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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.04.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-04-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960425027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896042502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896042502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-04
- Tag1896-04-25
- Monat1896-04
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Abend-Ausgabe Sonnabend den 25. April 1896. Die Morgn»-A»-gabr erscheint um Uhr. die Abend-Ausgab« Wochentag» um b Uhr. Ne-actisa u«d Lr-rditiou: JohanneSgaffe 8. Kk-Uzpehitio« ist Wochentag» ununtrrbrochr« geöffnet von früh S bi» Abend» 7 Uhr. Filialen- eil» Klemm'» kortim. (Alfred Hahn), UniVersitätSstraße 1, LoniS Lösche, Katharinenflr. 1«, Part, und Königsplah 7. riMgcr TMblalt Anzeiger. Ämtsvlatt des Ä'önigkichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Amtes der Stadt Leipzig. BezugS'PreiS t» d« HLuptexpeditton oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich.^-.50. 'elluna ra vst bezogen für : viertelstthrlich täglich« NrenzbandienVuNg W» «Ngland: monatlich ^l 7.L0 AnzeigenPrei- die Vgespaltenc Petitzeile 20 Pfg. Reclameu unter dem Redactionsstrich (-ge spalten) 50^, vor den Kamiliennachrichten (6 gespalten) -0/^. Grohere Schriften laut unserem Preis- vetzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Vrtra-Vrilagcn (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbrförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmelchluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morge»-Ausgabe: Nachmittags - Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 90. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. April. Der BundeSrath bat gestern, wie bereit» telegraphisch gemeldet worden ist, den vom Reichstage einstimmig gefaßten Beschlußantrag über das Tuellunwksen dem Reichskanzler überwiesen, der sich, wie SlaatSsecrrtair Or. v. Boetticher erklärt hat, bereits mit der Frage, wie diesem Unwesen bri- zukommen sei, ernstlich beschäftigt. Ob die Form, in der der BundeSrath dem Reichskanzler die RrichStagSrtsolution über wiesen hat, diesen veranlassen soll, noch ernstlicher mit der Frage sich zu beschäftigen, geht aus der kurzen Meldung nicht hervor, jedenfalls aber erhalt der Reichskanzler Veranlassung zu schleuniger und ernster Prüfung der Duellfrage durch einen von uns bereits erwähnten und heute in mehreren Blättern eingehender erörterten Vorfälle. „Ein Assessor" — so schreibt die „Boss. Ztg." — „nennt daS Verhalten der drei Angeklagten, dir vor ihm stehen, „nicht gentlemanlike". Drei Personen waren über eine hergefallen. Einer der Ange klagten ist Reserveofficier; er fordert den Assessor, der eben falls Reserveofficier ist, auf Pistolen. Der Assessor hat die vernünftige Ueberzeugung, daß er nicht seine persönliche Ehre, sondern die Unabhängigkeit des Richterstandes zu wahren habe und daß er die Interessen der Justiz ver letze, wenn er sich wegen der in Ausübung des Amtes zutreffend gemachten Aeußerungen einem Angeklagten gegen über persönlich verantworte. Aber der Ehren rath des Officiercorps ist anderer Meinung und giebt dem Assessor die Annahme der Herausforderung auf. Der Assessor be harrt bei seiner grundsätzlichen Auffassung der Angelegenheit, wird vor das Ehrengericht gestellt und, „weil er der Weisung des Ehrenraths nicht Folge geleistet habe", mit schlichtem Abschied aus dem Officiercorps entlassen. Dieser Vorgang beweist, was ohnehin srststand, daß ein mittelbarer Zwang zum Duell im Officiercorps geübt wird. Wenn Ehrenrath und Ehrengericht ihre Aufgabe richtig verstanden hätten, so wäre es ihr Beruf gewesen, diesen Zweikampf unter allen Umständen zu verhindern und in dem Interesse deS Assessors daS Interesse der Rechtsprechung, der Gesammtheit des Staates wahrzunehmen, Wohin soll es kommen, wenn der Richter, der pflichtmäßig seines Amtes waltet, gewärtigen muß, vor die Pistole gefordert zu werden? Alle Tage kommen scharfe Wortwechsel deS Vor sitzenden bald mit dem Staatsanwalt, bald mit dem Ber- theidiger, bald mit diesem oder jenem Angeklagten oder Zeugen vor. Die ganze Unabhängigkeit der Rechtsprechung hört auf, wenn solche Zwischenfälle, sobald Reserveofficiere bei ihnen bethriligt sind, zu Duellen führen müssen." Dieser Einsicht wird sich auch der Herr Reichskanzler nicht verschließen können, auch wenn das „Militair-Wochenblatt" noch so eifrig für die Erhaltung der „Sitte" deS Zweikampfes eintritt, es für „eines der Erziehungsmittel für das deutsche Officiercorps" erklärt und auSführt: „Die innere Ehre ist das gute «»wissen, „für wa« wir uns halten in unserem Herzen". Es ist die Ehre bet Sott, und dir kann uns kein Mensch, keine Beleidigung, keine Kränkung nehmen Die äußere Ehre Hingtgen ist die Erscheinung der inneren Ehre in unserem Thun und Lasten, die Anerkennung unsere» persönlichen Werthe» durch Andere, der gute Name bei unseren Mitmenschen. Die äußere Ehre legt dir Verpflichtung auf, den guten Namen, so viel in unserer Macht ist, aufrecht zu erhalten, rein von jedem Flecken, den Verleumdung und bö-willige Handlungen darauf werfen können. Auch da- Ehristenthum legt hohen Werth auf diese Aufrechterhaltung de- guten Namens. Der Apostel Paulus sagt: „ES wäre mir lieber, ich stürbe, denn daß mir Jemand meinen Ruhm sollte zu Nichte machen." Derselbe Gedanke soll auch dem Duell zu Grunde liegen, da» Leben soll eingesetzt werden für die Hochhaltung des guten NamenS, durch den Zweikamps soll zum Ausdruck kommen, daß die Ehre noch über das Leben geht. Der Ehrenräuber soll wissen, daß er mit seinem Leben für seinen Ehrenranb eintreie» muß. In dem Einsetzen des Lebens siir die angegriffene Ehre liegt die Wiederherstellung dieser, und dies billigen wir auch unserem Gegner zti. Wir verweigern diese Genugthuung aber einem Gegner, der dessen sich unwürdig gezeigt hat. Ter schuld los im Zweikamps Gefallene ist wie im Krieg» für seine Ehre in den Tod gegangen, der Schuldige hat durch den Einsatz seines Lebens äußerlich seine Ehre wieder her gestellt, für das Ändere mag er sich mit seinem Gott, dessen dir Rache ist, auseinandersetzen." Nach dieser Theorie hätte der angklagte Reserveofficier in dem oben erwähnten Falle seine durch sein Vergehen compromittirte Ehre durch den Zweikampf mit dein Assessor auch dann wiedrrhergestellt, wenn er den Assessor nieder geschossen hätte, und dieser hätte fick vor seinem Ende damit trösten müssen, daß er für seine Ehre in den Tod gegangen wäre. Wenn nach solchem Ehrencodex die deutschen Richter, die zugleich Reserveofficiere sinv.unter einander und gegenAngeklagte, die gleichfalls dem Osficierstande angeboren, handeln müßten und dürften, so wäre nicht abzusehrn, welchen Zuständen wir entgegentrieben! Immerhin beweist der Artikel des „Militair- Wvchenblattes", daß der Reichskanzler, wenn er gegen das Duellwesen energisch vorgehen will, auf eine starke und ein flußreiche Gegenströmung stoßen wird, ganz ähnlich der, welche dir Fertigstellung deS Entwurfs einer neuen Militair- strafproceßordnung bisher zu Hintertreiben verstanden bat. Ein Dresdener Blatt glaubte bereits melden zu können, der preußische Krirgsministkr werde wegen Ablehnung des Entwurfs durch den Kaiser zurücktreten und durch den General v. Goßler ersetzt werden. Nach dem „Berk. Tagebl." entbehrt diese Meldung allerdings jeder tbatsächlicken Begründung, aber es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Duellfrage die Schwierigkeiten, die der Entscheidung über eine neue Militairstrafproccßordnung entgegenstehen, noch vermehrt. Die von der Commission-für Arbeiterstatiftik vorgeschlagenen Bestimmungen über die Arbeitszeit im Handelsgcwcrbe sollen, wie nun auch im Reichstage vom Negierungstische auS erklärt worden ist, im Unterschiede zu den Vorschriften Uber die Arbeitszeit im Däckergewerbe, welche der BundeSrath auf Grund des H !20e Abs. 3 der Gewerbeordnung erlassen hat, im Gesetzgebungswege erledigt werden. Eine ander« formelle Behandlung war auch nicht zu erwarten. Wenn tz 120e der Gewerbeordnung dem Bundesrathe die Befugniß giebt, die Dauer der Arbeitszeit in solchen Gewerben zu regeln, in denen eine der Gesundheit schädliche Dauer der Beschäftigung üblich ist, so ist damit felbstverständlich nur die Arbeitszeit der Angestellten ge meint. Mit den von der Commission für Arbeiterstatistik ausgearbeiteten Vorschlägen wird aber, da der Ladenschluß allgemein um 8 Uhr Abends eintreten soll, auch in die Arbeitszeit der Arbeitgeber eingegriffen, und dieses Moment allein wär« ausschlaggebend dafür, daß die gesetzgebenden Faktoren des Reichs mit der Frage befaßt werden. Ein Präcrdenz ähnlicher Art findet sich in drr Gesetz gebung übrigens bereits vor. Als die verbündeten Regierungen dem Reichstage in drr Gewerbeordnungs novelle, die vom 1. Juni 1891 datirt, auch die Vor schläge wegen Einführung der Sonntagsruhe unter breitet hatten, glaubte der Reichstag, daß die beabsichtigte Ruhe sich nicht mit Erfolg würde durchführen lassen, wenn nicht besondere Bestimmungen über den gesammten Gewerbe betrieb in offenen Verkaufsstellen und im Umherziehen er lassen würden. Infolge dessen kamen die tztz 4ln und 55» der Gewerbeordnung zu Stande, in welchen der erstere Gewerbe betrieb an Sonn- und Festtagen soweit verboten wird, als nach den SonntagSruhevorschriflen Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter ini HandelSgewerbe nicht beschäftigt werden dürfen, und der letztere überhaupt für unzulässig erklärt wird. Damit ist natürlich auch in die Arbeitsreit der Arbeitgeber eingegriffen. Der Reichstag ist damals also über die Vorschläge der ver bündeten Regierungen hinausgegangen. Daß er jetzt den Acktubr-Schlnß für die Ladengeschäfte annehmen wird, ist allerdings nach dem Erfolge der betriebenen Agitation und hen Erörterungen in den letzten Tagen sehr unwahr scheinlich. Die Arbeitgeber im Handelsgewerbe werden sich wahrscheinlich erst durch weitere Erfolge der socialdemo- kratischcn Agitation unter den Handlungsgehilfen daran erinnern lassen müssen, daß sie in zahlreichen Städten wieder holt im eigensten Interesse den Versuch gemacht haben, auf dem Wege der Selbsthilfe einen gleichzeitigen früheren Ladenschluß herbeizuführen, und daß der fpäte Ladenschluß nur ihre Kosten vergrößert, ohne die Kaufkraft des PublicumS und den Absatz im Geringsten zu erhöhen. Nachdem in Belgien das radikal - socialistische Wablbündniß kürzlich von den beiden Gruppen grund sätzlich besckloffen worden ist, haben die Vertrauensmänner der radikalen und der socialistischen Partei nunmehr ein ge meinsames Wablprogramm ausgearbeitet, mit welchem die verbündete äußerste Linke in einigen Wochen in den Wahl kampf zu treten beabsichtigt. Dasselbe trägt einen so aus gesprochen socialistischen Charakter, daß man sich fragen muß, wozu die radikalen Parteiführer sich erst noch die Mühe gaben, das alte socialdemokratiscbe Partei programm in neue Worte zu kleiden Sie hätten es leichter gehabt, sich tinfach zur Socialdemokratie zu bekennen, zu welcher ihr ganzes Wesen sie ohnehin hin zieht. Wir finden in dem radikal-socialistischen Wahl programm nicht blos daS allgemeine, durch keine wie immer geartete Bestimmung eingeschränkte Stimmrecht für die Parlamentßwablen, sondern auch die meisten wirthfchaftlichen Forderungen der Socialdemokratie, wie Verstaatlichung der Bodcnproduction, der Bergwerke, Eisenbahnen, der größeren Fabriken, die Verpflegung aller armen Kinder auf Staats kosten u. s. w. Das Wort Collectivismus findet sich in diesem Wahlprogramm allerdings ebensowenig, wie das Wort Republik, und darin liegt die einzige Concession, welche die socialdemokratischen Unterhändler ihren radikalen Bundesgenossen gemacht haben. Aus das Wort kommt es aber nicht an, sondern nur auf die Sache, und bezüglich der letzteren kann man das gemeinsame radical- socialistische Wahlprogramm nur als eine ebenso vollständige wir schmähliche Capitulation des radicalen Bürgerthums vor der revolutionairen Socialdemokratie betrachten. Di« radikale Partei in Belgien bat mit der Unterzeichnung dieses Programms al- selbstständige Partei zu existiren aufgehört und ist ein bloßes Anhängsel der socialdemo- kratiscken Partei geworden. Janson, noch vor zehn Jahren der rinflußleiche Führer einer mächtigen Partei, ist zum Untergebenen deS socialdemokratischen Generalissimus Vander- velde herabgesunken. Es gehört übrigens, wie der „M. A. Z." auS Brüssel geschrieben wird, eine starke Leichtgläubigkeit dazu, um anzunehmen, daß das radical-socialistische Wahlprogramm, welches hauptsächlich auf die Eroberung Brüssels gemünzt ist, die hauptstädtische Wählerschaft verfuhren wird. Will cs doch den Kandidaten die Verpflichtung auferlegen, für den Fall ihrer Wabl eine neue Revistvnsbewegung Hervorzurusen; eine solche Agitation ist derzeit jedoch so unpopulär, baß das Hauptorgan des belgischen Radikalismus ihre Aussichtslosig keit offen zugesteht. Die Radicalen geben also im Bunde nut den Socialisten in Brüssel einer sickeren Niederlage entgegen, dagegen ist unter den obwaltenden Umständen an der Wieder wahl sämmtlicher 18 klerikaler Abgeordneten der Hauptstadt gar nicht zu zweifeln. Wie die Krisis in Frankreich enden wird, ist noch nickt abzusehen. Möglicherweise wird der Riß nochmals für kurze Zeit verkleistert, möglich aber auch, daß es zu gewaltsamen Conslicten kommt, dä die VolkSleidenschaft in allen Lagern einen hohen Grad der Erregung erreicht bat. Felix Faure bemüht sick, die logischen Consequenzen aus der druck da» Kammervotum geschaffenen Lage zu ziehen, aber er wird, wie er sich auch schließlich entscheidet, kein Glück haben. Er hat zunächst mit einer Anzahl ge mäßigt radicalrr Führer verbandelt, namentlich mit dem Kammerpräsidenten Brisson, der auch in den Reihen der Gemäßigten zahlreiche Freunde besitzt und jedenfalls einer der wenigen französischen Politiker ist, welche staatsmännisches Ge schick besitzen. Faure wäre zur Berufung eines maßvoll radi kalen Cabinet« auch berechtigt, da, formell wenigstens, die Radicalen bei der letzten Abstimmung die Mehr heit hatten. Aber diese Combination scheitert ebenso wie an der Weigerung Brifson's an der Erklärung des Senats, nur einem gemäßigt-republikanischen Cabinet Gefolg schaft leisten zu wollen. Der Senat hält demnach offen bar den Augenblick für gekommen, wo Frankreich sich zu entscheiden hat, ob ferne Zukunft dem Communis- muS auSgeliefert sein soll, oder ob es in die Bahnen einer vernünftigen Entwickelung einlenken will. Auch Faure würde am liebsten die Portefeuilles den Händen lediglich gemäßigter Republikaner anvertrauen, aber da diese am Donnerstag sich durch Stimmenthaltung selbst in die Minderheit gesetzt haben und ein solches Ministerium dem Ansturm der Radicalen, auf deren Seile immer ein guter Theil der unzuverlässigen Opportunisten zu fallen pflegt, so gut wie keinen Widerstand entgegenzufetzen vermöchte, scheint er endgiltig ein re publik an ischesZusamm enfassungs- ministerium mit gemäßigt radikaler Spitze ins Auge gefaßt zu haben. Wir erhallen über die jüngsten Versuche Faure's folgende Meldung: * Paris, 24. April. Ein» Note der „Äqrnce Havas" meldet: Präsident Faure setzt morgen die Besprechungen mit Politikern fort. Man glaubt, Faure werde nach der heutigen Besprechung mit Brisson auf Ucbernahme der CabinetSbildung durch Msline be stehen, mit dem er sich heule zwei Stunden besprach. Auch Paria- ment-kreise nehmen an, daß Meline wegen wirthschaftspolitischcr Be ziehungen zu verschiedenen Fraktionen der Kammer die größten Chancen habe, die Krisis zu lösen. Im Cabinet Möline übernehme voraussichtlich Hanotaux da- Aeußere. MSline dürfte zur Be festigung drr Majorität vom Präsidenten Faure eventuell eia voll- ziehbare» Auflösungsdecret für dir Kammer verlangen; der Präsident Faure zögere aber, ein solches auSzustellen. Diese Combinalion wäre alS kurzlebiges Uebergangs- ministerium — denn nur auf ein solches kann eS augen blicklich abgesehen sein — vielleicht nicht ohne alle Aussicht, FaniHetsn. Der Roman einer Schwiegermutter. Fräulein I. de Saint-Aignan nacherzählt von H. Semmig. 2s Nachdruck «erbot«». So hatte sie nach acht Jahren der Ehe für ihrrn Gatten und Antoninen noch immer ihren ersten blendrnden Zauber bewahrt, als eine heftige Krankheit Herrn de Lubersac plötzlich binwegraffte. Die letzten Worte, di« der Sterbende an seine Tochter richtete, waren eine Ermahnung, niemals zu vergessen, wa» sie Beide Cäcile zu verdanken hätten und immer die innigste kindliche Liebe zu ihr zu hegen. Weinend, aber willig gelobte Antonine, waS ihr Vater von ihr verlangte, und suchte an der Brust ihrer Stiefmutter den ersten Trost für ihrrn Schmerz. Wa» Madame de Lubersac anlangtr, so hielt ihre Verzweiflung sie nicht ab, an da» Solide zu denken. Die erste Zerstreuung, die sie sich gestattete, bestand in einer sorgfältigen Untersuchung de» Zustande», worin sich ihr Vermögen befand. Fortaeriffen vom Iugendfiebrr und ihrer unüberlegten Vergnügungssucht, hatte sie feit ihrer Berheirathung diese Kleinigkeiten vernachlässigt, und mit Schrecken gewahrte sie nun, daß Herr d« Lubersac, zu schwach, um irgend rin Opfer von ihr zu vrrlanaen, Capital und Einkünfte ihre» gegenseitigen Vermögen» aus dem Altar seiner Liebe geopfert batte. Höchst unzufrieden Über diese Ent deckung verwünschte Madame ve Lubersac im Stillen dir Thorhrit ihre« theuren Gatten und erkannte, alle Schwach heit bei Seite setzend, daß der arme Mann in gewisser Hin sicht recht grthan hatte, in die andere Welt eknzugehen. Sie wurde wieder die vorsichtige Frau, die sie vorher grwesen, und ordnrt« Alle» so, daß sie so wenig wie möglich verlor, unbekümmert darum, daß sie ihre vielgeliebte Antonine gänz lich zu Grunde richtete: dann reiste sie mit dieser ihr so theuren Tochter nach Schloß Lubersac ab, da» jetzt ibr Eigen- thum geworden war, um einige Monat« drr Zurückgezogen heil damit zuzubringrn, neue Pläne für dir Zukunft au«- zuarbeitru. Sie bedurfte keine» langen Nachdenken«, um sich zu über zeugen, daß eia« neue und reiche Heirath allein sie in den Stand setzen könnte, ihre errungene Stellung mit all ihren vortbeilen zu behaupten, und sie hatte auch, bevor sie noch nach Pari» zurückkehrt«, ihr« Lugrn auf rinrn gewissen Baron Martial geworfen, der rin große-, unter dem Direktorium erworbenes Vermögen, einen Titel neuer Fabrikation und außerdem so etwa« wir fünfzig Jahre sowie ein für eine vernünftige Frau genügende« AeußereS besaß. Früher batten, wie r« schien, die Reize der schönen Cäcile großen Eindruck ans diesen Baron Martial gemacht; aber al« sie jetzt, wo sie Wittwe und frei geworden war, von ihren An betern etwa« Andere» al« eine Huldigung ohne ernste Folgen zu beanspruchen schien, trat der Baron zurück. Er war im Grunde ein braver Mann, der, ohne weit mehr Vorurthrile zu haben als dir Gesellschaft, in deren Mitte er lebte, noch einen Theil von den Ideen bewahrte, weiche ihm rechtschaffene Eltern in seiner Kindheit eingeprägt batten. Er empfand eine instinktmäßige Furcht vor den Schönen, welche ihm dir Ehre erwiesen, ihn mit ihren Zärtlichkeiten anzulvcken, und die einfache Anmuth Antoninen'», ihre unschuldigen Reize, ihre reine naive Schönheit machten auf sein ein wenig verhärtete« Herz einen weit ernsteren Eindruck al« da» herausfordernde Benehmen der Schwiegermutter. C»cile wurde diese gefährliche Nebenbuhlerschaft zu spät gewahr. Sie hatte sich da« Zaudern de« BaronS nicht er klären können und erhielt die Lösung de« Rüthsel» erst, al» derselbe bei ihr um dir Hand ihrer Sckwieaertochter anhirlt. Madame de Lubersac empfing den armen Verliebten ziemlich übel. E« war natürlich, daß sie sich in den ersten Augen blicken einer so schweren Enttäuschung ihrem weiblichen Ver druß überließ; aber die Eitelkeit war in ihr nur «ine Leiden schaft zweiten Range« und sobald e« ihr gelungen war, drr neuen Lage der Dmge eine für sie möglichst vortheilhafte Wendung zu geben, fügte sie sich von Herzen darein. Sie gebrauchte all ihren Einfluß auf Antoninen, um ihre Ein willigung in eine Ehe zu erhalten, di« dem Geschmack de« armen Kinde» wenig zusaate, und wußte bei beiden Theilen ihr Zartgefühl, ihre aufopfernde Hingebung, ihren Edelmuth so geschickt fühlbar zu machen, daß sie dem Flehen ihrer Stieftochter und der Einladung de» BaronS nachgab und sich mit dem neuen Haushalt in einem reizenden Hotel nirderlirß, da« mit allem Luxus der Epoche auSgestattet war. Dort waltete si« al« Gebieterin inmitten eine« ihr ganz unter- thänigen Hause« und schwur sich in ihrem Herzen, sich niewal« entthron«» zu lassen. Nach Verlauf einiger Monate aber begann eine merkliche Erkältung von Seiten de« Baron« Martial die Eß.-undlaar dieser neuen Herrschaft zu erschüttern. Mißfiel die hohe Herrschermirnr, mit welcher Cäcil« regierte, dem braven jetzt die Begegnung mit jedem heirathsfähigen Manne ebenso sorgfältig, wie sie dieselbe in einer anderen Epoche ihrer Existenz aufgesucht hatte. Man wird also leicht begreifen, wie unzufrieden sie im Stillen war, als eS Maxence d'Arton, dessen Begegnen auf dem Pont-des-ArtS sie schon erschreckt hatte, gelang, sie in den Pyrenäen einzuholen und endlich eine immer traulichere Bekanntschaft mit Antoninen anzuknüpsen, der er nicht zu mißfallen schien. Madame de Lubersac mußte aber dock der Gewalt, die sic Uber ihre Stieftochter ausübte, einige Beschränkungen aui erlegen; sie hätte gefürchtet, ihren Einfluß für immer zu ver lieren, wenn sie dem Geschmack und den Launeu der jungen Frau zu schroff entgegengetreten wäre. Sie sah sick also ge zwungen, die beiden jungen Leute sick allmählich nähern zu lassen, zuzusehen, wie sie zusammen in dem schönsten Lande der Welt herumirrten und zusammen diese reiche Natur be wunderten, deren einfache Größe dieselben Empfindungen in ihnen weckte, Gefühle, die sie sich darauf in lange» Nute: Haltungen anvertrauten, zergliederten und verglichen; gewöhnlich vergaßen sie dabei die schöne CScile, die sich, durch eine zu frühe Beleibtheit außer Atbem gesetzt, hinter ihnen nach schleppte. Trotzdem begleitete sie, fortwährend auf ibr eigenes Interesse bedacht, Antoninen auf all ihren Ausflügen, von denen ihr nur die Strapazen einleuchteten; zuweilen gelang eS ihr aber, rin trauliches Gespräch zu unterbrechen, einen Spaziergang abzukürzen, durch einen schmerzlichen Seufzer und traurig« Reken Antoninen an einen Kummer zu erinnern, dem ihr zwanzigjährige« Gemülh sich ein wenig zu entfremden begann. DaS war Alles, was Madame de Lubersac thun konnte; sie bemerkte bald, daß dies nicht genug war. Da fand sie Gelegenheit, Antoninen durch einen alten Freund des BaronS Martial einladen zu lasten, den Rest deS Herbste« aus seinem Schlosse in der Touraine zubringen zu lassen. Die junge Frau wagte nicht» die Einladung abzulehnen, so verdrießlich ihr auch dieselbe war» wohl ahnend, wie sehr si« sich daselbst langweilen würde; triumphirend beschleunigte Madame de Lubersac ihre Abreise, und Maxence, der ihr natürlich nicht folgen konnte, war gezwungen, in Paris ihre Rückkehr ad- zuwartrn. Aber CScile hatte nicht bloS beabsichtigt, ihn eine Zeit lang von ihrer Stieftochter zu trennen; ihre Verschlagen- h«it und Vorsicht gingen weiter. Umgeben von den alten Freunden de« Baron», von ihrer empfindsamen Stiefmutter auf- Neue in alle Erinnerungen an «inen Gatten versenkt, den si« aufrichtig gelirbt halt«, wurd« Antonia« durch ge- Manne, der gewohnt war, nach seiner Laune zu leben? Oder flößte ihm zuletzt die treuherzige Zuneigung Antoninen's zu ihrer Schwiegermutter, ein Gefühl, das ihm, alten Er innerungen und einer gewissen Kenntniß der Vergangenheit der letzteren zufolge, nicht recht angebracht zu sein schien, ein heimliche« Unbehagen ein, je mehr die zugleich leidenschaftliche und väterliche Zärtlichkeit, die er für seine junge Frau empfand, seinen Geist und sein Herz reinigte und ihn be fähigte, die anbetenSwerthe Unschuld derselben zu würdigen? Man vermag eS nicht zu sagen. Gewiß ist, daß C^cile nicht ohne Widerstand nachgab. Es entspann sich ein geheimer fortwährender Krieg zwischen Schwiegersohn und Schwieger mutter, indessen schonten sie wie in Folge eines stillschweigenden UebereinkommenS die Illusionen Antoninen's und verbargen ihr Zerwürfniß so sorgfältig vor ihr, daß sie eS für blanke Wahrheit nahm, alS C6cile ihr sagte, dringende GeschciftS- gründe verlangten ihre Gegenwart auf Schloß Lubersac, und aufrichtige Tbränen Üoer eine Trennung vergoß, in die sich ihre hochmüthige Stiefmutter mit Äuth im Herzen er geben hatte. Der Baron hielt sich nach der Abreise von Madame de Lubersac für den glücklichsten aller Menschen; aber sein Glück war von kurzer Dauer. Eine schleichende schmerzhafte krankbeit überfiel ihn, und trotz der aufopfernden Pflege einer jungen Frau verschied er in ihren Armen, bevor er ihr tbrr die erhabenen Tugenden, die sie ihrer Stiefmutter bei hegte, hatte die Augen öffnen können; aufs Neue blieb sie nun allein und schutzlos den Ränken derselben preisgegeben, und um ihre Unabhängigkeit sicher zu stellen und ihr seine Liebe zu beweisen, batte er nichts Andere» thun können, als sie zur Universalerbin seines bedeutenden Vermögens einzusetzen. Auf diese Nachricht eilte Madame de Lubersac sofort herbei, um ihre Tbränen mit denen ihrer Tochter zu ver mischen und mit fester Hand die Zügel drr Verwaltung wieder zu ergreifen, die diese» traurige Ereigniß ihr aufs Neue au«- lieferte. Keck entschlossen leitete sie die auswärtigen und inneren Angelegenheiten, vervielfältigte sich, um der jungen Frau allen Verdruß zu ersparen, befehligte überall und batte, nun sie endlich eine ihrer Talente würdige Stellung gefunden batte, nur noch die einzige Sorge, jeden Andern zu verhindern, ihr dieselbe zu entreißen. Muthig die Gegenwart drr Zukunft, die Vergnügungen dem Interesse aufopfernd, unterhielt sie den sehr aufrichtigen Schmerz Anioninen'S durch allerband düstere Betrachtungen, sondert« sich mit ihr von aller Gesellschaft ab und v«rmi«d
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