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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.06.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960611022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896061102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896061102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Images teilweise schlecht lesbar
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-06
- Tag1896-06-11
- Monat1896-06
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Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um L Uhr. Ncdaltion und Expedition: JohanneSgasse 8. Die Expeoition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Ltta Slemm's Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharmenstr. 14, Part, und Königsplatz 7. Bezugspreis t» der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und de» Bororten errichteten AuS- aabestellen abgeholt: vierteljährlich^4.50, vei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandsenduug inS Ausland: monatlich 7.50. 283. Abend-Ausgabe. MipMer TligMM Anzeiger. Nmtsvsatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rothes nnd Vokizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Donnerstag den 11. Juni 1896. Anzri-zen-Preis die 6 gespaltene Petilzeile LO Pfg. Reclamen unter dem Redactionsstrich l4ge- spalten) 50vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung X 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen find stets au die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 9V. Jahrgang. Amtlicher Theil. Bekanntmachung. Auf die für das Jahr 1896 festzusetzeude Dividende der Reichs- bankantheile wird vom 15. d. Mts. ab eine erste halbjährliche Ab schlagszahlung von ein und dreiviertel Procent oder 52 Mark 50 Pfennig für den Dividendenschein Nr. 1 bei der Neichsbankhauptcasse in Berlin, bei den Reichsbankhauptstellen, Rcichsbankstellen, der Reichs- bankcommandite in Insterburg, jowie bei jämmtlichen Reichsbauk- nebenstellen mit Casseneinrichtung erfolgen. Berlin, den 8. Juni 1896. Der Reichskanzler. In Vertretung: v. Bo etlicher. Politische Tagesschau. * Leipzig, l l. Juni Als der Reichstag in der gestrigen Fortsetzung der dritten Berathung der Novelle zur Otctt'crlicordnnng, die bei Art. 3 begann, zu Art. l gelangte, batte er bereits zwei nament liche Abstimmungen hinter sich. Die eine war ge fordert für den Antrag Schädler (Centr.) auf Zulassung einer Landesgesetzgcbung, die die ConcessivuSpflicht für den Klein- bandel mit Bier (Flaschenbier) festsrtzt, und endigte mit der Ablehnung Les Antrags mit 155 gegen 103 Stimmen. Die zweite war in ausgesprochen obstruetionislischer Absicht vom Abg. Richter (fr. Vp.) über einen Antrag aus Schluß der Debatte über den Antrag Schädler gestellt worden. Sie führte zwar (mit 139 gegen 123) das Ende der Erörterung herbei, erreichte aber Len Zweck der Zeitvergeudung. Die Haupt bestimmung des Art. 3 (Ausdehnung der Concessiouspflicht für Gast- und Schankwirthschaftcn auf Consum- und ver wandte Vereine) wurde in einer von dem Beschluß zweiter Lesung abweichenden Fassung angenommen. Danach besteht die Concessionöpflicht für Vereine, welche den gemeinschaftlichen Einkauf von Lebens- und Wirtbschaftsbedürfuisscn im Großen und deren Absatz im Kleinen zum ausschließlichen oder Haupt sächlichen Zweck haben, einschließlich der bereits bestehenden, auch daun, wenn der Betrieb aus Leu Kreis der Mitglieder beschränkt ist. Die Landesregierungen können anordnen, daßdieCouccssioiis- pflicht auch auf andere Vereine ausgedehnt wird. Social demokratische Anträge, welche die Genehmigung zur Ver anstaltung öffentlicher Lustbarkeiten, sowie die Festsetzung der Polizeistunde betrafen und das Interesse der politischen Agitation im Ange hatten, wurden abgelehnt. Zu den Gewerbe- bebctrieben, die auf Grund des 35 der Gewerbeordnung ^Unzuverlässigkeit mit Bezug auf den betreffenden Gewerbe betrieb) nach der Fassung zweilerLesung zu untersagen sink,wurde der Handel mit Bezugs- und Antheilscheiuen von Loosen hinzu gefügt. Der Kleinhandel mit Bier kann versagt werden, wenn der Gewerbetreibende wiederholt wegen Znwiderhandelns gegen den ß 33 der G.-O. bestraft ist. Hinsichtlich der chemischen Präparate blieb cs der Sache nach bei den Be schlüssen zweiter Lesung. Diese Vorschriften (Art. 4 und 5) wurden mit 116 gegen 115 Stimmen, also mit einer Zufalls mehrheit angenommen. Ohne oder mit nicht erheblichen Aenderungen fanden die Art. 6 bis 7 a Annahme. Heute beginnt die Weiterberathung bei den Bestimmungen über das Detailreiseu. Prinz LuVivig von Bayern hat, wie die „Nordd. Allgem. Ztg." meldet, in seiner Moskauer Tischrede den von dem Festredner mit Bezug auf die deutschen Fürsten ge brauchten ungeeigneten Ausdruck „unter Hinweis auf die verfassungsmäßige Stellung der deutschen Fürsten berichtigt". Hiernach kann der Prinz nicht gesagt haben, was ihm von der „N. Fr. Pr." in den Mund gelegt worden war. Er sollte gesagt haben: „Wir sind nicht Vasallen, sondern Verbündete des deutschen Kaisers." Es ist nicht richtig, daß die deutschen Fürsten „Verbündete" in dem Sinne seien, in dem das Wort gewöhnlich und besonders im Auslande gebraucht und verstanden wird. Die Reichs verfassung regelt ganz genau das Verhältnis; der einzelnen Bundesstaaten zum Reiche, dessen Glieder sie sind. Tie Fürsten Deutschlands stehen genau so unter der gemeinsamen ReichSvcrfassung, wie das Volk. Es ist auch nicht richtig, daß, wie der Prinz ferner gesagt haben soll, das Reich nur für den Fall der Gefahr begründet sei; kenn das Reich ist vielmehr eine auch im Frieden lebendige Einrichtung, die cs mit sich bringt, daß die deutschen Staaten an einem künftigen Kriege unter anderen Umständen theilnchmcn werden, als es vor 25 Jahren geschehen ist. Man darf annehmen, daß der Prinz seine Auslassung über die verfassungsmäßige Stellung der deutschen Fürsten im Wortlaute zur Kenntnis; LcS Kaisers gebracht und dadurch jeder Mißdeutung auf Zeilen des Trägers der deutschen Kaiserkrone vorgcbeugt hat. Der Prinz wird wohl auch weniger eine Mißdeutung des Kaisers gefürchtet haben, als eine solche auf Seilen der süd deutschen Particnlaristen. Wie begründet diese Be sorgnis; ist, geht aus dem Jubel hervor, den die falsche Meldung über die Rede des Prinzen in diesen Kreisen erregt hat. Sv schreibt das „Bayer. Vaterl.": „Ein rechtes Wort zur rechten Zeit hat der Vertreter des Prinz-Regenten, Prinz Ludwig von Bayern, bei den KrönungS- seierlichkeiten in Moskau gesprochen, das im ganzen Lande Bayern und in allen bayerischen Herzen kräftigen Widerhall findet nnd dem Prinzen Lndivig ewig unvergessen bleiben ivird, weil er den bayerischen Gefühlen und dem bayerifchen Bewußtsein stolzen, kräftigen, bayerischen Ausdruck vor der ganzen Welt gegeben hat... Nach der Rede des Prinzen Ludwig — meldet ein Telegramm — verließen Prinz Heinrich v"bn Preußen, die übrigen Prinzen und der deutsche Botschafter — welche sich also zum „Gefolge" rechneten — den „Saal" und nahmen die Er innerung an eine kräftige bayerische Belehrung und Manifestation über die Stellung und das Verhältnis; Bayerns zum Kaiser, des selbstbewußten stolzen Wittels bachers zum Hohen zoller mit sich, über die jeder ehrliche Bayer sich von Herzen freut, auf die ec stolz ist und stolz jein darf, die erfrischend und erhebend wirkt und neue Hoff nungen erweckt, nachdem bisher so Manches geschehen, was - nicht nach den Herzenswünschen und Anschauungen des bayerischen Volkes gewesen. Prinz Ludwig hat Rückgrat nnd Manuesmuth, er weiß das rechte Wort zur rechten Zeit zu sagen, er hat in Moskau ein großes Wort gesprochen, das nicht blos durch Bayern, sondern durch Europa hallt und z. B. in Wien „ungeheure Sensation" hervorgerufcn hat und wohl auch in Berlin verstanden und gewürdigt werden wird." Und der in Stuttgart erscheinende „Stuttgarter Bcob." triumphirt: „Wir wissen nicht, ob der Wortlaut der Aeußerung des Prinzen authentisch ist, allein wir können jetzt schon sagen, daß uns seit lange keine Aeußerung eines deutschen Fürsten so sehr gefreut hat wie diese. Dem übermüthigen, protzigen Preußenthum, welches diesmal in einem Urgermanen mit italie- nischem Namen seinen Vertreter gefunden hatte, tritt selbstbewußt der Vertreter des größten deutschen Mittelstaates entgegen und ruft entrüstet: Bis hierher und nicht weiter! Prinz Ludwig hat diesmal nicht im Namen der Wittelsbacher, nicht blos im Namen Bayerns, nein, er hat ganz Süddeutschland aus dem Herzen gesprochen, und seine Worte werden vom Rhein bis zum Böhmerwold und In» wendigen ^Widerhall finden. In Berlin giebt cs freilich Leute, die uns suddeuftchc nur zu gern zum „Gefolge" des Preußenthnms degradiren mochten; aber so weit sind wir glücklicherweise noch nicht, und inan wirk dort jedenfalls mit dem Proteste des Prinzen rechnen muyen. Aus fallend nnd fchwcr verständlich ist nur, daß Prinz Heinrich,^dle übrigen Prinzen nnd der Botschafter den Saal verlieyen. ^.er Zwischenfall muß ja für den Bruder des Kaisers in hohem Grade peinlich gewesen sein: aber gerade nm demselben die Spitze abzu brechen, hätte er wohl am Besten gethan, wenn er sich seinerseits den, Proteste des bayerischen Prinzen angcschlossen und die Stellung der Bundessürsten gebührend anerkannt hätte. Sonderbar ist es vollends, daß die anderen Prinzen seinem Beispiele folgten. Gerade diese hätten doch in erster Linie Veranlassung ge- habt, sich um ihren hervorragendsten Vertreter zu jchaaren und ihm Beifall zu spenden." Prinz Ludwig ist ja allerdings nicht verantwortlich sur die Wirkung, die ein falscher Bericht über seine Rede auf die süddeutschen Particnlaristen gemacht hat; aber da diese Wirkung auf alle Fälle seine Befürchtung rechtfertigt, so wird er sich Wohl dazu verstehen müssen, nicht nur dem Kaiser, sondern auch den Verherrlichen, des falschen Berichts den genauen Wortlaut seiner Rede zur Kenntnis; zu bringen. Der belgische Liberalismus geht einer abermaligen schwierigen Prüfung entgegen. Die parlamentarischen Er neuerungswahlen stehen für diesen Sommer bevor, unv allem Anschein nach wird es einen heißen Kampf geben. Der Radicalisnins hat sich von den Liberalen jetzt endgiltig loSgcsagt und ist in Hellen Haufen zu den Socialdemo krat en abgeschwcnkt, deren gesammtes Programm er ohne viel Federlesens sich angeeignet Hal, wenn auch ohne ausdrück liche Verleugnung seiner bisherigen Grundsätze. Seit ver letzten Wahlcauipagne haben die socialdcmokratischen Umsturz- teuteuzen in Belgien erheblich an Boden gewonnen, Dank der Zerfahrenheit und man kann wohl sagen der Unfähigkeit des dortigen Liberalismus. Der bürgerliche Liberalismus, der noch vor wenigen Jahren in Belgien eine äußerlich fo starke Position behauptete, daß es kaum möglich schien, ihn daraus zu verdrängen, sristet heute nur noch ein kümmerliches Dasein. Als lachender Erbe ist die Svcialdemokrakie auf den Plan getreten, die nur zu winken brauchte, nm den Radicalisnins als Keil in das lose Gesügc der liberalen Parteiorganisation zu treiben, und nun mit dem RadicaliSmus, nachdem er sein Zerstörungswerk an den Liberalen vollbracht hat, kurzen Proces; mackt. Aehnliches läßt sich übrigens so ziemlich in allen Ländern mit parlamentarischen Institutionen beobachten. Fast überall gleiten die radikalen Heiß sporne unaufhaltsam auf der schiefen Ebene der Negation hinunter, bis sie auf dem Niveau der Umstürzler san8 x!n-u8o aMangen. Es ist wahrscheinlich, daß in Belgien nach vollzogener nahezu gänzlicher Eliminirung der liberalen Partei der Kampf desto heftiger zwischen den Klerikalen einerseits und ccn Socialrevolutionairen andererseits ent brennen wird. Dieser Kampf dürste, vorerst wenigstens, den Klerikalen mehr Erf.lge als den Umstürzlern eintragen, da die immerhin ansehnlichen Minoritäten, über welche der Liberalismus iu vielen Wahlkreisen noch verfügt, es im Falle notbwendig werdender Stichwahl vorziehen dürften, dem klerikalen Bewerber, als dem kleineren der beiden Uebel, ihre Stimmen zuznwcnden, wenn von ihnen der Wahlausgang entscheidend beeinflußt werden kann. Vor einigen Monaten wurde ans Anlaß des hinterindischen Abkommens zwischen Frankreich und England eine ge mischte Commission gebildet, um die Grenzfragen „westlich vom unteren Niger" zu lösen. Diese Corn Mission hat zwar einige Sitzungen in Paris abgehalten, aber nackdem ein englischer Vertreter auf seinen GouverneurS- Posten abgcreist ist, scheint jetzt allgemein angenommen zu werden, daß bei diesen Verhandlungen nichts herauskommcn wird. Auf der einen Seite ist man in Frankreich darüber gar nichl betrübt, da die Commission sich beharrlich weigerte, die mit der Nigerschifffahrtsacte in Verbindung stehenden Fragen zu behandeln, auf der anderen Seite fürchtet man aber, daß England die Zeit benutzen konnte, um nach geschehener Niederwerfung der Aschantis seinen Einfluß nach dem Innern zum Schaden der französischen Interessen weiter auszu dehnen. Bei einigen colonialen Organen brach sich nun allmählich die Ueberzeugung Bahn, daß es ein großer Fehler war, Deutschland nicht zur Theilnahme an der Com mission einzuladen. Die „Politigue coloniale", welche sich früher auch auf den Standpunkt der Zulassung Deutschlands stellte unter Hervorhebung des Umstandes, daß Frankreich mir Deutschland sich über coloniale Fragen immer leichter verständige, kommt darauf jetzt zurück und wünscht, daß mit möglichster Schnelligkeit die Commission um einen deutschen Dclcgirten verstärkt werde. Wenn später diese Commission über die'Abgrenzung ins Klare gekommen sei, so sei es an der Zeit, die Nigerschisffahrtsfrage wieder aufzunehmen, an der Deutschland und Frankreich dieselben Interessen hätten, wenn die beiden nicht vorziehen sollten, eine neue Conferenz der Theilnehmer an der Berliner Conferenz von 1884 zusammen zu berufen, um von Neuem zu prüfen, ob England dort wie anderwärts das Recht habe, seine Unterschrift zurückzunehmen. So viel geht aus riesen Bemerkungen hervor, Laß nut der Rückkehr von Hanotaux' in leitende Stellung sich, wie schon früher angenommen worden, eine Schwenkung in dem Sinne des früheren Einverständnisses über coloniale Fragen anzu bahnen scheint. Aus dem nunmehr über die Vorfälle in Nanking vor liegenden amtlichen Bericht geht hervor, daß unsere erste Vermuthung, etwas müsse vorgefallen sein, die richtige war. Wie gemeldet wurde, ist allerdings kein Lieutenant Krause getödtet, wohl aber der Unterofficier Krause verwundet worden und zwar bei einem neuerlichen Zusammenstoß, dem bald darauf ein weiterer folgte. Diese Ausschreitungen des chine sischen Pöbels sind doch reckt bedenklich und fordern rasche Sühne. Daß das Tsungli-Ianien dem deutschen Gesandten umgehende strenge Bestrafung der Schuldigen zugesichert hat, ist erfreulich, aber eS mnß, wie die „M. A. Ztg." mit Recht betont, dafür gesorgt werden, daß den Worten die That folgt, sonst sind sie ebenso Werth - und wirkungslos wie die in dem Bericht erwähnte Procla- mation deö General-Gouverneurs und die in Nanking getroffenen Schutzmaßregeln. Es ist bekannt, daß die chinesische Bevölkerung und die unteren Behörden das, was von den höheren Autoritäten zu Gunsten der Europäer geschieht, nickt sehr ernst zu nehmen pflegen, weil sie den wahren Sinn derartiger Proklamationen zwischen den Zeilen hcrauszulesen verstehen, und es mag deshalb wohl sein, daß der Commandant des Kreuzers 2. Classe „Princeß Wilhelm", Corvcttencapitain v. Holtzendorff, der angewiesen ist, die Schutzmaßrcgeln des Gencralgouverneurs im Nolhfall mili- tairisch zu unterstützen, Anlaß zum Eingreifen erhalten wirt. Zugleich mit der „Princeß Wilhelm" war das Kanonenboot „Iltis".CommandantCapitainlieutcnant Braun, denJang- tse-kiangbinaufgedanipfl und in unmittelbarerNähe von Nanking bei der Ortschaft Chiakwang zu Anker gegangen. Nach den Feeeilletsn. Judas. 2s Roman von Claus Zehre». Nachrruck verboten. Kurt war glücklich über diesen Erfolg, glaubte, daß er hiermit seinem Freunde einen Theil seines Dankes ab tragen könne. „Hättest Du nicht einmal Lust, auch in gesellige Be ziehungen zu Familien zu treten? Bei meinem Bekannten kreis würde eS mir leicht sein —" Aber Harald unterbrach ibn, lächelnd den Kops schüttelnd: „Laß nur, mein alter Junge; Deine Absicht ist gut. Daß ich am Umgang mit Männern Gefallen finde, habe ich selbst zugestanden, aber ein Mensch wie ich paßt nicht in eine Familie. Zu diesen Abenden gehe ich als geschlossenes Einzel wesen, nichts rührt dabei an mein inneres Herzensleben, an mein Thun und Lassen. Freiwillig kann ick zuweilen heraus treten, freiwillig kehre ich wieder zurück. Das wäre in jener Geselligkeit nicht möglich. Neugierige Fragen würden an mich herantreten, man würde nach meinem Wirken, nach meiner Stellung forschen, sogar versuchen, mich in andere Bahnen zu drängen als diejenigen sind, welche ich mir selbst vorgeschriebcn. Ferner kostet das Alles Zeit, und Du weißt, daß der Tag ost nicht Stunden genug für mich hat." „Das gerade ist es", siel Kurt eifrig ein, „Du arbeitest Dich zu Grunde für nichts und wieder nichts!" Harald schaute ihn lächelnd an. „DaS laß meine Sorge sein, außerdem ist es nicht wahr, und schließlich würde mich Niemand vernusicn. Vielleicht hier und da eine alle Waschfrau oder ein kranker ehemaliger Zuchthäusler, — sonst Niemand." Kurt zuckte ungeduldig mit den Schultern und schaute zerstreut in einige Läden hinein. „Nebenbei würdest Du wenig Ehre mit mir einlegcn. Sieh, ich bin eines einfachen Mannes Sohn. Als Student habe ich mich durckgehungert und nachher — nun, Du weißt ja. Laß mich, eS ist schon gut so." Kurt schwieg verstimmt. Dann fragte Harald nach einigen neu erschienenen Büchern. Das war auch ein neues Interesse des Doctors. Er, der sich Jahre lang um nichts in der Außen welt gekümmert, hatte sich plötzlich mit einem warmen, nicht voreingenommenen Eifer der modernen Literatur zugewandt. „Ich glaube mit einem Schauspiel von Ibsen in der Hand fühle ich mich Wohler als mit weißer Cravatte auf dem Parquet. Es weht ein höllisch scharfer Wind durch unsere Zeit. Doch nun, gute Nacht!" Als Herald sein Zimmer betritt, umfängt ihn wohltbuende Wärme, lieber den Tisch ist ein weißes sauberes Linnen gebreitet und das Abenbbrod aufgetragcn. An einem Ncbenlische hantiert Frau Christensen und wendet ihm bei seinem Eintritt ihr Gesicht freundlich lächelnd zu. „Guten Abend, Herr Doctor, der Thee wird gleich fertig sein." Er beantwortet ihren Gruß und sagt, indem er seinen Spazierstock fortstellt: „Hat Jemand nach mir gefragt?" „Ja, die Frau von der Langen Straße. Sie sagte, das; es ihrem Kinde besser ginge und der Herr Doctor brauche wohl heute keinen Weg wieder zu ihr zu machen." „So, das freut mich!" „Ja, die Frau weinte vor Rührung und Freude. Die Arme hat es doch schwer genug schon mit den anderen drei Schreihälsen und dem kranken Mann, der fast gar nichts verdient." „Na, Sie können morgen einmal dorthin gehen, Frau Christensen, und nachsehen, wo es fehlt. Ich bin gern bereit —" „DaS weiß der liebe Gott!" unterbricht ihn die Frau, „wenn es nach Ihnen ginge, Herr Doctor, so äßen Sie trockenes Brod und Jene Kalbsbraten. Es hat doch Alles seine Grenzen, und wenn ich nicht —" „Schon gut, schon gut, Frau Christensen, sonst nichts ?" „Nein, Herr Doctor!" Er beginnt langsam sein Abendbrod zu verzehren, während die Frau sich beim Aufräumen des Schreibtisches zu tbun macht. Sie war wirklich noch eine hübsche Person trotz ihrer 35 Jahre. Ihre üppige, große Figur umschloß ein einfaches, aber sauberes schwarzes Kleid. Sie verwandte Sorgfalt auf ihr Aeußeres. Das reiche, dunkelbraune Haar war schlickt aus der etwas niedrigen, weißen Stirn zurückgestrichen, unter welcher ein Paar kluge, dunkle Augen reckt lebensfroh in die Welt hinaus blickten. Die Frau hatte seit dem Tode ihres Kindes über nichts zu klagen gehabt, fast war es, als hätte ihr das Unglück damals nur Glück gebracht, wenigstens was das materielle Leben betraf. Der Doctor RaßmnS gab ihr Jahre lang so viel, daß sie ganz sorgenfrei davon leben konnte, und nachher, als er wieder nach Berlin kam, nahm er sie in sein Haus. Während er aß, wanderte ihr Blick oft zu seinem von einem dichten blonden Vollbart cingerahinten Antlitz hinüber, als wartete sie, daß seine Augen sich einmal erheben möchten. Doch ihr Wunsch wurde nicht erfüllt. Er schien ganz vertieft in eigene Gedanken, und kopfschüttelnd ging sie hinaus. Leach einer Viertelstunde — Harald hatte sich auf das Sopha gestreckt und blätterte in einem medicinischen Buche — erschien sie wieder ebenso geräuschlos, wie sie gegangen, um den Tisch abzuräumen. Hinter ihr drängte sich ihres Knaben Hermann hübsches Gesicht durch die Thürspalte. „Na, komm' nur herein!" rief Harald. „Hast Du auch ordentlich gelernt in der Schule?" Der Knabe kam ohne Scheu und Zaudern auf ihn zu und reichte ihm treuherzig die Hand. „Ach" — klagte die Mutter. „Hermann ist ein Wind beutel; beute hat er wieder uachsitzen müssen." „Was war es denn?" fragte Harald. Der Junge blickte verlegen zur Seite. „Ich habe gelogen, — aber nicht für mich. Der Fritz hatte Aepfel gemaust im Schulhof, und ich sollte sagen, ob das wirklich wahr wäre; ich sei mit ihm gewesen und müsse eS gesehen haben, und da — und da —" Harald blickt ihn ernst an, leicht mit der Hand über des Kindes krauses Haar streichend. „Man darf nicht lügen, auch nicht für einen Freund, wenn derselbe wirklich etwas Böses gethan hat. Es ist schlecht von Fritz, daß er sein Unrecht nicht selbst eingestand. Aber Du konntest ja vorbringen, daß Du nichts gegen Deinen Freund aussagen wolltest?" „Das habe ich auch gethan, aber nun wurde der Lehrer erst recht böse und ließ mich nachsitzen. Ich würde dann schon die Wahrbeit bekennen, — aber ich babe es doch nicht gethan." Der kleine Held schüttelte energisch die Locken aus seiner Stirn. „Und dann — Hermann?" „Dann hat es der Fritz selbst zugegeben." „Das war recht von ihm. Nun geh' zn Bett!" meinte der Doctor, dem Jungen die Hand gebend, worauf sich dieser entfernte. „Der Junge wird jetzt recht wild und ungezogen", klagte die Mutter. „Lassen Sie nur, die Jugend will auStoben. Besser als ein Durcyschnittsmustermensch. Ich denke, eS wird etwa- Tüchtiges auS dem Jungen. Merkwürdig, wie auf unseren Schulen die edlen Regungen unserer Jugend oft falsch be handelt oder unterdrückt werden", fügte er hinzu. Obnc diese letzte Bemerkung zu beachten, beginnt Her- mann's Mutter, vor Raßmus stehen bleibend: „Wie soll ich Ihnen das Alles danken, Herr Doctor?" „Unsinn, Redensarten!" wehrt er ab. „Sie wissen, daß ich Ihre Hilfe und Fürsorge für mein Haus bei meinem Beruf nicht entbehren kann und daß der Junge mir lieb ist!" Sie sieht ihn stumm an und Harald sie. Und zum ersten Male dachte er daran, daß diese Frau hübsch sei. Dann geht sie langsam hinaus. Unwillig warf er das Buch auf den Tisch. Weshalb brauchte er zu sehen, daß jenes Weib noch wohl gestaltet und hübsch war? Seit fünf Jahren lebte sie in seiner Woh nung in zwei Hinterstübchen, und er hatte nie etwas Anderes iu ihr gesehen als die Mutter' jenes todten Kindes. Ihr Wesen gefiel ihm. Sie war eine sanfte, aber resolute Frau und hielt ihm sein bescheidenes Hauswesen gut in Ordnung, half auch geschickt bei kleinen Operationen oder in der Krankenpflege. Durch viele Uebung hatte sie sich sogar einige niedicinische Kenntnisse erworben. Heute hatte er zum ersten Male daran gedacht, daß sie ein Weib sei, wie andere, und vielleicht hübscher als die meisten. War das der Einfluß des Verkehrs mit den Menschen, der leichtere Herzschlag, welchen er seit einiger Zeit in der Brust fühlte? Unruhig ging er in seinem Zimmer aus und ab. Er fühlte ein ihm selbst fast unerklärliches Sehnen nnd Drängen in der Brust. Er mußte stehen bleiben und einige Male tief Athen; holen. Als fürchtete er sich vor der Ein samkeit, griff er nach Hut und Stock und verließ mit den ihm eigenthümlichen raschen Bewegungen das Zimmer, um noch einen ziemlich unnölhigen Krankenbesuch zu machen. * * * Zur Zeit der Sprechstunden pflegte des Doctors RaßmuS Empfangszimmer von Leidenden angefüllt zu sein. Junge und alte Männer, der eine den Arn; in der Binde, der andere mit einer nothdürftig verpflasterlen (hesichtswunde, auch solche mit müden, blutleeren Gesichtern, die eine lange Geschichte erzählten mit ihren eingesunkenen Wangen und bläulichen Augenringen. Auch elende, in Lumpen gehüllte Weiber bockten auf den Stühlen. Natürlich drängte sich hier daS Elend zusammen, denn die besser gestellten Patienten ließen den Doctor zu sich kommen und sie entrichteten dasür die bescheidene Taxe, welche er aufstellte.
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