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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.06.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960626012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896062601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896062601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-06
- Tag1896-06-26
- Monat1896-06
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Zugleich bat man u. A. einen Antrag Auer's abgelehnt, nach dem Rechtsgeschäfte nichtig sein sollten, durch die bie Haftung für Schäden ausgeschlossen wird, die vorsätzlich oder fahrlässig dem Leben, dem Körper, der Gesundheit, der Freiheit, dem Eigenthum und sonstigen Rechten eines Anderen zugefügt werden. Handelte es sich lediglich um eine Auffassung Stumm's, so könnte man darüber hinweggehen. Zusammengehalten aber mit dem betrüblichen Eingeständnis von Enneccerus und der Ablehnung eines Antrages, gegen den sich Nichts und für den sich, wie jedem Laien ohne Weiteres klar sein wird, Alles geltend machen läßt, gewinnt auch die Unterschätzung gesetz lichen Wortlautes an Bedeutung, die sich Stumm zu Schuloen kommen läßt. Denn er spricht offen aus, was bie anderen Norgänge, endlich der Einblick in die Commissionsverhand lungen nur ahnen lassen: Man hat die Geschichten über. In der That ist nicht blos in, sondern auch außerhalb des Reichstages die Begeisterung, die sich vor etwa einem Jahre plötzlich erhob, der Ungeduld gewichen und dem Ueberdruß bei Denen, die sich mit dem seit nunmehr 22 Jahren be- rathenen Gesetze noch zu befassen genöthigt sinv. Was sollte sonst etwa außer dem Ehrgeiz der Mehrheit den Grund für die Hast bilden, mit der die Commission in 52 zum Theil sehr kurzen Sitzungen 2300 Paragraphen in doppelter Lesung erledigt und der Reichstag an zwei Tagen reichlich die Hälfte davon abgethan hat? Die Sehnsucht der Nation nach endlosem Abschluß des Werkes? Gewiß nicht! Weit aus den größten Theil des deutschen Volkes läßt eine der artige Schöpfung überhaupt kalt und namentlich ein Gesetz buch, das Vorschriften bietet, wie den tz 119l der Vorlage, den zu begreifen der Jurist eines Studiums bedarf, vermag niemals volksthümlich zu werden. Die Nothwendigkeil, daß der Reichstag in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung die von ihm begonnene Arbeit auch zum Abschluß führt? Dazu wäre auch im Herbst noch Zeit, trotz der bevorstehenden Neu gestaltung der Proceßordnung. Der Wunsch, daß der 1. Januar 1900 als Tag des Inkrafttretens eingehallen wird? Dies wäre eine Aeußerlichkeit. Zudem wird kaum Jemand dir nächsten Sommermonate dazu bestimmt haben, das Gesetz zu erlernen, ist es aber doch der Fall, so hindert ibn Nichts, sich dieser Aufgabe zu widme», da einzelne Abschnitte in ihren Grundzügen sicher beibehalten werden. Es ist so oft betont worden, daß auch hinsichtlich des Bürgerlichen Gesetzbuches das Bessere der Feind des Guten sei, daß Wohl Niemand ein absolut vollkommenes Werk fordert, das schon an sich von Menschen nicht verlangt werden kann. Ebenso ist es klar, daß ein Gesetz namentlich materiell rechtlichen Inhaltes nicht für alle Zeiten erschaffen wird, sondern nach der Gegenwart zugeschnitten ist und spätere Abänderungen im Voraus ins Auge gefaßt werden müssen. ES ist indessen irrig, wenn man annimmt, die Commissions verhandlungen wären hinreichend veröffentlicht und in weiteren Kreisen genügend erwogen und erörtert worden. Schon die Zeit hätte das nicht erlaubt. Man frage einmal, wie Vielen es bekannt ist, daß die Verzugszinsen sich künftig nur auf 4 Procent belaufen werden und daß fernerhin der Familien vater nur noch nominell daS Oberhaupt der Seinen ist, für deren Schicksale eigentlich blos der Vormundschaftsrichter maßgebend sein wird! Wie Wenige werden es wissen, daß eine der wichtigen Vorschriften, wegen der im Wesentlichen dem Entwurf sociale Eigenschaften beigelegt wurden, in der Commission ihr Grab gefunden hat! Mehr und mehr bricht sich daher dieUeberzeugung Bahn, daß zwar der Reichstag nicht jeden einzelnen Paragraphen durch- berathen, daß er jedoch Denen, die sich dazu berufsn fühlen, Zeit zu lassen hat, zu der Gestalt Stellung zu nehmen, in der der Entwurf vor 3 Monaten nur als Vorlage den Bundesrath und in der die Vorlage vor wenigen Wochen die Commission verlassen hat. So sehr gerade in der Justiz der endliche Abschluß gewünscht wird, so wenig wird in den Fachzeitschriften und sonst die derzeitige Hetze gebilligt. Was man liest und hört, sind vielmehr meist sehr begründete Be mängelungen, die allerdings bisweilen Einzelheiten betreffen, denen indessen gerade deshalb leicht abgeholfen werden könnte, wenn man den Kritikern nicht da« Wort abschnitte. Wenn selbst der alte Reichskanzler e« für der Mühe Werth erachtet hat, seine warnende Stimme ertönen zu lasten, so sollte der Reichstag doch vielleicht sich dessen bewußt sein, daß er nicht nur das Recht, sondern zugleich die Pflicht eingehendster Prüfung des Werkes hat, dessen Gehalt für die Lebensführung vieler Millionen maßgebend sein wird, und sollte über der fast krankhaften Furcht, daß ihm eine Zögerung als Un fähigkeit auSgelegt werden könnte, nicht vergessen, daß er zu gleich von der Gefahr bedroht ist, sich durch übereilte An nahme eines leicht noch verbesserungSsähigen Gesetzes, dessen Hauptmängel sich erst später zeigen müssen, einem nicht wieder gut zu machenden Vorwurfe auszusetzen. Denn es wäre äußerst bedenklich, sich gleich von vornberein damit zu trösten, „die Praxis werde schon da, wo der Buchstabe des Entwurfs dem wahren Rechte zuwider ist, den Buchstaben an an die Wand drücken, um dem Einzelfall mit wahrer Künstler kraft da« Recht zu schöpfen, welches er verlangt." Diese Auf gabe gehört eben dem Gesetzgeber und sie kann nicht im Fluge gelöst werden, wenn e«, statt um da« blo« formale Recht einer Proceßordnung, um materielles Recht sich handelt, das noch dazu in den verschiedenartigsten NechtSgebieten und nicht, wie das auS 2Sjähriger Arbeit hervorgegangene Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch, an Stelle eine« bisher einheitlichen Recht« in Kraft treten soll. Dr. I«. Wenn wir dem Ersuchen, daSBorstebende zum Abdruck zu iringen, nachkommen, so geschieht dies nicht, weil es uns über zeugt, sondern weil es uns Gelegenheit giebt, einer besonders m juristischen Kreisen neuerdings vielfach laut werdenden An- lcht entgegen zu treten. Sie beruht auf einer Ver wechselung zwischen einer Commission von Fachleuten und dem Reichstage überhaupt, besonders aber dem etzigen Reichstage. Von einer solchen Commission, in der sachliche Gründe entscheiden, kann man von einer längeren Berathung eine Verbesserung der Vorlage mit Sicherheit erwarten. Im Reichstage aber, besonders im etzigen, entscheiden die Stärke der Fractionen und ihre Be ziehungen zu einander. Das haben die Commissions-Be- rathungen gezeigt und das beweisen die bisherigen Beschlüsse der zweiten Plenarberathung. Die Hast, die m den beiden ersten Beratbungstagen bemerkbar wurde, war lediglich bie Folge des Wunsches der Fractionen, bald zu entscheidenden Proben der Dauerhaftigkeit der jetzigen Parteigruppirunz zu gelangen. Jetzt ist sie einem ruhigeren Tempo gewichen, das aber über die absolute Festigkeit der Gruppirung nicht täuschen darf. Den größten Einfluß hat bekanntlich das Centrum. Schon hieraus ergiebt sich die Gefahr, daß bei längerer Dauer der Berathung der klerikale Einfluß auf die Gestaltung der einzelnen Paragraphen wächst. Diese Gefahr wird aber um so größer, je zahlreicher die klerikalen Stimmen im Lande werden, die mit der „Genügsamkeit" des Centrums unzufrieden sind. Würde die Entscheidung über das Bürgerliche Gesetz buch bis zum Herbste verschoben, so würde das Centruin aus den Ferien zweifellos mit erhöhten Ansprüchen auf Berück sichtigung seiner Sonderwünsche znrückkehren. Wer weiß, welche Bündnisse dann geschlossen werden würden. Auf das Urtheil des Fürsten Bismarck sich zu berufen, ist etwas kühn, weil eine zuverlässige Miltheilung über seine Ansicht gar nicht vorliegt. Die „Hamb. Nachr." haben sich über sein Urtheil so vorsichtig ausgedrückt, daß wir allen Anlaß zu der Vermuthung haben, er habe bei seinem jetzigen Zustande, der ihm weder das Studium der stenographischen Reichstagsberichte, noch die genaue Verfolgung der Aus lassungen der Centrumspresse gestattet, sich sehr reservirt gehalten. Könnte er jene stenographischen Berichte und die in den Kreisen der ultramontanen Wählerschaft herrschende Stimmung verfolgen, so würde er vermuthlich all seinen Einfluß aufbieten, um zu verhüten, daß die Entscheidung über das Bürgerliche Gesetzbuch bis zum Herbste vertagt und mittlerweile dem Centrum Anlaß zur Erhebung höherer Ansprüche und Gelegenheit zu allerhand Tauschgeschäften gegeben würde. Jedenfalls halten wir uns für verpflichtet, vor einer Vertagung der Entscheidung nachdrücklich zu warnen, denn gerade der Verlauf der zweiten Plenarberathung beweist uns, baß eine Entscheidung, die im Herbste getroffen werden würde, noch weit mehr zum Nach theile des großen Werkes aussallen müßte, als eine be schleunigte Entscheidung. Deutsches Reich. LS. Berlin, 25. Juni. Wenn aus den Thatsachen, daß der Reichskanzler bei seinem letzten Empfange mit dem Kirchenpatron von Witaschütz ein längeres Gespräch gepflogen und daß dieser Herr einer ausdrücklichen Einladung in das Cultusministerium gefolgt war, hie und da ge schloffen wird, die Angelegenheit des Propstes Szadzynski werde von der Regierung nunmehr ernsthaft verfolgt werden (S. * Berlin im gestrigen Morgenblatte. D. Red. d. „Leipz. Tagebl."), so wird in unterrichteten Kreisen dieser Schluß als zu optimistisch bezeichnet. Man entnimmt in diesen Kreisen den beiden Conferenzen nichts weiter als die Gewißheit, daß der Propst, entgegen einer von der Negierung zu Posen einem dortigen Blatte gemachten Mittheilung, von der geistlichen Behörde nicht versetzt worden ist. Wäre er versetzt, so hätte der Kirchenpatron mit der Sache schon gar nichts zu thun. Man versteht aber auch so nicht recht, wie für die schwere Verletzung seiner Amtspflicht als Schul leiter, deren Herr Szadzynski neben einer selbst in Posen kaum erhörten Beschimpfung des Deutschthums sich schuldig gemacht hat, durch die Unterhaltung mit einer Privatperson Remedur geschafft werden könnte. Daß Fürst Hohenlohe einer Polenpolitik, wie die seines Vorgängers war, grundsätzlich abgeneigt ist, braucht nicht bezweifelt zu werden. Aber nach Lage der Dinge ist die Möglichkeit, die Verwaltung im Osten zu controliren, für ihn eine ziemlich geringe. Der Minister des Innern, Herr v. d. Recke, ist trotz seiner nicht mehr so kurzen Amtirung bezüglich der Polenpolitik wie in jeder anderen Hinsicht ein unbeschriebenes Blatt geblieben, der CultuSminister vr. Bosse macht Worte, die jedenfalls in oem Augenblicke, wo sie gesprochen werden, ernst gemeint sind, und die Spitzen der Verwaltung in Posen und West preußen sind dieselben geblieben wie unter dem Grafen Caprivi. Auf den letzteren Umstand kann es auch nur zurückzuführen sein, daß die „Posener Regierung" den Scandal von Witaschütz erst gänzlich unbeachtet gelassen unds sodann so oberflächlich untersucht hat, daß sie in vie Lage kam, die Oeffentlichkeit mit unrichtigen Angaben zu regaliren, und daß jetzt, nach mehr als vier Monaten, die Befürchtung gerechtfertigt ist, ter Nachfolger des von dem polnischen Propst brutalisirten Lehrers sei in Bezug auf das deutsche Gebet unter Zulassung der Ne gierung eingeschüchtert worden. Wenn dieProvinzial-und localen Behörden nicht von dem Verständniß für die Aufgaben, die der preußische Staat im Osten bat, durchdrungen sind, so nutzen alle Berliner Reden nnd Unterredungen nichts. Daß aber in diesem Puncte zu wünschen übrig bleibt, ist unter Anderem auch an der eindringlichen Sprache einer bereit« mitgetheilten Zuschrift zu erkennen, die der „Köln. Ztg." aus der Provinz Posen zugegangen ist und die Verhältnisse in dem vom Polenthum hart bedrängten Städtchen Usch zum Gegenstände hat. X. Berlin, 25. Juni. Trotz der erregten Reden der Herren Lenzmann und Richter sind selbst einige freisinnige Blätter, wie z. B. das „Berliner Tageblatt", einsichtig genug, da« Resultat der Abstimmung über die Entschädigung für durch Hasen angerichteten Schaden für ziemlich bedeutungslos zu erklären. Man kann daher nicht gut von einer freisinnigen Niederlage und einem Triumphe der Con- servativen reden. Im Gegentheil! Die Conservativen baben sich eine arge Blöße gegeben und mit ihnen das Centrum. Was die Ersteren anlangt, so war die Erklärung des Herrn von Stein in jeder Hinsicht überflüssig. Denn daß das Centrum seinem eigenen Commissionsantrage eine Niederlage bereiten würde, hatte sich schon aus dem Schluffe der Rede des Herrn Gröber entnehmen lassen. Einen mate riellen Erfolg hatte also die Drohung des Herrn von Stein mit Abstinenz nicht, wenn auch Herr Lieber seine Gcsinnungswandlung hinter dieser Drohung versteckte. Wohl aber hatte die schroffe Erklärung des Herrn von Stein den für die Conservativen sehr unerwünschten Erfolg, daß ihnen mit Recht von ihren Gegnern wird vor geworfen werden können, daß sie um einer verhältnißmäßig untergeordneten Frage willen das Zustandekommen deö für die innere deutsche Einheit wichtigsten Gesetzes gefährden zu wollen erklärten. Für die süddeutschen Particularisten sind derartige Uebertreibungen und Unklugheiten Wasser auf die Mühle, und deshalb sollte sich eine große nationale Partei davon fernhallen. Noch unbehaglicher war aber der Verlauf der Sitzung für das Centrum. Wir reden nicht von der taktischen Ungeschicklichkeit, die Rückzugskanonade derart lärmend einzu richten, daß Freund und Feind dadurch getäuscht werden mußten, und daß Herr Lieber dadurch in eine solche Verlegenheit kam, wie sie dem „Führer" der Partei von einem Fractionsgenossen nicht bereitet werden durste: wir sehen vielmehr die Niederlage des Centrums darin, daß die Zwiespältigkeit der Partei sich wieder einmal deutlich zeigte. Herr Lieber war mit seinem Herzen sicherlich auf der Seite der „Hasenfeinde", aber sein Verstand befahl ihm, nachzugeben — nachzugeben nicht etwa den Conservativen, denn Ausführung und Erfolg der con servativen Drohung waren höchst problematisch und man hätte ruhig die Kraftprobe versuchen können; sondern den agrarischen Fractionsgenossen und noch mehr der agrarischen Strömung innerhalb der klerikalen Partei im Lande. Herr Lieber weiß, daß er, je mehr er sich dieser Strömung en. ,-genstemmen würde, desto eher von seinem Führerposten verschwinden würde, und gerade jetzt, wo er bei der Berathung des Bürgerlichen Gesetzbuches eine Hauptrolle spielen kann und mit den Herren vom Bundesrathstische freundschaftlich verkehren darf, fühlt er sich in seiner Position so Wohl, daß ihm der Gedanke, auf die gleiche Stufe mit den vielen anderen Parteinullen herabsinken zu sollen, unerträglich ist. Aber freilich — er kann das Geschick nur aufhallen, nicht ab wenden. Es wird kommen der Tag, da die Parteiagrarier sich nicht mehr damit begnügen werden, hinter der Scene zu agiren und Herrn Lieber zur Erheiterung des Hauses groteske Sprünge ausführen zu lassen, sondern an dem sie selbst einen der Ihrigen an die Spitze der Partei stellen können. Daß dieser Tag nicht zu fern ist, hat die Sitzung vom 23. gezeigt, die deshalb eine Niederlage für die gegenwärtige Cen- trumsfraction, die noch unter dem Stichwort „katholisch ist Trumpf" und nicht „agrarisch ist Trumps" gewählt wurde, und in spoeiv eine Schlappe für Herrn Lieber bedeutet. Berlin, 25. Juni. (Telegramm.) Prinz Albrecht von Prentzen, Regent von Braunschweig, traf gestern Abend, von Sonnenburg kommend, hier ein und trat bald darauf 11 Uhr 40 Min. die Reise nach Kamenz in Schl. an. tztz Berlin, 25. Juni. (Privattelegramm.) Morgen werden hier die Sachverständigen für die Ausführnngs- bcstimmnngcn zum Znckerfteurrgcsct; zusammentreten. 6. kl. Berlin, 25. Juni. (Privattelegramm.) Vom deutschen Handels tage ist zur Vorberathung des Ent wurfs eines Handelsgesetzbuches eine Commission auf den 7. Juli nach Berlin berufen. Es werden Untercommissionen gebildet werden, um die Materie durchzuberathen. L. Berlin, 25. Juni. (Privattelegramm.) Die Bäckermeister Berlins waren gestern auf Einladung des Innungsvorstandes versammelt, um die am 1. Juli in Kraft tretende Bäckereivcrordnnng des Bnndcsrathes noch mals zu erörtern. Bäckermeister Bern erd betonte in seinem einleitenden Referat, daß der Bund deutscher Bäcker innungen nichts unversucht gelassen habe, um die Ver ordnung zu Fall zu bringen. Der Vorstand habe soeben noch eine Immediateingabe in diesem Sinne an den Kaiser gerichtet. Von maßgebenden Parlamentariern sei den Bäckermeistern thatkräftige Unterstützung zugesichert; auch der Reichstag werde noch vor seiner Vertagung einen Be schluß gegen die buydeSräthliche Verordnung fassen. Der Redner sprach die Hoffnung auS, daß das Gesetz nur ganz kurze Zeit in Kraft bleiben werte. Es empfehle sich, daß ein Berliner Bäckermeister die Klage gegen die Rechts- giltigkeit der Verordnung durch alle Instanzen führe, von dem Ausfall dieses Rechtsstreites werde man die weitere Bekämpfung des Gesetzes abhängig machen.. Nach längerer Debatte wurde beschlossen, daß Bäckermeister König-Berlin den Rechtsstreit aus Kosten der Innung führen soll. Außerdem wurde der Vorstand ermächtigt, eine Centralstelle einzurichten, welche Material gegen die Verordnung sammelt. — Der Cultuöminister hat in der Antwort auf eine Eingabe erklärt, daß die Herbeiführung der Uebercinslimmung zwischen der Orthographie der Schule nnd der des amt lichen Verkehrs Gegenstand seines Bemühens sei. — Die Inhaber der Damen- und Kindermäntel« Confectionsfirmen haben in einer gestern abgehaltenen Ber« sammlung folgende Resolution gefaßt: In Erwägung, daß wir zur Beilegung des Streiks durch Vie Beschlüsse der gemeinschaftlichen Commissionen vom 20. Februar d. I. sehr bedeutende Opfer ge bracht haben, ferner in Erwägung, daß Las in Folge dieser Be schlüsse gebildete Schiedsgericht nur einmal in Thätigkeit getreten ist und die wenigen dort vorgelegten Fälle gütlich geschlichtet wurden, in fernerer Erwägung, daß hiernach irgend nennenswerthe Differenzen zwischen Arbeitgebern, Meistern nnd Arbeitern nicht bekannt geworden sind, erblicken wir in dem Borgehen der neuen Commission der Meisterschaft, welche« als Erstes die Beseitigung der Beschlüsse vom W. Februar bezweckt, eine Gefährdung des bestehenden Frieden«, und erklären uns mit dem Beschlüße der Fünfzehiier-Coinmijsion: „mit dieser neuen Commission nicht eher zu verhandeln, al« bi« sie die Beschlüsse vom 20. Februar, vor behaltlich etwaiger Abänderungen, al» Grundlage anerkennt', roll und ganz einverstanden. Mit der bisherige« Thätigkeit der von uns gewählten Fünszehner-Coinmijsion befinden wir uns in voller Uebereinstimmung und erwarten von derselben auch in Zukunst, daß alle unberechtigten Anforderungen, in welcher Gestalt sie auch erscheinen mögen, mit aller Energie zurückgewiesen werden. * Kiel, 25. Juni. (Telegramm.) Der Kaiser horte heute Vormittag die Vorträge des Chefs deS Civil-Cabinels v. Lucanus und des Chefs des Militair Cabinets v. Habnke, welch Letzterer beute früh hier eingetroffen ist; hierauf nahm der Kaiser militairische Meldungen entgegen. Zur Früh- stückstafel waren u. A. eingelaven: General-Oberst Graf v. Walkersee und der Commandeur des Füsilier-Regiments „Königin" Oberst p. Lütcken. Zum Nachmittagsthee um 4 Uhr waren 100 Einladungen ergangen. Nach dem Thee fand Concert und Tanz an Bord statt. Die Eingeladenen gehörten deu Kreisen der Marine, dem kaiserlichen Aacht-Club, sowie den Familien der Umgegend an. Morgen früh begiebt sich der Kaiser an Bord der „Hohenzollern" nach Travemünde, wo er an der Regatta theilnimmt. Die Kaiserin verbleibt morgen in Kiel und gedenkt Abends auf einige Tage nach Plön zu reisen und Montag früh hierher zurückzukehren. 1)v. v. Lucanus kehrte gegen Mittag mit den Beamten des Civilcadinets nach Potsdam zurück, während General v. Hahnke vorläufig an Bord der „Hohenzollern" verblieb. —?— FricSrichsruh, 25. Juni. (Privattelegramm.) Der Viceköuig Li-Hung-Tschang traf mittels Extrazugs mit dreizehn Begleitern, darunter 5 Chinesen, um 1 Uhr hier ein und wurde am Schloßthore vom Grafen Herbert Bismarck und vom Grasen Rantzau begrüßt. Fürst Bismarck empfing seinen Gast im Vorzimmer des Speisesaales mit den Worten: Es freue ihn, den berühmten und größten Staatsmann seines Landes bei sich begrüßen zu können. Der Vicekönig erwiderte, er habe seinem Lande leider nicht so viel nützen können, wie Bismarck, welcher der ganzen Welt Gutes gethan habe. Es folgte hierauf gemeinsames Frühstück. (Wiederholt.) * Kulm,22. Juni. Ein „Sokolcongreß desWeichsel- gaues" fand gestern und vorgestern Hierselbst statt. Die Kulmer jungen Polinnen händigten bei dieser Gelegenheit dem dortigen Sokolverein eine eigenhändig gefertigte Fahne ein, auf deren einer, amarantfarbener Seite das Symbol der Sokols, ein auffliegender Falke, auf der anderen, weißen, eine entsprechende in Gold gestickte Inschrift angebracht ist. Der Decan Poblocki sang eine feierliche Messe, bei welcher zwei uniformirte Sokols die Ministrantendienste leisteten; dann hielt derselbe eine Ansprache an die Turner, bewirkte die Ceremonie der Fahnenweihe und brachte einen Gedenk nagel an. Nachmittags fand ein Umzug durch die Stadt, Abends eine Festlichkeit statt. * Angermünde, 25. Juni. (Telegramm.) Auf das an den Kaiser von der 50sten Jahresversammlung des Brandenburgischen HauptvereinS der Gustav-Adolf-Stif- tung gerichtete Telegramm ist die nachfolgende Antwort ein gegangen: „Se. Majestät der Kaiser und König läßt dem Brandenburger Hauptverein der Gustav-Adolf-Stiftung für das Allerhöchstihm aus Anlaß der 50sten Jahresversammlung erneut zum Ausdruck ge brachte Gelübde unverbrüchlicher Treue herzlich danken und den segensreichen Bestrebungen des Hauptvereins auch ferner Gott»- Schutz und reichen Erfolg wünschen. Aus Allerhöchsten Befehl v. Luca«us, Geh. Cabinets-Rath." * Lpanda», 23. Juni. AuS dem technischen Personal unserer Wafsensabriken sind schon seit Jahren von aus ländischen Regierungen tüchtige Kräfte zur Errichtung und zum Betriebe eigener Waffenwerkstätten mit Vorliebe heran gezogen worden. Auch aus den preußischen Militairwerk- stätten hat das Ausland schon wiederholt geeignete Kräfte erhalten. Ein ähnlicher Fall liegt jetzt wieder vor. Die Republik Chile begehrt eine Anzahl von Personen, die in der Reparatur und Ergänzung von Artilleriematerial erprobt sind. Solche Leute stehen unserm Militair in den Waffen meisteraspiranten zur Verfügung, die, als ehemalige Artille risten und von Profession Metallarbeiter, in den königlichen Artilleriewerkstätten ihre specielle Fachausbildung erhalten und nach Bedarf zu Waffenmeistern bei der Artillerie be rufen werden. Auf Anfrage des Kriegsministeriums hat fick nun eine Anzahl dieser Leute vor Kurzem bereit finden lassen, zu günstigen Bedingungen in den Dienst der Republik Chile zu treten. * AuS Pose«, 22. Juni. Der „Kurher" veröffentlicht den Erlaß des Ministers deS Innern v. Puttkamer an den Oberpräsidenten von Guenther vom 5. November 1882, worin die Auskunft ertheilt wird, daß der König als Farben der Provinz Posen „Roth-Weiß" zu bestimmen geruht habe. Das Roth sei karmoisinroth. Nach Feststellung der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen waren die polnischen Landesfarben „Hellroth-Weiß". Das Blatt fordert die Personen, welche neulich wegen deS Aushäugcns von roth-weißen Fahnen Polizeistrafen erhalten hatten, dazu auf, unverzüglich Einspruch beim Gericht zu erheben. DaS „Pos. Tagebl." bemerkt dazu: „Daß die Veranstalter der Demonstrationen mit roth-weißen Fahnen nicht die Farben der preußischen Provinz Posen, sondern die pol nischen Farben vorführen wollen, wird im Ernst wohl nicht bezweifelt werden und ist obendrein vom „Przeglond", der gelegentlich der Gewerbe-Ausstellung vom Wegnehmen „unserer" Fahnen sprach, ohne Weiteres «ingeräumt worden. Zur Vermeidung von Irrungen wünschen wir deshalb die Abänderung der Provinzialfarben, etwa in schwarz-weiß, wozu eine Allerhöchste Ordre genügt." * Hannover, 25. Juni. (Telegramm.) Nach amt licher Feststellung wurde bei der heutigen Landtagsersatzwabl der zweite Director der Staatsarchive in Berlin vr. Sattler (natl.) mit 399 von 400 abgegebenen Stimmen wieder gewählt. Der Gegenkandidat Tischlermeister Heinze (Handwerkerpartei) erhielt eine Stimme. * BrcSlan, 24. Juni. Die KreiSsynode beschloß, bei der Provinzialsynode zu beantragen, gegenüber dem Duell unwesen entschieden Stellung zu nehmen, insbesondere möge da« Kircbrnregiment Vorschläge unterbreiten, wie die Kirche dem liebel steuere. Referent Professor Kaufmann führt« in der Begründung an«, da« Duell «rziebe Raufbolde, sei em
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