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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.01.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990109028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899010902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899010902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-09
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Die hetzerische und zugleich auf Einschüchterung der Regierungen berechnete Anfrage der Berliner Leitung des Bundes der Landwirthe ist an dem Widerstande der dem Bunde der Landwirthe freundlich gegenüberstehenden Parteien kläglich gescheitert nnd hat einer von ihr nach Inhalt und Form total abweichenden, sehr wenig aufregenden Fassung Platz gemacht. Demgemäß wird auch ihre Besprechung, für die zwei Tage in Aussicht ge nommen sein sollen, voraussichtlich auch dann noch ruhig verlaufen, wenn die BundeSdirectoren und die socialdemo kratisch-demokratische Linke ihren Agitationslärm in den Reichs tag verpflanzen sollten. Eine sachliche Behandlung liegt vor Allem im Interesse der deutschen Landwirtbsckast, die bei dem Umfange, den die Viehsperre angenommen bat, bei etwaigen Aenderungen nichts zu gewinnen und nur zu verlieren hätte. Auch die „große Politik" dürfte den Reichstag in der nächsten Zeit kaum in Er regung versetzen. Zunächst wird man in Wandelgängen nnd Restaurant sich den Kopf darüber zerbrechen, was daö Centrum mit dem Grafen PosadowSky vorhabe. Der Antrag Lieber, daS Gehalt dieses Staatssccretairs zu kürzen, ist eingebracht, sonst hätte die „Germania" dies nicht gemeldet. Daß er der Budgetcommission und nicht dem Plenum vorliegt, bestärkt nur die Ansicht, daß es sich bei diesem Schritte des Centrums nm eine leise Warnung deS Grafen Posadowsky handelt. Wir vermögen nicht zu sagen, wo er im politischen Kartenspiel durch Nichtbeachtung der Farbe, die „Trumps" ist, einen Fehler gemacht hat. Aber wir sind überzeugt, Graf Posadowsky wird einen etwa ver schuldeten „Schritt vom Wege" nach sanfter Vermahnung in der Budgetcommission, wahrscheinlich sogar schon vorher, zurückthun und fürder ohne Seitensprünge die Bahnen der Cenlrumsfurcht wandeln. Nicht wegen der schnöben 6000 Mark, die ihm ohne die unerreichbare Zustimmung des Bundesraths gar nicht genommen werden könne», sondern nm der Corrcctheit deS Modespielcs willen. Ossiciell wird der Antrag Lieber wahrscheinlich mit der Absicht einer Pression zu Gunsten der Gebälteraufbessernng der Unterbcamlen begründet werden, aber Graf Posadowsky bat schon verstanden: ein ihm recht nahe stehendes Preßorgan bemerkt, der Antrag könne nur bezwecken, „die Thätigkeit deS NeichSamts des Innern nach der persönlichen Seite vertiefen zu können". Wir sind, wie gesagt, der Zuversicht, daß eS dazu nicht kommt und die herrschende Partei vorher begütigt wird. Jedenfalls kann die Sache nicht schlimm werden. Auch aus der lippischen An gelegenheit, die in einem anders gearteten Reichstage mit nutzbringender Offenheit verhandelt werden könnte, wird der Negierung kein schweres parlamentarisches Stündchen erwachsen. Die Sache gelangt ja zur Be sprechung und zwar, wie es heißt, noch nn laufenden Monat. ES liegt schon seit Beginn ein von dem Abgeordneten für Lippe an erster Stelle unterzeichneter Antrag, betreffend -aS Recht ter bundesstaatlichen Gesetzgebung zur Regelung von Erbfolgefragen, war. Der nominelle Antragsteller wäre, auch wenn er nicht der politische Untergebene des Herrn Eugen Richter sein würde, kaum der Mann dazu, die Lage und Stimmung in Lippe in ruhiger und eindrucks voller Weise zu schildern, und von den nationalen Parteien trauen wir keiner einzigen zu, daß sie sich durch eine freimülhige Beleuchtung der rcichspolitischen Folgen der Er regung und Fortführung deS Streites die Finger verbrenne. So wird in freisinniger und socialdemokratischer Tonart wiedergegeben werden, was man in Lippe denkt und em pfindet. Die „Lipp. LandeSzeitung" hegt die größten, auch von uns geäußerten Besorgnisse, daß die Beunruhigung deS Ländchens nach der „Entscheidung" deS Bundesraths weiter gehen wird. Was das heißen will, zeigt eine Feststellung deS genannten, keineswegs radicalen Blattes. Es schreibt: „Seit mehr als drei Jahren wird im Lande in unerhörter Weise gehetzt und geschürt." Auch wirtbschastliche Nachtheile, versichert die „L. Landesztg.", sind aus der Berliner Campagne erwachsen, und wir haben Gründe, diese eigentlich unglaub lich klingende Angabe für richtig zu halten. Mit der an dieser Stelle schon vorgetragencn Begründung verlangt auch das lippische Landesorgan die schleunige landesgesetzliche Regelung der Erbfolge, damit „der Bnndesratb mit dem Gesetz eines deutschen Bundesstaates zu rechnen" hat. „Dann", so beißt eS weiter, „würde der Bundesrath es sich allein um des Präjudizes willen sehr überlegen, ob über ein solches Landcsgesetz hinaus eine solche Entscheidung gefällt werden darf." In abhängigen oder liebedienerischen Organen ist zu lesen, der Bundeöralh habe seinen Beschluß nahezu einstimmig gefaßt. Die Minderheit betrug aber, wie unsere Leser wissen, 10 Stimmen. Das will unter 58 Stimmen schon numerisch etwas bedeuten und eS bedeutet bei einer Verfassungsfrage in einer Körperschaft wie dem Bnndesratb politisch sehr viel, zumal da der zweitgrößte Bundesstaat, Bayern, zu den Unterlegenen gehört. DaßSachsen, dessen KönigderSchiedsrichter in dem ersten lippischenRegentschaftsstreite gewesen, sich bei der Mehrheit befindet, wurde von der eben gekennzeichneten Presse >md dem — Telegraphen weidlich ausgebeulet. Nur vergißt man, zu erzählen, daß, wie die „Nativnalztg." alsbald nach der Beschlußfassung und ohne Widerspruch zu erfahren, mitgetbeilt hat, die Entscheidung des Bundcsraths das Ergebniß eines Compromisses zwischen einem preußischen, den Ansprüchen der Schaum burger weit entgegenkommenden Antrag und einem säch sischen ist, der — unter Wahrung der Zuständigkeit des BundeSrathS — die Berechtigung der lippischen Landesgesctz- gebuug zur Regelung der Erbfolge anerkannte. Sachse» hat also den — angenommenen — Vermittelungsantrag gestellt, um Schlimmeres zu verhüten, eine Thatsache, die nicht ge stattet, das Verhalten der sächsischen Negierung als eine Rechtfertigung der Behandlung, die die Angelegenheit von Preußen erfährt, hinzustellen. Davon wird Wohl im Reichs tage nicht die Rede sein, aber das ändert an dem Sach verhalte nichts. Der „Nationalliberalen Correspondenz" wird von gut unterrichteter Seite geschrieben, im BundeSrathe bestehe die Geneigtheit, den ß 2 des JesuitcngesctzcS, nach dem ausländische Jesuiten ausgewiesen und einheimischen Aufent haltsbeschränkungen auferlegt werden können, aufzu heben. Weiler heißt es in der Zuschrift: „Die im Reichstage bevorstehende Berathung des wiederum vom Centrum eingebrachten Antrages auf vollständige Auf hebung des Jesuitengesetzrs wird möglicherweise Aeußerungen vom Bundesrathstische aus veranlassen, welche Klarheit darüber bringen. Thatsache ist, daß der 8 2 deS genannten Gesetzes seit langen Jahren nicht mehr zur Anwendung gelangt ist und daß sich der Reichstag wiederholt für seine Aufhebung erklärt hat. Die Aushebung des genannten Paragraphen würde insofern eine klarende Wirkung auszuüben vermögen, als sie nur die eine Deutung zuließe, Laß die Reichsregierung zwar gewillt ist, auf ent behrliche Kampsbestimmungen zu verzichten, aber um so fester an der principiellen Grundlage des Gesetzes frsthält, wonach Ordcnsniederlassungen der Jesuiten in Deutschland durch Reichsgesetz verboten sind." Hierzu bemerkt die genannte Correspondenz: „Vorab in diesem Puncte sind wir skeptisch. Auf so seine Unterscheidungen läßt sich die öffentliche Meinung nicht ein; sie wird eher geneigt sein, anzunehmen, daß man bereits den kleinen Finger gereicht, wo man die Hand unter allen Umständen ver sagen muß. Auch wird das Centrum, daS das ganze Jesuitengejetz beseitigt sehen will, nicht damit zufrieden sein. Zugegeben schließlich, daß 8 2 seit langen Jahren nicht zur Anwendung gekommen sei, so möchten wir doch, ehe der Bundes rath sein Votum faßt, daran erinnern, daß vor andert halb Jahren, kurze Zeit nachdem der Reichstag über Liese Frage zum letzten Male berathcn, aus Posen Jesuiten nach Oesterreich zurückgingen, nachdem sie in polnischer Sprache ohne Aufenthalts- erlaubnib Missionen abgehalten, — gerade, als die Polizei sich mit ihrer Ausenthaltsberechtigung befassen wollte, nnd daß ein polnischer Propst da» Vorgehen der Polizei dagegen mit Klagen wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt zu beantworten versuchte." Sollten diese Jesuiten vielleicht in der Gegend gewirkt haben, wo die Vorgänge, die soeben zur Vernrtheilung einer Frau wegen Verleumdung eines deutschen Lehrers geführt haben, sich abjpielten, oder bedarf eS zur Vergiftung gläubiger Gemüther, wie sie dieser Proceß an» Licht gezogen, nicht mehr äußerlich dem Jesuitenorden angehöriger Herren'? Diese Fragen sich vorzulegen, haben freilich die Leser der „Germania" keinen Anlaß. Denn daS CcntrumSblatt hat den Proceß von Jnowrazlaw mit keiner Silbe erwähnt. Wir haben sogar unter de» „kirchlichen Nachrichten" nach einem Berichte gesucht, weil wir geglaubt hatten, der den Maschen des Gesetzes entschlüpfte Prälat WolinSki, der Protokollführer der verurtheiltrn Verleumderin, sei nicht mehr zum Amt eines katholischen Geistlichen qualificirt; wir haben aber nichts gefunden. Was die Frage des Jesuitengesetzes angebt, so ist den Ausführungen der „National!. Corr." hin zuzufügen, daß mit der Aufhebung des 8 2 die gesetzliche Handhabe wegsiele, Uebertretungen des 8 1 zu ahnden. ES war vorauSzusehen, daß die Auslassungen des englischen Blaubuches über Madagaskar in Frankreich das größte Aufsehen machen würden, denn sie lasten in ihrer gereizten und provocanten Sprache nur zu deutlich erkennen, daß man sich in Paris in falscher Sicherheit gewiegt hat, wenn man der Meinung gewesen ist, den überlegenen Gegner durch den unrühmliche» Rückzug in der Faschoda-, oder richtiger in der Sukanfrage zu beschwichtigen und von weiteren Vexalionen abzuballen. Jetzt geht auch den Bestgläubigen an der Seine ein Lickt auf, das die Augen beizt. Wir erwähnten schon kurz die Auslastungen des „TempS". Nach einem ausführ lichen Telegramm der „Franks. Ztg." führt das ofsiciöse Blatt des Näheren au»: Diese Publication (das Blaubuch) scheint anzuzeigen, daßbeiden leitenden englischen Staatsmännern die Absicht besteht, die Mißstimmungen zu verschlimmern, die seit einigen Monaten die Beziehungen der beiden Länder nur zu sehr störten. Nach dem unbestreitbaren LiplomatischenErfolgEnglands in derFaschoda- Angelegenheit durste man erwarten, daß die englische Regierung der wahrhaft freundschaftlichen Gutwilligkeit Rechnung trage, wovon Frankreich eine Probe ablegte, zumal da England nichts that, um Frankreich das Nachgeben zu erleichtern, vielmehr Salisbury Len Anschein erweckte, als ob er die kluge Handlungsweise Delcasft's noch erniedrigender und peinlicher machen wollte. Der„Temps" bedauert dann, daß die englische Presse die in Shanghai und Siam ausgetauchten geringfügigen Fragen entstelle und ausbaosche, sowie Frankreichs frühere Politik fälschlich als provokatorisch hin stelle. Tos Blatt schließt: „All' das enthüllt de» Gemüths- znstand, der unheilvoll werden könnte. Die Presse und besonders die Regierungen hätten die Pflicht, zu vermeiden, was das Unheil vergrößert. Kann man aber sagen, daß daS Labinet von Saint James diese Pflicht begreift und übt? Wir unsererseits haben »ine ganz andere Auffassung von der Rolle der leitenden Staatsmänner und der Presse der beiden Länder in dieser kritischen Stunde." Aehnlich äußern sich die„D6batS", England scheine sich vorgenommen zu haben, seine Beziehungen zu Frankreich nach und nach zu erschweren und Ipannender zu gestalten. Anders sind in der That die fortgesetzten englischen Anzapfungen nicht zu versieben und anders Haden wir auch die fortgesetzten englischen Rüstungen nicht verstanden. In England hält ein großer Theil der öffentlichen Meinung eS für die einzig richtige Politik, mit Frankreich abzurcchnen und Frankreich zu schwächen, ebe Ruß land im Stande ist, ihm beizuspringen. Dann hätte man cs ernstlich nur noch mit Rußland zu schaffen, daö man ohne Bundesgenossen oder mit einem durch einen unglücklichen Krieg geschwächten Frankreich an der Seite sich nicht gewachsen glaubt. Es hat allen Anschein, daß die englische Regierung entschlossen ist, der Volksslimmung nachzugeben. Dafür spricht eben unter Anderem der höchst unfreundliche Ton deS BlaubucheS, dafür die scharfe Zurückweisung der französischen Ansprache im Hangtse-Gebiet, daher der starke Druck, den England in Gemeinschaft mit den Vereinigten Staaten auf die Pekinger Regierung aueübt, um einer Vermehrung des französischen Einflusses im Nordosten Chinas cntgegenzutreten. In letzterer Be ziehung wird, wie man uns aus London telegraphirt, den „Times" aus Philadelphia unter dem 7. d. MtS. gemeldet, der amerikanische Gesandte in Peking habe dem StaatSsecretair im Drahtwege mitgetbeilt, daß infolge des von dem amerikanischen und dem britischen Gesandten er hobenen Einspruchs die chinesische Regierung sich geweigert habe, der Forderung Frankreichs auf eine Ausdehnung feiner Jurisdiction in Shanghai nachzukommen. Man darf iu hohem Grade gespannt darauf sein, wie der englisch französische Antagonismus sich Weiler entwickeln und vor Allem, ob Rußland in Erkenntniß der auch ihm drohenden Gefahr doch noch sein Frankreich gegebenes Wort einlösen wird. Den „Times" wird aus Sebastopol unter dem 6. d. M. von einem Berichterstatter, der zwei Monate das europäische Rußland bereist hat, berichtet, daß in den dortigen Schiffs- y Onkel Mlhelm's Gäste. Roman von A. von der Elbe. Nachdruck rerbotttl. Mit möglichster Beherrschung seiner Erregung begrüßte er die Anwesenden, wehrte den Brüdern, die sich unter Freuden geschrei an ihn hängten und sagte, er sei nicht ganz Wohl und wünsche allein zu sein. Besorgt blickte Nella dem Davonschreitenden nach. Welch' ein Gespenst ging im Eltrrnhause um? Was hing drohend Uber ihrem Haupte? Der Vater war ja nach dem Tode ihrer Mutter oft bedrückt gewesen, aber so, wie sie ihn eben gefunden, nie — es mußte etwas ganz Furchtbares geschehen sein. Nella hielt es im Kreise der Anderen nicht mehr aus. Sie wagte nicht, Kurt sogleich zu folgen, aber sie wollte sich in die Einsamkeit ihres Zimmers flüchten, lehnte der Weiermann Mit kommen ab und eilte in ihr Mädchenstübchen, das sie mit heimischem Behagen umfing. Hier sank sie am Fenster auf einen Stuhl und verbarg nachsinnend das Gesicht in den Händen. Was war die Veranlassung zu ihrer plötzlichen Heimkehr? Weshalb des Vaters und nun auch Kurt's verändertes Wesen? Der Bruder mußte jetzt eingewoiht sein. Ihr stand noch eine schreckliche Enthüllung bevor. Was konnte es anders sein, als ein hoffnungslose» Leiden deS geliebten Vaters? Ob ihre treue Pfleg« nicht doch noch helfen konnte? ES mußte Alles geschehen, Alles! Sie sah Kurt's Gestalt ganz hinten im Park auftauchrn. Sie wollte nun doch zu ihm, nm daS schreckliche Geheimniß zu er fahren. Kurt versuchte sich zu sammeln. AIS er in einer fernen Allee war, ging er mechanisch auf und ab. DaS Leben nahm plötzlich für ihn und die Seinen eine andere Gestalt an. Er wurde sich bewußt, daß er bis jetzt zu den Bevorzugten, zu den Drohnen, den Genießenden gehört habe, und daß Alle jetzt daran denken müßten, sich durch ihre Arbeit zu ernähren. Erkannt hatte er endlich, daß ihnen an Vermögen nnd Besitz, bei den harten, vom Recht unterstützten Forderungen de» Gegners, so gut wie nicht» bleibe. Ja, er mußte irgend etwas ergreifen! Er war ein junger Mann in bester Lebenskraft. Ihm würde eS noch möglich sein, etwa» Andere» zu werden. Vorbei war die schöne, fröhliche Lieutenantszeit, er konnte nicht Officier bleiben. Ein Cavallerist ohne eine» Pfennig Zu schuß war ein Unding. Er sann nach, ob er Schulden habe. Es waren nicht viele, der Vater hatte ihn immer reichlich mit Geld versorgt. Ja, er würde sich schon irgendwie durchschlagen, aber die Anderen? Der halb wirre, gebrochene Mann, die liebe, zarte Schwester und die beiden noch unerzogenen Knaben. Was sollte aus allen Denen werden? Ein jammervoller — ein verzweifelter Ausblick in die Zukunft! Ihres Bleibens würde hier nicht mehr lange sein. Aber wohin dann — wohin? Er sank aus eine Bank und verhüllte das Gesicht mit den Händen. Schluchzen hob seine Brust und erschütterte den jungen Körper. Kurt hatte noch kaum ein Leid erfahren. Er war bis jetzt ein verwöhntes Kind des Glückes gewesen, mit glänzenden Aussichten, schöner Ausstattung der Natur und fröhlichem Sinn. Jetzt kam der erste Kummer, der fürchterliche Ernst des Lebens kam über ihn. Und wie sollte er Nella mit der entsetzlichen Sachlage bekannt machen? Würde sie Alles begreifen und sich in die völlig ver änderte Lage zu finden vermögen? Der Vater hatte gewünscht, daß er mit der Schwester sprechen möge, und dem schwer leidenden Manne wollte er die neue Auf regung sparen. So mußte es sein! Kaum hatte er sich zu diesem Entschluß zusammengerafft, als er Nella die Allee herauf und auf ihn zueilen sah. Jetzt saß sie neben ihm und schlang die Arme um seinen Hals: „Kurt — Herzensbruder, tvas ist Dir? Was ist ge schehen? Ist Papa hoffnungslos krank?" „Nein, Kind — das nicht." „O, dann ist's ja nicht schlimm!" „Doch ernst und schlimm genug." Er nahm ihre Hand in die seine und begann die Sachlage und die große Veränderung, die ihnen bevorstehe, zu schildern. Dies Aussprechen und der Ausdruck von Verstehen und von besonnener Auffassung in Nella's Gesicht erleichterte sein Gemüth. Was sie aber ebenso wenig wie er anfänglich fasten und ver winden konnte, war die Berechtigung Wendelstein's, ihr Ver mögen als Entschädigung zu nehmen, und die Ausplünderung, die sie voraussichtlich zu erleiden haben würden. „Sage mir, ist eS möglich^ Kurt", rief sie empört, „daß ein anständiger Mann, wie Wendelstein, der das ganze Majorat be kommt, unserem armen Vater das anthut? Du sagst, sogar das Mobiliar kann er uns verkaufen lassen und Alles, was Papa an Capital besitzt, hinnehmen, aber das ist ja, als wäre er ein Räuber!" Kurt zuckte traurig die Achseln. „Oberst von Wendelstein hat neun Kinder und war bis jetzt knapp gestellt. Wir haben fünf Jahre lang widerrechtlich, wenn auch im guten Glauben an unser Recht, die Erträge verbraucht. Da das Recht nicht auf unserer Seite sein soll, begreife ich, daß das Gesetz Wendelstein Ersatz zuspricht." „Und was soll mii uns geschehen?" fragte Nella, blaß und voll Angst, wie Kurt vorher gefragt hatte. Sie versicherte, daß sie ruhig gehen würde, ihr Brod zu erwerben, sie sei wirthschaftlich und greife gern zu, aber Vater und Brüder? „Die kannst und darfst Du nicht verlassen!" „Ich wüßte auch nicht, wohin sie sollten und was sie ohne mich beginnen könnten." Sie besaßen keine vermögenden Verwandten. Die Mutter war einziges Kind gewesen und Tante Selbach ebenso wie Onkel Wilhelm kämpften mit txr Noth des Lebens. „Die arme, gute Tante", seufzte Nella, „Papa hat sie unter stützt und sie weiß sich gar nicht einzurichten." „Sie wird doch noch mehr haben als wir. Uns bleibt ver- muthlich so gut wie nichts, denn Papas Lieutenants-Pension ist wie ein Tropfen auf einen heißen Stein." Sie besprachen, was sie etwa an persönlichem Eigenthum be sitzen möchten. Er hatte drei werthvolle Pferde und sie den Schmuck ihrer Mutter, das war doch Etwas, das ihnen kein Gesetz und kein rücksichtsloser Lehensvetter abringen konnte. Sechstes Capitrl. Das Geschick nahm seinen Lauf. Die Liquidationen der beiderseitigen Anwälte langten an und überstiegen, wegen des großen Werthobjectes, alle Er wartungen. Auch die hohen Gerichtskosten wurden eingefordert. Rusteberg fuhr mit Kurt zur Stadt, um Papiere zu ver kaufen, und Beide rechneten eifrig, um einen klaren Ueberblick zu gewinnen. Würde man allen Forderungen gerecht wrrben können? War es vielleicht doch noch möglich, einen kleinen Ueberschuß zu retten? Der beeidigte Taxator kam, begleitet von einer Grrichtsperson, und durchstöberte mit dem Bevollmächtigten des JustizratheS Graumann Tage lang das ganze Schloß. Es galt, den Inventar-Besitz deS Majorat-, das mit dem Wendelstein'schen Wappen gezierte Silber, Familienbilder und Kunstschätze von den muthmaßlichcn Neuanschaffungen für Frau von Rusteberg, deren Privatbesitz ihrem Gatten zufiel, zu sondern. Wie viele unliebsame Erörterungen es da gab! Der unglückliche Schloßherr schlich heimlich hinter den Leuten her. Es war seine fixe Idee, sie seien ihm feindlich gesinnt, sie könnten jene verlorene Urkunde finden und ihm vorenthalten. Auch des Nachts ließ es ihm keine Ruhe. Mit einer kleinen Blendlaterne suchte er heimlich den weitläufigen Bau vom Boden bis zuM Keller ab, doch immer vergebens. Jetzt war der traurige Sachverhalt allgemein bekannt ge worden. Einige Gutsnachbaren fuhren vor, ihre Theilnahme auszusprechen. Sie empfahlen sich aber bald, da sie einen Zu sammenbruch witterten. Die langjährige Dienerschaft ging bedrückt umher. Fräulein Weiermann, die schon zur Pflege der verstorbenen Frau von Rusteberg ins Haus gekommen war, schwamm in Thräncn, sie liebte die Familie, war alt und mittellos und sah einer ungewissen Zukunft entgegen. Doctor Feldbaus, mit dem Kurt offen sprach, wurde zum ersten Oktober gekündigt. Während er sich um eine andere Stell: bemühte, schrieb ihm sein Freund ein höchst vortheilhaftes An erbieten, von dem Kurt zufällig Kunde erhielt. Feldhaus sollte einen reichen, kränklichen Knaben an die Riviera begleiten, aber mußte sofort kommen. „Ich würde es unrecht finden, Sie zu halten, Doctor", sagte Kurt freundlich. „Sie dürfen diesen annehmbaren Vorschlag nicht ablehnrn. WaS können wir Ihnen bieten? Bei uns finden Sie jetzt kein Eldorado." Johannes erschrak, er sollte schon fort, die Familie verlassen? Vor der Zeit, bevor hier Alles überstanden war, sich selbst äußerer Vorteile halber, davonmachen? Er fühlte plötzlich mit aller Bestimmtheit, daß er daS nicht könne. Er vermochte es nicht, die ihm theuren Menschen in Stich zu lassen. Es ist Unsinn, Wahn sinn, daß ich bleibe, gestand er sich in schlaflosen Nächten sich selbst. Aber sie — sie — sie ist es, die mich hält! Ich kann sie nicht verlassen, ehe ich muß. Jeder Tag in ihrer Nähe ist mir ein Gnadengeschenk, mag nachher kommen, was da will. So bat er, bleiben zu dürfen, so lange der Haushalt fort bestehe. Er glaube, es werde für seine Schüler besser sein, wenn er si« jetzt während der allgemeinen Aufregung noch unter seiner Zucht behalte. Kurt nahm dankend mit aufwallender Freude an und sagte: „Für uns ist es ja sehr tröstlich, einen verständigen, freund schaftlich gesinnten Mann in der Näh« zu haben."
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