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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.05.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-05-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960528022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896052802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896052802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-05
- Tag1896-05-28
- Monat1896-05
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Extra'Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbesvrderung 60.—, mit Pvsibrjvrderung ^l 7V.—. Anzeiger. Aitttsölatk -es Aöniglichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes «n- Polizei-Amtes -er Lta-t Leipzig. Donnerstag den 28. Mai 1896. Ännahmeschluß für Artzel-t«: Abend-Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag« - Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen j» »ine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« aa hi, vxpeMtton zu richten. Druck und Beklag von E. Polz la Leipzig 9V. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. Mai. Wenn der „Vorwärts" mit der Macht der Tocial- demokratie prahlt, so ist Hundert gegen Eins zu wetten, daß er eine socialdemokratische Schwäche einzugestehen hat. Als wir am Sonntag im Eingang einer aus London Herr Liebknecht befindet sich bekanntlich in England — datirten Auseinandersetzung lasen, die Socialdemokratie habe wahrscheinlich den Revanchekrieg oder den „Anti revanchekrieg" — ohne eine Verleumdung Deutschlands geht eS bei Herrn Liebknecht nicht ab — zwischen Frankreich und Deutschland verhütet, ihre Stärke gebe ihr auch eine Verantwortung auf dem Gebiete der internationalen Politik u. dgl. mehr, da war es uns sofort klar, daß die Renommisterei ein „uou porsuwug" zu verzuckern haben werde. Und so ist eS auch gekommen. Von London und Paris aus will man die Socialdemokratie zur Lenkerin der Colonial politik machen. Der englische „Genosse" Bax schlägt vor, auf dem nächsten internationalen Socialistencongresse ein ständiges internationales Comit« einzusetzen, dessen Aufgabe es wäre, der Gründung neuer Colonien durch die bestehenden Staaten „den äußersten Widerstand entgegen- zusetzcn und zu diesem Behufe mit den barbarischen Völkern in ihrem Widerstande gegen die Einbrüche von Europäern gemeinsame Sache zu machen, ihnen in jeder Weise bei zustehen". Der Franzose Iaurös will die Erwerbung von Colonien nicht bekämpft wissen, aber die Colonial politik beeinflussen und zwar durch eine „Commission für internationale Informationen". IauröS ist so etwas wie ein „Colonialschwärmer", waS der „Vorwärts" mit dem Um stande entschuldigt, daß er Franzose ist. Ein solcher darf bekanntlich auch einen Krieg mit Deutschland gutheißen, ohne darum seines „Genossen"-Charakters verlustig zu gehen. In der Sache selbst ist dem „Centralorgan" der zweite Vorschlag noch fataler, als der erste, weil eS weiß, daß die deutsche Socialdemokratie in Colonialsachen zwar schelten und verleumden, aber sonst nichts weiter thun kann; an diesem Puncte versagt bekanntlich das Centrum. Man müßte, wenn der Antrag IauröS' durchginge, wieder, wie bei der Maifeier, eingestehen, daß man trotz allen Getöses in Deutschland noch nicht „so weit" ist. Leichter fällt es, den Vorschlag deö Herrn Bax, „die Einwohner zum Widerstand durch Socialdemokraten einexerciren und den Gebrauch von Feuerwaffen lehren" zu lasten, zurückzuweisen. Einmal hat der „Vorwärts" sogar ganz Recht, wenn er bemerkt: „Die Wilden, die Feuerwaffen haben, brauchen Pulver, daS können sie nur auf dem Wege des Tauschhandels mit Europäern erhalten, und wenn sie einmal mit diesen tauschen, so sind sie ihnen auch schon verfallen." Mit diesen Worten wird in der That auf ein Gesetz der Culturentwickelung hin gewiesen und wo diese nicht gewaltsam gehemmt wird, da ist für die Socialdemokratie „nichts zu machen". Sodann aber hat der „Vorwärts" Wohl auch überlegt, daß das kolossale Angebot von opferwilligen socialdemokratischen Vor kämpfern, die sich zu der Uebernahme von Parteiämtern, gut gehenden Cigarrengeschäften und Gastwirthschaften, zu dem Handel mit Parteischriften, Bebel- und Liebknecht- Bildern und sonstigen Parteiheiligthümern drängt, sofort verschwinden würde, wenn eS gälte, sich durch Bear beitung der Massais, HereroS und sonstiger „rück ständiger" Völkerschaften ein Verdienst um das internationale Proletariat zu erwerben. Für „Commissionen", deren Mit glieder denn doch dotirt werden müssen, werden sich schon eher Liebhaber in Deutschland finden, und auch das ist kein Grund für die Parteileitung, den Antrag Iaur^s' willkommen zu heißen. Es giebt im socialdemokratischen Departement deS Innern genug Leute, die die verfügbaren Arbeitergroschen in Privateigenthum zu verwandeln verstehen; man braucht keine kostspieligen „auswärtigen Abenteuer". Der vom Bund der Landwirthe ausgearbeitete Ent wurf ctnkS geänderten Jnvaltditätsgesetzes will die Bei träge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer beseitigen und steht und fällt mit der zu diesem Zwecke vorgeschlagenen Bestimmung. Es erscheint in diesem Augenblick nicht noth- wrndig, die schweren grundsätzlichen Bedenken gegen die Be seitigung der Beiträge der Arbeiter, welche der Rente einen von ihrem jetzigen durchaus abweichenden Charakter verleihen würde, geltend zu machen und die Vorschläge im Einzelnen zu prüfen. Es handelt sich zunächst ganz allein um die Frage, ob der zur Deckung der Mittel für die Renten gewährung gezeigte Weg gangbar ist oder nicht. Der Bund will den festen Reichszuschuß von KO für jede Rente beibehalten und das Uebrige durch „Zuschläge zu den Einkommensteuern der einzelnen Bundesstaaten" aufgebracht wissen. Der Gedanke ist nicht neu und schon in der Gestalt deö Zuschlags zu einer ReichSeinkommen- steuer . aufgetreten. So wie ihn der Bund ins Auge faßt, spottet er der Verwirklichung aus dem einfachen Grunde, weil die Steuersysteme der deutschen Bundesstaaten unter einander sehr verschieden sind und auch diejenigen Staaten, denen ein System gemeinsam ist, dieses nicht gleichartig durchführen. Bayern z. B. kennt die Einkommensteuer, d. h. eine solche Steuer, die alle Einkommensgattungen trifft, nicht. Es hat das Ertragssteuersystem (Grund-, Gebäude-, Gewerbe- und Capitalrentensteuer) und seine Einkommensteuer liegt nur aus denjenigen Einkommen, welche nicht durch eine dieser vier Steuern gefaßt werden. Es sind demnach nur einkommcnsteuerpflichtig die Einkommen aus gewinnbringender Beschäftigung, Besoldungen und Pensionen. Auch in Württemberg besteht die Einkommensteuer nur als Ergänzungs steuer. Preußen und mit ihm die Mehrzahl der deutschen Staaten haben allerdings die allgemeine Einkommensteuer, aber diese ist so verschieden nach Veranlagung, Tarif, Behandlung der juristischen Personen u. s. w., daß es auch hier unmöglich wäre, durch einen procentualen Reichszuschlag die Steuerzahler der verschiedenen Bundesstaaten gleichmäßig zu treffen. Beispielsweise beträgt im preußischen Tarif für ein Einkommen von 1800 der Steuersatz 3l im sächsischen 22 Was der Bund der Landwirthe zu wollen scheint, ist also undurchführbar, so lange die Einzelstaaten nicht eine gleichmäßige Steuergesetzgebung haben. Zum Nachfolger des französischen Botschafters in Berlin, Herbette, ist, wie gemeldet wurde, der Marquis de Noailles ernannt worden. Die Nachricht kommt insofern einigermaßen überraschend, als der Name des neuen Bot schafters bei allen früheren Combinationen französischer Blätter über die Candidaten für die Vertretung der Republik in der deutschen Reichshauptstadt Wohl absichtlich nicht ge nannt worden ist. Emanuel Henri de NoailleS ist als zweiter Sohn des französischen Geschichtschreibers und Akademikers Herzogs Paul de Noailles im Jahre 1830 geboren. Er entstammt einer hochangesehenen adeligen Familie, deren Mitglieder im achtzehnten Jahrhundert am französischen Hofe eine glänzende Rolle gespielt haben. Unter dem Kaiser reich dielt sich der neue Botschafter von der Politik fern, erst nach dem Kriege gab er dem Zureden Thiers' nack und nahm 1872 den Posten eines Gesandten in Washington an; von dort ging er auf Veranlassung von Mac Mahon 1873 als Botschafter beim Ouirinal nach Rom und 1882 nach Konstantinopel, wo er bis zum Jahre 1886 verblieb. Wie cs heißt, bewog ihn das 1886 von der Republik erlassene Verbannungsvecret gegen die Prinzen der Familie Orleans, den Staatsdienst zu quittireu und sich in das Privatleben zurückzuziehen, um seinen literarischen Neigungen nachzuaehen. Der Marquis, dessen Salons in Nom einstmals den Mittelpunkt der ganzen vornehmen Gesellschaft der ewigen Stadt abgegeben hatten, ist in den letzten zehn Jahren politisch nicht mehr bervor getreten. Die literarischen Publikationen deS Botschafters de Noailles betreffen vorzugsweise Polen. Es sind zu nennen: „Polen und seine Grenzen", ein von Sympathie für die Polen und von Haß gegen Rußland zeugendes Werk, „Heinrich von Valois und Polen", für welches Buch er von der Akademie preisgekrönt wurde, endlich „Die polnische Poesie". Für die Richtung der literarhistorischen Bethätigung des Marquis mögen die Beziehungen maßgebend gewesen sein, in die er zu polnischen Kreisen durch seine ver storbene Gemahlin, eine Gräfin Swieykowska geborene Lach mann getreten ist. In seiner äußeren Erscheinung und in seinem Auftreten repräsentirt der Marquis de Noailles, welcher Großofficier der Ehrenlegion ist, den Typus eines Aristokraten der alten Schule. Wir hoffen mit den „Berl. N. N.", daß der Marquis de Noailles es nicht für angebracht hält, seine polnischen Liebhabereien in Berlin fortzusetzen; an geeigneten Anknüpfungen würde es ihm ja nicht fehlen. Uebrigens datiren die genannten Schriften des Botschafters aus den sechziger Jahren, „Polen und seine Grenzen" aus dem Jahre 1863. Es ist also schon sehr lange her, daß der Marquis despectirlich über Rußland gedacht hat und so haben ja auch viele andere Franzosen gedacht, die jetzt ruhig auf die Verjüngung des alten Abendlandes durch die Rusten schwören, lind dann, als Noailles jene Werke schrieb, war er noch frei von jedem amtlichen Zwange; erst 1872 wurde er Diplomat; seitdem hat er die literarische Tinte in seiner Feder weise eintrocknen lassen und rechnet jetzt vielleicht jene Schrift zu seinen — Iugendthorheiten. Auf Kreta können die Dinge eine über die Bedeutung einer internen türkischen Angelegenheit weit hinausgehende Gestalt annehmen, wenn Griechenland die Zeit für ein gesondertes Eingreifen als gekommen erachtet. Griechenland hofft, früher oder später Kreta zu erwerben, und die nationale Sehnsucht nach dem Besitze der Insel lebt im Herzen jedes Griechen. Jeder Schuß, der in Kreta fällt, findet ein tausendfaches Echo in Griechenland; jeder Schrei um Hilfe, der über das Meer herübrrtönt, weckt heißes Mitgefühl. So oft die christliche Bevölkerung der Insel zu den Waffen griff, hatte die griechische Regierung schwere Mühe, dem stürmischen Drängen der eigenen Üntertbanen zu wider stehen, die den Krieg mit der Türkei forderten. An heim licher Unterstützung mit Geld, Waffen und Freiwilligen ließ das Stammland eS nie feblen. Nur durch sie konnte der große Anfstand von 1866, der Omer Pascha so viel zu schaffen machte, durch mehr als zwei Jahre fortdauern. Gegenwärtig wirkt die Kunde, daß Kreta sich erhoben habe, in Athen wie eine Brandrakete, und die Regierung wird abermals alle Kraft aufbieten müssen, um die Erregung der Gemüther zu dämpfen und sich nicht zu übereilten Schritten hinreißen zu lassen. Die Aufgabe der Diplomatie der in Athen vertretenen Staaten kann keine andere sein als die, daß sie in Athen, der bisher stets befolgten Tradition getreu, mahnend und warnend wirkt und jedes Eingreifen Griechenlands dadurch verhindert, gleichzeitig aber in Konstantinopel nachdrücklich au die Er füllung der Verpflichtungen gegen Kreta erinnert. Wenn die Vertreter der Großmächte am IlissuS und am Goldenen Horn derartige Instructionen erhalten — und wir zweifeln kaum daran, daß eS geschehen wird — so dürfte aus den Unruhen in Kreta keine Gefahr für Europa erwachsen. Viel kommt dabei freilich auf die Haltung der türkischen Negierung an. Den Kretensern ist schon längst ein ziemliches Maß von Autonomie bewilligt worben — das war die Frucht de« Auf standes von 1866. Allein die damals verheißenen Reformen, die sich auf dem Papier wunderschön ausnahmen, blieben bis 1878 todte Buchstaben. Der Berliner Congreß nahm sich Kretas an, und nun ward wenigstens ein Theil dessen, WaS die Pforte elf Jahre früher versprochen, zur Wirklichkeit. Die freigewählte National-Versainmlung, aus 49 Christen und 3 l Mohammedanern bestehend, trat ins Leben, aber, losgelöst von den übrigen autonomen Bürgschaften, konnte sie bisher nur der Tummelplatz wüsten Gezänks und politischer Leiden schaften sein, woraus die Pforte wiederum des Oefteren erwünsch ten Anlaß nahm, den Landtag zu schließen und zu vertagen und das Land als der Durchführung der versprochenen weiteren Reformen noch nicht würdig zu bezeichnen. Diese echt türkische Hinterhältigkeit weckte unter den Christen Kretas allgemeines Mißtrauen. Daher die wiederholten Aufstände, welche die Pforte vergeblich durch ein starkes Truppenaufgebot ganz zu unterdrücken versuchen wird. Schwere Anschuldigungen gegen den E-ngostaa», welche die Regierung desselben nicht stillschweigend hinnehmen kann, werden in dem angesehenen Journal für Armee« und Marineangelegenheiten „United States Magazine" von dem Capitain Salisbury erhoben, welcher selbst in Diensten des Congostaates gestanden hat oder noch darin steht. Wäre nur die Hälfte der Anschuldigungen wahr, bemerkt der „Daily Chronicle", so wäre die Türkei übertroffen. Die Farbigen, welche die belgischen Beamten in Sierra Leone, an der Goldküste und in Lagos in Dienst nehmen,werden mit der äußersten Grausam keit behandelt. Es ist der Fall vorgekommen, daß einige an Bord des Schisses, welches sie nach dem Congostaat beförderte, einfach niedergeschossen wurden, weil sie sich weigerten, zu landen. Dieses geschah, weil sie erfabren hatten, daß sie als Soldaten im Innern verwandt werden sollten, während man sie als Arbeiter verpflichtet hatte. Capitain Salisbury erzählt, wie er selbst in Boma Zeuge davon war, wie di« farbigen Soldaten Hunderte von Peitschenhieben mit jener teuf lischen Erfindung, der aus Rinder- oder Flußpferdhaut verfertigten, die Haut durchschneidenden Peitsche er hielten. Farbige Männer, Frauen und Kinder werden auf diese Weise täglich gepeitscht. Die von Sierra Leone rc. nach dem Congostaat gebrachten Arbeiter werden nicht zurückgesandt, wenn ihr Contract abgelaufen ist, sondern werden so lange zurückgehalten, bis sie zu schwach oder zu krank geworden sind. Dann treibt man sie in den Busch. Das Schlußurtbeil über den Congostaat lautet: „Die ganze Verwaltung des Staates ist elender Betrug. Das berühmte Gesittungswerk besteht aus Mord, Raub und Grausamkeit in seltenem Grade. Die angebliche Befreiung der Sklaven be steht in der Einführung und Aufrechterhaltung der Sklaverei unter so barbarischen Verhältnissen, wie sie in der Geschichte der Plantagen in den südlichen Staaten Amerikas nicht vor gekommen sind. Die Hilfsquellen dieses reichen Landes be stehen lediglich in eingefübrten Conserven, Schnapsflaschen rc. und dem europäischen Sboddytuch. Im Congoland selbst ist weiter nichts zu finden als Felsen, Morast und Wald. Zu holen ist nichts als Ruin und Tod." — Jetzt hat die Re gierung des CongostaateS daS Wort. Die Tochter des Millionärs. 221 Roman auS dem Englischen von L. Brrnfeld. (Nachdruck verlöten.) Etwas später, als sie gemeinsam in dem kleinen Speise zimmer am Frühstückstisch saßen, sagte Lady Greville zu ihrem ihr gegenüberfitzenden Sohne: „Eö thut mir leid, Victor, daß ich Dir Dein hübsches Compliment in Bezug auf unser Aussehen nicht zurück geben kann. Du bist sehr weit entfernt davon, wohl auS- zusehen!" — Und in der That, da« Gesicht de« jungen ManneS bestätigte jetzt, al« die Erregung, in welcher er sich bei seiner Ankunft befunden hatte, vergangen war, die An sicht der Mutter. „WaS giebt'», Victor? WaS ist geschehen? Bist Du krank gewesen? Sag' mir um Alle» in der Welt, was ist mit Dir vorgegangen, mein lieber Junge?" „L> nicht«, gar nicht»!" erwiderte der junge Mann hastig. „Ich war ein wenig erkältet, da» ist alle»!" „Eine Erkältung pflegt Dich doch sonst nicht derartig an zugreifen. Sollten da nicht andere Gründe vorliegen?" „Ich habe in der letzten Zeit schlecht geschlafen, da« mag wohl auch dazu beiaetragen haben. Jetzt ist aber Alle» wieder in Ordnung, Du hast keine Ursache, Dich des wegen zu beunruhigen, liebe Mutter. — Wann beabsichtigt Ihr zu heirathen. Hell?" fügte er, sich zu keiner Schwester wendend, hinzu, sichtlich bestrebt, da» Gespräch von sich abzulrnken. „Ich denke, im Januar", antwortete Helene. „Ralph möchte sich für einige Wochen frei machen, da wir reisen wollen, und vor Januar ist ihm die« nicht möglich. Auch ich babe Vorbereitung zu treffen — mein Ausstattung —" Obgleich Victor mit anscheinendem Interesse der Unter haltung folgte, so mußte Helene doch mit größter Besorgniß ihren Bruder beobachten. Die Veränderung in seinem Aeußern war auffallend. Es scheint ihm etwas Ernstliches zugestoßen zu sein, dachte sie, wenn sein Leiden kein körperliches ist, so kann ich nur annehmen, daß etwas Außergewöhnliches sein Ge- müth bedrückt. Zufälliger Weise befand sich an diesem Tage Ralph Vyner gerade nicht in London, er war nach Schloß Grandison, dem Besitz seines Vaters, gefahren, um geschäftliche Angelegen heiten betreffs seiner Heirath zu erledigen. So konnte Victor seine Schwester heute ganz allein in Anspruch nehmen. Bald nach dem Frühstück forderte er sie dann auf, einen Spaziergang mit ihm zu machen, und Helene nahm diesen Vorschlag sehr erfreut an. Das Wetter war kalt und frisch. Bruder und Schwester schritten rüstig vorwärts und waren bald in Negents Park angelangt. Auf dem ganzen Wege batten sie von nichts Anderem gesprochen, als den Zukunstsplänen Helene's und Vyner'S. Ganz plötzlich jedoch brach Victor das Gespräch darüber ab und sagte: „Meine liebe Hell, es wird Dir gewiß leid thun, zu hören, daß, obgleich ick mich unendlich über Deine schönen Aussichten freue, ich mich selbst doch sehr unglücklich fühle." „Victor!" „Ja, Helene, ich bin unglücklich — elend und unglücklich! Mein schlechtes Aussehen, daS Mama aussiel, ist auch nur eine Folge vavon. Seit Wochen habe ich so gut wie gar nicht geschlafen." „Aber was ist denn geschehen, Victor? WaS macht Dich so elend?" „Beatrix Hopley!" „Beatrix?" wiederholte Helene leise. „Ueberrascht Dich das? Hast Du nicht errathen, daß ich sie liebe?" „Ich merkte wohl, daß Du Dich von ihr angezogen fühltest und sie bewundertest — ja, eine Zeit lang batte ich mick sogar der Hoffnung hingegeben, daß — aber jetzt bin ich ganz froh, daß nichts daraus geworden ist, und ich hoffe, mein lieber Victor, daß eS nur eine vorübergehende Neigung mar, die Dich zu ihr hinzog." „Wenn Du das glaubst, dann hast Du Dich in Deinem ganzen Leben noch nicht so getäuscht, wie diesmal. Von einer vorüberaebenden Neigung kann keine Rede sein. That- sacke ist, daß ick Miß Hopley einen Antrag gemacht habe." Helene blickte bestürzt zu ihm auf. „Und sie bat mich au»- geschlagen, weil sie sich diesem Srudamore verpflichtet fühlte." „In diesem Falle, lieber Victor, mußt Du die Abweisung wie ein Mann ru tragen suchen. Und ich sollte meinen, daß eS Dich nicht allzu sehr schmerzen darf, von der armen kleinen Triste abgewiesen zu sein — denn gegenwärtig sind die Ver hältnisse andere geworden —" „Ja, sie Haven sich sehr verändert — sie ist frei! Sie bat sich ein für alle Mal von diesem Schurken loögesagt! Und daS gerade ist's, was mir neue Hoffnung giebt!" „Hoffnung!" wiederholte Helene. „Willst Du damit sagen, daß Du noch immer hoffst?" Victor lachte. „Ob ich noch hoffe, meine Liebe! Wie? Ich habe über haupt noch nicht aufgehvrt zu hoffen und werde auch niemals aufbören. Einmal muß ja der Tag kommen — ich weiß eS, früher oder später — wo meine Hoffnungen sich verwirklichen werden, und ich mir werde sagen können, daß ich sie endlich — endlich gewonnen habe." „Aber, wenn Du ein solches Vertrauen hast, begreife ich nicht, warum Du Dich unglücklich fühlst", stammelte Helene. „Wegen dieses abscheulichen Verdachtes, der aus ihr ruht, und weil ich sie zu gut kenne, um nickt zu fürchten, daß sie, ehe die Sache nicht völlig aufgeklärt ist, niemals einwilligen wird, die meine zu werden! O, mißverstehe mich nicht, Helene! Das Mädchen muß und wird mir einmal gehören! Daran habe ich von der ersten Stunde an, wo ich sie gesehen, nicht gezweifelt, und ich fühle es, ich wußte es, daß sie für mick bestimmt war. Was mich jetzt so elend macht, ist der Ge danke, daß sie thatsächlich leidet und ich Nichts thun kann, um ihr zu helfen. Ich bin im Unklaren darüber, welchen Weg ich einschlagen soll, ich wage es nicht, mich ihr wieder zu nähern, ehe ich nicht die Beweise von der Schuld dieses Schurken in den Händen babe." „Du kältst ihn für schuldig!" murmelte Helene erbleichend. „Ob ich ihn dafür halte! Wie kann ein vernünftiger Mensch, der Zeuge davon gewesen ist, in welcher Weise er sich aus dem Staube gemacht hat, daran zweifeln! Er hätte ja nur zu bleiben brauchen, um seine Unschuld darzuthun! Und jetzt ist er außer Landes gegangen. Aber natürlich, so lange wir keine vollgiltigen Beweise haben, können wir nichts gegen ihn thun. Ich habe schon daran gedacht, ihm nach zureisen, ibn auszusuchen und in die Enge zu treiben, um ihn mit Gewalt zu einem Geständniß zu zwingen!" „Mein liebster Victor, ich bitte Dick dringend, nichts zu übereilen!" ries Helene erregt, mit einem so sichtlichen Schrecken, daß Victor lächeln mußte. „Furchtsames Kind, warum nickt? Ich sehe keine Gefahr für mick!" „Aber Du könntest möglicher Weise Beatrix kränken", sagte Helene; sie war so bestürzt vor Sckreck, daß sie gar nicht wußte, WaS sie sagte. „Sie würde Deine Einmischung vielleicht übel nehmen oder gar auch für Zudringlickkeil halten." Victor war nachdenklich geworden, er ging einige Augen blicke schweigend an ihrer Seite. „Es könnte Wohl sein", sagte er überlegend. „Beatrix besitzt ein unsagbares Feingefühl — sie ist stolz und empfind lich. Tu hast Reckt, Helene, man kann nicht wissen, wie sie eS aufnehmen würde. Helene" — er sprach sehr eindring lich — „Du solltest am Besten rathen können, was hier zu thun ist. Du bist ihre Freundin, sie liebt Dich und vertraut Dir, Du kannst sie besser beurtbeilen, als irgend ein anderer Mensch in der Welt. Wenn Du mich lieb hast, Helene, so stehe mir in dieser Notb, in der ich mich befinde, bei und sage mir, was ich thun soll!" Er batte Helene's Hände ergriffen und blickte sie flehend und beschwörend an, seine ganze Seele lag in seinen Augen. Vor diesen treuen ehrlichen Augen mußte Helene die ihrigen niederschlagen, sie fühlte sich beschämt und schuldig. Ihr besseres Selbst sagte zu ihr: „Sei wahr und offen, sage, was Du weißt, und trage die Folgen. Wirs Deine Selbst-- suckt ab und bekenne furchtlos die Wahrheit." Doch die gute Regung ging vorüber und eine andere Stimme flüsterte: „Närrin, willst Du Dein eigenes Glück auf'» Spiel setzen? Kann die Wahrheit nicht auf hundert anderen Wegen ans Licht kommen?" Helene hatte nicht den Mutb, wahr zu sein. Einige Augenblicke gingen sie schweigend neben einander her. „Was überlegst Du, Helene?" fragte Victor endlich. Sein Vertrauen rührte sie tief und ihre Stimme zitterte, als sie antwortete: „Ich dachte nach, WaS wohl daS Beste wäre!" „Nun, und?" fragte er. „Ich denke — ich halte eS für richtig, wenn Du an sie schreiben würdest!" „Schreiben? Wäre es nicht besser, wenn ich statt dessen selbst nach Manchester ginge?" „Nein — nein, da- könnte ihr unangenehm sein, ich würde dazu nickt ratben." „Ja, daS ist sckon richtig. Doch ich kann mir nicht helfen, nach Allem, wa» vorgefallen ist, finde ick eS ein wenig übereilt, mich ihr wieder zu nähern, ebe ich im Stande gewesen bin, einige« Licht in die dunkle Angelegen heit »u bringen." „Folge meinem Rath, Victor, und tbue vorläufig nichts in dieser Sacke! Beatrix ist ein sonderbares Mädchen, ich glaube, daß eS ihr lieber wäre, wenn Du — an der Ver gangenheit nicht rüttelst."
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