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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.06.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960605017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896060501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896060501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Bindung fehlerhaft: Seiten in falscher Reihenfolge
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-06
- Tag1896-06-05
- Monat1896-06
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Die Morgen-AuSgab« erscheint um '/,? Uhr. die Abenb-AuSgabr Wochentag« um k Uhr. Re-acttou und Lrvedittou: Joha»nes,affe 8. DieExpevition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. i» H« Hmtptqpeditiou »der den im Statt- beeirt und den Bororten errichteten Aos» gaveslellen ab geholt: vierteljährlich ^!4E0, bei -weimaltger täglicher Zustellung tu« Hans^tbchO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel,ährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendnn- in« Ausland: monatlich uis 7bO. Filialen: Otto Klemm's Tortim. lAlfrrd Hahn). Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche. Kaihartnenstr. 14, Port, und Kvnigsvlatz 7. Morgen-Ausgabe. ApMr Tageblatt Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Polizei-Nuttes der Stadt Leipzig. Sl«zrige»ePreiU die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter demNrdactionsstrich (4ge- spalten) üO^, vor den Familiennachrichten (6gespalten) 40^. Größere Cchristrn laut uujrrem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Wcrnsatz uach höherem Taris. Extra«Beilagen lgefalzt), nur mit der Morgen. Ausgabe, ohne Postbeförderung >4 60.—, mit Postbeförderung 70-—. Ännahmeschlnß sur Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anreigen sind stet« au dir Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig Freitag den 5. Juni 1896. 90. Jahrgang. Reformation und Revolution. -L. Wie kürzlich die „Germania", so spinnt jetzt die „Köln. Dolksztg." das Thema von der „geistigen Abstammung" Liebknecht'« von Luther aus. Beiläufig bemerkt, schlagen beide Blätter aus dem Umstande Capital, daß Herr Liebknecht Luther als seinen leiblichen Vorfahren bezeichnet bat. Wir wissen nicht, was an der Sache ist, geben aber unbedenklich zu, daß in diesem Puncte die katholischen Publicisten vor den evangelischen im Allgemeinen etwas voraus haben. Denn die Letzteren sind, selbst wenn sie den schlechten Geschmack hätten, es zu wollen, außer Stande, die Entwickelung von Nach kommen katholischer Kirchengrößcn gegen die katholische Lehre auSzubeuten; es fehlen ihnen dazu die documentarischen Beweis mittel. Was nun den Beweis der „Köln. Volksztg." für den Zusammenhang von Reformation und Revolution angeht, so läßt das Blatt die auch von uns der „Germania" gegen über hervorgehobene Tbatsache, daß die Revolution in katho lischen Ländern ihren Ursprung hat, wohlweislich „links liegen" und hält sich nur an die geographische Vertheilung der socialdemokratischen Wähler in Deutschland. Es schreibt: „Wenn man erwägt, daß in den katholischen Gegenden de« deutschen Reiches die Socialdemokratie verhältnißmäßig wenig ver- breitet ist, so ergicbt eine einfache Rechnung, daß ein ungeheurer Bruchtheil der protestantischen Bevölkerung schon für die social« demokratische Doctrin gewonnen sein muß. Man bedenke: es handelt sich nm fast zwei Millionen Wähler. Wenn eine confessionelle Musterung derselben ganz überwiegend die Zugehörigkeit zum Pro« testantismus ergiebt, jo darf man wohl sagen, daß den verschiedenen „Landeskirchen" die Aufgabe nicht gelungen ist, sich der rcvolutionairen Hochflut!) zu erwehren. Angesichts solcher Tbatsache (!) können die gewöhnlichen protestantischen „Retourkutschen", daß die katholische Kirche in diesem oder jenem romanischen Lande auch nicht der Socialdemokratie Stand gehalten habe, wenig Eindruck machen. Ver gleiche sind nur möglich bei gleichen Bedingungen. Völker anderer Rassen sind aber anders zu beurtheilen, als die Deutschen. Wer den Einfluß zweier Kirchgemeinschasten gegen einander abwägen will, kann nur unparteiisch urtheilen, wenn er sich auf die Verhältnisse in demselben Lande beschränkt." Man könnte sehr wohl die Frage aufwerfen, ob nicht auch die Thatsache, daß die Reformation auf deutschem Boden entstanden ist, durch Rasseneigentbnmlichkeit, nämlich durch das tiefere und ernstere Erfasse» des Religiösen, welches daö deutsche Gemüth vor dem romanischen auSzeicknet, zu er klären sei. Da der KatboliciSmuS in Deutschland und Deutschösterreich, von wenigen kleinen Gebieten abgesehen, lediglich einer mit den Gewaltmitteln deS Staates arbeitenden Gegenreformation sein Dasein verdankt, so läge die Bejahung der Frage sehr nahe, wenn nicht die fabelhafte Leichtigkeit, mit der die ultramontan gerichteten deutschen Katholiken das zuerst von der Masse wie von den Neligionslebrern und Bischöfen als eine Gewissensbedrückung zurückgewiesene Unfehlbarkeits dogma nach seiner Berkündung angenommen haben, Vorsicht bei der Ausstellung eines allgemeinen Satzes über die Natur der Beziehung der Deutschen zur Religion auferlegte. Wir lassen das bei Seite und stellen uns ganz auf den Standpunct der „Köln. Volköztg.", wenn sie für eine Vergleichung gleiche, wie sie sagt, „Bedingungen" verlangt. Nur bitten wir um logisches, consequentcs Denken. Die Gemeinsamkeit derRasse, des „Landes" ist in diesem Falle ein tertium cornpuraticmis, aber sie ist nickt, wie das ultramon- taneBlatt glaubt oder zu glauben sich den Anschein giebt, das ein zige. Und umgekehrt sind für den Vergleich der Stärke der Social demokratie in katholischen und in evangelischen Gegenden die gleichen Bedingungen, die das Blatt als die nothwendige Voraussetzung eines Vergleichs verlangt, nicht vorbanden. Der socialdemokratischcn Einwirkung ist naturgemäß die A r bei ter - bevölkerung am meisten zugänglich. Diese ist am stärksten in den großen Städten und in den Industriegebieten ver treten, und diese wiederum haben, mit der „Köln. Volks zeitung" zu reden, „ganz überwiegend" evangelische Be völkerung. Ueberhaupt verhält sich in Deutschland, was das klerikale Organ ganz vergißt, obwohl ihm doch bei der Be urteilung der Wirksamkeit der „Landeskirchen" das Moment hätte aufstoßen müssen, die evangelische Einwohnerschaft zur katholischen wie 2 : 1. Die Frage, warum in Deutschland überhaupt, sodann in der Gesammtheit der Industriebezirke die „evangelischen" Socialdemokraten zahl reicher sind als die „katholischen", hat dieselbe Lösung wie daS Kinderräthscl: Warum fressen die Weißen Schafe mehr als die schwarzen? Antwort: Weil eS mehr weiße als schwarze giebt. Die Behauptung, daß die Socialdemokratie in katholischen Gegenden „verhältnißmäßig" wenig verbreitet sei, hat also die „Köln. Volksztg." zum Zwecke eines Trugschlusses ausgestellt. Die „Rechnung" ist nicht so „ein fach". Die Socialdemokratie ist in gewissen Gegenden nicht deshalb weniger zahlreich, weil dort das katholische Bekenntniß überwiegt, sondern weil die Industrie fehlt. Wo dies in katholischen Bezirken nicht der Fall ist, hat der Klerikalismus gar keine Ursache zu der Renommisterei, in der das Kölner Blatt sich gefällt, und selbst in fast reinen Ackerbau gegenden mit lediglich katholischer Bevölkerung wurde eine respectable Anzahl socialdemotratiscker Stimmzettel abgegeben. Wenn man, was unerläßlich ist, die geringere Vertretung des Katholicismus in den Städten in Betracht zieht, so wird er an den „zwei Millionen" socialdemokratischer Wähler „ver- hältnißmäßig" nicht schwächer betheiligt sein, als dem Pro- ccnlsatz seiner Vertretung unter der deutschen Gesammt- bevölkerung entspricht. Deutsches Reich. -8- Leipzig, 4. Juni. In der letzten Sitzung der hiesigen Juristischen Gesellschaft hielt Herr Oberreichs anwalt Hamm einen die Aufmerksamkeit ver Zuhörer vom Anfang bis zum Schluß fesselnden bedeutsamen Vortrag über Privatklage und Strafantrag. Seine mit Rück sicht auf die Novelle zur Deutschen Strafproceßordnung sehr zeitgemäßen Ausführungen faßte der Herr Vortragende in folgenden Leitsätzen zusammen: 1) Die in der Novelle zur Deutschen Strafproceßordnung vorgeschlagene Aus dehnung der principalen Privatklage auf verschiedene Antragsdelicte ist zu billigen und noch weiter, vor Allem auf die Vergehen gegen die Gesetze zum Schutz deS geistigen EigenthumS, zu erstrecken. 3) Bei denjenigen Strafhand lungen, für welche die principale Privatklage zugelassen ist, muß der Antrag des Verletzten als Voraussetzung der Ver folgung von Amtswegen in Wegfall gebracht, für die Er hebung der Privatklage aber die für den Antrag geltende dreimonatige Frist beibehalten werden. Beantragt der Ver letzte innerhalb dieser Frist bei der Staatsanwaltschaft die Verfolgung von Amtswegen, so wird dadurch die Frist bis zur Zustellung deS endgültigen Bescheides der Staatsanwalt schaft unterbrochen. 3) Für die principale Privatklage darf die Zuständigkeit der Gerichte und dürfen die Gerichts gebühren keine anderen sein, als für die öffentliche Klage. Berlin, 4. Juni. Eine Besprechung des unerhörten Falles in Iarotschin, wo der polnische Geistliche daö Beten des Vaterunsers in deutscher Sprache für eine Sünde erklärte und den deutschen katholischen Lehrer vor den Schul kindern auf das Rücksichtsloseste behandelte, leitet das „B e rl. Tageblatt" mit der geschmackvollen Aeußerung ein, die Polenfresser fänden wieder einmal Gelegenheit, ihrer leb haften Entrüstung über polnischen Uebermuth Ausdruck zu geben; leider diesmal mit Recht. Das Wörtchen „leider" ist köstlich; es drückt wundervoll den tiefen Schmerz aus, einmal eine Handlung der lieben polnischen Freunde beim besten Willen nicht so auslegen zu können, daß die „Polen fresser" ins Unrecht gesetzt werden. Wir „fressen" übrigens die Polen nicht; unsaubere Speisen zu sich zu nehmen, über lasten wir lieber den Gönnern und Gesinnungsgenossen des „Berliner Tageblatts". Es soll anerkannt werden, daß selbst das „BerlinerTageblatt" mit demFalle in,Iarotschin insGericht geht, aber aus seuicn Ausführungen gebt hervor, daß es noch immer keine Ahnung hat, worauf es eigentlich den Polen gegenüber ankommt. Es meint nämlich, kleinlicke Maß nahmen gegen die Polen seien verkehrt; hingegen müsse, wenn wirklich einmal die Polen die schuldige Achtung gegen das Deutschlhum verletzten, eine gebührende Sühnung ein treten. Wenn die Taktik, die Polen nur in den Fällen außerordentlicher Excesse gegen das Deutschlhum fühlen zu lassen, daß sie in einem deutschen Staate leben, eingeschlagen würde, so würde damit der Polonisirung Thür und Thor geöffnet sein. Denn es würde weiter nichts erzielt werden, als daß die Polen ein wenig vorsichtiger zu Werke gehen würden. Gewiß sind wir der Ansicht, daß in jedem einzelnen Falle Ausschreitungen, welche die Polen sich zu Schulden kommen lassen, geahndet werden müssen, aber daS ist nicht die Haupt sacke. Die Hauptsache ist vielmehr, zu erreichen, daß in Provinzen, die seit mehr als einem Jahrhundert unter deutscher Herrschaft stehen, derartige Fälle überhaupt nicht vorkommen können. Deshalb müssen allgemeine Maßnahmen gegen den Uebermuth und die Aspirationen des Polenthums genommen werden, nicht kleine und noch viel weniger kleinliche Maß regeln, sondern entschiedene Maßnahmen. Gerade der Fall in Iarotschin zeigt auf das Deutlichste, wo die Träger und Förderer der polnischen Bestrebungen zu suchen sind: bei dem niederen polnischen Klerus. Viel wichtiger als die Frage, ob ein deutscher oder ein polnischer Erzbischof dem Erzbisthum Gnesen-Posen vorsteht, ist die Frage, ob Deutsche oder Polen die Pfarreien in den östlichen Provinzen verwalten. Zwar würden auch katholische Geistliche deutscher Abkunft den Polen freundlich gegenüberstehen — man sieht es an der Haltung des Centrums und der Geistlicken in deutschen katholischen Gegenden, z. B. im Wahlkreise Lissa-Fraustadl —; aber sie würden doch nicht polnische Heißsporne und Leiter der polnischen Propaganda darstellen wollen. Die Regierung müßte also durch Verhandlungen mit Rom die all- mälige Ersetzung de« niederen polnischen KleruS durch deutsche Geistliche, die in polnischer Sprache zu predigen im Stande sind, durchzusetzen suchen. WaS schließlich speciell den Iarotschiner Fall anbetrifft, so möchten wir noch bemerken, daß man eine Bestrafung deS Geistlichen nicht lediglich dem guten Willen de- Erzbischofs Stablwski überlassen sollte. Auch die Diener der Kirche stehen glück licherweise unter den bürgerlichen Gesetzen; in diesem Falle nun liegt zweifellos eine öffentliche Beleidigung des LebrerS vor. Wenn der Lehrer oder seine vorgesetzte Behörde cs unterlassen, Strafantrag zu stellen, so sollte die Staats anwaltschaft ex oklioio die Anklage wegen öffentlicher Beleidigung erheben; denn wenn irgendwo, so liegt es hier im öffentlichen Interesse, daß der Beleidiger bestraft und das Ansehen des Staats gewahrt werde. Wir sind gespannt darauf, welchen Fortgang die preußische Regierung der Sacke geben wird; eventuell müßte sie im preußischen Abgeordnetcn- bause auf die Pflichten aufmerksam gemacht werden, die sie nicht nur als preußische Regierung, sondern auch als die Vormacht des deutschen Reiches zu erfüllen hat. Berlin, 4. Juni. (Telegramm.) Der Kaiser und die Kaiserin unternahmen beute früh von 7 Uhr ab einen gemeinschaftlichen Spazierritt in die Umgebung des Neuen Palais, von dem sie gegen 8Vr Uhr nach dem Neuen Palais zurückkehrten. Von 9 Uhr Vormittags ab hörte der Kaiser daselbst den Vortrag deS Kriegsministers Generals Bronsart von Schellendorff und arbeitete dann längere Zeit mit dem General-Adjutanten v. Hahnke. --- Berlin, 4. Juni. (Telegramm.) DaS Staats Ministerium trat heute Nachmittag 2 Uhr unter dem Vorsitz des Fürsten Hohenlohe zu einer Sitzung zusammen. U. Berlin, 4. Juni. (Privattelegramm.) Die „Nat.- Ztg." schreibt: Mehrere Blätter berichten, daß der evange lische Oberkirchenrath den Prof, von Soden, Prediger an der Jerusalemer Kirche, wegen der auf dem evangelisch socialen Congreß gehaltenen Rede zur Aeußerung auf gefordert habe. Wie wir hören, ist diese Mittheilung unbegründet; bisher ist dem Prediger von Soden keinerlei Aufforderung des Oberkirchenraths zuzegangen. Cs scheint allerdings, als ob gewisse Leute denselben zu einem Vorgehen gegen den Prediger von Soden drängen wollten. Uebrigcns wird dessen Rebe auf dem Stuttgarter Congreß dieser Tage im authentischen Texte im Druck erscheinen. 0. II. Berlin, 4. Juni. (Privattelegramm.) Zur Erörterung der Frage, welche Aendcrungcn die juristische TtudienorSnung infolge der Einführung des Bürger lichen Gesetzbuchs zu erfahren haben wird, ist nach der „Nationalzeitung" eine Ministerial-Commission zu- sammengetreten. Die Beschlüsse der Eisenacher Pro fessoren-Conferenz werden von der Commission als wertbvolle Vorarbeit benutzt werden. — Die Nachricht, daß das Cent rum bereits einen neuen Antrag auf Aufhebung deS Iesuitengesetzes vorbereitet habe, scheint nicht ganz correct gewesen zu sein. Es wird nämlich jetzt versickert, daß man zunächst eine Anfrage an die Regierungen nach dem Schicksal deS vom Reichstage in der vorigen Tagung angenommenen Gesetzes auf Aufhebung des Iesuitengesetzes cin- zubringen beabsichtige, das bisher im Bundesrath ge legen hat, ohne daß dieser Stellung zu ihm genommen hätte. Nach weiteren Andeutungen soll nun ein Beschluß deS Bundes ratbS in nächster Zeit zu erwarten sein, und ibm soll die Anfrage des CentrumS gelten, das sich je nach Ausfall der Antwort weitere Schritte, eventuell auch die Einbringung eines neuen Antrags auf Aufhebung jenes Gesetzes Vor behalten wolle. Die Angelegenheit gewinnt damit ein ganz anderes Angesicht. Die „Magdeb. Ztg." kommt auf die Ver- Feuilleton. An den Gestaden Kretas. Reiseerinnerungen von Theod. Herm. Lange. Nachdruck verbotrn. Nach einer kaum dreitägigen Seefahrt von Corfu auS erblickten wir die Berge Kretas. Hinter uns lag die liebliche jonische Inselwelt, deren reizende Eilande mit ihren Orange gärten, Oliven- und Myrthenbainen, ihren plätschernden Quellen und krystallklaren Bergbächen, ihren grünen Matten, ihren bizarr geformten Felsen und Bergkegeln vor unseren Blicken wie eine glänzende b'utL morgang, erschienen und wieder zerflossen waren. Hinter uns lag auch die zerrissene und zer klüftete griechische Küste mit den kahlen Gestaden, an denen sich ruinenartige Städte mit verfallenen Mauern und Castellen, sowie altersgraue und unförmige Leuchtthüme erhoben, während aus weiter Ferne die schneebedeckten Bergspitzen des Peloponnes ernst und traurig herübergrüßtrn, die Zeugen einer großen Vergangenheit. Nur wenn die Morgen- oder Abendsonne mit ihren purpurnen unv goldenen Strahle» um die Spitzen der Berge leuchtende Kronen zauberte und die ganze Land schaft mit einem scheinbar überirdischen Schimmer, wie dies nur unter dem orientalischen Himmel möglich ist, umfluthete, zeigten sich auch diese meist unansehnlichen und dem Einstürze nahen Gebäude, diese geschmacklosen Thürmr und Thürmchen in rosiger Verklärung. Die gewaltigen FrlSmauern von Kala- mata, welche fast kerzengerade aus dem blauen Meere auf- sleigen, sind gewissermaßen da« SUdwestfort der Balkan- balbinsel, das die Natur selber geschaffen. An dieser Fels wand ist keine Landung möglich und schon bei nur wenig bewegter See brechen sich hier schäumend und zischend fuß hohe Wogen. Auch Kreta erhebt sich — gleichviel von Welcher Himmels richtung man sich der Insel nähert — wie eine gewaltige Festung ans dem Meere. Grau und schwart erscheinen von Weitem der Strand, die Ebenen und die jäb zur Küste ab fallenden Bergterrassen wie der gewaltige Gebirgsstock, der die ganze Insel durchzieht. Dem Laupttburme einer hoch gelegenen Citadelle gleich, erhebt sich nahezu in der Mitte der Insel der 2456 m hohe Psiloritti — der Ida der Alten — während im Westen der 2469 m hohe Theodoro de« Madäras- nnd im Osten die Spiyen de« Lasitbi-Gebirge-, die biS über 2000 und 2100 m ansteigen, die Thürme dieser Festung dar- slellen. Bis in den Juni und Juli hinein tragen die höchsten Gipfel der Insel einen weithin leuchtenden Schnccmantcl Als unser Dampfer Ende April auf der Höhe von Canea erschien, hatten die Bergcsriesen, von denen einige pyramiden artig, andere fast zuckerhutsörmig emporsteiaen, ihr Schnee kleid um Haupt und Schultern noch nicht abgelegt. Das 8618 czkm große Kreta ist ein Felseneiland im vollsten Sinne des Wortes. Die Südseite der 260 1cm langen Insel, deren größte Breite nalwzu 60 Irm beträgt, ist stellenweise gänzlich unzugänglich. Reich an Buchten und guten Häfen ist die Nordküste, an welcher die drei bekannten Städte Canea, Ncthymo und Candia liegen. Au der Nordküste fehlt es auch nicht an einigen verhältnißmäßig größeren Ebenen, welche bis an den Strand reichen. Die Berge wie die Höben am Meeresufer weisen vorwiegend Kalkstein, Schiefer, Sand stein, dann auch Porphyr u. s. w. auf. In den Madäras-Bergen Hausen die Spakhirten, berühmt durch ihre Tapferkeit und ihren guten Käse, der einen der hauptsächlichsten AuSfubrgegenstände der Insel bildet. Groß ist allerdings die Ausfuhr des annähernd 300 000 Einwohner zählenden EilandeS nicht. In der Hauptsache werden Früchte, besonders Oliven, Mandeln, Oel, Wein, Honig, Wachs, Tabak, Seide und Flachs exportirt, inSgesammt aber jährlich noch nicht einmal für 10 Millionen Mark. Die Land- wirthsckaft liegt außerordentlich darnieder. DaS für die Bewohner nöthige Brodgetreide kann nur zur kleineren Hälfte auf der Insel selbst gewonnen werden. Langsam steuerte unser Dampfer dem im Nordwesten der Insel Gelegenen Hafenplatze Canea zu. Bei ungünstiger Witterung war die Landung bis vor wenigen Jahren in Canea öfter« nicht möglich und liefen die Dampfer dann in Suda an. Neuerdings sollen die Landungsverhältnisse wesentlich verbessert worden sein. Canea ist eine uralte Stadt mit schmalen, winkligen und unsauberen Straßen. Eine Reihe Gebäude stammt noch au- der Zeit, wo hier Genuesen und Venetianer ihre Herrschaft ausübten. Da- im Norden der Stadt gelegene Castell bat wohl in strategischer Hinsicht keine sonderliche Bedeutung. Unter den griechisch - orientalen Kirchen wie unter den Moscheen befinden sich keine hervorragenden Bauwerke. Wie auf der ganzen Insel, so ist auch in Canea dir Bevölkerung überwiegend griechischer Abstammung. Ins- gesammt werden auf der ganzen Insel noch nicht einmal 8K 000 Muhamrdaner gezählt. Unter diesen befinden sich aber auch ihrer Nationalität nach zahlreiche, zum Islam Lbergrtretene Griechen. Die Zahl der römischen Katholiken auf ver Insel ist gering und ganz verschwindend die der Protestanten. Auch Armenier trifft man nur vereinzelt an. Die auf der Insel ansässigen Fremden sind Italiener, Oester- rcccker — darunter hanptsäcklich Dalmatiner und Slovenen —, einige Ungarn, Franzosen, Deutsche u. s. w Die früher auf Kreta ansässigen englischen Kaufleute sind bis auf wenige wieder verzogen. Canea mag etwa S —10 000 Einwohner zählen und bietet in seinem Innern das Bild einer südHriechiscken Stadt, durch deren Straßen man allerdings häufig tür kische Soldaten in ihren abgeschabten und zerrissenen Uniformjacken schlendern sieht. Natürlich tauchen auch zwischen den bauschigen und faltigen griechischen Co- stümen die Uniformen türkischer Osficiere und Beamte und bcturbante, würdevoll einherschreitende Türken auf. Auch türkische Bauern kommen an gewissen Tagen in großen Schaaren in die Stadt. D>e Hotel- und RestaurationSverhältnisse sind übrigens wie auf der ganzen Insel, so auch in Canea mehr als einfach. Die Weine, die man indessen in den kleinen, häufig recht unsauberen Locanden trinkt, sind gut und billig und werden öfters aus recht hübsch geschliffenen, großen gläsernen Karaffen gcschäntt. Dem Reifenden» der sich nach Handel, Wandel und Industrie erkundigt, kann nicht viel Tröstliches berichtet werden. Die Fabrikation ist unbedeutend. ES giebt nur einige Cigaretten- und Seifenfabriken und ein paar größere Schlossereien (Reparaturwerkstätten). Im Hafen selbst be merkte ich nur eine sehr geringe Anzahl von Schiffen. Die besten Verbindungen über Ser unterhält der österreichisch ungarische Lloyd von Triest über Corfu nach den Häsen längs der Nordküste und von Candia nach Syra mit Anschlüssen nach dem PiräuS und Konstantinopel, sowie nach Samos und Smyrna. Eisenbahnen giebt eS auf ganz Kreta nicht. Dafür sind aber die Landstraßen desto schlechter und mit Wagen oft gar nicht passirbar. Bei unserer Küstenfahrt von Canea über Rhytbmo nach Candia bot sich wiederholt Gelegenheit, einen Blick in das Innere der Insel zu werfen. Die Vegetation ist stellenweise «ine vielseitige und üppige. Besonders fesselt der reiche Blumenflor. Rosen, Levkojen, Hyacinthen und Narcissen blühen vom Frühling bis in den Herbst. In den Weingärten ranken sich die Reben am Boden dahin oder ziehen sich guirlandenartig von Baum zu Baum. In den Olivenhainen stehen die Baume in großen Entfernungen von einander. Die früher nicht unbedeutenden Eichwaldungen sind zum größten Theile verschwunden. - An der Südseite Kretas ge deihen Palmen. Auf den Berghalden an der Küste ge wahrten wir wiederholt große Cchafheerden und vereinzelt auch Ziegenheerden, die dort weideten. Mühlen und Hirten hütten lagen einsam in der Nähe deS Strandes und ab und zu zeigten sich auch di« verstreuten Häuser rin«S Dörfchen oder «in« größere Siedlung. Da, wo di« Küst« Kretas aus unbebauten, »«bewaldeten und fast vegetationslosen Fels wänden besteht, bieten sich trotzdem dem Auge die ab wechselungSvollsten Scenerien dar. Bald sind es rotbe, gelbe oder weiße Sandsteinfelsen, bald schwarze Granit- oder Schiefersäulen, die festungsartig auS den Fluthen aufsteigen. Außer den Inselchen, die an der Küste sich vorfinden und von denen die meisten gänzlich unbewohnt sind, ragen auch noch zahlreiche Felsblöcke, auf das Seltsamste gebildet, aus dem Meere empor. Besonders direct nach Sonnenuntergang glaubt man in ihnen ganz eigenthümliche Gestaltungen wahr zunehmen. Der eine erscheint einem Leuchlthurme gleich, ver ändere einer Kirche, einer Moschee, einem Fort rc. Daö Klima ist im Sommer trocken und heiß, im Winter in den Thälern mild und regnerisch. Flüsse giebt es auf Kreta nicht, nur Flüßchen und Bäche. Die Küsten sind fisch reich. In den Häfen fah ich wiederholt Fischerboote, welche eine prächtige Auswahl von frisch gefangenen Fischen bargen. Die Jagdbeute ist beute nur noch gering. In den wenig zu gänglichen Gebirgsschluchten im Innern Hausen aber nock Wölfe. Der Aufenthalt in Rethymo war nur kurz. Nach einer Fahrt von etwa 7—8 Stunden war Candia, die größte Stakt der Insel, erreicht. In Candia, das etwa 12 000 Einwohner zählt, residirt der türkische Gouverneur. Außerdem ist die Stadt, die einige ziemlich freundliche Quartiere mit breiten und verhältnißmäßig reinlichen Straßen aufweist, der Sitz eines griechischen Bischofs. Auch ein Kapuzinerkloster befindet sich in Candia. Die Wege, welche von Candia in daS Innere ter Iniel führen, sollen sich in einem etwa- besseren Zustande besinkcn. als jene von Canea auslaufenden. Leider ertaubte es nie nc Zeit nicht, einen Abstecher in daS Land hinein ,u unter nehmen. Zu HochgebirgSauSflügen empfehlen sich a-ch nierr die eigentlichen Sommermonate. Vom hohen Psiloritti bietet sich eine entzückerte R^d- und Fernsicht dar. Zu den Füßen liegt d,e Ir . daS Auge nach allen Seiten überschaut und r.ncSb.-.in : r.: daö weite Meer. Im Nordwesten d d . - : : d.-s Peloponnes erkennbar und in östlicher Richte« 7 spitzen der kleinasiatischen Küste, allo «,» der nur bei dieser reinen, durchsichtigen r be -4 Ick will nicht gerade behaupten, daß Kreta ,:r d»« -Aasten und lieblichsten Eilanden deS Mmelmee-.e- g-c.vrt An die jonischen Inseln reicht e« nicht heran auch n rr an Rdodus und ander« Eilande der Svoraden-Grurre. Aber über den Küsten, Ebenen und Bergen blaut der wunderbare morgen ländisch« Himmtt und siradlt die beiße Sonne des Südens — d«r Frühling stellt sich an der Küste Kretas außerordent lich zeitig «in — und Himmel und Sonn« weben hier «inen ätherischen Lichtschleier. der Alle« noch weit schöner er scheinen läßt.
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