sich die Beamten des kaiserlichen Hofhalts zu Schulden kom men liehen, sowie von den unlauteren Mitteln, die die damalige russische Diplomatie anwendete, um hinter die Geheimnisse der anderen Mächte zu kommen. Auf wie tiefem Ni veau die sittlichen Anschauungen selbst in den führenden Kreisen standen, lehrt Alexander's I. naive Klage über seine deutschen Vettern, die in ihren Briefen an kaiserliche Fa milienglieder die russische Politik kritisirten, und die Briefe mit der Post schickten, damit ihre Grobheiten sicher zu seiner per sönlichen Kenntmß gelangten. Der Zar hielt es für sein unstreit- bareS Recht, jeden mit der russischen Post eingehenden Brief ohne Weiteres zu öffnen, um von dem Inhalte Kenntniß zu nehmen. In Oesterreich freilich, und im Postgebiet von Thurn und Taxis stand es zur damaligen Zeit nicht besser, und mancherlei Er fahrungen der letzten Jahre lassen den Verdacht nicht unbegründet erscheinen, daß auch jetzt noch nicht das Briefgeheimniß überall vor den Eingriffen der politischen Polizei so sicher ist, als die strengen gesetzlichen Bestimmungen zu seinem Schutze es erwarten lassen. Eine üble Erinnerung an Petersburg hat den Fürsten Bis marck begleitet bis an sein Lebensende. Im Juni 1859 zog er sich nach anhaltendem Reiten in einer überheizten Reitbahn einen Rheumatisnms in allen Gliedern zu, der sich zwar nach einiger Zeit wieder verlor, aber in dem durch einen Sturz in Schweden 1857 beschädigten linken Bein einen geringen Schmerz zurücklieb. Ein von der früheren Großherzogin von Baden empfohlener vr. Walz, rin ärztlicher Charlatan, der es durch Gunst vornehmer Gönner bis zu der Stellung eines Dirigenten sämmtlicher Kinderhospitäler in Petersburg gebracht hatte, beredete seinen Klienten zur Anwendung eines Pflasters, das den zur Herstellung spanischer Fliegen verwendeten Stoff in einer so starken Dosis enthielt, daß die fressende Wirkung des Giftes auch noch fort- dauerte, nachdem der Pseudo-Arzt die schwarze Pflastermasse aus der handgroßen Wunde durch Schaben mit einer metallischen Klinge zu entfernen versucht hatte. Um bei deutschen Aerzten Hilfe zu suchen, reiste Bismarck im Juli nach Berlin, von da nach Nauheim, wo ihn die Behandlung des Professors Benecke soweit herstellte, daß er gehen und reiten, im Oktober auch den Prinz Regenten nach Warschau zur Zusammenkunft mit dem Zaren begleiten konnte. Aber noch im selben Jahre trat der Tod nahe an ihn heran. Der Trombus, der sich in der zerstörten Vene gebildet und festgesetzt hatte, löste sich los, gerieth in den Blut umlauf und verursachte eine Lungenentzündung, die von den Aerzten für tödtlich gehalten, aber Dank der kräftigen Kon stitution Bismarck's in einem Monate langen Siechthum über wunden ward. Vom November 1859 bis März 1860 lag er krank in Hohendorf, von dem treuen Freund Below mit immer gleicher Liebe und Aufopferung gepflegt. In dieser Zeit regten der Fürst von Hohenzollern und Rudolf von Auerswald bei dem Regenten Bismarck's Ernennung zum Minister des Auswärtigen an. (Cap. 11: Zwischenzustand). Der Regent mochte sich der Anregung nicht entziehen, war aber, wie es scheint, schon vor der Erörterung der Frage entschlossen, sich von dem Schützling der Prinzessin, Herrn von Schleinitz, nichr zu trennen. Das Verhältniß zu Oesterreich bildete den Kern punkt der Unterhandlung, di« in einer Art von Conseil im Palais stattfand. Herr v. Bismarck, aufgefordert, sein Programm zu entwickeln, bezeichnete als schwächste Seite der preußischen Politik ihre Schwäch« gegen Oesterreich, von der sie seit Olmütz und be sonders in den letzten Jahren während der italienischen Krisis be herrscht gewesen sei. Man müsse Oesterreich zeigen, daß man den Bruch nicht fürchte, daß Preußen nöthigen Falles auch gegen Oesterreich Krieg führen werde, um seine Stellung in Deutschland in Einklang zu bringen mit seinen Interessen. In Men habe man sich auf der in Olmütz errungenen Basis als auf einer dauernden eingelebt und ganz vergessen, daß die Olmützer Con vention lediglich der Verzettelung der preußischen Cadres und dem Drucke der zu Gunsten Oesterreichs zur Geltung gebrachten russischen Macht zu verdanken gewesen sei. Preußen habe sich der österreichischen Politik in einer Weise unterworfen, welche an das Experiment erinnerte, ein Huhn durch einen Kreidestrich zu fesseln; wage Preußen, den Zauber des Kreidestrichs zu brechen, so werde Graf Buol die starke Stellung nicht fernerhin igno- riren können, in der sich Preußen thatsächlich befinde. Schleinitz antwortete in einem wohlvorbereiteten Vortrage, daß Friedrich Wilhelm III. in seinem Testament den engen Anschluß an Oester reich seinen Nachfolgern empfohlen habe, und schilderte beredt die Bedenken und Gefahren, die von Frankreich und im Innern drohten, wenn, trotz aller berechtigten Gründe zur Empfindlich keit, die Beziehungen zu Oesterreich nicht erhalten würden. In L-nilletsn. Im Circus. Skizze von Ernst Schaffer. Nachdruck vcrbotkn. Er hieß eigentlich Christoph und sie Käthe; doch Christoph und Käthe sind — das sieht alle Welt ein — keine Künstler namen; es fehlt ihnen der Schwung, und Circus-Künstler, denn von solchen handelt unsere Skizze, ohne Schwung sind ein Un ding, nicht Fisch noch Fleisch, ein Nonsens, wie sich die gelehrt thuende Menschheit auszudrücken pflegt. Christoph, der Clown, war zwar im Mecklenburgischen daheim, Käthe, die Grotesk-Reiterin, ein Berliner Vollblutkind, als sie jedoch beim alten Padrone ein Engagement sanden, er klärte er ihnen rund: „Sie, lieber Christoph, heißen von heute an Kitt, und Sie, liebe Käthe, werden sich gefälligst Miß Kitty nennen." Ehrlich zugestanden, stimmt alles Uebrige vollends zu den anglisirten Namen, denn Mr. Kitt bildete sich nach und nach zumpudelnärrichsten Clown heran, während Miß Kitty an Grazie und Tollkühnheit es mit der besten englischen Reiterin aufnehmen konnte. Wir sind im Circus. Die Clowns, welche in der Manöge eben allerlei Kapriolen producirten, wie Radfelgen sich schwindelnd rasch überschlugen, über die Köpfe einander Hinwegsprangen und dabei ein schier ohrenzerreißendes Geschrei ausstießen, amüsirten wie gewöhn lich das jugendliche, naive, für dergleichen noch empfängliche Publicum, die herzigen Kinderchen, welche mit glühend rothen Apfelgesichtern dasaßen und zum innigen Vergnügen ihrer Eltern jauchzend in die kleinen, runden, vollen Hände klatschten, wenn die drastisch geschmückten Clowns in den bunten Tricots die tollsten Schnurrpfeifereien zum Besten gaben. Was aber mag heute Mr. Kitt plagen? Da stand der mit grell bemalten Troddeln überreich ge schmückte Clown, hielt sich von der Gruppe seiner arbeitenden Berufsgenossen fern und blickte starr, selbstvergessen vor sich hin. Dabei fiel ihm der rothe Perrückenschopf, welcher an den anderen Clowns keck in die Luft ragte, schlaff in die hohe, schnee- oder kalkweiße Stirn hinein, über deren Puderschicht die magere Hand des zerstreuten Clowns öfters wie mechanisch fuhr. Die ernste Haltung des Manne» contrastirte so gewaltig mit seinem drolligen Aeußeren, daß schon darin eine gewisse selbstlose Komik lag. Da ertönte die Glock«. Da, Orchester stimmte einen Galopp an. Die Clowns, welche die Zwischenpause ausgefullt hatten, trollten sich hinaus und nur Mr. Kitt stand noch theilnahmslos in der Mitte der Manöge. Plötzlich schien er zu sich zu kommen. Es war, als erwachte er aus einem schweren Traum; er stieß einen schrillen Schrei hervor und mit einem mächtigen Salto mortale war er außerhalb der Barriöre. Stürmischer Applaus belohnte diesen Todessprung, doch kam der Clown nicht zurück, um für die reiche Beisallspende zu danken, er blieb durch die zu den Stallungen führende Thür verschwunden. Hier herrschte, während in der Manöge der Direktor ein Schulpferd vorführte, eine geschäftige Stille. In einer Art von Halbstock lagen die Garderoben der Mitwirkenden, im Parterre befanden sich die Stallungen, kleine Zettel an den einzelnen Thüren der Bretterverschläge nannten die daselbst untergebrachten Rosse. In einem solchen Stall, an dessen Thür die Aufschrift „Schimmelhengst Ali" zu lesen war, trat Kitt. Hier wendete er sich heiseren, fast krächzenden Tones an eine junge Reiterin, welche foeben einem prächtigen Schimmel Zucker stückchen reichte. Als nähme er nur den Faden einer abgebrochenen Erzählung wieder auf, begann er: „Ich bin nicht blind. Habe es gestern und heute recht gut gesehen, wie auffällig Du es mit dem jungen Dragoner-Officier treibst. Und wenn ich auch blind wäre, so könnte ich es doch hören. Man zischelt sich um mich allerlei zu, ja sogar die lumpigen Clowns machen sich lustig über mich. Käthe, ich bitte Dich, hab Mitleid mit mir. Ich halt's nicht länger auS; es bringt mich um." „Thät' mir leid", versetzte eine kalte, silbern klingende Glockenstimme, „thät mich wahrlich leid, aber — ich kann Dir doch nicht helfen!" „So werde ich mir allein Hilfe verschaffen, ich tödte Dich und mich!" „Ha, ha, ha!" „Herzloses, undankbares Weib!" Nun wendete sich die Reiterin, welche dem Clown bisher den Rücken gezeigt, und während er sic mit Vorwürfen überschüttete, gleichgiltig mit dem schönen Thiere gescherzt hatte, plötzlich um, aus ihren Augen schossen Blitze. „Du alter, häßlicher Hanswurst", zischte sie ihm entgegen, „Du hast mich, ein blutjunges Mädchen, meinem stets be trunkenen Vater abgewuchert, kauftest mich wie ein Pferd. Ich durfte mich nicht wehren, denn mein Vater schwor, daß er mir alle Rippen zerbräche, wenn ich mich sträube; dahei hat er mir einen halben Zopf ausgeriffen. Ich wurde aus Feigheit Dein Weib. Und doch bin ich Dir allzeit treu geblieben. Der Schul reiter Mr. White betete mich an, ich hätte mit ihm durchgehen können, damals, als Du sechs Wochen lang in Hamburg im Spital gelegen hattest. Ich hätte mir, sowie die Anderen, von Lavalieren den Hof machen lassen können, könnte heute wie eine Fürstin leben, Brillanten besitzen, in Equipagen fahren — ich habe Alles zurückgewiesen." „Weil Du mich früher noch gefürchtet hast." „Nein, weil ich blöde, eine bejammernswerthe Thörin ge wesen bin. Nun aber soll's anders werden, schon darum, weil Du mir wie ein alter bissiger Köter jeden Augenblick ins Gesicht springst. Merke Dir's. Ja, ich liebe den jungen Grafen und werde Dich und die ganze Gesellschaft im Stich lassen." „Dann bring ich Dich um." Der Clown hatte diese letzten Worte krampfhaft hervor gestoßen; eben wollte er sich auf seine Frau stürzen, als ein Stall meister die Thür aufriß und in den dunklen Raum hineinrief: „Sie, Madame Kitty, rasch, Ihre Nummer ist da." Kitt schlich sich aus dem Stalle und schlotternd wankte er in den Korridor, der zu der Manöge führt. Kitty trat, den Hengst am Zügel führend, ebenfalls heraus; ihre Lippen waren fest aufeinandergepreßt und sie ordnete mit zitternder Hand die Halskrause, die einigermaßen verdrückt schien. Dann warf sie einen langen, grauen Radmantel, der ihre zierliche anmuthige Gestalt verhüllt hatte, auf den Sand, schwang sich behende auf das schneeweiße Pferd, das seinen Kopf nach ihr wandte und sie mit klugen, theilnahmsvoll scheinenden Augen ansah. Sie streichelte das Prachtthier und lispelte ihm fast weinend zu: „Geduld, lieber Ali, wir werden von diesem elenden Zwerge bald, recht bald erlöst sein." Dann schnalzte sie plötzlich, ein heiteres, gewinnendes Lächeln verschönte ihr rosiges Gesicht; mit einem raschen „Hopp" sprengte sie in die Manöge, wo lebhafter Applaus sie aufmunternd empfing. Wie stolz stand sie auf dem Rücken des edlen Thieres! Die Zügel hatte sie fallen gelassen, und in der Hand schwang sie eine Gerte, mit der sic die Luft peitschte. Angeregt durch den Beifall verdoppelte sie ihre Kühnheit und während Ali in bewunderungs- werthem Gleichmaß durch die Manöge flog, sprang sie durch brennende Reifen und warf dabei dem applaudirenden Publicum Kubhändchen zu. Eine kurze Pause; Kitty ließ sich auf den Rücken Alis nieder und während die Clowns jetzt mit betäubendem Lärm in die Manöge brausten, ritt die Künstlerin im Schritt durch dieselbe, wobei sie, das schweißtriefende Pferd streichelnd, einem jungen Dragoner-Officier, welcher in der Nähr der Ausgangs-Barriöre stand, vielverheißende Blicke zuwarf. Auch Kitt befand sich unter den Clowns, doch während die Anderen auf Tabourets sprangen, Teppichstreifen und Reifen «mporhielten, durch die Miß Kitty springen sollte, blieb Kitt unten und vollführte die halszerbrechlichsten, drolligsten Kunst stücke. Das Publicum, ja selbst die „Stallmeister", belachten die übermüthigen Sprünge, und nur Kitty hatte keinen Blick für die Capriolen ihres Gatten. Da intonirte das Orchester eine Schnellpolka. Ali setzte sich in Galopp und wie der Wind sauste er durch die Manöge, auf gestachelt durch die lebhaften Zurufe der Reiterin und das Ge schrei der Clowns. Toller als die Anderen trieb es Kitt: er lief wie rasend dem Pferde nach. Paffte es in die Schenkel und während Miß Kitty durch ein Dutzend mit Seidenpapier verklebte Reifen sprang, hing er sich an den Schwanz des Pferdes, an dem er mit aller Macht zerrte und riß. Der Hengst fing an, unruhig zu werden; Kitt zerrte ihn um so heftiger; auch Ketty begann zu merken, daß ihr Gatte Böses im Schilde führte, und eben wollte sie vom Pferde springen, als dicfes mit beiden Hinterfüßen aus schlug. Kitty verlor das Gleichgewicht, stürzte auf den weichen Boden der Manöge, erhob sich jedoch rasch wieder — sie war unverletzt. Kitt aber, dessen Kopf beide Hufe des Pferdes mit voller Wucht trafen, lag bewußtlos im Sande, welcher sofort von einem Blutstrom roth gefärbt erschien. Ein Aufschrei ging durch den ganzen Circus; die Herren waren von ihren Fauteuils emporgesprungen, mehrere Damen hatten die Besinnung verloren; endlich wurden dir Zuschauer durch die schneidig scharfe Stimme des anwesenden Polizei commissars beruhigt, während zwei Clowns die scheinbar leblose Masse ihres Kollegen hinaustrugen. Kitty war auf Kommando des Direktors wieder auf's Pferd gesprungen, ließ es durch die Manöge traben und fand Gelegen heit, ihrem Dragoner Officier einige Worte zuzuflüstern. Das Orchester stimmte das unterbrochene Musikstück neuerdings an und die Vorstellung nahm ihren Fortgang, allerdings ohne — Mr. Kitt. Dieser lag indessen im Korridor; der Arzt, welcher ihn unter suchte, erklärte, daß dem Bedauernswerthen die Hirnschale zer schmettert sei und er in wenigen Minuten eine Leiche sein werde Der Verunglückte ächzte immer matter — plötzlich zuckte er krampfhaft auf und dehnte sich in die Länge. Dann blieb er still für immer. Der Polizeicommiflar veranlaßte den Transport des Ver unglückten in die Leichenkammer. Aus der Manöge heraus ertönten Beifallssalven. Kitty, die schöne Reiterin, hatte soeben ihre Tour glänzend beendet. Während der zerschmetterte Leichnam des Clowns in schwarzer Tragbahre durch die stille Nacht ins Hospital getragen wurde, rollte ein eleganter Fiaker an diesem Trauerzuge rasch vorüber. Jn bem Wagen saßen: Miß K.tty und der junge Dragoner, lieutenant. Sie fuhren zum Souper! — — Armer Kitt!
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite