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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.06.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960615028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896061502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896061502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-06
- Tag1896-06-15
- Monat1896-06
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Trtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförüerung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Anzeiger. Amtsblatt -es L'ömgkichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes nnd Natizei-Amtes -er Ltadt Leipzig. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abrnd-Au-gabr: Vormittag« 10 Uhr. Marge a-Au«gabe: Nachmittag« 4UHQ Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Bolz in Leipzig 300. Montag den 15. Juni 1896. so. Jahrgang. politische Tagesschau. * Leipzig, 15. Juni. Die CentrumSfraction des Reichstages bat nun wirklich die angekünvigte Interpellation wegen Aufhebung des Zesuttengesetzes eingebracht. Sie lautet: Am 20. Februar 1895 beschloß der Reichstag mit großer Mehr heit den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Aufhebung deS Gesetzes über den Orden der Gesellschaft Jesu vom 4. Juli 1872 (R.-G.-Bl. S. 253). Am 7. December 1895 theilte der Stell vertreter des Reichskanzlers Herr StaotSsecretair und Staats minister von Boetticher dem neu zusammengetretenen Reichs tage amtlich mit, ein Beschluß des Bundesraths über den obigen Reichstagsbeschluß sei bisher nicht erfolgt (Drucks. Nr. 37, S. 3). Die Unterzeichneten (die Centrumssraction) richten an den Herrn Reichskanzler die Fragen: I) ist ein Beschluß des Bundesraths in dieser Angelegenheit auch heute noch nicht erfolgt? Und wenn nicht, 2) aus welchen Gründen hat der BundeSrath die Fassung einer Entschließung über den genannten Beschluß des Reichstags bis jetzt verzögert? 3) gedenkt der Herr Reichskanzler eine solche Entschließung nunmehr, nach Ablauf von 16 Monaten, und jedenfalls noch vor Beendigung des gegenwärtigen Abjchnittes der Neichstagsarbeiten her beizuführen? Das an den Reichskanzler gerichtete Verlangen, „noch vor Beendigung des gegenwärtigen Abschnittes der Reichstags arbeiten" eine Entscheidung des BundeSrathes über den Reichstagsbeschluß vom 20. Februar 1895 herbeizuführen, macht die Annahme hinfällig, Laß das Eentrum durch seine Interpellation sich lediglich seinen Wählern gegenüber den Rücken decken wolle. Gerade weil die gegenwärtige Session naH Erledigung des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht geschlossen werden soll, hätten die Wähler des Eentrums diesem schwerlich einen Borwurs daraus ge macht, wenn es seine Erkundigung nach dem Stande der Frage bis auf den Herbst verschoben hätte. Die Vermuthung liegt daher nahe, daß die Interpellanten von der Art der Beant wortung der Interpellation ihr weiteres Verhalten dem Bürgerlichen Gesetzbuche gegenüber abhängig machen wollen. Gerade dadurch aber wird es dem BundeSrath er leichtert, entweder eine Entscheidung »noch vor Beendigung des gegenwärtigen Abschnittes der Reichstagsarbeiten" mit der Begründung abzulchnen, der BundeSrath müsse selbst den Anschein vermeiden, als ob er die Jesuitenfrage mit der Frage über die Gestaltung des Bürgerlichen Gesetzbuches verquicke und in ein Handelsgeschäft sich einlasfe. Von unserm Standpunele aus würden wir es allerdings noch lieber sehen, wenn der Reichskanzler die Ablehnung deS Reichstagsbeschlusses vom 20. Februar 1895 in sichere Aussicht stellen könnte; das Schicksal des Bürgerlichen Gesetzbuches würde dadurch schwerlich gefährdet werden, denn ein schlimmeres Zeugniß der Unsachlichkeil könnte das Eentrum sich nicht ausstellen, als wenn es den berühmten Satze des Bundes der Landwirthe „Ohne Kanitz keine Kähne", in den Leitsatz „Ohne Jesuiten kein Bürgerliches Gesetzbuch" verwandelte. An eine solche schleunige Entschließung deS Bundesraths glauben wir aber aus verschiedenen Grünten nicht. Jedenfalls darf er um seines eigenen Ansehens und um des Bürgerlichen Gesetzbuches willen sich nicht zu einer Antwort zwingen lassen, die als Bereitwilligkeit zu einem Tauschgeschäft sich auslegen lassen könnte. Schlimmer könnte das große nationale Werk nicht diScreditirt werden, als wenn ihm nachgesagt werden dürfte, eS sei erkauft mit der Aufhebung des Jesuitengesetzes. Die „Kreuzztg." girbt zu, was Niemand bezweifelt hat, daß nämlich innerhalb der konservativen Partei Meinungsverschiedenheiten über das Bürger- licheGesetzbuch bestehen. Das Blatt schreibt zwar den Satz, es befürchte Len Eintritt einer für das Zustandekommen des Werke« ungünstigen Gesammtlage bis zum nächsten Winter nicht, hält es aber doch für angemessen, feine Parteifreunde zur Ergreifung des Augenblicks zu mahnen. Daß die Gunst deS letzteren auf dem „Ehrgeiz" — vielleicht ist eS auch ein reellerer Egoismus — des Centrums beruhe, ist eine unzweifelhaft richtige Bemerkung der „Kreuzzeitung". Ebenso zutreffend bezeichnet sie die Aufgabe der nationalen Parteien, indem sie schreibt: „Wenn und so lange dieser Ehrgeiz unserer inneren Entwicklung zu gute kommt, darf man ihn aus Gründen parteipolitischer Eifersucht nicht stören." Das Blatt weiß offenbar, waS auf dem Spiele steht. Wenn die Conservativen in dieser großen nationalen Frage nicht als Partei im positiven Sinne aufzutreten ver mögen, dann haben sie politisch Bankerutt angemeldet und stehen als eine Verbindung da, die nur m Geldsachen einig ist. Es fragt sich nun, wie groß und energisch der Theil der Fraction ist, der sich Herrn v. Ploetz nicht unterordnen will. WaS dieser Herr und seine Verbündeten JSkraut und Liebermann von Sonnenberg beabsichtigen, ist der „Kreuz-Ztg." nicht entgangen, und es ist werthvoll, daß sie aus ihrer Erkenntniß kein Hehl macht, sondern sagt: „Was in zwanzig Jahren zu Stande gebracht worden ist, kann eine allzu genaue grund sätzliche Prüfung nicht vertragen, weil eine solche bei dem gegenwärtigen Stande der öffentliches Meinung den un versöhnlichsten Gegensätzen Thür und Thor öffnen, einen förmlichen Kriegszustand schaffen würde, auf den sobald kein Frieden folgen könnte." Mit anderen Worten: die Opposition der Leiter des Bundes der Landwirthe und der Antisemiten gegen das Bürgerliche Ge setzbuch beruht auf denselben Beweggründen und Plänen, wie der Widerstand der Socialdemokraten. Es ist von besonderem Interesse, festzustellen, wie der peinliche Moskauer Vorfall im -Aus lande angesehen wird. Daß er in Frankreich nach allen Richtungen schadenfroh im Sinne der Revanche ausgebeutet werden würde, war vor- auSzusehen und wir tbeilten schon einige bezeichnende Parffer Preßstimmen mit. „Matin" und „Soleil" verhehlten sich freilich nicht, daß es Thorheit sei, aus diesem Zwischenfall auf eine Schwächung Deutschlands im Fall eines Krieges zu schließen. Anders der „Figaro", welcher schreibt: „Der Eindruck, den in Bayern der vom Thronerben gegen die preußischen Anmaßungen erhobene Protest hcrvorgerusen, hat sich in Süddeutschland mit bezeichnender Schnelligkeit sortgepslanzt . . . Namentlich in Württemberg, wo ziemlich lebhafte Zwistigkeiten zwischen dem König und der ReichSbrhörde wegen gewisser politischer und militairischer Prärogative vorkamen, hat man die Haltung des Prinzen Ludwig von Bayern offen gebilligt. Uebrigens hat sich die württembergische Bevölkerung zum Widerstand gegen die preußische Verschluckung bereits energisch organisirt. Katholiken und Protestanten reichen sich die Hand, wenn es sich darum handelt, die particularistischen Institutionen zu vertheidigen. Es ist daher begreiflich, daß die Stuttgarter Zeitungen den Berlinern deutlich sagen, was sie über die Dauer der preußischenHegemonie denken." Der „Figaro" fügt zum Schluß hinzu, „daß freilich die Einheit Deutschlands noch nicht gefährdet sei, doch werde man sich in den verschiedenen deutschen Staaten heute darüber klar, daß die von ihnen im Jahre 1870 gebrachten Opfer nur Preußen zu Gute gekommen wären. „Die Aera de« Bedauern« beginnt. Möglicherweise sehen wir noch die Aera der Reue anbrechen." So ergeht sich die französische Presse mit breitem Behagen über daS Anwachsen des ParticulariSmuS in Deutschland und auch in den Londoner Blättern tritt die Neigung hervor, die gleiche Saite anklingen zu lassen. So schreibt „Daily Cbronicle": „Da haben wir- ja, nach außen mag daS deutsche Reich einig und stark ausschauen, im Innern ist der SinigungSproceß noch recht unvollkommen gereist." Merkwürdiger Weise legen sich die großen Blätter an der Themse eine gewisse Mäßigung auf, aber sie tbun es offenbar nur, weil sie noch unter dem Eindruck des guten Empfangs der „Naval Architects" in Berlin stehen, den sie nur zu gern als das erste Symptom neu erwachter deutscher Sympathien für England begrüßen möchten, sowie im Hinblick auf den Beistand, den man schon in nächster Zeit in der egyptischen Frage von Deutschland erhofft. Andernfalls würde der süddeutsche Particularismus in den Spalten dieser Blätter eine ganz andere Rolle gespielt haben und er wird sie auch noch spielen, wenn die Gelegenheit dazu kommt. Das kann uns nun freilich kalt, sehr kalt lassen, um so betrübender aber ist eS, daß auch im verbündeten Italien der Moskauer Zwischenfall vorwiegend als eine bedenkliche Steigerung des Particularismus in Deutschland aufgefaßt wird. Wenn die Mehrzahl der römischen Blätter der vermeintlichen Sucht der Preußen nach der Vorherrschaft in Deutschland geringe Sympathie entgegenbringt, so urtheilen sie doch, daß Prinz Ludwig seiner eigenen und deutschen Sache einen schlechten Dienst geleistet und jedenfalls das wahre Verhältniß der bayerischen HeereSmacht zum Reichsfeld herrn verkannt habe. Der Mailänder „Corriere della Sera" sagt: Nach der Reichsverfassung kann von einem Bündniß Bayerns mit dem Reichsoberhaupt keine Rede sein, das gejammte Reichsheer muß marschiren, wenn der Kaiser befiehlt, und er erklärt den Krieg ohne auch nur den Bundesrath zu fragen, sobald die Reichseinheit bedroht ist. Wenn in Bayern und Württemberg Prinzen, Minister und Zeitungen gegen das Reich oder Preußen auftreteu, so ist diese Erscheinung ausnehmend schwerwiegenden Charakters und sie kann nicht ohne lauten Widerhall im Reichstage bleiben. Der „Corriere" nimmt an, daß auch der Kaiser unumwunden seine Meinung sagen werde. Diese wenigen Stimmen mögen genügen, um darzuthun, daß der schlimme Erfolg der Worte des Prinzen Ludwig in gar keinem Verhältniß zu dem Vorkommniß steht, das den äußeren Anlaß zu seiner Rede gegeben hat. Ueber da« Benehmen der englischen Matrosen in Rom werden dem „Berl. Tagebl." nach Berichten römischer Zeitungen Dinge gemeldet, die, wenn sie auf Wahrheit be ruhen, den Ruf internationaler Rüpelei, welcher einer gewissen Sorte von Engländern gemeinhin gemacht wird, nur bestätigen würde. Dem genannten Blatte wird geschrieben: „Die Blätter erzählen mit offener Entrüstung, wie die Eng länder betrunken durch die Straßen taumeln, die Bevölkerung insultiren und die Polizei prügeln. Laut einer Meldung des „Messagero", kam es gestern im Vati- canischen Viertel zu einem wüsten Auftritt. Die englischen Matrosen packten die ihnen begegnenden Frauen, schlugen und boxten sie. Leute auS dem Volke, die zu Gunsten der Frauen einschreiten wollten, erhielten Prügel, ebenso die Polizei. Endlich gelang es, die Rädels- führer zu fesseln und aus die Polizei zu schaffen, von wo aus sie nach der englischen Botschaft gebracht wurden. Andere englische See- leute drangen brüllend ins Spital Santo Spirito ein, wo sie aller- Hand Unfug verübten, und andere bearbeiteten im Corso die har ml ojen Paffanten mit Fußtritten und Rippenstößen. Alle Blätter constatiren diese Thaten. Der „Don Chisciotte" äußert seine Entrüstung wie der „Messagero". Da, so meint der „Don Chisciotte", die englischen Matrosen der italienischen Polizei ntcdr nur nicht gehorchen, sondern sie insultiren, wäre es angebracht, daß die englischen Behörden ein bewaffnetes englisches Piket nach Rom schicken, das überall, wo es noth thut, die Ruhe Herstellen solle. Aus diese Weise werde man verhindern, daß das römische Volk die Geduld gegenüber diesen ungezogenen Gesellen verliere." Diese Meldung klingt so erstaunlich, ja so unglaublich, daß man geneigt ist, Ucbertrcibung anzunehmen, obwohl es sich um Söhne Albions handelt. Wir warten daher die Be stätigung der Einzelheiten ab, ehe wir weitere Erörterungen daran knüpfen. Ueber die letzten Ziele deS englischen Nilfeld zuges hat Lord Salisbury sich in der vorgestrigen Sitzung des Oberhauses mit dankenswerther Offenheit ver nehmen lassen. Es handelt sich bei der Expedition des Generals Kitchener gegen Dongola um die Rück eroberung des gesammten Sudan gebictes. Die Sicherheit Egyptens hängt davon ab, daß, wie Lord Salisbury sich auSdrückl: „die egyptische Flagge über Chartum weht." Wenn man statt „egyptisck", „englisch" liest, um auch den letzten Schatten eines möglichen Mißverständnisses zu beseitigen, so liegt damit das Programm der englischen Politik in aller nur wünschens- werlhen Bündigkeit vor. Es ist zugleich auch die Antwort auf das russisch-französische Gegenspiel, das seinen jüngsten Schachzug in Gestalt der Nrtheilsfällung des ge mischten Gerichtshofes betreffs Inanspruchnahme der egyp tischen Staatsfonds für die Zwecke des Vormarsches auf Dongola that. Der Waffenerfolg Kitchener's über die Der wische mag ebenfalls dazu beigetragen haben, den leitenden britischen Staatsmann zur Führung einer beberzten Sprache zu ermuthigen, ebenso die Erkenntniß, daß England für die Zwecke seiner Sudanpolitik von Italien doch schwerlich mehr etwas zu erwarten hat. Vorläufig bildet ja Dongola den Endpunct der militairischen Operationen. Aber man konnte sich gleich von vornherein nicht »erbebten, daß die Expedition dort nicht würde auf die Dauer Gewehr bei Fuß sieben bleiben. Ein dort angelangtes Heer ist entweder zu weit oder nicht weit genug vorgerückt. Cbartum muß immer das naturgemäße Object einer jeden Bewegung bleiben, die sich von derOperations basis der Südgrenze Egyptens nilaufwärts erstreckt. Es wird nun von Interesse sein abznwarten, welche Aufnahme die Erklärungen Lord Salisbury's in den Kreisen der hohen Politik finden. An der Seine, wo schon seit Jahr nnd Tag unter der Hand an der Aufrollung der egyptischen Frage gearbeitet wird, ist ^war durch Wiederberufiing des befähigten Staatsmannes Hanotaux an die Spitze des auswärtigen Ressorts der Febler, den Herr Bourgeois beging, als er dieses Ministerium mit einem Manne besetzte, der zwar ein verdienstvoller Chemiker, aber ein herzlich unbefäbigter Politiker war, wieder wettgemacht, aber es fragt sich doch sehr, ob es Herrn Hanotaux gelingen wird, die von seinem radikalen Amtsvorgänger in ziemlich compromittirter Verfassung hinterlassene egyptische Position Frankreichs soweit herzustellen, daß sie der von England geschaffenen Lage ge wachsen bleibt. Wie erinnerlich sein wird, verlautete vor Kurzem, daß Menelik Neigung zeige, den Derwischen zu Hilfe zu kommen. Menelik ist ein intimer Freund Frankreichs, und dieser Umstand eröffnet daher einen vielleicht instructiven Fingerzeig für die ZukunftSpläne, mit denen sich die franzö sische Politik betreffs Egyptens und des Sudans trägt. Feuilleton. Judas. 5j Roman von Claus Zehren. NaLdruck »erboten. „Das ist liebenswürdig." „Ja, sehr liebenswürdig, und doch wie wunderbar, daß diese beiden Männer Freunde sind." „Finvest Du, Eva ?" Ein Monat ist vergangen. Ueber die Dächer quält sich der Dunst schmelzenden Schneewassers in die Luft hinauf, und in den Telephondräbtrn klingt und singt der Frühlingswind auf und nieder. Doch das hören nur Die, welche nahe am Himmel wohnen. Die Schooßhündchen müssen täglich gewaschen werden und die Katzen sind am Tage noch fauler als gewöhnlich, weil sie des Nachts Musik machen. Beim Präsidenten von Karchhusen findet hente die damal aufgeschobene große Festlichkeit statt. Die prächtigen, mit vornehmer Gediegenheit eingerichteten Räume strahlen im hellsten Lichterglanz. Noch ist keiner der Gäste angelangt. Die Dienerschaft steht umher und in den Zimmern herrscht noch die charakteristische, nicht zu warme, von rinem zarten Parfüm erfrischte Luft, die im Anfang, vereint mit der Lichtfülle, auf die Eintretenden feierlich wirkt, nach einer Stund» wirkungslos wird und später Stoff für stecken- gcbliebine Unterhaltungen bieten soll. Eva, welche noch einmal musternd alle Räume durchschritten bat, bleibt vor einem hohen Spiegelglas stehen und betrachtet darin ibr eigene« strahlende« Bild. Sie hatte stet« ihrem Aeußrrn Sorgfalt zugewendet, aber weniger darauf, ob ihr dieser oder jener Stoff, eine Blume oder Brillantschmuck vortheilhaster wären, sondern nur in dem Bewußtsein der Pflicht gegen Andere, besonder« gegen ihre« Vater. Und heute? — Mehrer« dienstbeflissen« Geistrr Warrn fast rathlo« um dir Tochter de« Hause« berumgeschwirrt. Immer wieder gab e« zu ändern, saß eine Falt» zu tief oder zu hoch. Schließlich schob sie energisch allen Blumenschmuck zur Seite und legte nur «ine einfache, schöne Perlenkette um den aut geformten Hals. Ob Raßmu« wohl kommen würde? Der Vater war gern bereit gewesen, ihn einzuladen. Zwar etwas ungemütb- lich war ihm der Verfasser jener Broschüre, aber er war ihm doch zum Dank verpflichtet und dann sprach man jetzt viel von ihm. Sogar hochgestellte Personen wollten ibn consultiren. — Kurz und gut, der Mann war etwas in Mode gekommen. E« war ia ganz schmeichelhaft, der Ge sellschaft dieses neu aufgetauchte Genie auch im Salon vor- zuführen. Harald lehnte ziemlich kurz ab. Der Herr Präsident hatte nur ein Achselzucken für dies« Ablehnung, welche ganz einfach aussprach, daß der Geladene e« nicht liebte, in große Gesellschaften zu gehen. Darnach traf ihn Eva aus der Straße und redete ihn an: „Wir würden un« sehr freuen, wenn Sie kämen." „Da« „Sehr" ist zu viel, Fräulein von Karchhusen, denn sehr bedauern würden Sie e« auch nicht." Sie schwieg, zu stolz, dem Manne ein Compliment zu machen. Dann nach einer Weile: „Und wenn meine Mutter Sie bittet und Sie ihr damit eine Freude bereiten, wenn dieselbe auch noch nicht selbst zugegen sein kann?" Da hatte er sie lang« angeblickt. „Nun gut, hoffentlich hört Ihre Frau Mutter nicht« von dem Gesellschaftslärm in ihrem Zimmer." „Nein." Da« klang sehr kurz. Und da« Kopfnicken, mit welchem sie sich verabschiedete, War noch kürzer unv heute stand sie vor dem Spiegel und dachte doch an Harald RaßmuS. Und er? — Lästig war ihm diese« Genanntwerden wie das Consultirtwerden von Menschen, mit denen er gar nicht« anzufangen wußte. Hatte er ein Recht, sie zurückzuweisen? Konnte ,r nicht die reichlichen Honorare, welche dies« ärztlichen Be mühungen einprachten, zum Nutzrn seiner Armen anwenden? Nun kam dazu, daß er in ein Aerztecollegium gewählt wordcn war, die Pflege und Unterbringung verarmter Kranken be treffend. Durfte er sich dem rntlieyen? Er wehrte sich gegen alle« da-, aber es war sehr schwer, dagegen zu kämpfen. Fast sah er auf die verflossenen Jahre wie auf eine glückliche, ruhige Zeit zurück- Und nun diese große Gesellschaft! E« war abscheulich, sollte er jetzt noch absagen? Während er noch grübelte, hatte er fast seinen Anzug beendet, aber di« weiße Cravatte wollte und wollte nicht sitzen. Nun sprang auch noch der Knopf vom Kragen und dieser dehnte sich wie eine hohnlachende Grimasse rechts und links auS. Harald stampft mit dem Fuße auf, beginnt dann aber zu lachen, weil er an die Tücke des Objectes denken muß. Kurz vorher hatte er „Auch Einer" von Bischer gelesen. „Ist meine Eva so eitel geworden?" klingt plötzlich deS Vater« Stimme an ihr Ohr. Verwirrt, erschreckt wendet sie den Kopf. „Ach, keine Blume, keinen Schmuck!" Prüfend gleitet sein Blick über ihre Gestalt. „Ja doch, Du hast Recht. WaS Wenige wagen dürfen, ist gerade für Dich qut." Helle, auf richtige Bewunderung ihrer Schönheit liest sie au« deS Vaters Augen, wie schon so oft vorder; doch macht eS sie gerade beute glücklich. Sie athmet tief auf, de« Sieghaften in ihrer Erscheinung sich bewußt fühlend. „UebrigenS", fährt der Präsident fort, „erhalte ich soeben «ine sehr erfreuliche Nachricht. Denke Dir, Mutters Bruder, Onkel Carl, schreibt mir diese Karte, um mir seine Ankunft zu melden." „Ah, — wie lange er nicht bei unS war, seit vier Jahren nicht! Ganz richtig, ich war damals noch ein Backfisch, und er zog mich an den langen Zöpfen und lachte dazu: Männer netze, Männernetze! Weiß Mutter eS schon?" So sprechend, nimmt sie dem Vater die Karte aus dep Hand. „Ja, ich war bri ihr" „Lieber Schwager! — Soeben aus Kairo zurück, erfahre ich, daß bei Euch Fest stattfindet. Werde kommen. Karl von Bostel." Eva lacht herzlich über den Depeschenstil, während an der Hau«tbür der erste Wagen vprfährt. „Ah! wir müssen uns wohl in den Salon begeben! Sje schreitet d«m Vater voran, die Pflicht ruft, und Eva weiß^shre Pflichten zu erfüllen- Wie sie leicht das Haupt neigt, die sporenklirrende Ver beugung eines Lieutenant« erwidernd, und wie sie freundlich lächelt, als ihre entfernte Cousine, die verwittwete Frau Mvhlen, jbx die kleine Hand entgegenstreckt, um gleich darauf in eine tief c«remoniklle Verbeugung zu versinken beim Ein tritt Ihrer Excellenz der Frau Hpfmarschallin a. D. Und doch, ihre klaren blauen Augen sind nicht so ruhig, stetig wie ihr ganzes Benehmen. Mit suchendem Ausdruck fliegen dieselbe» oft über die Köpfe der ckon ziemlich zahl reich Versammelten binweg. Da, da ist er, mit Kurt zusammen. Ein seltsamer Con- trast. Der eine mittelgroß, in der sorgfältigsten Gesellschafts toilette, den klugen, energischen Kopf mit den unruhigen dunklen Angen hier und dorthin neigend, mit liebenswürdigem Läckeln, einem Lächeln, als seien die scharf geschnittenen Lippen allezeit bereit zu einem klugen Wort, zu einem feinen Spott. Und der Andere? Ihn überragend, ei» Kopf, über breiten Schultern, mit welligem, rotbblondem Haar und Bart, mit einem Ausdruck um den festgeschlossenen Mund, der selt sam contrastirt mit der ibn umdrängenven, schwatzenden, lachenden, tändelnden Menge. Jetzt redet ihn der berühmte Professor Laland an. Kaum neigt Raßmu« den Oberkörper und doch liegt etwas liebens würdig Bescheidenes in seiner Haltung. Sein Anzug ist nicht so ganz modern, auch bemerkt Eva, wie die Schleife seiner Cravatte sich verschoben hat. Dann zupft der Assessor ihn am Arm und die beiden Männer wenden sich der Stelle zu, wo sie neben dem Vater steht mit klopfen dem Herzen. Zu lächerlich! Ihr fehlt augenblicklich die Schablone, nach welcher sie ibn begrüßen müßte. Den Assessor zuerst mit einem Händedruck. Hinter ihm verbeugt sich etwas un geschickt RaßmuS. Sie zaudert. Weshalb nur? Bewegt er nicht die Hand ihr entgegen, al« erwarte «r diese einfache Begrüßung, die sie so oft getauscht haben am Krankenbette ihrer Mutter ? Doch nun ist es zu spät, da RaßmuS rasch zurücklritt, ihr so die Gelegenheit nehmend, ein Wort an ibn zu richten. Aeraerlich über sich selbst, übersiebt sie sogar die Verbeugung eines Referendars. „Dort ist der Onkel!" sagt ihr Vater laut. Rasch eilt sic dem alten Herrn entgegen, reicht ibm beide Hände, sie ihm schon von Weitem entgegen streckend. „Na nun, wer sind wir denn? — Alle Wetter, bist Du die Evq?" fragt dieser erstaunt und mustert mit den scharfen Augen unter buschigen Brauen hervor seine Nichte. „Ja, das ist sie, lieber Schwager. Hast Du meine Frau schon begrüßt?" „Komme gerade von ihr. Also wirklich, das ist die Eva? Oder nein, das ist sie nicht. Wo ist der Wildfang mit den blonden Zöpfen? Futsch! Ah so, Frisur ä Ia Oiaus, ganz neueste Bazarnunimer. Na, freut mich, Euch wohl zu sehen." Während er Vater und Tochter die Hände schüttelt, fährt er lebhaft fort: „Wer ist denn der da?" zu RaßmuS binüber- nickend. „Den habt Ihr wohl auS einem Hünengrab» heraus-
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