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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.06.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960624027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896062402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896062402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-06
- Tag1896-06-24
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Der Reichstag hat gestern die bei der Berathung des zweiten Buches des Bürgerlichen Gesetzbuches aus gesetzte Entscheidung über den Wildschadenersatz dabin getroffen, daß die von der NeichStagScommission statuirte ErsatzpflLht für Schaden, der von Hasen angerichtet worden ist, beseitigt wird und auch die von der Commission eingefügte Bestimmung enthüllt, wonach bei von Schwarz- und Rothwild außerhalb des Jagd bezirks, wo es seinen Stand hat, verursachtem Schaden der Ersatzpflichtige sich an den Ersatzpflichtigen des „Heimath"-Jagdbezirks des WildeS halten kann. Von den Erweiterungen der Commission ist mithin nur die Ersatz pflicht deS Fasanen schadens übrig geblieben. Die Ent scheidung über den Regreß des einen Jagdbesitzcrs an den andern bleibt nach wie vor der Landesgesetzgebung Vorbe halten. Der Beschluß, der die Hasen betraf, wurde in namentlicher Abstimmung mit 179 gegen 61 Stimmen gefaßt. Die vorausgegangene Debatte, die die ganze Sitzung in Anspruch nahm, war sehr lebhaft und gestaltete sich erregt, nachdem der konservative Abg. v. Stein erklärt hatte, seineFreunde würden im Falle der unveränderten Annahme derCommissionsbescklüsse voraussichtlich nicht in der für die Durchberathung des Bürger lichen Gesetzbuches erforderlichen Anzahl anwesend bleiben. Kerne nationale Partei wird die „Deutschconservaliven" um daS Blatt der Geschichte, das mit dieser Drohung beschrieben worden ist, beneiden. Sie baben für die Vollendung eines vaterländischen Werkes, dessen Anfänge mit vem Namen Wilhelm's I. unzertrennlich verbunden sind, kleinlich Bezah lung verlangt, doppelt kleinlich, weil sie nicht mannhaft die Verantwortung für die Ablehnung deS Gesetzbuches im Falle der Nichterfüllung ihres Verlangens tragen zu wollen er klärten, sondern mit einem Behinderungsmanöver, das zugleich die Verletzung der Abgeordnetenpflicht in sich begriffe, gedroht haben. So weit ist der gestrige Vorgang von politischer Bedeutung. In der Sache berühren die Beschlüsse des Reichstags weder ein Princip, noch sind sie praktisch von großer Tragweite und der BolkSbeglückungseiser, in den demokratische Redner sich hinein redeten, war und wirkte theatralisch. Ein Opfer hat die kon servative Nöthigung nur den Centrum auferlegt, von dem die Erweiterung des Wildschadenersatzes herrührte. Aber selbst in dieser Partei hatte von Anfang an Meinungsverschiedenheit über die sachliche Berechtigung eines Hinausgehens über den Rahmen der Regierungsvorlage geherrscht. Gegen den Ersatz des Hasenschadens fiel die Erwägung stark ins Gewicht, daß die Verpachtung der Jagd auf diese Thiere zahllosen Dorf gemeinden eine Einnahme sichert, für deren Entgang die Steuerzahler, also ganz überwiegend kleine bäuerliche Besitzer, hätten aufkommen müssen. Zudem ist die Ansicht weit ver breitet, daß ein nennenswcrther und namentlich ein nach weisbarer Schaden von Hasen nur in Gärten und Baumschulen drohe, Betrieben, die auch von ihren sonstigen Interessen auf die Einzäunung hingewiesen werden. Was das Regreßrecht anaeht, so besteht eS nur in Hannover und unterliegt dort getheilter Beurtheilung. Auf der anderen Seite bedeutet die Regelung des Wildschadens im Bürger lichen Gesetzbuch, auch in der Begrenzung der Regierungs vorlage, einen Fortschritt für weite Gebiete des Reiches. Wenn, wie Wohl nicht zu bezweifeln, demnächst die Ver tagung des Reichstags anstatt des Sessionsschlusses eintreten soll, so wird vorher noch ein Beschluß des Reicks- rags wegen dieses Vorhabens einzuholen sein. Nach der Verfassung kann der Kaiser den Reichstag ohne dessen Zu stimmung nicht über 30 Tage hinaus vertagen. Diese Zustimmung ist im laufenden Jahrzehnt schon zweimal beantragt worden und zwar innerhalb einer Session, der vom 6. Mai 1890 bis 31. März 1892 währenden. Damals waren eS zuerst die CommissionSvorarbeiten für das Arbeiterschutzgesetz, sodann die für die Revision des KrankencassengesetzeS, die die Vertagung rätblich erscheinen ließen; diesmal wird der außergewöhnliche Weg bekanntlich in der Absicht einzeschlagen, der Justiznovelle, die schon zwei CommissionSberathungen durchgemacht bat, eine dritte, die allerdings, auch wenn der Reichstag geschlossen würde, nicht notbwendigerweise vorgenommen werden müßte, zu er sparen. Eine während der erwähnten langen Session viel erörterte Consequenz der Vertagung ist die Fortdauer der Immunität der Abgeordneten. Diese kann zu großen Unzukömmlichkeiten führen, wie vor Jahren im Reichs tag auch nahezu allgemein anerkannt worden ist. Dennoch hat eine Regierungsvorlage, welche die strafrechtliche Ver folgung von Abgeordneten während einer die Frist von 30 Tagen überschreitenden Vertagung gestatten wollte, ihr Grab in einer Commission gefunden. Immerhin sind im Jahre 1893 die mit langen Sessionen verknüpften Uebel- stände insofern eingeschränkt worden, als in einer Novelle zum Strafgesetz bestimmt worden ist, daß die Verjährung einer Strafverfolgung während der Zeit, wo die Verfolgung auf Grund gesetzlicher Bestimmungen nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden kann, zu ruhen hat. Wenn der Zollkrieg mit Spanien jetzt sein Ende findet, so wird er etwas über zwei Jahre gedauert haben. Am 25. Mai 1894 erschien die kaiserliche Verordnung, welche die erhöhten Zollsätze für die aus Spanien und seinen Colonien kommenden Maaren festsetzte. Sie war die Antwort auf den Beschluß Spaniens, bei Beginn des vertragslosen Zustandes, der am 16. Mai eingetreten war, anstatt seines — an sich sehr hohen — autonomen (Minimal-) Tarifs den für Zollkriege vorgesehenen Maximaltarif für die deutsche Einfuhr in Anwendung zu bringen. Spanien ist es also gewesen, das den Krieg begonnen hat, wie es auch allein die Schuld daran trug, daß ein Handelsvertrag nicht zu Stande kam. Nachdem das Reich nicht weniger als zehn Mal sich berbeigelassen hatte, das Handelsprovisorium mit Spanien zu verlängern, war endlich im August 1893 von oen beiderseitigen Regierungen ein Vertrag abgeschlossen worden. Der deutsche Reichstag genehmigte diesen im December desselben Jahres, die spanischen Cortes verschleppten jedoch die Angelegenheit in einer für Deutschland geradezu beleidigenden und jede Hoff nung auf ein positives Ergebniß ausschließenden Weise, so daß eS Deutschland weder zweckmäßig, noch seiner Würde angemessen scheinen konnte, sich weiter Hinhalten zu lassen. Es gedachte jedoch nur, Spanien außerhalb der Meist begünstigung zu stellen, d. h. den allgemeinen autonomen Tarif in Anwendung zu bringen. Erst als Spanien seinen Höchsttarif in Kraft treten ließ, machte der Kaiser von der im tz 6 des Zolltarifgesetzes für den Fall des Zollkrieges er- theilten Befugniß Gebrauch, indem er mit Zustimmung des Bundesraths die Sätze des autonomen Tarifs für die bei der spanischen Ausfuhr besonders in Betracht kommenden Maaren um 50 Procent erhöhte. Der Reichstag, dem die Verordnung bei seinem Zusammentritt im Herbst 1894 mit einer Denkschrift zuging, gab seiner Billigung des Verfahrens der Regierung dadurch Nachdruck, daß er den Zollkrieg mit Spanien zum Anlaß nahm, die Position der Regiernng in künftigen ähnlichen Fällen zu verstärken. Seine 1895 gefaßten Beschlüsse zum Tarifgesetze, die die Zustimmung des Bundes raths erhalten baben, gestatten nunmehr eine Erhöhung des autonomen Tarifs auf 100 Procent für Maaren, welche ans Staaten stammen, die deutsche Maaren ungünstiger behandeln, als diejenigen anderer Staaten. Außerdem wurde neu bestimmt, daß auch auf tarifmäßig zollfreie Maaren, für die die Regierung Kampfzölle bis dahin nicht festsetzen durfte, im Falle eines Zollkrieges Zölle bis zu 20 Procenl des Werthes gelegt werden können. Im Fortgänge des Zoll krieges mit Spanien ist jedoch von diesen erweiterten Befug nissen kein Gebrauch gemacht worden. Im Großherzogthum Luxemburg baben kürzlich die Erneuerungswahlen zur Kammer stattgefunden, durch welche die Hälfte der Kammersitze neu vergeben wurde. Den Wahlen kam insofern eine große Bedeutung zu, als es sich um die Frage bandelte, ob das Ministerium Eyschen und die liberale Partei, auf die es sich stützt, nicht durch den Ausfall der Wahlen die schon seit längerer Zeit erschütterte Herrschaft vollends verlieren würden. Das Ergebniß be deutet nun unzweifelhaft wieder eine schwere Nieder lage derNegicrung und der liberalenPartei, die sowohl bei der Hauptwahl vom 9., wie bei der Stichwahl vom 16. dieses Monats mehrere Sitze verlor. Die Hauptgegner der Regierung: der klerikale Ministercandidat Advocat Laval, Baron v. Tornaco und Advocat Brincour wurden schon am 9. gewählt. Im Canton Luxemburg-Land, wo sechs Abgeordnete zu wählen waren, wurde zunächst Herr Laval allein gewählt, während der Vetter des Staatsministers, der anstretende Abgeordnete Weiler, von den 12 Candidaten die wenigsten (etwa ein Fünftel) Stimmen erhielt; für die Stichwahl standen die Klerikalen durchweg an der Spitze, und sie baben nunmehr auch den Wahlkreis erobert. Im Canton Esch, wo sieben Abgeordnete zu wählen waren, wurden bei der ersten Wahl drei Gegner der Regierung: von Tornaco, L. Metz und von Gerlache, gewählt; in der Stichwahl behauptete allerdings der bisherige Kammerpräsident vou Wacquandt mühsam seinen Sitz, im Uebrigen aber siegte auck hier die Opposition; ebenso in Echternach, wo neben Brincour und seinem Gesinnungsgenossen Jörg allerdings auch der regierungsfreundliche 78 jährige Bürgermeister Föhr gewählt wurde. Das Ministerium Eyschen, das in der vorigen Kammer eigentlich keine Mehrheit mehr besaß, wird jetzt erst recht von der Gnade der siegreichen Ultramontauen, Demokraten und FranzöSlinge abhängen, wenn auch Niemand den Großherzog zwingen kann, es zu ent lasten. Die Er Weiterung des Mablrechts bat sich auch in Luxemburg dem Liberalismus verhängnißvoll erwiesen. Ob das Ministerium Eyschen, das schon so lange die Geschäfte führt, spontan seine Entlassung nebmen wird, darüber ist bisher noch nichts entschieden. Wie verlautet, will die Regie rung, bevor sie einen endgiltigen Beschluß faßt, erst die Hal tung der neugewählten Abgeordneten abwarten, über deren politische Richtung man noch nickt ganz im Klaren ist. Die Gruppirnng der Mittelmecrmächtc bildet bekanntlich einen nicht unwichtigen Factor im Gesammtbilde der inter nationalen Politik. Es erscheint deshalb von symptomatischer Bedeutung, daß der Besuch des spanischen Hafcnplatzes Corunna durch das französische Evolutions geschwader von der beiderseitigen TageSprefse zur politischen Stimmungsmache im Hinblick auf eine französisch-spa nische Annäherung benutzt wird, augenscheinlich, weil man damit in Paris ein Gegengewicht gegen die englisch-italie nische Entente, wenigstens soweit der westliche Theil des Mittelmeeres in Betracht kommt, schaffen will, während man in Madrid um jeden Preis aus der täglich drückender empfun denen Jsolirtheit Spaniens herauskommen möchte. Frank reich ist seit der Reise des englischen Vertreters in Tanger, Nicholson's, an den scherifischen Hof in Marrakesch von der Sorge gequält, durch England ans seinen marokkanischen Zukunftsträumen eines Tages sehr unsanft geweckt zu werden. Es könnte deshalb einen Rückhalt an Spanien, dessen marok kanische Machtstellung, weil sie sich auf eine reelle territoriale Unterlage gründet, noch von allen europäischen Staaten die solideste ist, sehr wohl gebrauchen, und die vom Quai d'Orsay ressortirenden Organe der Pariser TageSprefse suchen um die Wette den Spaniern glaubhaft zu machen, daß die beiderseitigen Interessen an der Erhaltung des marokkanischen 8tutu8 guo auf das Unmittelbarste be- theiligt wären. Diese Avancen wurden von der spanischen ministerfreundlichen Presse zwar nicht direct bejahend, aber doch in einer Weise beantwortet, welche geeignet erscheinen könnte, die Wünsche der Pariser Politiker zu ermuthigcn. Gegenwärtig steht die Sache so, daß Spanien in seiner prekären Lage mehr denn je auf das Wohlwollen anderer Staaten angewiesen ist. Es kann und will die ihm an getragene Sympathie Frankreichs nicht kurzer Hand abweisen, mag aber nicht Gefahr laufen, durch zu bereitwilliges Ent gegenkommen sich die Sympathien anderer Mächte vielleicht zu entfremden. ES wird d.aher gut thun, vorsichtig in der Wahl seiner Freunde zu sein. Spanien hat jetzt mehr zu thun, als für Frankreich die Kastanien aus dem Feuer der marokkanischen Politik zu holen. Seine eigene Stellung als Mittelmeermacht bleibt ihm so wie so; wichtiger ist jetzt die Ordnung der Staatsfinanzen, die durch den permanenten Aderlaß, den der cubanische Ausstand der StaalScasse applicirt hat, in schwere Entkräftung verfallen ind. Die aus Madrid signalisirten Einzelheiten des Finanz reformprogrammes, welches dem Entwurf des neuen Jahresbudgets beigegeben ist, zeigen, daß die Notb in der That eine Höhe erreicht haben muß, wie kaum je zuvor. Im Innern wie auch außen bereiten sich Verhältnisse vor, denen nur durch außerordentliche Maßregeln zu begegnen sein dürfte. Deutsches Reich. Vcrliu, 23. Juni. Das kaiserliche Gouvernement in Deutschostafrika ist das erste Colonialregiment, welches die Verfügung des Reichskanzlers über die Regelung der Gerichtsbarkeit in den Schutzgebieten zur Aus führung gebracht bat. Die in den letzten Tagen im Deutschen Colonialblatt erfolgte Veröffentlichung dieser vom 4. April dieses JahreL datirten Verfügung und der Ausführungs- bestimmnngen dazu beseitigt definitiv für unser ost afrikanisches Schutzgebiet jenen Zustand, aus welchem die Gefahr einer »nsühnbaren Wiederholung schlimm ster Ausschreitungen erwuchs. Der Reichstag darf sich das Verdienst zuschreiben, durch sein unab lässiges Drängen nach Abstellung der Mißstände, welche sich auS dem Mangel einer geordneten Rechtspflege in den Colonien ergeben mußten, diese Wandlung zum Bessern herbeigesührt oder doch beschleunigt zu haben. Vor Jahres frist brachten die Verhandlungen zwischen dem auswärtigen Amt, dem preußische» Justizministerium und dem Oberstaats anwalt des Kammergerichts über den Fall Wehlau Klarbeit über die große Lücke, welche die Rechtspflege in unseren Colo nien enthielt nnd welche es verhinderte, daß eine criminelle Verfolgung Wehlan'S wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt erfolgte. Die BudAetcommissiou des Reichstags hatte bei der Verhandlung des Colvnialetats mit besonderem Nachdruck die Ausfüllung dieser Lücke verlangt und dem Plenum eine Reso lution voraescklagen, in weicher die Erwartung ausgesprochen wurde, daß noch in dieser Session Vorsorge getroffen werde, die Bestimmungen über Mißbrauch der Amtsgewalt bezüglich der Beamten in den Colonien außer Zweifel zu stellen. Die erste Folge dieses Beschlusses der Budgetcommission war die am 25. Februar d. I. ergangene Allerhöchste Verordnung, welche den Reichskanzler ermächtigte, dieGerichtsbarkeit in den Colonien zu regeln. Auf Grund dieser Verordnung erließ der Reichskanzler am 27. Februar eine Verfügung, welche die Anwendung von anderen als den in der deutschen Strafproceßordnung zugelassenen Maßnahmen zur Herbeiführung von Geständ nissen und Aussagen von Eingeborenen in den Schutzgebieten untersagt. Bei der zweiten Berathung des Colonialetats im Plenum des Reichstags Mitte März d. I. glaubte Director FrrriHrton Zndas. 13j Roman von Claus Zehren. Nachdruck verboten. Und dock heute, wo die Zahl 31 mit ihrer dicken schwarzen Aufdringlichkeit ihn an die Vergangenheit mahnt, konnte er die Gedanken nicht losreißen von Harald'« Person. Wo war er nur? was war aus ihm geworden, lebte er noch? — Die alte Verehrung und Liebe zu jenem Manne klopste wieder vernehmlich an sein Herz, als wolle sie Einlaß begehren, als sei dort ein Platz leer geblieben. Aber dieses Anklopfen thut ihm weh und — er schrickt zusammen, als die Thür ziemlich heftig aufgeriffen wird und Eva mit freudestrahlendem Ant litz — ein Briefcouvert in der Hand haltend — fast wie ein junges wildes Mädchen hereingestürmt kommt. „Denke Dir, Kurt!" — ganz athemlos vom raschen Treppensteigen, — „denke Dir — Onkel Carl Boslel ist da! — Hier in Berlin und heute Abend will er zu uns kommen! — Der gute, liebe Onkel! in zwei Stunden, o nein, vielleicht schon in einer Stunde wird er hier sein mit seinem alten treuen Gesichte und seinem fröhlichen Lachen!" Auch Kurt freute sich aufrichtig. „DaS ist ja famoS, Eva, Du hast ihn lange nicht gesehen. Denn als er vor drei Jahren hier war, lagst Du recht krank im Bett und der Arzt befürchtete Diphtheritis." „O ja, ich weiß, war ich doch so ärgerlich, daß man den Onkel nicht zu mir lassen wollte." Doch sich plötzlich unter brechend: „Unerhört, da verplaudere ich die Zeit, — warte, wa« ist denn des Onkels Lieblingsspeise? Daß man so etwas vergessen kann, — richtig, jetzt fällt eS mir ein, Maccaroni mit Vchinken und — ach, ich weiß nicht, — nur rasch in die Küche. Wir brauen natürlich einen Punsch, Du übernimmst daS wohl, Kurt. Wie lieb vom alten Jahre, uns noch diese Freude zu machen!" Und sie eilt hinaus, frisch, behende, und ihr Mann nimmt den Kellerschlüssel vom Nagel und steigt vergnügt die Treppen hinunter, um einen guten Tropfen heraufzuholen. Ja, es ist behaglich und nett im Eßzimmer. Der reichlich besetzte Tisch, die große Hängelampe darüber, deren Schein auf drei vergnügte Gesichter fällt. Nach der ersten stürmischen Wiedersehensfreude ist man zur Ruhe gekommen. Der alte Major, nun ganz weiß ge worden, sonst aber frisch und rüstig aussehend, hat die eigene Gabe aller Menschen, welche sich weder durch Alter noch durch das Leben verändern lassen, überall eine Atmosphäre großer Gemüthlichkeit, um sich zu verbreiten. Er hat viel zu erzählen. Als sie spater hinter den dampfenden Punschgläsern sitzen, sagt er plötzlich in seiner geraden Art: „Na Kinder, Ihr habt mich eigentlich bitter enttäuscht — ich hätte wirklich einen famosen Großonkel abgegeben." Da sehen sich Kurt und Eva schnell an, sie mit einem Erröthen und er mit einem unsicheren, etwas gekniffenen Gesichtsausdruck. „Na, wer weiß", lacht Onkel Karl, „vielleicht zum nächsten Neujahr! Werdet nur nicht tragisch — ich bin ein alter Esel; wenn mir so etwas durch den Kopf geht, dann plappere ich es heraus." Nun schweigen alle drei. Onkel Bostel schaut sich die Beiden an. Eva rührt nachdenklich mit dem Tbeelöffel nn Glase, obgleich es leergetrunken ist, und Hansen beschäftigt sich damit, das ausgerollte Deckblatt seiner Cigarre wieder sestzuwickeln. Der Major denkt daran, wie fröhlich Eva früher war und daß sie jetzt so furchtbar gleichmäßig ver gnügt aussiebt. Er bat sich schon beim ersten Wiedersehen darüber gewundert, denn es war, als wollte ihr der Wieder- sehenSjubel nicht so recht über die Lippen» al- hätte sie ver lernt, das Herz herzugeben. Und Hansen —? Im Grunde ist er dem alten Herrn nicht sehr sympathisch, wenigften« jetzt nicht, wo er dessen absichtlich ausdrucksloses Gesicht be trachtet. Herr Gott, waren die Menschen ungemütlich geworden! Wie nett war da« früher, al« seine gute Schwester noch lebte! — Eine Thräne kommt ihm in die Augen, während seine Finger mit dem Medaillon an der Uhrkette spielen, welches das Bild seiner Schwester trägt. „Es ist entsetzlich, daß die Menschen sterben müssen Alle, die sich lieb haben, sollten an einem Tage aus der Welt gehen", sagte er laut, mit einem Versuch, zu lachen. „Es ist höllisch leer schon um einen geworden, — RaßmuS ist nun auch todt", fügte er hinzu, fast im Selbstgespräch und bemerkte das Ueberraschende dieser Nachricht erst an der schnellen Wendung, mit welcher sich ihm die Angen des Ehe Paares zuwenden. „Was sagen Sie, — Raßmus todt?" Kurt Hansen ist bleich geworden, deutlich steht die Gc- müthsbewezung auf seinem Gesicht geschrieben, während Eva roth wird, dunkelroth und dann plötzlich kreideweiß, so un heimlich, daß Onkel Carl einen Schreck bekommt. „Ja, todt auch der, — wohl der Beste, der mir je über den Weg kam! Entschuldigt, wenn ich so damit herausfuhr. Es kann hier ja wobl noch nicht allgemein bekannt sein, wenn es überhaupt bekannt wird." „Du, — Du — hast ihn noch gesehen, Onkel?" preßt Eva mühsam mervor. „Ja, in Valparaiso in einem Lazareth. Er hatte als freiwilliger Arzt an dem Feldzuge drüben Theil genommen, bis ihn schließlich der Typhus dahin streckte. Ich besichtigte das Lazareth und sah ihn plötzlich vor mir liegen, — er sah schrecklich aus, so —" hier stockt der Major, Eva'S schlaffes Zurücksinkrn in den Stuhl bemerkend. „Na, ich will Euch mit der Beschreibung nicht quälen, aber Ihr hättet die Freude in seinem armen kranken Gesicht sehen sollen, al- er mich erkannte." „Doch noch eine Freude in den letzten Lebensstunden", sagte er und fragte nach Allem, nach Euch, dem Vater, auch nach dem Hosrath. Ich sollte Euch alle grüßen mit tausend Segenswünschen. Ja, ja und genau nach vieruudzwanzig Stunden starb er. Ein Prachtmensch weniger —" weiter kommt Onkel Carl nicht, denn mit leidenschaftlicher Geberde wirft Eva beide Arme auf den Tisck und den Kopf darauf und weint, weint mit einem herzzerreißenden Schluchzen. Hansen tritt an das Fenster, schlägt die Vorhänge zurück und bleibt dort mit über der Brust gekreuzten Armen stehen. „Es ist eine traurige Nachricht", meint Onkel Carl, „aber ich mußte es Euch doch sagen. — Besser im alten Jahre, die Tobten begraben sich da leichter!" Langsam steht der alte Herr auf, tritt an Eva s Seite und beugt seinen weißen Kopf neben den ihren herab. „Evcken, nun fasse Dich doch! Ich weiß, wie gut er gegen Deine Mutter war und daß Du ibn deshalb gern gehabt bast, — sieh, hilf lieber Deinem Mann, er verlor seinen Wohltbäter." „Ja, bei Gott, das that er!" tont es vom Fenster ber mit erstickter Stimme. Eva nimmt sich zusammen und richtet den Kopf auf, den Onkel anblickend, und er liest in ihren Augen viel, sehr viel mehr als die Trauer um einen Todten, den man nur gern gehabt hat. Da schiebt er ein Couvert in ihre Hände. „Lies das von ihm, aber erst morgen — bitte, nicht heute." Noch immer schluchzend legt sie das Schreiben aus den Tisch. „Na Hansen, kommen Sie her und fassen Sie sick. Unser Freund starb ganz zufrieden; so oder so, wir müssen alle einmal daran glauben. Wohl dem, der so lächelnd wie jener au« dem Leben schied. Das können nur die Guten oder Diejenigen, welche im Leben nur sich selbst ge funden haben. Kopf hoch, Kinder. Ich weiß, wir Alten kommen eher darüber hinweg, man sieht zn Viele sterben, und dann, — man denkt auch, wie bald die letzte Fahrkarte gelöst werden nnrß —" Er nickt den beiden mit seinen freund lichen Augen aufmunternd zn. Hansen kehrt schweigsam an den Tisch zurück. Keiner bemerkt, wie er znsammenzuckt beim Erblicken von Harald s Handschrift auf dem kleinen Couvert. „An Fran Eva Hansen" steht darauf mit undeutlichen Schriftzügen. „So, nun füllt die Gläser wieder; es kann Alle« nichts Helsen. — Kann mir Einer von Euch sagen, wo die Frau Christensen wohnt? Raßmu« hat mir einen Gruß für
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