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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.06.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960620010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896062001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896062001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-06
- Tag1896-06-20
- Monat1896-06
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H) Die Nachricht, daß e- in Petersburg zu einem umfassenden Streik der Arbeiter gekommen, hat ganz gewaltiges Aufsehen gemacht; in socialistischen Kreisen war eS freilich schon längst bekannt, daß auch in der russischen Hauptstadt der Socia- liSmuS seinen Einzug gehalten habe, wenngleich auS nahe liegenden Gründen wenig darüber in die Oeffentlichkeit ge langte. Die Maifeier, welche in Rußland im vorigen Jahre wenig beachtet wurde, ist diesmal von breiten Schichten der russischen Arbeiterbevölkerung in den großen Städten festlich begangen worden. Eine russische Maifestzeitung, 12 Quartseiten groß, ist in vielen Tausenden von Exemplaren verbreitet worden. Mitarbeiter an dieser russischen Maifestzeitung waren deutscherseits W. Liebknecht, KautSky, auch Eleonore Marx-Aveling batte einen Beitrag geliefert; die Mehrzahl derselben stammte freilich von russischen sozialistischen Führern; die Träger und Worthelden der jetzigen russischen Arbeiter bewegung sind Socialisten; die Nihilisten haben, obgleich sie sich unter allen denkbaren Umständen in die Fabriken eingeschmuggelt haben, bei der Arbeiterbevölkerung keinen Boden finden können; der Ni-iliSmuS ist vom SocialiSmuS abgelöst worden. D,e Demonstranten für die Maifeier waren zum Theil jüdische Arbeiter, bereu Organisationen die weitaus besten sein sollen; im Großen und Ganzen dürften die russischen Arbeiter-Organi sationen nach dem Muster unserer gewerkschaftlichen aufgebaut sein. Bei der diesmaligen Maifeier sind sehr häufig rothe Fahnen entfaltet worden, die auf der einen Seite die Inschrift trugen: „Proletarier aller Länder vereinigt Euch", während auf der anderen Seite die charakteristischen Worte zu lesen waren: .Wir kämpfen für die Freiheit der Versammlungen, der Streiks, der Rede und der Presse". Die in London erscheinenden russischen Flugblätter haben wiederholentlich von Verhaftungen von Arbeitern berichtet, welche für die Verkürzung der Arbeitszeit und Lohn erhöhungen eingetreten sind, in Odessa sind an einem Tage IS Bäckergesellen und 11 Tabakarbeiter verhütet worden; e» scheint, daß auch in Rußland die Bäcker und Tabakarbeiter die ausgedehnteste Arbeitszeit haben: Streik- haben sich mehrfach schon ereignet und eS ist bemerkenSwerth, daß solche auch in kleineren Städten vorgekommen sind. So legten in Smorgon (Gouvernement Wilna) die Strumpf wirkerinnen di« Arbeit nieder, weil sie angeblich für ihre Arbeit nur 80 Kopeken bi- 1 Rubel pro Woche erhielten. Ob sie bei ihrem Streik Vorthrile erzielt, ist nicht bekannt geworden, aber die Thatsache spricht doch ganze Bände, daß eS in Rußland auch schon zu emem Streik der Arbeiterinnen kommen konnte. Den Hauptheerd der Streikbewegung hat seit längerer Zeit Lodz gebildet. Hier ist die Arbeiterbevölkerung mit verschiedensten Elementen (Polen und Deutschen) durch setzt, die Petersburger Arbeiterbevölkerung aber kann al- eine rein russische gelten, auf die fremdländische Socialisten kaum eingewirkt haben können; um so über raschender aber sind die Petersburger Meldungen von dem umfassenden Streik in der russischen Hauptstadt; eS kann also keinem Zweifel unterliegen, daß der SocialiSmuS daselbst bereit- tiefere Wurzeln gefaßt bat. Für die Unterdrückung der Bewegung mit Waffengewalt für den Fall, daß sie größere Dimensionen annrhmen und zugleich AuSschreitunaen der Streikenden zeitigen sollte, ist ;a durch ein sehr starke- Truppenaufgebot Vorsorge getroffen und mit Recht. Auch dürfte der Ausgang der Streik bewegung wieder ein unglücklicher sein und in diesem Falle werden nach den früheren Erfahrungen die Rädelsführer ein- gesperrt, die „nicht zuständigen" sofort in ihre Heimath, d. h. zumeist in» Elend abZeschoben, und ein solches Verfahren ist im Interesse des Staates selber zu bedauern. Die Ar beiterverhältnisse in Rußland sind tatsächlich zum Theil sehr klägliche und eS hätte, wenn man nicht wollte, daß der SocialiSmuS sich der Arbeiterschaft bemächtigt, schon längst etwa» geschehen müssen. Man kann nur wünschen, daß es ehebaldrgst geschieht, denn sonst kann die Bewegung zu einer eminenten Gefahr für Rußland anwachsen. In den letzten 10 Jahren hat sich die russische Industrie mächtig ausgedehnt; die Fabriken schießen in Rußland nur so auS der Erde, namentlich seit der Zeit, wo man den be dächtigeren und vorsichteren Ausländer von industriellen Unternehmungen fernzuhalten sucht und diese zum weitaus größten Theil in den Händen der Russen liegen. Durch diese rasche industrielle Entwickelung ist die Arbeiterfrage plötzlich dringend geworden. Die Zustände in den russi schen Fabriken sind vielfach grauenvoll. Die russische Presse selbst bringt Berichte namentlich über die gesundheit lichen Verhältnisse der Fabrikarbeiter, die jeder Vorstellung spotten. Im Uebrigen wird über zu lange Arbeitszeit und, wie schon angedeutet, zu geringen Lohn geklagt. Der Lohn soll für zwolfstündige Arbeit oft nicht mehr al- 30—40 Kopeken (80 Pfennige) betragen. Man kann sich denken, welche Unzufriedenheit unter diesen Arbeitern herrschen muß, die, wenn sie in die Fabrik treten, eigentlich schon einmal eine Existenz aufgeben mußten. Sie sind in der Mehrzahl Bauern, die ihr heimathliches Dorf verlassen haben, weil eS ihnen keinen Lebensunterhalt mehr bieten konnte. Ursprünglich haben sie alle die Absicht gehabt, mit Ersparnissen wieder heimzukehren. Da» verwirklicht sich höchstens bei denen, die in kaiserlichen Fabriken arbeiten, wo sie noch leidlichen Lohn erhalten. Die Andern haben kaum da- liebe Leben. Die Regierung ist gegen diese Lohnheruntertreibereien ganz macht los und leider nur zu sehr geneigt, darin ven einzigen Fehler zu sehen. Vielfach können die Fabrikanten auS dem Grunde nur einen mangelhaften Lohn an den Arbeiter zahlen, weil die Betriebskosten zu viel verschlungen haben. Die Fabrik ist, besonders in den großen Städten, ost viel zu großartig, mit zu vedeutendem Anlagecapital gebaut, die große Schaar der Beamten ist zu hoch besoldet, gestohlen wird — nament- I lich in den Actien-Gesellschaften — auch noch an allen Ecken und Enden, und so bleibt für den Arbeiter natürlich nichts übrig. . Man sieht, hier ist ein weites Feld, da» von Grund aus bearbeitet werden muß. Möchte der junge Zar, der sich ein Freund der Elenden genannt hat, seinen höchsten Ehrgeiz darin finden, hier zum Reformator zu werden. Er kann dir Arbeiterschaft Rußlands noch dem Garn der internationalen Socialdemokratie entreißen, aber, wenn nicht Alles trügt, thut Eile noth. Deutsches Reich. U Berlin. 19. Juni. Deutschland ist bekanntlich auS genugsam erörterten Gründen nicht geneigt, der Union zum Schutze deS gewerblichen CigenthumS beizu treten. Die Entwickelung der deutschen Patentgesetzebung namentlich würde dabei Deutschland den anderen Mitgliedern der Union gegenüber in Nachtheil setzen. Deutschland hat eS deshalb vorgezogen, Abkommen wegen deS Patent-, Marken- und Musterschutzes mit den einzelnen Staaten abzuschließen, wie solche bereits mit Oesterreich, Italien, der Schweiz rc. bestehen, und wie eS noch neuerdings mit Japan geplant wird. Auf diesem Wege haben sich die Vortheile, welche internationale Abmachungen über den Schutz des gewerblichen CigenthumS bieten, voll erzielen lassen, ohne daß die Nachtheile mit in den Kauf genommen zu werden brauchen, die ein Anschluß an die Union ganz gewiß im Gefolge haben würde. Neuerdings ist nun trotzbem wieder der Wunsch nach diesem Anschluß aufgetaucht und zwar deshalb, weil in der Schweiz, welche zwar ein Patentgesetz, aber nicht einen Patentschutz für Ver fahren hat, in Deutschland erfundene chemische Verfahren in einer jeden kommerziellen Anstand verleugnenden Weise ansgebeutet werden und in Holland, daS überhaupt kein Patentgesetz besitzt, ähnliche Erscheinungen sich bemerkbar machen. Ueber Vie Manipulationen einzelner schweizerischer Firmen hat mo« auch früher schon zu klagen Veranlassung gehabt. Wenn jedoch angenommen wrrd, daß die Mißstände sich durch einen Anschluß an die Union beseitigen ließen, so ist da- ein Irrthum. Ebenso wie die deutschen werden die französischen, englischen und belgischen Verfahren in der Schweiz auSgebeutet. Frankreich, England und Belgien aber gehören zur Union. Auch sie können innerhalb der letzteren eine der illoyalen schweizerischen Eoncurrenz ent gegentretende Abmachung nicht durchsetzen. Deutschland würde also auch in dieser Beziehung durch den Beitritt zur Union nicht- gewonnen haben. Hier kann nur der stetig erneute Hinweis auf die Gefährlichkeit deS Treibens in der Schweiz schließlich Abhilfe schaffen; denn die schweizerische Regierung, die für sonstige internationale Abmachungen zum Schutze geistigen CigenthumS gern die Führung nimmt, wird schließlich doch nicht umhin können, den beregten Mißständen durch Aenderung ihrer Patentgesetzgebung ein Ende zu machen. * Berlin, 19. Juni. Der conservative Reichstagsabge ordnete Graf Mirbach hat in der gestrigen Sitzung deS Reichstags bekanntlich mitgetheilt, daß er seinem freisinnigen Collegen vr. Barth, von dem er sich gekränkt fühlte, durch den Abg. v. Kardorff eine Forderung habe zugehen lassen, die aber nicht angenommen worden sei. Begreiflicherweise ist dieser Vorfall Wasser auf die Mühle der Socialdemo- kratie. Der „Vorwärts" wird sich'S nicht nehmen lassen, den Fall einaehend zu behandeln; heute begnügt er sich mit der kurzen Bemerkung: „Daß Graf Mirbach, dieser Liebermann von Sonnenberg in Glacö, Herrn vr. Barth wieder einmal vorversammeltem Hause forderte, mag nur zur Illustration dafür dienen, wie die Rechte den Ton des Hauses herunter bringt." Von den übrigen Blättern geht bis jetzt nur das „Berl. Tagebl." auf den Vorfall ein; leider läßt sich ihm die Berechtigung zu der scharfen Sprache nicht absprechen, in der eS die neueste Heldenthat deS Grafen Mirbach bespricht. Es schreibt nämlich: „Hatte sich vorgestern der Abgeordnete Liebermann v. Sonnenberg arg gegen die parlamentarische Sitte ver gangen, so ließ sich Graf Mirbach gestern einen groben Ver stoß gegen die Gebote parlamentarischen Anstandes zu Schulden kommen, indem er eine witzig sein sollende Be merkung über die körperliche Gestalt deS früheren Abgeord neten Ludwig Bamberger machte. Graf Mirbach ist und bleibt daS Prototyp deS preußischen Junkers, der stolz auf den Adel pocht, den nicht er, sondern einer seiner Vorfahren verdient hat. Obwohl er also in ganz unzulässiger Weise über den abwesenden Herrn Bamberger gespöttelt hatte, that er doch sehr empört, als der Abgeordnete vr. Barth dies Vorgehen gegen seinen Frennd mit einem entschieden noch zu milden Ausdruck, als „nicht gentlemanlike", bezeichnete. Wenn man aber glaubt, daß der edle Graf nun auch an dem anwesenden Gegner, der ihm freilich hätte antworten können, die Schärfe seines Witzes geübt hätte, befindet man sich in schwerem Irrthum. Nein, er schickte Herrn Barth während der Sitzung durch den Ab geordneten von Kardorff eine Herausforderung zum Zwei kam p f und rühmte sich dieser gesetzwidrigen Heldenthat noch hinterher. Wenn Gras Mirbach früher auch noch glauben mochte, man könne den Beweis, daß man ein Gentleman sei, auf diesem Wege führen, so kann er dieser Meinung doch in Wahrheit nicht mehr nach dem Falle seines Freundes Hammerstein sein, der bekanntlich noch kurze Zeit, bevor er ins Zuchthaus spazieren mußte, auch gern mit dem Gedanken eines Duells spielte. Denn um mebr als eine Spielerei handelte es sich auch bei dem Grafen Mirbach gestern nicht, als er im Widerspruch mit dem erst vor wenigen Wochen vom Reichstage einschließlich den Con- servativen einstimmig gefaßten, den Zweikampf verurtheilenden Beschlüsse handelte. Er mußte wissen, daß vr. Barth die Herausforderung nicht annehmen würde, denn er mußte wissen, daß vr. Barth nicht heuchelte, wenn er seine Entrüstung über das Duellunwesen äussprach. Es ist wirk lich ein starkes Stück, sich in offener Reichstagssitzung zu rühmen, daß man soeben einen College» zu einer Gesetzes verletzung zu verleiten versucht habe, ein starkes Stück, aber kein muthigeS. Graf Mirbach hat einfach eine Farce auf geführt, die der von ihm vertretenen Sache natürlich nickts nützen konnte." Berlin, 19. Juni. (Telegramm.) Der „Norvd. Allgem. Ztg." zufolge hatte der Vicekönig Li-Hnng-Tschang heute mit dem StaatSsecretair von Marschall eine 2^/rstündige Besprechung. L. Berlin, 19. Juni. (Privattelegramm.) Die „Post" schreibt: Ein hiesiges Blatt wußte gestern zu melden, daß Oberst Lieber, der Comnrandeur deS Grenadier-Regiments Prinz Karl von Preußen (2. Brandenburgisches) Nr. 12, zum Commandeur von etwa 100 Officieren der ver schiedenen Waffengattungen der deutschen Armee zur Umgestaltung der chinesischen Armee bestimmt worden sei. Wir können demgegenüber versichern, daß Ver handlungen darüber weder abgeschlossen sind, Vie Gattin. Ei« Lebensbild von Jule» Simon s. *) Deutsch von Wilhelm Thal. Nachdruck »erröten. Der Mann schürt die Gluth, die den schwarzen Herd röthet. Er faßt da- Eisen mit der Kneifzange und hält eS über da» Feuer, bi» eS weißglühend ist. Dann legt er eS auf de« Ambo» und dreht e» mit der linken Hand bin und her, während er mit der Rechten mit dem schweren Hammer daraus klopft; da- Eisen wird langer und dünner, e» streckt sich gleichsam au», während e» einen wahren Funkenregen umhersprüht. DaS Eisen ist weiß, dann rosa, darauf dunkel- roth aeworden, und gleichzeitig ist e» glühend wie Feuer. Der Mann taucht r» in da» Wasser, da» prasselnd aufzischt; dann faßt er mit seiner Zange die andere Eisenstanae und beginnt dieselbe Arbeit von Neuem. Von 7 Uhr Morgen» hi» zum Anbruch der Nacht hallt die Werkstatt von dem Geräusch de» auf den Ambo» fallenden Hammer» wider. Der Mann ist mit Schweiß bedeckt, zischend stößt er den Athem au» der Brust, doch der Hammer hört nicht auf niederzufallen, al- wäre er nur ein Spielzeug in dem starken Arm de» Manne». Endlich schlägt die Feierstunde von der benachbarten Uhr; mit einigen Schlägen beendet er die be gonnene Arbeit, wirft den Hammer zu den übrigen Werk zeugen, hängt die Lederschürze an die Wand und trocknet mit dem Taschentuch sein männliches Gesicht. In langen Zügen athmet er die Luft ein, während er die Straße betritt. Die dicke Atmosphäre der Stadt ist ihm fast eine Erquickung. Er bemerkt den Himmel, der sich zwischen den engen Dächern wie «in dunkelblaues, mit goldenen Sternen besaete» Band dahinzieht, und er empfindet zwei große Bedürfnisse: Essen und Schlafen. Morgen beim Sonnenaufgang muß er wieder in di« Schmied« zurückkehren. Er ist der Erste in der Werk statt und auch der Erste draußen Sonntags, wenn er mit seinen Freunden spazieren geht oder stolz seine Frau am Arme führt. Wenn e- ein großes Gewicht zu heben gilt, ruft man ihn. Er allein ist so stark wie zwei Männer. WaS für einen Andern eine Unmöglichkeit wär«, ihm ist eS ein * Gelegentlich de- HiischeibenS b«S franzöfischen Staatsmannes dürft« dl« nachfolgend« Sn»»«, die sein aach tu dem kaisrrNchn, Telegramm an den Prüf,deuten Favre hervoraehobene« Empfinden für daS Wohl der arbeitenden Elass« deutlich widerspiegel», von Interesse sein. Spiel. Er ist der Schiedsrichter für alle Streitigkeiten, weil er zu stark ist, al» daß man mit ihm welche anfangen sollte. Man behauptet von ihm, er wäre ein guter Kerl. Nach einiger Zeit wird er auch Meister werden und sich zwei Arbeiter und einen Lehrling nehmen. Schließlich wird man ihn in den Municipalrath wählen. Die Fra» steht vor Tagesanbruch auf, um ihm seine Suppe zu kochen, während er noch glückselig schnarcht. Die ganze kulinarische Wissenschaft der Frau besteht in der Bereitung einer guten Kohlsuppe. Morgen» giebt eS Suppe und Abend- Suppe. Wenn Alles fertig ist, weckt sie ihn; er verzehrt sein Frühstück, giebt seiner Frau einen gehörigen Schmatz und geht zufriedenen Herzen- nach der Schmiede. Nun weckt sie ihre drei Jungen und kleidet sie mit Hilfe des ältesten Mädchens an. DaS Wasser spart sie nicht, und die kleinen Gesichter sind nach der Waschung ganz roth. Nun wird zusammen da» Gebet gesprochen; dann frühstückt man, und darauf geht'- nach der Schule, wohin die Mutter sie stet» begleitet. DaS Mädwen ist eine der besten Schülerinnen ihrer Tlaffe, sie wird vielleicht nächsten» den Preis bekommen. Ihr Herz klopft, wenn sie daran denkt, und da» ihrer,Mutter ebenfalls. Die Jungen haben einen etwa- härteren Kopf, eS sind gute Arbeiter, dabei sehr artig, aber Geist haben sie nicht für einen Pfennig. Während man ihnen Geographie beibringt und sie schreiben oder lesen lerne«, fegt und scheuert die Mutter die beiden Stuben, in denen die ganze Familie lebt, von oben bi» unten. Sie hört damit nicht eher auf, al» bi» Alles spiegelblank geworden ist. Dann macht sie die Betten. Nun wird der Topf auf» Feuer gesetzt; die Fenster bleiben wahrend der ganzen Arbeit geöffnet, wenn eS nicht gerade „Keulen friert". Da- ist ein» ihrer Vorurthrile; viel Wasser, viel Luft, viel scheuern, dann braucht man den Arzt nicht I Sie ist nicht allein die Magd der Familie, sie ist auch die Schneiderin, für den Mann, die Kinder, Knaben und Mädchen. Aller drei oder vier Jahre kauft man einen Anzug oder einen Hut für den Arbeiter, damit er Sonntag recht nobel au-sieht, und alle Ighr ein paar Stiefel für jedes Familienmitglied; damit sind die Ausgaben erschöpft. Die Mutter näht und bessert alle Sachen auS, die Kleider mit einem gewisse« Geschmack, die Blouse« und Hosen so gut, wie sie kann. Sie macht auch Mützen, und wenn die sechs „Garderoben", die ihrige eingeschlossen, im Stande sind, so strickt sie zu ihrer Erholung Strümpfe. Arbeit aiebt'S in diesem Hause immer, obwohl die Hau-frau uie ermüdet oder abgespannt au-sieht, und seit ihr Man« ihr eine Nähmaschine gekauft hat, naht sie sogar für ein Geschäft Gamaschen. Wenn die Kinder die Schule verlassen, steht sie stet» vor der Schulthür. Die Knaben- und die Mädchenschule liegen näm lich nebeneinander. Wenn man dann zu Hause ist, sieht sie vor allen Dingen vie Censuren unter den Heften nach; darauf erkundigt sie sich nach den Aufgaben und läßt sich die Lectionen hersagen. Die ganze kleine Gesellschaft ist bis zur letzten Minute aufmerksam. Dann aber fängt man man, sich zu rühren und nach der Straße zu sehen, ob der Vater noch nicht kommt. Da ist er! Man fällt ihm um den Hals, die dampfende Suppe steht auf dem Tisch, unv über eine gute Suppe geht nicht». Beim Präsidenten der Republik ißt man sie nicht besser. Die ganze Gesellschaft beweist es, indem sie die Suppe mit großem Appetit verspeist. Alle Welt ist ver gnügt und guter Dinge. Große Abwechselung giebt e» aller dings in diesem Leben nicht. Die Tage gleichen sich daS ganze Jahr hindurch, doch e» sind glückliche Tage. Sonnabends bringt der Mann seinen Lohn nach Hause, er behält sich einige SouS Taschengeld. Die Hau-frau hat eine geheime Börse, doch bi» jetzt hat sie noch nicht nöthig gehabt, ihre Ersparnisse anzugreife« Ich glaube, die großen Damen, die in ihren Wagen im Boi» de Boulogne spazieren fahren, beneiden da« Schicksal dieser schlecht gekleideten Arbeiterin nicht, die vom Morgen bi» zum Abend, ohne einen Augenblick der Ruhe, mit niederen Arbeiten beschäftigt ist und als Ersatz nur die Liebe ihres Manne» und ihrer Kinder und da- Gefühl ihrer tapfer er füllten Pflicht besitzt. Die Dame wird al- Königin behandelt, man widmet ihr Complimente und Sonette: sie ist die Blume der Schöpfung. Man schreibt für sie tagtäglich neue Bücher, man erfindet für sie tieue Parfum-, man führt sie in» Theater und auf den Ball. Wenn die gewöhnlichen Ver gnügungen ihr nicht genügen, so hat sie die Bäder, die Jagd, da» Spiel. E- giebt ein Wort in der Sprache, da» dieses Leben ausdrückt. Man sagt: „man tödtet die Zeit". Doch WaS ist die Zeit? Der Stoff, au» dem daS Leben gewebt ist. O, ihr eitlen Närrinnen, ihr solltet weinen und daS Schicksal der arbeitsamen Frau beneiden. Sie gebraucht die Zeit, ihr tödtet sie. Ihr gehorcht nur der Mode, sie gehorcht der Natur. Nur Ein» fehlt ihr noch, und deshalb ist sie unglücklich: «S fehlt ihr eine sichere Zukunft. In einem verhängnißvollen Augenblick ist der Mann in der Kraft seiner Jugend vom Schicksalsschlage getroffen worden. Ein Unfall, eia Nicht», ein Sandkorn hat ihn zu Boden geworfen. Die langen Wochen der Krankheit erschöpfen die kleinen Ersparnisse. Er stirbt vor der Zeit und nimmt Alle» .mit in» Grab, Lebensunterhalt und Freude. Jetzt sind fünf'bis dahin glückliche Personen dem Eleno anheim gefallen. Die Wittwe bat keine Zeit, zu weinen: sie muß Brod schaffen. Sie hat Niemanden, den sie um Rath fragen kann, Nie manden, der ihr helfen könnte. Sir giebt ihre bcidei Zim mer auf, eins muß genügen. Sie ist eine gute Näherin, ihre Tochter ebenfalls, sie sucht für Beide Arbeit, und da sie sich eine- guten RufeS erfreut, so hat sie das Glück, welche zu finden. Sie wird 30 Sous pro Tag und die Tochter lO verdienen. Zwei Francs, und fünf Personen zu ernähren! Doch wenn eS nicht anders geht, wird sie die Sonntage und einen Theil der Nacht zu Hilfe nehmen. Glücklicherweise kostet die Schule nicht», der älteste Junge wird zehn Jahr, er geht bereits zur Schmiede. In sechs Monaten bekommt er Lohn; es ist ja nicht gerade viel, fünf SouS pro Tag; aber eS hilft doch etwas. Die Tochter ist hübsch, wie eS einst die Mutter war; sie denkt bereit- daran, sie zu verheirathen. Sie möchte einen Arbeiter zum Schwiegersohn, einen Schmied, wenn eS möglich ist, denn daS ist in ihren Augen der schönste Beruf. Auch die drei Jungen sollen Schmiede werden, das war immer der Wunsch deS VaterS. DaS sind so die Hoffnungen der Wittwe, wenn sie neben der Tochter sitzt und die Nähmaschine bearbeitet. Es giebt jetzt nur noch zweimal in der Woche Suvpe, doch jeden Morgen haben sie Milch und Brod imUe berfluß. Die Kinder sind ärmlich gekleidet, aber Alle» ist sauber, nur nirgends sieht mau ein Loch. „DaS Wasser", sagt die Mutter immer, „kostet nicht»." Schlimm ist es, daß ihnen daS Feuer im Winter mangelt. Der Pfarrer hat ihr ein wenig Holz schenken wollen. „Nein", sagte sie, „denken Sie lieber au Leute, die noch unglücklicher siud." Jetzt ist sie so weit, daß sie nicht mehr allzu ängstlich in die Zukunft zu blicken braucht. Noch einige Jahre, und die Tochter wird verheirathet sein, die drei Jungen sind dann in der Werkstatt oder beim Regiment. Manchmal denkt sie in den langen Arbeitsstunden, sie möge Wohl früher sterben, als sie glaube, oder würde nicht mehr im Stande sein, zu arbeite». Dann wirft sie wohl ängstliche Blicke auf die Tochter, die verwundert fragt: „WaS hast Du denn, Mutter?" „Nichts, mein Kind", erwidert sie, und schnell nimmt sie die Arbeit wieder auf. Alle Sonntage geht sie mit den 4 Kindern zur Kirche; denn sie ist aufrichtig fromm, und der Glaube hat sie in ihrem Unglück aufrecht erhalten. Nach Schluß der Kirche unterhält sie sich mit einigen Freundinnen: denn alle Welt liebt und achtet sie. Man sieht sie nie Nachmittag spazieren gehen; nein, dann brgiebt sie sich nach dem Kirchhof mit ihren vier Kindern, entweder vor oder nach der VerSper, je nach der Jahreszeit. Vor dem Holzkreuze, das zu zerfallen droht, kniet sie nieder und weint schweigend, da» Haupt auf di« Schulter der Tochter gelehnt, während die Knaben zwischen den Gräbern spielen und sich bemühen, nicht all zuviel Geräusch zu machen. DaS ist da» Leben einer braven Frausl
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