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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.05.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-05-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960522013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896052201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896052201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Bindung fehlerhaft: Seiten in falscher Reihenfolge
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-05
- Tag1896-05-22
- Monat1896-05
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Aller dings stellten sich die Berichte englischer Correspondenten al« in« Ungeheuerliche übertrieben heraus, aber es blieb doch noch so viel veS Grauenvollen übrig, daß man e« nur begreiflich finden muß, wenn die Erregung, namentlich in den christlichen Kreisen der westlichen Culturländer, sich noch immer nicht legen will. Sie muß von Neuem Nahrung erhalten durch das, was man jetzt über die unglaublichen Vorgänge hört, welche sich Ende des vorigen und Anfang dieses Jahres nn Norden und Nordosten des Vilajets Aleppo abgespielt haben. Auf Anregung der enalichen Botschaft in Konstantinopel war bekanntlich eine türkische UntersuchungScommission an Ort und Stelle gesendet werden. In Folge einer von aller höchster türkischer Seite ergangenen Einladung hatte die eng lische Botschaft ihren Consularbeamten G. H. Fitzmaurice zu dieser Untersuchungscommission delegirt. Letzterer ist nun vor Kurzem wieder in Konstantinopel eingetroffen und e« wurden allen Botschaften gedruckte Copien seiner Berichte übergeben. Aus diesen Consularberichten sind folgende An gaben hervorzuheben: In Biredschik (Mohamedaner 1400, Christen 240 Häuser) mußten die Armenier Anfang December alle Waffen abliefern. Am 1. Januar 1896 erfolgte der Sturm de« Pöbels auf das christliche Viertel, wobei über 150 Arme nier getödtet, über 60 verwundet, die Häuser geplündert und niedergebrannt und alle Kirchen entweiht wurden. Gegen Abend wendete sich der Pöbel gegen die Häuser, wo die verfolgten Armenier bei barmherzigen Türken Schutz ge funden hatten. Die Bande zog erst ab, als auf einem Dache eine Armenierin erschien und erklärte, daß alle ihre Glaubens genossen „f r e i w i l l i g "zumJ Slam übertreten. DieArmenirr verwandelten hierauf ihre Kirche in eine „Hamidieb Moschee" und etwa 1500 Armenier sind so auf diese Weise Mohamedaner geworden. Die Christen von Surndsch flohen nach Urfa, die von Ehnesck (70 Häuser), von Dschibin (50 Häuser) und Nisib (40 Häuser) sind auch zum Islam überge treten. Das Blutbad in Adiaman (11 000 Mohame daner, 4000 Christen) begann am 7. November und dauerte 3 Tage. Es wurden 410 Personen, zumeist Männer, nie bergemacht. Bei der Plünderung und Brandstiftung wurden 100 Häuser verwüstet, 70 niedergebrannt und die Kirchen der Gregorianer, Katholiken, Syrer und Prote stanten entweiht. In Severek, Vilajet Diarbekir, wurden am 2. November von den 1500 erwachsenen Christen 800 ermordet und das Christenviertel geplündert. Am fürchterlichsten aber hat der Fanatismus in Urfa gewüthet. Die dortige Bevölkerung bestebt aus etwa 40 000 Mobamedanern und 25 000 Christen. Den Anlaß zu den beiden Massacres vom 28. bis 29. October und 28. bis 29. December 1895 boten einige Armenier, die sich durch ihre Erbitterung über die Nichteinführung der zugesagten Reformen zu revolutionairen Handlungen hinreißen ließen. In Folge dessen wurden alle Armenier zu Verräthern ge stempelt. Am 27. October v. I. forderte der Armenier BoghoS, den Mohamedaner Ismail in dessen Hause auf Begleichung einer Rechnung. Dieser wies ihm die Thür und stach ihn Tags darauf in der Nähe der Hauptkirche auf offener Straße nieder. Der Mörder wurde verhaftet und auf die nächste Wache geführt. Nach türkischer Version sollen nun die Ar menier die Wache angegriffen und Ismail tödtlich verwundet haben. Die Armenier dagegen behaupten, die Zaptiehs hätten beabsichtigt, den Mörder entwischen zu lasten, worauf ihre Glaubensgenossen in das WachthauS gedrungen seien und seine Abführung in den Konak verlangt hätten. Bei dem hierauf erfolgten Handgemenge sei nun Ismail verwundet worden und aus dem Transport zum Konak gestorben. Ein armenischer Arzt, der Bajonnetwunden constatirte, wurde vom Gendarmeriemajoc niedergeschoffen, seine Leiche durch die Straße geschleift, in Stücke gehauen und in einen Graben geworfen. Am 28. October erfolgte im Bazar ein Ueberfall des Pöbels auf die Armenier und später ein Angriff auf das armenische Viertel, der aber zurückgewiesen wurde. Die Mohamedaner verloren hierbei 4—5, die Armenier 27 Todte. Darauf wurden 700 armenische Läden und 190 Häuser vom Pöbel geplündert und in Asche gelegt. Nach diesen Vorfällen wurden alle außerhalb des armenischen Viertels angetroffenen Armenier niedergemacht, das armenische Viertel aber zwei Monate lang vom Pöbel geradezu belagert. Der armenische Bischof, der hierüber telegraphisch nach Konstantinopel be richten wollte, wurde verhaftet. Am 29. October kehrte der Mutessaris Hassan Pascha von einer Jnspection zurück und verlangte die Auslieferung von 1800 Martinigewehren, die sich in den Händen der Armenier befänden, zugleich kleidete er 1000 Mann als Reservisten ein und schickte sie zum „Schutze der Armenier" in das bedrohte Viertel. Die Truppen erpreßten von den Armeniern bedeutende Summen. Auf ihre Mittheilung, daß nur diejenigen Armenier, die sich zum Islam bekehren, dem Tode entgehen könne», erfolgten Massen Übertritte. Da die Behörden auf der Aus lieferung der Waffen (1800 Martinigewehre und 100 Revolver) und von 10 Männern, denen die Hauptschuld am Tode Ismail« beigemeflen wurde, bestanden, wurden die bezeichneten Personen au-geliefert und 1200 Stück Waffe», zu diesem Zweck meist erst aufgekauft, im Konak niederaelegt. Am 28. December wurde der armenischen National-Vrrsammlung in der Haupt kirche bedeutet, e« sei nicht« zu befürchten, alsbald darauf begann jedoch rin große« Blutbad. Am Morgen diese« Tage« sah man Mohamedaner auf den Minaret« und Frauen auf den Dächern und Basteien der Festung, wo sie auf da« bevorstehende Schauspiel warteten. Auf rin ge gebene« Signal begann nun eine beispiellose Schlachterei. Die unglücklichen Armenier wurden wie Schlachtvieh hrrbrigeschleppt unv uiedergemacht. Ein Scheikh schlachtete neben der protestantischen Kirche gegen 100 Armenier, die gefesselt auf dem Rücken lagen, unter Absingung von Koranversen, indem errhnrn wieSchafennachdemRitu« von Mekka die Gurgel durchschnitt. Unterdessen plündernder PSbrl und steckte die Häuser in Brand. Der darauf folgende Sonntag überbot aber an Scheußlichkeiten alles Vorangegangene. Die große Hauptkirche, wo 3000 Armenier beider Geschlechter und aller Lebensalter Zuflucht gesucht hatten, wurde ge stürmt und geplündert, alle Männer sofort ermordet, dann die Zugänge zu den Galerien, wo Frauen und Kinder Zuflucht gesucht hatten, mit Petroleum getränktem Bettzug u. s. w. vrrbarrikadirt und das Gotteshaus mit allen darin Befindlichen niedergebrannt. Noch zurZeit des Aufenthaltes de« englischen Delegirten (5. März) war der surchlbareGeruch des verkohlten und verwesten Menschenfleisches unerträglich. Mindestens 8000 Armenier kamen an den beiden Tagen um, darunter 126 Familien, von denen weder Frauen noch Säuglinge verschont blieben. Die Leichen der Opfer wurden in den drei dem Gemetzel folgen den Tagen von Juden beiseite geschafft und verscharrt. BeheSni ist die einzige Ortschaft, die von Blutvergießen und Plünderung verschont blieb, was hauptsächlich der Hal tung der türkischen Notabeln unter der Führung Jacob Pascha's zu danken ist. Ein kurdischer Angriff am 10. No- rember wurde von diesen abgewehrt, türkische Truppen, die später zur Hilfe kamen, schlugen einen späteren Angriff mit Blutvergießen zurück. Die Anzahl der Armenier, die unter den erwähnten Um ständen zum Islam übergetreten sind, wird folgender maßen beziffert: im Bezirk Biredsckik 4300, in Urfa 500, in Sewerek 200, in Adiaman und Umgegend 900, inSgefammt 5900. Ferner erfuhr Fitzmaurice in Marasch, daß 200 armenische Familien im Distrikt Albistan, 116 Armenier im District Anderin und eine Menge in den Dörfern um Marasch den Glauben gewechselt haben. Da nach dem Scheri die Rückkehr vom Islam zum alten Glauben mit dem Tode zu bestrafen ist, so ist kaum daran zu denken, daß die Betreffenden sich inmitten einer fanatischen Bevölkerung, die den Behörden über den Kops gewachsen ist, den furcht baren Folgen eine« solchen Schritte« aussetzen würde». Schließlich ist zu bemerken, daß der Consul Fitzmaurice ausdrücklich hervorhebt, er habe Informationen aus armenischen Quellen nur dann verwendet, wenn solche durch türkische Aussagen bestätigt erschienen. — Eines Commentars bedürfen diese glaubwürdigen Nachrichten nicht. Nur eins sei hervor gehoben: dieselben bestätigen wiederum die von uns wieder holt von allem Anfang an hervorgehobene Thatsache, daß in einzelnen revolutionairen Ausschreitungen der Armenier nicht der zureichende Grund zu den unmenschlichen Gräueln des türkischen Pöbels, türkischer Truppen und türkischer Behörden gesucht werden kann, sondern daß dieselben für den mohame- daniscben Glaubensfanatismus nur der höchst erwünschte Anlaß waren, über die wie die Pest gehaßten Christen, weil sie Andersgläubige und zugleich die Culturträger im Orient sind, herzufallen und vas Ausrottungswerk zu beginnen. Denn darauf, den armenischen Volksstamm auszutilgen, ist es abgesehen und man wird sich auf noch weitere Acte de« entsetzlichen Dramas — sei eS für jetzt, sei eS für später — gefaßt machen müssen. Den europäischen Mächten ist es leider noch nicht möglich gewesen, hier Einhalt zu thun. Immer hat sie die Erwägung von einem energischen Einschreiten abgehalten, daß ein solches die Aufrollung der Orientfrage in ihrer ganzen Ausdehnung und damit die Entfachung des gefürchteten Weltkrieges bedeuten würde. Aber sollte die armenische Frage tbatsächlich unlösbar sein? Man spricht jetzt, namentlich in Rußland und selbst in Frankreich viel von einer Annäherung des Dreibundes und des Zweibundes zur Lösung gemeinsamer Aufgaben. Käme ein solches nur mit Freuden zn begrüßende Zusammengehen zu Stande, dann müßte das armenische Problem als erster Punct auf der internationalen Tagesordnung stehen, und dann, aber auch nur dann wäre es ohne Gefahr aus der Welt zu schaffen. Es ist das nur eine schwache Hoffnung, aber, da die gemeinsame Gegnerschaft gegen Eng land einen mächtigen Coalitionszwang zu üben geeignet ist, darf man noch nicht alles Vertrauen auf eine friedliche Regelung aufgeben, die um so leichter fallen wird, wenn das ländergierige Albion aus dem Spiel zu bleiben genöthigt ist. England hat sich lediglich aus nacktestem Egoismus in die armenischen Angelegenheiten eingemischl und dadurch den Brand nur vermehrt, statt ihn zu löschen. Deutsches Reich. * Leipzig, 21. Mai. Zum Telegramm des Kaisers an Geheimrath Hintzpeter schreibt die „Christliche Welt" in ihrer heutigen Nummer u. A.: „Der Kaiser hat offenbar allein die evangelischen Pastoren im Auge. Auf die katho lischen Geistlichen bezieht sich seine Kritik nicht. In der That ist der ganze Gedanke, daß die Diener der christlichen Gemeinde sich um Politik nicht zu kümmern haben, nur auf protestantischem Boden möglich. Die römische Kirche ist ihrem Wesen nach so sehr auch politische Institution, daß politische Priester in ihr die normale Erscheinung sind. Erst auf dem Boden der Reformation wird der politische Pastor eine fragliche Größe. Aber noch enger müssen wir die Grenze ziehen, innerhalb deren das der Fall ist. Zwingli war jedenfalls ein politischer Pastor. England und Amerika haben ebenso wie die Schweiz bis auf den heutigen Tag Prediger und Pastoren in Menge gesehen, die an der Politik lebhaften Anthril nahmen und sie auch beeinflußten. Nur auf deutschem, lutherischem Boden kann man zu einer These kommen, wie sie das Kaiserlele- gramm vertritt. Und zwar aus zwei Wegen kann man dazu kommen: auf einem idealistisch-dogmatischen oder auf einem absolutistisch-bureaukratischen. Einmal nämlich kann man die Aufgabe des Pastors als eine bis zur Verflüchtigung seiner irdischen Lage und Pflicht geistliche auffassen. Man kann die Lehre vom Beruf und der BerufStheilung so übertreiben, daß man den Pastor ebenso zu den Seelen, wie den Schuster zu seinem Leisten weist. E« giebt beute solche „Idealisten." Oder man kann von der Gebundenheit unserer evangelischen „Kirchen" an den Staat ausgehrn und den Pastor vornehm lich als StaatSdiener ansehen. Dann mögen für ihn Ver haltungsmaßregeln gelten, wie sie jüngst wieder in Preußen den Staatsbeamten «ingesckärst worden sind: er darf nicht gegen die von der jeweiligen Regierung eingebaltrne Politik auftrcten. Nur dann ist er der „politische Pastor", den die Regierung nicht ertragen kann. Treibt er dagegen Politik im Sinne der Losung „Thron und Altar", so ist er hohen Lobes werth. Es hat immer politische Pastoren gegeben und wird immer welche geben. Daß aber unsere evangelische Geistlichkeit insgemein den Hang hätte, sich in weltliche Händel zu mischen, wird man nicht sagen können. Neuer dings ist eS nur die Wirthschaftspolitik gewesen, die eine gewisse Anziehungskraft aus einen Tbeil der Pfarrer auS- geübt hat. Aber aus Beweggründen, die auch vor dem kaiser lichen Telegramm bestehen können. Denn eS erkennt den „Herren Pastoren" an zweiter Stelle die nicht geringe Ausgabe zu, die Nächstenliebe zu pflegen. Die Nächstenliebe aber kümmert sich auch um den Leib und die leibliche Wohlfahrt des Nächsten. Damit sind wir mittendrin in den Wechselbeziehungen von „christlich" und „social." Unsere Definition von Christlich-social haben wir in der vorletzten Nummer mit aller Deutlichkeit gegeben.*) Wir freuen uns dessen und werden in diesem Sinne christlich-social bleiben, wie auch die Gunst der Mächtigen in Kirche und Staat sich wandeln mag. Dem Siebenten Evangelisch socialen Congreß aber wünschen wir mit bewegtem Herzen, daß es ibm beschieden sein möge, zur Klärung und Befestigung wahrhaft christlicher Gesinnung ein gutes Wort zu sagen. Er war vielleicht niemals nötbiger als in dieser Stunve. Mögen Alle, die den Ernst der Lage erkennen und dazu berufen find, nach Stuttgart kommen, den Congreß zu stärken." (Im Anschluß hieran sei aus der neuesten Nummer der „Chronik der christlichen Welt" mitgetheilt, daß Gehe^m- rath Hintzpeter, der bekanntlich die Stellung des Frei herrn von Stumm zur Socialrcform nicht theilt, „auch gänz lich unschuldig an der Veröffentlichung des Telegramms ist." Red. d. „L. T.") * Berlin, 21. Mai. Ueber einen diplomatischen Schriftwechsel in Sachen deS im vorigen Jahre in Kiss'ngen vermtheilten AnrerikanerS Stern wurde der „Magdeb. Ztg." aus New-Dork berichtet: „Da ich bezweifle, ob die amerikanischen Neuigkeit« - Kabel- Compagnien die diplomatische Correspondenz zwischen dem ameri kanischen Staatssecretair, Hrn. Olney, und dem deutschen Botschafter in Washington, Freiherrn v. Thi elmann, über diesen Fall veröffentlichen (sie haben es in der That unterlassen) geschieht dies im Auszuge hiermit. Doch ist vorder nöthig, einige Bemerkungen über den Gegenstand, die Kissinger Geschichte des New-Aorker Kaufmanns Louis Stern, zu machen, so weit sie Amerika betrifft. Ich muß nämlich die gute New-Uorker Gesellschaft ge rechter Weise von dem Verdachte reinigen, die Ausschreitungen ihres Mitbürgers in Kissingen gebilligt oder auch nur ent schuldigt zu haben. Seine besten Freunde gaben ihm den Rath, seine Uebereiluna durch eine noble That wieder gut zu machen, die Freiheitsstrafe ruhig anzutreten und die Bürgschaftssumme wohl- thätigen Anstalten zu überweisen. Er that es nicht. Damit hatte er bei den New-Yorkern ausgespielt, auch waren diese der Ansicht, daß die Bemühungen der amerikanischen Botschaft in Berl'n, Stern durch eine Pression auf die Behörden zu retten und schließlich seine Begnadigung herbeizuführen, sehr unangebracht und eher nachtheilig als nützlich für Stern waren. Daß man in Washington die Quelle jener Anstrengungen zu suchen hatte, war bisher unbekannt; seit der gestrigen Veröffentlichung der diplomatischen Correspondenz zwischen Staatssecretair Olney und dem Freiherrn v. Thielmann scheint nian nicht daran zweifeln zu können. Die Correspondenz be- ginnt mit einer vom 26. September datirten Note Olney's, die das Verfahren gegen Stern als willkürlich (!), die Bürg- schaftssumme als unmäßig doch und die Verurtheilung Stern's zu erniedrigender Gesängnißhast al« ungerecht und un- nöthig grausam (!) bezeichnet. Die Befreiung Stern's von der letzteren sei ein Act, den die deutsche Regierung nicht verweigern sollte. Zwar würden die guten Beziehungen zwischen beiden Ländern vermuthlich in keinem Falle unterbrochen werden, aber es müsse zugestanden werden, daß Entfremdungen zwischen Nationen häufig kleinen Anfängen entsprungen seien. Wenn der ernsthafte Appell der Vereinigten Staaten zu Gunsten Stern's keinen Erfolg haben sollte, würden die Amerikaner daran ver- zweifeln, „in Deutschland je Gerechtigkeit finden zu können und rücksichtsvolle Behandlung seitens der kaiserlichen Regierung". Freiherr v. Thielmann, der sich damals in Lenox, Mass., befand, beantwortete die unerhörte Sprache Olney's, die doch am aller- wenigsten geeignet war, Milde für Stern zu erlangen, in folgender, fester, bündiger und der deutschen Regierung würdiger Weise' „Lenor, Mass., 1. October 1895. In Beantwortung Ihrer Note vom 26. September beeile ich mich zu erklären, daß ich Ew. Excellenz Kritik des von dem Kissinger Gericht gegen Herrn Louis Stern verhängten Urtheils als voll- ständig ungerechtfertigt zurückweise. Besonders muß ich ablehnen, die Jusrizpflege in einem deutschen Bunde-staate und das Begnadigungsrecht der deutschen Bundesfürsten zu discutiren und in der Form eines diplomatischen Anspruchs behandelt zu sehen. Sollte die Vereinigte Staaten-Regierung die Regierung Seiner Majestät des deutschen Kaisers in dieser Angelegenheit anzugehen wünschen, dann muß es ihr überlassen bleiben, dies durch den amerikanischen Botschafter in Berlin zu thun." Herr Olney antwortete darauf, jeder Staat habe das Recht, Urtheile ausländischer Gerichte über Angehörige des eigenen Staats zu krltisiren. Einmischung in deutsche Gerlchtspslege habe ihm fern gelegen. Uebrigens hänge es nach diplomatischem „UsuS" von seinem Belieben ab, der deutschen Regierung Eröffnungen durch deren Botschafter in Washington oder durch den amerikanischen Bot schafter in Berlin machen zu lassen. Freiherr v. Thielmann schließt den Notenwechsel mit der Erklärung, die deutsche Regierung nehme grundsätzlich und entsprechend der allgemeinen diplomatischen Praxis, Beschwerden und Vorstellungen befreundeter Regierungen nur durch den bei ihr beglaubigten Vertreter der betreffenden Macht entgegen. Tas diplomatische Geschick de« amerikanischen Staats secretair« und seine höchst sonderbaren Anschauungen über die Tragweite von RechtSsprüchen gegen Amerikaner im Auslande treten hier in sehr grelle Beleuchtung und Harmoniken mit den seit einem halben Jahre hervorgetretenen Ausschreitungen de« amerikanischen EhauviniSmus gegen fast alle Welt, zu be dauern ist nur, daß bei dem Mangel an Staat-männrrn in den Bereinigten Staaten und dem Ueberfluß an hungrigen und ehrgeizigen Demagogen von dem bald bevorstehenden Re- girrungswechsel keine Besserung in der Leitung der auswärtigen *) An »inen Satz unserS damaligen Artikel«, de» wir durch gesperrten Truck hervorhoben, fei ausdrücklich erinnert: „Niemand auch von den Führern der evangelischen Socialisten muthel heut» jedem Pastor oder dem Pastor aiS solchem zu, Sorialpolitik zu treiben." Angelegenheiten und im Verkehr mit den fremden Mächten zn erwarten ist, eher das Gegentheill" Die Sprache, welche Frhr. von Thielmann dem Herrn Olney gegenüber geführt hat, ist in Deutschland allgemeiner Billigung sicher. Wie die „Nat.-Ztg." hört, handelte der Botschafter nach Instructionen, welche ibm vom Reichs kanzler durch das Auswärtige Amt zugegangen waren. Eine Erklärung von deutscher Seite über den in Washington veröffentlichten Schriftwechsel steht unmittelbar bevor. * Berlin, 21. Mai. In dem westprcußiscken Reichst ags - Wahlkreise Sch wetz, in dem nach der Ungiltigsprechung der Wahl des Abg. Holtz-Parlin (Reichspartei) eine Nach Wahl stattzufinden hat, sind die Polen bereits eifrig an der Arbeit. Der Wahlkreis Schwetz gehört seil jeder zu den am meisten von Deutschen unv Polen umstrittenen der Ost' Provinzen. Der Abgeordnete des Kreises wurde immer nur mit sehr geringer Mehrheit gewählt; so hatten auch in, Jahre 1893 die vereinigten deutschen Parteien vollauf zu thun, dem alleinigen deutschen Candidaten Holtz seinem polnischen Gegner, Herrn von SaS-Jaworski Lipp ink gegenüber zum Siege zu verhelfen. Schon lange, ehe noch die Erklärung der Ungiltigkeit des Holtz'schen Mandats vorlag, rührten die polnischen Blätter in der sicheren Erwartung dieses Ereignisses die Werbetrommel, aber wie es immer geht, wenn die Herren Polen unter sich sind, sie lagen sich in den Haaren. Das aus Hofparteilern bestehende polnische Wablcomilü des Kreises schwetz hielt, ohne sich lange mit den Wählern ins Einver nehmen zu setzen, an dem 1893 ausgestellten Candidaten v. Sas- JaworSki fest, man behauptete einfach, infolge der Ungiltig- kcit der Wahl des Abgeordneten Holtz sei der Status <zuo von 1893 ohne Weiteres wieder geschaffen. Gegen dieses Ver fahren, das in ihren Augen eine Vergewaltigung der Wähler bedeute, legte die polnische Volks Part etliche Presse energisch Verwahrung ein, eS kam zu sehr gezeizten Erörterungen; „die Wahl eines Hofpartcilers wäre einer nationalen Niederlage gleich", schrieb der „Orendownik". Der Lärm scheint sich jetzt gelegt zu haben, seitdem polnische Geistliche dem Herrn v. Sas-Jaworski in den jetzt überall statlsindenden polnischen Wahlversammlungen secundiren; und am Wahltage werden die Polen bis auf den letzten Mann für Herrn v. Sas Jaworski ihre Stimmen abgeben. Um so nothwendiger ist es, daß die Deutschen von Anfang an einig vorgehen und am Wahltage ebenfalls den letzten Mann an die Urne bringen. Mögen sie die Ersatzwahl von Osnabrück sich zum Muster nehmen! V. Berlin, 21. Mai. (Telegramm.) Der Kaiser hörte gestern in Prvkelwitz den Vortrag des Chefs des Militair Cabinets Generals v. Hahnke und unternahm am Mitt woch früh und Abends Pürschgänge, auf denen er je einen Rehbock streckte. Heute ist der Capitain zur See v. Wieters heim aus Danzig zur Tafel geladen. — Der Kaiser Hat den Staatsminister Grafen Botho zu Eulenburg mit seiner Vertretung bei der heute Nachmittag stattfindenden Leichen feier für den verstorbenen Staatsminister v. Camphausen be auftragt. — Der Kronprinz und Prinz Eitel Friedrich werden morgen von Ploen im Neuen Palais eintreffen, um daselbst die Pfingstferien zu verleben. — Auf Veranlassung des österreichisch-ungarischen Botschafters findet morgen um 10 Uhr Vormittags in der katholischen St. Hedwigskircbe ein Requiem für den Erzherzog Karl Ludwig statt. — Kronprinz Gustav von Schweden und Prinz Eugen von Schweden sind heute früh hier eingetroffen und im Hotel Bristol abgestiegen. Während sich der Kronprinz heule Abend zu den Krönungsfeierlichkeiten nach Moskau bezieht, gedenkt Prinz Eugen ewige Tage in Berlin zu bleiben. (-) Berlin, 21. Mai. (Telegramm.) Der „Reichs Anzeiger" veröffentlicht eine authentische Darstellung des Brandes des TarpcdoschtetzstanSe« der Torpedowerkstatl in Friedrichsort am 11. d. M. (-) dcrli», 21. Mai. (Telegramm.) Das Land gericht verwarf kostenpflichtig die Revision der drei Angeklagten Zetsche, Hillert und Tscheunert, welche wegen Diebstahls des „Armec-BerordnungsblatteS", das den kaiser liehen Erlaß enthielt, seiner Zeit zu 6, bez. 3, bez. 1 Monat Gefängniß verurtheilt worden waren. (Wiederholt.) L. Berlin, 21. Mai. Wie ein Berichterstatter meldet, ist eine größere Anzahl Hcrren-Lonseettonaire mit dem die Ab machungen vor dem Gewerbegericht ablehnenden Beschluß nicht einverstanden; sie wollen im gegebenen Falle eine neue Versammlung rinberufen, um eine nochmalige Berathung über die jetzt geschaffene Lage herbeizuführen. — Man schreibt der „Kreuz-Ztg.": „Ein Geistlicher besucht ein Gemeindeglied, welches seinen Kirchenaustri tl erklärt hat. Die übliche Frage geschieht. Darüber ist das Gemeindeglied so erstaunt, daß eS entgegnet: „Ich denke, die Geistlichen sollen sich nicht mehr mit Politik beschäftigen!"" — DaS allgemeine Interesse, welche- bei der Ver stärk» ng der Schutztruppe fürSüdwestasrika in Betracht kommt, wird in den „Berliner Neuesten Nachr." in folgender Weise erläutert: „Der Entschluß Deutschlands, iu Südwestafrika mit voller Kraft aufzutreten und, seiner sonstigen Machtstellung entsprechend, in seinem Schutzgebiet seine Herrschaft in einer Weise aufzurichten, welche den Ge lüsten der Eingeborenen zu Aufständen auf immer rin Ende macht, ist den Britten recht unangenehm Die Nack richt von der Absendung einer großen Verstärkung hatte man sofort von London nach Eapstadt telegraphirt und auch gleich 800 Mann daraus gemacht. Durck eine Schutztruppe von mehr als 1000 Mann weißer Truppen in Südwestafrika bekommt Deutschland eine Stellung in Süd afrika selbst, deren Einwirkung man in Eapstadt bereits fühlt. Dir allgemeine Situation ist eine andere geworden. Auf indirrcte Weise erfahren dadurch die Boeren eine Unter stützung, deren Einfluß sich mit der Zeit deutlich zeigen wird." * Ha»durt, 20. Mai. Der Senat hat der Bürgerschaft den Antrag unterbreitet, den 2. September mit Rücksicht auf die in da« gewerbliche Leben tief einschneidenden Be stimmungen über dir Sonntagsruhe al« bürgerlichen Feiertag fortab nicht mebr zu feiern, dock soll dir Feier
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