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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.01.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189901019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18990101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18990101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-01
- Monat1899-01
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.01.1899
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Di» Morgen-Ausgab« erscheint am Uhr, -t» tzlbeud-An-gab« Wochentag- um S Uhr. Filialri»: Dtt« Klemm's Sortim. (Alfred Hahu), Universitätssrraßr 3 (Paulinuss-), L»«i» Lösche. KaLarinenstr. 14, vart. »ich KöÄg-platz L Nrdaction und ErveLMo«: Johanne«,ässe 8. Die Expedition ist Wochentags nnunterbrocheH geLssuet von früh 8 bi« Abend» 7 Uhr, Vez«gS»PE Wl -« Hmlptexpedition oder den l« Ltadt» -«irk nnd den Bororten errichteten AuS- aavestellen abgeholt: vierteljährlich^4.50, vei zweimaliger täglicher Zuftellnng ins HanS>lü^0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 8.—. Directe tägliche Kreuzbandjendung int Ausland: monatlich 7L0. Morgen-Ausgabe. Mpziger TaMatt Anzeiger. Amtsblatt des Königliche« Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Molizei-Nmtes der Stadt Leipzig. AnzeigenPreiS bie 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg^ Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 ge spalten) bO/H, vor den Familieunachrichtr» (6 gespalten) 40/-. Größere Schriften laut unserem Preis- ve^ttch»tß. Tabellarischer und Zisfernsatz »ach höherem Torts. Extra-Bei läge« (gefalzt), aur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmrschluß für Anzeigen: Abend-An-gabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen »Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. vei den Filialen und Annahmestellen je eia» halb« Stund« früher. Anzeige» find stets an di, Egpetzitios zu richte». Druck und Verlag von E. Polz ia Leipzig». 2. Montag den 2. Januar 1899. 93. Jahrgang. Das 19. Jahrhundert. Bon Fried richThieme. Nachdruck verbeten. Ter Ausgang -es 18. Jahrhunderts. »Wie schön, o Mensch, mit Deinem Palmenzweige Stehst Du an Des Jahrhunderts Neige In edler, stolzer Männlichkeit, Mit ausgeschloss'nem Sinn, mit Geistesfulle, Voll nrilven Ernsts, in thertenreichrr Stille, Der reifste Sohn der Zeit —- Kein Geringerer als Friedrich Schiller ist es, der mit diesen stolzen Worten das 18. Jahrhundert verabschiedet. Aus ihnen athmet das hohe "Gefühl erhabener Befriedigung mit der Arbeit seines Jahrhunderts und seiner Zeit — das Zeugniß, da^ der Dichter seinem Säculum ausstellt, ist das beste, das er zu ver geben hat! Ganz anders spiegelt sich indessen im Sange eines Zeitgenossen Schiller's das scheidende Jahrhundert wider, gleich falls eitles Mannes, dessen Charakter die höchste Achtung und "dessen Wahrheitsliebe unser volles Vertrauen verdient: »Hier hält die Tyrannei mit ihrer Eisenruthe Noch blutig alte Büttelzucht. Invest geplündert dort ein Volk dem Astergnte Der Yrevelfreiheit flucht .... Von jeder Alpe bricht der Tod aus Feuerschliinden, Und in dem Waldstrom rauschet Blut; Der Heerdenhüter blickt mit Angst aus Felsengründen Nach seiner Hütte Gluth .... Durch Leichen schreiten kalt mit ihrer wilden Horde Die Tilly und die Attila, Als wär« wieder nun -mit ihrem wilden Morde Die Zeit des Faustrechts da . . . Der diese herzzerreißende Klage ausstößt, ist Johann Gott fried Seume, der edle Bauernsohn aus Thüringen, dem das Schicksal seines unglücklichen deutschen Vaterlandes aufs Tiefste zu Herzen ging. Kann es wohl größere Widersprüche geben als dies« zwei poetischen Ergüsse? Nein. Welcher aber hat Recht? Beide haben Recht. Nur schildert Seume die allgemeinen Zu stande am Ende des Säculums, während Schiller den geistigen und sittlichen Fortschritt der verflossenen hundert Jahre ver herrlicht. So weit, ruft er aus, haben die Menschen es in diesem Jahrhundert gebracht, diese hohe Stufe der Cultur und Wissen schaft haben sie erstiegen! Der Dichter redet die Wahrheit, aber er spricht nur von den begnadeten Einzelnen, in deren erhabenen Köpfen Wissenschaft, Humanität, Kunst und Gerechtigkeit ihren Sitz haben — rund um ihn herum aber speien Feuerschlllnde Tod und Verderben unter Taufende, blühende Landschaften liegen verheert, Städte und Dörfer in Asche, Fleiß und Armuth seufzen unter erdrückender Last — das Gespenst des Krieges schreitet zornblitzend über die Erde, und der Tod in seinem Gefolge hakt eine fürchterliche Ernte. Das ist die Signatur deS 18. Jahrhunderts, wie sie in beiden Poesien reflectirt: Aufklärung und Absolutismus! Die höchste Erleuchtung in einzelnen Köpfen, die durch die Heuchelei und Niedertracht des herrschenden Systems an Gott, Vaterland und Allem irr geworden, was bis -dahin der Menschheit heilig war, mit "dem Schwerte 'des Geistes aufräumt unter den alten Vor- urtheilen und Einrichtungen, seltsamer Weis« unterstützt von den selben Kreisen, gegen die ihr Zorn sich richtete, und sich freier geberdend unter dem Drucke des Absolutismus, als heutzutage Dichtung und Presse im Zeitalter des Parlamentarismus und der Preßfreiheit. In der großen -Masse aber das entsetzlichste Elend neben der krassesten Unwissenheit — raffinirter Luxus an dm Höfen, Noch und Verzweiflung in den Hütten. Ein Ludwig XV. in Frankreich, ein August der Starke in Sachsen, eine Katharina in Rußland — die meisten Fürsten jener Zeit sind Spielzeuge in den Händen ihrer Maitressen. Wie viel Flüche allein sich an den Namen einer Pompadour knüpfen! Was fragte die genußsüchtige Courtisan« nach den Thronen des Volkes? ..^pi-68 norm t« äölugo — nach uns die Sündsluth!" Und sie kam, aber sie sandte ihre Zeichen und Propheten voraus! Voltaire hieß der ein«, Rousseau der andere. Voltaire, der begabteste und Vielseitigste französische Schriftsteller des 18. Jahr hunderts, stellte sein reiches Talent, sein enormes Wissen, seinen alle Zeit schlagfertigen Witz in den Dienst der Aufklärung. Gegen Alles, was nur irgend mit dem überlebten System der damaligen Gesellschaft zufammenhing, zog er mit furchtloser Kühnheit zu Felde. Verfolgungen, Haß, die Bastille selbst vermochten den unerschrockenen Kämpfer nicht zu schrecken. Aberglaube, politisch« Mißbräuche, Absolutismus, Heuchelei, Alles diente seinem beißenden Spott zur Zielscheibe, oftmals schoß er dabei über das Ziel hinaus, aber seine Zeitgnossen, mit ihm einig in ihrem Haß, nahmen begeistert jedes seiner Werke entgegen. Er war der Mann des Niederreißens, was nachher wurde, kümmerte ihn nicht. Doch die Zeit hatte auch für den Baumeister gesorgt, der das von Voltaire zurllckgelassene Chaos wieder ordnen und neue Gebäude an die Stelle der eingerifsenen setzen sollte. Dieser Baumeister war Jean Jacques Rousseau, der Bürger von Genf; dieser kränkelnde, pessimistische, schwärmerische Philosoph ver kündete den Menschen das Evangelium der Freiheit und Gleich heit. Dieser an den Grenzen des Wahnsinns streifende Schwärmer — wie Rudolf von Gottschall einmal treffend be merkt — hatte jene Eingebungen des Genius, welche das ganze Staatsrecht der Vergangenheit über den Haufen warfen und dem Leben der Menschen neue Bahnen vorzeichneten. Rousseau's Oontrrrt 8ocial war die Verfassung der Zukunft, wie sein kimile das Evangelium der Erziehung war. Beide Männer zusammen, Voltaire und Rousseau, übten eine furchtbare Macht auf ihre Zeit aus, sie waren die Schöpfer sowohl der geistigen als der politischen Revolution. Eine Reihe gleichgesinnter Philosophen, Dichter und Gelehrter kämpfte an ihrer Seite, Allen voran die Encyklopädisten Diderot, Alembert, Grimm. Holbach schrieb sein „System der Natur", Jlettria (1746) sein berüchtigtes Buch:-„Der Mensch eine Maschine". Der Materialismus erhob sein Haupt, um nach kurzem Triumph noch im selben Jahrhundert von dem Königsberger Weisen mit wuchtigem Hiebe zermalmt zu werden. Der Einfluß der französischen Philosophie rief auch in den übrigen Ländern, vor Allem in Deutschland, eine Gährung der Geister hervor. Lessing bearbeitete dm Boden der nationalen Literatur, für welche Friedrich der Große di« äußere Grund lage schuf; der Umschwung, den er im deutschen Geistesleben bewirkte, war ein gewaltiger: gar bald brodelte und schäumte es in den Köpfen der Jugend, die Sturm- und Drangperiode hob an, die Zeit der Klinger, Lenz, Leisewitz, Gerstenberg, doch so absurd der Most sich auch gckberdete, er gab zuletzt doch Wein, und zwar den köstlichsten. Aus dem heilsamen Gährungsproceß rangen sich überlegene Geister zur inneren Reife empor, Bürger, Klopstock, Herder, Wieland erstanden der jungen Literatur, Goethe und Schiller traten auf, die leuchtenden Sonnen am deutschen Olymp. Der Philosophie erwuchs ein Jmanuel Kant (1724 bis 1804), der Schöpfer der „Kritik der reinen Vernunft", einer Kritik, welche di« christliche Scholastik wie die materialistische Aufklärung mit gleicher Wucht zermalmte. Von ihm gingen di« berühmtesten Philosophen des neuen Jahrhunderts aus, seine Prinzipien erlangten ihren begeisterten Ausdruck in Schiller's Dichtungen. Ebenso gewaltig wie auf dem Gebiete der Dicht kunst und Philosophie vollzog sich die Geistesrevolution auf dem Gebiete der Erziehung. Rousseau's Umile hatte die alten Grund sätze und VorurtheiTe von ihrem ehrwürdigen Piedestal herab gestürzt, er gebot die Erziehung des Menschen nach den Prin- ci-pien der Natur, und eine Anzahl Volks- und Jugendfreunde beeilten sich, sein« Theorie in Wirklichkeit umzugestalten. Pesta lozzi, Campe, Basedow, Salzmann wirkten in seinem Geiste, Ersteren nennt die moderne Volksschule noch heute mit Stolz ihren geistigen Vater, und Campe's treffliche Jugendschriften er freuen sich unter unseren Kindern noch derselben Beliebtheit wie unter der Jugend des scheidenden 19. Jahrhunderts. Die übrigen Künste und Wissenschaften blieben nicht zurück. In der Kunst herrschte der Classicismus, die classisch-antiken Formen dienten als Ideale, die Natur trat mehr und mehr in ihre Rechte. Di« Malerei verzeichnet Namen wie Chodowiecki, Angelika Kauffmann, Raphael Mengs, Carstens, David u. s. w., die Bild hauerei rühmt ihre Canova, Thorwaldsen, Dannecker, die Ton kunst vertraten Haydn, Mozart, Beethoven, Gluck, die Schauspiel kunst Eckhof, Jffland, Garrick u. s. w. Die Naturwissenschaften bereiteten schon den Triumphzug vor, der sie durch das nächste Jahrhundert führen, und diesem den Namen des naturwissen schaftlichen sichern sollte Der Schwede Linnö schuf eine neue Methode der Namengebung und systematischen Darstellung, der Franzose Büffon drang tiefer in die Erscheinungen der Natur ein, und suchte die einzelnen Beobachtungen durch allgemein« Ideen zu verbinden. Der geniale Schneiderssohn Caspar Fried rich Wolff veröffentlichte schon 1759, also ein Jahrhundert vor Erscheinen des Darwinschen Buches über d«n Ursprung der Arten, eine die modernen Gedanken in ihrem Schooß« tragende Theorie der thierischrn Entwickelung. Alexander von Humboldt trat 1799 seine bahnbrechende Forschungsreise nach Südamerika an, nachdem James Cook (1728 bis 1779) schon vorher auf seinen großen Entdeckungsreisen die Entdeckung Australiens vollendet hatte. Immer mehr erweiterte sich der geistige Blick der Menschheit; wie sie auf der einen Seit« immer tiefer ein drang in die noch unbekannten Regionen des Erdballs, so ver suchte sie auf der anderen die Geheimnisse der Natur an der Hand der neugewonnenen Erfahrung zu entziffern, und Chemie, Technik und Kunst bemühten sich gemeinsam, die neuen Er rungenschaften für di« Allgemeinheit nutzbar zu gestalten. Die Erfindungen des Porzellans, der Dampfmaschine, des Blitz ableiters, des Luftballons und des Steinkohlengases erregten nicht nur das Interesse der Gebildeten, sondern riefen auch bereits be deutsame Hoffnungen wach, obwohl Niemand eine Ahnung von den stolzen Erfolgen hegte und hegen konnte, welche den nächsten Jahrzehnten auf den Gebieten des Dampfes, der Elektricität und Beleuchtung beschieden sein sollten. Kein Dampfboot durchfurchte noch die Fluthen der Ströme und Meere, kein Eisenbahnzug brauste den eisernen Schienenstrang entlang — vom elektrischen Telegraph, vom Telephon und Phonograph ließ sich ebensolyenig Jemand etwas träumen, wie von der Erfüllung der deutschen Hoffnungen durch die Gründung eines mächtigen Kaiserthums. Denn schon damals regte sich in den edelsten Seelen der natio nale Gedanke; entfacht und angeblasen durch die Thaten eines Friedrich, dessen Ruhm aus den Liedern der vaterländischen Dichter und Sänger Wiederklang. Das Elend der Kleinstaaterei lastete schwer auf allen Gemüthern, hemmte die Entwickelung von Handel und Industrie und lieferte Deutschland dem Ausland in di« Hände. Die Volksbildung stand dabei trotz aller Fortschritte der Wissenschaft, trotz aller glänzenden Triumphe der Kunst, auf der niedrigsten Stufe — nicht nur in den ärmeren Kreisen re gierten Aberglaube und Unwissenheit, auch die Bildung der wohl habenden Elasten war fast durchgängig nur eine oberflächliche und äußerliche, so daß Betrüger wie Cagliofiro und St. Ger main, Charlatane wie Mesmer einen weiten Kreis von Gläubigen und Anhängern fanden. Und nun — am Ende des Jahrhunderts — brach die Sünd- fluth herein. Di« Größe -der Katastrophe entsprach der Größe der hundertjährigen Mißwirthschaft, welch« Frankreich aus gesaugt und zerrüttet hatte. Das alte System brach zusammen, Ströme von Blut wurden vergossen, die Guillotin« forderte ihre unzähligen Opfer. Aber die Schrecken dieser Revolution waren die Wehen einer neuen Zeit, sie bezeichnen den Beginn des Um schwungs der europäischen Verhältnisse. Sowohl die Revolution als Napoleon stellten sich, wenn auch als herrisch«, so doch noth- wendige Werkzeuge der allgemeinen Entwickelung dar; so um endlich wir die Greuel der Umwälzung auch verabscheuen, so- hasienswerth der corsische Usurpator, dessen Herrschaft Europa ein Viert«ljahrhundert lang mit Blut düngte, uns erscheint, so können wir doch jetzt nicht mehr verkennen, daß die schönsten Früchte, die wir vom Baume des jetzigen SäculmnS gepflücki haben, aus den Keimen der gigantischen französischen Katastrophe entsprossen sind. Ein tief«r Widerspruch hatte sich gebildet zwischen der geistigen Bildung und dem staatlichen Dasein — daß die politische Entwickelung der geistigen und künstlerischen in unserem Jahrhundert im Wesentlichen zu folgen vermochte, ver danken wir der französischen Revolution, welche die alten Miß bräuche über den Haufen warf, und Napoleon, der die neuen Ideen, wie einst Muhammed seinen Glauben, mit Feuer und Schwert über di« Erde trug. Mochte der wilde Gährungsprozeß zunächst die seltsamsten Gebilde und Fratzen zusammenbrodeln, die endliche Klärung blieb nicht aus. Die politischen^Zrrungen- schaften jener unheilvollen Periode, obwohl abgezwungen und widerwillig gegeben. können dem Volke nicht Widder dauernd ge nommen werden. In zwanzig Jahren wurde mit dem Sturm schritt der unerhörtesten Aufregung eine Entwickelungsperiod« von 100 Jahren zurückgelegt: Deutschland nahm als Ernte der schweren Jahre sein nationales Bewußtsein, die bürgerliche Freiheit und Selbstständigkeit, seine politische Verfassung hin weg und schuf dadurch erst die Basis, auf welcher Handel, In dustrie, Kunstgewerbe, Kunst und Wissenschaft weiter zu bauen vermochten. Eins wurzelt im Anderen, greift ins Andere — die französische Revolution ist der Schlüssel zu den Triumphen des 19. Jahrhunderts, wie die Katastrophe die schließliche Abrechnung des 18. war. So überschreiten wir die Schwelle des Jahrhunderts: an ihr steht, ein drohender Kriegsgott, Napoleon Bonaparte, nachdem Klio mit dem blutigen Griffel den 18. Brumairr (9. November 1799) auf das letzte Blatt des Jahrhunderts eingetragen hatte. Durch einen Staatsstreich der Consul Frankreichs, richtet er seine Blicke auf Europa, das nun bald widerklingen wird vom Schritt seiner Bataillone, und dessen Fürsten und Völker sich beugen werden vor dem Machtwort feines Willens! Ter Gang -er Weltgeschichte im 19. Aahrhun-ert. Tie Lahre 1801 bis 185«. Die ersten 15 Jahre des 19. Jahrhunderts gehören fast aus schließlich der politischen Geschichte. Mit Kanonendonner wurde es so recht eigentlich eingeweiht. Rein von der politischen Seite betrachtet, könnte man es auch das Jahrhundert des nationalen Gedankens n«nn«n, denn nicht blos in Deutschland, sondern auch in anderen Staaten machte die nationale Idee sich geltend und errang den Sieg. Kein anderes Reich aber blühte so mächtig, so stolz empor, wie Deutschland. An der Pforte des Jahrhunderts erblicken wir es in seiner tiefsten Erniedrigung, am Ausgang aus der Hohe der Entwickelung. Am 18. Mai 1804 war Napo leon I. mit 3 572 329 Stimmen zum erblichen Kaiser der Fran zosen erhoben worlxn. Die politische Lage trug zur Zeit seiner Thronbesteigung einen verhältnißmäßig friedlichen Charakter, nur mit England lag der Corse im Streit, weil die englische Re gierung sich nicht nur weigerte, Malta zu räumen, sondern auch ihrerseits verschiedene Forderungen, betreffend Zurückziehung französischer Truppen an ihn stellte. Bieeits 1803 hatte Napo leon Hannover besetzt; sein Plan ging dahin, eine Arme: in England selbst zu landen, doch die Vernichtung der französisch spanischen Flotte bei Trafalgar (2b. October 1805) durch den FeitiHetsn. Der Zauberer. Eine heitere Neujahrsgeschichte von Friedrich Thieme. Nachdruck vcrdolen. Sylvesterabend! In einem reservirten Zimmer des Gasthofes zum Stern saßen vier junge Leute fröhlich beisammen. Eigentlich waren es nur drei, der vierte, der Ingenieur Gerhold Welker, legte mehr eine gezwungene Lustigkeit an den Tag, die mit seinen diversen Seufzern und dem Stirnrunzeln und Augenniederschlagen er heblich contrastirte. „Zum Kuckuck, Welker, was hast Du nur?" machte endlich Doctor Bärmann, der junge Arzt des Städtchens, seinem Un- muth über die schwermüthigen Manifestationen des Freundes Luft. „Ist Dir eine Kreuzspinne über den Weihnachtsstollen gelaufen? Oder hat Fräulein Laura heute Morgen rin schiefes Gesicht gezogen?" „Verzeihung, liebe Freunde", erwiderte ernst der Ingenieur. „Ihr kennt ja meine Sorgen." „Papperlapapp, die schlage Dir heute aus dem Kopfe", räsonnirte Provisor Mehner. „Heute?" gab Gerhold wehmüthig zurück. „Ist nicht gerade heute um so mehr Anlaß für mich, über mein Schicksal nach zugrübeln? Während andere den Antritt des neuen Jahres im frohen Familienkreise erwarten, muß ich einsam in der Kneipe sitzen und —" „— mich mit ein paar langweiligen Freunden herumärgern", ergänzte der Bankbuchhalter Franz zornig. „Schönes Compliment für uns — Du weißt wohl nicht, mein Freund, wie grob Du bist?" Gerhold lächelte und sagte: „Nichts für ungut. Ihr wißt, wie lieb und Werth mir Eure Gesellschaft ist. Aber heute hatte ich mich darauf gespitzt, mit Jemand zusammen zu sein, mit dem Ihr die Concurrenz nicht aushaltet." „Hoch lebe die schöne Laura", rief der Doctor enthusiastisch, und hielt dem Ingenieur sein Gla» zum Anstößen hin. Alle thaten desgleichen, auch Gerhold acceptirte freudig die der Geliebten zugedachte Ehrung, worauf er noch weiter zu seiner Entschuldigung bemerkte: „Nicht da» allein ist'», Kinder, — auch meine pecuniären Angelegenheiten machen mir Kopfschmerzen — ich weiß mir wahrlich keinen Rath mehr." „Dein Onkel hat Dir also wirklich nicht geantwortet?" fragte der Bankbuchhalter. Gerhold schüttelte mißwuthig den Kopf. „Der Sonderling hat seit zwanzig Jahren nichts von sich hören lassen, warum sollte er zu meinen Gunsten eine Ausnahme machen? Und ich hatte ihm doch so beweglich, so ergreifend meine Verhältnisse geschildert! Indessen — lassen wir uns nicht stören, ich will mich bemühen, um Euretwillen für den Moment zu vergessen." „Recht so; wir sind nun einmal Junggesellen und müssen mit der Kneipe fürlieb nehmen", sagte der Doctor lachend. Da trat der Wirth herein und meldete, daß drüben in der Gaststube ein einsamer Gast sitze, d«r anfragen lasse, ob er sich nicht den Herren anschließen dürfe. Er sei fremd in der Stadt, vor ein paar Stunden erst angelangt, logiere hier und finde es doch gar so traurig, am Sylvesterabend so ganz der eigenen Gesellschaft über lassen zu sein. „WaS ist's denn für eine Art Mensch?" fragte der Provisor. „O, ein anständiger, feiner Mann —" „So bringen Sie ihn in St. Sylvester's Namen herein", meinte der Buchhalter gutmüthig. Eine Minute später trat der Fremde ein, ein schwarz ge kleideter, langer, hagerer Mann in älteren Jahren, mit grauem Haar, großer Brille und goldener Uhrkette. „Sie verzeihen, meine Herren", führte er sich mit eleganter Verbeugung ein, „mein Name ist Polter. Ich bin fremd und das Local drüben ist öde. Empfangen Sie für Ihre freundliche Bereitwilligkeit meinen verbindlichsten Dank und gestatten Sie mir, Ihnen denselben dadurch wenigstens zum Thril abzutragen, daß Sie mir erlauben, den heutigen Sylvesterpunsch auf meine Rechnung zu nehmen." Die Herren wollten erst Einwendungen erheben, aber der Fremde bat so angelegentlich, daß sie schließlich zustimmtcn — „warum auch nicht?" sagte der Doctor, „wir sind alle keine Finanzgenies", und der Provisor fügte hinzu: „Viel Selbstgefühl und kühner Muth, Herr Polter, denn — unter uns — wir können etwa» vertragen!" Dann allgemeine Vorstellung, worauf der Fremde Platz nahm und sofort an der Unterhaltung so lebhaft sich betheiligte, daß seine Ankunft gar keine Störung in der kleinen Gesellschaft be wirkte. Im Gegentheil, Herr Polter zeigte sich al» ein Mensch von seltenen gesellschaftlichen Talenten, er sprudelte über von Anekdoten und Abenteuern, kannte alle möglichen Länder und Städte, war sogar in Australien und Amerika gereist und stand dab«i im Trinken seinen Mann wie ein Corpsstudent. Bald herrschte die größte Vertraulichkeit und Heiterkeit, und der Punsch that das seinige, die fröhliche Stimmung in steigendem Tempo zu erhalten. „Noch eine Stunde", sagte endlich der Doctor, „und das alte Jahr ist todt!" „Möchte das Neue jedem von uns seine Lieblingswünsche er füllen", setzte der Provisor hinzu. „Das gebe der Himmel", seufzte Gerhold. „Was wünschen sich die Herren denn?" fragte der Fremde. Der Buchhalter lachte und erwiderte: „Das ist leicht zu er- rathen, Herr Polter. Der Doctor eine einträgliche Epidemie, der Provisor eine Apotheke, ich das große Loos —" „Und dieser Herr?" forschte Polter, auf dem Ingenieur deutend. Gerhold erröthete und schwieg. „Warum machen wir es nicht, wie meine Logiswirthin?" nahm da der Provisor wieder das Wort. „Jeden Sylvester abend kurz vor 12 Uhr begiebt sie sich ganz solo in ein dunkles Zimmer, stellt sich vor einen verhängten Spiegel, und sobald der erste Schlag der zwölften Stunde ertönt, nimmt sie das Tuch fort und guckt in den Spiegel hinein. Sie behauptet, man könne dann sehen, was im neuen Jahre geschieht." „Aber sie hat noch nie etwas gesehen?" fragte der Arzt. „Weiß nicht, glaube es aber, denn sie hat den Kopf von Spuk, Anzeichen und ähnlichem Zeug nur so voll." Alles lachte, nur der Gast nahm eine ernste Miene an und erklärte: „Meine Herren, behandeln Sie die Sache nicht so wegwerfend — ich selbst könnte Ihnen Dinge erzählen, bei denen Ihnen die Haare zu Berge stehen." „Los", riefen der Doctor und der Buchhalter zugleich. Herr Polter ließ sich nicht lange bitten, und so kam bald ein regel rechter Gespensterdiscurs in Gang, in welchem die Telepathie, Sympathie, Theurgie, Stichometrie, Belomantie, Divination und andere mit der subtilen Materie zusammenhängende Eigen schaften, Künste und Seltsamkeiten eine Rolle spielten. Der Fremde hatte gerade wieder eine schaurige Legende er zählt, in welcher das Tischklopfen vorkam, als der Provisor ihn mit der Bemerkung unterbrach, es werd« ihm ganz unheimlich. „So was paßt für den Sylvester", meinte der Arzt, „'s ist Alles Humbug." „Das sagen Sie nicht", sagte ernst der Fremde. „Wenn Sie sonst wollen, können wir uns durch ein Experiment von der Wahrheit der Geschichte überzeugen." „Sie sind wohl gar ein Medium." „So etwas Aehnliches", versetzte Herr Polter gravitätisch. „Wer von Ihnen hat besondere Ursache, über die nächste Zukunft Aufklärung zu erhalten? Es muß ihm aber wirklicher Ernst sein, denn die Geister lassen nicht mit sich spaßen." „Gerhold, da könntest Du mal Dein Glück versuchen", spottete der Doctor. „In der That, Sie scheinen betrübt, Herr Ingenieur", griff der Gast die Bemerkung auf. „Ich habe aus Ihrem Benehmen während des Abends herausgefunden, daß Sie irgend ein kleiner Kummer drückt. Wenn Sie den Versuch machen wollen?" Gerhold lehnte anfangs ab, wurde aber schließlich von den Freunden überredet, da diese sich von dem Abenteuer einen guten Spaß versprachen. „Wollen Sic mir anvertrauen, welcher Art Ihre Wünsche sind? Ich bin fremd, Sie brauchen sich also nicht zu geniren." Nach einigem Zögern willfahrte der Ingenieur, durch rin Etwas in den jetzt ordentlich feierlichen Zügen des Fremden be stimmt, „'s ist kein Geheimniß dabei", gab er zur Antwort. „Erstens habe ich Schulden — kein« leichtsinnigen, sondern solche, die ich contrahiren mußte, um meine durch den plötzlichen Tod meines Vaters, der mir nichts hinterließ, gefährdeten Studien vollenden zu können. Um die einzelnen Beträge los zu werden, nahm ich vor zwei Jahren eine größere Summe gegen Wechsel auf, nun will der Darleiher nicht länger warten, er droht mit Execution, ich verliere meinen Posten, wenn ich das Geld nicht schaffe. Zweitens besitze ich eine Geliebte, schön, gut, ein wahres Kleinod. Doch ich bin arm, meine Existenz ist noch unsicher, deshalb verweigern mir ihre Eltern ihre Hand. Ja, es ist sogar Gefahr im Verzüge, da der Vater ihr einen anderen Bräutigam aufdrängen will; in meiner jetzigen unsicheren Lage darf ich gar nicht wagen, ernstlich um sie anzuhalten; wenn mir nicht Hilfe kommt, ist sie mir verloren. In meiner Noth schrieb ich — um das Dritte — an einen Bruder meiner Mutter, meinen Onkel Stephan Horst. Dieser soll in seiner Jugend ein lustige» Blut gewesen sein, ist weit in der Welt herumgezogen, dann ganz verschwunden. Seit 20 Jahren hat er an seine einzige Ver wandte, meine Mutter, nicht mehr geschrieben. Wir erfuhren
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