Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.06.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960601021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896060102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896060102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-06
- Tag1896-06-01
- Monat1896-06
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Abend-Ausgabe 'M. Montag den 1. Juni 1896. Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Re-action und Expedition: Jghanne-gafie 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: ktto Klemm'- Sortim. (Alfred Hahn). UaiversitätSstratze 3 (Paulinum), LontS Lösche, KathartNenstr. 14, Part, und KönigSvlatz 7. dgcr TaMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes «nd Volizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Bezugs-Preis i» der Hauptexpedition oder den im Stadt- b«irk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau- ^l 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierleliäbrlich 8.—. Direkte tägliche ttreuzbandsenduag in- Ausland: monatlich 7.50. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclameu unter demRrdactionSstrich (»ge- spalten» 50-H, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^,. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nnr mit der Morgen-AuSgab«, ohne Postbeförderung Ä.—, mit Postbesördernng 70.—. Druck und Bering von E. Polz in Leipzig Änilahmeschluß fiir Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle« je eine halbe Stuud« früher. Anzeigen stad stet- au di« Expedition zu richten. SV. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 1. Juni. Der evangelisch»soclale Eongretz bat in seiner ersten Sitzung bekanntlich einstimmig folgende Resolution beschlossen: 1) Der Congreß weiß sich mit beiden Referenten darin einig und ist tief davon durchdrungen, Laß die evangelische Kirche eine, das Volksgewissen bestimmende, geistig führende Stellung in deutschen Landen nur behaupten und einen social-versöhnenden Einfluß nur auSüben kann, wenn ihre Diener und Zugehörigen die treibenden Kräfte der Zeit verstehen, den Gründen gesellschaftlicher und sittlicher Schäden nachgehen und an deren Ueberwinden nach dem Maße der ihnen daraus erwachsenden Aufgaben Mitwirken. In diesem Sinne gelobt der Congreß einmüthig, das in großer Zeit weise begonnene Werk socialer Reform gewis>enhaft zu unterstützen und hin- gebend zu fördern zu des Vaterlandes Heil und christlichen Standes Besserung. 2) Der evangelisch-sociale Congreß richtet an die evangelischen Kirchenbehörden die ehrfurchtsvolle und herz liche Bitte, den evangelischen Geistlichen die aus diesen Grundsätzen sich ergebenden Rechte und Freiheiten um des Gewissens willen zu gewähren und zu schützen. Mit dieser Resolution beschäftigt sich in einem Leitartikel die „Nordd. Allgemeine Zeitung". Sie nimmt an, daß diese Resolution sich gegen den bekannten Erlaß des evangelischen Oberkirchcnraths richte, und bestreitet, daß dieser Erlaß wirklich, wie der Referent Prof. Frhr. von Soden be hauptete, die Gewissen bedränge oder den Geistlichen ver wehre, für die Socialreform des Kaisers Wilhelm und deS Fürsten Bismarck, die auf Versöhnung der Elafsengegensätze binzielt, thätig zu sein. Im Gegentheil, der Erlaß weise den Geistlichen diese Aufgabe zu. Der Artikel schließt dann: „Die Redner des Congresses verlangen für den Geistlichen die Möglichkeit und Gelegenheit, sich die zum Verständnis der social politischen Tagessragen nothwrndigen Kenntnisse zu verschaffen. Dieser Forderung kommt eben der Erlaß des Oberkirchenraths in vollstem Maße entgegen, indem sogar eine in diesem Sinn aus zuarbeitende Neuordnung der Vorbereitung für das Pfarramt in Aussicht gestellt wird. In dein wichtigsten Puncte der christlich, socialen Thätigkeit, daß nämlich bei den begüterten Elasten immer wieder den Gewissen eingeprägt werden müsse, daß Reichthum, Bildung und Ansehen nur anvertraute Güter sind, welche sie zum Besten ihrer Mitmenschen zu verwalten haben, giebt eben der Erlaß des Oberkirchenraths den Bestrebungen des Con gresses den schönsten und treffendsten Ausdruck. Einen thatsächlichen Widerspruch zwischen dem Erlaß des Oberkirchenraths und den auf dem 7. evangelisch-socialen Congreß von den hervor ragendsten Rednern ausgesprochenen und von der Versammlung gebilligten Reden vermögen wir bei genauestem Vergleich nicht zu entdecken, demnach auch keinen ernsthaft gemeinten Anlaß, einen Hilferuf auszustoßen nach Schutz für Recht und Freiheit." Daß diese Auslassung ohne vorherige Anfrage bei Mit gliedern des evangelischen Oberkirchenraths erfolgt sei, ist nicht wahrscheinlich. Der Congreß wird also annehmen dürfen, daß seine Resolution die Zustimmung dieser Behörde findet und daß diese — und hierauf kam es ja Wohl dem Eongreß am meisten an — Grund zu der Ueberzeugung hat, auch das vielbesprochene Telegramm des Kaisers an den Geheimrath Hintzpeter nichts Anderes sagen wolle, al- was der evangelische Oberkirchenrath in seinem Septembererlaß gesagt hat nnv der Congreß in seiner Resolution sagt. Durch diese Resolution und die Auslassung der „Nordd. Allgem. Ztg." wäre also eine erfreuliche Klärung geschaffen, wenn man nicht auS den Debatten des Congresses schließen müßte, Laß die Resolution nur ein Compromiß zwischen verichiedenen Strömungen innerhalb deS Congresses ist und daß diese Strömungen in der Praxis weit auseinander gehen werden, so weit, daß die eine mit dem preußischen evangelischen Oberkirchenratbe und dem summu« opisoopus in Conflict aerätb. Darüber kann man sich allerdings trotz des Telegramms, das der Congreß an Herrn Stöcker gerichtet hat, nickt täuscken, daß die Stöcker'sche Ricktung im Congreß verurtheilt wird. Die „Hamb. Nachr." schreiben mit Recht: „Sowohl der Referent, der Berliner Universitätsproscssor und Prediger Freiherr von Soden, wie der Corrcserent, der Eßlinger Stadtpsarrer Planck, haben, so sehr sie auch für den Geistlichen die Freiheit socialen und selbst socialpolitischen Wirkens ver langten, eine politisch-agitatorische Parteithäligkeit desselben auf das Entschiedenste verurtheilt. Herr von Soden sagt in seinen Thesen, die Rücksicht auf die Pflichten seines Berufes ver biete dem Geistlichen „agitatorisches Wirken, Parteitreiben, ausschließliches Eintreten für die Interessen nur einer socialen Gruppe, Vertiefung in das technische Detail in einem Maße, das ihn befähigt, als socialer Reformator ouszutreten." Und Herr Planck stellt die Satze aus: „Die Mittel, welche der Geistliche anwendet, dürfen dem Geiste des Evangeliums nicht zuwider sein, insbesondere Wahrheit und Liebe nie verletzen. Der Geistliche darf nie zum Parteimann werden: er muß der Gemeinde, nicht blos einem Bruchtheil derselben dienen. Er darf das Sittlich-Religiöse als Ziel nicht aus dem Auge verlieren; das Wirthfchastliche darf ihm nicht zum Selbst zweck werden." In der weiteren Ausführung meinte dieser Redner u. A., es liege die Gefahr nahe, daß der Geistliche die aus voli- tischem Gebiete üblichen Mittel benutze: Verschweigen, Uebertreiben, Verdächtigen, Lächerlichmachen. Liest sich das Alles nicht wie eine überaus zutreffende Charakteristik und eine ebenso schonungslose wie gerechte Kritik der Stöcker'jchen Handlungsweise? Niemals hat sich ein evangelischer Geistlicher, selbst Naumann nicht, so rücksichtslos als politischerParteiagitator als socialer Reformator aufgespielt, so unverant wortlich gegen eine bestimmte sociale Schicht, „die Großcapitalisten", statt der evangelischen Liebe den giftigsten Haß gepredigt, so schamlos die niedrigsten Kunstgriffe der politischen Debatte, selbst gegenüber dem Telegramme des Kaisers, zur Anwendung gebracht, wie Stöcker. Es ist unmöglich, daß er den erwähnten Rednern nicht bei jedem Worte vor Augen geschwebt hätte. Da gewinnt denn freilich jene Anerkennungsresolution eine ganz eigenthümliche Beleuchtung. Herr Stöcker selbst wird sich am wenigsten darüber täuschen. Er wird wohl gleich un» der Ueberzeugung sein, daß sich eine schärfere Ver- urthrilung seines Thuns nicht leicht hätte aussprechen lassen, al- eS durch die beiden Referenten des Congresses geschehen ist." Immerhin bleibt innerhalb deS Congresses noch genug des Zwiespältigen übrig, um die Spannung zu rechtfertigen, mit der man allenthalben der praktischen Thätigkeit der Congreßmitglieder und der Stellungnahme deS preußischen Oberkirchcnraths zu dieser Thätigkeit entgegensieht. Die „Hamb. Nachr." halten eS nicht für unwahrscheinlich, daß dem Austritt Stöcker'- noch eine christlich-sociale Secession in größerem Umfange folgt, und gründen diese Ansicht be sonders auf das Urtheil einzelner Redner über die Social demokratie. Der in unserer Sonntagsnummer nach dem „Pos. Tagebl." mitgetheilte Vorfall in dem posenschen Kreise Iarotschin, wo ein deutscher Lehrer das Feld einem polnischen Propste hat räumen muffen, der den Kindern preußischer Staatsbürger das Gebet in der deutschen Landes sprache als Sünde zu bezeichnen sich erdreistete, giebt der „Tägl. Rundsch." Veranlassung zu einer scharfen Auslassung, der wir vollständig zustimmen. ES heißt in ihr: „Die Versetzung des Lehrer» wird zweifelsohne nicht eine Straf- Versetzung, d. h. eine Versetzung in eine schlechter dotirtr Stelle, gewesen sein; gleichwohl gilt er in den Augen seiner bisherigen Gemeinde einfach al- im Unrecht; und daß das zur Stärkung de- DeutjchthumS sörderlich sein kann, scheint un- wenigstens völlig ausgeschlossen. Dir einzige und ohne Weiteres selbstvrrständ- lichr Folge der Anmaßung deS Propste- hätte nach unserer Ansicht die sein müssen, daß ihm sofort die Leitung des Religions unterrichte- entzogen worden wäre. Nach Artikel 24 der preußischen Verfassung liegt dir Leitung des Religionsunterrichts in der Volksschule den einzelnen Religionsgesellfchaften ob; in der Regel ist der gesetzlich bestellte Lberpfarrer als das zur Ertheilung des Religionsunterrichts berufene Organ anzusehen; kein Geist licher hat aber, wie die Regierung es so oft in Verfügungen ausgesprochen hat, das Recht, selbstständig ohne Weiteres die Leitung des Religionsunterrichts zu beanspruchen; und die von den kirchlichen Oberen mit der Leitung des Religionsunterrichtes betrauten Geistlichen dürfen diese — nach den Bestimmungen des preußischen Unterrichtsministeriums — nur ausüben, so lange sie durch ihr Verhalten nicht diejenigen Zwecke gefährden, die der Staat mit der Erziehung der Jugend durch die Volksschule verfolgt. Dies ist hier geschehen, ein Geistlicher, der die Schüler geradezu zum Un gehorsam gegen den Lehrer auffordert und, durch seine Stellung als Priester der römisch-katholischen Kirche gedeckt, das Ansehen des Lehrers untergräbt, gefährdet unseres Erachtens die Erziehung der Schuljugend in unzweideutigster Weis». — Und dann wird der Lehrer der Gemeinde gegenüber — weniger zu seinem, als zum Schaden des deutschen Gedankens — bloßgestellt und versetzt, und der streitbare Herr Propst behauptet unangetastet als triumphirender Sieger das Feld! Da wundert sich dann die preußische Regierung, daß es mit der Verdeutschung des polnischen Ostens eher rückwärts als vorwärts geht! Was sollen uns all die tapferen Reden des Unter- richtsministers im preußischen Landtage, wenn man in der Praxis so wenig angemessen verfährt? Vielleicht findet ein deutscher LanL- tagsabgeordneter nach den Ferien die rechten Worte für dies Ver- halten der Regierung; eine Interpellation der Regierung über diesen Fall scheint uns eine unausbleibliche Nothwendigkeit, wenn wir anders nicht auf das Recht verzichten wollen, Frechheiten deutschfeindlicher Elemente und mattes Vorgehen der Regierung in wichtigen Fällen einer angemessenen Erörterung zu unterziehen." Ferner tbeilt das genannte Blatt das folgende Seitenstück zu diesem Vorfälle mit: Der Bischof der Diärese Kulm, 1)r. Redner in Pelplin, hatte es kürzlich abgelehnt, den von den Verlegern MilSki in Danzig und Jalkowski in Graudenz herauSgegebenen Andachtsbüchern das Imprimatur zu ertheilen, weil diese Andachtsbücher die Stelle: „Königin der Krone Polens, bitte für unS!" enthielten. Die „Gaz. Tor", die dem Bischof vr. Redner überhaupt nicht besonders gewogen ist, regte sich über diese Maßregel deS Bischofs auf: jetzt tischt sie ihren Lesern die Nachricht auf, Papst Leo XIII. habe auf Ersuchen deS verstorbenen Cardinals DunajcwSki am 19. November 1892 allen den jenigen Gläubigen einen jedesmaligen 25tägigen Ablaß verheißen, die diese Worte recht andächtig betetenl Da- polnische Blatt versichert, daß die geistliche Behörde in Zukunft nichts gegen die Aufnahme dieser Worte in die Ablaßbücher einwenden werde. Es wäre doch interessant, zu erfahren, wie jener angebliche päpstliche Erlaß wörtlich lautet; vielleicht erkundigt sich nächstens einmal im Land tage ein preußischer Abgeordneter danach, dem die in dem Erlaß hervortretende unverblümte Herausforderung der preußischen Regierung zu denken giebt. In unverantwortlicher Weise wird Deutschland plötzlich in die Asfairc Stokes hineingezogrn. Das „Journal de Bruxelles" veröffentlicht eine Unterredung, die einer seiner Mitarbeiter mit dem vom Congo zurückgekehrten Vertheidiger Lothaire'S, De Saegber, gehabt hat. Letzterer be hauptet, Stokes sei ein Agent Deutschlands gewesen, habe Truppen unter sich gehabt, die auf deutschem Schutz gebiet bewaffnet und deutsch uniformirt worden seien, habe sogar deutsche Officiere unter seinem Befehl gehabt. „Wir haben Beweise dafür, daß StokeS, obschon Brite, deutscher Beamter war." Wo er hinkam, hißte er die deutsche Flagge auf. Herr De Saeghrr erwähnt ferner, daß StokeS einen deutschen Orden besessen und bei seiner Verhaftung 400 Mann unter sich gehabt habe; noch TagS vor der Ver Haftung habe er den Arabern 80 deutsche Mausergewebre verkauft, die er von der deutschen Regierung halte, denn diese habe den alleinigen Waffenvertrieb in Deutsch-Ostafrika. Stokes, der über große Mittel verfügte, habe den Absatz von Waffen zwischen den deutschen Behörden und den Arabern vermittelt, und mit den also gelieferten Waffen hätten die Araber den Congostaat bekämpft. Zweck dieser Unterstützung seien Handelsintercssen gewesen; seitdem die Belgier den arabischen Sclavenjägern scharf zusetzen, sei der Handel zwischen dem Innern und der Ostküste unterbunden, der Verkehr gehe nunmehr nach Westen. Die deutschen Beamten hätten ihre Hoffnungen auf die Herstellung der arabischen Macht gesetzt, um dem Handelsverkehr aufzuhelfen. DaS alles sei während des Protestes nachgewiesen worden. Deutschland habe Kraft des Rechtes des Startern Schadenersatz für StokeS Träger ver langt und erhalten, allein Niemand könne sagen, wohin diese Träger sich verlaufen haben, denn Papiere zum Ausweisen pflegten sie nicht mit sich zu führen. — Daß Stokes der deutschen Colonie in Ostafrika mitunter sich dienstbar er wiesen hat, ist allbekannt, ebenso aber auch, daß es sehr zweifelhaft ist, ob diese Dienste so selbstloser Natur waren, wie Stokes glauben machen wollte und ob er damit nicht viel mehr den Nutzen Englands als Deutschlands im Auge gehabt und gefordert hat. Niemals aber jedoch daS Recht gehabt, sich irgendwo als deutscher Beamter aufzuspielen, wenngleich er es zur Förderung seiner Sklavenhändlergeschäfte sehr ost ge- than haben wird. Ebenso mag nicht bestritten werden, daß er, um sich bei den Eingebornen und Arabern in Respect zu setzen, die deutsche Flagge hie und da gehißt hat, zweifellos aber hat er dazu von der deutschen Regierung keinen Auftrag gehabt. Was den angeblich von der Letzteren zum Zweck der Stärkung des Araberthums getriebenen Waffenschmuggel betrifft, so müßte derselbe, wenn er thatsächlich bestanden hätte, der Congo-Regierung längst bekannt gewesen sein und würde sicherlich zu Reklamationen beim Auswärtigen Amt in Berlin geführt haben. Im Uebrigen wird man an der ge nannten Stelle nicht zögern, dem sensationslüsternen belgischen Advocaten, der offenbar kein bessere- Mittel, seiue Praxis in Schwung zu bringen kennt, als sich mit nationalen Nimbus zu umkleiden, sein gefährliches Handwerk schleunigst zu legen wissen. Die Wirkung deS russisch-französischen Bündnisses in Asien hat sich der Prinz Heinrich von Orleans in einem Artikel auSgemalt, der sich in der Festnummer des „GauloiS" anläßlich der russischen Kaiserkrönung veröffent licht findet. Ter Gcdankengang ist etwa der folgende: Gegenwärtig sehen wir drei europäische Reiche sich um die centralen und hohen Ebenen Asiens gruppiren. Im Süden hat sich England ausgebreitet unter Ausnutzung der kriegerischen Verwickelungen in Europa; im Südosten (in Tongking) Hot sich Frankreich von Neuem festgesetzt, nachdem es schon im vorigen Jahrhundert in Südasien eingedrungen war, ohne seine Stellung zu behaupten; Ruß land nimmt den ganzen Nordwesten und Norden ein. Bei einer Theilung Asiens liegt unsere Rolle klar vor. Links werden wir es mit einem Nachbar zu thun haben, der den Gegensatz unserer und seiner Interessen sehr gut kennt und vor Kurzem noch ein Bündniß mit China gegen Rußland und Frank reich zu schließen suchte, lieber unS sehen wir einen natürlichen Verbündeten undFreund,dessenBordringen uns nicht zu schrecken braucht. Wenn wir unsere Stimme mit seinen Kundgebungen und Forderungen verbinden, wird eS uns möglich sein, dirPrincipien der Gerechtigkeit und der Ausrichtigkeit in die diplomatischen Beziehungen mit Nationnn zu bringen, die bisher nur Treubruch und Betrug anerkannten; anderer- Die Tochter des Millionärs. 25 s Roman aus dem Englischen von L. Bern selb. ^Nachdruck verboten.) Sollte daS schändliche Betragen Philipp Seudamore's wirklich ungestraft bleiben? Gab es denn keine Wieder vergeltung in der Welt? Der Gedanke war Victor Greville unerträglich. Mehr als einmal batte er den Entschluß gefaßt, nach Monte Carlo zu fahren und diesen Schurken öffentlich zu züchtigen, ebenso oft aber den Gedanken wieder von sich gewiesen. WaS sollte aus der unglücklichen Frau werden, die jetzt den Namen jenes Menschen trug, und welche bereitwillig eine Lüge aussprach, um den Mann zu schonen, der ibr Gatte war? Victor vergegenwärtigte sich die Zeit, wo er die Arme in glücklicheren Verhältnissen gekannt hatte, und er konnte eS nicht über sich gewinnen, zu der Last, welche sie schon zu tragen hatte, noch mehr Kummer und Elend hinzu zufügen. Victor war erst wenige Tage in Mentone, als ein neuer, schwerer Schlag ibn traf; er erhielt abermals einen Brief von seiner Schwester. „Welche bitteren Vorwürfe habe ich mir gemacht, thcuerster Victor, bei dem Gedanken, daß Du, um mein LebenSglück nickt zu zerstören, auf da- Deinige verzichtet hast. Gottlob, daß diese Last nun wenigstens von mir genommen ist und ich mir sagen kann, daß eS nicht meine Schuld ist, wenn Du leidest. — Ich traf heute Morgen den alten vr. Mayblow. und dieser erzählte mir, daß Beatrix Hopley im Begriff sei, sich mit dem Grafen von Sanfoine zu verloben. Seiner Behauptung nach wäre die Familie Hopley bereit» nach London gekommen, um die Aussteuer für daS junge Paar zu bestellen. Mein lieber Victor, ich fürchte» daß Beatrix nie mals große Zuneigung für Dich gehegt hat und Deiner wahren und aufrichtigen Liebe gar nicht wertb ist, umso weniger, als sie offenbar dem häßlichen und unbedeutenden Gra^n Sanfoine ihre Hand nur zugesagt, um Gräfin zu werden. Ich selbst würde da- niemals von Beatrix erwartet haben und glaube, daß Du Dich nach dem Vorgefallenen nur glücklich schätzen kannst, daß sie Deinen Antrag abge wiesen hat." Aber der arme Victor schätzt« sich gar nicht glücklich, er Weitem vorgezogen haben, da- hübsche, frische, junge Mädchen seine Gattin nennen zu dürfen, al« die alternde Jane. Als Philipp eines Tages in seinem Hotel eine englische Zeitung zur Hand nahm, fielen seine Augen auf die Be schreibung einer vornehmen Hockzeit in London. Die Ver mählung des ebrcnwerthen Ralph Vyner, zweiten Sohnes des Lord Grandibras, mit Helene, der einzigen Tochter des verstorbenen Sir John Greville, hatte vor einigen Tagen in London stattgefunden. Die dabei entfaltete Pracht, die kost baren Toiletten der Braut und der Brautjungfern waren mit möglichster Genauigkeit beschrieben worden. Die Namen der bei der Hochzeit anwesenden nahestehenden Verwandten und hervorragenden Persönlichkeiten erregten da- Interesse de- CapitainS Seudamore, doch suchte er vergeblich unter denselben nach dem Bruder der Braut. Victor schien dem nach der Hochzeit nicht beigewohnt zu haben. „Was bedeutet daS?" fragte sich Philipp verwundert. „Victor ist offenbar bei Helenc's Hochzeit nicht zugegen ge wesen. Wo mag er nur sein?" Allerdings hatte er keine Ahnung davon, daß Victor nur wenige Meilen von ihm entfernt wellte. Seudamore war froh, daß Helene verheiratbet war, es schien demnach, daß Helene und ihr Bruder seine Bedingungen schweigend angenommen hatten. „Nun", sagte der Spieler zu sich selbst, nachdem er den Artikel zu Ende gelesen hatte, „möge meine schöne Helene so glücklich wie möglich mit ihrem engherzigen Gatten werden, ich werde sie nicht hindern, wenn sie mich in Ruhe läßt. Thut sie eS nicht, so habe ich einen Brief au- der frühesten Jugendzeit von Mr». Vyner in Händen, der ihrem Gatten wahrscheinlich nicht sehr behagen würde. Aber Helene ist eine kluge Frau. Ich werde den Brief aufbcwahren, hoffe jedoch, daß ich seiner nicht bedürfen werde." Helene hatte ihr Gewissen, so gut eS ging, »u beruhigen gesucht. Sie war sebr erschrocken gewesea, al- sie die Nach richt erhielt, daß zwischen ihrem Bruder und Philipp Seuda more eine Erklärung stattgefunden batte, schließlich aber das Opfer, das ibr Bruder ihr brachte, angenommen, um dem Mann», den sie so innig liebte, zum Altar folgen zu können. Freilich hatte sie schwer mit sich gekämpft, ehe sie zu diesem Entschluß gekommen war. Um ihr Gewissen za be ruhigen, machte sie, obgleich sie wußte, daß r« vergeblich fei, noch einen letzten Versuch, um PhllipP zu bewegen, ein offene« Geständniß in Bezug auf die Entwendung de- BriikanthakS- bandeS abzulegen. Sie schrieb einen sehr eindringlichen Brief seufzte schwer, und Thränen deS bittersten Schmerzen traten in seine Augen. Inzwischen hatten sich Seudamore's Verhältnisse ganz plötzlich geändert; das Glück, das ihm bisher den Rücken ge wandt hatte, war ihm mit einem Male wieder hold und kebrte zurück. Als er eine- Tages in tiefster Verzweiflung sein letzte- ZehnsrancSstück auf den grünen Tisch niedergelegt hatte, gewann er. — Und wieder und wieder war das Glück auf seiner Seite, er gewann beständig, unaufhaltsam. Die anwesenden Spieler und Nichtspieler drängten sich an ibn heran, ein dichter Menschenknäurl entstand in seiner Nähe, und mit größtem Eifer verfolgte man jede seiner Bewegungen. Bleiche Gesichter warfen über seine Schultern hinweg sehn süchtige Blicke auf da« sich vor ihm anhäufende Gold; ein unterdrücktes Murmeln durchlief die Reihe, wenn Philipp immer wieder von Neuem den Inhalt der Bank einzog. Athemlose Spannung herrschte im ganzen Saale als das Gold sich immer mehr vor ihm ansammelte. Philipp blieb im Glück, «S schien, al- könne er jetzt gar nicht mehr verlieren. Da« Glück verfolgte ihm mit einer Beharrlichkeit, welche allen Vrrnunftgründeu Trotz bot. Er gewann Alle«, wa- er früher verloren hatte, ja noch weit mehr und war außer sich vor Freude und Seligkeit über seine Erfolge. In einem Freudentaumel kehrte er nach Hause zurück. Die ärmliche kleine Wohnung, die er und Jane in der schlimmen Zeit bezogen batten, wurde sofort aufgegeben und mit den früher bewohnten eleganten Räumen vertauscht. Sehr bald bildete sich um Philipp eia Kreis von „Freunden", denen er große Festlichkeiten veranstaltete, an welchen die arme Jane nur selten theilnahm. Philipp streute da« Geld mit vollen Händen unter seine Gefährten au», und lebte in der verschwenderischsten Weise, denn noch immer floß ihm täglich von Neuem der golden« Strom zu. Obgleich Jan« natürlich dankbar die so günstig ver änderten Verhältnisse hmnahm, konnte sie krme Freude über da» Glück ihre« Gatten empfinden. Zwar wobnte sie wieder in dem vornehmen Hotel und hatte die herrliche Aussicht auf da» blaue Meer vor sich, brauchte auch nicht mehr in den alten abgetragenen Kleidern einherzugehen, aber wa» galten ihr all' diese Dinge, wenn Philipp fortfuhr, sie mehr al» je zu vernachlässigen. Ihr Gatte machte gar kein Geheimniß darau», daß er ihrer überdrüssig sei, und selbst wenn die» nicht der Fall gewesen wäre, so hatte er seine Frau schwerlich in deu Kreis seiner sogenannten Freunde einsühren können. Zu den bitteren Sorgen und all' dem schweren Kummer, den die arme Jane zu tragen batte, gesellte sich nun auch noch dir furchtbare Oual der Eifersucht, denn e« waren schöne Frauen, die sich bereitwillig von dem verschwenderischen Eng länder den Hof machen ließen, deren Gesellschaft jedoch von den wirklich vornehmen Familien gemieden wurde. Wenn Philipp seine Feste gab, saß die arme Jane an der Pablo cl'bvto ibreS Hotel» und war der Gegenstand deS Mitleid- für alle Diejenigen, die sie kannten. Seudamore kam immer erst spät von seinen Gelagen beim, und mit Schrecken be merkte seine unglückliche Frau, daß die- fast ausschließlich in angetrunkenem Zustande geschah. In der Regel richtete er da» Wort nur an sie, um ihr bittere Vorwürfe zu machen, obgleich eS sich manchmal auch ereignete, daß er in einem Anflug von seltener Großmnth ihr eine Hand voll Gold in den Schooß warf und sie aufforderte, dasselbe zu ihrem Ver gnügen zu verwenden. Nach der stürmischen Unterredung mit Victor Greville glaubte Philipp, daß er sich jetzt wegen de« gestohlenen Brillant-Halsbandes nicht mehr zu beunruhigen brauche. Er hoffte umsomebr vollkommen vor jeder Entdeckung gesichert zu sein, als Victor Greville, da« wußte er, niemals — selbst um den Preis seine- eigenen Glücke» — etwa» thun könnte, WaS dem Glück seiner Schwester bindrrlich sein würde. Philipp'« Absicht war, so lange im Ausland« zu bleiben, bis da- geheimnißvolle Ereigniß in Highmoor gänzlich der Ver gessenheit anheimgefallen sei. Daß Beatrix unter seinen Sünden litt, kümmerte ihn wenig; wenn er indessen gewußt hätte, wie ernst Beatrix den Verdacht nahm, der auf ihr ruhte, er würde sie nur für eine Närrin gehalten haben. Ihm kam e« gar nicht in den Sinn, daß sie sich deswegen weigern könne, zu beirathrn. — Di« ganze Sache war Über haupt in seinen Augen gar kein Diebstahl, denn wenn Me so gekommen wär«, wie er e» sich gedacht hatte, so würde Beatrix jetzt seine Gattin gewesen sein und er hätte also nur »men Tbeil ihrer Mitgift vorweg genommen. In einer vertraulichen Stunde hätte er seiner Frau dann dir Wahrheit bekannt, und damit wäre dir Sache abgethan gewesen. Wenn er über Alle«, WaS geschehen war, nachdachte, so verwünschte er Mr. Betlow'S übergroßen Diensteifer, welcher eigentlich seinen so sorgfältig vorbereiteten Plan, den Gold fi,ch „Sapavo" zu heiratbrn, vkrritelte. Wenn er sich Alle- recht überlegt», batte er einen schlechten Tausch gemacht, denn obgleich er Beatrix nicht geliebt hatte, würde er doch bei
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite