Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.12.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981210015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898121001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898121001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-10
- Monat1898-12
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
VezugSPE I» her Hanptezpeditton oder den kl Stabt- beztrk und den Bororten errichteten Ao«- aabestrllrn abgkholt: vierteljährlich ^«4.50, oei zwennaltaer täglicher Zustellung in« Laut bchO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich -äl 6.—. Direct» tägliche Kreuzbandienduug in« Ausland: monatlich I SO. Die Morgen-AuSgabe erscheint um V«? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Ne-action und Lrve-ittou: Johannesgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend« 7 Uhr. Filialen: vtto Klemm's Lortini. (Alfred Hahn), Universitätssirahe 3 (Paulinus). Louis Lösche, Datbarinenstr. 14, pari, und Körig«platz 7. Morgen-Ausgabe. MipMer TagMM Anzeiger. ÄittlsvM des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig," des Nathes «nd Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. -lizeigerr-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reclamen unter dem RedactionSstrich (4 ge spalten) 50^, vor den Familienaachrichlti («gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- veizeichaiß. Tabellarischer und Ziffernsag nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbeförderung SV.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahrneschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» SUHL» Bei den Filiale« und Annahmestellen je eins halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an df« ErtzedittsB zu richte«. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 825. Sonnabend den 10. December 1898. 92. Jahrgang. Neber Humanifirung -er Kriege. Von Richard Thurow. Die durch die Botschaft de« Zaren angeregte FriedenS- conferenz wird, fall« sie zu Stande kommt, ebensowenig wie alle vorhergehenden die Idee eine» ewigen Weltfrieden» realisiren können. Wa« aber alle Culturnationen von ihren Ergebnissen zu erwarten berechtigt sind, das ist zum Mindesten eine durchgreifende Hum anisirung der Kriege, die nur zu erzielen ist durch eine von allen civilisirten Staaten zu acceptirende CodiHication des KrirgSrechts, d. h. einer alle Nationen gleichmäßig bindenden Vereinbarung, daß sie, falls ihnen zur Entscheidung internationaler Rechts streitigkeiten kein anderer Weg al» der kriegerischer Selbst hilfe offen steht, gewisse auf der Basis moderner Cultur- anschauung ausgebaute Normen beobachten werden. Nun ist zwar nicht zu verkennen, daß das jetzt geltende, auf internationaler Gewohnheit zum größten Theile, zum weitaus geringeren auf Verträgen beruhende Kriegsrecht eine dem Gedanken der Humanität günstige Tendenz zeigt. Denn wir können al» einen der leitenden Grundsätze deS gegen wärtigen Kriegsrechts die Maxime bezeichnen, dem Feinde nur soviel Schaden zuzufügen, wie der Kriegszweck und die strenge militairische Notbwendigkeit erheischen. Der Krieg ist nach der modernen Anschauung nicht mehr Selbstzweck, sondern nur noch Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zweckes; er ist nicht als Regel, sondern als eine nur durch absolute Nothwendigkeit gerechtfertigte Ausnahme von dem als Regel zu erstrebenden FriedenSzustande zu betrachten. Das Kriegsziel ist nicht mehr Vernichtung deS Gegners, und deshalb müssen alle solche Mittel ausgeschlossen bleiben, die zu einer Vernichtung geeignet erscheinen. Als zweiten leitenden Grundsätze deS KriegsrecktS kann man das Prmcip bezeichnen, daß nur zwischen den Staaten, nicht aber auch zwischen Privatpersonen in den betreffenden Staaten ein Kriegszustand besteht. Die Konsequenzen dieses Satzes sind, daß die Privaten nicht mehr ter Willkür der Feinde schutzlos preisgegeben sind hinsichtlich ihres Lebens und Vermögens; ebenso wie Tödtunqen von Privaten, Abführung in die Gefangenschaft oder Sklaverei wider das Völkerrecht wäre, so läßt auch das KriegSrecht kein schrankenloses Eingreifen in daS Privateigenthum zu. Es liegt aber auf der Hand, daß mit Aufstellung und Anerkennung dieser allgemeinen Sätze für die Humamsirung der Kriege wenig gethan ist. Sie sind kautschukartige Normen, die unter der Hand der Diplomaten und Staats männer sich als sehr dehnbar erweisen können; eS fehlt an einem Kriterium darüber, was in einem Kriege nothwendig erscheinen darf. Und zweitens zeigt auch die beste Inter pretation dieser Sätze, daß die Humanifirung der Kriege damit bei Weitem nicht erschöpft ist. Daß nun eine noch weiter gehende Humamsirung wünschenSwerth ist, steht außer allem Zweifel. Jede That, die die Menschheit von dem Urzustände roher Gewalt,! dem Ringen Aller gegen Alle, weiter entfernt; jede Maßregel, die diesem Kampfe seine diabolisch-wilden Formen zu nehmen geeignet ist, muß al« Culturfortschritt begrüßt und al» eine Etappe auf dem Wege zur Verwirklichung deS CulturidealS angesehen werden. Daß sie aber auch heute notbwendiger denn je ist,zeigtfolgende Beobachtung: Die immer höher steigende Gesittung und besonders die zu einer ungeahnten Ausbildung gelangte Technik, die mau früher als Hauptgründe für das allmähliche Aufhören und die schließliche Unmöglichkeit der Kriege angeführt batte, haben gerade den menschlichen Er- findungSgeist angespornt, Kriegsmittel zu ersinnen, deren Furchtbarkeit und verheerende Wirkung alles Vorangeganzene weit in den Schatten stellen. Die fortschreitende Natur wissenschaft, die tiefer gehende Kenntniß von Kräftewirkungen bat neben den großartigen Werken deS Friedens und der Eultur Zerstörungsmittel geschaffen, deren Furchtbarkeit die Technik beständig zu erhöhen sucht. Die Feuerwaffen haben eins» erstaunlichen Grad von Vollkommenheit erreicht; mit einer Krupp'schen Kanone kann man heute über den Montblanc Hinwegschießen und eine mehrere Meter dicke Steinwand zertrümmern, daS Geschoß der kleinkalibrigen Gewehre durchschlägt 5 hintereinander stehende starke Eich stämme. Die Gelchwindigkeit, Tragweite, Sicherheit des Treffens und der Zerstörungskraft ist gegen früher potenzirt. Die moderne SchiffSbaukuust stellt schwimmende Stahl festungen her, deren Kanonen in wenigen Minuten eine Hafenstadt dem Erdboden gleickmachen können. Mit Hilfe der ungeheuren Transportschiffe können bedeuteude Truppen massen fast unabhängig vom Wind und Wetter an feindliche Küsten geworfen werben. Schon führt mau zur See mittels der Torpedo» und submarinen Boote nicht nur auf, sondern auch unter Wasser Krieg, und die Zeit ist nicht mehr fern, wo auch die freie Luft zum Kriegs theater wird, wo Luftschiffe, nicht mehr vom Winde hinsichtlich ihrer Bewegungsfähigkeit abhängig, aus schwindelnden Höhen ihre verderbenbringenden Geschosse in die Tiefe schleudern werden. Nicht zu übersehen sind dabei die zu einer unge heuren Intensität gesteigerte Geldwirthschaft und der sich täglich mehrende Reichthum der Völker, der auf der einen Seite die edelsten Früchte der Eultur zeitigt, auf der andern Seite durch die Leichtigkeit der Geldbeschaffung eine Fülle der zur Kriegführung erforderlichen Mittel schafft, die dem Kriege eine gewaltige Ausdehnung, Intensität und erhöhte Furchtbarkeit verleiben müssen. Wenn nun diese Beobachtungen eine Humanifirung der Kriege nothwendig erscheinen lassen, da sonst bei einem in Zukunft ausbrechenden Kriege von großen Dimensionen die gesammte Eultur gefährdet wäre, so entsteht die Frage, in welchem Umfange eine solche Civilisirung des KriegS- rechtS stattfinden könnte und dürfte. Zwei Grundsätze sind eS nun, deren Befolgung bei der Construction eines allgemein verbindlichen Kriegsrechts «oth- wendig erscheint. Einmal nämlich dürste man in dem Humanitätsgedanken nicht soweit geben, Forderungen aufzu stellen, die den Krieg als solchen überhaupt unmöglich machen, Bedingungen über die Art der Kriegführung, die den realen Verhältnissen in keiner Weise entsprechen. DaS Wesen de» Krieges ist Gewalt, sein Ziel Niederwerfung des Gegners und Realisirung deS eigenen Willen-. Man darf also keine Humanitätsnormen aufstellen, die eine Gewaltübung direct verbieten, die den Sieger um die Früchte seines Sieges bringen, um ibn durch die Nutzlosigkeit seiner Anstrengungen vom Kampfe abzuschrecken. Der Krieg ist kein Duell, bei dem man über Art der Waffen, Ort und Stunde deS Rencontres Verein barungen trifft und sich während der ganzen Procedur mit ausgezeichneter Höflichkeit behandelt. Im Mittelaller huldigte man theilweise dieser Auffassung; in der Schlacht bei Fontenoy grüßten die Franzosen ihre Gegner zierlich durch Neigung deS Degens, und als in der Mark die neuen Feuerschlünde die Mauern der Raubburgen zerschmetterten, beklagten sich die edlen Ritter, daß ihre Gegner mit so uncommentmäßigen Waffen kämpften. Eine solche Auffassung ist heute unhaltbar; kein Feldherr wird dem Feinde durch Kundgebung seiner Marschroute Gelegenheit geben, zu entwischen, um Blut vergießen zu vermeiden. Solche byperhumane Forderungen dürfen nicht für einen Codex des KriegSrechteS in Vorschlag gebracht werden. In welchem Maße vielmehr positiv derHumanisirungS- gedanke zur Ausführung gebracht werden kann, sprechen wir in dem Grundsätze auS: Die Forderungen der Humanität können und müssen soweit mit vollem Nachdruck geltend ge macht werden, wie Natur und Wesen des Krieges es gestatten. Die Natur des Krieges gestattet aber vor Allem das strenge Verbot der Anwendung völkerrechtswidriger Kriegsmittel. Denn obwohl im Allgemeinen das jus inckeünitum belli zu jeder Art von Gewalt und List berechtigt, die eine Kriegspartei zum Angriff oder zur Abwehr für nöthig hält, so findet doch das strenge ckroit äs guerro in den Normen deS zum Theil auf Convenienz, zum Theil auf internationaler Ge wohnheit oder Vertrag beruhenden loi ckv guvrre, der sog. Kriegsmanier, seine Grenzen. .»c- verbeten der Gebrauch aller Waffen, die mehr ».lS hlgkeit be ¬ zwecken und den HeilungSproceß erschweren, so Kettenkugeln, gehacktes Blei, die Dumdum-Geschosse der Engländer. Die Petersburger Convention von 1868 führte zum Verbot aller Sprenggeschosse unter 400 gr Gewicht. Preußen« damaliger Vorschlag, daS Verbot grausamer Kampfesmittcl noch weiter auSzudehnen, wurde von England mitj dem Hinweise be kämpft, daß seine schwachen Streitkräfte eine Verzicht leistung auf die neuesten technischen Erfindungen nicht er lauben könnten. Daß gerade bei kleinkalibrigen Schuß waffen der Grausamkeit ein Ziel gesetzt werden muß, geht aus der Thatsache hervor, daß ca. 80 Proc. aller Ver- wundungen von Gewehrprojectilen, 15 Proc. vom groben Geschütz und nur 5 Proc. von Hieb und Stich herrühren. Untersagt ist ferner die Verleitung feindlicher Unterthanen zur Empörung, Bestechung von feindlichen Anführern und Truppen. Freilich ist gerade diese Beschränkung nicht absolut; so lange eS an einer internationalen Ab machung hierüber fehlt, wird diese« völkerrechtswidrige Kriegsmittel fast immer ergriffen werden. DaS zeigt daS Beispiel Preußens 1866, wo die Ungarn gegen Oester reich aufgewiegelt wurden, und was Ungarn für Oesterreich ist, das ist Irland für England, Polen für Rußland, Canada für Nordamerika. Würde eine dieser Mächte in einen Krieg verwickelt, so wäre wahrscheinlich eine der ersten Maßregeln deS Gegner», die genannten Länder zum Aufruhr zu reizen. DaS Völkerrecht verbietet ferner den Meuchelmord gegen den Feind; so heroisch deshalb in der Tragödie die That der Judith, die Ermordung des Holofernes, erscheint, — vor dem Forum deS Völkerrechts ist sie eine bodenlose Gemeinheit. Untersagt ist ferner die Vergiftung von Brunnen und Lebensmitteln; trotzdem ließ Napoleon in Egypten an einem Tage 5000 Araber vergiften. Völkerrechtswidrig handelte auch Bazaine in Afrika gegen die Kabylen. Nachdem er den Feind mehrere Tage lang durch die Wüste verfolgt hatte, zog sich der ganze Stamm, Männer, Weiber, Kinder mit ihren Heerde» und aller Habe in eine riesige Felsenhöhle zurück, die nur einen einzigen schmalen Zugang hatte. Den Fran zosen fehlte es an Nahrungsmitteln,vorAUem an Wasser, während die Kabylen reichlich genug mit Allem versehen waren, um eine regelrechte Belagerung auszuhalten, die jedoch für die Franzosen undurchführbar war; aber auch der Rückzug war für die erschöpfte Expeditionstruppe, die einen unermüdeten, mit dem Lande genau bekannten Feind im Rücken Aehabl hätte, geradezu ausgeschlossen. Was that Bazaine? Er ließ vor dem Eingänge deS Schlupfwinkels dürres Holz auf schichten, in Brand stecken und den Qualm in die Höhle treiben — und nach kurzer Zeit war der ganze Stamm erstickt. ES war ein Massenmord; aber die Pflicht der Selbsterhaltnng zwang den französischen General, in diesem Falle das Völkerrecht zu durchbrechen. Was die Verwendung barbarischer KriezSvvlker anbetrisst, so handelt eS sich vorzugsweise um die von den Franzosen auS Algier impvrtirten TurkoS. Mag nun eine solche Truppe im Lande selbst in den dort zu führenden Kriegen Verwendung finden — da man Barbaren immer am besten durch Barbaren bekämpft —, gegen eine Verwendung in europäischen Kriegen sprechen schwere Bedenken. Es wird kaum gelingen, solche barbarischen Horden davon fernzubalten, Gefangene und Ver wundete grausam zu behandeln, wehrlose Einwohner zu plündern und zu tödten. Da auch hierüber eine bindende internationale Norm fehlt, so ist cs z. B. streitig, ob Ruß land seine asiatischen Horden in einen europäischen Krieg hineinziehen dürfte. Um so mehr ist über solche und ähnliche Puncte eine endgiltige Verständigung zwischen allen Staaten dringendes Bedürfnis. Daß endlich die Codification de« Kriegsrechtes nicht zu Feuilleton. Monte Carlo in -er Neuen Welt. Etwas über das Hazardspiel in der Union. Don M. R i e m s ch ne i d e r. Nachdruck verboten. Ueber nichts fährt der Amerikaner, der Deutschland bereist hat, so gerne her, als über das Trinken und Spielen der Deutschen. Doch muß di« Trunksucht in der Union eine viel größere schon darum sein, weil sie der sogenannten „tomporanes l'al-t)-", also einer politischen und stellenweise sehr einfluß reichen Fraktion, zum Leben verholfen hat und noch zu steter Ausbreitung verhilft. Und was das Spiel, zumal das hohe Hazardspiel, anbetrifft, so muß sich Deutschland geradezu ver stecken hinter dem grenzenlosen Hazard, wie er in Amerika be trieben wird; selbst das öffentlich« Lotteriespiel in Deutschland, über das der Amerikaner nicht genug spötteln kann, ist im Ver gleich zu dem Hazard in der Union eine wahre Bagatell« zu nennen. Auch da» außerdeutsche, seiner Spielhölle wegen welt berühmte Monte Carlo w«ist in einem Jahre nicht so diel Ein nahmen auf, wie z. B. das kleine, aber sehr fashionable Seebad Long Brauch an der atlantischen Klist«. Die jährlichen Ein künfte Monte Carlos belaufen sich durchschnittlich auf etwa rund 4 000 000 Dollars, während Long Brauch in zwei Monaten allein eine runde Million umsetzte. Beträgt die Netto«innahme in Monte Larlo im Jahre 2 000 000 Dollar», so betrug sie in Long Branch in 60 Tagen rund 600 000 Dollar». Allerding» ist jedwedes Zufallsspiel, habe es einen Namen, welchen es wolle, mit Recht im ganzen weiten Bereich« der Union durch die Gesetze der einzelnen Staaten — Louisiana vielleicht ausgenommen — auf das Allerstrrngste verboten und es bedarf schon der ganzen Virtuosität eine» gewiegten Polizeispitzels oder der verblüffenden Unverfrorenheit eines ZeitungSreporterS, ehe etwas davon in die Oeffentlichkeit kommt, aber Da», was man dann zu hören und zu wissen kriegt, läßt Einem einfach staunen. Long Branch galt jahraus, jahrein für nicht» Anderes als ein Seebad, freilich ein» der theuersten und exklusivsten, aber doch schließlich auch nur ein Seebad wie alle übrigen, mit Hotel», Billen, Park«, schönen oammor girls; noch schöneren Schau spielerinnen, eifersüchtigen Gattinnen und Gatten, Concerten, Corso», etwa» ,.eoolr-t»il" und viel Champagner. Aber eine Spielhölle? Einen sogenannten „gamdling rosort" hätte Niemand hier vermuthet, um so weniger, al» nur die anerkannten Millionair« und ihre Familien diesen Badeort besuchten. Nein, jedwede solch« Bermuthung war falsch; e» giebt in Long Branch nicht eine Spielhölle, sondern deren — fünf, welche in jeder Badesaison „in kull dlnst", d. h. in vollem Gange sind. Dort wandert da» Geld, welche» in der Wall Street oder sonstwo .gemacht" wurde, von Hand zu Hand, dort kann man Spieler versammelt sehen -. B. beim Pokrspiel, wo jeder Point hundert Dollar« (!) gilt oder man setzt in der Roulette und beim Pharao zu 1000 Dollar» da« Pottrt — vielleicht noch höher! Daß ein solch' wahnsinnige- Hazardiren aufs Strengste ge heim gehalten wird, ist ganz natürlich, und die Besucher von Long Branch, welche nicht gerade Glieder einer der bestehenden fünf Spielclubs sind, ahnen wohl, daß man ab und zu ein wenig „gambieck", den wahren Umfang des Spiels aber lernen sie erst kennen, wenn sie — selber zu den Eingeweihten gehören und Interesse daran haben, reinen Mund zu halten. Das Geheimniß des Spiels wird aber auch im Aeußeren der „Clubhouses", wie sie unverfänglicher Weise genannt werden, gewahrt. Alles ge schieht in Ruhe und Ordnung. Keine uniformirten Wächter durchstreifen die Anlagen, um, wie es in Monte Carlo geschieht, die unglücklichen Spieler, die ihren letzten Heller verloren haben, am Selbstmorde zu verhindern. Keine Zeitung verkündigt die Namen der Glücklichen und die Nummern, auf welche sie gesetzt und gewonnen. Vergeblich sucht man in diesen „Clubhouses" einen jener professionellen Spieler, welch« vom Hazard leben und an ihm zu Grunde gehen. Die Mitglieder des Spielclubs sind alles Leut«, denen der Verlust von vttlen Tausenden gerade so gleichgiltig ist wie der von Hunderten. Sie wissen schon, wo sie mehr Geld herbekommen sollen, und wenn sie das nicht wüßten, wenn sie nicht zu der Classe der Krösusse gehörten, würden sie gar nicht zum Spiel zugelassen werden. Sollt« sich dennoch Jemand «»schmuggeln, um dessen VermögenSverhältnifse eS nicht tadellos bestellt ist, so würde er sich durch seine Manieren beim Spiel doch schließlich verrathrn. Schon aus den verzehrenden Blicken, mit welchen er die kleine Elfenbeinkugel auf der Roulette verfolgt und seiner schlecht verhohlenen Freude oder Verzweiflung, wenn er gewinnt oder verliert, können die übrigen Spieler aus seine Finanzen schließen und wissen dann die Sache so zu arrangiren, daß er sich, als auf möglichst anständige Weise, vom ferneren Besuche ve» „Clubhouse" ausgeschlossen betrachten muß. Ruhe, Anstand und Kaltblütigkeit ist also die erste Bürgerpflicht auch in den Spielsälen zu Long Branch. Jeder „Club" hat sein eigenes, fürstlich ausgcstattetes Etablissement, umgeben von wohlgepflegten, herrlichen Park anlagen, Rasenplätzen, Blumenbeeten und plätschernden Spring brunnen. Di« Namen der fünf „Clubs" sind der „Pennsylvania", „New Bork", „West End, „Baltimore" und, al» kleinster von allen, der „Long Branch Club". Das Sonderbarste bei allen fünf Genossenschaften ist nicht da», daß sie nur finanzkräftige Glieder in ihren Kreisen dulden, sondern daß keine» der einmal aufgenommenen Glieder für Erfrischungen u. s. w. etwa» zu be zahlen braucht. Man fordert sich die Speisekarte, bestellt sich ein« Flasche Champagner, eine echte Havanna oder sonst etwa», ißt, -rinkt, raucht und kaut, ohne je vom Wirth ntit einer Rechnung oder vom Kellner mit einer Trinkgeldpantomime be lästigt zu werden. Alle», wa» man beim Aufenthalt in den feenhaft drapirten und ebenso beleuchteten Sälen zu thun hat, ist, sich am Spiel« zu bethailigen. Die horrenden Einkünfte de» Spiele» decken alle Ausgaben überreichlich und der Wirth bezieht ein so fabelhLfte» Salair, daß er sich um Kleinigkeiten gar nicht zu kümmern braucht. Am Ende der Saison erhalt der Club al» solcher seine Rechnung. Hohe oder tiefe Rechnungen kennen die Herren Millionaire nicht oder sind zu stolz, sich dir» merken zu lassen. Man verthettt die Summe gleichmäßig auf alle Glieder de» Club» und zahlt ohne Weiteres. Pferderennen, Bastballspiel, Faustkämpfe, Wahlen, nament lich Präsidentenwahlen u. s. w., überhaupt irgend eine Gelegen heit, bei welcher der Zufall eine Rolle spielt, macht der Ameri kaner zum Hazardspiel, und man darf ohne Uebertreibung be haupten, alle Tage wird irgendwo in der Union Geld auf diese Weise gewonnen oder verloren. Bei Pferderennen z. B. ist es gar nicht nöthig, auf dem Rennplätze selbst anwesend zu sein. Der Rennplatz ist mit einer Halle in der Stadt telegraphisch ver bunden. In dieser Halle befinden sich an der Wand große schwarze Tafeln, vor welchen eine Art Balcon sich hinzieht, auf dem ein Junge, mit einem Stück Kreide und «inem Schwamm versehen, hin und her läuft, um die ihm vom Sitze des Tele graphisten aus zugerufenen Resultate, allen Anwesenden ersicht lich, aufzuschreiben. Vor diesen Tafeln ist eine Schrankt er richtet, hinter welchen die einzelnen Cassirer oder, wenn man will, Bankhalter an stark vergitterten Schaltern sitzen. Alles, was man zu thun hat, ist, in den Saal einzutreten, sich den Namen eines der Rennpferde oder vielmehr eines der rennenden Pferde zu wählen, seinen Einsatz dem Bankhalter gegen Empfang nahme einer Quittung zu bezahlen und mit möglichster Seelen ruhe den Jungen an der Tafel und seine rechte Hand ins Auge zu fassen. Jedes Vorbeisausen der Jockeys am Ziel auf dem Rennplätze, d. h. jedes einmalige Umkreisen der Bahn mit dem Abstand der einzelnen Pferde wird telegraphirt, ausgeschrieben und ausgcrufen und man darf während dieser Zeit je nach den Chancen des besetzten Pferdes seinen Einsatz erhöhen, aber nicht erniedrigen. Nach der letzten Runde wird das Resultat aus gerufen. Der Verlierer zerknittert mit einem ,,6ock ckamn"! seine Einsatzquittung, wirft sie fort und setzt entweder auf ein anderes Pferd oder geht hinaus und der Gewinner tritt an den Schalter, zeigt seine Quittung vor und erhält den auf ihn ent fallenden Gewinnantheil ohne Weitere» ausbezahlt. Auf diese Weise gewann Schreiber Diese» einmal 600 Dollar» auf einen Einsatz von 10, steckte den Gewinn ein, verließ den Saal, ohne sich umzusehen, bestieg sofort den nächsten Straßenbahnwagen und fuhr vom Platze, immer in Angst, daß einer der Verlierer ihm seine Beute entwenden oder mit Gewalt abnehmen könnte, was gar nicht selten der Fall ist, trotzdem der Platz sowohl al» auch der Saal von Polizisten bewacht wird. In Long Branch spielt man das Spiel geheim und die heilige Hermandad — „sah nicht»", hier beim Pferderennen treibt man'» öffentlich, aber nicht als Hazard, sondern zur „Unterstützung" der „ein heimischen Pferdezucht", und die Polizei wacht noch über die Sicherheit der „Unterstützenden". Zur Zeit, und besonder» am Tage der Präsidentenwahl, gleicht die ganze Union einer riesigen Spielhölle. Jung und Alt, Reich und Arm, Männer, Frauen, Mädchen, Jünglinge, ja selbst Kinder kriegen da» Wettfieber und die Einsätze reichen von fünf Cents bis in die Tausende, oft bi» in die Hunderttausende Dollar« hinauf. Nicht nur um Geld, nein, um alle» Möglich« und Un mögliche wird gewettet; r» ist, als ob »in Wettbacillus auf getaucht wär« und sich die Union al» Gallerte zur Reincultur auSersehen hätte. Hier hatte ein Kaufmann sein Geschäft und dessen Vorräthe z. B. auf Bryan gesetzt und am 6. November hat er Wetter nichts zu thun, al» dem Gewinner seinen Laden, seine Bücher, sein Personal und die Schlüssel zu seinem Maaren- speicher zu übergeben, die dieser schmunzelnd in dir Tasche steckr — er wettete auf Mc Kinley. Dort hatte Einer auf Mc Kinley gesetzt, und am 6. November fährt man ihm 500 Tonnen Steinkohlen vor die Thür, die sein Widerpart ver loren, weil er auf Bryan gewettet. Hier tritt Jemand aus einem „tturber-sdop" mit einem zur Hälfte Hellen, zur Hälfte dunkeln Schnurr- und Backenbart — er wettete auf den Sieg des Frei silberprägungs-Candidaten und verlor. Dort wird Jemand auf einem Schubkarren durch die Hauptstraßen geschoben von einem anderen Jemand, der, eine Narrenkappe auf dem Kopf, in Einem fort: „I was a ckamueck kool!" schreit. Der Erste wettete auf Mc Kinley und gewann, der Andere aus Bryan und verlor. Hier tritt Jemand freudestrahlend mit einem Check vor den Bank cassirer und erhält 1000 Dollars in Gold ausgezahlt — cs war ein Mc Kinley-Mann; dort bezahlt ein Anderer die Schulden für seinen Widerpart — es geht in die Zehntausende —, weil er als „rock-ridbeck"--Demokrat aus Palmer gewettet. Hier steht Jemand an der Straßenecke mir Bürsten und Wichskasten und schreit: ,.8kioe, geutlemeu, sinneEs ist ein Uni versitätsprofesior, der auf die Erwählung Bryan's wettete. Dort kitt ein „Tramp" oder, wie wir sagen, Bruder Straubinger, aus einem Kleiderladen, gekleidet wie ein „Gentleman", er wettete auf Mc Kinley und gewann. Hier geht eine bildschöne, junge „Lady" auf drei Fuß hohen Stelzen umher — sie war eine Verehrerin und Verfechterin des schönen Bryan; dort trägt eine Andere ihre glückliche Gewinnerin auf dem Rücken über den Marktplatz. Hier geht Mr. k in Weiberkleidern, dort eine Miß V in Männerchaussüre; Beide hatten auf Bryan gewettet. Dort hüpft ein Schulbube in einem Hasersack umher und schreit: „Hurrah for Mc Kinley!" — er wettete auf Bryan. Hier steht ein kleines Schulmädchen mit einem riesigen Placat auf der Brust, man liest: „I am a rillv litt!« Lick!" und weiß, daß sie auf Bryan setzte und verlor. Hier sitzt ein Junggeselle in einem Schaukelstuhle und läßt ein Baby aus seinem Schooße reiten, die Meng« umsteht ihn lachend und johlend — er hatte ebenfalls die Präsidentenwette verloren. Dort kriecht ein Schmeerbauch im Gewichte von 300 Pfund auf dem Trottoir daher und schreit: I—aah! I—aah!"; es ist ein Advocat, der für Freisilber wettete u. s. w. Alle diese Leute haben die unsinnigen Wetten verloren. Beim Baseballspiel, welches da» eigentliche Nationalspiel der Union genannt werden darf und dem stets ungezählte Tausende aus eigen» dazu «richteten Tribünen in den „Sportsmen Parks" beiwohnen, geht e» ebenso zu wir auf den Pferderennen. Im Zeitraum weniger Stunden wandern Check» oder haare Sum men au« einer Tasche in di« andere. Bei Faustkänrpfen ist es nicht ander». Wa« also ist unser Lotteriespiel, was ist die Rou lette Mont« Carlo» gegen das „Monte Carlo" in Amerika? Worin unterscheiden sie sich? — Im eigentlichen Monte Carlo schießt man sich eine Kugel durch den Kopf, wenn man sein Letzte» verloren hat; in Amerika tröstet man sich, zuckt di« Achsel und fängt mit der dem Sieger der großen Republik eigenen Energie wieder von vorn an.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite