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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.01.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990112014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899011201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899011201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-12
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VezrrgS-Pre^ -ob,stelle» «bs*h»l t: Vi'rteliährllch 4.oO, ^.'"L7L" r L«E,«d und Oestm.tch: viert,li-drlich Dinet, täglich» Kr«uzbaad>,»du», i«» AuSlaxd r monatlich ?ÜO. Di» Mvrgen-rlii-aib« »rsch»i«t »m '/,? uh,, »i» «d-d-A-Sttr« vochnitog« »» S Uhr. Ne-irtiou und Lnedilio«- 2«tzann»«>ass» 8. Di, Expedition ist Wochentag« aannterbroche» pöffnes von früh S bi« Abend« 7 Uhr. Mialck; Vtts Klemm'« Darttm. lAlfrrd Hah«>, Untversltät-stroß» L (Pauling Lant« Lösche. Katdarinenstr. ich vart. »nd KSAgsplatz 7. Morgen-Ausgabe Druck und Verlag von E. Pol« in Leipzich S3. Jahrgang. Donnerstag den 12. Januar 1899. Anzeigen-PreiS -!e e gespaltene Petitzeile so Pf-. Reelamen unter dem Nedactionsstrlch (4a«> spalten) ÜO^, vor den Familiennachrichie» (Ügespalten) 40^. Größer« Schriften laut unserem Preis- »zeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. ripMer Ta-MM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes nnd Molizei-Amtes der Ltabt Leipzig. Extra-Beilage« (gesalzt), nur mit de, Morgen.Ausgab«, ohne Postb«sörderuag 60—, mit Postb«fürderung 70.—. Arrnahmeschluß Dr Anzeige«: Abrud.Aurgabe: vormittag« 10 Uhr. Margeu-Ausgabe: Nachmittag« 4UHL V«i den Filialen und Annabmest«llin j« ein« halb« Stunde frährr. Anteilen sind stet« a» tzft Erpetzittai» t» richten. Die De-eutnng Dänemarks innerhalb -er europäischen Staatengesellfchast. Die Spannung zwischen England und Rußland muß je länger j« mehr an Schärfe zunehmen, da die stetig wachsende Aus dehnung der Wachtentwickelung beider Reiche immer mehr Be- riihrung-punrte und Jnterefsencollisionen schafft. Diese That- fache allein giebt dem kleinen, in letzter Zeit über Gebühr viel genannten dänischen Staate eine ihm sonst wohl kaum zu kommende politische und militärische Bedeutung. Daß man der selben in Dänemark bisher nicht in erforderlichem Maße Rechnung getragen hatte, bewiesen di« überstürzten militairischen Maßnahmen dieses Staate- im letzten Sommer, welche durch eine Verschärfung in der feindseligen Stimmung der beiden Rivalen hervorgerufen wurde. Die dänischen Inseln sperren unbedingt den Zugang zur Ostsee und hindern zugleich das Auslaufen einer Kriegsflotte in die Nordsee. Sie trennen also die «impfenden Parteien auf dem entscheidendsten Kriegsschauplätze. Eine Neutralität des dänischen Staates ist unter diesen Umständen unmöglich, denn der Besitz oder die Mithilfe Dänemarks gewährt jedem von den beiden Gegnern zu bedeutendeVortheile. Wenn esdenRussen glückte, Dänemark auf ihre Seite zu ziehen, und wenn es ihnen dann ge länge, bei Aurbruch des Krieges schnell genug Dänemark mit Schiffen und Mannschaften zu unterstützen, dann wäre der Kriegsschauplatz von den russischen Ostseeküsten, von Libau- Kronsiadt-Petersdurg, nach Dänemark verlegt. Welch' ein un geheurer Bortheil diese» für die Russen wäre, liegt auf der Hand, denn bei einigermaßen geschickter Vertheidigung würde es den Engländern wohl kaum gelingen, dennoch auf den dänischen Inseln festen Fuß zu fassen und die Belte und Sunde zu forriren. Für England bilden daher die dänischen Inseln nicht nur eine ausgezeichnete Basis für die Unternehmungen ihrer Flotte gegen Rußland, sondern es ist vielmehr ihr gesicherter Besitz eine aonckitio «ive qua nou für einen Angriff auf Rußland in der Ostsee. Dieser Angriff ist der wirkungsvollste und ver- HLUnißmäßig leichteste, den England überhaupt gegen Rußland unternehmen kann. An den übrig«» russischen Küstenstrecken, dem Weißen wie dem Schwarzen Meere, und in Ostasien kann eS dem russischen Koloß kaum wehe thun. Die Besitznahme der dänischen Inseln ist d«n Engländern leichter als den Russen, denn man muß wohl annehmen, daß die Engländer große mari tim« Kräfte schneller nach den Inseln Wersen können, als die Russen. Wer aber einmal auf den Inseln festsitzt, den wird der Andere schwer vertreiben können. Es fragt sich nun, welcher von den beiden Gegnern der vor- theilhafteste Bundesgenosse für Dänemark ist, denn mit der Möglichkeit, ihre Neutralität aufrecht zu halten, haben die Dänen, wie wir gesehen haben, nicht zu rechnen. Schließen sich die Dänen den Russen an und gelingt es diesen, die Inseln zu besetzen, dann wird Dänemark zum Kampfplatz für beide Parteien. Dies ist für Dämmark das denkbar Ungünstigste. Schließt eS sich den Engländern an, dann wird es die Basis für die Kriegführung derselben, was auch mit großen Unbequemlich keiten, Unsicherheit und Nachtheilen für Handel und Gewerbe verbunden ist. Wie ober auch der einstig« Krieg verlaufen möge, wer immer von Beiden Sieger bleibt und auf welche Seite Däne mark sich schlagen mag, -der Ausgang drS Krieges wird für Däne mark den Verlust der Selbstständigkeit bringen, denn der Sieger wird nicht auf die wichtige Position der dänischen Inseln ver zichten wollen und können. AuS dieser denkbar ungünstigen politischen Lage, das Kampf object zweier mächtiger Staaten zu sein, hätt« ein« fähige dänische Staatsleitung daS Land längst herauSbringen können, wenn sie nämlich «ine real« Bernunfts- statt einer Gefühls politik getrieben hätte. Die dänischen Staatslenkcr hätten wohl von unserem eisernen Kanzler lernen können, daß eine Politik um so schlechter ist, je mehr sich Gefühlsregungen, Haß oder Zu neigung, also Vorurtheile, an Stelle nüchternen Denkens in einer solchen breit mach«». Sie hätten dann auch wohl erkannt, daß eine versöhnliche Politik und freundschaftliche Beziehungen zu dem mächtigen Süd-Nachbar für die dänischen Interessen weit aus ersprießlicher sind, als die bisher beliebte gehässige Politik. Haß und Verblendung werden wohl auch wie bisher die dänischen Staatsmänner hindern, zu erkennen, daß die dänische Neutralität und Unverletzbarkeit in einem solchen Zukunftskriege um so mehr gewahrt ist, je fester sich Dänemark an Deutschland angeschlossen hat. Die Freundschaft oder auch nur die wohlwollende Neu tralität Deutschlands ist in einem solchen ZukunstSkriege für jede der beiden Mächte zu ausschlaggebend, als daß ein« derselben es wagen könnte, das verbündet« dänische Gebiet zu verletzen. D«r Fall deutscher Neutralität, also der für Dänemark günstigste, ist der weitaus wahrscheinlichste. Greift Deutschland aber in den Kampf ein, so ist bei d«n mächtigen Streitmitteln dieses Reiches, die sich in unmittelbarer Nähe in strategisch günstiger Lage zum Kampfplatz befinden, keiner d«r Gegner in der Lage, die dänischen Inseln zu be haupten. Sie fallen einer deutschen Besatzung anheim. So ist Deutschland in der Lage, vor den wundesten Punct Rußlands den Schild zu halten, indem es die Ostsee abschließt, oder aber diesen wunden Punct dem Feinde Rußlands bloß zu geben. Nur eine entscheidende Niederlage Deutschlands und der mit ihm ver bündeten Staaten könnte die deutsche Besitznahme des nordischen Königreiches wieder rückgängig machen. So weisen die wahren Interessen Dänemarks immer auf einen engen Anschluß an Deutschland hin. Ein friedlicher Anschluß, in welcher Form es auch immer sei, bewahrt es am sichersten vor der Aufsaugung durch diesen mächtigen, emporsteigenden und sich immer mehr entwickelnden Nachbar und verleiht ihm zugleich den wirksamsten Schutz vor der traurigen Rolle, den Spielball zwischen zwei kämpfenden Mächten und den Kriegsschauplatz für dieselben abgeben zu müssen. Die „große liberale Partei". 52 Der Versuch deSHerrn Heinrich Rickert, „alle liberalen Westpreußen" zu einem in seinen Händen knetbaren Teig zu- samnicnzuballen, ist so ausgefallen, wie eS vorauSzuseben war. Der Besuch der behufs Erböbung der Freisinnigen Vereinigung auf den letzten Sonntag nach Thorn einberufenen Ver sammlung erhält srlbst von dem Hauptorgan der Rickert'schrn Richtung die VerlegenheitScensur „recht gut". Der „Frei sinnigen Zeitung" zufolge war die etwa dreihundert Theilnehmer zählende Provinzialversammlung ganz über wiegend von Bewohnern der Stadt Thorn, die sich also nicht sonderlich zu bemühen brauchten, gebildet. Die west preußischen Nationalliberalen hatten sich bekanntlich vorher (in Graudenz) dahin erklärt, daß sie von den Rickert'schen Plänen sich nicht« für den Liberalismus (und, fügen wir hinzu, für das Deutschthum) versprächen, und sie hatten dem gemäß die Theilnahme an der Thorner Unternehmung ab gelehnt. Jedoch sprach dort auch ein Nationalliberaler, Herr Landrichter Bischoff, zu der natürlich angenommenen Resolution, welche das Zusammengehen aller Liberalen der Provinz bei den Wahlen „unbeschadet der bestehenden Organisationen" und die Veranstaltung häufiger Zusammen künfte wie die Thorner empfiehlt. Ueber Herrn Bischoff s Rede schreibt die „Freis. Ztg." u. A.: „Herr Bischoff phantasirte auch von einer Strömung im Volke, welche eine große liberale Partei herbeiführrn wolle. Die jenigen, welche von einer großen liberalen Partei sprechen, verstehen darunter ein Ausgeber» aller anderen liberalen Richtungen in die eigene specifische Fractionsrichtung. Herr Bischoff spottete dann über diejenigen Herren, welche eine weite Reis« von Berlin nach Westpreußen unternehmen wollen. Er rufe den Fraction-führern zu: „Hand weg!" Insbesondere verbitte man sich ein Dreinreden bei der Bestimmung deS zu wählenden Candidoten. Dieser Appell des nationalliberalen Landrichters war offenbar an die national liberale Adresse deS GeneralsecretairS Patzig und de« Rechts anwalts Wagner in Berlin gerichtet. Die genannten Herren haben für nächsten Sonntag bekanntlich einen nationalliberalen Parteitag in Marienburg veranstaltet, um die besonderen Organisationen der nationalliberalen Partei in Westpreußen zu kräftigen." Man muß dem Urtheil der „Freis. Ztg." über den egoistischen Charakter der auf Anbahnung der „großen liberalen Partei" gerichteten Absichten beipflickten. Die National liberalen trifft eS jedoch nicht, denn diese haben daS Projekt alS unausführbar und schädlich immer zurückgewiesen. Auch giebt die „Freis. Ztg." richtig an, wen Herr Bischoff al« die Adressaten seines „Hand weg!" betrachtet sehen möchte. Aber der nationalliberale Entschluß, sich nicht unter de« Herrn Rickert Fittiche zu begeben, ist, wie schon der Graudenzer Beschluß zeigt, spontan in Westpreußen entstanden. Auch der von Herrn Bischoff genannte Rechtsanwalt Wagner ist erst vor ganz kurzer Zeit von Graudenz nach Berlin verzogen, und dem Generalsecretair Patzig den Makel des specisischen Berlinertbums anzudängen, ist ein Unterfangen, das dem Halbwegs Kundigen ein Lächeln abnöthigt. In Wahrheit ist das BereinigungS- project ureigenes Berliner Gewächs, in den dortigen Bank- und MäntelconfectionSvierteln entstanden und von der „Nat.- Ztg." und Herren wie Geh. Commerzienrath Goldberger und vr. Barth gehegt. Freihandel, Beseitigung deS Börsengesetzes, unbedingte Aufhebung der Viehsperre und ähnliche Ideale bilden da« Programm dieser Gruppe. Der „Wiederaufschwung deS Liberalismus", deS politischen wohlverstanden, nicht des sogenannten wirthschaftlichen Liberalismus, ist nur Aushängeschild. Der politische Liberalismus hat aber seinen Niedergang ganz allein dem Manchesterthum zuzuschreiben, daS die Secession herbei geführt und durch seine Berständnißlosigkeit für die Wirth- sckastlichen Forderungen der Zeit Millionen liberal denkender Männer der liberalen Fahne entfremdet hat. Diese Richtung verstärken, hieße den Proceß zu Ende führen und den Untergang deS Liberalismus besiegeln. In der nationalliberalen Partei wird sich Niemand an diesem Spiele betheiligrn, die „Geführten" ebensowenig wie die „FractionSführer". Und in Westpreußen wie in den doppelsprachigen Provinzen überhaupt aus zweifachem Grunde nicht. Denn Plane der Herren Rickert und Bischoff sind dem Deutschthum so gefährlich wie dem Liberalismus. Der NationallideraliSmus al« eine mit radicalen und schutzzollseindlichen Gruppen vollständig „unverworrene" Organisation kann — und muß im Osten — zu den Conservativen eine unzweideutige Kampfes stellung, wenigstens in der einzelstaatlichen Politik, einnchmen. Zeigt er jedoch gleichzeitig nach links dieselbe Selbstständigkeit, so bleibt er in der Lag«, gegen daSPolenthum conservative Unterstützung zu erhalten und nöthigenfalls zu geben. Aber eine mit den Verächtern der lanewirthschaftlichen Interessen verschwisterte Partei wird gegenüber jedem Gegner bündniß- unfähig für die Conservativen. Dazu kommt, daß die freisinnigen Führer in der Polenfrage durchweg unsichere Cantonistcn sind, die Rickert und Barth geradeso wie die Richter und Fischbeck. Darauf, daß die Freisinnige Vereinigung in der Ausweisungsangelegenheit die Sache der nationalen Selbstentwürdigung durch ihre Presse am eifrigsten führen läßt und daß sie schon darum für die national liberale Partei al« Verbündete unmöglich sein muß, ist an dieser Stelle schon hingewiesen worden. Und es ist nicht einmal sicher, daß die Gruppe Rickert-Barth der Militair- v orla ge ohne die unerreichbare und praktisch ganz bedcntungs lose gesetzliche Festlegung der zweijährigen Dienstzeit zustimmt. ES wird Vies vielmehr wahrscheinlich von der Haltung deS — CentrumS abhängen. Also: „schiedlich und — zumeist! — »»friedlich", muß die Parole bleiben. Deutsches Reich. */, Leipzig, N. Januar. Wie an anderen Orten sind auch die in Leipzig wohnhaften, der Behörde als Anar chisten bekannten Personen kürzlich auf daS Polizeiamr bestellt worden, woselbst von jedem der Vorgeladenen ein Signalement ausgenommen worden ist. * Leipzig, 1l. Januar. Der Verleger der „Grenz - boten", Herr I. Grünow, läßt uns ein gedrnck:es Circular zugehen, in dem er sich über die Gründe, die ibn zur Herausgabe der Tagebuchblätter Moritz Busch'« veranlassen, folgendermaßen auSspricht: „Meine Gründe für die Herausgabe des Buche- waren die, daß Fsrrillston. Der böse Tamerlan. Humore-ke von MaxWundtke. Nachdruck »e,r»Ien. WaS Herrn Fröhlich dazu bewogen hatte, seinen Köter mit dem heidnischen, blutrünstig«!» Nam«n Tamerlan zu belegen, ist heute noch in mystisches Duirkel gehüllt. Ruppig genug sah er ja auS, aber mit dem berüchtigten Mongolenfürsten Tamerlan hatte er absolut nichts gemeinsam, wenigstens ist nicht nach gewiesen, daß -Herr Tamerlan ein humorvoller Kopf gewesen wäre, was sich von dem also benamset«» Hunde ganz entschieden behaupt«« läßt. Er liebte es, di« Leute, unter denen nur die Freunde seine- Herrn zu verstehen sind, auf neckische Weise zu erschrecken, indem er ihnen auf der Straße mit einem energischen Ruck von hinten durch die Beim fuhr, dann plötzlich Kehrt machte, den also Begrüßten in Frontstellung erwartete und ihm dann zum Willkommen eine Vorderpfote entgegenstreckte. Das war seine etwas complicrrte Art des Gutentagsagens, immerhin aber nicht umständlicher, als der neueste Gigerlgruß, der unglaublich schwierige Armbewegungen und -Verrenkungen braucht, um den D«ckel vom Kopfe zu entfernen und wieder an seine Stelle zu bugsiren. Eine andere von TcnmrlanS beliebten scherzhaften Ideen war die, in der Kneipe, wohin ihn sein Herr Tag für Tag mitnahm, plötzlich, ohne daß Jemand es ahnt«, sein« Vorder pranken von hinten auf die Schulter des Sitzenden zu legen und so, hochaufgerichtet, seinen häßlichen, wolfsähnlichen Kopf unver- muthet dicht neben der Wange des auf diese Weise „Ausgezeich neten" erscheinen zu lassen. Zuweilen gewann dieses Experiment noch an Wirksamkeit, wenn Herr Fröhlich, der natürlich al- «piritu» rector jede« Mal der inttllectuelle Urheber solcher Gcherzcherr war, zu allem Ue-erfluß noch die Geberdr des Gähnen» macht«. Tamerlan verstand ungemein ausdrucks voll zu gähnen. Er gäbntr auf Commando zu jeder Frist und mit einer Intensität, daß er ein moderne- Lullkniel ganz allein hätte in di« Versenkung gähnen können, und >die ihn zu einem Schrecken aller TarrtiSmedramatiker gemacht haben würde. Wenn dieser mächtige Kosff, der da plötzlich dicht neben dem Ohre de» Ahnungslosen auftauchte, den entsetzlichen Rachen, der einem Behe moth «wer Leviathan Ehre gemacht haben würde, mit hörbarem Gelenkkrachen gähnend aufriß. so war das thatsächlich eine Ueber. raschung, die Herr Fröhlich besser allein für ganz starknervige Freunde hätte reserviren sollen. Manchem würde man dergleichen Scherze wohl übelgenommen haben. Herr Fröhlich, seines Zeichens Illustrator, ein echte- Künftlerblut, war nichtsdestoweniger der erklärte Liebling Aller, die ihn kannten, vor Allem aber der feuchtfröhlichen Stammtisch runde, dir sich jeden Tag im „Grünen Esel" ihr Rendezvous gab. Immer fidel, gukmiithig bi- zum Leichtsinn, edelherzig, auf richtig, zu allen tollen Streichen aufgelegt, und dabei ein hübscher, grsuntder, stattlicher Mensch, der allerdings schon stark auf die Dreißig zuschritt. Daß ihm der drohende „Schneider" im Hin blick auf sein so lange Jahre gehllktes Junggesellen-thum irgend wie Kopfschmerzen verursacht hätte, kann man nicht behaupten. Die Freundschaft für den wackeren Zeichner hatte sich auch auf dessen Schatt«», auf Tamerlan ausgedehnt, der von seinem Herrn unzertrennlich schien. Zwar seine äußere Erscheinung war nicht im Stande, für ihn zu werben, desto mehr aber sein« Charaktereigenschaften. Man wußte, daß in diesem zottigen, ruppigen, struppigen Fell ein gut«s, braves, harmloses Hundeherz schlug. Blos Herr Wermchen mochte -das „Brest" nicht leiden. Er sagte immer, „das Brest". Wer oder was Tamerlan war, hatte Herr Wermchen noch nicht ergründen können. Er hatte bei diesem Namen die Vorstellung irgend eines chinesischen Seiden zeuges. Woher ihm diese Vorstellung kam, war schwer zu sagen. Genug, er begriff den Namen Tamerlan nicht und wählt« an dessen Stelle das ihm viel bezeichnender erscheinende Wort „Brest". Herr Wermchen hate im Allgemeinen eine ausgesprochene Ab neigung gegen alles Viehzeug; namentlich gegen Hunve und Katzen hatte er eine förmliche Idiosynkrasie; aber Tamerlan war ihm ganz besonders verhaßt, theils seines Aeußeren wegen, theis wegen der diversen, recht schreckhaften Ueberraschungen, die ihm das unschuldige Thier auf Befehl seines Herrn schon be reitet hatte. Hrrr Wermchen war nämlich nicht gerade einer von den Tapfersten. Er renommirte zwar fleißig mit seiner Körperkraft und mit feiner Unerschrockenheit, aber man wußte wohl, wie es mit ihm stand, und macht« ihn deshalb häufig zur Zielscheibe aller guten und schlechten Witze. Namentlich Herr Fröhlich war unermüdlich im Aufspüren neuer Ueber- rafchungen. Freilich war darin seit Kurzem eine merkwürdige Wandlung ringetreten. Herr Fröhlich befleißigte sich einer auffallenden Zurückhaltung in den bekannten Foppereien. Man wußte auch bald, warum. Herr Wermchen hatte es trotz feiner Jugend — er zählte erst dreiundvierzig Jahre — schon zum Rentner gebracht. Er war nach dem frühen Tode seiner Frau ein wenig Sonderling geworden, hatte sich in das kleine Dörfchen zurückgezogen, das der Kreisstadt, in welcher sich der „Grüne Esel" befand, gegen über an der anderen Seite de- buchtenreichen Landsees lag. Die Wirtschaft führte ihm sein« etwa zwanzigjährige Tochter Betty, «in ruhiges, leidenschaftslose-, aber gemüthvolles und intelli gente- Mädchen von jener blonden, abgeklärten Schönheit, die den Ansturm der Jahr« bi- in ein späte- Alter zu überdauern pflegt. Diese Betty hatte Herr Fröhlich kennen gelernt und war nun ganz vernarrt in sie. Am liebsten hätte er sie gleich von drr Stell« weg geheirathrt, und er glaubte seiner Sache s«hr sicher zu sein, daß auch sie ihn gern mochte. So hatte er denn bei dem Herrn Papa leise angeklopft. Aber da war er schön angekommen. Begreiflicher Weise war er fo wie so schon schlecht auf Fröhlich zu sprechen; das ..Beest" stieß dem Faß vollends den Boden aus. Er würde niemals zugeben, daß ^seine Betty einen Mann heirathe, der in so heidnischer Weise an einer unver nünftigen Kreatur hinge. Gewöhnlich sei den Menschen wenig gut, wer es so gut mit Hunden meine. Uederdies könne er ja mal bei Betty anfragen; sie werd« ihm dasselbe sagen. Betty könne keine Hunde ausstehen. Vor Allem aber ... ein Mann wie Herr Fröhlich . . . nein, «r und seine Tochter Betty, sie müßten sich doch Beide bestens bedanken." So, da hatte Fröhlich -den Senf. Und daß Wermchen recht hatte, das wußte er. Den ausgesprochenen Widerwillen Betty's gegen Hunde und speciell gegen Tamerlan hatte er mehr als ein mal beobachten können. Trotzdem macht« er von dem Thiere nicht lassen, denn Tamerlan hatte sich ein besonderes Verdienst um das Leben seines Herrn erworben, und undankbar konnte Herr Fröhlich nicht fein. Da kam der Tag, da Tamerlan sich bei Herrn Wermchen und seiner Tochter glänzend rehabilitirt sah. Und das ging so zu: Der Wirth im „Grünen Esel" hatte Schlachtfest gehabt. Es war kurz nach Weihnachten, und da wollte er seinen fröhlichen Stammt-ischgästen einmal ein klebriges ihun. Eine riesige Fleisch wurst hatte er, wie man einen Fahnenmast mit Guirlanden um windet, mit einer stattlichen Kette von kleinen Brühwürstchen spiralförmig umwickelt und das appetitliche Kunstwerk dem jenigen seiner Stammgäste in Aussicht gestellt, drr an einem be stimmten Tage bei dem üblichen Rachmittagsscat zuerst tausend Points erreichen würde. Herr Wermchen- hatte sich gleich nach Tische die Schlitt schuhe an die Füße geschnallt — er war ein leidenschaftlicher Eisläufer, und der See dis auf wenige Stellen fest zugefroren — und war zum „Grünen Esel" hinllbergelaufen. „Ich gewinne die Wurst, Betty, verlaß Dich d'rauf", hatte er seiner Tochter zum Abschied gesagt. Und richtig, -er gewann die Wurst! Freilich war es schon längst Abend geworden, aber das that nichts. Der Mond stand ja klar am Himmel und das Wetter war ruhig. Mit dem Triumphgefühl eines siegreichen Feldherrn wickelte er die g«- schmackvollc Leistung der Fleischerkunst in einen Bogen Zeitungs papier und steckte sie drr Länge nach in die Hintere Tasche seines überaus langen Gehrockes. Zu den herzlichst Abschied nehmenden Gästen gesellte sich auch Tamerlan, dem merkwürdiger Weise die Reversseite des Herrn Wermchen ungleich mehr Achtung einflößte, als die Front. Trotz des überaus freundlichen Benehmens Tamerlan« konnte Wermchen doch nicht umhin, ihm eimn recht mißtrauischen Blick zuzuwerfen. Hinter dem Hofgrundstück vom „Grünen Esel", das direkt an den See stieß, schnallte sich der Scheidende, umringt von d«n Zurückbleibenden, die Schlittschuhe an. Dann ging'» k^itn hinaus auf die mondbeglänzie, spiegelklare Eisfläche. Tamerlan hatte dem Beginnen mit sichtlicher Unruh« nachgesehen. Bangte es ihm um Wermchen oder um die Wurst? Er schnellte sogar einig« Sätze auf das Eis hinaus und stand dann witternd still. Nun hatte sich schon bei Wermchens ersten Bewegungen die Papier umhüllung von der Wurst gelockert. Die Bratwürftchenkette hatte sich oben an der Wurst gelöst und die ersten drei od«r vier Glieder der Würstchenkette hingen au» der Rocktasche heraus und wehten nun lustig hinter ihrem Besitzer her. Das schien dem sehnsüchtig auf sein Abendbrot» wartenden Tamerlan unerhört. Das war zweifellos eine Verhöhnung seiner persönlichen Gefühle, und wie ein Sturmwind schoß er los, dem lockenden Schwänzchen des Herrn Wermchen nach. Vergebens waren die Rufe des Herrn Fröhlich. Wermchen merkte, was hinter ihm vorging. Er bekam'« mit der Angst und legte zu immer schärferer Gangart aus. Dabei stahl sich ein Wurstglied nach dem anderen hervor und spornte auch den bösen Tamerlan zu höchster Eile an. Die ain Ufer Stehenden wandten sich förmlich in Lachkrämpfen. Vom Zurückrufen konnte keine Rede mehr sein. Jetzt hatte der Hund den Flüchtigen erreicht. Ein Sprung, und Wermchen war ver schwunden. Tamerlan stand wie angenagelt mit dicht am Boden liegenden Kopf und regte sich nicht mehr. Am Ufer verstummte das Lachen. Keine Spur mehr Ivar von Wermchen zu sehen. Im Sturmschritt jagte man hinaus. Da . . . ein etwa mcter- brciter, offener Canal zog sich hier quer vor eine Ausbuchtung des Sees, an der dos Häuschen des Reniners lag. Diese Buhne schien erst am Nachmittag zum Zwecke des Karpfenfanges ge hauen worden zu sein. Sie war dem Scatpreissieger vcrhängniß voll geworden. Kurz vor der Buhne war er durch das Zugreifen Tamerlans zu Falle gekommen und, noch von der Gewalt der bisherigen Bewegung getrieben, auf dem Eise fortgeglitten, bis er in bedeutend verlangsamtem Tempo in das Wasser hineingerieth, da er auf der spiegelglatten Fläche nirgends festen Halt fand. Tamerlan aber hatte di« Situation sofort erkannt und den Aermsten gerade im Moment des Abgleitens mit den Zähnen beim Mantelkragen gepackt. Aus dieser Lage befreiten ihn jetzt die Herzueilrnden. Der Weg nach Hause war nicht mehr weit. Man brachte den zähneklappernden Wermchen zu seiner Tochlcr, schaffte ihn sofort ins Bett und frischte sein« Lebensgeister mit etlich n Gläsern Glühwein wieder auf. Noch am späten Abend saß die ganze Stammtifchcorona einmüthig bei dem Rentner um den runden Tisch in der guten Stube, indeß Fräulein Betty Wermchen so vergnügt die Honneurs machte, als gälte es ein fröhliches Fest zu feiern. Dabei hatte sie erstaunlich viel Aufmerksamkeit und gute Brocken für Tamerlan, was Herr Fröhlich mit innerer Be friedigung constatirte. Und als gar Herr Wermchen aufstand und in ükxrmüthiger Laune einen Toast ausbrachte auf seinen edlen Lebensretter Tamerlan, dessen edles Gemüth er so schnöde verkannt hatte, da war Betty Dirjenig«, die am lautesten mit ihr«m Glase anstieß, und als sie»dann unter Lachen und Weinen zugliich ihr süßes Papping umarmt hatte, da nahm sie auch den ruppigen Kopf Tamerlan» zwischen ihre Händchen und drückte ihn herzhaft ob. Wenig fehlte, so hätte sie ihre Zärtlichkeit auch an seinem Herrn ausgelassen, und wir können versichern, daß ihm im weiteren Verlaufe de- Abends weder llmarmung noch Kuß erspart bkied. Das letzt« Gla- leert« die fröhlich« Gesellschaft auf di« glückliche Zukunft des jungen Brautpaares. Und Tamerlan sollte bei ebnen bleiben. Dieses Recht wurde dem verkannten Geschöpf noch feierlich verbrieft.
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